Erlebnisse - Reinhold Vollbom - E-Book
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Reinhold Vollbom

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Beschreibung

Die kleinen Abenteuer des Alltags werden hier vor Augen geführt. Kleine Geschehnisse, die wir gar nicht so bewusst wahrnehmen und die doch oftmals unser Leben entscheidend verändern. Dies wird auf amüsante - vielleicht auch nachdenkliche - Weise dargestellt.

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Es klappt auch ohne

Durch ständiges Nippen sog ich den letzten Rest vom Frühstückskaffee aus der Tasse. Danach tastete meine Hand wie üblich den Teil der Kleidung ab, an der sich die Zigaretten befanden. Herrje, was war das?! Wo, verflixt nochmal, war das kantige Profil der Schachtel? Mehrmaliges Abklopfen der Stelle, sowie der näheren Umgebung, änderten an dem Ergebnis nichts. Es war keine Packung mit Zigaretten vorhanden.

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Gestern Abend, die Geburtstagsfeier. Genau! Hatte ich nicht nach dem letzten Bier damit rumgeprotzt, jederzeit mit dem Rauchen aufhören zu können? Zum Beweis für diese Worte zerriss ich daraufhin heldenhaft die Packung mit den Zigaretten.

Mürrisch erhob ich mich vom Frühstückstisch. Mit einem Mal atmete ich erleichtert auf. Mein Nachbar, der mir immer morgens auf dem Weg zur Arbeit begegnete, würde mir bestimmt mit einem Glimmstängel aushelfen.

Draußen angekommen, bemerkte ich ihn sofort. »Grüß dich, Bert! Sag mal …«

»Entschuldige, dass ich dich unterbreche«, entgegnete der andere mit bewunderndem Augenaufschlag. »Respekt vor deiner Entscheidung von gestern Abend. Einfach so mit dem Rauchen aufhören zu wollen. Das wird sicherlich eine schwere Zeit für dich, nicht wahr?«

Im Laufe des Gesprächs vergaß ich ihn um eine Zigarette zu bitten. Außerdem hatte ich die Absicht es allen anderen zu beweisen, dass ich jederzeit aufhören konnte, – wenn es mein Wunsch war.

Immer noch hatte ich keine Zigarette in den Mund genommen. Oder auch nur angefasst. Mein Blick war wahrscheinlich so fahl wie die Haut. Die Hände kribbelten, als würden sie ständig in einem Ameisenhaufen stecken. Und hinzukam, dass die ganze Welt scheinbar nur aus Zigaretten-Reklame bestand. Kein Wunder also, dass der Tabakqualm der anderen, meine Sinne besonders reizte.

Mit der Zeit kam in mir das Gefühl auf, dass ich es geschafft hatte. Warum sollte ich mir also zur Belohnung nicht noch einmal eine gönnen, – so zum Abgewöhnen?! Aufhören konnte ich jederzeit, das war ja nun zur Genüge bewiesen.

Zufällig hatte ich das passende Kleingeld für den Zigarettenautomaten in der Tasche. Ein metallisches Schlürfen. Gleich darauf hielt ich mit zitternden Fingern meine Lieblingsmarke in der Hand.

Eine Zigarette genügt, überlegte ich. Die Restlichen werfe ich vielleicht weg. Die Lippen bebten, als ich den Tabakstängel zum Mund führte.

»Aber … aber, mein Herr! Auf dem U-Bahnhof ist Rauchen verboten!«

Erschrocken sah ich in ein kopfschüttelndes Gesicht.

Auf den letzten Metern zum Büro unternahm ich einen weiteren Versuch. Mein Zittern verstärkte sich. Ich hatte Mühe das Stäbchen in den Mund zu bekommen.

Doch was war das?! Entsetzt blieb ich stehen. Nervös wühlte ich in den Taschen. Gleich darauf gab ich enttäuscht auf. Ich hatte keine Streichhölzer bei mir.

Den nächsten Passanten, der mir entgegenkam, bat ich um Feuer. Doch anstatt mir die gewünschte Flamme entgegenzuhalten, sah ich in ein hämisch grinsendes Gesicht.

»Pfeift die Lunge, he?« Gleich darauf wurde sein Gesichtsausdruck bösartig. »Verzehnfachen sollten sie die Zigarettenpreise. Verzehnfachen!«

Ich werde meinen Arbeitskollegen bitten mir Feuer zu geben, überlegte ich. Auf der Stirn bildeten sich dicke Schweißperlen.

Im Büro angekommen, warf ich die Schachtel mit den Zigaretten achtlos auf den Tisch. Dann kam ein Kollege ins Zimmer.

»Frierst du? Du zitterst so. Ach, hier sind sie ja.«

Überrascht musste ich mit ansehen, wie er meine Packung mit den Zigaretten einsteckte.

»Übrigens«, sprach er weiter, »ich beneide dich, wie du das schaffst, mit dem Rauchen aufzuhören. Einfach klasse!«

Der Tag verging wie im Fluge. Den aufkommenden Spötteleien einiger Mitarbeiter widerstand ich erfolgreich. Die gelegentlichen Schweißausbrüche bekämpfte ich mit emsigem Arbeiten.

Auf dem Nachhauseweg traf ich einen Bekannten. Der wusste noch nicht, dass ich Nichtraucher war. Um ihn nicht zu kränken, nahm ich die Zigarette, die er mir anbot. Steckte sie jedoch in die Brusttasche des Jacketts und verabschiedete mich eilig.

»Hast du durchgehalten?«, wurde ich von meiner Gattin begrüßt.

Und als ich nickend bejahte, warf sie sich mir überschwänglich an den Hals. Sie drückte und drückte mich. Presste ihren Körper so lange an meine Brust, bis Papier und Tabak getrennt in der Tasche vorhanden waren.

Dann eben nicht! – trotzte ich.

»Für dich«, sprach sie und gab mir eine Packung meiner Lieblingszigaretten.

Hastig ergriff ich das Päckchen. Öffnete es gewaltsam, zog eilig eines der Stäbchen heraus, riss begierig das weiße Papier ab, – und verschlang genüsslich den darin befindlichen Schokoladenstängel.

»Endlich über ’n Berg!«, schmunzelte ich kauend.

Links unten sechs

Das Krachen in meiner Mundhöhle glich dem eines einstürzenden, größeren Wohnhauses. Unterkiefer und Oberkiefer verharrten urplötzlich wie eingefroren in ihrer Position. Die Farbe des Lippenstiftes schien die Lippen unauflöslich verklebt zu haben. Es dauerte lange, bis ich den Mut fasste, die Kiefer wieder zu bewegen.

Gleich darauf schoss meine Zungenspitze blitzschnell an die Stelle der Zahnreihe, an der ich den Defekt vermutete. Ein Bruchstück des Zahnes schien noch fest verwurzelt. Das andere Fragment folgte den feinen schlingernden Bewegungen der Zunge. – Gebrochen!

»Ein Chamäleon würde jetzt vor Neid erblassen, wenn es dein Gesicht sehen könnte.« Mein Gatte sah mich mit einem mitleidsvollen Lächeln an.

Ein Gruselkabinett, bei Neumond und Stromausfall ganz allein zu betreten, wäre für mich in diesem Moment ein Leichtes gewesen. Gegenüber dem, was ich augenblicklich tat. Die Tür zur Anmeldung des Zahnarztes zu öffnen. Sanft, aber bestimmend, schob mich die Hand meines Ehemannes zur Rezeption.

»Ich bleibe in deiner Nähe«, sprach er männlich tröstend. Und mit aufgelockertem Augenaufschlag über die Schulter zu mir, ergänzte er: »Wenn ich schon mal hier bin, lasse ich mich auch gleich untersuchen.«

Mein Blick sprang im Wartezimmer von einem zum anderen. Stummes vor sich hingucken. Zeitunglesen. Alles, nur kein Lächeln war zu sehen. Nahezu auf jedem der gepolsterten Plastikstühle saß jemand. Trotzdem war der Raum für mich immer noch menschenleer. Die Gefahr, bald aufgerufen zu werden, somit enorm groß. Weißkittlige, stumm Dreinschauende, eilten im Vorraum mit flinken Schritten aufeinander zu. Tauschten sich gleich darauf flüsternd aus und hetzten schmunzelnd wieder auseinander.

Meine Gedanken führten mich, für eine längere Zeit, in eine andere, schönere Welt. Ein kurzer Stups an die Schulter, zerstörte diese Traumwelt.

»Komm Schatz, geh du zuerst.« Mein Gatte deutete, mit einer Bewegung des Kopfes, in die Richtung des einen Behandlungsraumes. »Bei mir dauert es nicht so lange.«

Widerstandlos ließ ich mich abführen. Tonlos beantwortete ich die militärisch knapp gestellten Fragen. Wortreiche Sätze hätten wahrscheinlich die Behandlung nur unnötig in die Länge gezogen.

Die Kunstlederliege formte meinen Körper in eine für den Arzt genehme Position. Wasserfallähnliches Rauschen drang an das linke Ohr. Auf der Brust breitete sich ein dickes weißes Zellstofftuch aus. Mein Mund öffnete sich. Ein greller Lichtpunkt erleuchtete den Innenteil des Rachenraumes. Die scharfen, neugierigen Augen des Zahnarztes, konzentrierten sich auf eine bestimmte Stelle im Mundinnern.

»Fraktur, links unten sechs.«

Ich hatte das Gefühl, dass diese vier Wörter mein Leben total verändern würden. Eine Zeit lang vergaß ich alles um mich herum. Wusste nicht mehr, wer und wo ich war. Plötzlich drang ein schrillendes Kreischen an mein Ohr. Jedes Mal, wenn das Pfeifen von einem leisen, kaum wahrnehmbaren Rattern begleitet wurde, war ein geräuschvoll vernehmliches Stöhnen zu hören. Das Seufzen wechselte in ein winselndes Jammern.

»So, dann wollen wir mal. Die Betäubung muss schon wirken.«

Jetzt wurde mir klar, dass das Stöhnen nicht von mir kam, sondern aus dem anderen Behandlungszimmer, zu uns herüberdrang. Gleich darauf entfernte sich der Strenggesichtige unerwartet von mir. Mehr geahnt als gehört, vernahm ich mit einem Mal, die mit kritischem Unterton gewechselten Wortfetzen. »… schwieriger Eingriff … liegt quer … das Beste daraus machen …« Sein Tonfall ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Überrascht sah ich plötzlich in das genüsslich beruhigende Lächeln, des über mir schwebenden Gesichtes. »Weibliche Patienten sind oft standhafter als männliche«, flüsterte er mir schmunzelnd zu. »Meine Kollegin nebenan hat einen querliegenden Backenzahn, der herausgeschnitten werden muss. Und das auch noch bei einem männlichen Patienten …« Die Falten in seinen Augenwinkeln wirkten entspannend auf mich. Mir war, als würden zehntausend Muskeln nach einer Entwarnung, locker und voller Freude Samba tanzen.

Schneller als erwartet, verließ ich den Behandlungsraum. Mutig wollte ich meinem Gatten gegenübertreten. Aber wo war er?

Eine Arzthelferin kam mit eiligen Schritten auf mich zu und flüsterte: »Er ist bereits drin. Es dauert bei ihm ein wenig länger. Ein Backenzahn liegt quer …« Sofort darauf eilte sie entschuldigend lächelnd in den zweiten Behandlungsraum zurück.

Fast zum Gruseln

Beim besten Willen, mir wollte einfach nichts Gruseliges einfallen. Dabei hatte ich meiner Tochter versprochen, wenn sie morgen nach Hause kommt, ihr eine Gruselgeschichte zu erzählen.

Mit einem Mal horchte ich auf. Was war das?! – Ein grässliches, gedämpftes Stöhnen. Von irgendwoher vernahm ich Laute, die sich in ihrer Art abwechselten. Nun war es ein schauriges Seufzen.

Herr Gott! Wer sollte denn hier derartige Geräusche von sich geben, überlegte ich? Gespannt lauschte ich in das Halbdunkel des Zimmers hinein. Es war deutlich hörbar. Ein langatmiges ausgeprägtes Seufzen. Mal lauter, mal leiser. Plötzlich verschwand es, um Augenblicke später wieder zu erscheinen. – Mir fröstelte.

Ich begab mich zum Fenster und sah in die sternenklare Nacht hinaus. Es war kurz nach Mitternacht. Die Straße war menschenleer. Ein Wind kam auf. Vielleicht war er es, überlegte ich, der sich in den Ästen verfing. Hierbei sah ich zu den wenigen Wolken hinauf. In den Baumkronen tanzten die Blätter hektisch hin und her.

Um mir Gewissheit zu verschaffen, öffnete ich die Terrassentür und begab mich mehrere Schritte hinaus. Draußen blies mir der frische Nachtwind ins Gesicht. Stumm und regungslos stand ich da und wartete auf eine logische Erklärung für das grässliche Stöhnen. Aber hier draußen war nichts Derartiges zu hören.

Mit einem Mal zerriss ein heftiger Knall die Stille der Nacht. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich drehte mich entsetzt um. Gleich darauf fiel mir ein Stein vom Herzen. Der Wind hatte die Terrassentür zugeschlagen. Im Handumdrehen eilte ich zurück ins Zimmer.

Knall auf Fall blieb ich stehen. Wo war der Brief, der hier noch vor wenigen Minuten auf dem Tisch lag? Er war spurlos verschwunden. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Es spukt, schoss es mir durch den Kopf. – »Blödsinn!«, sprach ich gleich darauf. »So etwas gibt es nicht!« Der Klang der Stimme sollte mich beruhigen.

Bevor mir weitere Gedanken über das Verschwinden durch den Kopf sausten, verzogen sich meine Mundwinkel zu einem zaghaften Lächeln. Der Wind hatte den Brief vom Tisch geweht. Nachdem ich mich bückte, um ihn aufzuheben, vernahm ich erneut dieses grässliche Stöhnen.

Vorsichtig trat ich auf den Flur hinaus. Es musste einen Grund für das Geräusch geben. Ich wartete und lauschte. Schlich wieder einen Schritt weiter. Rührte mich nicht von der Stelle. Spitzte die Ohren. Nichts. Absolute Ruhe.

Doch dann blieb ich, wie vom Blitz getroffen, starr stehen. Ich spürte vor Schreck förmlich das Blut in den Adern stocken. Einmal, zweimal schluckte ich und atmete kräftig durch. Gleich darauf ergriff meine Hand ein wenig zitternd den Telefonhörer. – Ein weiteres Läuten des Telefons wollte ich vermeiden.

»Hal … Hallo, Liebling«, lallte eine Stimme aus dem Hörer.

»Ich hoffe, Ihr Liebling wird Ihnen die Ohren langziehen!« Ärgerlich beendete ich das Gespräch. Wer immer sich da verwählt hatte, es war ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt.

Nachdem ich im Schlafzimmer nach der Ursache des Stöhnens forschte, hielt ich jäh den Atem an. Über meinem Bett huschte ein Schatten. Er war ganz deutlich zu erkennen. Hatte zwei, drei, vier Beine und war so mächtig wie ein Tiger. Entsetzt wich ich zurück. Doch gleich darauf war er so plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war.

Erst jetzt wurde mir klar, dass es nur ein Schatten im Mondlicht war. Ich eilte zum Fenster. Im letzten Augenblick sah ich, wie eine Katze vom Baum auf die Mauer sprang. Gleich darauf tauchte sie im nächtlichen Schwarz unter. Erleichtert atmete ich auf.

Jetzt war das grässliche Stöhnen überdeutlich zu hören. Mein ganzer Körper überzog sich mit einer Gänsehaut.

»Schrecklich!«, ächzte ich und hatte mit einem Mal furchtbare Angst. Dann wurde das Stöhnen noch lauter, verschwamm zu einem Kreischen und verstummte schlagartig. Tauchte sofort wieder auf, um in einem schrillen, markerschütternden Heulen zu enden. Wie der verzweifelte Hilferuf eines Menschen, der erkennt, dass er sich in den Fängen des Todes befindet. Aus dem es kein Entrinnen gibt.

Plötzlich erlosch in der ganzen Wohnung das Licht. In Schweiß gebadet stand ich zitternd da und wartete ab, was nun passieren würde. Doch es geschah nichts. Auch dieses grässliche Stöhnen war verschwunden.

Vorsichtig tastete ich mich zum Sicherungsschalter vor. Irgendetwas strich gleich darauf sanft an meinem Gesicht vorbei. Ich schrie, so laut es mir möglich war. Zwei, drei Schritte sprang ich zur Seite. Irgendjemand warf eine Decke über meinen Kopf. Man will mich ersticken, wurde ich von panischer Angst ergriffen.

Mit einem weiteren Sprung erreichte ich den Sicherungsschalter. Geistesgegenwärtig betätigte ich ihn mit der rechten Hand. Während ich mit der Linken versuchte mich aus der Umklammerung zu befreien.

Eine Sekunde später flammte das Licht wieder auf. Zu meiner Erleichterung musste ich feststellen, dass niemand da war, der mich ersticken wollte. Ich hatte lediglich einen Pullover, der auf einem Kleiderbügel am Türrahmen hing, heruntergerissen.

Mit einem Mal tauchte das grässliche Stöhnen wieder auf. Blitzschnell betätigte ich den Sicherungsschalter erneut. Das Licht erlosch und die grauenvollen Geräusche verschwanden. Um wirklich Gewissheit zu haben, wiederholte ich das Schalten mehrere Male. Es blieb dabei. Strom weg – Stöhnen weg.

Jetzt wurde mir einiges klar. Ich tapste zum Kassettenrekorder. Vor ungefähr einer Stunde hatte ich eine Kassette eingelegt. Danach betätigte ich die Aufnahmetaste. Ich wollte meine Gruselgeschichte auf Band sprechen. Seitdem war das altertümliche Gerät aktiviert. Und, vermutlich durch einen Defekt der Kassette, wurde der Rekorder nicht abgeschaltet. Der Motor drehte durch und fing an, seltsame Geräusche von sich zu geben.

Durch diese Erkenntnis reicher geworden, atmete ich erleichtert auf. Dann zog ich mir das Nachthemd über und begab mich ins Bett. Meiner Tochter würde ich erzählen, dass mir einfach nichts Gruseliges eingefallen wäre. Schließlich warf ich einen letzten misstrauischen Blick in Richtung Kassettenrekorder. Danach zog ich die Bettdecke bis zur Nasenspitze und schloss die Augen.

Genugtuung

Diesen Abend saß Hendrik allein an der Bar in der Disco. Sein bester Freund war wieder mit der neuen Flamme unterwegs. Mit ziemlicher Sicherheit zeigte er ihr seine Briefmarkensammlung. Die Hälfte der begehrtesten Damen der Stadt musste sie bereits kennen. Bei diesen Gedanken nippte er am Ginfizz. Hierbei schweifte sein Blick zur Tanzfläche und die darum platzierten Sitzgruppen.

Alles bekannte Gesichter. Jedes Wochenende die gleichen. Manchmal gab es neue Gestalten darunter. Entdeckte sein Freund einen reizvollen Gesichtsausdruck, hatte sie eine gewaltige Chance die Briefmarkensammlung kennenzulernen.

Hinten links, direkt neben der Tanzfläche, saßen die drei Pärchen. Wie jedes Wochenende. Ein ständiges Lächeln und zustimmendes Nicken untereinander. Allerdings fehlte am heutigen Samstagabend einer der Begleiter. Die Blonde mit den schulterlangen Haaren saß partnerlos da. Ihrer Geselligkeit tat dies keinen Abbruch. Hendrik meinte, sie war ohne ihren Begleiter sogar noch heiterer. Hier konnte er sich jedoch täuschen. So genau kannte er die Sechslinge nicht.

Sein Freund saß derzeit möglicherweise mit einer netten Dame auf der Couch, um ihr die neuesten Errungenschaften der Briefmarkenkunde zu zeigen. Warum sollte er die blonde Schönheit nicht zum Tanzen auffordern? Er erhob sich vom Barhocker. Eile war angesagt. Bei den anderen Tanzwilligen stand der Blondschopf mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls auf der Eroberungsliste. Sekunden später ragte sein Körper vor der Sitzenden auf. Eine angedeutete Verbeugung: »Tanzen wir?«

Während er sehnsüchtig auf ihre Zustimmung wartete, sprang sie vom Sitz auf, nahm Hendrik bei der Hand und zog ihn zur Tanzfläche.

War es der Ginfizz oder ihr impulsiver Entschluss mit ihm zu Tanzen, der seine Sinne ein wenig trübte. Egal! Sie tanzte himmelsgleich, fand er. Und nach dem zweiten Titel läutete der Discjockey die Schmusetanz-Serie ein. Lächelnd verließen ein paar Tänzerinnen mit ihrem Partner die Tanzfläche. Nur Cora nicht. Dass sie so hieß, erfuhr er am Anfang des Schmusetanzes. Vielleicht wurde mehr aus diesem Tanz, überlegte er. Gut, eine Briefmarkensammlung hatte er nicht. Aber wenn sie sich auf die Couch setzten, konnte er ihr vortreffliche Bilder aus dem Fotoalbum präsentieren. Bis es zu dieser Gelegenheit kam, mussten sie sich näher kennenlernen.

Mehrere Paare auf der Tanzfläche tanzten beim Schmusetanz distanziert. In der Mitte zwischen den beiden hätte ein Dritter mittanzen können. Dies entsprach dem Stil des Tanzens von halb Entschlossenen. Ein Pärchen verwechselte die zärtliche Art des Schmusetanzes mit etwas anderem. Cora und Hendrik nutzten die gezwungene Nähe für den Austausch von Informationen.

Während er auf sie einredete, bemerkte er, wie ein Zucken ihren Körper durchdrang. Seine Augen folgten ihrem Blick. Und der haftete am Vorhang im Eingangsbereich. Vor diesem Stück Stoff sah sich ihr ehemaliger Begleiter suchend im Musiktempel um.

»Gunnar!«, sprach sie deutlich vernehmbar. »Der Kerl hält nach mir Ausschau. Ich habe ihm erklärt, dass ich mich nicht mehr mit ihm verabreden möchte. Er ignoriert das schlichtweg. Jetzt sucht mich dieser Kerl.«

Die Arme vor dem Oberkörper verschränkt, ließ Gunnar seine Augen erneut über die Sitzreihen gleiten. Da Coras Freundinnen ebenfalls tanzten, konnte er ihren Tisch nicht ausmachen.

Er hatte jene Art von Gesicht, das sich schlagartig wandeln konnte. Eben noch ein freundliches Lächeln und plötzlich kaltblütige Wut ausdrückend, kaum das sich hierbei ein Muskel im Gesicht regte. Augen, die wässrig blau teilnahmslos alles zur Kenntnis nahmen. Bedrohlich verstärkt durch die gefestigte Muskulatur des Körpers. Diese Kampfmaschine suchte Streit.

»Ich möchte mich setzen«, sprach sie mit einem Mal ziemlich aufgeregt.

Hendrik begleitete sie zu ihrem Tisch und verabschiedete sich taktvoll. Kurz darauf verschwand Cora mit den beiden Freundinnen Richtung sanitäre Anlagen. Nachdem sie wieder zurück waren, saß neben den männlichen Begleitern auch Gunnar.

Vom Barhocker am Tresen konnte er alles prima erkennen. Im Grunde war es die gleiche Zusammenkunft der Pärchen wie in den Wochen zuvor. Diesmal herrschte jedoch nicht die unkontrollierte Freudigkeit der vergangenen Zeiten. Vor dem Tisch stehend redeten sie aufeinander ein. Plötzlich schnappten die drei Begleiterinnen ihre Handtaschen und verließen den Sitzbereich Richtung Ausgang. Die zwei Begleiter folgten. Gunnar ließen sie mit knirschendem Gesichtsausdruck zurück.

Auf dem Weg nach draußen mussten sie an Hendrik vorbei. Dieser nutzte die Gelegenheit und sprang ihnen in den Weg. Ohne ihn anzusehen, quengelten sie sich um die anderen herum. Mürrisch folgten seine Augen der schnell dahineilenden Kolonne. Sekunden blieb er derart stehen und sah der entflohenen Cora gedankenverloren hinter her. Schließlich war es die Erinnerung an den Ginfizz, die ihn in die Wirklichkeit zurückholte. Er drehte sich abrupt um und erschrak. Eine Handbreit vor dem Gesicht starrte er in die eisige Miene von Gunnar.

Die eiskalten hellblauen Augen vom Gegenüber bewegten sich nicht, sie sahen ihn lediglich stumm an. Hendrik wich einen Schritt zurück. Der andere beugte den Kopf in seine Richtung nach vorn. Hierbei stierte er ihn mit einem Blick an, der Nüsse knacken konnte. »Du verdammter Schnarchsack, wenn du noch einmal mit meiner Freundin tanzt ...«

»Deine Freundin?! Warum haut sie dann vor dir ab?«

Er merkte, wie die Lippen des anderen anfingen zu beben. »Ich sage es dir nur noch einmal ...«

»Sprich«, unterbrach er ihn. Hendrik war über sein Auftreten gegenüber dem Kontrahenten erstaunt. Woher nahm er den Mut? Er hatte keine Ahnung und hoffte, dass der bullige Muskelprotz vor ihm Einsicht zeigte. Na ja, es wenigstens bei einer verbalen Auseinandersetzung belassen würde.

»Du Neunmalkluger, wenn du meine Freundin nicht in Ruhe lässt ...«

»Jetzt sprichst du über Cora?! Ich wollte das nur klarstellen.«

Sekunden des Schweigens. Gunnar war augenfällig erstaunt, dass er ihren Namen kannte.

»Du kommst meiner Freundin zukünftig nie näher als zehn Meter. Klar?!«

»Und, falls doch?« Er sah ihn gespannt an.

»Probiere es aus«, grinste der andere.

Hendrik konnte die Drohung korrekt einschätzen.

»Ich gebe dir noch einen Rat mit auf den Weg, Schnarchsack. Zeig deinen Gesprächspartnern gleich von Anfang an, was du von ihnen hältst. So wie ich es mit dir mache. Das schafft Klarheit. Kapiert?!«

Warum Hendrik eine derartige Empfehlung erhielt, wusste er nicht. Es gab keinen Grund den Vorschlag zu beherzigen. Später würde er ihn verwirklichen, aber im Augenblick war ihm dies nicht bewusst.

Am darauffolgenden Wochenende saß Hendrik erneut auf dem Stammplatz an der Bar. Sein Freund war immer noch mit der neuen Errungenschaft beschäftigt. Vielleicht was Ernstes, überlegte er. Bei diesen Gedanken suchten seine Augen die einzelnen Sitzreihen ab. Cora und den Rest der Gruppe konnte er nirgends entdecken. Teilnahmslos griff er zum Glas und nippte daran.

»He, Schnarchsack, denke an die zehn Meter«, tönte es mit einem Mal lautstark neben ihm.

Hendrik war so erschrocken, dass er sich beinahe verschluckt hätte. Er drehte den Kopf zur linken Schulter, um Gunnar anzusehen. Der fletschte grinsend die Zähne.

»Nicht vergessen Schnarchsack!«, hierbei hob er drohend den Zeigefinger. Danach begab er sich in Richtung der Sitzreihe, in der er mit Cora seinerzeit häufiger saß. Schlagartig blieb er stehen. Seine Augen tasteten jeden Winkel des Raums ab. Nichts. Schließlich starrte er suchend zur Tanzfläche. Aber auch dort konnte er Cora nicht entdecken. Mit versteinertem Gesichtsausdruck begab er sich zum Ausgang. Auf dem Weg dorthin musste er an ihm vorbei. Ohne einen Blick auf ihn zu werfen, verschwand er wortlos aus der Disco.

Hendrik befürchtete es, Cora kam nicht mehr. Gunnar würde hier zukünftig vergebens Ausschau halten, da war er sich sicher. Der Bärbeißige musste die Suche ausweiten. Die Stadt war riesengroß. Viel Spaß bei der Erkundung.

Mehrere Wochen vergingen. Cora hatte sich in Luft aufgelöst. Die Erinnerungen an sie verschwammen allmählich. Der Kontakt zu seinem Freund köchelte auf niedriger Flamme. Es war immer noch die gleiche Bekannte, mit der er zusammen war. Unvorstellbar, dass sie so ein immenses Interesse an der Briefmarkensammlung zeigte. Die beiden luden ihn zum Kinobesuch mit anschließendem Pizza-Essen ein. Das fünfte Rad am Wagen wollte er nicht sein. Er fand einen halbwegs glaubhaften Grund für seine Ablehnung. Ein Schleier der Ruhe legte sich über Hendrik.

Gestern war ein Feiertag und morgen begann das Wochenende. Den heutigen Brückentag nutzte er, um sich das neue Mobiltelefon anzusehen. Mit Werbebildern konnte er nichts anfangen. Er musste das Gerät in der Hand spüren. Aus diesem Grund schwang er sich in den Wagen. Fuhr gefühlte tausend Mal um den Block, um noch einen Parkplatz zu bekommen. Sein Freund würde ihn wegen der Energieverschwendung tadeln, aber der war nicht dabei.

Im Elektronik-Geschäft des Einkaufscenters glitt das Handy in der linken Hand hin und her. Danach schwang er es in die andere Handfläche. »Ja, doch«, kam es zögernd aus dem Mund. »Handlich in Ordnung. Die technischen Daten kenne ich aus der Werbung. Gekauft.«

»Sagenhaft, wie Sie mit dem neuesten Modell umgegangen sind. Wie die Cowboys früher im Wilden Westen. Mal in die linke, mal in die rechte Hand.«

Hendrik sah den Gesprächspartner verdutzt an.

»Ich packe Ihnen das Telefon ein und erledige die Formalitäten. Das dauert einige Zeit. Sie können zwischendurch shoppen gehen.«

»Danke. Ich muss nur noch Einkaufen und das mache ich, wenn wir fertig sind.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlängelte sich Hendrik, an den Regalen mit den Elektrogeräten vorbei, zum Ausgang. Kurze Zeit später reihte er sich in die quirlige Menschenmasse auf dem Gehweg ein. Seine Gedanken schwirrten um das soeben gekaufte Mobiltelefon. Mit einem Mal blieb er abrupt stehen. Er glaubte, den Augen nicht zu trauen. Eine Politesse stand dienstbeflissen zwischen ihm und dem roten Oldtimer. Ihr Finger huschte eifrig über das mobile Datenerfassungsgerät. Mehrere Sekunden überlegte Hendrik, wie er sich verhalten sollte. Dann weiteten sich die Augen und er lächelte hierbei. Gunnar empfahl ihm doch, dem Gesprächspartner gleich am Anfang zu erzählen, was man von ihm hält! Schließlich schritt er forsch auf die Angestellte des Bezirks zu.

»Ach, komm Puppe«, sprach er, »kannst du bei einem Kerl wie mir nicht mal ein Auge zudrücken? Parkschein vergessen, kann doch mal passieren.«

Ihre Pupillen huschten für einen kurzen Augenblick zu ihm hinüber. Der eiskalte Gesichtsausdruck verriet nichts Gutes. Sie ignorierte den Wunsch und quälte weiterhin die Tasten des Eingabegerätes.

Hendrik sah ihr ohne Begeisterung über die Schulter. »Starrköpfige Parkuhrmagd«, knurrte er halblaut.

Sie wandte sich ihm mehrere Sekunden zu. Danach betätigte sie mit entschiedenem Fingerdruck die Eingabetaste des Apparats. Summend schoss ein Stückchen Papier heraus. Das klemmte sie unter das Scheibenwischerblatt. Gleich darauf bückte sie sich und hantierte mit einem schmalen Gegenstand am Profil des Reifens. Nachdem sie sich wieder erhoben hatte, flog der Zeigefinger erneut über das Gerät.

»Ja, die Bereifung ist nicht die aktuellste, das sieht man.« Er zuckte vielsagend die Achseln. »Die erste Beamten-Tussi, die sich hierfür interessiert«, stellte er trocken fest.

Erneut summte der Drucker im Gerät. Der nächste Zettel landete unter dem Wischerblatt. »Ich bin keine Beamtin«, klang es plötzlich aus ihrem Mund.

»In Ordnung, dann korrigiere ich meinen Ausdruck und streiche den ersten Teil des Wortes.«

Die Politesse bewegte sich einen Schritt auf ihn zu und blickte ihm hierbei starr in die Augen. Danach beugte sie sich erneut hinunter. Diesmal galt ihr Interesse dem Kennzeichen.

»Ach herrje!«, stellte Hendrik mit einem Mal fest, »die letzten zwei Ziffern am Nummernschild sind kaum zu erkennen. Dieser Platzregen gestern. Und wenn man dann gezwungen ist auf dem unbefestigten Seitenstreifen zu parken. Hier wünschte ich mir, dass die Ordnungskräfte sich der Sache einmal annehmen. Aber die haben bestimmt Wichtigeres zu tun.«

Das Ritual, das folgte, war ihm vertraut. Weitere zweimal benutzte sie das Datenerfassungsgerät für ihre Eingaben. Er war sichtlich erstaunt, was man an einem parkenden Fahrzeug alles kontrollieren konnte. Es würde bestimmt seine Richtigkeit haben, fand er. Schließlich waren die Eingaben im Gerät gespeichert und auf den Ausdrucken festgehalten. Vermutlich gab es nun nichts mehr zu kontrollieren, denn plötzlich schritt sie auf ihn zu. Ihre Augen waren starr auf ihn gerichtet. Ein kaum sichtbares Lächeln umhüllte ihre Mundwinkel. Hierbei wandte sie den Kopf zum roten Oldtimer. Unter dem Scheibenwischer, auf der Fahrerseite, tummelten sich die Zettel aus ihrem mobilen Drucker. Ein letzter Blick in sein Gesicht und sie entschwand im Getümmel der Fußgänger, ohne sich noch einmal umzusehen.

Mehrere Augenblicke blieb er so regungslos stehen. Kurz darauf drehte er sich ruckartig zur Seite um. Im selben Moment kollidierte er mit einem Fußgänger, Fußgängerin, einer blonden Fußgängerin.

»Cora!«, ertönte es urplötzlich aus seinem Mund.