Erinnerungen an Lenin - Clara Zetkin - E-Book

Erinnerungen an Lenin E-Book

Clara Zetkin

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Beschreibung

Die vorliegende Arbeit »Erinnerungen an Lenin« enthält Gespräche, die Clara Zetkin mit Lenin führte und die sie aus dem tiefen Nachhall dieses großen Erlebnisses niederschrieb. Sie geben – ohne Lenins Ausführungen wörtlich zu wiederholen – einen starken Eindruck von Lenins Schlichtheit und Größe. Zetkin schrieb: Es widerstrebt mir, Persönliches in die Öffentlichkeit zu tragen. Es deucht mich jedoch Pflicht, einiges aus dem Schatz meiner persönlichen Erinnerungen an den unvergesslichen Führer und Freund mitzuteilen. Pflicht gegen ihn, der uns durch Theorie und Tat gelehrt hat, dass der revolutionäre Wille das geschichtlich Nötige und Vorbereitete bewusst zu formen vermag. Pflicht gegen die, denen seine Liebe und sein Handeln galt: die Proletarier, die Schaffenden, Ausgebeuteten, Unfreien der ganzen Welt, die sein mitfühlendes Herz als Leidende umfasste und die sein stolzer Gedanke als revolutionäre Kämpfer, als Erbauer einer höheren Gesellschaftsordnung wertete.

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Clara Zetkin

Erinnerungen an Lenin

Aus dem Briefwechsel Clara Zetkins mit W.I. Lenin und N.K. Krupskaja

Erinnerungen an Lenin

Clara Zetkin

Aus dem Briefwechsel Clara Zetkins mit W.I. Lenin und N.K. Krupskaja

Impressum

Texte: © Copyright by Clara Zetkin

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2022

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Vorbemerkung

Wie ich Lenin kennenlernte

Weitere Begegnungen

Anhang

Vorbemerkung

Clara Zetkin sah im Sowjetvolk stets den Vorposten im Kampf des internationalen Proletariats für Frieden und Sozialismus. Sie war erfüllt von großer Bewunderung für die Erfolge der sowjetischen Arbeiter und Bauern. In der ruhmreichen Kommunistischen Partei der Sowjetunion sah Clara Zetkin stets das Vorbild und die Führerin des Weltproletariats. Mit dem genialen Schöpfer des ersten sozialistischen Staates, dem Führer der Sowjetvölker, Wladimir Iljitsch Lenin, verband sie eine herzliche Freundschaft.

Die vorliegende Arbeit »Erinnerungen an Lenin« enthält Gespräche, die Clara Zetkin mit Lenin führte und die sie aus dem tiefen Nachhall dieses großen Erlebnisses niederschrieb. Sie geben – ohne Lenins Ausführungen wörtlich zu wiederholen – einen starken Eindruck von Lenins Schlichtheit und Größe. Kürzungen wurden durch Punkte gekennzeichnet.

Der erste Teil der Arbeit wurde 1924 vom Verlag für Literatur und Politik, Wien – Berlin und der zweite Teil 1926 in der Broschüre »Lenin ruft die werktätigen Frauen« erstmalig veröffentlicht. Die vorliegende Neuauflage wurde nach der im Jahre 1929 im Verlag für Literatur und Politik, Wien – Berlin erschienenen vollständigen Ausgabe vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands besorgt.

Clara Zetkin mit N. K. Krupskaja

In diesen schweren Stunden, wo jeder von uns mit dem tiefsten persönlichen Schmerz erdrückend empfindet, daß ein Unersetzlicher von uns gegangen, steigt leuchtend, lebensfrisch die Erinnerung an einzelnes empor, das blitzartig in dem großen Führer den großen Menschen zeigt. Das harmonische Zusammenklingen der Größe des Führers und des Menschen prägte Lenins Gestalt und hat ihn für immer eingeschreint in dem großen Herzen des Weltproletariats, wie dies Marx als ruhmvolles Los der Kommunekämpfer pries. Denn die Werktätigen, die dem Reichtum Geopferten, die wie des Dichters Seume Kanadier »Europens übertünchte Höflichkeit« nicht kennen – lies: die konventionellen Lügen und Heucheleien der bürgerlicheIhr Lenin n Welt –, unterscheiden mit feinem, instinktivem Empfinden zwischen Echtem und Unechtem, zwischen schlichter Größe und protziger Aufgeblasenheit, zwischen ihnen zugewendeter, aufopferungsvoller, tatgebärender Liebe und dem Haschen nach einer Popularität, in dem sich hohle Eitelkeit spiegelt.

Es widerstrebt mir, Persönliches in die Öffentlichkeit zu tragen. Es deucht mich jedoch Pflicht, einiges aus dem Schatz meiner persönlichen Erinnerungen an den unvergeßlichen Führer und Freund mitzuteilen. Pflicht gegen ihn, der uns durch Theorie und Tat gelehrt hat, daß der revolutionäre Wille das geschichtlich Nötige und Vorbereitete bewußt zu formen vermag. Pflicht gegen die, denen seine Liebe und sein Handeln galt: die Proletarier, die Schaffenden, Ausgebeuteten, Unfreien der ganzen Welt, die sein mitfühlendes Herz als Leidende umfaßte und die sein stolzer Gedanke als revolutionäre Kämpfer, als Erbauer einer höheren Gesellschaftsordnung wertete.

Wie ich Lenin kennenlernte

Es war im Frühherbst 1920, als ich Lenin zum ersten Male wiedersah, seit die russische Revolution begonnen hatte, »die Welt zu erschüttern«. Unmittelbar nach meiner Ankunft in Moskau, bei einer Parteitagung im Swerdlow-Saal des Kreml, wenn ich mich recht erinnere. Lenin erschien mir unverändert, kaum gealtert. Ich hätte Eide schwören mögen, daß er den gleichen bescheidenen, sauber gebürsteten Rock trug, in dem ich ihn 1907 bei dem Weltkongreß der II. Internationale zu Stuttgart zum ersten Male gesehen hatte. Rosa Luxemburg, der das Auge eines Künstlers für das Charakteristische eignete, zeigte mir Lenin mit der Bemerkung: »Schau den da gut an! Das ist Lenin. Sieh den eigenwilligen, hartnäckigen Schädel! Ein echt russischer Bauernschädel mit einigen leicht asiatischen Linien. Dieser Schädel hat die Absicht, Mauern umzustoßen. Vielleicht, daß er daran zerschmettert. Nachgeben wird er nie.«

In Haltung und Auftreten war Lenin ebenfalls ganz der alte. Die Debatten wurden ab und zu sehr lebhaft, ja stürmisch. Wie früher auf den Kongressen der II. Internationale zeichnete sich Lenin dabei durch aufmerksames Beobachten und Verfolgen der Verhandlungen aus, durch die große, selbstsichere Ruhe, die zusammengeballte innere Anteilnahme, Energie und Elastizität war. Das bewiesen seine gelegentlichen Zwischenrufe und Bemerkungen, seine längeren Ausführungen, wenn er das Wort ergriff. Seinem scharfen Blick, seinem klaren Geist schien nichts Bemerkenswertes zu entgehen. Als hervorragendsten Wesenszug Lenins empfand ich während der Sitzung – wie stets später – die Schlichtheit und Herzlichkeit, die Selbstverständlichkeit seines Verkehrs mit allen Genossen. Ich sage Selbstverständlichkeit, denn ich hatte den starken Eindruck: Dieser Mann kann sich nicht anders geben, als er sich gibt. Es ist natürlicher Ausdruck inneren Wesens, wie er sich zu den Genossen verhält.

Lenin hatte die unbestrittene Führung in einer Partei, die zielsetzend und wegweisend den russischen Proletariern und Bauern im Kampf um die Macht vorangeschritten war und die nun, von ihrem Vertrauen getragen, regierte, die Diktatur des Proletariats ausübte. Soweit ein einzelner das sein kann, war Lenin der Schöpfer und Leiter des großen Reiches, das zum ersten Arbeiter- und Bauernstaat der Welt umgewälzt ward. Seine Gedanken, sein Wille lebten in Millionen, auch außerhalb Sowjetrußlands. Seine Auffassung war hier für jede wichtige Entscheidung maßgebend, sein Name ein Symbol der Hoffnung und Befreiung, wo immer es Ausgebeutete und Unterdrückte gibt. »Genosse Lenin führt uns zum Kommunismus, wir halten durch, wie schwer es auch sei«, erklärten die russischen Arbeiter, die, ein ideales Reich höchster Menschlichkeit vor der Seele, hungernd, frierend an die Fronten eilten oder sich unter unsäglichen Schwierigkeiten um die Wiederaufrichtung der Industrie mühten. »Was brauchen wir zu fürchten, daß die Herren wiederkommen und uns die Äcker wegnehmen? Iljitsch und die Bolschewiki mit den Rotarmisten werden uns erretten.« So meinten die landgesättigten Bauern. »Eviva Lenin!« stand auf der Mauer mehr als einer Kirche in Italien, der Ausdruck enthusiastischer Bewunderung irgendeines Proletariers, der in der russischen Revolution die Bahnbrecherin seiner Befreiung grüßte. Unter Lenins Namen sammelten sich in Amerika wie in Japan und Indien Rebellen wider die versklavende Macht der Besitzer.

Wie einfach, wie bescheiden trat Lenin auf, der schon auf ein historisches Riesenwerk zurückblicken konnte und auf dem eine erdrückende Last gläubigen Vertrauens, schwerster Verantwortlichkeit und nie endender Arbeit lag! Er tauchte ganz in der Masse der Genossen unter, war eins mit ihr, war einer von vielen. Mit keiner Geste, keiner Miene wollte er als »Persönlichkeit« wirken. Solches Gehabe war ihm fremd, denn er war wirklich eine Persönlichkeit. Unaufhörlich brachten Kuriere Mitteilungen von den verschiedenen Kanzleien, von Zivil- und Militärorganen. Mitteilungen, die oft durch ein paar rasch hingeworfene Zeilen beantwortet wurden. Lenin hatte für jeden ein freundliches Lächeln oder Zunicken, dessen Widerschein stets ein freudestrahlendes Gesicht war. Während der Verhandlungen fanden ab und zu unauffällige Verständigungen mit führenden Genossen statt. Während der Pausen ein wahrer Ansturm auf Lenin. Genossen und Genossinnen aus Moskau, Petrograd, aus den verschiedensten Zentren der Bewegung und Jugendliche, viele Jugendliche umdrängten ihn. »Wladimir Iljitsch, bitte ...« »Genosse Lenin, Sie dürfen nicht abschlagen ...« »Wir wissen wohl, Iljitsch, daß Sie ... aber ...« So und so ähnlich schwirrten Bitten, Anfragen, Vorschläge durcheinander.

Lenin war im Anhören und Antworten von unerschöpflicher, rührender Geduld. Er hatte ein offenes Ohr und einen guten Rat für jede Parteisorge wie für persönliche Schmerzen. Herzerquickend war die Art und Weise, wie er mit der Jugend verkehrte – kameradschaftlich, frei von jeder pedantischen Schulmeisterei, von jedem Dünkel, daß das Alter allein schon eine unübertreffliche Tugend sei. Lenin bewegte sich als gleicher unter gleichen, mit denen er durch alle Fasern seines Herzens verbunden war. Er hatte nicht die Spur eines »Herrenmenschen« an sich, seine Autorität in der Partei war die eines idealen Vaters, dessen Überlegenheit man sich in dem Bewußtsein fügt, daß er versteht und verstanden sein will.

Nicht ohne Bitterkeit kam mir in der Atmosphäre um Lenin die Erinnerung an die steifleinene Grandezza der »Parteiväter« der deutschen Sozialdemokratie. Und erst recht an das geschmacklose Parvenütum, mit dem der Sozialdemokrat Ebert als »Herr Reichspräsident« der Bourgeoisie abzugucken beflissen ist, »wie sie sich räuspert und wie sie spuckt«, ein Parvenütum, das jeden Stolz auf die historische Bedeutung des Proletariats und jegliche menschliche Würde vergessen läßt. Freilich: Diese Herren waren nie so »töricht und vermessen« wie Lenin, »eine Revolution machen zu wollen«. Und unter ihrer Hut kann die Bourgeoisie in des weiland »römischen Reiches Kinderstube« einstweilen noch sicherer schnarchen als zu Heinrich Heines Zeit unter 34 Monarchen. Bis die Revolution endlich auch hier aus den Fluten des geschichtlich Vorbereiteten und Notwendigen emportaucht und dieser Gesellschaft zudonnert: »Quos ego!«

Mein erster Besuch bei der Familie Lenins vertiefte den Eindruck, den ich auf der Parteikonferenz empfangen hatte und der seither bei mehreren Besprechungen verstärkt worden war. Gewiß, Lenin wohnte im Kreml, der früheren Zarenburg, und man mußte an mancher Wache vorüber, ehe man zu ihm gelangte – eine Maßregel, die durch die damals noch nicht aufgegebenen konterrevolutionären Attentatspläne gegen die Führer der Revolution gerechtfertigt war. Lenin empfing auch, wenn es sein mußte, in prächtigen, goldstrotzenden Staatsgemächern. Jedoch seine Privatwohnung war von äußerster Einfachheit und Anspruchslosigkeit. Ich bin in mehr als einer Arbeiterwohnung gewesen, die weit reicher ausgestattet war als das Heim des »allmächtigen moskowitischen Diktators«. Ich fand Frau und Schwester Lenins beim Abendbrot, das zu teilen ich sofort herzlichst eingeladen wurde. Es war einfach, wie das die Schwere der Zeit forderte: Tee, Schwarzbrot, Butter, Käse. Später mußte die Schwester »dem Gast zu Ehren« nachsehen, ob nicht etwas »Süßes« da sei, und sie entdeckte glücklich ein kleines Gläschen mit eingemachten Beeren. Es war bekannt, daß die Bauern »ihren Iljitsch« mit reichlichen Sendungen von weißem Mehl, Speck, Eiern, Obst usw. bedachten, aber man wußte auch, daß nichts davon in Lenins Haushaltung blieb. Alles wanderte in die Krankenhäuser und Kinderheime; die Familie Lenins hielt streng den Grundsatz fest, nicht besser zu leben als die anderen, das heißt die schaffenden Massen.

Genossin Krupskaja, Lenins Frau, hatte ich seit der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern im März 1915 nicht gesehen. Ihr liebes Gesicht mit den warmen, gütigen Augen trug unverwischbare Zeichen der tückischen Krankheit, die an ihr zehrt. Aber davon abgesehen, war auch sie die gleiche geblieben, die Verkörperung der Aufrichtigkeit, der Bescheidenheit des Wesens und einer geradezu puritanischen Schlichtheit. Mit ihrem glatt zurückgekämmten Haar, am Hinterkopf in einen kunstlosen Knoten aufgesteckt, in ihrem schmucklosen Kleid konnte man sie für eine abgehetzte Arbeiterfrau halten, deren ewige Sorge ist, Zeit zu sparen, Zeit zu gewinnen. Die »erste Frau des großen russischen Reiches« – nach bürgerlicher Auffassung und Terminologie – ist unstreitig die erste an opferfreudiger Selbstvergessenheit, an Hingebung für die Sache der Mühseligen und Beladenen. Die innigste Gemeinschaft des Lebensweges und Lebenswerkes vereinigte sie mit Lenin. Unmöglich von ihm zu sprechen, ohne ihrer zu gedenken. Sie war »Lenins rechte Hand«, sein oberster und bester Sekretär, seine überzeugteste Ideengenossin, die kundigste Deuterin und Vermittlerin seiner Ansichten, ebenso unermüdlich darin, dem genialen Meister tatkräftig und mit Klugheit Freunde und Anhänger zu werben, als in seinem Sinne propagandistisch unter der Arbeiterschaft zu wirken. Daneben hatte sie ihren eigenen, persönlichen Tätigkeitskreis, dem sie sich mit ganzer Seele widmete: das Volksbildungs- und Erziehungswesen.

Die Vermutung wäre lächerlich, wäre beleidigend gewesen, daß Genossin Krupskaja im Kreml als »Lenins Frau« repräsentierte. Sie arbeitete und sorgte mit ihm, für ihn, wie sie das ein Leben lang getan hatte, auch wenn die Illegalität und die härtesten Verfolgungen sie trennten. Eine tief mütterliche Natur, machte Genossin Krupskaja – von Lenins Schwester Maria Iljinitschna dabei liebevoll unterstützt – die Wohnung zu einem »Heim« im edelsten Sinne des Wortes. Sicherlich nicht in der Bedeutung deutscher Spießbürgerlichkeit, wohl aber durch die geistige Atmosphäre, die es erfüllte und die der Ausfluß der Beziehungen war, die die hier lebenden und webenden Menschen miteinander verband.

Man empfand es, in diesen Beziehungen war alles auf das Echte, auf Wahrhaftigkeit, Verstehen und Herzlichkeit gestimmt. Obgleich ich Genossin Krupskaja bis dahin nur wenig persönlich gekannt hatte, fühlte ich mich doch sofort in ihrem »Reich« und unter ihrer freundschaftlichen Fürsorge wie zu Hause. Als Lenin kam und etwas später, von der Familie aufs freudigste begrüßt, eine große Katze erschien, die dem »Schreckensführer« auf die Schulter sprang und es sich dann auf seinem Schoß bequem machte, hätte ich wirklich wähnen können, daheim zu sein oder bei Rosa Luxemburg und ihrer für die Freunde geschichtlich gewordenen Katze »Mimi«.

Lenin fand uns drei Frauen im Gespräch über Kunst, Bildungs- und Erziehungsfragen. Ich äußerte gerade meine enthusiastische Bewunderung für die einzig dastehende, titanenhafte Kulturarbeit der Bolschewiki, für das Regen und Bewegen schöpferischer Kräfte, die der Kunst und Erziehung neue Bahnen öffnen wollten. Dabei verhehlte ich nicht den empfangenen Eindruck, daß sich reichlich viel unsicheres, unklares Tasten und Experimentieren zeige und zusammen mit dem leidenschaftlichen Ringen nach neuem Inhalt, neuen Formen, neuen Wegen des Kulturlebens auch manche künstlerische, kulturelle »Modefatzkerei« nach westlichem Muster. Lenin griff sofort sehr lebhaft in das Gespräch ein.

»Das Erwachen, die Betätigung von Kräften, die Sowjetrußland eine neue Kunst und Kultur schaffen wollen«, sagte er, »ist gut, ganz gut. Das stürmische Tempo dieser Entwicklung ist begreiflich und nützlich. Wir müssen und wollen nachholen, was in Jahrhunderten versäumt worden ist. Die chaotische Gärung, das fieberhafte Suchen nach neuen Lösungen und Losungen, das ›Hosianna‹ für bestimmte Kunst- und Geistesrichtungen heute, das ›Kreuziget sie‹ morgen: all das ist unvermeidlich.