Erobertes Normannenherz - Altena Altenburg - E-Book

Erobertes Normannenherz E-Book

Altena Altenburg

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Beschreibung

England im Jahr 1066 Inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen und politischer Machtkämpfe, erwacht eine junge Angelsächsin ohne jede Erinnerung. Ein Stein mit dem eingravierten Wort Adeliza ist der einzige Hinweis auf ihre Herkunft. Sie beschließt sich selbst diesen Namen zu geben, bis sie weiß, wer sie wirklich ist. Wilhelm, Herzog der Normandie, nutzt die Gunst der Stunde. Er hat den angelsächsischen König Harold auf dem Schlachtfeld besiegt und streckt seine Hand nach dem englischen Thron aus. In seinem Heer kämpft auch der junge Soldat Conan de Bellême. Als er der schönen Adeliza begegnet, ist er sofort von ihr fasziniert. Doch bedauerlicherweise sieht sie in ihm nur den Feind. Wird es ihm gelingen auch ihr Herz zu erobern, ohne dabei seinen Auftrag zu vernachlässigen einen gefährlichen Unbekannten aufzuspüren, der im Hintergrund die Fäden zieht? Das beantwortet die abgeschlossene historische Romanze allen Leserinnen von 16 bis 99 Jahren, die romantische und abenteuerliche Liebesgeschichten aus dem mittelalterlichen England mögen.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Prolog

1 Der Überfall

2 Canterbury

3 Der Normanne

4 Geschenke

5 Eine Nachricht mit Folgen

6 Überraschungen

7 Eine Reise ins Ungewisse

8 Der Angriff

9 Die Ankunft

10 Schwüre und ein Versprechen

11 Esrith

12 Krönungsfeierlichkeiten

13 Böse Träume

14 Eine gefährliche Gegnerin

15 Ein unerwartetes Wiedersehen

16 Neue Freundschaften

17 Tod und Leben

18 Das Kind hat einen Namen

19 Die Intrige

20 Das Bündnis

21 Der Mord

22 Die Falle

23 Neubeginn

Altena Altenburg

Erobertes

Normannenherz

Impressum

Ebook-Konvertierung und Umschlaggestaltung:

Tomfloor Verlag

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

ISBN 978-3-9818519-4-6 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-9818519-3-9

Tomfloor Verlag T. Funk

Alex-Gugler-Straße 5

83666 Waakirchen

Prolog

England, der Abend des 14. Oktobers 1066

Die wichtigste Schlacht war geschlagen.

Hastings hatte die Entscheidung zugunsten des normannischen Herzogs Wilhelm herbeigeführt. Der englische König Harold Godwinson war auf dem Schlachtfeld geblieben. Ein Pfeil hatte sein Leben und seine kurze Ära als König von England beendet und damit auch das Schicksal des Landes und seiner Bewohner besiegelt.

Es lag nun in den Händen eines Mannes.

1Der Überfall

Nur mühsam bahnte sich das schwache, dämmrige Tageslicht seinen Weg durch die dichten Herbstnebel, die bleischwer über den Wäldern lagen. Das wunderbare Naturschauspiel glich einem stillen, aber unerbittlichen Kampf, den nur der beharrlichere der beiden ungleichen Gegner zu gewinnen vermochte. Diesmal waren es die an Stärke zunehmenden Strahlen der Morgensonne, die die Schlacht zugunsten des anbrechenden Tages entschieden und die buntbelaubten Blätter entschleierten. Rot- und gelbgoldenen Flecken gleichend, blitzten sie zwischen den mit Raureif überzuckerten Tannenwipfeln hervor.

Aber kein menschliches Auge hatte zu dieser noch frühen Morgenstunde einen Blick für die besondere Schönheit der Natur. Auch die junge Frau nicht, die ungeachtet der eisigen Kälte, die Vorbote des nicht mehr fernen Winters war, durch den Wald ritt. Vorsichtig, um auf dem stellenweise vereisten Weg nicht ins Rutschen zu geraten, lenkte sie ihren braunen Wallach über die Brücke und weiter den Waldpfad entlang, der über eine kleine Lichtung in das nahegelegene Dorf Crawfort führte.

Ganz plötzlich jedoch änderte sie ihre Meinung. Sie zügelte das Pferd und glitt von seinem Rücken herab. Suchend sah sie sich um und entdeckte den umgestürzten Baum, der ein Stück entfernt am Rande der Lichtung lag. Sie führte den Wallach dorthin, schlang die Zügel um einen der aufragenden dünneren Äste und ließ sich leise seufzend auf den Stamm sinken.

Ja, hier konnte sie einen Augenblick verweilen und nachdenken. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, folgte ihr verträumter Blick einem Raubvogel, der am mittlerweile klaren, eisblauen Morgenhimmel seine Kreise zog, um nach Beute Ausschau zu halten. Seine schrillen Schreie zerschnitten die kalte Luft. Doch nach einer Weile, so als habe er das Suchen an dieser Stelle aufgegeben, entschwand er langsam ihrem Blick.

Traurig sah sie ihm nach. Wie gern hätte sie ihn auf seinem luftigen Streifzug begleitet – frei und ungebunden. Ihren Sorgen einfach so zu entfliehen, wäre wunderbar gewesen. Doch nein, das war unmöglich.

Sie seufzte ein weiteres Mal. Nicht einmal der lange Ausritt hatte es vermocht, die düsteren Gedanken, die sie quälten, zu vertreiben. So sehr sie auch grübelte und sich bemüht hatte, sie fand keinen Ausweg. Sie musste den kommenden Ereignissen ruhig und gefasst ins Auge sehen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, denn sie durfte ihren Vater nicht enttäuschen.

Sie hatte sein kummervolles Gesicht vor Augen, als ihre Gedanken wieder zu ihrer Unterredung am vergangenen Abend wanderten. Sie erkannte ihren Vater manchmal kaum wieder, so sehr hatte die Sorge um seinen einzigen Sohn sein Haar ergrauen und seine Züge altern lassen. Es war, als würde sie den Earl von Crawfortshire förmlich zerfressen.

Seit ihr Bruder sich gegen den Willen ihres Vaters den Truppen Edwin von Mercias angeschlossen hatte, um für den König zu kämpfen, war er nicht mehr derselbe. Aber auch sie selbst bedrückte es, dass Siward im Streit die Halle verlassen hatte und sie seit dieser Nacht nur eine einzige Nachricht von ihm erhalten hatten. Ihrem Vater und ihr blieb daher nur die schwache Hoffnung, dass er noch unverletzt und am Leben war und eines Tages wieder wohlbehalten zu ihnen zurückkehren würde.

«Wir müssen nur fest daran glauben und Gott um seinen Beistand bitten. Mehr können wir nicht tun, mein Kind», murmelte ihr Vater auch diesmal wieder mit matter Stimme und starrte dabei schwermütig in die flackernden Flammen des Kaminfeuers.

«Aber es ist nicht nur das, was Euch Sorgen bereitet, nicht wahr Vater?»

Verwundert hob er seinen Blick und sah sie an. «Bin ich so leicht zu durchschauen? Oder bist du in Wahrheit eine Zauberin, die meine Gedanken zu lesen vermag?»

Sie lächelte. «Nein Vater, das bin ich nicht. Aber ich liebe Euch und deshalb kann ich spüren, wenn Euch etwas quält.»

«Weißt du denn auch, wie glücklich ich bin, eine so kluge Tochter zu haben?» Bei seinen Worten glitt ein leichtes Lächeln über seine verhärmten Züge, doch sofort wurde er wieder ernst. «So kann ich wenigstens darauf vertrauen, dass du auch bei einer wichtigen Entscheidung das Richtige tun wirst.»

Nun war es an ihr, überrascht zu sein.

«Wie meint Ihr das, Vater?»

Der alte Earl zögerte einen Augenblick, ehe er ihre Frage beantwortete. «Nun … niemand weiß, wie lange dieser unselige Krieg dauern und was noch alles geschehen wird. Unser aller Leben liegt in Gottes Hand.» Seine Sorgenfalten vertieften sich. «Aber an mir ist es, mich darum zu kümmern, dass du in Sicherheit bist und dass im Falle meines Todes, jemand für deinen Schutz sorgt in dieser unruhigen Zeit.»

«Aber Vater, redet doch nicht so. Ihr werdet noch lange bei mir sein und mich beschützen. Und da sind ja auch noch Godfrey, Hilda und all die anderen. Ich werde niemals allein sein. Ihr wisst, sie würden mich alle mit ihrem Leben verteidigen und …»

«Jaja ich zweifle nicht an der Treue meiner Housecarls und Diener», unterbrach ihr Vater sie ungeduldig. «Aber glaube mir, weder die Normannen noch sonst irgendjemand wird sich von einem alleinlebenden Mädchen und ihrer Dienerschaft beeindrucken lassen. Und darum wünsche ich, dass du dir einen Mann erwählst.»

«Vater!» Sie war entsetzt. «Bitte … nein, ich will nicht heiraten. Und selbst wenn ich einen Ehemann wünschte, ich könnte Euch keinen nennen.»

Dies entsprach zweifellos der Wahrheit. Zwar hatten ihr bei ihrem ersten Besuch in London vor zwei Jahren einige Edelmänner den Hof gemacht, doch keiner war dabei gewesen, der ihr Herz in irgendeiner Form berührt hätte. Also hatte sie jeden freundlich, aber bestimmt abgewiesen, der sich mehr von ihr erhofft hatte.

Auch dem Earl waren die begehrlichen Blicke nicht entgangen, die sie am Hofe König Edwards durch ihre liebreizende Erscheinung auf sich gezogen hatte, und er war sehr stolz darauf gewesen. Allerdings hatte er ebenfalls keinem der Bewerber Hoffnungen gemacht. Sie war damals erst vierzehn gewesen und er wollte ihr noch ein wenig Zeit geben. Vielleicht hatte er dabei aber auch zu sehr an sich selbst gedacht, denn nach dem plötzlichen Tod seiner Frau fühlte er sich oft einsam und seine Tochter war mit ihrer fröhlichen Natur ein Lichtblick in diesen schweren Stunden für ihn gewesen.

Inzwischen aber lagen die Dinge anders. Überall im Land nahmen die kriegerischen Konflikte zu. Jeden Tag gab es neue Auseinandersetzungen um Land und Macht und der Einmarsch der Normannen hatte ihm endgültig gezeigt, wie gefährlich die Situation für sie alle war.

Würde ihm, dem Earl von Crawfortshire, etwas zustoßen, so wäre seine Tochter jedem Mann – gleich ob Normanne, Nordmann oder einer der miteinander rivalisierenden angelsächsischen Adligen – schutzlos ausgeliefert.

Das war es, was er unter allen Umständen verhindern wollte.

«Ich habe erwartet, dass du mir so antworten würdest, mein Kind. Daher habe ich die Entscheidung für dich getroffen. Und ich hoffe, aus tiefstem Herzen, dass meine Wahl auch deine Zustimmung finden wird.» Er hob die Hand, weil seine Tochter ihn unterbrechen wollte, und fuhr mit fester Stimme fort: «Wie du weißt, hat mir Sir Ralph Morcar vor einer Woche einen Besuch abgestattet. Er verehrt dich sehr und hat mich bereits mehrfach gebeten, um dich werben zu dürfen.»

«Aber Vater …», setzte sie erneut an.

«Bisher habe ich seine Bitten stets abgelehnt, weil ich der Meinung war, du wärst noch nicht bereit.»

«Und das bin ich auch nicht …»

«Gestern jedoch habe ich ihm meine Zustimmung gegeben.»

«Vater, nein! Das ist unmöglich, ich kann Sir Ralph nicht heiraten!»

Die Vorstellung, die Frau eines Mannes zu werden, den sie kaum kannte, machte ihr entsetzliche Angst und ihr wurde regelrecht übel bei dem Gedanken.

Sicher, bei den Anlässen, bei denen sie ihm begegnet war, hatte er sich stets liebenswürdig ihr gegenüber gezeigt. Außerdem war er vermögend und nicht unbedingt hässlich oder ungepflegt. Im Gegenteil, der schlanke, hochgewachsene Adlige legte so viel Wert auf seine äußere Erscheinung, dass er ihr mit seiner eleganten Kleidung und den kastanienbraunen, sorgsam frisierten Locken immer ein wenig weibisch erschienen war.

Trotz aller Vorteile, die eine Ehe mit ihm wahrscheinlich für sie bringen würde, ahnte sie, dass doch etwas Entscheidendes fehlte. In ihren Träumen hatte sie sich etwas anderes ausgemalt und dabei waren ihre Eltern stets ihr Vorbild gewesen. Bei ihnen hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass die beiden etwas ganz Besonderes verband – Liebe. Eine Liebe, so groß, dass sie selbst den Tod ihrer Mutter überdauerte, denn ihr Vater hatte bisher nicht wieder geheiratet.

Sie selbst hatte immer gehofft, einmal etwas Ähnliches zu finden. Einen Mann, für den sie das empfinden konnte, was ihre Mutter und ihr Vater füreinander gefühlt hatten, und Sir Ralph war ganz gewiss nicht dieser Mann. Sie war davon überzeugt, dass sie es fühlen würde, wenn sie diesem besonderen Menschen begegnete, der für sie bestimmt war.

Ihr Vater jedoch, so sehr er auch sonst immer ihre Wünsche respektiert hatte, war in dieser einen Sache hart geblieben. Er hatte ihr unmissverständlich deutlich gemacht, dass ihr Bräutigam heute auf Crawforthall eintreffen würde, um ihr seine Aufwartung zu machen. Und von ihr wurde erwartet, dass sie ihn nicht abwies.

Der durchdringende Schrei des Raubvogels, der noch immer ganz in der Nähe sein musste, holte sie aus ihren düsteren Gedanken zurück.

«Mein Gott, ich muss heim!»

Erschrocken sprang sie auf und lief zu ihrem Wallach. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Die Sonne war bereits über die Baumwipfel gestiegen und bald würde man sie in Crawforthall vermissen. Also glitt sie in den Sattel und trieb eilig ihr Pferd voran.

Erst gestern noch hatte sie ihrem Vater versprechen müssen, nicht mehr allein in den Wald zu reiten. Die Gefahr war zu groß, dass sie normannischen Truppen begegnete, die plündernd und mordend durch das Land zogen. Wie groß, das hatten ihr die schaurigen Erzählungen eines fahrenden Händlers deutlich gemacht, der vor ein paar Tagen nach Crawfort gekommen war und von einem entsetzlichen Gemetzel aus der Gegend etwas östlich berichtet hatte. Die Normannen hatten sämtliche Vorräte und Pferde geraubt, alles niedergebrannt und jeden getötet, der sich ihnen in den Weg stellte.

Schaudernd zog sie ihren wollenen Umhang fester um ihre Schultern. Auf einmal glaubte sie, die angstvollen Schreie zu hören und sogar das knisternde Brennen der Hütten. Das konnte doch keine Einbildung sein, oder? Nein. Jetzt hörte sie es ganz deutlich … und es kam aus der Richtung, in der das Dorf lag.

Während sie voller Angst ihr Pferd den schmalen Pfad hinunterjagte, betete sie innerlich, dass sie sich irrte, aber ihre schwache Hoffnung wurde von dem heißen Wind der Flammen verweht. Schon aus der Ferne konnte sie die Rauchwolken über den Baumwipfeln ausmachen, und als sich der Wald öffnete, bot sich ihr ein schrecklicher Anblick – flammend rotes Feuer, das ihre Heimat zu verschlingen drohte.

Die Bewohner des Dorfs liefen kopflos und schreiend durcheinander. Verzweifelt versuchten sie, der Feuersbrunst zu entkommen, und liefen in ihrer Panik den fremden, todbringenden Reitern direkt in die Schwerter.

Nur ein Dutzend beherzter Männer leistete den bewaffneten Eindringlingen mit Mistgabeln und Äxten noch schwachen Widerstand, aber es war deutlich, dass sie nicht mehr lange durchhalten würden. Das Ende war nahe.

Plötzlich entdeckte sie ihren Vater. Auch er kämpfte inmitten der fliehenden Menschen gegen einen der Fremden. Der Mann trug ein ihr unbekanntes Symbol mit einem schwarzen Adler auf seinem Schild. Er musste einer dieser barbarischen Normannen sein und doch, etwas erschien ihr seltsam an ihm. Die Art, wie der Fremde sein Schwert führte, war …

Ehe sie ihren Gedanken zu Ende denken konnte, geschah das Entsetzliche.

Durch eine unglückliche Wendung verlor der Earl von Crawfortshire sein Schwert. Er war nun wehrlos.

Darauf hatte sein Gegner offenbar nur gewartet, denn er nutzte die Gelegenheit blitzschnell.

Ungläubig und voller Angst starrte sie auf ihren Vater, der getroffen von dem mächtigen Schwerthieb zu Boden sank.

«Vaaater!»

Ihr verzweifelter Schrei ging in dem tosenden Kampflärm unter, aber er löste ihre Erstarrung. Den Blick auf den sterbenden Körper ihres Vaters geheftet, zwang sie ihr Pferd durch die wimmelnden Menschen vorwärts und an den Hütten vorbei, aus denen lodernde Flammen emporstiegen. Allerdings kam sie nur sehr langsam voran, denn immer wieder scheute das Tier vor brennenden Holzbalken, die neben ihr herabstürzten. Doch sie gab nicht auf und immer wieder suchten ihre Augen nach der leblosen Gestalt, deren Blut den Boden langsam rot färbte, während sich der Fremde vorbeugte, um seine Waffe aus der tödlichen Wunde zu ziehen. Der Helm des Mannes musste sich bei dem Kampf gelockert haben, denn plötzlich rutschte er von seinem Kopf und fiel neben seinem Opfer in den Sand. Hastig bückte er sich, um ihn wieder aufzusetzen, aber es war bereits zu spät. Sie hatte sein Gesicht gesehen. Das Gesicht des Mörders ihres Vaters. Und sie kannte ihn. Jetzt sah er auf, den Helm noch in der Hand und entdeckte auch sie.

«Oh Gott, Mylady», brüllte Godfrey, der Anführer der Housecarls ihres Vaters, und rannte auf sie zu.

Mit erhobener Streitaxt stellte er sich schützend vor sie, einem Reiter entgegen, der genau auf sie zuhielt.

«Schnell, Ihr müsst Euch retten …» Weiter kam er nicht. Er hatte sich nur ganz kurz zu ihr umgewandt und dabei ein wenig seinen Schild sinken lassen, aber genau in diesem Augenblick, hatte der Reiter seine Lanze geschleudert.

Unfähig sich zu rühren, starrte sie auf den Leibwächter ihres Vaters, der mit ihr gespielt hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, und in dessen Brust nun die Lanze eines Normannen steckte.

Erst als der Reiter nur noch drei Pferdelängen von ihr entfernt war und sein Schwert zückte, löste sich ihre Erstarrung endlich und sie begriff, in welcher Gefahr sie selbst schwebte.

Panisch riss sie ihr Pferd herum, rammte dem Tier ihre Fersen in die Flanken und sprengte davon. Ein eisiges Gefühl der Todesangst hielt ihr Herz umklammert, während sie aus dem Dorf hinaus und auf den Wald zu jagte. Sie fühlte, wie ihr der Schweiß den Rücken hinunterrann, während ihr Verfolger ihr dicht auf den Fersen war. Der donnernde Hufschlag seines Pferdes kam immer näher und ihr war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er sie eingeholt hatte.

Es gab nur eine Möglichkeit, ihn abzuhängen, aber dieses Manöver würde sie wertvolle Zeit kosten. Trotzdem, sie musste es riskieren. Also zog sie die Zügel kräftig an, und als der Wallach nur noch trabte, verließ sie den Pfad und trieb ihn tief in das Dickicht hinein.

Schon kurz darauf hatte sie jede Orientierung verloren, trotzdem scheuchte sie das Tier hektisch weiter. Nur noch der Gedanke an Flucht und panische Angst bestimmten sie, während ihr die tiefhängenden Äste ins Gesicht peitschten. In ihrer Verzweiflung spürte sie es kaum. Auch nicht, dass sich ihre Haare in ihnen verfingen und ausgerissene Strähnen daran hängenblieben. Da waren nur der drohend hallende Hufschlag des anderen Pferdes und ihr eigener gehetzter Atem, die noch in ihr Bewusstsein drangen und sie immer weiter trieben bis … bis ihr eigenes Tier völlig unerwartet scheute.

Wilde Rosen!

Sie war genau hineingeritten und die scharfen Widerhaken einer Dornenranke hatten sich in die Weiche des Wallachs gebohrt. Von Schmerzen gepeinigt, bäumte er sich laut wiehernd auf und warf seine unglückliche Reiterin ab.

Sie schlug hart auf den gefrorenen Boden auf. Der stechende Schmerz durchdrang ihren ganzen Körper und raubte ihr den Atem. Undeutlich vernahm sie noch das Schnaufen und Stampfen von Pferden und dann wurde es dunkel um sie herum …

2Canterbury

Die Bauern aus den umliegenden Dörfern waren nach Canterbury gekommen, um ihre restliche Ernte und das Vieh in der Stadt zu verkaufen oder gegen etwas anderes einzutauschen.

Dass Normannen in der Gegend waren, beunruhigte viele von ihnen, hatte man doch von Romney gehört, das von den fremden Eroberern vernichtet worden war und auch von Dover. Die Stadt hatte sich zwar ergeben, aber das hatte einige von Herzog Wilhelms Söldnern nicht davon abgehalten, die Burg niederzubrennen und in der Stadt zu plündern.

Zwar hatte der fremde Herzog die Anlage neu befestigen lassen und die Bewohner entschädigt, aber damit hatte er keineswegs das Misstrauen der Angelsachsen gemindert.

Auch die Würdenträger der Stadt Canterbury hatten sich ergeben und sogar Geiseln angeboten, aber was hielt die Normannen davon ab, auch diesmal ihr Wort zu brechen und Canterbury ebenfalls in Brand zu stecken?

Trotz dieser Sorgen waren die Menschen gekommen. Das Leben musste auch in diesen Zeiten weitergehen, denn man brauchte etwas zu essen. Also bauten die Bauern und Händler bereits kurz nach Sonnenaufgang ihre Waren auf und nun, gegen Mittag, herrschte überall reges Treiben. Es duftete wunderbar nach Gebratenem und man konnte sich kaum sattsehen an der Vielfalt der Waren. Neben Obst, Gemüse, Eiern und jeder Menge lebender Tiere konnte man die Handwerkskunst der Waffenschmiede bestaunen.

Die Händler priesen lautstark ihre leuchtenden Stoffbahnen, Holzschnitzereien und irdene Tongefäße an und natürlich durften auch die Gaukler nicht fehlen. Etwas abseits führten sie zum Vergnügen der Besucher ihre Kunststücke vor und entlockten ihnen so manche Münze.

Lediglich die Anwesenheit von Wilhelms Soldaten, die überall in der Stadt präsent waren, dämpfte die Lebensfreude ein wenig. Der normannische Herzog war durch den Ausbruch der Ruhr gezwungen, hier einen ungeplanten, längeren Aufenthalt einzulegen und hatte etwas außerhalb der Stadt, in der Nähe eines verlassenen Klosters, das Lager aufschlagen lassen. Viele der Söldner, aber auch die adligen Vasallen Wilhelms, betrachteten den heutigen Tag als willkommene Abwechslung zu den Kampfhandlungen und ihrem eintönigen Lagerleben und vergnügten sich in den Straßen.

Auch Conan de Bellême und sein Freund und Waffengefährte Thorkils, die beide bisher von der Ruhr verschont geblieben waren, nutzten die Gelegenheit, sich unter das Volk zu mischen. Ohne große Schwierigkeiten bahnten sie sich ihren Weg durch das Gedränge, denn beim Anblick der beiden hochgewachsenen, breitschultrigen Krieger mit ihren schweren Kettenpanzern und den Waffen, machten ihnen die Leute ohne zu zögern, Platz.

Ohne Eile schlenderten sie zwischen den Ständen entlang, blieben mal hier und mal dort stehen, um die Waren zu begutachten oder um von den zahlreichen Köstlichkeiten zu probieren, bis einer der Händler Conan de Bellêmes Aufmerksamkeit auf sich zog.

Mit seiner lauten durchdringenden Stimme rief er die Besucher vor einem Hauseingang zusammen.

«Kommt Leute, na kommt schon! Ich hab hier was, das dürft ihr euch nich' entgehen lass'n.»

Als er seinen Mund zu einem dümmlichen Grinsen verzog, offenbarte er eine Reihe hässlicher gelber Zähne.

«Feinste Ware! Ich versprech' euch, solche Leibeigenen findet ihr sonst nirgendwo. Tretet näher, tretet näher und seht, was ich anzubieten habe.»

Während er fortfuhr seine menschliche Ware in den höchsten Tönen anzupreisen, wandte er sich um und zerrte einen in Lumpen gekleideten Jungen mit dunkler Hautfarbe aus dem Hauseingang hervor. Wie er dort stand, mit zusammengeschnürten Armen, mager und ängstlich, strafte schon sein bloßer Anblick die prahlerischen Worte seines Verkäufers Lügen.

«Hier habt ihr 'nen kräftigen Burschen. Is 'n guter Mann für schwere Feldarbeit. Na? Wer macht mir 'n Angebot?» Erwartungsvoll blickte er in die Runde. «Na kommt schon, ein Angebot. Was is' denn?», versuchte er die Leute zu ermuntern.

Doch abfälliges Gemurmel war das Einzige, was er von der Menge bekam.

Thorkils beugte sich zu Conan hinüber. «Komm, lass uns hier verschwinden. Oder willst du etwa das dürre Bürschchen da als Wilhelms Gefolgsmann anwerben?» Dröhnend lachte der bärtige Hüne über seinen eigenen Scherz.

Aber bevor Conan seinem Freund eine Antwort geben konnte, wurde sein Interesse erneut geweckt. Und dieses Mal keineswegs zu Unrecht.

Auch der Händler hatte wohl gemerkt, dass er es mit einem etwas anspruchsvolleren Publikum zu tun hatte und sein nächstes Verkaufsobjekt mehr nach dem Geschmack seiner Kundschaft ausgewählt.

Das war ihm ganz offensichtlich gelungen, denn beim Anblick der jungen Frau, die er nun an einem Strick zu sich heranzog, verstummte die Menge augenblicklich.

Sogar Thorkils vergaß sein Gelächter und starrte mit offenem Mund auf die zarte, schlanke Schönheit, die nun neben dem Händler stand und zu Boden sah.

Als er wieder klarer denken konnte, betrachtete er ihr Gesicht etwas eingehender und kam zu dem Schluss, dass sie höchstens sechzehn Winter zählen konnte. Aber trotz ihrer Jugend waren ihre weiblichen Rundungen schon deutlich ausgeprägt und nicht nur sie zogen die Leute in ihren Bann. Es war ihre gesamte anmutige Erscheinung.

So etwas bekamen sie gewiss nicht alle Tage zu sehen.

Allein schon ihr Haar, das wie goldenes Sonnenlicht schimmerte und ihr offen über den Rücken floss, war etwas Besonderes.

Wohl um der Menge zu demonstrieren, dass ihre Zähne ebenso makellos waren wie ihre schneeweiße Haut, packte der Händler nun ihren Kopf, um ihr den Mund zu öffnen. Doch sie wehrte sich überraschend heftig. Trotz ihrer gefesselten Hände, stieß ihn von sich und spuckte ihm ins Gesicht.

Der Händler stieß einen derben Fluch aus, während er sich mit dem speckigen Ärmel seiner Tunika übers Gesicht fuhr. Er sah so aus, als würde er sie gleich schlagen. Doch offenbar besann er sich eines Besseren und ließ seine drohend erhobene Faust wieder sinken. Vielleicht war es ihm in den Sinn gekommen, dass es unklug wäre, seine kostbare Ware zu beschädigen.

«Das kleine Biest hat Temperament. Verdammt ja, das hat sie. Aber mit 'nem richtigen Kerl zwischen ihren Beinen wird sich das ganz schnell geben, oder was meint ihr?»

Mit seiner derben Bemerkung erntete er einiges Gelächter. Davon ermutigt fing er nun an, ihre körperlichen Vorzüge anzupreisen. Allerdings vermied er es dabei, sie noch einmal anzufassen.

Die junge Frau ließ ihre unwürdige Zurschaustellung scheinbar ungerührt über sich ergehen. Sie hatte trotzig ihren Kopf gehoben und musterte nun ihrerseits mit verächtlichem Ausdruck die Gaffer. Wer jedoch genauer hinsah, und das tat Conan de Bellême, der bemerkte auch Angst. Für einen ganz kurzen Moment trafen sich ihre Blicke und außer ihrer nicht zu verleugnenden Furcht konnte er noch etwas anderes in diesen großen, kornblumenblauen Augen lesen. Aber bevor er dieses Gefühl hätte in Worte fassen können, schlug sie ihre Augen nieder.

«Na macht schon Leute. Wer will das hübsche Ding zureiten?», drang die unangenehme Stimme des Händlers erneut an Conans Ohr. «So 'ne Gelegenheit dürft ihr euch doch nich' entgehen lass'n, oder? Ah, der Herr dort. Sehr gut! Aber sie is' immer noch zu haben! Sie ist doch viel mehr wert. Seht selbst …»

Endlich hatte ihr Verkäufer einen Weg gefunden, sich an ihr zu rächen. Er griff nach ihrem Kleid. Sein heftiger Ruck zerriss den verschlissenen Stoff sofort und gab den Blick auf ihre schlanken, wohlgeformten Beine frei. Doch nicht nur das gab es zu begaffen. Lediglich von dem dünnen Untergewand verhüllt, zeichneten sich nun auch ihre festen, runden Brüste deutlich unter dem fast durchsichtigen Stoff ab.

Ein Raunen ging durch die Menge und den anwesenden Männern – ganz gleich ob Edelmann oder Bauer – troff der Geifer aus dem Maul, während Conan nur angewidert das Gesicht verzog. Er verabscheute solche Art der Zurschaustellung zutiefst, aber der Händler hatte sein Ziel erreicht. Überall wurden nun Rufe mit Geboten laut und winkende Hände fuhren empor. Immer höher und heftiger überboten die geifernden Kerle einander, bis der Preis in fast unbezahlbare Höhe geklettert war, und zuletzt schien ein dicklicher Kaufmann der glückliche neue Besitzer zu werden.

Gierig vor lauter Vorfreude, fuhr er sich schon mit seiner Zunge über die Lippen. Doch als seine fleischige Hand nach der Geldkatze tastete, ertönte eine ruhige, aber sehr bestimmte Stimme und machte alle seine Hoffnungen zunichte.

«Wir sind noch nicht fertig.» Conan sprach zwar nur gebrochen Englisch, aber seine gebieterischen Worte und seine imposante Erscheinung reichten aus, um die Leute zur Seite weichen zu lassen.

Zügig schritt er durch die murmelnden Menschen auf den Hauseingang zu, wo er einige leise Worte mit dem Händler wechselte.

Zuerst schien der Mann zu zögern, doch als er in Conans entschlossenes Gesicht blickte und den kleinen, aber schweren Lederbeutel in seiner Hand wog, den der Normanne ihm überreicht hatte, kam er zu der Erkenntnis, dass sich der Tag für ihn bereits gelohnt hatte.

«Is' mir ein Vergnügen mit Euch Geschäfte zu machen, Sir. Sie gehört Euch!» Der Händler reichte ihm das Strickende mit einem anzüglichen Grinsen. «Ich bin sicher, Ihr werdet viel Freude mit der kleinen Stute haben.»

Conan würdigte den Händler keiner Antwort. Stattdessen begann er das Stück Pergament zu überprüfen, welches ihm der Mann ebenfalls übergeben hatte und das ihn als neuen Besitzer der Leibeigenen auswies. Aber während er das scheinbar konzentriert tat, war seine Aufmerksamkeit längst auf etwas anderes gerichtet.

Der dickliche Kaufmann, der sich seiner «Beute» bereits so sicher gewesen war, begann aus Enttäuschung über das entgangene Geschäft die übrigen Kaufinteressenten gegen ihn aufzuhetzen und das unglücklicherweise mit einigem Erfolg.

Scheinbar unbeeindruckt von dem wütenden Gemurmel, legte er dem Mädchen seinen schweren, viel zu großen Umhang um. Es länger den lüsternen Blicken preiszugeben, hätte die Stimmung nur noch mehr aufgeheizt. Auch wenn er eigentlich so schnell wie möglich von hier verschwinden wollte, schob er das Mädchen betont langsam vor sich durch die Menge, während die Stimmen immer lauter und zorniger wurden.

«… ja, verdammte Hunde … machen uns unsere Rechte streitig und bestehlen uns. Wir sollten wenigstens diesen hier erledigen …»

Äußerlich noch immer gelassen wappnete er sich bereits gegen einen Angriff und ließ seine linke Hand vorsichtshalber nahe des Schwertgriffs, während er mit der anderen, den Strick fester umklammerte, der ihn mit dem Mädchen verband. Aber wie durch ein Wunder gelang es ihnen doch, unbehelligt die andere Seite des Platzes zu erreichen, wo das Gedränge endlich nachließ.

Als dann auch noch Thorkils zu ihm aufschließen konnte, fühlte sich der Normanne bedeutend wohler.

«Wenn du mich fragst, hast du gerade ein verdammt schlechtes Geschäft gemacht. Hier gibt's doch genug hübsche Täubchen, die dir dein Bett wärmen würden, ohne dass du dafür was berappen oder Ärger riskieren musst.»

Trotz der feindseligen Blicke und dem bedrohlichen Gemurmel um sie herum grinste der Däne unbeeindruckt und zog lässig die Streitaxt aus seinem Gürtel, während sein Schwert an seinem Platz blieb. Obwohl eigentlich das Langschwert die gebräuchliche Waffe der Normannen war, bevorzugte Thorkils eindeutig seine Axt.

«Na meine Schöne, dann wollen wir doch mal sehen, ob du noch scharf genug bist, ein paar Dummköpfen hier ihre Rüben abzuhacken, wenn es sein muss», sagte er beinahe zärtlich zu seiner Waffe, während er mit seiner Fingerkuppe prüfend an der Klinge entlang strich.

Diese kleine Geste und seine gemurmelten Worte genügten, um die Umstehenden zum Schweigen zu bringen. Man konnte ihnen sogar ansehen, was sie dachten, während sie vor den beiden Soldaten zurückwichen. Mit einem wäre man ja fertig geworden, aber wer wusste schon so genau, wie viele dieser barbarischen Krieger da noch bewaffnet in der Nähe lauerten?

Also gab man ihnen lieber den Weg frei und ließ sie passieren.

Thorkils hielt sich hinter Conan und da blieb er auch, als dieser mit dem Mädchen neben sich in die Straße einbog, die aus der Stadt herausführte. Offenbar hatte sein Freund sich entschieden, weiterhin aufmerksam zu bleiben, obwohl keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, von einer aufgehetzten Meute gelyncht zu werden.

Es überraschte Conan nicht wirklich, dass der Mann solche Vorsicht walten ließ, und ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Einen klugen Fuchs wie Thorkils konnte man eben nicht so leicht austricksen. Das hatte er selbst schon oft genug am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Er erinnerte sich noch gut daran, wie sein Großvater ihn mit elf das erste Mal gegen den Leibeigenen hatte kämpfen lassen, der ein ganzes Stück größer und fünf Jahre älter als er selbst war. Der junge Däne war alles andere als zimperlich mit ihm umgegangen, doch am Ende des Kampfes, als Conan mit blutiger Nase und geprellten Knochen im Staub gelegen hatte, war es Thorkils' Hand gewesen, die ihm wieder aufgeholfen hatte. Diese ehrenhafte Geste war der Beginn einer langjährigen, tiefen Freundschaft gewesen, die auch nicht geendet hatte, als Conan seinem Großvater den Hünen abgekauft und ihm die Freiheit geschenkt hatte. In den Schlachten, die Conan in Wilhelms Armee ausgefochten hatte, war Thorkils nie von seiner Seite gewichen und er war froh, ihn bei sich zu wissen, als Freund und nicht als Diener, denn den hatte er noch nie in ihm gesehen.

Und das brachte ihn wieder zu der jungen Frau an seiner Seite.

Thorkils hatte ihn damit aufgezogen, dass er sie für sein Bett gekauft hatte, aber das war nicht der Grund gewesen. Er zog reifere Frauen vor und vor allem solche, die aus freien Stücken mit ihm schliefen.

Warum er dem Händler überhaupt den Beutel mit den vielen Münzen in die Hand gedrückt hatte, war ihm selbst noch immer ein kleines Rätsel. Er war einfach einer spontanen Eingebung gefolgt. Da war irgendetwas in ihren Augen gewesen, was ihn dazu gebracht hatte, gegen jede Vernunft zu handeln, denn was er nun mit ihr anfangen sollte, das wusste er nicht. Er konnte sie nicht mitnehmen, wenn der Herzog weiterzog. Aber sie hier in Canterbury ihrem Schicksal überlassen, konnte er ebenfalls nicht. Er unterdrückte ein Seufzen, als er ihr einen verstohlenen Seitenblick zuwarf.

Sie hatte bisher kein einziges Wort gesprochen und auch jetzt hielt sie den Kopf gesenkt und würdigte ihn keines Blickes. Aber ihm war nicht entgangen, dass sie seinen kurzen Wortwechsel mit Thorkils sehr wohl genau verfolgt hatte, während sie scheinbares Desinteresse geheuchelt hatte. Obwohl sie ihre Unterhaltung natürlich in Französisch geführt hatten, schien sie genau verstanden zu haben, über was sie gesprochen hatten, auch wenn das eigentlich unmöglich war. Kaum einer der angelsächsischen Adligen war der französischen Sprache mächtig. Wie konnte es dann sein, dass ein einfaches Bauernmädchen sie verstand?

Doch wenn er sie jetzt so betrachtete, fragte er sich, ob sie das überhaupt war. Natürlich hatte man sie für den Verkauf hergerichtet, aber selbst ihre Hände sahen so aus, als hätte sie in ihrem kurzen Leben niemals hart gearbeitet. Sie wirkte überhaupt nicht so, als hätte sie jemals die Entbehrungen einer Leibeigenen über sich ergehen lassen müssen, und in diesem Augenblick kam Conan zu der Überzeugung, dass es vielleicht doch ein angenehmer Zeitvertreib werden würde, herauszufinden, welches Geheimnis sie hatte. Doch das würde warten müssen, denn inzwischen hatten sie die Stadtmauer passiert und die Stelle erreicht, an der ihr Waffengefährte Alan mit ihren Pferden wartete.

Natürlich konnte auch er sich, zu Conans Ärger, eine Bemerkung über seine Neuerwerbung nicht verkneifen.

«Halt die Klappe!», knurrte er den jungen Bretonen gereizt an und schob das Mädchen zu seinem Hengst hinüber.

Ohne ein Wort packte er sie an der Taille und hob sie auf sein Pferd, ehe er sich selbst hinter ihr auf den Rücken seines Tieres schwang. Die Angelsächsin hatte sich nicht gewehrt, als er sie angefasst hatte, doch während ihres kurzen Ritts war sie sehr darum bemüht, ihn nicht zu berühren. Immer wieder versuchte sie, nach vorn und von ihm weg zu rutschen. Als sein Hengst durch ihre unruhigen Bewegungen zum dritten Mal zu tänzeln begann, wurde es ihm allerdings zu bunt.

«Sitz endlich still, verdammt», zischte er ärgerlich auf Englisch, packte energisch ihre Taille und zog sie enger an sich. «Ich tu dir schon nichts, aber du machst Noir ganz verrückt mit deinem albernen Gezappel.»

Sie gab ihm keine Antwort, aber zumindest saß sie endlich still.

Als sie in den Innenhof des Klosters einritten, wurden sie bereits erwartet.

Ein junger Mann war aus der Eingangstür getreten. Es war der achtzehnjährige Lambert, ein hübscher, dunkelhaariger Lockenkopf, der ebenfalls zu Conans Leuten gehörte. Er hielt ein Pergament in seiner Hand.

Conan sprang vom Pferd und warf ihm die Zügel zu. Als er sich umdrehte, um dem Mädchen von Noir herunterzuhelfen, stellte er überrascht fest, dass sie bereits neben ihm stand.

Sie zog seinen Umhang fester um sich und sah sich um, vermied es dabei aber, seinem Blick zu begegnen. Ihr war nicht anzumerken, was sie dachte, doch er konnte sich vorstellen, wie erschreckend das alles auf sie wirken musste.

Insgeheim bewunderte er sie für ihre vermutlich nur vorgetäuschte Gelassenheit, denn das riesige Lager der Soldaten vor den Toren der Stadt, durch das sie geritten waren, hätte wohl jeden Angelsachsen geängstigt und besonders ein junges Mädchen. Dass sie die heutige Nacht nicht in einem der Zelte dort verbringen musste, verdankte sie dem Herzog, der einen Teil seiner Vasallen, darunter auch Conan, in seiner unmittelbaren Nähe in dieser halben Ruine hatte haben wollen.

Hinter sich vernahm er ein lautes Prusten. Es kam von Thorkils. Als Conan seinem Blick folgte, entdeckte auch er den Grund für den Heiterkeitsausbruch des Dänen – Lambert starrte mit offenem Mund auf ihre Begleiterin.

Conan runzelte die Stirn. Offenbar hatte das Mädchen auf jedes männliche Wesen diese Wirkung. Na das konnte ja heiter werden!

«Lambert?» Seine Stimme klang ungeduldig.

«Was?» Der Junge starrte ihn erst verwirrt an und blickte dann auf das gesiegelte Pergament, das er zusammen mit den Zügeln von Conans Hengst noch immer in seiner Hand hielt. «Ach ja. Bitte sehr, Herr.» Hastig reichte er es Conan, während er bis zu seinen Ohren rot anlief.

Conan schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Stattdessen zerbrach er das herzogliche Siegel und überflog eilig die wenigen Zeilen. Seine Stirnfalten vertieften sich. «Der Herzog verlangt mich unverzüglich zu sehen», murmelte er und sah Thorkils an.

«Dann solltest du ihn besser nicht warten lassen.»

Conan nickte und reichte seinem Freund den Strick. Er biss sich kurz auf die Lippen, als sein Blick dabei auf die Handgelenke des Mädchens fiel. Die Haut unter den Fesseln war übel zugerichtet.

«Bring sie in meine Kammer und nimm ihr diese lächerlichen Fesseln ab. Ich befasse mich später mit ihr.»

Bei seinen Worten sah die junge Frau überrascht auf und wieder trafen sich ihre Blicke. Er zögerte, wollte etwas zu ihr sagen, doch dann wandte er sich abrupt ab und verschwand durch die geöffnete Tür.

3Der Normanne

Das Mädchen sah dem Normannen nach, wie er in dem Gebäude verschwand.

«Komm, tun wir, was er sagt», brummte der Hüne mit der Axt in gebrochenem Englisch und fasste sie erstaunlich vorsichtig für einen so muskelbepackten Krieger am Arm.

Als sie das Haus betraten, erkannte sie sofort, dass hier eindeutig eine weibliche Hand oder gute Dienstboten fehlten, denn der steinerne Boden war zwar mit Stroh bedeckt, aber es war vollkommen mit Lehm verdreckt. Die Luft hier drin war stickig und außerdem stank es unangenehm nach Schweiß, verkohltem Fleisch und Ale, was sie nicht überraschte, denn Tageslicht und frische Luft drangen kaum durch die mit Tierhäuten bespannten Fenster. Etwas Licht und auch ein wenig Wärme spendete der hell flackernde Kamin, auf dem ein aufgespießtes Schwein in den Flammen vor sich hin brutzelte. Zusätzlich hatten die Männer, die am Tisch zechten, rußende Talglichter aufgestellt. Doch im Augenblick schien sie nicht ihr Würfelspiel zu fesseln. Stattdessen musterten sie sie mit anzüglichen Blicken.

«Sagt, Thorkils, habt Ihr Euch eine Gespielin besorgt, die Euch heut Nacht Euer Bett warmhält?», erkundigte sich ein junger Bursche mit blonden Haaren und einer Narbe am Kinn.

Ihr hünenhafter Begleiter warf dem jungen Soldaten einen finsteren Blick zu, während die übrigen Männer in brüllendes Gelächter ausbrachen.

«Sieh du lieber zu, dass du heut' Nacht nicht frierst, wenn du draußen 'ne Doppelschicht Wache schiebst, Grünschnabel», knurrte er böse zurück und schob sie, sichtlich ungehalten über die Witzeleien der Männer, die schmale Stiege hinauf. Im oberen Geschoss hielt er vor einer der Türen an, griff an seinen Gürtel und zog ein langes Messer hervor.

Ängstlich wich sie vor ihm zurück, bis sie das harte Holz des Türriegels in ihrem Rücken spürte.

Doch der Normanne packte nur brummend ihren Arm und zerschnitt die groben Stricke, mit denen ihre Handgelenke gefesselt waren. Danach öffnete er die Tür, vor der sie stand, und schob sie hinein. Sie hörte, wie er sie von außen verriegelte und als sich seine Schritte entfernten, atmete sie erleichtert auf.

Sie war allein. Endlich!

Endlich war sie nicht mehr den gaffenden Blicken irgendwelcher Männer ausgesetzt. Noch einmal tat sie einen tiefen Atemzug, fühlte aber gleichzeitig, wie ihre mühsam aufrechterhaltene Beherrschung schwand und ihre Knie nachgaben. Erschöpft ließ sie sich auf das Bett sinken und betrachtete ihre Handgelenke, die noch immer wie Feuer brannten. Kein Wunder, sie waren blutig gescheuert von den Stricken und sie war unendlich dankbar, dass sie sie endlich los war. Aber nicht nur ihre Arme taten ihr weh. Ihr ganzer Körper schien nur noch aus Schmerzen zu bestehen und besonders ihr Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerspringen. Aber ein wenig musste sie noch durchhalten, denn sie wollte unbedingt nachdenken. Und vor allem begreifen, wie sie überhaupt in diese furchtbare Lage geraten war.

Also zwang sie sich, das Hämmern in ihrem Kopf zu ignorieren und stattdessen ihre Gedanken zu ordnen.

Ja richtig, sie war ohnmächtig gewesen, und als sie zu sich gekommen war, hatte ihr dieses hässliche, alte Weib eine widerlich, bittere Flüssigkeit in den Mund geschüttet. Aber auch wenn es abscheulich geschmeckt hatte, war es ihr danach besser gegangen.

Von der zahnlosen Alten hatte sie auch erfahren, dass sie sich in einem Lager nicht weit der Stadt Canterbury entfernt befand, und dass man sie mit einigen anderen Leibeigenen dort verkaufen würde.

Auf die Frage der Frau nach ihrem Namen für die Verkaufsdokumente hatte sie ihr keine Antwort geben können. Mit Erschrecken war ihr bewusst geworden, dass sie sich an überhaupt nichts mehr erinnern konnte, was vor ihrer Ohnmacht gewesen war. Sie wusste weder, wer sie war, noch, woher sie kam.

Die Alte, die offensichtlich etwas Mitleid mit ihr hatte, hatte ihr einen Anhänger gezeigt.

«Einer der Männer hat dich viele Meilen entfernt bei Windings im Wald gefunden. Da warst du schon nicht mehr bei dir. Aber is' ja auch kein Wunder, bei der fetten Beule an deinem hübschen Schädel und den vielen Kratzern. Deine Kleider sahen ziemlich teuer aus. Hast sie wohl gestohlen, was?» Die Alte grinste wissend. «Na jedenfalls war'n sie nich' mehr zu gebrauchen, so zerfetzt und da hab ich sie verbrannt. Aber das hier, das hab ich aufgehoben.» Sie hielt ihr einen flachen, bläulich schimmernden Stein hin. Er hatte ein winziges Loch an einer Seite, durch das man ein Band ziehen konnte, doch es fehlte.

Der Mann, der sie ins Lager gebrachte hatte, hatte ihr das Lederband versehentlich vom Hals gerissen und dabei war der Stein zu Boden gefallen. Der Mann hatte sich nicht für das wertlose Ding interessiert. Die Alte aber, die sich um sie kümmern sollte, hatte sich schnell danach gebückt und ihn an sich genommen. Natürlich war sie nicht bereit gewesen, ihr ihren «Schatz» zu überlassen, aber sie hatte ihn zumindest kurz in die Hand nehmen dürfen.

Als sie den Stein berührt hatte, war etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Wie ein Blitz traf sie eine Erinnerung, so als hätte jemand ganz kurz den Schleier gelüftet, der ihre Vergangenheit bedeckt hielt, ehe alles wieder in Schwärze getaucht wurde. Zurückgeblieben war nur ein einzelnes Wort. Ein Wort, das ihr vielleicht helfen konnte, herauszufinden, wer sie war und woher sie kam. Es war auf dem Anhänger eingeritzt gewesen und es konnte eigentlich nur ein Name sein. Vielleicht ihr Name?

«Adeliza», flüsterte sie. War sie das? War das tatsächlich ihr Name?

Oder …

Gequält stöhnte sie auf. Wie sollte sie jemals erfahren, wer sie war, wenn sie von einer Gefangenschaft in die nächste geriet? Und vor allem hatte sie diese nun direkt in die Hände der normannischen Feinde geführt.

Mit Schaudern dachte sie an die Worte des riesigen Kriegers, bevor er zu seinem grausamen Herzog, dem Bastard Wilhelm von der Normandie, aufgebrochen war. Er würde sich später mit ihr befassen. Oh ja, sie konnte sich sehr genau vorstellen, was das bedeutete, und eine tiefe Verzweiflung überfiel sie.

Eine Vergangenheit in Finsternis gehüllt und eine Zukunft, die mindestens ebenso ungewiss war. Das war ihr Schicksal. Und es würde auch ihr Schicksal sein, die Hure des fremden Eroberers zu werden.

*

Die Kammer war in dämmriges Licht getaucht, als Adeliza erwachte. Sie hatte beschlossen sich diesen Namen zu geben, solange sie nicht wusste, wer sie wirklich war. Schließlich musste sie ja irgendwer sein.

Es schienen einige Stunden vergangen zu sein, seit sie vor Erschöpfung und Mutlosigkeit trotz ihrer Angst in einen unruhigen Schlaf voller böser Träume gefallen war, denn nun war es dämmrig in der Kammer.

Ihr Blick fiel auf den dunklen Umhang, in den sie noch immer eingewickelt auf dem Bett lag und sofort kam ihr wieder sein Besitzer in den Sinn, der nun auch der ihre war.

Conan de Bellême. Diesen Namen hatte der Normanne dem Händler für ihre Kaufpapiere genannt, und nun gehörte sie ihm. Sie war sein Eigentum und er konnte mit ihr verfahren, wie es ihm beliebte. Niemand würde ihn davon abhalten, sie zu schänden oder ihr gar das Leben zu nehmen. Es war sein Recht. Nervös rieb sie ihre kalten Finger aneinander. Doch würde er wirklich so grausam sein? Konnte er das? Er, der ihr seinen eigenen Umhang umgelegt hatte, um ihre Blöße vor den Blicken der Leute zu schützen? Und wie behutsam er dabei vorgegangen war. Eigentlich ungewöhnlich für einen wilden Normannenkrieger, hatten sie doch den Ruf, grausam und unerbittlich zu sein. Nachdenklich strich sie über den dunklen Wollstoff. Vielleicht waren ja doch nicht alle Normannen wilde Bestien?