Eroberer - Die Rückkehr - Timothy Zahn - E-Book

Eroberer - Die Rückkehr E-Book

Timothy Zahn

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Beschreibung

Die Eroberer sind da

Die Zhirrzh haben sich eine kurze Atempause im Krieg gegen die menschlichen Barbaren verschafft. Aber der menschliche Gefangene Pheylan Cavanagh ist entkommen – und deshalb fällt Thrr-gilag in Ungnade und wird zur Zielscheibe verborgener Mächte, die die Gesellschaft der Zhirrzh nach ihren Vorstellungen umformen wollen. Seine einzige Hoffnung ist, zu beweisen, dass die Oberclan-Behörden sich geirrt haben, und dass es nicht die Menschen waren, die den Krieg begonnen hatten. Aber ihm bleibt nur wenig Zeit: Die Zhirrzh haben ihre Frontlinien gefährlich überdehnt und müssen jederzeit mit einem Gegenangriff rechnen. Sie haben der mächtigen Armada der Menschen nur wenig entgegenzusetzen, und Thrr-gilag erkennt, dass sein Volk einer doppelten Bedrohung gegenübersteht: der Vernichtung durch die Menschen und der Zerstörung von innen …

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Seitenzahl: 525

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Das Buch

Die Zhirrzh haben sich eine kurze Atempause im Krieg gegen die menschlichen Barbaren verschafft. Aber der menschliche Gefangene Pheylan Cavanagh ist entkommen – und deshalb fällt Thrr-gilag in Ungnade und wird zur Zielscheibe verborgener Mächte, die die Gesellschaft der Zhirrzh nach ihren Vorstellungen umformen wollen. Seine einzige Hoffnung ist zu beweisen, dass die Oberclan-Behörden sich geirrt haben, und dass es nicht die Menschen waren, die den Krieg begonnen hatten. Aber ihm bleibt nur wenig Zeit: Die Zhirrzh haben ihre Frontlinien gefährlich überdehnt und müssen jederzeit mit einem Gegenangriff rechnen. Sie haben der mächtigen Armada der Menschen nur wenig entgegenzusetzen, und Thrr-gilag erkennt, dass sein Volk einer doppelten Bedrohung gegenübersteht: der Vernichtung durch die Menschen und der Zerstörung von innen …

Der Autor

Timothy Zahn wurde 1951 in Chicago geboren, lebt in Oregon und ist heute einer der beliebtesten Science-Fiction-Autoren der USA. Sein bekanntestes Werk ist die Thrawn-Trilogie, die mehrere Jahre nach dem Ende von Die Rückkehr der Jedi-Ritter spielt und die Geschichte des Star-Wars™-Universums in eine neue Zeit vorantreibt (Expanded Universe). Diesen Büchern folgte eine Reihe weiterer Star-Wars™-Romane. Für seine Novelle Cascade Point wurde Zahn mit dem renommierten »Hugo Award« ausgezeichnet.

Eine Übersicht der im Heyne-Verlag lieferbaren Romane von Timothy Zahn finden Sie am Ende dieses E-Books.

Mehr über Timothy Zahn und seine Romane auf:

diezukunft.de

TIMOTHY ZAHN

EROBERER

Die Rückkehr

Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

CONQUEROR’S HERITAGE

Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Überarbeitete Neuausgabe 05/2017

Redaktion: Werner Bauer

Copyright © 1995 by Timothy Zahn

Copyright © 2017 dieser Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-21249-0V001

www.diezukunft.de

Überraschungsangriff

Ohne Warnung zuckte auf der anderen Seite des Landefelds, im Nordosten, ein gleißender Lichtblitz durch die Luft.

»Deckung!«, rief Thrr-mezaz, als die Schallwelle der Explosion über ihnen zusammenschlug. Er sprang in die teilweise Deckung des Flugzeugs des Mensch-Eroberers, dicht gefolgt von Klnn-vavgi. Dort ging er in die Hocke und nutzte die schnabelförmige Nase des Flugzeugs als Peilkante – als seine Mittellicht-Pupillen durch den Blitz einer zweiten Explosion geblendet wurden. Mit einem Fluch drehte er den Kopf weg; aber er hatte immerhin genug gesehen, um das eigentliche Ziel des Angriffs zu erkennen.

Das Lagerhaus der Mrachanis.

»Kommunikatoren: Vollalarm«, schrie er, als der Blitz einer dritten Explosion von den umliegenden Gebäuden reflektiert wurde und der Knall in die Ohr-Schlitze hämmerte. »Die Krieger, die die Mrachanis schützen, sollen sie da rausholen und in Deckung bringen.«

Er hörte einen leisen Ruf der Bestätigung und warf einen schnellen Blick zurück. Zwei Zhirrzh-Krieger hatten den Mensch-Eroberer mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt, und die anderen knieten mit den Lasergewehren im Anschlag am Flugzeug. Sie schwenkten nervös die Waffen und suchten nach einem Ziel. Am Rand des Landeplatzes eröffnete eine Luftverteidigungsstellung das Feuer und schickte zischende Schnellfeuer-Laserpulse in alle Himmelsrichtungen. In der Ferne hörte er das leise Geräusch von Lasergewehren, die in den Feuerzauber einstimmten …

1

»Sucher Thrr-gilag?«

Langsam wandte Thrr-gilag den Blick von dem fleckigen Zwangsanzug ab, den er sich über die Beine gelegt und kontemplativ betrachtet hatte. »Ja, Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi?«

»Die Diligent ist startbereit«, erwiderte Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi. »Wir warten bloß noch auf dein Erscheinen.«

»Vielen Dank«, sagte Thrr-gilag. »Ich brauche auch nur noch ein paar Centumtakte.«

Zbb-rundgi ließ den Blick durch den privaten Besprechungsraum der Alien-Studiengruppe schweifen. »Die Demontage-Crew kann sich mit der restlichen Ausrüstung befassen, Sucher«, entschied er. »Es gibt hier nichts, das du beaufsichtigen müsstest.«

»Verstehe«, sagte Thrr-gilag. »Wie ich schon sagte, brauche ich nur noch ein paar Centumtakte.«

Zbb-rundgis Mittellicht-Pupillen schienen sich leicht zu verengen. Aus dieser Entfernung vermochte Thrr-gilag das aber nicht mit Sicherheit zu sagen. »Die Anweisungen des Oberclan-Primus waren doch recht eindeutig, Sucher«, erklärte der Schiffs-Kommandant. »Wir sollen starten, sobald wir bereit sind.«

»Aber wir sind noch nicht bereit«, beschied Thrr-gilag ihn. »Du kannst zum Schiff zurückkehren und die restlichen Vorbereitungen für den Start treffen. Ich werde in ein paar Centumtakten dort sein.«

Diesmal gab es keinen Zweifel bezüglich der Pupillen. »Wie du willst, Sucher«, sagte Zbb-rundgi steif. Er wandte sich ab und stakste aus dem Raum.

»Das war dumm«, durchbrach eine ferne Stimme die Stille. »Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi steht bei den Anführern des Cakk’rr-Clans in hoher Gunst, wie auch die Älteren seiner Familie. Es ist nicht sehr klug von jemandem in deiner Position, sich gegen ihn zu stellen.«

»Meine Position ist die des ordnungsgemäß ernannten Sprechers dieser Mission, Chrr’t-ogdano«, erinnerte Thrr-gilag diesen. Er berührte einen Dunkellicht-Sensor des Zwangsanzugs, der nach dem Fluchtversuch des Menschen Pheylan Cavanagh noch immer mit rotem Schmutz verkrustet war. »Und solange die Oberclan-Versammlung diese Ernennung nicht zurückzieht, werde ich tun, was auch immer ich für erforderlich halte. Ob es dem Schiffs-Kommandanten Zbb-rundgi nun gefällt oder nicht.«

»Thrr-gilag, sieh mich an.«

Seufzend hob Thrr-gilag den Blick zu der schemenhaften Gestalt, die vor ihm in der Luft schwebte. Chrr’t-ogdano, der Ältere des Kee’rr-Clans und Chefbeobachter hier auf der Stützpunktwelt Zwölf. Und wenn der Ausdruck in seinem fast transparenten Gesicht auch nur annähernd aussagefähig war, brachte er Thrr-gilags offizieller Position im Moment noch weniger Respekt entgegen als der Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi. »Spiel keine Spielchen mit mir«, stieß der Ältere hervor. »Dem Titel nach magst du noch immer der Sprecher der Mission sein. Die Position, die ich meine, ist die des Zhirrzh, dessen Handlungen es überhaupt erst ermöglicht haben, dass der menschliche Gefangene Pheylan Cavanagh von seinen Leuten gerettet wurde.«

»Wer dafür verantwortlich ist, wird sich noch weisen«, konterte Thrr-gilag. »Und bis dahin glaube ich, dass ein gewisses Maß an Respekt nicht zu viel verlangt ist.«

Chrr’t-ogdanos Zunge schnellte verächtlich heraus. »Autorität ist etwas, das verliehen wird; doch Respekt ist etwas, das man sich erst verdienen muss. Wenn du noch zu jung bist oder zu berauscht vom Genuss der Macht, um das zu begreifen, dann hätte man dich vielleicht gar nicht erst zum Sprecher ernennen sollen.«

Thrr-gilag drückte die Zunge gegen die Oberseite des Rachens und verkniff sich die Widerworte, die er hatte geben wollen. »Ich bitte um Entschuldigung, falls ich dich enttäuscht habe«, sagte er stattdessen. »Ich habe nur mein Bestes getan.«

Chrr’t-ogdanos verhärtete Gesichtszüge lösten sich etwas. »Was geschehen ist, ist nun einmal geschehen«, meinte er mit resignationsgeschwängerter Stimme. »Die Geschichte wird ein Urteil über deine Handlungen fällen.«

Was natürlich nicht bedeutete, dass Chrr’t-ogdano das voraussichtliche Urteil der Geschichte nicht schon für sich vorweggenommen hätte. Oder Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi und der Rest der Mission.

Und im Grunde vermochte Thrr-gilag es ihnen nicht einmal verdenken. Der Plan, den er zur Ergreifung von Pheylan Cavanagh ausgearbeitet hatte, hatte genauso funktioniert, wie er sich das vorgestellt hatte – ein Punkt, den er besonders betonen wollte, wenn er sich vor der Oberclan-Versammlung rechtfertigte. Sie hatten zugelassen, dass der Mensch das fremde Raumschiff betrat und es aktivierte, wodurch die Älteren, die den Vorgang verfolgten, wertvolle Informationen über seine Funktion erlangten. Und dann hatte – wie erwartet – ein plötzlicher, klarer Blick auf einen Älteren den Menschen lange genug abgelenkt, dass Thrr-gilag sich seiner Fesseln zu entledigen und ihm eine kleine Dosis Zungengift in die Schulter zu injizieren vermochte. Diese Nachricht, dass man einen Häftling mit minimalem Aufwand wieder eingefangen hätte, wäre eigentlich kaum mehr als eine Randnotiz des Tagesberichts gewesen.

Allerdings hatte keiner von ihnen gewusst, dass sozusagen über ihren Köpfen ein menschliches Kampfschiff hing, das schließlich ins Geschehen eingriff. Und es gab auch nichts daran zu rütteln, dass – wenn der Gefangene sich unter Bewachung sicher in seiner Zelle befunden hatte, als der Feind ein paar Centumtakte später angriff – die Rettung vielleicht misslungen wäre.

Oder vielleicht hätten die Menschen den Stützpunkt auch gleich zerstört, jeden Zhirrzh in der Mission in die Älterenschaft erhoben und Pheylan Cavanagh sowieso mitgenommen.

Thrr-gilag schauderte, und der Zungenrand schabte bei dieser Erinnerung leicht am Gaumen. Diese Kriegsschiffe waren einfach unglaublich gewesen. Unglaublich schnell, unglaublich wendig, unglaublich kampfstark. In Farbe und Flugeigenschaften hatten sie exakt dem Kampfschiff entsprochen, das den Versuch einer Brückenkopfbildung auf der menschlichen Welt Dorcas vereitelt hatte – ein Kriegsschiff, von dem sein Bruder Thrr-mezaz glaubte, dass es sich um die geheimnisvollen Copperhead-Krieger handelte, die vom menschlichen Aufzeichnungsgerät erwähnt wurden.

Oder war es vielleicht sogar ein- und dasselbe Kriegsschiff gewesen?

Thrr-gilag runzelte die Stirn, als dieser Gedanke ihm plötzlich kam. Falls die Copperhead-Krieger in der Lage gewesen waren, den Blockadering um Dorcas zu durchbrechen … »Ich möchte meinen Bruder sprechen«, sagte er zu Chrr’t-ogdano. »Thrr-mezaz, Kee’rr, Befehlshaber der Zhirrzh-Bodentruppen auf Dorcas.«

»Jetzt gleich?«, fragte Chrr’t-ogdano konsterniert. »Wäre es denn nicht besser, von der Diligent aus mit ihm zu sprechen?«

»Wohl um den Schiffs-Kommandanten Zbb-rundgi zu beschwichtigen?«, fragte Thrr-gilag pointiert.

»Um dem gesunden Menschenverstand Genüge zu tun«, erwiderte Chrr’t-ogdano schroff. »Oder willst du noch hier sein, wenn die menschlichen Kriegsschiffe in größerer Anzahl zurückkehren?«

Thrr-gilag seufzte. »Sie werden so schnell nicht wieder zurückkehren«, sagte er. »Das habe ich dem Schiffs-Kommandanten Zbb-rundgi auch schon erklärt. Es sind beinahe sechs Zehntbögen seit der Rettung vergangen – wenn noch mehr menschliche Raumschiffe in der Nähe gewesen wären, hätten sie mit Sicherheit schon angegriffen. Alle weiteren Angriffe müssten deshalb von einer ihrer Welten aus erfolgen. Die mindestens einen Vollbogen entfernt sind, vielleicht noch weiter.«

»Das ist doch nur eine Vermutung.«

»Das ist die begründete Überlegung eines Spezialisten für Aliens und fremde Kulturen«, sagte Thrr-gilag barsch. Er war dieses ganzen Hickhacks plötzlich überdrüssig. Niemand hatte Svv-selic dermaßen in Frage gestellt, als er diesen Posten innegehabt hatte. »Eine Verbindung zu Thrr-mezaz, wenn ich bitten darf.«

»Zu Befehl«, sagte Chrr’t-ogdano mit finsterem Blick und verschwand.

Auf der anderen Seite des Raums öffnete sich eine Tür, und eine Technikerin kam herein. Sie schob einen Wagen. »Gibt es etwas Neues bezüglich unserer Gefangenen?«, fragte Thrr-gilag sie.

»Sie schlafen noch«, sagte die Technikerin und schob den Wagen zu einem der drei Gewebeanalyseapparate, die noch übrig waren. »Aber ihr Stoffwechsel scheint sich vom Trauma des Transfers mit dem Schiff zu erholen. Die Heiler glauben, dass sie in ein paar Centumtakten wieder genesen sind.«

»Gut«, sagte Thrr-gilag und verspürte einen leichten Anflug von Zufriedenheit; wenigstens schien in dieser Hinsicht alles zu funktionieren. Es war auch nicht der Geschmack der Macht auf der Zunge, die ihren Start verzögerte, wie Chrr’t-ogdano und Zbb-rundgi anscheinend glaubten. Es war vielmehr die große Besorgnis, dass ihre zwei neuen, fremden Gefangenen womöglich ihren mysteriösen Verletzungen erlagen, bevor sie transportfähig waren und den Planeten verlassen konnten. Der Transport zur Diligent war nach Ansicht der Heiler schon riskant genug gewesen, und Thrr-gilag wollte, dass sie sich möglichst gut akklimatisierten, bevor sie der Belastung des Starts unterzogen wurden. Und solange Thrr-gilag sich außerhalb der Diligent aufhielt, hatte er das letzte Wort, was den Start des Schiffs betraf. »Haben die Älteren schon etwas über ihre Verletzungen herauszufinden vermocht?«

»Sie führen noch immer Untersuchungen durch«, sagte die Technikerin. Das letzte Wort ging beinahe im kurzen Kreischen von Keramik auf Keramik unter, als der Gewebeanalyseapparat vom Boden gehoben und auf den Wagen verladen wurde. »Bisher sind sie aber genauso ratlos wie die Heiler.«

Thrr-gilag nahm ein Flackern neben sich wahr, und Chrr’t-ogdano erschien wieder. »Ich habe eine Verbindung zum Kommandanten Thrr-mezaz hergestellt«, knurrte er. »Du kannst jetzt sprechen.«

»Hier spricht Thrr-gilag«, sagte Thrr-gilag und fragte sich, weshalb Chrr’t-ogdano so lange dafür gebraucht hatte. Eigentlich sollte eine ständige Direktverbindung zwischen hier und allen drei Brückenköpfen der Zhirrzh existieren. Ob etwas schiefgegangen war? »Die Stützpunktwelt Zwölf wurde vor etwa sechs Zehntbögen von einem menschlichen Kampfschiff des Typs angegriffen, der in deinem letzten Bericht beschrieben ist. Frage: Bist du sicher, dass diese beiden Kriegsschiffe noch immer auf Dorcas sind?«

Chrr’t-Ogdano nickte und verschwand wieder. Thrr-gilag wartete. Er schaute zu, wie die Technikerin den Gewebeanalyseapparat zur Tür schaffte und zählte lautlos die Zeit ab. Er schätzte, dass jede Wiederholung der Nachricht etwa fünfzehn Takte dauern würde – ausgehend vom Kommunikator, mit dem Chrr’t-Ogdano den Kontakt mit der Heimatwelt der Zhirrzh, Oaccanv, hergestellt hatte. Von diesem Älteren zu einem anderen und vielleicht noch zu einem weiteren, bis die Nachricht den Schrein von jemandem erreichte, der ebenfalls als Kommunikator mit den Bodentruppen auf Dorcas diente. Dann würde eine ähnliche Verzögerung eintreten, während Thrr-mezaz’ Antwort auf der gleichen Route übermittelt wurde. Als er zum letzten Mal mit jemandem im Brückenkopf von Dorcas gesprochen hatte, hatte dieser Rundlauf ungefähr hundertzwanzig Takte gedauert. Diesmal müsste es auf das Gleiche hinauslaufen.

Er hatte aber schon hundertneunzig Takte gezählt, als Chrr’t-ogdano schließlich wieder erschien. »›Beide Kampfschiffe sind noch immer hier‹«, überbrachte er die Nachricht. »›Bist du verletzt, mein Bruder?‹«

Thrr-gilag ließ die Zunge in einem schiefen Lächeln herausschnellen. Typisch Thrr-mezaz. Er würde immer der auf seinen Schutz bedachte, besorgte große Bruder bleiben, bis beide in die Älterenschaft erhoben würden. Und vielleicht auch noch darüber hinaus. »Mir geht es gut«, sagte er zu Chrr’t-ogdano. »Und dir?«

»›Das letzte Mal ging es noch‹«, kam die Antwort einen Centumtakt später. Wenigstens hatte Thrr-mezaz seinen trockenen Humor nicht verloren. »›Wie schwer wurde euer Stützpunkt beschädigt?‹«

»Eigentlich gar nicht«, berichtete Thrr-gilag. »Es war ein Angriff von geradezu chirurgischer Präzision.«

»›Hier sind sie eher mit der groben Kelle rangegangen. Wie viele Raumschiffe haben sie denn eingesetzt?‹«

»Wir haben nur fünf Kampfschiffe gesehen«, sagte Thrr-gilag. »Es wäre aber möglich, dass noch mehr Schiffe außerhalb unseres Erfassungsbereichs gestanden haben. Wieso? Ist die Zahl denn wichtig?«

»›Vielleicht‹«, ertönte die Antwort. »›Wenn wir eine Vorstellung davon hätten, wie viele Kriegsschiffe die Menschen für ihre Suche abgestellt haben, würde uns das vielleicht eine Vorstellung vom gesamten Umfang ihrer Streitkräfte vermitteln. Es sei denn, sie hätten die Systeme aufs Geratewohl abgesucht und unglaublichen Dusel gehabt.‹«

»Ich bezweifle das«, sagte Thrr-gilag. »Wir wissen nämlich, dass sie sich auch auf der Studienwelt Achtzehn umgeschaut haben. Die Diligent und Operant hätten diese Gruppe fast abgefangen, aber sie ist ihnen dann doch noch entwischt.«

»›Dann müssen sie also alle wahrscheinlichen Systeme im näheren Umkreis des Gefechtsfelds abgedeckt haben‹«, schlussfolgerte Thrr-mezaz. »›Das ist allerdings eine große Anzahl von Systemen.‹«

»Viel zu groß«, pflichtete Thrr-gilag ihm mit gerunzelter Stirn bei. »Sie müssen irgendwie in der Lage gewesen sein, die Auswahl einzugrenzen.«

»›Das sehe ich auch so‹«, kam die Antwort. »›Leider führt uns das zu zwei beunruhigenden Schlussfolgerungen: einmal dazu, dass sie imstande waren, sich exakte Daten über unsre Umweltanforderungen von den Forschungsschiffen zu beschaffen; und zweitens, dass sie einen detaillierten Katalog aller Systeme in dieser Region besitzen. Ich wüsste nicht, wie es ihnen sonst möglich gewesen sein sollte, ihre Suche so schnell einzugrenzen und zum Erfolg zu führen.‹«

Thrr-gilag verzog das Gesicht. »Ich muss dir da leider beipflichten«, sagte er. »Oder sie haben eine Möglichkeit gefunden, Schiffe durch die Tunnel-Leitung zu verfolgen. Damit hätten sie es auch geschafft.«

»›Du solltest solche Dinge nicht einmal im Scherz aussprechen‹«, sagte sein Bruder. »›So werden nämlich Gerüchte in die Welt gesetzt; und je unglaublicher die Geschichte klingt, desto schneller verbreitet sie sich. Ich vermute, dass ihr eure Basis evakuieren werdet?‹«

»Ja«, sagte Thrr-gilag. »Wir sind nach Oaccanv zurückbeordert worden. Wo ich ohne Zweifel vor die Oberclan-Versammlung zitiert werde.«

»›Ohne Zweifel. Aber pass nur auf, was du ihnen sagst. Der Too’rr-Clan war nämlich gar nicht glücklich darüber, dass du Svv-selics Posten als Sprecher der Studiengruppe übernommen hast.‹«

Das war zumindest etwas, wofür man ihm die Verantwortung nicht zuschieben konnte. »Kann ich doch nichts dafür«, sagte er seinem Bruder. »Unsere Älteren haben die Absetzung von Svv-selic gefordert, weil er zugelassen hatte, dass die Menschen sich der Pyramide zu dicht näherten.«

»›Sei trotzdem vorsichtig.‹«

»Natürlich.« Thrr-gilag runzelte die Stirn. »Gibt es vielleicht ein Problem? Der Pfad erscheint mir diesmal länger als vor fünf Vollbögen.«

Die Verzögerung kam ihm diesmal tatsächlich länger vor; und Thrr-gilag fragte sich schon, ob er einen anderen Älteren entsenden solle, um Chrr’t-ogdano zurückzuholen, als dieser auch schon wieder erschien. »›Wir haben den Pfad verloren, über den du und ich damals gesprochen hatten‹«, wiederholte der Ältere Thrr-mezaz’ Worte. Seine dünne Stimme klang plötzlich grimmig. »›Jeder vierte Kommunikator ist vor zwei Vollbögen verschwunden.‹«

Thrr-gilag spürte, wie seine Mittellicht-Pupillen sich vor Schreck verengten. »Wie auf allen achtzehn Welten ist das denn passiert?«

»›Menschliche Krieger haben eine der Pyramiden überfallen und ihre fsss-Schnitte mitgenommen‹«, kam die Antwort. »›Wir haben sie bis zu ihrem Lager zurückverfolgt, und an dieser Stelle ist ihr über den Familien-Schrein übertragener Bericht plötzlich abgebrochen.‹«

»Sie haben sie getötet?«

»›Oder sie wurde gefangen genommen. Wir wissen nur, dass man in den Vollbögen, die seitdem verstrichen sind, nichts mehr von ihr gehört hat. Weder hier noch in ihrem Familien-Schrein auf Dharanv.‹«

»Ich verstehe«, murmelte Thrr-gilag. »Wie haben die Menschen eigentlich eure Schutzanlagen überwunden?«

»›Das mussten sie gar nicht. Weil alle vier Pyramiden sich nämlich außerhalb des Stützpunkts befinden.‹«

»Außerhalb?«, wiederholte Thrr-gilag. »Welcher Torfkopp ist denn auf diese Idee gekommen?«

»›Ich. Das war ein Experiment, mit dem ermittelt werden sollte, ob die Älteren die Wächterlinie unterstützen könnten.‹«

Thrr-gilags Zunge schnellte heraus. »Die Anführer der Dhaa’rr werden darüber aber gar nicht erfreut sein.«

»›Dass sie darüber nicht erfreut sind, hat man mir bereits kundgetan‹«, ertönte die trockene Antwort. »›Ich vermute, dir gegenüber wird man das auch noch zum Ausdruck bringen, sobald du vor der Oberclan-Versammlung stehst.‹«

»Vielen Dank für die Vorwarnung«, sagte Thrr-gilag und schaute auf die Uhr. Die fremden Gefangenen müssten nun eigentlich Zeit genug gehabt haben, um sich wieder zu erholen. Zumindest so weit, dass man sie zu transportieren vermochte. »Ich muss gehen, mein Bruder. Pass gut auf dich auf. Wir sprechen uns bald wieder.«

»›Das werde ich‹«, wiederholte Chrr’t-ogdano die Worte. »›Und pass du auch gut auf dich auf. Auf Wiedersehen.‹«

»Auf Wiedersehen.« Thrr-gilag nickte dem Älteren zu. »Vielen Dank, Chrr’t-ogdano. du kannst den Rest des Pfads nun wieder freigeben. Es ist Zeit zu gehen.«

»Gut«, sagte Chrr’t-ogdano griesgrämig und wies mit der Zunge auf die Tür. »Was ist mit der Pyramide? Willst du sie noch immer hier lassen?«

»Wir werden kaum in der Lage sein, die Menschen weiterhin zu beobachten, wenn sie ohne diese Pyramide zurückkehren«, gab Thrr-gilag zu bedenken und registrierte mit gerunzelter Stirn den besorgten Ausdruck im Gesicht des Älteren. »Was denn? Hast du etwa Angst?«

»Nach dem, was mit Prr’t-zevisti geschehen ist?«, erwiderte Chrr’t-ogdano. »Natürlich habe ich Angst. Und dich wird man vielleicht auch noch das Fürchten lehren.«

Thrr-gilag schnitt eine Grimasse, führte die Hand zum Hinterkopf und berührte die kleine Narbe an der Schädelbasis. Gegenargumente und Beschwichtigungen jagten sich in seinem Bewusstsein und neutralisierten sich auf der Zunge zu einem Schweigen. Theoretisch hätte natürlich keine Manipulation, die die Menschen an einer fsss-Schnitte der Älteren vornahmen, auch nur die geringste Auswirkung auf den Rest des fingergroßen Organs haben dürfen, das 250 Licht-Zyklen entfernt sicher in seinem Schrein ruhte. Beim ersten Anzeichen der Gefahr müssten auch Chrr’t-ogdano und die anderen Älteren sich nur schnell in ihren Schrein zurückziehen, wo sie absolut sicher wären.

Aber die Theorie war eben nur eine Seite der Medaille. Eine Gruppe nervöser Älterer, die sich um ihr Überleben sorgten, war wieder etwas ganz anderes. Zumal die Theorie, soweit Thrr-gilag wusste, auch noch nie auf die Probe gestellt worden war.

»Die Beobachter auf der Studienwelt Achtzehn«, sagte Chrr’t-ogdano. »Erinnerst du dich noch an diesen Bericht? Sie spürten den Schmerz der menschlichen Älterentod-Waffen.«

»Aber sie waren doch noch in ihren Schnitten verankert und hatten die Menschen beobachtet«, gab Thrr-gilag zu bedenken. »Andererseits hast du auch nicht ganz Unrecht. Na gut. Informiere den Schiffs-Kommandanten Zbb-rundgi darüber, dass ich meine Entscheidung revidiert habe und dass er die Pyramide doch mit nach Hause nehmen soll. Und sage ihm, dass wir starten, sobald sie an Bord ist.«

»Zu Befehl«, sagte Chrr’t-ogdano und schaute mehr als nur ein wenig erleichtert.

Er verschwand. Da Thrr-gilag nun wieder allein war, stand er auf, presste den Rand der Zunge gegen den Gaumen und legte sich den Zwangsanzug über die Schultern. Es war wieder das gleiche Spiel: die Zhirrzh im Krieg mit einer neuen fremden Rasse. Aliens, die wie die anderen, die vor ihnen gewesen waren, sie beim ersten Anblick angegriffen hatten. Aliens mit mächtigen Explosivraketen und kleinen, aber überaus effektiven Kampfschiffen, die mit spielerischer Leichtigkeit Älterentod-Waffen einsetzten. Aliens, die vierundzwanzig Welten besaßen – im Vergleich zu ihren eigenen achtzehn – und die noch über mindestens acht andere fremde Rassen herrschten.

Aliens, die über die furchtbare Waffe geboten, die Pheylan Cavanagh ihm beschrieben hatte. Die schreckliche Tötungsmaschine namens CIRCE.

Thrr-gilag ließ ein letztes Mal den Blick durch den leeren Besprechungsraum schweifen und ging dann zur Tür und dem Schiff, das auf ihn wartete. Und er hoffte inständig, dass das Krieger-Kommando und die Oberclan-Versammlung sich diesmal nicht übernommen hatten.

2

Es waren kaum mehr als zweihundertfünfzig Lichtzykliken nach Oaccanv: beinahe fünfunddreißig Zehntbögen mit Stardrive-Geschwindigkeit. So konnte Thrr-gilag lange dreieinhalb Vollbögen in der Kabine liegen, die Aufzeichnungen von Pheylan Cavanaghs Haft studieren und seine Kenntnisse der menschlichen Sprache verbessern. Und er fragte sich, was sich andernorts wohl ereignete, während sie durch die Dunkelheit zwischen den Sternen flogen.

Zum Glück musste er bei diesen Überlegungen nicht auch im Dunklen tappen. Der Schiffs-Kommandant Zbb-rundgi hatte die gesamte Besatzung angewiesen – inoffiziell natürlich –, den jungen karrieristischen Sucher mit Missachtung zu strafen, der die Flucht des menschlichen Gefangenen zu vertreten hatte und, was wohl noch gravierender war, dem Rat des Schiffs-Kommandanten mit unverhohlener Verachtung begegnet war. Doch schienen weder Nzz-oonaz noch Svv-selic den Befehl allzu ernst nehmen zu wollen und hielten Thrr-gilag deshalb über den Fortschritt der Zhirrzh-Expeditionsstreitkräfte, die derzeit im menschlichen Raum operierten, auf dem Laufenden.

Die Berichte der Älteren waren spärlich, aber grundsätzlich positiv. Auf allen drei menschlichen Zielwelten schienen die Verteidiger überrascht worden zu sein, was sie aber nicht davon abgehalten hatte, mit ihren Explosivraketen und Älterentod-Waffen Gegenangriffe zu führen. Jedoch waren diese Angriffe in der Regel schon nach nur einem oder zwei Zehntbögen zurückgeschlagen worden, und die Verteidiger waren dann in die umliegende Wildnis geflohen. Man hatte Brückenköpfe gebildet und Blockadetruppen im Orbit stationiert, und nun ging es im Wesentlichen noch darum, das Territorium zu sichern und zu sehen, wie die Menschen darauf reagierten, dass der Krieg wieder an ihre Türschwelle getragen worden war.

Falls es sich wirklich so verhielt, dass der Krieg wieder auf seine Verursacher zurückgefallen war.

Es war eine beunruhigende Vorstellung, die während der ganzen Reise in Thrr-gilags Hinterkopf herumspukte. Er vertraute natürlich den Älteren, zumal der Bericht der Älteren übereinstimmend aussagte, dass bei diesem ersten Kontakt die Menschen die Aggressoren gewesen seien. Dennoch wollten Thrr-gilag nicht die Worte von Pheylan Cavanagh aus dem Sinn gehen, der mit der gleichen Überzeugung behauptet hatte, dass es die Einsamer Sucher und die anderen Forschungsschiffe der Zhirrzh gewesen wären, die das Feuer zuerst eröffnet hätten.

Wahrscheinlich log der Mensch. Es war fast sicher, dass der Mensch log. Dennoch blieb ein Hauch des Zweifels. Thrr-gilag konnte nur hoffen, dass dieser Zweifel ausgeräumt war, wenn er Oaccanv erreichte.

»Alles auf und fertig werden«, intonierte der Saaldiener mit dröhnender Stimme. Die Worte hallten schwach aus den Lautsprechern wider, die im ganzen Saal verteilt waren – ein Echo, das im Geräusch unterging, als tausend Zhirrzh sich von ihren Liegen erhoben. »Die Oberclan-Versammlung des Volkes der Zhirrzh ist eröffnet«, übertönte die Stimme des Saaldieners den Lärm. »Erweist dem Oberclan-Primus die Ehre.«

Hinter dem Podium öffneten sich die Türen, und der Oberclan-Primus erschienen auf der Bildfläche. Für ein paar Takte blieb er in der Türöffnung stehen und ließ den Blick über die voll besetzte Kammer schweifen. Dann hielt er eine kavra-Frucht in die Höhe, so dass alle sie sehen konnten, und tranchierte sie zweimal im traditionellen Ritual der Offenheit und des Vertrauens. Anschließend legte er die geteilte Frucht auf den niedrigen Tisch neben der Tür, wischte sich die Finger an einem Tuch ab und betrat den Saal. Er ging zwischen den beiden Schreinen hindurch – dem größeren in der Standardausführung aus weißer Keramik für die gesamte Oberclan-Familie und dem kleineren aus behauenem schwarzem Stein für die Oberclan-Primusse selbst – und nickte jedem Schrein respektvoll zu. »Ich begrüße die Sprecher der Tausend Clans«, sagte er, setzte sich auf seine Liege und bedeutete den Sprechern, seinem Beispiel zu folgen. »Wir haben uns heute hier versammelt, um über die beunruhigenden Vorkommnisse zu sprechen, die sich vor vier Vollbögen ereignet haben und die die Evakuierung von Stützpunktwelt Zwölf erfordert hatten. Sucher Thrr-gilag von Kee’rr, Sucher Svv-selic von Too’rr, Sucher Nzz-oonaz von Flii’rr: Tretet vor.«

Flankiert von seinen beiden Kollegen schritt Thrr-gilag zum Zeugenstand neben dem Podium. Der süßsaure Nachgeschmack des Gift neutralisierenden kavra-Safts vermischte sich mit dem sauren Geschmack der Nervosität auf der Zunge, als er versuchte, etwas – irgendetwas – im Gesicht des Primus zu lesen. Er hoffte, irgendeinen Hinweis darauf zu erhalten, wo der Titular-Anführer der Zhirrzh-Rasse in dieser ganzen Angelegenheit überhaupt stand.

Doch das Gesicht des Primus war starr wie eine Maske. Und das war auch kaum verwunderlich. Seit fünfhundert Zyklen – seit der Etablierung der Oberclan-Versammlung – hatte diese Familie-ohne-einen-Clan ihre Söhne und Töchter in die Obhut des weit verzweigten Komplexes gegeben, der dem Oberclan diente. Seine Mitglieder waren niemandem verbunden und niemandem verpflichtet, begünstigten niemanden und bekämpften niemanden. Kein Zhirrzh hätte jemals in diesen elitären Kreisen reüssieren und ein Oberclan-Primus werden können, ohne lange Jahre zu lernen, alle persönlichen Gedanken und Überzeugungen tief in sich zu vergraben.

»Sucher Thrr-gilag«, begann der Primus, und der Blick dieser tiefliegenden Augen durchbohrte ihn förmlich. »Als designierter Sprecher der Alien-Spezialistengruppe auf Stützpunktwelt Zwölf trägst du letztendlich die Verantwortung für den Zwischenfall, der sich vor vier Vollbögen ereignet hat. Eines Zwischenfalls, der in der Flucht des menschlichen Kriegsgefangenen resultierte, der Evakuierung einer strategisch platzierten Zhirrzh-Basis und der Erhebung von acht Zhirrzh in die Älterenschaft. Wir haben deine Berichte gelesen, begleitet von den Kommentaren und Ansichten der Kommunikatoren und der Älteren, die dich bei unseren Studien unterstützt haben. Nun möchten wir deine Stellungnahme hören.«

Und meine Ausflüchte, sagte Thrr-gilag sich. Doch auch jetzt gab der Gesichtsausdruck des Primus ihm keinerlei Hinweise darauf, was der andere dachte. »Du kennst den Ereignishergang bereits«, sagte er und zwang sich, den Blick über die vielen Reihen der Clan-Sprecher schweifen zu lassen, die ihn musterten. Die Sprecher und die ätherische Wolke stummer Älterer, die die Kuppel über den Liegen ausfüllte. »Dem menschlichen Gefangenen gelang es, die Sensoren seines Zwangsanzugs mit Schlamm zu blockieren«, fuhr er fort, »und dann mich und einen Techniker in seine Gewalt zu bringen, bevor wir uns zurückzuziehen vermochten. Er benutzte uns dann als Schutzschilde gegen die Krieger und verlangte, das eben eingetroffene fremde Raumschiff zu betreten.«

»Und hast du die Älterenschaft so gefürchtet, dass du die Krieger zurückgerufen hast?«, ertönte eine knurrende Stimme aus der ersten Reihe.

Thrr-gilag identifizierte den Zwischenrufer. Es war ein allseits bekanntes Gesicht: Cvv-panav, Sprecher des mächtigen Dhaa’rr-Clans. »Ich fürchtete nicht die Älterenschaft, Sprecher«, sagte er. »Zumal ich dieses Risiko bereits eingegangen war, als ich den Kriegern befahl, Blendwaffen gegen den Menschen einzusetzen. Diese erwiesen sich jedoch als nutzlos.«

»Dann hättest du ihnen eben befehlen müssen, Laser einzusetzen«, insistierte Cvv-panav.

»Vielleicht«, sagte Thrr-gilag. »Ich konzediere, dass die Situation potenziell gefährlich war. Aber ich sah auch eine Möglichkeit, wertvolle Informationen zu gewinnen.«

Cvv-panav schniefte vernehmlich. »Wir gewinnen bereits wertvolle Informationen …«

»Der Sprecher für Dhaa’rr möge schweigen«, tadelte der Primus ihn milde. »Auf welche Information beziehst du dich, Sucher Thrr-gilag?«

»Das fremde Raumschiff war beschädigt worden, als wir es aufbrachten«, sagte Thrr-gilag. »Beobachter der Zhirrzh hatten gesehen, wie die Besatzung das Schiff landete, doch diese Besatzung war schwer verletzt, und es war nicht bekannt, wie lange sie überleben würde. Ich sagte mir, wenn wir den Menschen an Bord des Schiffs gehen ließen, würden unsere Älteren sehen, wie die Flugsequenz eingeleitet wurde. Deshalb erteilte ich den Befehl, ihm Zugang zum Schiff zu gewähren.«

»Ein großes Risiko«, sagte ein anderer Sprecher. »Für ein so bescheidenes Ergebnis. Unsere Krieger-Sucher wären sicherlich in der Lage gewesen, dem Schiff seine Geheimnisse zu entreißen.«

»Zumal die Aliens überlebt haben«, fügte Cvv-panav hinzu. »Was bedeutet, dass du das Risiko für überhaupt nichts eingegangen bist.«

»Vielleicht«, sagte Thrr-gilag. »Aber das wusste ich seinerzeit nicht. Und was die Aliens betrifft, ist es noch fraglich, ob sie überhaupt überleben werden.«

»Es ist aber nicht fraglich, dass du dein Spiel verloren hast«, blaffte Cvv-panav. »Der Mensch ist mit dem Wissen über die Zhirrzh zu seinem Volk zurückgekehrt. Du hättest ihn töten sollen.«

»Das wäre wahrscheinlich ein Fehler gewesen«, sagte Thrr-gilag und strafte sich innerlich. Er ließ nun die Katze aus dem Sack und würde sich damit wahrscheinlich keine Freunde machen. »Meiner Meinung nach ist es nicht ausgeschlossen, dass die Menschen ebenfalls Ältere haben.«

Er hätte ein empörtes Brüllen von der Versammlung erwartet oder zumindest ein erstauntes Zischen. Das tödliche Schweigen war jedoch schlimmer als die anderen beiden Reaktionen. »Hast du auch einen Beweis dafür?«, fragte der Primus.

»Noch nicht«, sagte Thrr-gilag mit bemüht fester Stimme und ruhigem Schwanz. »Aber es gibt Indizien. Der Mensch hatte schon bald unsere fsss-Narben bemerkt und dann viele Fragen dazu gestellt. Außerdem hatte er eine ähnliche Narbe genau hier …« Er deutete an seinem Unterleib auf die entsprechende Stelle. »… wo eindeutig ein fsss-großes Organ entfernt worden war.«

»Eine interessante Stelle für ein fsss-Organ«, kommentierte der Primus. »Wurde diese Entfernung durch medizinische Instrumente oder mittels einer direkten Beobachtung der Älteren diagnostiziert?«

»Beides«, sagte Thrr-gilag. »Ich ordnete die Beobachtung durch die Älteren an, nachdem wir mit dem Menschen das Gespräch über das fsss geführt hatten.«

»Ein Gespräch, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht für opportun hielt«, wandte Svv-selic ein. »Weil er dadurch nämlich Informationen erlangte …«

»Der Sucher möge schweigen«, sagte der Primus. »Erlaube mir den Hinweis, Sucher Thrr-gilag, dass fünf andere menschliche Leichen nach der Raumschlacht kurz untersucht wurden. Doch keine zeigte irgendwelche Anzeichen solcher Narben.«

»Ja, ich weiß«, erwiderte Thrr-gilag. »Und wenn die Menschen wirklich Ältere haben, deutet das vielleicht darauf hin, dass sie sich gesellschaftlich noch in einem ausgesprochen primitiven Zustand befinden.«

»Unmöglich.« Cvv-panav schnaubte. »Sie haben eine hoch entwickelte Technologie.«

»Das technologische Niveau lässt nicht unbedingt Rückschlüsse auf die soziale Struktur zu«, sagte Thrr-gilag. »Der Mensch Pheylan Cavanagh hatte anscheinend den gleichen Rang inne wie ein Schiffs-Kommandant der Zhirrzh. Wenn er – und er als Einziger von seinen Kriegern – sich sein fsss hatte entfernen lassen, ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass die Menschen sich in einem Stadium befinden, das mit dem der Zhirrzh-Gesellschaft vor dem ersten Älterenschaft-Krieg vergleichbar ist.«

Für ein paar Takte herrschte Stille in der Kammer. »Wenn man die Barbarei in jener Ära bedenkt, wäre das in der Tat eine unerfreuliche Nachricht«, sagte der Primus schließlich. »Andererseits würde das auch ihren ungestümen Angriff auf unsere Forschungsschiffe erklären. Können wir also davon ausgehen, dass wir es hier mit einem in Clans strukturierten Feudalsystem zu tun haben?«

»Möglicherweise«, räumte Thrr-gilag ein. »Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es sich bei ihnen um Aliens handelt. Wir dürfen nicht einfach unsere eigene Geschichte auf sie projizieren.«

»Und wir dürfen genauso wenig vergessen, dass vage Vorstellungen nicht zu harter Keramik kondensieren«, sagte Cvv-panav verächtlich. »Eine solche Theorie aufgrund einer einzigen menschlichen Narbe zu entwickeln, gleicht einer Gratwanderung zwischen Fiebertraum und Dummheit.«

»Vielleicht«, sagte Thrr-gilag verärgert und spürte, wie seine Mittellicht-Pupillen sich verengten. »Ich darf den Sprecher jedoch daran erinnern, dass eine der ersten Handlungen der Menschen darin bestand, zur Pyramide unserer Beobachter und Kommunikatoren zu gelangen. Das impliziert schon eine gewisse Kenntnis ihres Zwecks.«

»Zufall«, sagte der Sprecher. »Oder bloße Neugier.«

»Ob es auch Zufall war, dass das menschliche Kriegsschiff, das auf die Studienwelt Achtzehn gestoßen ist, sofort die Pyramide der Beobachter gefunden und mit Älterentod-Waffen angegriffen hat?«, konterte Thrr-gilag. »Oder ob es Zufall war, dass die menschlichen Streitkräfte auf Dorcas ausgerechnet eine fsss-Schnitte gestohlen haben?«

Er legte eine Atempause ein … und dabei wurde er sich plötzlich bewusst, dass alle Blicke im großen Saal wie gebannt auf ihn gerichtet waren. Er schaute auf den Primus und dann wieder auf die erste Reihe der Sprecher, wo sein Blick auf dem zornigen Gesicht des Sprechers Cvv-panav verharrte …

Dann schaute er erneut auf den Primus und spürte, wie sein Schwanz immer schneller rotierte. Unterlag das Verschwinden von Prr’t-zevisti etwa der Geheimhaltung?

»Deine erste Befragung ist hiermit beendet, Sucher Thrr-gilag«, sagte der Primus mit absolut neutraler Stimme und ausdruckslosem Gesicht. »Halte dich aber für eine weitere Befragung bereit. Die Oberclan-Versammlung dankt dir für deine Mitarbeit.«

»Es war mir eine Ehre, Oberclan-Primus«, erwiderte Thrr-gilag. Er hatte einen schalen Geschmack am Zungenansatz, als er sich von der Liege erhob. Die Worte waren gesprochen, und es gab keine Möglichkeit, sie zurückzuholen. Und dem Ausdruck im Gesicht des Sprechers Cvv-panav nach zu urteilen würde Thrr-gilag sich vielleicht bald wünschen, zusammen mit seinen Worten im Orkus verschwinden zu können.

Die Befragung war beendet, und die Sprecher begaben sich zum Mittenbogen-Mahl, als die Vorladung, vor der Thrr-gilag sich die ganze Zeit gefürchtet hatte, schließlich erfolgte.

»Du sollst dich im Privatbüro des Oberclan-Primus melden«, sagte der Ältere kurz angebunden. »Folge mir.«

Thrr-gilag stieß einen stummen Seufzer aus. »Zu Befehl«, sagte er.

Es war eine lange, einsame Eisenbahnfahrt – fast einen halben Tausendschritt lang – durch den verlassenen Tunnel, der von der Rückseite des Oberclan-Sitzungssaals zu den zwei Hauptbürogebäuden des Komplexes führte. Schließlich erreichten sie den Tunnelausgang und kehrten an die Oberfläche zurück. Thrr-gilag verließ den Eisenbahnwagen und folgte dem Älteren zu einer kunstvoll verzierten Tür mit großen Holzringen anstelle der üblichen Türknäufe. Dem Aussehen und Geruch nach zu urteilen war diese Tür uralt. »Tritt ein«. Der Ältere wies auf die Tür. Thrr-gilag holte tief Luft, ergriff den alten Holzring und zog die Tür auf.

Der Raum erwies sich als ein kleiner, intimer Besprechungsraum, in dem es keinen Tisch, sondern nur ein paar Liegen gab. Drei Zhirrzh warten dort auf ihn: Cvv-panav, der Sprecher für Dhaa’rr; Hgg-spontib, der Sprecher für Kee’rr und der Oberclan-Primus höchstpersönlich. Keiner von ihnen schaute sonderlich freundlich. »Komm herein, Sucher«, sagte der Primus gemessen und wies auf eine Reihe von kavra-Früchten auf einem Sims neben der Tür. »Die Sprecher für Dhaa’rr und Kee’rr wirst du wohl schon kennen.«

»Jawohl, Oberclan-Primus«, sagte Thrr-gilag und nickte jedem von ihnen höflich zu. Dann nahm er eine kavra-Frucht, tranchierte sie zweimal mit der Schneidkante der Zunge und ließ sie in die Biotonne darunter fallen. »Was kann ich für euch tun?«, fragte er und wischte sich die Hände am Reinigungstuch ab, das unter dem Sims hing.

»Die fremden Gefangenen sind in den Komplex gebracht worden«, informierte ihn der Primus. »Sie werden gerade im medizinischen Zentrum für das Verhör vorbereitet.«

»Verstehe.« Thrr-gilag hatte die Heiler schließlich angewiesen, dass die Aliens sich erst von der Belastung durch die Landung erholen müssten, bevor sie verlegt werden könnten. Mit anderen Worten: Man hätte ihn über eine geplante Verlegung informieren müssen. Unter diesen Umständen wunderte es ihn jedoch nicht, dass diese Benachrichtigung nicht erfolgt war. »Wie haben sie den Transport vom Landefeld überstanden?«

»Dem Vernehmen nach sind sie noch ziemlich schwach, aber ihre Stoffwechselwerte sind immerhin stabil«, sagte der Primus. »Ich rechne damit, dass sie in ein paar Centumtakten vernehmungsfähig sind.« Er musterte Thrr-gilag. »Vorher hätte Sprecher Cvv-panav aber noch ein paar Fragen zu deiner Aussage an diesem Vormittenbogen.«

»Genauer gesagt zu deiner eklatanten Sicherheitsverletzung«, stieß Cvv-panav hervor. »Ich will alles hören, was du über den Prr’t-zevisti-Zwischenfall auf Dorcas weißt. Und wie du davon erfahren hast.«

»Ich sprach mit meinem Bruder, Kommandant Thrr-mezaz, kurz bevor wir von Stützpunktwelt Zwölf evakuiert wurden«, sagte Thrr-gilag. »Er sagte mir, dass Prr’t-zevistis fsss-Schnitte gestohlen worden sei und dass Prr’t-zevisti selbst seitdem nicht mehr dort gewesen sei. Das ist alles, was ich weiß.«

»Und hat Kommandant Thrr-mezaz zufällig auch erwähnt, dass dieses Vorkommnis der Geheimhaltung unterliegen sollte?«

Thrr-gilag spürte, wie sein Schwanz schneller rotierte. »Nein, Sprecher, das hat er nicht.«

»Betrachtest du Gespräche mit Krieger-Kommandanten grundsätzlich als eine unverbindliche Plauderei?«, hakte Cvv-panav nach.

»Überhaupt nicht, Sprecher«, antwortete Thrr-gilag. »Ich behandle solche Informationen grundsätzlich privat und vertraulich.«

»Und doch hast du diese privaten und vertraulichen Informationen herausposaunt, ohne die Folgen zu bedenken?«

Thrr-gilag schaute ihm direkt in die Augen. »Ich wäre doch nie auf die Idee gekommen, Sprecher, dass eine Aussage vor der Oberclan-Versammlung den Charakter einer zwanglosen Konversation hätte.«

»Ich bin auch dieser Ansicht«, meldete sich nun Sprecher Hgg-spontib von seiner Liege auf der anderen Seite des Primus zu Wort. »Es verhält sich sogar so, dass viele andere Sprecher sich fragen, warum es erst des falschen Zungenschlags eines jungen Suchers bedurfte, dass wir von diesem Zwischenfall erfahren. Man könnte fast glauben, dass die Dhaa’rr versuchten, wichtige Information für sich zu behalten und für ihre Zwecke zu nutzen.«

»Der Tod eines Älteren der Dhaka’rr ist eine Privatangelegenheit des Dhaa’rr-Clans«, erwiderte Cvv-panav unwirsch. »Kein Thema für Klatsch und Tratsch.«

Hgg-spontibs Mittellicht-Pupillen verengten sich sichtlich. »Willst du damit sagen, dass Mitglieder der Oberclan-Versammlung nichts Besseres zu tun hätten, als Klatsch und Tratsch zu frönen?«

»Was die Versammlung tut oder nicht, steht jetzt nicht zur Debatte«, sagte Cvv-panav schroff. »Es waren wahrscheinlich zweitausend Ältere als Beobachter der Versammlung zugegen, und die Älteren des Oberclan selbst noch gar nicht mitgezählt. Und dank dieses jungen Narren mit seiner lockeren Zunge hat die Neuigkeit wahrscheinlich schon in der ganzen Gemeinschaft der Älteren die Runde gemacht.«

»Du dramatisierst die ganze Sache wohl etwas, Sprecher Cvv-panav«, wandte der Primus ein. »Zum einen weißt du ganz genau, dass nichts, was einen Krieg betrifft, als das alleinige Eigentum einer Familie oder eines Clans betrachtet werden kann. Zum anderen ist die erste undichte Stelle höchstwahrscheinlich schon vor vier Vollbögen aufgetreten, als der Sucher Thrr-gilag erstmals von Prr’t-zevistis Verschwinden erfuhr. Der Pfad für diese Konversation beinhaltete nämlich einen Älteren mit einer niedrigen Krieger-Sicherheitsstufe.«

»Na so was.« Cvv-panav musterte Thrr-gilag mit kaltem Blick. »Ich hätte aber auch gar nichts anderes erwartet.«

»Vielleicht«, fuhr der Primus fort. »Doch bevor du dich über die Maßen echauffierst, möchte ich noch darauf hinweisen, dass der Sucher Thrr-gilag aus dem folgenden Grund einen unsicheren Pfad benutzt hatte: weil die Dhaka’rr noch keinen Älteren mit einer entsprechenden Sicherheitsstufe bereitgestellt hatten, um die Lücke auszufüllen, die das Verschwinden von Prr’t-zevisti hinterlassen hatte. Geschlagene zwei Vollbögen nach diesem Verschwinden, wie ich noch hinzufügen möchte.«

Nun war Cvv-panav an der Reihe, die Mittellicht-Pupillen zu verengen. »Und woher willst du das wissen, Oberclan-Primus?«

Der Primus hielt seinem finsteren Blick ungerührt stand. »Weil der Oberclan seit jenem ersten Kontakt mit dem menschlichen Kriegsschiff alle Nichtkrieger-Pfade zwischen den Zhirrzh-Außenposten und den Expeditionsstreitkräften überwacht.«

Cvv-panav warf Hgg-spontib einen Blick zu. »Ich erinnere mich aber nicht, dass die Versammlung in dieser Angelegenheit konsultiert worden wäre, Oberclan-Primus.«

»Eben deshalb wurde sie nicht informiert«, sagte der Primus. »Ich hielt es für eine Frage der Sicherheit der Zhirrzh und handelte deshalb, ohne vorher die Versammlung zu konsultieren. Das war mein Recht und meine Pflicht.«

»Ich bin mir aber nicht sicher, ob alle Sprecher eine solche Auslegung der Verträge akzeptieren würden«, sagte Cvv-panav. »Man könnte nämlich glauben, der Oberclan wollte wichtige Information für sich behalten – um meinen Kollegen Hgg-spontib zu zitieren. Für seine eigenen privaten Zwecke.«

»Du bewegst dich auf dünnem Eis, Sprecher«, warnte der Primus ihn leise. »Solche massiven Anschuldigungen können genauso schädlich sein wie eine Sicherheitsverletzung.«

»Genauso wie der Anschein eines Amtsvergehens, Oberclan-Primus«, konterte Cvv-panav. Dann warf er einen Blick auf Thrr-gilag, als ob er sich plötzlich wieder daran erinnerte, dass ein unwichtiger Zeuge dieser Auseinandersetzung um wichtige Dinge beiwohnte. »Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt für solche Erörterungen«, fügte er hinzu. »Wir sollten vielmehr überprüfen, ob unsere Gefangenen schon in der Lage sind, ein paar Fragen zu beantworten.«

»Ja«, sagte Primus. »Kommunikator?«

Ein Älterer erschien. »Ja, Oberclan-Primus?«

»Sprich mit den Heilern im medizinischen Zentrum. Überzeuge dich davon, ob alles vorbereitet ist.«

»Zu Befehl.«

Thrr-gilag räusperte sich. »Ich möchte den Oberclan-Primus nur daran erinnern, dass die Gefangenen noch immer sehr schwach sind«, sagte er. »Wenn sie zu stark unter Druck gesetzt werden, sterben sie vielleicht.«

»Ein Grund mehr, sie zu befragen, solange wir die Gelegenheit dazu haben«, gab der Primus zurück. »Zumal diese Entscheidung nun im Ermessen des Suchers Nzz-oonaz liegt.«

Thrr-gilags Schwanz rotierte noch schneller. »Darf ich das so interpretieren, dass ich als Sprecher der Mission abgesetzt bin?«, fragte er, nur um es offiziell zu machen.

»Sei froh, dass du nicht gleich von der ganzen Mission abgezogen wurdest«, sagte Cvv-panav mit ätzender Stimme. In seinem Ton schwang freilich mit, dass er genau diese Maßnahme befürwortet hatte. »Bei allem, was Recht ist – dass du deinen menschlichen Gefangenen hast entkommen lassen, hätte dir eigentlich noch viel mehr eintragen müssen als eine bloße Degradierung. Mindestens einen öffentlichen Tadel und vielleicht sogar ein Strafverfahren.«

Der Ältere erschien wieder. »Es ist alles vorbereitet, Oberclan-Primus«, sagte er. »Die Heiler und die Alien-Spezialistengruppe warten bereits.«

»Sehr gut.« Der Primus erhob sich von der Liege. »Sprecher und Sucher: mir folgen.«

Das medizinische Zentrum erwies sich als eine etwas kleinere Version des Raums auf Stützpunktwelt Zwölf, den die Techniker eilig als Gefängnis für Pheylan Cavanagh hergerichtet hatten. In der Mitte des Raums befanden sich die zwei Gefangenen – sie lagen auf Rollbahren und wurden von einer tragbaren Kuppel aus Sicherheitsglas überwölbt. Es waren fast vierzig Zhirrzh anwesend, die an den verschiedenen Überwachungskonsolen an den Wänden entlang saßen oder sich in vierfach gestaffelten Reihen um die Kuppel versammelt hatten und die Aliens betrachteten. Thrr-gilag sah, dass Svv-selic und Nzz-oonaz neben der gläsernen Kuppel standen; flankiert von einer Reihe der Techniker und Heiler, die schon mit ihnen auf Stützpunktwelt Zwölf gewesen waren.

Und an der Seite machte Thrr-gilag noch jemanden aus – jemanden, den er seit ein paar Zyklen schon nicht mehr gesehen hatte: Gll-borgiv, ein Alien-Spezialist des Dhaa’rr-Clans.

»Sucher Nzz-oonaz wird die Befragung durchführen«, verkündete der Primus, als der Techniker an der Tür jedem der Ankömmlinge einen TranslatorLink-Ohrhörer aushändigte. Sie gingen zur Kuppel hinüber, wobei die Anwesenden ihnen respektvoll eine Gasse öffneten. Für ein paar Takte schaute der Primus auf die Aliens und nickte Nzz-oonaz dann zu. »Du kannst anfangen.«

»Zu Befehl, Oberclan-Primus.« Nzz-oonaz klang mehr als nur ein wenig nervös. »In der kurzen Phase, in der sie auf Stützpunktwelt Zwölf bei Bewusstsein waren, haben wir ermittelt, dass sie die Sprache unseres menschlichen Gefangenen zumindest teilweise gesprochen haben. Also werde ich es zuerst damit versuchen.«

Er drückte sich etwas fester gegen die Kuppel und räusperte sich verlegen. »Aliens der Mrachani«, sagte er in der Sprache der Menschen. »Ich bin Nzz-oonaz, Flii’rr. Hört ihr mich?«

Für ein Dutzend Takte geschah nichts. Dann schlug eins der Aliens langsam die Augen auf. »Ich höre dich«, sagte es mit einer so leisen Stimme, dass sie kaum zu hören war. Einen Takt später hallten die Worte durch den TranslatorLink in Thrr-gilags Ohrschlitzen wider. »Ich bin Uhraus. Botschafter der Mrachanis bei eurem Volk.«

»Sagte er Botschafter?«, murmelte Hgg-spontib neben Thrr-gilag und drückte den TranslatorLink noch fester an die Schläfe.

»Ja«, bestätigte Thrr-gilag und schaute stirnrunzelnd auf die Aliens. Seltsam – laut Aussage der Krieger, die sie gefangen genommen hatten, hatte das fremde Raumschiff das Feuer auf sie eröffnet, und zwar mit den gleichen Älterentod-Waffen, wie sie auch die Menschen eingesetzt hatten.

Nzz-oonaz’ Gedanken verliefen offensichtlich in den gleichen Bahnen. »Greifen Mrachani-Botschafter denn immer unbekannte Raumschiffe an, sobald sie welche sehen?«, wollte er wissen.

Für ein paar Takte schien der Blick des Mrachanis über die Menge zu schweifen, die sich vor ihm versammelt hatte. Fast wie ein Dramaturg, der sein Publikum einzuschätzen versucht, bevor er mit der Vorstellung beginnt, sagte Thrr-gilag sich. »Wir sind gekommen, um euch zu warnen«, sagte das Alien schließlich mit einem Seufzer und schloss matt die Augen. »Und euch die Unterstützung der Mrachanis im Kampf gegen die Mirnacheem-hyeea anzubieten.«

Nzz-oonaz warf Thrr-gilag einen fragenden Blick zu. Thrr-gilag ließ in einer Geste der Verneinung die Zunge herausschnellen: Das Wort sagte ihm nichts. »Was ist dieses Mirnacheem-hyeea, von dem du gesprochen hast?«, fragte Nzz-oonaz.

»Die Mirnacheem-hyeea sind diejenigen, welche danach streben, alles in ihrer Reichweite zu beherrschen«, sagte der Mrachani. »In ihrer Sprache bedeutet der Name ›Eroberer ohne Grund‹.« Er öffnete die Augen und schloss sie wieder. »Die Menschen.«

Eroberer ohne Grund. Thrr-gilag ließ die Worte durch sein Bewusstsein wandern und schmeckte die Weiterungen. Es waren in der Tat ominöse Weiterungen.

»Wir wissen eure Warnung zu schätzen«, sagte Nzz-oonaz. »Und welche Unterstützung bieten die Mrachanis uns an?«

»Die Mrachanis brauchen eure Hilfe«, murmelte das Alien, wobei seine Stimme noch schwächer wurde. »Wir brauchen eure …« Es holte tief und mühsam Luft. »Hilfe.«

»Welche Unterstützung bieten die Mrachanis uns an?«, wiederholte Nzz-oonaz.

Er bekam keine Antwort. »Heiler?«, fragte Nzz-oonaz und schaute über die Schulter auf eine der Konsolen.

»Er ist wieder eingeschlafen«, meldete der Heiler. »Ihre Stoffwechseltätigkeit scheint sich auch wieder zu verringern. Soll ich versuchen, sie aufzuwecken?«

Nzz-oonaz schaute auf den Primus. »Oberclan-Primus?«

Der Primus musterte die Aliens mit steinernem Gesicht. »Welchem Risiko würden wir ihr Leben aussetzen, Heiler?«

»Ich weiß es nicht«, gestand der Heiler. »Wir wissen noch immer nur sehr wenig über ihre Biochemie.«

»Dann gehen wir dieses Risiko auch nicht ein«, entschied der Primus. »Lasst sie schlafen; wir werden die Befragung später fortsetzen. Ich möchte, dass die Heiler und Älteren eine ganze Schicht hier verbringen.«

»Zu Befehl.« Der Heiler deutete auf einen Techniker und erteilte Befehle.

Cvv-panav ging einen Schritt auf den Primus zu. »Ich würde unser Gespräch vom letzten Vollbogen gern fortsetzen, Oberclan-Primus«, sagte er – mit ruhiger Stimme, aber einem dringlichen Unterton.

»Das ist nicht nötig.« Der Primus wandte sich an Hgg-spontib. »Sprecher Hgg-spontib wird sicherlich nicht bestreiten, dass dieser Kontakt weit über die Eigentumsrechte der Clans hinausgeht, die den Erstkontakt mit den Menschen hergestellt hatten.« Er taxierte die schlafenden Aliens. »Oder vielleicht sollten wir sie die Mensch-Eroberer nennen«, fügte er grimmig hinzu. »Dieser Name erscheint mir angemessener. Auf jeden Fall werde ich Gll-borgiv von Dhaa’rr dieser Studiengruppe zuteilen.«

»Ich lege hiermit Protest ein«, sagte Hgg-spontib. »Die Dhaa’rr hatten bisher keine Verluste durch diese fremde Spezies erleiden müssen. Falls überhaupt neue Sucher hinzukommen, sollten sie von den Cakk’rr stammen, die zumindest für sich in Anspruch nehmen können, diese Mrachanis für uns gefangen zu haben.«

»Ich habe diesen Aspekt bereits mit der Sprecherin für Cakk’rr erörtert«, meldete Cvv-panav sich zu Wort. »Es gibt bei den Cakk’rr keinen Sucher mit der entsprechenden Expertise. Sie hat deshalb zugestimmt, in dieser Angelegenheit den Dhaa’rr den Vortritt zu lassen.« Seine Zunge zuckte. »Wie der Oberclan-Primus schon sagte, kann nichts in Verbindung mit einem Krieg als das ausschließliche Eigentum einer einzigen Familie oder eines Clans betrachtet werden.«

Thrr-gilag presste die Zungenspitze gegen den Rachen und hielt den Mund fest geschlossen. Die Gemeinschaft der Alien-Spezialisten der Zhirrzh war eine eher überschaubare Gruppe, und er vermochte mit dem Zungenansatz mindestens drei Cakk’rr-Experten zu nennen, die in der Lage gewesen wären, mit den Mrachanis zu arbeiten. Dass nun ein Dhaa’rr in die Gruppe geholt wurde, war ganz klar eine politische Entscheidung und keine wissenschaftliche.

»Die Kee’rr erhalten ihren Protest aufrecht«, sagte Hgg-spontib im Ton von jemandem, der weiß, wann er eine Schlacht verloren hat. »Und was ist mit dem Sucher Thrr-gilag?«

»Die Dhaa’rr bestehen auf einer gründlichen Untersuchung«, sagte Cvv-panav, bevor der Primus noch etwas zu erwidern vermochte. »Die Flucht des Menschen – des Mensch-Eroberers – muss ordnungsgemäß untersucht werden.«

»Deine Forderung kann derzeit nicht erfüllt werden«, beschied der Primus ihn. »Ein Untersuchungsausschuss ist bereits mit der Auswertung aller Aufzeichnungen von Stützpunktwelt Zwölf befasst. Und bis eine Entscheidung getroffen wird, ist es dem Sucher Thrr-gilag gestattet, das gesamte Verfahren bezüglich der Mrachani-Aliens zu beobachten.«

»Aber er darf nicht mit ihnen sprechen«, verlangte Cvv-panav.

»Dem Protokoll wird natürlich Genüge getan«, sagte der Primus. »Er darf durch den Sucher Nzz-oonaz Fragen stellen.« Er sah Thrr-gilag an. »Akzeptierst du diese Auflagen?«

Als ob er überhaupt eine Wahl gehabt hätte. »Ja«, sagte Thrr-gilag, und sein Schwanz zuckte in einem Anflug von Scham. Svv-selic hatte die Regie der Too’rr bei dieser Mission aus der Hand gegeben, indem er zuließ, dass der menschliche Gefangene zu nah an die Pyramide der Älteren herankam. Und nun hatte der Kee’rr-Clan durch Thrr-gilags Fehler die Position des Sprechers verloren.

Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis Nzz-oonaz einen Fehler machte und Cvv-panav verlangte, dass Gll-borgiv und die Dhaa’rr das Heft in die Hand nahmen? Er vermutete, dass dieser Fall schon ziemlich bald eintreten würde.

»Du siehst so aus, als ob du noch etwas auf dem Herzen hättest, Sucher«, sagte Cvv-panav mit einem provokanten Unterton in der Stimme.

»Nein«, sagte Thrr-gilag und wandte sich abrupt ab. Wenn er in dieser Sache noch weiter insistierte, würde das ihnen nur einen Vorwand liefern, ihn gänzlich von dieser Mission abzuziehen. »Mit der Erlaubnis des Oberclan-Primus würde ich den Komplex gern für eine Weile verlassen.«

»Was ist mit den Aliens?«, fragte der Primus. »Wenn sie aufwachen, wirst du gebraucht.«

Also betrachtete der Primus ihn nach wie vor als ein nützliches Mitglied der Gruppe, auch wenn Cvv-panav anderer Ansicht war. Das war zumindest etwas. »Wenn wir unsere Erfahrungen aus dem Schiff zugrunde legen, müssten sie für mindestens vier oder fünf Zehntbögen schlafen«, sagte Thrr-gilag.

»Also gut«, sagte Primus. »Du kannst gehen, aber ich möchte nicht, dass du dich mehr als ein paar Centumtakte von diesem Raum entfernst. Und vergiss nicht, deinen Standort immer bei den Servern des Oberclan-Schreins zu aktualisieren.«

»Zu Befehl«, sagte Thrr-gilag. Er wandte sich ab und schickte sich an, durch die Menge zur Tür zu gehen …

»Da wäre noch etwas«, ertönte die Stimme des Primus leise hinter ihm.

Thrr-gilag drehte sich leicht perplex zu ihm um. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Primus ihm gefolgt war. »Ja, Oberclan-Primus?«

»Es gibt gewisse Dinge, die dir und deiner Gruppe bekannt sind und von denen die breite Öffentlichkeit der Zhirrzh aber noch keine Kenntnis erlangt hat«, sagte der Primus.

Thrr-gilag zuckte zusammen. Ja: Prr’t-zevisti. »Dessen bin ich mir voll und ganz bewusst«, versicherte er dem Primus. »Ich werde außerhalb des Komplexes kein Wort darüber verlieren.«

»Ich bin sicher, dass du weißt, wovon ich spreche«, fuhr der Primus fort, als ob er bisher überhaupt nichts gesagt hatte. »Geschichten, die Gerüchte in die Welt setzen und Angst verbreiten würden. Sogar Panik – vor allem bei denjenigen, die nicht über den vollen Umfang der Gegenmaßnahmen informiert sind, die das Krieger-Kommando derzeit ergreift.« Er musterte Thrr-gilag intensiv. »Und ich meine damit nicht nur diejenigen außerhalb des Oberclan-Komplexes.«

Thrr-gilag schaute ihn stirnrunzelnd an. Worauf auf allen achtzehn Welten wollte der Primus hinaus?

Und dann kam ihm plötzlich die Erleuchtung. CIRCE – die ultimative Waffe der Menschen. Die gemäß dem Inhalt des erbeuteten menschlichen Aufzeichnungsgeräts schon vor langer Zeit demontiert worden war und deren Komponenten nun aus Sicherheitsgründen über mehrere Planeten ihres Reichs verteilt waren. Wenn man ihnen die Zeit gab, diese Komponenten zusammenzusuchen und sie wieder zu einer funktionsfähigen Waffe zusammenzubauen …

Der Primus musterte ihn noch immer. »Du verstehst?«, sagte er.

»Ja«, sagte Thrr-gilag und schnalzte schaudernd mit der Zunge. Er verstand nur zu gut. Wenn zu diesem Zeitpunkt auch nur der geringste Hinweis nach draußen drang, dass ihre Feinde über eine Waffe verfügten, gegen die es absolut keine Verteidigung gab …

Er schaute den Primus fest an und rief sich die eher beiläufige Bemerkung des anderen in Erinnerung. Nicht nur diejenigen außerhalb des Oberclan-Komplexes … »Dürfte ich wohl fragen«, begann er zögerlich, »wer von den Zhirrzh in dieser Angelegenheit Bescheid weiß?«

»Ich«, sagte Primus. »Dazu ein paar Oberkommandierende des Krieger-Kommandos, die ehemaligen Oberclan-Primusse und vielleicht noch dreißig Ältere der höchsten Sicherheitsstufe. Und natürlich eure Alien-Studiengruppe.«

Thrr-gilag presste die Zunge gegen die Mundhöhle. »Und die Oberclan-Versammlung?«

»Es wäre nicht ratsam, wenn sie es jetzt schon wüsste«, sagte der Primus ungerührt.

»Verstehe«, murmelte Thrr-gilag. Plötzlich ergab das alles auch einen Sinn – diese hektischen Bestrebungen, Brückenköpfe auf den menschlichen Welten zu errichten und Blockadetruppen um sie herum zu stationieren. Das Krieger-Kommando war nicht etwa darauf aus, Gebiete zu erobern; es versuchte vielmehr verzweifelt, eine oder mehrere CIRCE-Komponenten in die Hand zu bekommen oder unter Verschluss zu halten, bevor die Menschen sie zusammenzusetzen vermochten.

Und inzwischen versuchte der Oberclan-Primus mit aller Macht zu verhindern, dass die Zhirrzh-Gesellschaft bei der Vorstellung des potenziellen Genozids, der ihr drohte, in Hysterie und Panik verfiel. Auch wenn das bedeutete, dass sie sogar der Oberclan-Versammlung die Wahrheit vorenthalten mussten.

»Du begreifst die Situation«, sagte der Primus. »Ich könnte dich und die anderen auch irgendwo wegsperren, aber das würde nur Aufmerksamkeit erregen und Fragen aufwerfen. Fürs Erste kannst du dich also frei bewegen; aber sei versichert, dass es dir und deiner Familie schlecht ergehen wird, falls du irgendjemandem etwas von dieser Sache erzählst. Hast du das verstanden?«

»Ja«, stieß Thrr-gilag hervor. »Und wenn ich das einmal sagen darf, Oberclan-Primus, es gibt keinen Grund, Drohungen auszusprechen. Ich weiß genauso gut wie du, dass eine Panik vermieden werden muss.«

»Dann haben wir uns ja verstanden.« Der Primus schien zufrieden. »Wo genau willst du nun hingehen?«

»Ich will nur etwas essen«, sagte Thrr-gilag. »Es gibt in der Nähe ein Restaurant namens ›Schleckerparadies‹, das ich einmal ausprobieren wollte.«

»In Ordnung«, erwiderte der Primus. »Aber als ich sagte, dass du dich in der Nähe des Komplexes aufhalten sollst, habe ich das auch so gemeint. Diese Mrachani-Aliens besitzen vielleicht den Schlüssel für unser Überleben im Kampf gegen die Mensch-Eroberer.«

Überleben. Frühere Oberclan-Primusse hatten, wenn sie im Lauf der Geschichte aggressiven fremden Rassen gegenüberstanden, nicht von Überleben, sondern von Sieg gesprochen. So stand es zumindest in den Chroniken.

Freilich hatte auch keiner ihrer Alien-Feinde jemals eine Waffe wie CIRCE besessen. »Verstehe«, sagte Thrr-gilag leise. »Ich bleibe in der Nähe.«

3

Das »Schleckerparadies«, so hatte Thrr-gilag gehört, erhob den Anspruch, die größte und am stärksten frequentierte Vollservice-Taverne auf allen achtzehn Welten zu sein. Er wusste zwar nicht, ob das wirklich stimmte, doch auf jeden Fall hatte das Etablissement sowohl die Räumlichkeiten als auch den Einzugsbereich, um die Anwartschaft auf diesen Titel zu rechtfertigen. Die Taverne befand sich direkt auf der anderen Seite der Magistrale, die an der Westseite des Oberclan-Komplexes verlief. Sie wurde von den Sprechern und Mitarbeitern der Oberclan-Versammlung besucht und von der Bevölkerung von Union City – eine Population, die überwiegend aus Oberclan-Familienmitgliedern bestand, aus denen sich wiederum die Stammbelegschaft des Komplexes rekrutierte. Der Anzahl der Gäste nach zu urteilen, die sich in der Taverne drängten, schien sich bereits ein großer Teil der Bevölkerung dort eingefunden zu haben. Die Gäste tranken, aßen und unterhielten sich.

Und machten sich große Sorgen. Thrr-gilag vermochte die Angst aus dem nervösen Gelächter herauszuhören; er vermochte sie in den ernsten Mienen der Leute zu sehen, die an den Tischen die Köpfe zusammensteckten, und er vermochte sie in der glyzerin- und schweißgeschwängerten Luft zu riechen.

Irgendwo da draußen, in der Schwärze des Raums, warteten die Menschen. Mächtig, tödlich und gnadenlos … und rüsteten zum Krieg.

Thrr-gilag nippte am Getränk, ließ den Blick durch die Taverne schweifen und lauschte den Gesprächsfetzen, die an sein Ohr drangen. Er staunte wieder einmal über die unglaubliche Geschwindigkeit des Informationsflusses, zu der die Zhirrzh-Kultur imstande war. Er hatte seine wissenschaftliche Sucher-Arbeit über die allgemeine Informationsübertragung zwischen den Kulturen der vier bekannten fremden Rassen geschrieben, und nirgends hatte er etwas gefunden, das mit diesem riesigen informellen Netzwerk aus Älteren vergleichbar gewesen wäre – ein Grund, so lautete die Schlussfolgerung seiner Arbeit, weshalb die Zhirrzh immer den Sieg über die raumfahrenden Rassen davongetragen hatten, von denen sie angegriffen wurden.

Doch war das Reich der Menschen viel größer als alles, dem die Zhirrzh bisher gegenübergestanden hatten. Und wenn die Menschen auch noch ein eigenes Netzwerk aus Älteren hatten …

»Thrr-gilag?«, rief eine Stimme hinter ihm.

Thrr-gilag drehte sich um. Aus einer kleinen Gruppe, die sich um einen der Tische versammelt hatte, winkte Nzz-oonaz ihm zu. Thrr-gilag nahm seinen Drink, rutschte von der Bar-Liege herunter und ging zu ihnen hinüber. »Dachte ich mir doch, dass du das bist«, sagte Nzz-oonaz und wies auf eine freie Liege auf der anderen Seite des Tisches. »Möchtest du dich zu uns setzen?«

»Klar«, sagte Thrr-gilag, quetschte sich an den anderen Zhirrzh vorbei und ließ sich dort nieder. »Ich bin erstaunt, dich hier zu finden – ich hätte eigentlich erwartet, dass du bei unseren Gefangenen bist.«

»Sie schlummern tief und fest«, sagte Nzz-oonaz. »Ich sagte mir, ich könnte es riskieren, sie für eine Weile zu verlassen.« Seine Zunge zuckte verdrießlich. »Zumal Gll-borgiv alles unter Kontrolle zu haben scheint.«

»Er will den Laden übernehmen, stimmt’s?«

»Er versucht es jedenfalls«, sagt Nzz-oonaz. »Er und der ganze Dhaa’rr-Clan – vom Sprecher Cvv-panav abwärts. Ich bin fast schon geneigt, ihnen den ganzen Kram vor die Füße zu schmeißen. Sollen sie doch sehen, wie weit sie damit kommen.«

Thrr-gilag ließ den Blick über die Gruppe schweifen. Alle waren junge Angehörige des Oberclan-Personals, wie er nun sah. Sie trugen die Overalls und Rangabzeichen aller möglichen Dienstposten innerhalb des Komplexes. War das etwa ein Gefolge jugendlicher Bewunderer? Oder waren sie eine unauffällige Eskorte, die sicherstellen sollte, dass niemand den Namen CIRCE erwähnte? »Nach dem, was ich von Sprecher Cvv-panav gehört habe, würde er sich dieser Herausforderung vielleicht gern stellen«, bemerkte er.

»Da bin ich mir sicher.« Nzz-oonaz verzog das Gesicht. »Bis zu dem Punkt, wo er der Sache nicht mehr gewachsen ist.« Er nahm einen Schluck aus der Tasse. »Das gefällt mir nicht, Thrr-gilag. Überhaupt nicht. Und schon gar nicht diese Sache mit den Mrachanis.«

»Geht’s nicht etwas genauer?«

»Die ganze Sache erscheint mir irgendwie suspekt«, sagte Nzz-oonaz. »Sie eröffnen mit Älterentod-Waffen das Feuer auf das Cakk’rr-Schiff, ignorieren aber völlig meine Frage nach dem Grund. Dann schlafen sie praktisch den ganzen Weg zurück von Stützpunktwelt Zwölf – wodurch sie sich bequem einer Befragung entziehen können – und wachen dann gerade so lange auf, um uns wissen zu lassen, dass sie die Sprache der Menschen beherrschen. Dann kommen wir hierher, und wieder sind sie gerade so lange aktiv, um ein Hilfegesuch zu stellen, bevor sie wieder abdriften. Man sollte eigentlich glauben, dass sie nach vier Vollbögen genesen und wieder zu Kräften kommen würden, doch weder ihr Verhalten noch die Stoffwechselwerte sprechen dafür.«

Thrr-gilag dachte darüber nach. Dass während des Flugs hierher überhaupt keine Kommunikation mit den Mrachanis stattgefunden hatte, hatte ihn auch irritiert. »Trotzdem sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen«, sagte er. »Ohne Richtwerte für ihre Biochemie beziehungsweise den Stoffwechsel wissen wir wirklich nicht, wie schwer ihre Verletzungen sind.«

Nzz-oonaz grunzte. »Ja. Wieder ausgesprochen praktisch für sie.«

»Glaubst du, dass sie Spione der Mensch-Eroberer sind, Sucher?«, fragte einer der jungen Oberclan-Mitarbeiter.

»Das wäre eine Möglichkeit«, antwortete Nzz-oonaz. »Eine andere wäre die, dass man sie als Köder hierher geschickt hat, um uns die Geschichte von einem unterdrückten Volk aufzutischen, das Bundesgenossen sucht. Wenn wir ihnen dann zu Hilfe kommen, wechseln sie die Seiten und fallen uns in den Rücken. Das haben wir nämlich schon oft genug untereinander praktiziert.«

Ein paar Centumtakte lang sagte niemand etwas. Thrr-gilag nippte an seinem Getränk, lauschte dem Raunen der anderen Gespräche und ließ den Blick durch die Taverne schweifen. Es war ein gemischtes Publikum an diesem Nachmittenbogen, und es entsprach auch nicht den traditionellen sozialen Standards der Clan-Struktur, die die Norm der Zhirrzh-Gesellschaft war. Bau- und Wartungsarbeiter, Akademiker wie Sucher und Advokaten, sogar ein paar Krieger von den Stützpunkten in Union City – alle saßen oder standen bunt gemischt herum und tranken miteinander. Und über allem und durch alles schwebte eine Wolke aus Älteren, die den Gesprächen lauschten, sich daran beteiligten oder einfach nur zuschauten. Manche betrachteten die »unschickliche« Durchmischung der sozialen Schichten mit unverhohlener Missbilligung; und andere schauten wehmütig oder mit genauso unverhohlenem Neid auf die speisenden und trinkenden Gäste.

Überwiegend glich ihr Gesichtsausdruck jedoch dem der körperlich existierenden Personen um sie herum. Wie alle anderen war auch die Gemeinschaft der Älteren besorgt.

»Vielleicht sind wir auch nur zu zynisch«, meinte ein anderer junger Oberclan-Angehöriger am Tisch. »Vielleicht meinen die Mrachanis es wirklich ernst. Dann könnte ich durchaus verstehen, dass diese Mensch-Eroberer allen eine ziemliche Angst einjagen.«

Thrr-gilag sah den grimmigen Ausdruck auf Nzz-oonaz’ Gesicht. Wenn du auch nur die halbe Wahrheit wüsstest, mein Junge, sagte er sich. »Ich bin sicher, wir werden uns diesbezüglich schon bald Klarheit verschaffen«, sagte er. »Apropos menschliche Angriffe: Nzz-oonaz, hat schon jemand bestätigt, ob die Kriegsschiffe, die auf Studienwelt Achtzehn die Pyramide attackiert hatten, dieselben Einheiten sind, die uns fünf Zehntbögen später angegriffen haben?«