Star Wars™ Thrawn - Der Aufstieg - Drohendes Unheil - Timothy Zahn - E-Book

Star Wars™ Thrawn - Der Aufstieg - Drohendes Unheil E-Book

Timothy Zahn

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Beschreibung

Wie wurde Großadmiral Thrawn zu einem der brillantesten »Star Wars«-Bösewichte? Der Auftakt der neuen Thrawn-Trilogie von SPIEGEL-Bestsellerautor Timothy Zahn.

Die Chiss-Aszendenz ist eine Bastion des Friedens und der Stabilität im Chaos der unbekannten Regionen der Galaxis – bis sie ein Angriff von Unbekannten wie aus dem Nichts trifft. Die neun Herrscherfamilien entsenden den unerfahrenen, aber brillanten Offizier Thrawn, um den Gegner aufzuspüren. Doch als Thrawns erstes Kommando immer tiefer in die unbekannten Regionen der Galaxis vordringt, wird ihm klar, dass seine Mission nicht das ist, was sie zu sein scheint. Und dass die Bedrohung für die Aszendenz erst am Anfang steht …


Alle »Star Wars«-Romane über Thrawn:
Die Thrawn-Trilogie (Legenden)
1. Erben des Imperiums
2. Die dunkle Seite der Macht
3. Das letzte Kommando

Die Thrawn-Trilogie (Kanon)
1. Thrawn
2. Thrawn – Allianzen
3. Thrawn – Verrat

Die Ascendancy-Trilogie (Kanon)
1. Drohendes Unheil
2. Verborgener Feind
3. Teurer Sieg

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Seitenzahl: 572

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Buch

Die Chiss-Aszendenz ist eine Bastion des Friedens und der Stabilität im Chaos der unbekannten Regionen der Galaxis – bis sie ein Angriff von Unbekannten wie aus dem Nichts trifft. Die Neun Herrscherfamilien entsenden den unerfahrenen, aber brillanten Offizier Thrawn, um den Gegner aufzuspüren. Doch als Thrawns erstes Kommando immer tiefer in die unbekannten Regionen der Galaxis vordringt, wird ihm klar, dass seine Mission nicht das ist, was sie zu sein scheint. Und dass die Bedrohung für die Aszendenz erst am Anfang steht …

Autor

Timothy Zahn wurde 1951 in Chicago geboren, lebt in Oregon und ist heute einer der beliebtesten Science-Fiction-Autoren der USA. Für seine Novelle »Cascade Point« wurde Zahn mit dem renommierten Hugo Award ausgezeichnet.

Alle »Star Wars«-Romane über Thrawn:

Die Thrawn-Trilogie (Legenden)

1. Erben des Imperiums

2. Die dunkle Seite der Macht

3. Das letzte Kommando

Die Thrawn-Trilogie (Kanon)

1. Thrawn

2. Thrawn – Allianzen

3. Thrawn – Verrat

Die Ascendancy-Trilogie (Kanon)

1. Drohendes Unheil

2. Verborgener Feind

3. Teurer Sieg

Timothy Zahn

Thrawn -Der Aufstieg

Drohendes Unheil

Deutsch von Andreas Kasprzak

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Star Wars™ Chaos Rising (Thrawn Ascendancy 1)« bei Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe

Copyright © 2020 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.

All rights reserved.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage © & TM 2021 LUCASFILMLTD

Covermotiv und -design: Sarofsky

HK · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-26956-2V001

www.blanvalet.de

Für all jene, die am Rande des Chaos stehen.

DRAMATIS PERSONAE

Thrawn // Mitth’raw’nuruodo – Meriten-Adoptivling der Mitth-Familie

Ziara // Irizi’ar’alani – Blutmitglied der Irizi-Familie

Thalias // Mitth’ali’astow – Meriten-Adoptivling der Mitth-­Familie

Thurfian // Mitth’urf’ianico – Syndic der Mitth-Familie

Samakro // Ufsa’mak’ro – Meriten-Adoptivling der Ufsa-Familie

General Ba’kif

Che’ri // Himmelsläuferin

Qilori von Uandualon // Pfadfinder-Navigator (Nicht-Chiss)

General Yiv der Wohlwollende // Nikardun-Kommandant

DIE CHISS-ASZENDENZ

Die Neun Herrschenden Familien

Ufsa Plikh Irizi

Boadil Dasklo Mitth

Clarr Obbic Chaf

Chiss-Familienränge

Blut

Geprüfter

Vetter

Meriten-Adoptivling

Drittrangiger

Politische Hierarchie

Patriarch // Kopf der Familie

Sprecher // Haupt-Syndic der Familie

Syndic // Mitglied des Syndicure, des primären Regierungs­organs

Patriel // Handhabung von Familienangelegenheiten auf planetarer Ebene

Konzillar // Handhabung von Familienangelegenheiten auf ­lokaler Ebene

Aristokra // Mittleres Mitglied einer der Neun Herrschenden Familien

Es war einmal vor langer Zeitjenseits einer weit, weit entfernten Galaxis …

Tausende Jahre lang war sie eine Enklave des Friedens inmitten des Chaos. Ein Knotenpunkt der Macht, ein Symbol der Stabilität, ein Leuchtfeuer der Integrität. Die Neun Herrschenden Familien stabilisieren sie von innen, die Expansive Verteidigungsflotte stabilisiert sie von außen. Ihren Nachbarn ist Frieden sicher, ihren Feinden der Untergang. Sie ist Licht und Kultur und Pracht …

Die Aszendenz der Chiss.

PROLOG

Der Angriff auf Csilla, die Heimatwelt der Chiss-Aszendenz, war schnell, unerwartet und – trotz seines geringen Umfangs – überraschend effizient.

Die drei großen Kriegsschiffe erschienen aus dem Hyperraum auf weit aufgefächerten Vektoren, und während sie Richtung Csilla vorstießen, entfesselten sie die ganze Energie ihrer Spektrallaser gegen die Defensivplattformen und die Kriegsschiffe der Chiss-Verteidigungsflotte im Orbit. Obwohl diese Plattformen und Schiffe vollkommen überrascht wurden, brauchten sie weniger als eine Minute, um den Beschuss zu erwidern. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Angreifer bereits die Richtung gewechselt; sie hielten nun auf eine Ansammlung von Lichtern auf der eisigen Oberfläche des Planeten zu – die Hauptstadt Csaplar. Die Laser setzten ihren Beschuss fort, und als sie bis auf Feuerreichweite heran waren, erweiterten sie ihre Kanonade um Raketensalven.

Letztlich war all das jedoch umsonst. Die Defensivplattformen holten die Raketen mühelos vom Himmel, während die Schlachtkreuzer die angreifenden Schiffe selbst ins Visier nahmen und sie in Fetzen schossen. Anschließend gingen sie sicher, dass keines der Trümmer groß genug war, um den Atmosphären­eintritt zu überstehen. Fünfzehn Minuten nachdem die Aggressoren aufgetaucht waren, war alles schon wieder vorbei.

Die Bedrohung war neutralisiert, dachte Supreme General Ba’kif grimmig, während er den zentralen Korridor zur Kuppel hinabschritt – dem Ort, wo sich die Aristokra versammelt hatten, nachdem sie wieder aus den Schutzbunkern gekommen waren.

Jetzt begann der richtige Feuersturm.

Und er versprach wirklich heiß zu werden. Als oberstes Regierungsorgan der Aszendenz hüllte sich das Syndicure gern in eine Aura aus Gewissenhaftigkeit, Edelmut und unangreifbarer Würde. Und die meiste Zeit über – abgesehen von den unvermeidbaren politischen Rangeleien – kam das der Wahrheit auch ziemlich nahe.

Nicht aber heute. Das Syndicure hatte eine Vollversammlung einberufen, und die Sprecher hatten für den Abend ihre privaten Treffen geplant, was bedeutete, dass fast alle hochrangigen Aristokra der Aszendenz in ihren Büros, in den Sitzungsräumen oder auf den Korridoren dazwischen gewesen waren, als der Alarm losgeplärrt hatte. Die Bunker unter der Kuppel waren relativ geräumig und boten ein Mindestmaß an Komfort, aber es war Jahrzehnte her, seit Csilla das letzte Mal Ziel eines direkten Angriffs geworden war, und Ba’kif bezweifelte, dass die aktuellen Regierungsvertreter jemals dort unten gewesen waren.

Und ihre Stimmung war auch ganz sicher nicht durch die beiden Stunden erzwungener Tatenlosigkeit verbessert worden, während das Verteidigungskommando abwartete, ob ein zweiter Angriff folgen würde. Ba’kif machte sich keine Illusionen, dass sie ihre Frustration gewissenhaft oder edelmütig oder würdevoll entladen würden.

Er sollte recht behalten.

»Was mich interessiert«, sagte der Sprecher der Ufsa-Familie, nachdem Ba’kif seinen Bericht beendet hatte, »ist, wer diese Fremdweltler sind, die glauben, sie könnten mit einem Angriff gegen uns durchkommen. Ein Name, General – wir wollen einen Namen.«

»Ich fürchte, den kann ich Ihnen nicht liefern, Sprecher«, erwiderte Ba’kif.

»Wieso nicht?«, wollte der Sprecher wissen. »Sie haben die Trümmer geborgen, oder nicht? Sie haben Datenaufzeichnungen und Leichen und Waffenprofile. Ausgehend von alldem können Sie uns doch sicher einen Namen nennen.«

»Die Aszendenz wurde angegriffen«, schaltete sich mit grimmigem Ton der Sprecher der Mitth-Familie ein – als wollte er sichergehen, dass den anderen diese Tatsache auch nicht entgangen war. »Um die Verantwortlichen für diese Arroganz zu bestrafen, müssen wir wissen, wer sie sind.«

»Genau«, pflichtete Ufsa bei, wobei er kurz den Tisch entlangblickte.

Ba’kif unterdrückte ein Seufzen. In vergangenen Zeiten hatten große Bedrohungen die Herrschenden Familien zusammengeschweißt und sie selbst über ihre politischen Grabenkämpfe hinwegblicken lassen. Er hatte die Hoffnung gehegt – die kleine Hoffnung –, dass der heutige Angriff eine ähnliche Reaktion nach sich ziehen würde.

Doch offensichtlich war dem nicht so. Insbesondere was die Ufsa und Mitth anging. Diese Familien befanden sich mitten in einem besonders verworrenen Wettstreit um ein neu erschlossenes Bergbaugebiet auf Thearterra, und der Ufsa war sichtlich verärgert, dass der Hauptrivale seiner Familie ihm nun einen Teil des Rampenlichts stahl. »Mehr noch«, fügte er mit blitzenden Augen hinzu, als wollte er den Mitth herausfordern, ihn noch einmal zu unterbrechen. »Wir brauchen Gewissheit, dass das Expansionskommando über die nötigen Ressourcen verfügt, um die Chiss gegen weitere Vorstöße dieser unbekannten Feinde zu schützen.«

Der Questis-Datenleser, der vor Ba’kif auf dem Tisch lag, blinkte; ein neuer Bericht war eingegangen. Er nahm das Gerät hoch und hielt es schräg in der linken Handfläche, während er mit dem Finger am Rand entlangfuhr, um durch den Text zu scrollen. »Das Syndicure muss keine Angst um seine Sicherheit haben«, sagte er. »Ich habe gerade erfahren, dass vier zusätz­liche Kreuzer des Expansionskommandos von Naporar aufgebrochen sind, um die hier stationierten Schiffe des Verteidigungskommandos zu unterstützen.«

Innerlich schnitt er eine Grimasse. Junge Männer und Frauen, bereit, ihr Leben zum Schutz ihrer Heimatwelt zu opfern. Sie ­waren nobel und ehrenhaft … und würden sich völlig umsonst opfern, sollte es so weit kommen, wie Ba’kif und alle anderen in der Kuppel wussten.

»Und falls sie andere Welten innerhalb der Aszendenz überfallen?«, hakte der Ufsa nach.

»Andere Schiffe wurden bereits in die benachbarten Systeme entsandt, um auf die Eventualität von Folgeangriffen vorbereitet zu sein«, erklärte Ba’kif.

»Hat denn jemand Angriffe gemeldet oder feindliche Schiffe gesichtet?«, wollte der Sprecher der Clarr wissen.

»Noch nicht, Sprecher«, antwortete er. »Soweit wir bislang wissen, war dies ein isolierter Vorfall.«

Die Sprecherin der Familie Obbic stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln, General«, sagte sie. »Niemand entsendet aus einer Laune heraus Kriegsschiffe gegen die Aszendenz und geht dann einfach wieder nach Hause. Jemand dort draußen schmiedet ein Komplott gegen uns. Und wir müssen diesen Jemand finden und ihm eine Lektion erteilen.«

So ging es eine geschlagene Stunde weiter, wobei die Neun Herrschenden Familien – und einige der Großen Familien, die in diese elitäre Gruppe aufsteigen wollten – darauf achteten, dass ihre Empörung und Entschlossenheit auch angemessen im Protokoll festgehalten wurde.

Größtenteils war es eine Verschwendung von Ba’kifs Zeit. Zum Glück hatte ihn seine langjährige Erfahrung beim Militär gelehrt, wie man einem Politiker mit einem Ohr zuhört, während man sich im Geiste auf andere, dringendere Angelegenheiten konzentriert.

Die Sprecher und Syndics wollten wissen, wer die Aszendenz angegriffen hatte, aber sie konzentrierten sich auf die falschen Fragen.

Denn das Wer war längst nicht so interessant wie das Warum.

Der Obbic hatte recht: Niemand würde Csilla einfach nur zum Spaß angreifen; erst recht nicht, wenn dieser Angriff drei Großkampfschiffe kostete und keinerlei Wirkung zeigte. Entweder die Angreifer hatten sich auf fatale Weise verschätzt, oder sie verfolgten einen subtileren Plan.

Doch wie könnte dieser Plan aussehen?

Die Mehrheit des Syndicure ging offensichtlich davon aus, dass der Überfall das Vorspiel zu einer größeren, längeren Offensive war. Sobald sie genug davon hatten, sich hier gegenseitig in ihrer Entrüstung zu übertrumpfen, würden sie sicherlich fordern, dass das Verteidigungskommando seine Schiffe zum Schutz der Hauptsysteme zusammenzog. Mehr noch, vermutlich würden sie darauf bestehen, dass auch das Expansionskommando seine Flotte von den Grenzen zurückbeorderte, um diesen Verteidigungsring zu stärken.

War das vielleicht das Ziel? Dafür zu sorgen, dass die Chiss sich ganz nach innen wandten, nicht nach außen blickten? In dem Fall würden sie dem Feind direkt in die Hände spielen, sollten sie den Forderungen des Syndicure nachgeben. Falls die Syndics hingegen recht hatten – falls dies der Beginn einer groß angelegten Invasion war –, dann wäre es absolut fatal, die Expansionsflotte draußen im Chaos zu lassen. Was immer sie taten, es könnte die falsche Entscheidung sein, und wenn sie schließlich Gewissheit hätten, wäre es vermutlich schon zu spät, um einen Irrtum noch zu korrigieren.

Doch während Ba’kif die Optionen abwog, fiel ihm eine andere Möglichkeit ein. Vielleicht hatte der Angriff gar nicht darauf abgezielt, die Aszendenz von etwas abzulenken, was in Kürze beginnen würde? Was, falls es um etwas ging, was bereits begonnen hatte? Das wäre zumindest etwas, was er jetzt gleich überprüfen konnte. Unauffällig begann er, Suchbegriffe auf seinem Questis einzugeben.

Die Sitzung in der Kuppel setzte sich fort, er gab weiter brummende Geräusche von sich, während er so tat, als würde er zuhören. Und dann hatte er schließlich seine Antwort.

Nun, vielleicht.

Einer von Ba’kifs Adjutanten erwartete ihn bereits, als er schließlich in sein Büro zurückkehrte. »Konnten Sie ihn erreichen?«, fragte Ba’kif.

»Ja, Sir«, bestätigte der Adjutant. »Er ist auf Naporar; er beendet dort gerade die Behandlung seiner Verletzungen aus dem Kampf gegen die Vagaari-Piraten.«

Ba’kif zog die Brauen zusammen. Nach rein militärischen Maßstäben war diese Operation ein Erfolg gewesen, auf politischer Ebene jedoch ein absolutes Fiasko. Selbst jetzt noch, viele Monate später, war ein Großteil der Aristokra mit den Folgen dieses Debakels beschäftigt. »Wann ist er wieder einsatzbereit?«

»Wann immer Sie wünschen, Sir«, erwiderte der Adjutant. »Er sagte, er wartet nur auf Ihren Befehl.«

»Gut.« Ba’kif blickte auf sein Chrono. Es würde eine halbe Stunde dauern, die Whirlwind startbereit zu machen, danach vier Stunden Flug, um Naporar zu erreichen, eine weitere halbe Stunde, um einen Shuttle zum Medizentrum des Chiss-Expansionskommandos zu schicken … »Informieren Sie ihn, dass er fünf Stunden hat, sich vorzubereiten.«

»Jawohl, Sir.« Der Adjutant zögerte. »Soll ich den Befehl in den Akten verzeichnen, oder ist das ein privater Flug?«

»Verzeichnen Sie ihn«, sagte Ba’kif. Die Aristokra würden nicht glücklich sein, wenn sie von dieser Sache erführen – das Syndicure könnte vielleicht sogar ein Tribunal einberufen und noch mehr seiner Zeit mit nutzlosen Fragen vergeuden –, aber er war entschlossen, strikt nach Vorschrift zu handeln. »Befehl von Supreme General Ba’kif«, diktierte er, wobei seine Stimme eine Oktave tiefer wurde – wie immer, wenn er formelle Befehle gab. »Ich requiriere ein Schiff für mich und Captain Mitth’raw’nuruodo. Ziel: Dioya. Zweck: Untersuchung eines verlassenen Schiffes, das vor zwei Tagen in den äußeren Systemen gefunden wurde.«

»Jawohl, Sir«, bestätigte sein Adjutant hastig. Sein Tonfall war von einstudierter Neutralität und gab nichts von seinen eigenen Gefühlen preis. Ba’kif wusste aber, dass Captain Thrawn nicht nur bei den Mitgliedern der Aristokra einen zweifelhaften Ruf genoss.

Doch im Moment scherte Ba’kif sich nicht darum. Er hatte den ersten Teil der Frage nach dem Warum beantwortet.

Und er kannte nur eine Person, die den zweiten Teil enträtseln könnte.

ERINNERUNG I

Von all den Aufgaben, die mittleren Familienmitgliedern aufgebürdet wurden, gehörte die Rekrutierung zu den schlimmsten, befand Aristokra Mitth’urf’ianico, während er säuerlich den Korridor der Oberschule hinabschritt. Es war langweilige Arbeit, sie erforderte ständiges Reisen, und in viel zu vielen Fällen entpuppte sie sich als völlige Zeitverschwendung. Dieser Besuch auf Rentor – einem Planeten, der trotz seiner relativen Nähe zu Csilla rückständig und verschlafen war – versprach ein weiterer solcher Fall zu werden.

Trotzdem: Wenn ein General – auch wenn er erst kürzlich befördert worden war – einen vielversprechenden Rekruten gefunden haben wollte, dann musste die Familie der Sache nachgehen.

Ba’kif wartete bereits an der Balustrade der Versammlungshalle, als der Aristokra dort eintraf. Der Gesichtsausdruck des Generals kündete von beherrschtem Diensteifer; das Gesicht selbst war viel zu jung, um zu seiner Uniform zu passen. Aber so war es nun mal, wenn man zu einer einflussreichen Familie gehörte.

Ba’kifs Augen leuchteten auf, als er den Neuankömmling erblickte. »Aristokra Mitth’urf’ianico?«, fragte er.

»Das bin ich. General Ba’kif?«

»Richtig.«

Nun, da den Formalitäten Genüge getan war, konnten sie zu weniger umständlichen Titeln und Kernnamen übergehen. »Also, wo ist dieser Schüler, für den ich um den halben Planeten geflogen bin?«, fragte Thurfian.

»Da unten.« Ba’kif deutete auf die Reihen von Schülern, die gerade ihre morgendlichen Eide aufsagten. »Dritte Reihe, rechts.«

Dann war er also der Reihenführer? Beeindruckend – zumindest ein wenig. »Name?«

»Kivu’raw’nuru.«

Kivu. Von dieser Familie hatte Thurfian noch nie gehört. »Und?«, fragte er, während er seinen Questis hervorzog und den Familiennamen eintippte.

»Und seine Noten, sein Talent und seine Logikmatrix sind absolut außergewöhnlich«, erklärte Ba’kif. »Er ist der perfekte Kandidat für die Taharim-Akademie auf Naporar.«

»Hmm«, machte Thurfian, nachdem er die Daten überflogen hatte. Die Kivu waren die wohl unbedeutendste Familie, die die Chiss-Aszendenz je hervorgebracht hatte. Kein Wunder, dass er nicht mit ihr vertraut war. »Und wieso haben Sie uns kontaktiert?«

»Weil die Mitth dieses Jahr immer noch zwei offene Plätze für die Akademie haben«, antwortete Ba’kif. »Falls Sie Vurawn nicht fördern, wird er ein ganzes Jahr auf eine neue Chance warten müssen.«

»Wäre das denn so schlimm?«

Ba’kifs Züge verhärteten sich. »Ja, ich denke schon«, sagte er, wobei er seinen eigenen Questis hochhielt. »Hier ist seine Schulakte.«

Thurfian schürzte die Lippen und scrollte durch den Text. Er hatte schon bessere Leistungen gesehen, aber nicht oft. »Hier steht nirgends, dass seine Familie ihn für den Militärdienst vorbereitet hat.«

»Hat sie auch nicht«, bestätigte Ba’kif. »Sie ist eine kleine Familie ohne die Mittel oder die Beziehungen, die die Mitth in diesem Feld haben.«

»Nun, würden sie ihn für so außergewöhnlich halten, hätten sie sicher einen Weg gefunden, die nötigen Mittel aufzubringen«, entgegnete Thurfian barsch. »Sie finden also, die Mitth sollten vortreten und den Jungen mit offenen Armen aufnehmen? Einfach so, ohne irgendwelche Fragen?«

»Sie können so viele Fragen stellen, wie Sie wollen«, erwiderte Ba’kif. »Ich habe bereits veranlasst, dass er für ein Bewertungsgespräch vom Unterricht befreit wird.«

Thurfian lächelte schmallippig. »Sind die Aristokra so berechenbar?«

»Die Aristokra? Nein.« Ba’kif erwiderte sein Lächeln. »Aber ihre Rivalen schon.«

»Das stimmt wohl«, räumte Thurfian ein, bevor er den Blick einmal mehr zu Vurawns Akte senkte. Falls in dem Jungen auch nur die Hälfte des hier beschriebenen Potenzials steckte, wäre er ein würdiger Neuzugang für die Mitth-Familie.

Einst, vor Tausenden von Jahren, waren die Familien einfach nur … Familien gewesen: kleine, durch Blut und Heirat verbundene Gruppen. Doch die offensichtlichen Beschränkungen dieses Systems hatten zu sozialen Diskrepanzen und Schichtenbildung geführt. Also hatten einige Patriarchen begonnen, Außenstehende ohne Heirat in ihre Familien einzugliedern. Diese frühen Experimente hatten schließlich das gegenwärtige System hervorgebracht, in dem geeignete Kandidaten als Meriten-Adoptivmitglieder aufgenommen wurden. Und jene, die sich als würdig erwiesen, konnten in den Rang eines Geprüften, womöglich sogar in den eines Drittrangigen aufsteigen.

Vurawn erfüllte sicherlich alle Kriterien, um ein Meriten-Adoptivling zu werden. Wichtiger noch, falls die Mitth ihn jetzt aufnahmen, könnten die Irizi ihnen den Jungen später nicht wegschnappen. Es waren Familienrivalitäten wie diese, die Ba’kifs Bemerkung von wegen Berechenbarkeit so pointiert machten.

Doch darum ging es hier nicht. Das Syndicure hatte den langjährigen Forderungen des Verteidigungskommandos endlich nachgegeben und dessen Befähigungen und Mandat ausgeweitet. Das Resultat war das jüngst gegründete Expansionskommando. Seine Mission: die Interessen der Chiss in den Teilen des Chaos zu vertreten, die außerhalb der Grenzen der Aszendenz lagen. Sie sollten diese unbekannten Gebiete erforschen und ihr Gefahrenlevel einschätzen.

Ausnahmsweise war die Aristokra sogar überaus großzügig mit ihren Militärgeldern gewesen. Neue Schiffe, Basen und Versorgungseinrichtungen für das Expansionskommando befanden sich bereits im Bau, und diese neue Flotte würde alle kompetenten Offiziere und Krieger brauchen, die sie nur kriegen konnte.

Dieser Vurawn könnte es in einer solchen Flotte weit bringen. Und aller Ruhm, den er erntete, wäre auch der Ruhm seiner Familie.

»In Ordnung«, sagte Thurfian. »Unterhalten wir uns mit ihm. Mal sehen, wie er sich in einer direkten Befragung verhält.«

»Ich hoffe, die Anlage ist nicht zu weit entfernt«, sagte Vurawn, als Thurfians Gleiter über die Landschaft von Rentor brauste. »Ich verpasse bereits heute den gesamten Unterricht. Meine Lehrer wären sicher unzufrieden, sollte ich auch morgen nicht erscheinen.«

»Darum musst du dir keine Sorgen machen«, sagte Thurfian mit erzwungener Geduld in der Stimme. Begriff der Junge denn nicht, was für eine Ehre ihm hier zuteilwurde?

Offensichtlich nicht. Sein Unterricht war ihm wichtiger, als von einer der Neun Herrschenden Familien adoptiert zu werden.

Rentor stellte politisch und kulturell nicht gerade den Nabel der Aszendenz dar, und Thurfian wusste, dass man hier ein gewisses Maß an Ignoranz erwarten musste. Trotzdem … die Begriffsstutzigkeit, die Vurawn gerade an den Tag legte, war selbst für das ungebildete Volk von Rentor beispiellos.

Zum Glück schwebte Ba’kif nur eine militärische Karriere für den Jungen vor. Jeder wusste, dass politisches Verständnis dort nicht so wichtig war.

Aber erst mal musste sich Vurawn des Namens Mitth als würdig erweisen, und das war noch lange nicht sicher. Thurfian hatte seinen Bericht abgegeben; als Nächstes würden die Konzillare, die hier auf Rentor die Interessen der Mitth vertraten, den Jungen befragen. Sollten sie ausreichend beeindruckt sein, stand danach ein Gespräch mit der regionalen Patriel höchstselbst an. Anschließend würden die Ergebnisse dieser Befragungen an den Familiensitz auf Csilla übermittelt, und man würde eine endgültige Entscheidung treffen. Erst dann würde Vurawn erfahren, ob er würdig war, ein Meriten-Adoptivling der Mitth zu werden. In der Regel nahm der gesamte Prozess zwei bis drei Monate in Anspruch, aber Thurfian hatte auch schon Beratungen erlebt, die ein halbes Jahr oder …

Sein Questis piepste. Er zog das Gerät aus der Tasche und tippte es an.

Eine Textnachricht erschien – eine sehr kurze Textnachricht.

Vurawn wurde als Meriten-Adoptivling akzeptiert.

Thurfian blinzelte. Akzeptiert?

Unmöglich. Die Befragungen … die Einschätzung durch die Patriel … die Beurteilung durch den Familienhauptsitz …

Aber da stand es auf dem Display. Irgendjemand hatte das übliche Prozedere übersprungen, und nichts, was die anderen Instanzen jetzt noch sagten, würde die Entscheidung ändern.

Tatsächlich konnten die anderen Instanzen keine Einwände mehr vorbringen. Thurfian war sicher, dass die Patriel dieselbe Nachricht erhalten hatte. Sobald sie den Prüfungskomplex erreichten, würde man Vurawn aus der Familie Kivu lösen, ihn zu einem Mitth erklären … und damit wäre die Sache abgeschlossen.

»Gibt es ein Problem?«, fragte Vurawn.

»Nein.« Thurfian steckte den Questis in seine Tasche zurück. Konnte es wirklich sein, dass seine eigene Befragung des Jungen und dessen schulische Leistungen ausgereicht hatten, um ihm eine Aufnahme zu sichern?

Es ergab keinen Sinn. So beeindruckend seine Noten auch sein mochten, das konnte unmöglich der einzige Grund sein. Offensichtlich hatte jemand hoch oben in der Familienhierarchie Thurfians Mission auf Rentor genau verfolgt. Mehr noch, derselbe Jemand musste Vurawn schon eine ganze Weile beobachtet haben, vielleicht schon sein ganzes Leben. Und er hatte längst entschieden, dass es im besten Interesse der Mitth wäre, den Jungen zu einem Adoptivmitglied zu machen.

Falls die Entscheidung also schon gefallen war … warum hatte man Thurfian dann überhaupt hergeschickt, um mit Vurawn zu sprechen? So viel Gewicht konnte seine persönliche Empfehlung im Familienhauptsitz doch gar nicht haben.

Nein, natürlich nicht. Thurfians Präsenz hier sollte vertuschen, dass Vurawn längst für eine Aufnahme ausgewählt worden war. Es war ein rein politisches Manöver – wie alles, was die Neun Familien taten.

Seine Gedanken kehrten ins Hier und Jetzt zurück, und er runzelte die Stirn. Er hatte keinerlei Reaktion gezeigt, als er die Nachricht gelesen hatte – er war schon so lange Mitglied der Aristokra, schon so lange Teil der politischen Nahrungskette, dass er Emotionen wie Überraschung automatisch aus seinem Gesicht und seiner Stimme verbannte. Doch irgendwie hatte Vurawn seine Verwirrung erkannt und nachgefragt.

Thurfian musterte den Jungen erneut. Er musste eine außergewöhnlich scharfe Auffassungsgabe haben. Vielleicht steckte wirklich mehr in ihm, als er bislang gezeigt hatte; ein Funke, der ihm und seiner Familie eines Tages Ruhm und Ehre einbringen würde.

Oder zumindest schien jemand im Familienhauptsitz das so zu sehen. Und er hatte beschlossen, dass es die Familie Mitth sein sollte, die sich im Glanze dieses Ruhmes sonnen würde.

Die Frage, ob die Taharim-Akademie den Jungen auch wirklich aufnehmen würde, stand zwar noch offen, aber wenn Vurawns unbekannter Wohltäter im Hintergrund ­bereits so viele Fäden gezogen hatte, war wohl davon auszugehen, dass er sich auch um dieses Detail bereits gekümmert hatte.

Thurfian starrte grimmig auf die vorbeirasende Landschaft. Es gefiel ihm nicht, manipuliert zu werden. Und erst recht gefiel es ihm nicht, dass die korrekten, bewährten Prozeduren einfach über den Haufen geworfen wurden, nur weil jemand nicht warten wollte.

Aber er war ein Aristokra der Mitth, und es stand ihm nicht zu, die Entscheidungen seiner Familie zu kritisieren. Er erfüllte die Aufgaben, die man ihm zuwies, das war seine einzige Rolle.

Nun, vielleicht würde sich das eines Tages ja noch ändern.

»Kein Problem«, sagte er. »Ich habe gerade erfahren, dass du angenommen wurdest.«

Vurawns Augen weiteten sich. »So schnell?«

»Ja«, bestätigte Thurfian. Im Stillen genoss er die Reaktion des Jungen. Man konnte ihn also doch überraschen. Und er wusste genug über die Politik der Chiss, um zu ­erkennen, wie außergewöhnlich die Situation war. »Vermutlich werden wir gleich mit der Zeremonie beginnen, wenn wir den Komplex erreichen.«

»Und ich werde zum Meriten-Adoptivling?«

Ah, der Junge war also doch nicht ganz ahnungslos, was die Herrschenden Familien anging. »Das ist die erste Stufe«, bestätigte Thurfian. »Falls du dich als würdig erweist, könntest du später in den Rang eines Geprüften aufsteigen.«

»Und dann zu einem Drittrangigen?«, sagte Vurawn nachdenklich.

Thurfian schnaubte leise. Das würde ganz sicher nicht passieren. Dafür war die Familie des Jungen viel zu unbedeutend. »Vielleicht. Fürs Erste solltest du dich an den Namen Mitth’raw’nuru gewöhnen.«

»Ja«, murmelte der Junge.

Thurfian musterte ihn aus den Augenwinkeln. Vielleicht würde er den Mitth Ruhm bringen, wie Ba’kif es hoffte. Aber ebenso wahrscheinlich war es, dass er Schande über den Familiennamen brachte. So funktionierte das Universum nun einmal.

So oder so – die Entscheidung war gefallen.

Vurawn existierte nicht mehr. An seiner Stelle stand nun Thrawn.

1

Es gab Momente, überlegte Ba’kif abwesend, in denen es gut war, von der relativen Stabilität der Chiss-Aszendenz aus in das Chaos hinauszublicken. So lernte man zu schätzen, was die Aszendenz war und was sie bedeutete: Ordnung und Wachsamkeit, Sicherheit und Macht, Licht und Kultur und Glanz. Eine Insel der Ruhe inmitten der verschlungenen Hyperraumrouten und den ständig wechselnden Handelsstraßen, die das Reisen und den Handel für all jene dort draußen behinderten oder ganz unmöglich machten.

Wenn man den Legenden glaubte, war das Chaos nicht immer so gewesen wie heute. Einst, im Morgengrauen des Raumfahrtzeitalters, sollte das Reisen zwischen den Sternen so einfach gewesen sein wie heute das Reisen innerhalb der ­Aszendenz. Doch dann, vor vielen Jahrtausenden, hatte eine Reihe von Supernova-Explosionen in der Region gewaltige Trümmermassen mit unglaublicher Wucht zwischen den Sternen hin und her geschleudert, und viele von ihnen waren mit Asteroiden oder ganzen Welten kollidiert, während andere nahezu mit Lichtgeschwindigkeit in Sterne hineingerast waren und neue Supernovae erschaffen hatten. In Kombination mit starken elektromagnetischen Strömen hatte die Bewegung dieser ungeheuren Masse die Hyperraumrouten unwiederbringlich ­verzerrt. Sprünge über mehr als ein paar Sternsysteme hinweg waren seitdem ebenso schwierig wie gefährlich.

Doch diese Instabilität war ein zweischneidiges Schwert. Die Einschränkungen, die die Raumfahrt behinderten und sie so gegen Invasionen von außen schützten, verlangsamten auch die Gewinnung und den Fluss von Informationen – einschließlich Informationen über die Gefahren, die dort draußen in der Dunkelheit lauerten, über verborgene Welten und Tyrannen, die nach Eroberung oder Zerstörung trachteten.

Und nun hatte einer dieser Tyrannen es offenbar auf die Aszendenz abgesehen.

»Sind Sie sicher, dass das der richtige Kurs ist?«, fragte er die junge Frau an den Kontrollen des Shuttles.

»Ja, General, das bin ich«, sagte sie. Ein Schatten beherrschten Schmerzes huschte über ihr Gesicht. »Ich gehörte zu der Mannschaft, die es gefunden hat.«

Ba’kif nickte. »Natürlich.« Es folgte kurzes Schweigen, ein Moment, währenddessen sie zu den fernen Sternen hinausstarrten …

»Da«, rief die Frau plötzlich. »Zehn Grad Steuerbord.«

»Ich sehe es«, nickte Ba’kif. »Bringen Sie uns längsseits.«

»Jawohl, Sir.«

Ba’kif starrte aus dem Cockpitfenster, während sich ihr Schiff stetig näher heranschob, und sein Magen zog sich zusammen. Es war eine Sache, Holos und Aufzeichnungen eines zerstörten Flüchtlingsschiffes zu sehen; persönlich mit der brutalen Realität konfrontiert zu werden, war etwas vollkommen anderes.

Neben Ba’kif richtete sich Senior-Captain Thrawn auf. »Das waren keine Piraten«, sagte er.

»Was macht Sie da so sicher?«, fragte Ba’kif.

»Das Muster der Einschüsse. Die Angreifer wollten das Schiff zerstören, nicht fluguntauglich machen.«

»Vielleicht haben sie es beschossen, nachdem sie es geplündert hatten.«

»Unwahrscheinlich«, entgegnete Thrawn. »Der Einschusswinkel der meisten Treffer deutet auf einen Angriff von hinten hin.«

Ba’kif nickte. Er war bei seiner Analyse derselben Logik gefolgt, und sie hatte ihn zu derselben Schlussfolgerung geführt.

Und zu einer wichtigen, schrecklichen Tatsache.

»Kommen wir zur offensichtlichen Frage«, sagte er. »Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Schiff und denen, die vor zwei Tagen Csilla angegriffen haben?«

»Nein«, antwortete Thrawn ohne Zögern. »Ich sehe in Muster und Stil keine Verbindung zwischen ihnen.«

Erneut nickte Ba’kif. Auch das hatte er selbst schon geschlussfolgert. »Dann könnte es also sein, dass die beiden Zwischenfälle nichts miteinander zu tun haben?«

»Falls ja, dann wäre es ein interessanter Zufall«, sagte Thrawn. »Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Angriff auf Csilla ein Manöver war, um unsere Aufmerksamkeit von diesem Ereignis hier fortzulenken.«

»Das sehe ich auch so«, stimmte Ba’kif zu. »Und wenn man den Preis dieses Ablenkungsmanövers bedenkt, will jemand unbedingt verhindern, dass wir uns dieses Schiff genauer ansehen.«

»In der Tat«, erwiderte Thrawn nachdenklich. »Ich frage mich, warum sie das Wrack zurückgelassen haben, anstatt es vollständig zu zerstören.«

»Das kann ich Ihnen beantworten, Sir«, meldete sich die Pilotin zu Wort. »Ich war auf dem Patrouillenschiff, das den Angriff entdeckt hat. Wir waren zu weit entfernt, um einzugreifen oder genauere Sensordaten zu sammeln, aber der Angreifer bemerkte uns, und er hat wohl entschieden, dass er es nicht auf eine Konfrontation ankommen lassen wollte. Als wir den Ort des Geschehens erreichten, waren sie bereits in den Hyperraum entkommen.«

»Wir wussten also schon von dem Angriff«, fügte Ba’kif an. »Dann diente das Ablenkungsmanöver wohl eher dazu, uns die Sache vergessen zu lassen.«

»Zumindest, bis mehr Zeit vergangen wäre«, sagte Thrawn. »Was schätzen Sie, General? Wie lange?«

Ba’kif schüttelte den Kopf. »Unmöglich zu sagen. Aber wenn ich bedenke, wie empört das Syndicure über den Angriff auf Csilla ist, würde ich sagen, dass sie der Flotte noch mindestens drei oder vier Monate Druck machen werden, die Schuldigen zu finden. Vorausgesetzt natürlich, dass wir sie nicht schon früher identifizieren.«

»Das werden wir nicht«, entgegnete Thrawn. »Nach den Aufzeichnungen des Angriffs zu urteilen handelte es sich bei den Schiffen um völlig veraltete Modelle. Ich bezweifle, dass sie große Ähnlichkeit mit den Schiffen haben, die die Hintermänner tatsächlich benutzen.«

Ba’kif lächelte grimmig. »Ein klein wenig Ähnlichkeit würde schon reichen.«

»Vielleicht.« Thrawn deutete auf das zerstörte Schiff. »Ich nehme an, wir gehen an Bord?«

Ba’kif blickte die Pilotin an. Ihr Gesicht war angespannt, die Haut um ihre zusammengekniffenen Augen von tiefen Linien durchzogen. Sie war schon einmal an Bord gewesen, und es war ihr deutlich anzusehen, dass sie keine Lust auf einen zweiten Besuch hatte. »Ja«, sagte er. »Nur wir beide. Die Shuttle-Mannschaft wird hierbleiben und die Augen offen halten.«

»Ich verstehe«, nickte Thrawn. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich die Schutzanzüge vorbereiten.«

»Nur zu«, sagte Ba’kif. »Ich komme gleich nach.«

Er wartete, bis Thrawn gegangen war. »Ich nehme an, Sie haben alles so belassen, wie Sie es vorgefunden haben?«, wandte er sich dann an die Pilotin.

»Ja, Sir«, antwortete sie. »Aber …«

»Ja?«, drängte Ba’kif.

»Warum wollen Sie, dass wir es hierlassen, anstatt es für eine genauere Untersuchung nach Csilla zu schleppen?«, fragte sie. »Ich wüsste nicht, welchen Unterschied es macht.«

»Sie werden sich noch wundern«, sagte Ba’kif. »Und ich mich vermutlich auch.«

Er blickte zu der Luke, durch die Thrawn verschwunden war. »Zumindest hoffe ich es.«

Ba’kif hatte die Holos gesehen, die das Patrouillenschiff an das Syndicure auf Csilla und das Expansionskommando auf Naporar geschickt hatte.

Doch die Realität war viel schlimmer als diese Bilder.

Zerstörte Konsolen. Ausgebrannte Datenspeicher und Module. Zerschmetterte Sensoranlagen und Analysekapseln.

Und Leichen. Jede Menge Leichen.

»Das war kein Frachter.« Thrawns Stimme hallte leise aus Ba’kifs Helmlautsprecher. »Sondern ein Flüchtlingsschiff.«

Er nickte wortlos. Erwachsene, Greise, Kinder – die ganze Bandbreite war vertreten.

Allesamt mit brutaler Effizienz abgeschlachtet.

»Was hat die Analyse der Flotte ergeben?«, wollte Thrawn wissen.

»Nicht viel«, gestand Ba’kif. »Wie Sie bereits bemerkten, ­entspricht das Schiff keinem Bautyp, mit dem wir es schon einmal zu tun hatten. Der Nukleincode der Opfer ist auch nicht in unseren Datenbanken verzeichnet. Der Größe des Schiffes nach zu schließen kann es nicht allzu weit gereist sein, aber es gibt jede Menge Planetensysteme und Territorien im Chaos, die wir nie besucht haben.«

»Und die körperlichen Merkmale?« Thrawn machte eine umfassende Handbewegung.

»Schwer zu bestimmen.« Ba’kif musste unwillkürlich schaudern. Die Explosivgeschosse der Angreifer hatten nur wenig übrig gelassen, womit die Rekonstruktionsexperten etwas anfangen konnten. »Ich hatte gehofft, Sie könnten anhand der Überreste vielleicht ein paar Schlussfolgerungen ziehen.«

»Ein paar Dinge sind mir aufgefallen«, sagte Thrawn. »Der Aufbau des Schiffes lässt Rückschlüsse auf gewisse Aspekte ihrer Kultur zu. Und ihre Kleidung scheint auch sehr eigentümlich zu sein.«

»Inwiefern?«, fragte Ba’kif. »Das Material? Der Schnitt? Die Farben?«

»All das – und mehr«, antwortete Thrawn. »Diese Elemente zeichnen ein Bild. Ein Muster, das sich in meinem Kopf formt.«

»Können Sie es vielleicht in Worte fassen?«

Thrawn drehte sich um, und hinter seiner Gesichtsscheibe konnte Ba’kif ein trockenes Lächeln erkennen. »General«, sagte der Senior-Captain. »Glauben Sie mir, könnte ich all das einfach niederschreiben, würde ich es tun.«

»Ich weiß«, sagte Ba’kif. »Es würde uns allen die Sache leichter machen.«

»Vermutlich«, stimmte Thrawn zu. »Aber seien Sie versichert, ich werde diese Wesen erkennen, wenn ich sie sehe. Ich nehme an, Sie möchten den Startpunkt des Schiffes ermitteln?«

»Unter normalen Umständen wäre das mein Hauptziel«, erwiderte Ba’kif. »Aber bei all der Empörung und der Verunsicherung im Syndicure bezweifle ich, dass wir einen Kampfverband von der Verteidigungsflotte abrufen können.«

»Ich wäre auch bereit, allein zu gehen.«

Ba’kif nickte. Er hatte bereits erwartet, dass Thrawn sich ­freiwillig melden würde. Falls es etwas gab, was dieser Mann ­genoss, dann, Mysterien nachzujagen und Rätsel zu entwirren. Seine einzigartige Gabe, Zusammenhänge zu erkennen, die sich anderen entzogen – und die Tatsache, dass ein großer Teil der Aristokra es genießen würde, ihn weit, weit fortzuschicken –, machte ihn zum perfekten Kandidaten für die Aufgabe.

Doch so einfach war es leider nicht.

»Ich bräuchte ein Schiff mit entsprechender Ausrüstung für eine solche Mission«, fuhr Thrawn fort, während er sich in dem Wrack umsah. »Die Springhawk wäre hervorragend geeignet.«

»Ich dachte mir schon, dass Sie das sagen würden«, brummte Ba’kif säuerlich. »Sie wissen, dass man Ihnen dieses Schiff nicht grundlos weggenommen hat, oder?«

»Natürlich«, antwortete Thrawn. »Supreme Admiral Ja’fosk und der Rat waren mit meinem Einsatz gegen die Vagaari-Piraten unzufrieden. Aber in der Zwischenzeit ist ihr Ärger doch sicherlich verflogen.«

»Vielleicht«, sagte Ba’kif ausweichend. »Nun … sagen wir ­einfach, Sie stehen bei den anderen Konzillaren in einem sehr zweifelhaften Ruf.« Es stimmte: Offiziell waren Thrawns Ak­tionen der Grund, warum ihm der Hierarchenrat der Expan­siven Verteidigungsflotte das Kommando über die Springhawk entzogen hatte. Das schloss neben seinen nicht autorisierten Schritten ­gegen die Piraten auch den Tod von Syndic Mitth’ras’­safis mit ein – und den Verlust wertvoller fremder Technologie.

Inoffiziell waren jedoch ganz andere Faktoren im Spiel. Thrawns erfolgreicher Einsatz – ob die Aristokra ihn nun guthießen oder nicht – hatte dem Namen Springhawk zu unerwartetem Ruhm verholfen, und die Ufsa-Familie hatte entschieden, dass nun einer der Ihren das Schiff kommandieren sollte. Ein stiller Antrag im Rat, vermutlich noch ein paar geflüsterte Versprechen und Zusicherungen, und Thrawn war seinen Posten los gewesen.

Natürlich verstieß das alles gegen das Protokoll, denn eigentlich sollten die Aristokra keinerlei Einfluss auf militärische ­Angelegenheiten nehmen. Aber das hieß nicht, dass dem auch immer so war.

Letztlich lief es auf Folgendes hinaus: Thrawn hatte die Situation rein oberflächlich betrachtet und wie immer die politischen Details übersehen.

Trotzdem, das hier könnte eine gute Gelegenheit sein, die ­zivilen Anführer der Aszendenz daran zu erinnern, dass der Rat und nicht das Syndicure über das Militär gebot. Die Syndics hatten Thrawn die Springhawk weggenommen; vielleicht war es Zeit, dass der Rat sie ihm zurückgab. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Ba’kif. »Das Schiff soll eigentlich in ein paar ­Tagen an Admiral Ar’alanis Vergeltungsangriff auf Paataatus teilnehmen, aber danach sollte es möglich sein, Sie wieder zum Kommandanten zu machen.«

»Glauben Sie wirklich, die Paataatu sind für den Angriff auf Csilla verantwortlich?«

»Ich? Nein«, antwortete Ba’kif. »Und die meisten Konzillare ebenso wenig. Aber einer der Syndics hat da diese Theorie präsentiert, und die anderen freunden sich schnell damit an. Sei’s drum. Die Paataatu haben wieder an den Randgebieten der ­Aszendenz herumgestochert – eine kleine Bestrafung war also ohnehin nötig.«

»Ich schätze, das ist vernünftig«, sagte Thrawn. »Aber anstatt auf das Ende dieser Operation zu warten, würde ich lieber schon vor dem Angriff an Bord gehen. Nicht zwangsläufig als Kommandant, sondern um die Mannschaft zu beobachten und zu bewerten.«

»Das lässt sich vielleicht einrichten«, nickte Ba’kif. »Aber andererseits … Warum eigentlich nicht als Kommandant? Ich werde Ar’alani darauf ansprechen. Mal sehen, ob sie einverstanden ist.«

»Danke«, sagte Thrawn. »Ich nehme an, man wird mir für meine Nachforschungen auch eine Himmelsläuferin zur Seite stellen?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Ba’kif. Das Himmelsläufer-Korps konnte dieser Tage nicht viele Leute entbehren, aber da sie nicht wussten, wie weit Thrawns Nachforschungen ihn führen würden, wäre es unklug, seine Reise durch Dutzende Mikrosprünge in die Länge zu ziehen. »Ich werde nachsehen, wer zur Verfügung steht, sobald wir zurück auf Naporar sind.«

»Danke.« Thrawn deutete nach achtern. »Ich vermute, die Angreifer haben auch im Maschinenraum und in den Vorrats­abteilen keine Hinweise hinterlassen.«

»Abgesehen von ein paar zerfetzten Leichen? Nein«, antwortete Ba’kif grimmig.

»Nichtsdestotrotz würde ich mir diese Bereiche gerne ansehen.«

»Natürlich«, sagte Ba’kif. »Hier entlang.«

Einen langen Moment starrte Mid-Captain Ufsa’mak’ro die Befehle auf dem Questis an, den ihm sein Erster Offizier gerade gereicht hatte.

Nein. Nicht sein Erster Offizier. Senior-Commander Plikh’ar’illmorf war jetzt Senior-Commander Mitth’raw’nuruodos Offizier. Und auch nicht mehr der Erste, sondern nur noch der Zweite.

Denn Samakro selbst war zu Thrawns Erstem Offizier bestimmt worden.

Er blickte von dem Questis zu dem Mann auf, der steif vor ihm stand. Kharill kochte vor Wut, auch wenn er vermutlich glaubte, dass er seine Emotionen verbarg. »Haben Sie eine Frage, Senior-Commander?«, fragte Samakro leise.

Kharills Brauen zuckten unmerklich. Offenbar hatte er erwartet, dass der Captain der Springhawk ebenso wütend über die unerwarteten Befehle sein würde wie er selbst. »Weniger eine Frage, Sir. Eher eine Anmerkung«, sagte er mit angespannter Stimme.

»Lassen Sie mich raten.« Samakro hielt den Questis hoch. »Sie sind empört, dass man mir mein Schiff weggenommen und es dem Kommando von Senior-Captain Thrawn unterstellt hat. Sie fragen sich: Sollen wir einzeln oder gemeinsam Protest einlegen, und welche unserer Familien soll zuerst benachrichtigt werden? Sie sind der Auffassung, wir sollten uns zudem bei Admiral Ar’alani, Supreme Admiral Ja’fosk und dem Rat des Verteidigungskommandos beschweren – vermutlich in dieser Reihenfolge – und ihnen erklären, wie töricht und gefährlich es ist, im Vorfeld einer Schlacht die Hierarchie an Bord zu verändern. Und Sie finden, dass wir unserem Missfallen Ausdruck verleihen sollten, indem wir Thrawns Befehle so widerwillig wie nur möglich ausführen. Trifft das in etwa zu?«

Kharills Mund war bereits bei Samakros zweitem Satz auf­geklappt, und jetzt hing er weiter offen, als Samakro es je zuvor gesehen hatte. »Äh … ja, Sir, das trifft zu«, brachte Kharill hervor.

»Tja«, erklärte Samakro, nachdem er ihm den Questis zurückgegeben hatte, »da ich das nun aber schon alles gesagt habe, gibt es keinen Grund, warum sie es wiederholen sollten – egal, vor wem. Kehren Sie an Ihre Station zurück und bereiten Sie den Kommandowechsel vor.«

Kharill schluckte sichtbar, aber er nickte. »Ja, Sir«, sagte er, während er sich zum Gehen wandte.

»Eines noch«, rief Samakro ihn zurück.

»Sir?«

Samakros Augen wurden schmal. »Sollte ich je sehen, dass Sie einen Befehl – egal, von wem – verweigern oder eine Anweisung nur halbherzig oder mit Verzögerung ausführen, dann werde ich Sie persönlich dem Rat melden. Haben Sie das verstanden?«

»Ich habe verstanden, Sir«, presste Kharill zwischen steifen Lippen hervor.

»Gut«, nickte Samakro. »Weitermachen.«

Er blickte Kharill nach, als der Offizier durch den Korridor zur Brücke der Springhawk marschierte. Hoffentlich hatte er den jüngeren Mann motiviert, dem neuen Kommandanten gegenüber zumindest Enthusiasmus vorzugaukeln.

Und Samakro stellte besser sicher, dass er ebensolchen Enthusiasmus vortäuschte und sich seine wahren Gefühle nicht anmerken ließ.

Denn in Wirklichkeit brodelte es in ihm. Vor Wut. Vor Empörung. Vor Enttäuschung. Wie konnten der Rat und Supreme ­Admiral Ja’fosk es wagen, ihm und der Springhawk so etwas anzutun? Dass Supreme General Ba’kif ein verklärtes Bild von Thrawn hatte, war weithin bekannt, aber von Ja’fosk hätte er mehr erwartet.

Trotzdem: Er hatte seine Befehle, und dagegen zu protestieren, wie Kharill es gerne täte, würde nichts bewirken, außer ein ohnehin schon schwelendes Feuer noch weiter anzufachen. Also würde Samakro seine Arbeit machen und dafür sorgen, dass die anderen Offiziere und Krieger an Bord das Gleiche taten.

Und er würde beten, dass der politische Schlamassel, in den Thrawn sie zweifelsohne hineinmanövrieren würde, ihnen nicht allen das Genick brach.

ERINNERUNG II

Die Reise endete, und Al’iastov schloss das Vierte Auge, um in die gedämpfte Helligkeit auf der Brücke der Tomra zurückzukehren. Mit einem dumpfen Gefühl in Magen und Herz nahm sie die Hände von den Navigationskontrollen des Transporters der Verteidigungsflotte. »Senior-Commander?«, sagte sie zögerlich, wobei sie zu dem Navigationsoffizier neben ihr hinüberblickte.

»Wir sind da«, bestätigte er. »Danke. Ich übernehme den Rest.«

»Gut«, murmelte Al’iastov. Sie löste die Sicherheitsgurte, stand auf und schritt durch die stille Brücke zum Ausgang.

Jenseits der Luke setzte sie ihren Weg durch den leeren Korridor fort, der zum Quartier des Captains führte, wo man sie und ihre Hüterin untergebracht hatte. Die Tomra verließ niemals das Hoheitsgebiet der Aszendenz, folglich gab es an Bord auch keine richtigen Himmelsläufer-Unterkünfte. Mafole, Al’iastovs Hüterin, hatte sich darüber beschwert, sehr lautstark sogar, aber Junior-Captain Vorlip hatte sie nur wütend angestarrt.

Auf Al’iastovs anderen Schiffen wartete ihre Hüterin meistens direkt vor der Brücke, um sie zum Himmelsläuferquartier zu geleiten. Doch nach der Konfrontation mit Vorlip hatte Mafole verkündet, dass sie ihre Kabine nicht mehr verlassen würde, bis sie Naporar erreicht hätten. Also musste Al’iastov den Weg zur Brücke und wieder zurück allein beschreiten.

Während sie den langen Gang hinabschritt, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Es gab keinen Grund, bei dieser Reise eine Himmelsläuferin dabeizuhaben, das wusste sie. Die Routen innerhalb der Aszendenz waren nicht wie die draußen im Chaos. Die Hyperraumstraßen hier waren frei und stabil, und die Piloten wussten, wie sie ihr Ziel erreichen konnten.

Genau darum hatte die Flotte das Schiff für Al’iastovs Prüfung ausgewählt. Auf Flügen wie diesem konnte man risikofrei überprüfen, ob eine Himmelsläuferin noch ihre Aufgabe zu erfüllen vermochte.

Der Pilot hatte nichts gesagt. Ebenso wenig wie Junior-Captain Vorlip.

Aber Al’iastov hatte es gespürt.

Sie hatte die Tomra nicht auf dem richtigen Pfad gehalten. Der Pilot hatte den Kurs während der Reise korrigieren müssen.

Ihr Viertes Auge hatte sich fast völlig geschlossen. Sie hatte keinen Nutzen mehr. Das einzige Leben, das sie je gekannt hatte, stand vor dem Ende. Ein ganzes Jahr bevor es normalerweise geschah.

Mit gerade mal dreizehn.

»Alles in Ordnung?«

Al’iastov erstarrte. Sie wischte die Tränen weg, die ihre Sicht verschleiert hatten, und sah eine Person auf sich zukommen. Ein junger Mann in schwarzer Uniform. Ein paar Schritte entfernt blieb er stehen. Er trug keine Insignien an seinem Kragen, was bedeutete, dass er ein Kadett war, und sein Schulterstück war mit einer aufgehenden Sonne verziert. Das zeichnete ihn als Mitglied einer der Neun Familien aus, wie Al’iastov wusste, aber sie konnte sich nicht genau erinnern, welche Familie. »Es geht mir gut«, sagte sie. Eine ihrer früheren Hüterinnen hatte ihr erklärt, dass sie sich nie über ihre Gefühle beschweren durfte. »Wer sind Sie?«

»Kadett Mitth’raw’nuru«, stellte er sich vor. »Auf dem Weg zur Taharim-Akademie. Und wer bist du?«

»Al’iastov.« Zu spät fiel ihr ein, dass niemand außer den ranghöchsten Offizieren ihre Identität kennen sollte. Sie verzog das Gesicht. »Ich … bin die Tochter des Captains«, fügte sie hinzu. Es war dieselbe Lüge, die sie jedem anderen Mannschaftsmitglied erzählte.

Thrawn zog die Augenbraue hoch, nur ein kleines bisschen, und Al’iastovs schweres Herz schlug noch ein wenig schwerer. Er glaubte ihr nicht. Als würde es nicht reichen, dass ihr Leben vorbei war, würde sie jetzt vermutlich auch noch deswegen Ärger bekommen. »Ich meine …«

»Schon in Ordnung«, sagte Thrawn. »Was ist los, Al’iastov? Kann ich vielleicht helfen?«

Al’iastov seufzte. Sie sollte sich nicht beklagen. Aber dies eine Mal war ihr egal, was sie tun sollte und was nicht. »Ich glaube nicht«, murmelte sie. »Ich … mache mir nur Sorgen. Über … ich weiß auch nicht. Über die Zukunft, schätze ich.«

»Ich verstehe«, erwiderte Thrawn.

Ihr stockte der Atem. Hatte er erkannt, was sie war? Der kurze Augenblick unachtsamer Rebellion endete schlagartig, und einmal mehr hatte sie das sichere Gefühl, dass sie Schwierigkeiten bekommen würde. »Wirklich?«, fragte sie vorsichtig.

»Natürlich«, antwortete Thrawn. »Wir alle empfinden während unserer Reise durch das Leben Ungewissheit. Ich weiß natürlich nicht, was dich beschäftigt, aber ich versichere dir, alle Kadetten an Bord dieses Schiffes fragen sich, welche Veränderungen die Zukunft wohl für sie bereithält.«

Sie spürte einen Hauch von Erleichterung. Er wusste also doch nicht, dass sie eine Himmelsläuferin war. »Aber ihr wisst alle, wo eure Reise hinführt«, sagte sie. »Sie sind ein Kadett, und schon bald werden Sie zur Verteidigungsflotte gehören. Ich habe keine Ahnung, was aus mir wird.«

»Du bist die Tochter des Captains«, erinnerte Thrawn sie. »Da sollten dir doch viele Möglichkeiten offenstehen. Davon abgesehen … Nur weil ich weiß, dass ich zur Akademie gehe, heißt das nicht, dass es nicht zahlreiche ­Variablen in dieser Gleichung gibt. Unsicherheit kann die beängstigendste aller Emotionen sein.«

Zu Al’iastovs großer Überraschung sank Thrawn anschließend vor ihr auf ein Knie herab, sodass sie auf gleicher Augenhöhe waren. Erwachsene taten so etwas fast nie. Selbst ihre Hüterinnen standen die meiste Zeit hoch aufgerichtet vor ihr und blickten zu ihr herab. »Aber auch wenn viele Pfade vor uns liegen, können wir doch immerhin entscheiden, welchen wir beschreiten«, fuhr er fort. »Auch du hast diese Macht – die Macht, den Pfad zu wählen, der der richtige für dich ist.«

»Ich weiß nicht.« Sie spürte, dass erneut Tränen in ihre Augen quollen. Was für eine Wahl hatte eine dreizehn­jährige gescheiterte Himmelsläuferin schon? Darüber hatte noch niemand mit ihr gesprochen. »Aber danke für …«

»Was geht hier vor sich?«, ertönte die harsche Stimme von Junior-Captain Vorlip hinter ihnen. »Wer sind Sie, und was tun Sie hier?«

»Kadett Mitth’raw’nuru«, sagte Thrawn, während er sich rasch wieder erhob. »Ich habe mich gerade an Bord umgesehen, als ich Ihrer Tochter begegnet bin. Sie wirkte aufgewühlt, also habe ich gefragt, ob ich ihr helfen kann.«

»Sie haben in diesem Korridor nichts zu suchen«, erklärte Vorlip streng. Sie marschierte an Al’iastov vorbei und baute sich vor Thrawn auf. »Haben Sie nicht die Schilder gesehen? Kein Zutritt für Unbefugte!«

»Ich ging davon aus, dass das nur für nicht militärisches Personal gilt«, erwiderte Thrawn. »Ich dachte, als Kadett wäre ich von dieser Einschränkung ausgeschlossen.«

»Tja, da haben Sie falsch gedacht«, sagte Vorlip. »Sie sollten bei den anderen Kadetten sein.«

»Verzeihen Sie«, entschuldigte Thrawn sich. »Ich wollte nur ein Gefühl für das Schiff bekommen.« Er neigte den Kopf, dann wandte er sich zum Gehen.

Vorlip streckte den Arm aus, um ihm den Weg zu blockieren. »Wie meinen Sie das? Ein Gefühl für das Schiff?«

»Ich wollte seine Rhythmen studieren«, erklärte Thrawn. »Die subtilen Vibrationen des Decks, wenn die Leistung der Triebwerke sich ändert. Die kurzen Pausen während unserer Reise durch den Hyperraum. Die subtilen Variationen im Luftstrom, wenn wir den Kurs wechseln. Die kurze Verzögerung, bevor die Kompensatoren auf ein Manöver reagieren.«

»Wirklich«, murmelte Vorlip. Mit einem Mal wirkte sie nur noch halb so wütend. »Wie viele Raumflüge haben Sie bereits absolviert?«

»Noch keinen«, erwiderte Thrawn. »Das ist das erste Mal, dass ich meine Heimat verlasse.«

»Soso.« Vorlip stellte sich dicht vor ihn. »Schließen Sie Ihre Augen. Und lassen Sie sie geschlossen, bis ich sage, dass Sie sie wieder öffnen dürfen.«

Kaum dass Thrawn die Lider zugeklappt hatte, griff Vorlip nach seinem Oberarm und begann, ihn ohne Vorwarnung im Kreis zu drehen. Er stolperte kurz, als seine Füße versuchten, mit den Bewegungen seines Körpers mitzuhalten. Vorlip drehte ihn weiter und bewegte sich dabei langsam um ihn herum. Als sie ihn nach mehreren Umdrehungen wieder stillstehen ließ, hatte er sich ungefähr sechzig Grad von seiner Ausgangsposition entfernt.

»Die Augen bleiben zu«, befahl sie, die Hand noch immer um seinen Oberarm geschlossen. »Wo ist vorne?«

Nach einem Moment des Schweigens hob Thrawn die Hand und deutete zum Bug der Tomra. »Da.«

Vorlip zögerte kurz, dann ließ sie ihn los und trat zurück. »Sie können die Augen jetzt öffnen«, sagte sie. »Kehren Sie zu Ihrer Kabine zurück. Und ignorieren Sie nie wieder ein Schild, es sei denn, Sie wissen genau, dass Sie die nötige Befugnis haben.«

»Jawohl, Captain.« Thrawn musste ein paarmal blinzeln, bis er das Gleichgewicht vollends wiedergefunden hatte. Er nickte erst Vorlip zu, dann mit einem Lächeln auch Al’iastov und wandte sich anschließend zum Gehen.

»Es tut mir leid«, flüsterte Al’iastov leise, als er davonging.

»Schon in Ordnung«, sagte Vorlip. Sie blickte noch immer Thrawn nach.

»Sind Sie böse auf ihn?«, fragte Al’iastov. »Er wollte nur helfen?«

»Ich weiß.«

»Sind Sie böse auf mich?«

Vorlip drehte sich herum und bedachte sie mit einem schmalen Lächeln. »Nein, natürlich nicht. Du hast nichts falsch gemacht.«

»Aber …« Verwirrt brach sie ab.

»Ich bin auf gar niemanden wütend«, erklärte Vorlip. »Es ist nur … Ich habe fünfzehn Reisen auf vier verschiedenen Schiffen absolviert, ehe ich mich so sicher orientieren konnte. Dieser Mitth’raw’nuru brauchte nur eine.«

»Ist das ungewöhnlich?«

»Sehr sogar«, versicherte Vorlip ihr.

»Er scheint nett zu sein«, sagte Al’iastov. Sie dachte an seine Bemerkung über Pfade und Entscheidungen. »Was wird mit mir passieren, wenn ich hier fertig bin?«

»Jemand wird dich adoptieren«, antwortete Vorlip. »Vermutlich eine der Neun Herrschenden Familien – sie nehmen gern frühere Himmelsläuferinnen auf.«

»Warum?«

»Das hat mit Prestige zu tun«, erwiderte Vorlip. »Ich bin sicher, du weißt, dass es nicht viele Mädchen mit deinen Fähigkeiten gibt. Eine von euch zum Meriten-Adoptivling zu machen ist für Familien eine Ehre.«

Al’iastov hatte Mühe zu schlucken. »Obwohl wir keinen Nutzen mehr für irgendjemand haben?«

»Sag so etwas nicht«, sagte Vorlip streng. »Jede Person ist wertvoll. Welche Familie dich auch immer adoptiert, man wird dich dort mit offenen Armen willkommen heißen. Man wird sich gut um dich kümmern, dich auf eine höhere Schule schicken und dann eine Laufbahn wählen, die am besten für dich geeignet ist.«

»Oder sie verstoßen mich vorher.«

»Du sollst aufhören, so zu reden«, wiederholte Vorlip. »Niemand wird dich verstoßen. Deine Zugehörigkeit mehrt den Ruhm der Familie, schon vergessen?«

»Na gut«, murmelte Al’iastov. Sie hatte noch immer ihre Zweifel, doch es hatte wohl keinen Sinn, jetzt weiter darüber zu sprechen.

Eine Sache gab es aber noch: »Darf ich auswählen, zu welcher Familie ich komme?«

Vorlip runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Um ehrlich zu sein, kenne ich mich nicht wirklich mit diesen Dingen aus. Warum, hast du dir eine spezielle Familie ausgesucht?«

»Ja«, nickte Al’iastov. »Die Mitth.«

»Wirklich?« Vorlip blickte über die Schulter. »So wie ­Kadett Thrawn?«

»Ja.«

Vorlip stieß nachdenklich den Atem aus. »Wie gesagt, ich kenne die Details nicht. Aber ich wüsste nicht, warum du es nicht zumindest erwähnen solltest. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke … Ich sehe keinen Grund, warum eine ehemalige Himmelsläuferin mit deinen Leistungen nicht bekommen sollte, worum sie bittet.«

Da war es. Vorlip hatte es gesagt. Ehemalige Himmelsläuferin.

Al’iastovs Zeit als Navigatorin war offiziell vorbei.

Seltsamerweise fühlte es sich aber nicht mehr so schlimm an wie noch vorhin. »Genau das hat er auch gesagt«, erzählte sie Vorlip. »Er hat gesagt, ich kann entscheiden, welchen Pfad ich beschreite.«

»Kadetten sagen alles Mögliche«, erwiderte Vorlip mit einer wegwerfenden Handbewegung, die gleichzeitig das Ende ihrer Unterhaltung markierte. »Geh jetzt. Ich erwarte dich und deine Hüterin in meinem Büro. Wir müssen einige Formulare ausfüllen.«

Mitth’raw’nuru, dachte Al’iastov, während sie und der Captain sich in Bewegung setzten. So hatte er sich genannt: Mitth’raw’nuru. Sie würde den Namen nicht vergessen.

Wenn der Moment gekommen war, würde die Mitth-Familie definitiv eine Anfrage von ihr erhalten.

2

Der Personaloffizier schüttelte den Kopf. »Anfrage abgelehnt«, sagte er knapp. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

Mitth’ali’astow blinzelte. »Was soll das heißen, abgelehnt?«, fragte sie. »Ich habe alle nötigen Daten dabei.«

»Ja, ich weiß«, erwiderte er. »Aber leider war die Abgabefrist vor vier Tagen.«

Thalias presste die Kiefer zusammen. Sie hatte mit aller Kraft gegen die Bürokratie der Mitth-Familie ankämpfen müssen, um an diesen Punkt zu gelangen. Zu spät erkannte sie nun, warum ihr Widerstand plötzlich erlahmt war und sie ihrer Bitte nachgegeben hatten. »Ich verstehe nicht«, sagte sie, nachdem sie den Zorn auf die Familie hinuntergeschluckt hatte. Der Mann vor ihr war der Einzige, der ihr einen Platz an Bord der Springhawk verschaffen konnte; sie brauchte ihn auf ihrer Seite. »Ich bin ein Mitglied der Mitth-Familie, die Springhawk wird von einem Mitglied der Mitth-Familie kommandiert, und ich dachte, die Flotte erkennt mein Beobachtungsrecht an.«

»Ja, das tut sie«, bestätigte der Offizier. »Aber das Beobachtungsrecht hat seine Grenzen.« Er tippte seinen Questis an. »Zum Beispiel, was feste Fristen angeht.«

»Das ist mir inzwischen klar«, erwiderte Thalias. »Aber leider hat die Familie mich nicht darüber informiert. Typisch. Es muss doch irgendetwas geben, was ich jetzt noch tun kann.«

»Ich fürchte, nein«, sagte er etwas weniger schroff als noch zuvor. Indem sie die Schuld an der Situation auf ihre Familie schob und nicht auf ihn, hatte sie sich offenbar ein kleines Maß an Mitgefühl verdient. »Es gibt einen festen Prozess für diese Dinge. Vor allem, da die Familien der leitenden Offiziere ein Vetorecht haben.«

»Ja«, seufzte Thalias. »Das letzte Wort haben immer die Familien, nicht wahr?«

»Diesen Eindruck kann man manchmal wirklich gewinnen«, sagte der Offizier, und die Steifheit wich ein bisschen mehr aus seiner Haltung.

»Nun, wenn ich nicht als Beobachterin an Bord darf, dann vielleicht in einer anderen Funktion?«, hakte Thalias nach. »Es gibt doch sicher etwas, was ich tun könnte. Ich habe Erfahrung mit Computern, Datenanalyse …«

»Tut mir leid.« Er unterbrach sie mit erhobener Hand. »Sie sind eine Zivilistin, und auf der Springhawk gibt es keine Position für Zivilisten.« Unvermittelt zog er die Brauen zusammen. »Es sei denn … einen Moment.«

Er aktivierte seinen Questis und scrollte sich durch mehrere Seiten. Thalias versuchte, von der anderen Seite des Schreib­tisches mitzulesen, aber der Text stand auf dem Kopf, außerdem benutzte die Verteidigungsflotte für ihre Dateien eine Schriftart, die nur schwer zu lesen war, wenn man nicht direkt auf den Schirm blickte.

»Da ist es ja.« Der Offizier hob den Kopf. »Vielleicht gibt es tatsächlich eine Aufgabe, die Sie übernehmen könnten. Die Springhawk hat für diese Mission eine Himmelsläuferin angefordert, aber ihr wurde noch keine Hüterin zugewiesen. Haben Sie Erfahrung oder Qualifikationen, was den Umgang mit Kindern angeht?«

»Nicht wirklich«, antwortete Thalias. »Aber ich war selbst mal eine Himmelsläuferin. Zählt das?«

Seine Augen weiteten sich. »Sie waren eine Himmelsläuferin? Wirklich?«

»Wirklich«, versicherte sie ihm.

»Interessant«, murmelte er. Seine Augen schrumpften auf ihre normale Größe zusammen – vielleicht wurden sie sogar noch ein wenig schmaler. »Ich habe gehört, vor hundert Jahren sollen alle Hüterinnen ehemalige Himmelsläuferinnen gewesen sein.«

»Das ist ja faszinierend«, kommentierte Thalias. Das war ihre Chance.

Falls sie es wirklich tun wollte.

Dieser Teil ihres Lebens lag weit hinter ihr. Und er war voll von Erinnerungen, die sie lieber nicht wieder ausgraben wollte.

Natürlich hatte ein Großteil dieser unliebsamen Erinnerungen direkt mit den Frauen zu tun, die während ihrer Reisen auf sie aufgepasst hatten. Einige Hüterinnen waren mitfühlend gewesen; andere hatten sie einfach nicht verstehen wollen. Diesmal würde Thalias aber auf der anderen Seite dieser Beziehung stehen; das sollte die Sache deutlich einfacher machen.

Oder auch nicht. Wenn sie ehrlich sein sollte, musste sie zugeben, dass sie für ihre Hüterinnen vermutlich nicht der einfachste Schützling gewesen war. Ein Großteil jener Jahre war verblasst und verschwommen, aber sie konnte sich noch genau an tagelanges Schmollen und ein paar ausgewachsene Wutanfälle voller Gekreische und geworfener Einrichtungsgegenstände erinnern.

Nun selbst in diese Rolle zu schlüpfen – sich um eine Himmelsläuferin zu kümmern, mit allem, was dazugehörte … Ihr Möglichstes zu tun, um einem kleinen Mädchen das Leben leichter zu machen …

Sie straffte die Schultern. Es würde nicht einfach sein, sich den dunklen Teilen ihrer Vergangenheit zu stellen. Aber dies könnte ihre einzige Chance sein, Thrawn wiederzusehen. Und es wäre ganz sicher ihre einzige Chance, ihn eingehend zu beobachten. »Also gut«, sagte sie. »Ja, ich mache es.«

»Immer langsam«, entgegnete der Offizier. »So einfach ist es nicht. Sie brauchen trotzdem noch …«

Er brach ab, als sich die Tür hinter Thalias öffnete. Sie drehte sich um und sah einen Mann mittleren Alters das Büro betreten. Er trug eine gelbe Robe, und die aufgehende Sonne der Mitth-Familie war an den Stoff geheftet. »Ah, ich komme also noch rechtzeitig«, sagte der Syndic. »Mitth’ali’astow, nehme ich an?«

»Ja«, bestätigte sie mit einem Stirnrunzeln. »Und Sie sind?«

»Syndic Mitth’urf’ianico«, stellte der Mann sich vorbei, wobei sein Blick von ihr zu dem Offizier wanderte. »Ich höre, die junge Dame versucht, einen Platz an Bord der Springhawk zu ergattern?«

»In der Tat, Syndic«, bestätigte der Offizier, und seine Augen wurden noch schmaler. »Verzeihen Sie bitte, aber das ist Sache der Flotte, nicht der Aristokra.«

»Nicht wenn sie als Beobachterin der Mitth-Familie an Bord geht«, entgegnete Thurfian.

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Sie ist keine Beobachterin. Sie hat den Antrag nicht rechtzeitig eingereicht.«

»Jemand in der Familie hat den Prozess aufgehalten«, fügte Thalias an.

»Ich verstehe«, brummte Thurfian. »Und es gibt nichts, was noch getan werden kann?«

»Es gibt noch eine offene Position an Bord«, erklärte Thalias. »Als Hüterin. Wir haben uns gerade darüber unterhalten.«

»Perfekt.« Thurfians Züge erhellten sich. »Was kann ich tun, um den Prozess zu beschleunigen?«

»So einfach ist das nicht«, protestierte der Offizier.

»Ich finde schon«, beharrte Thurfian. »Es gibt eine offene ­Position, und die Mitth-Familie hat noch immer das Beobachtungsrecht.«

»Die Familie muss erst ihr offizielles Einverständnis erklären.«

»Ich erteile es hiermit«, sagte Thurfian.

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt, Syndic …«

»Ja, bei allem Respekt«, unterbrach ihn Thurfian. Er spannte die Schultern …

Und Thalias bekam einen kurzen Eindruck von der wahren Macht des Syndicure. Diese Macht ging weit über politische Autorität hinaus, war tief in der Chiss-Historie verankert. »Die ­Aszendenz wird durch unbekannte Angreifer bedroht«, fuhr Thurfian in leisem, düsterem Tonfall fort. »Das Verteidigungs- und das Expansionskommando müssen in voller Bereitschaft sein. Das bedeutet, wenn ein Schiff eine Himmelsläuferin braucht, dann bekommt es auch eine Himmelsläuferin. Und eine Himmelsläuferin braucht eine Hüterin. Die Springhawk bricht in vier Stunden von Naporar zu einem Kampfeinsatz auf. Wir – Sie – haben keine Zeit, hier herumzutrödeln.«

Er atmete tief ein, und Thalias hatte den Eindruck, als würden seine Haltung und seine Miene ein wenig offener werden. »Sie ist bereit und willens, diese Mission als Hüterin zu begleiten. Ich gebe im Namen unserer Familie die Erlaubnis, sie an Bord zu lassen. Jetzt müssen nur noch Sie Ihren Part erfüllen, um der Springhawk zu den Ressourcen zu verhelfen, die sie dringend braucht.«

Einen Moment lang starrten er und der Offizier sich schweigend an. Die Rivalität zwischen der Flotte und der Aristokra …

Aber die Zeit drängte, Thurfians Argument war logisch, und der Offizier wusste beides. »Also gut«, sagte er, während er sich wieder seinem Questis widmete. »In Ordnung.« Er sah Thalias an. »Ihre Befehle, Instruktionen und Ermächtigungen finden Sie auf Ihrem Questis. Lesen Sie sich alles gut durch und finden Sie sich zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort ein.« Nur kurz huschte sein Blick zu Thurfian hinüber. »Wie der Syndic schon sagte, die Springhawk startet in vier Stunden.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Thalias.

»Gern geschehen.« Er lächelte trocken. »Willkommen beim Expansionskommando, Hüterin Thalias. Und viel Glück mit dieser Himmelsläuferin.«

Einen Moment später waren Thalias und Thurfian wieder draußen auf dem Korridor. »Danke«, sagte Thalias. »Sie kamen gerade noch rechtzeitig.«

»Es freut mich, dass ich helfen konnte«, erwiderte der Syndic mit einem Lächeln. »Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Person, Thalias.«

Hitze stieg ihr ins Gesicht. »Danke«, wiederholte sie.

»Und jetzt, da ich Ihnen geholfen habe«, fuhr Thurfian fort, »gibt es etwas, was Sie für mich tun können.«

Sie machte einen Schritt zurück. »Verzeihung?«, fragte sie verunsichert.

»Die Zeit drängt«, betonte er, dann nahm er sie am Arm. »Kommen Sie. Ich erklärte Ihnen alles auf dem Weg zu Ihrem Schiff.«

Es waren zwei Jahrzehnte vergangen, seit Thalias das letzte Mal militärische Zeitpläne gelesen hatte, geschweige denn an sie gebunden gewesen war. Zum Glück kehrten die alten Reflexe und Gewohnheiten schnell zurück, nachdem der anfängliche Schock nachgelassen hatte, und sie erreichte die Springhawk nicht nur pünktlich, sondern sogar zu früh.

Als sie den Aufenthaltsraum der Himmelsläufer-Suite betrat, wurde sie dort bereits von einem jungen Mädchen erwartet, das sich in einem viel zu großen Sessel ausgestreckt hatte und ein Klick-Spiel auf ihrem Questis spielte. Sie wirkte, als wäre sie neun oder zehn Jahre alt, aber Himmelsläufer waren meistens eher klein und zierlich, insofern konnte Thalias ihr Alter also nur schätzen. Das Mädchen hob den Kopf und musterte sie mit einem skeptisch wirkenden Blick, bevor sie sich wieder auf ihr Spiel konzentrierte. Thalias öffnete den Mund, um sich vorzustellen, aber dann fiel ihr ein, wie unsicher sie selbst gewesen war, wann immer ihr eine neue Hüterin zugewiesen wurde. Also nahm sie lediglich ihr Gepäck und brachte es in ihren Teil der Suite.

Sie ließ sich Zeit beim Auspacken, und als sie schließlich wieder in den Aufenthaltsraum zurückkehrte, hatte das Mädchen den Questis neben sich auf den Sessel gelegt. Stattdessen starrte es nun mürrisch auf die Reihe von Bildschirmen, die nahe der Kochecke in die Wand eingelassen waren. »Sind wir schon gestartet?«, fragte Thalias.

Das Mädchen nickte. »Vor einer Weile schon«, sagte es. Nach einem kurzen Zögern blickte sie verstohlen zu Thalias hinüber. »Bist du meine neue Mamisch?«

»Ich bin deine neue Hüterin«, antwortete Thalias mit einem Stirnrunzeln. Mamisch?