ERZÄHLT MIR NICHTS VOM KRÖNCHEN RICHTEN! - Doreen Dietel - E-Book

ERZÄHLT MIR NICHTS VOM KRÖNCHEN RICHTEN! E-Book

Doreen Dietel

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Beschreibung

Wie oft musste sich Doreen Dietel das schon anhören: Wieder aufstehen, Krönchen richten und weitermachen. Aber genau das tut die manchmal etwas chaotische, gebürtige DDR-Bürgerin auf ihrem Weg zur gefragten Schauspielerin und erfolgreichen Gastronomin, auch wenn sie immer wieder kämpfen muss: mal gegen ihre inneren Dämonen, mal gegen (prominente) Männer und manchmal auch mit selbst produzierten Pannen. Drei Dinge haben sie in stürmischer See auf Kurs gehalten: ein starkes Kämpferherz, unverwüstlicher Humor und die Geburt ihres Sohnes. Aufrichtig und witzig erzählt Doreen Dietel in diesem Buch von den vielen Aufs und Abs in ihrem Leben.

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Seitenzahl: 200

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Doreen Dietel

Andreas Reinhardt

ERZÄHLT MIR NICHTS VOM KRÖNCHEN RICHTEN!

Tragik, Komik, Männer – Dietel

Biografie

Impressum

© NIBE Media © Doreen Dietel

Andreas Reinhardt

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Created by NIBE Media

Bildnachweis:

Alle Fotos aus Privatarchiv Doreen Dietel

Coverfoto: Goran Nitschke

NIBE Media

Broicher Straße 130

52146 Würselen

Telefon: +49 (0) 2405 4064447

E-Mail: [email protected]

www.nibe-media.de

Diese Biografie wurde erlebt und erzählt von Doreen Dietel

und literarisch in Szene gesetzt von

Andreas Reinhardt.

Inhaltsverzeichnis:

Liebeserklärung an meine Mami

Der innere Zwang, sich selbst nicht gut zu tun

Eine eigentlich unbeschwerte Kindheit in der DDR

Stufenweiser Abschied von der Kindheit

Entwurzelung, Kulturschock, Neubeginn

Ein spontaner Dreimonatstrip in die USA

Ruf der Schauspielerei – mein Schicksal erfüllt sich

Abwechslungsreiche Jahre am „Schauspiel München“

Eine Topadresse unter den Schwabinger Cafés

Eine Katastrophe jagt die nächste

Dietel-Galerie

Dreimonatstrip in die USA reloaded

Ein Filmpartner wird zum nächsten Albtraum

Jenseits der Serienschauspielerin

Ein Obdachloser der ganz besonderen Art

Der wichtigste Mann auf meinem Weg

Ein tiefer Einschnitt – Der Fall „Dahoam is Dahoam“

Gescheiterte Karriere als Gastronomin?

Wie ein Phönix aus der Asche?

Eine Köchin wie vom Himmel geschickt

Zwischen Lockdown und Promiboxen

Auf ein abschließendes Wort

Ganz zum Schluss noch ein fettes Danke

Liebeserklärung an meine Mami

Ein Satz gehört für mich unbedingt an den Anfang dieser Biografie. Eine Aussage, die von vornherein für Klarheit sorgen und eventuellen späteren Missverständnissen vorbeugen soll:

Ich habe meine Mami immer innig geliebt, ich tue es noch und werde es auch weiterhin tun – egal was kommt.

Es ist nur so, dass wir die meiste Zeit kein sehr herzliches Mutter-Tochter-Verhältnis gehabt haben, vielmehr war es geprägt von Spannungen und Vorwürfen. Es gab viele Momente, in denen ich mich ungeliebt und ungerecht behandelt gefühlt habe, ob während meiner Kindheit, meiner Jugend oder als erwachsene Frau. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich als Tochter habe ihr das Leben als Mutter auch nicht gerade leicht gemacht. Das musste ich in letzter Zeit erkennen.

Wie arbeitet man solche Erinnerungen in einer Biografie nun aber auf? Natürlich hätte ich es komplett durch die rosarote Brille beschreiben können oder gar nicht erwähnen brauchen, richtig? Falsch, denn dann wäre es keine vollwertige Biografie geworden. Wir beide, meine Mutter genau wie ich, haben schwere Zeiten durchgemacht und uns dabei als hart arbeitende Kämpfer und Überlebenskünstler erwiesen. Kein anderer Mensch war in den ganzen Jahren so nahe bei mir, hat mich so sehr geprägt und demzufolge auch die Persönlichkeit mitgeformt, die aus mir geworden ist – so verschieden wir in vielen Dingen auch sein mögen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Zum ganzen Puzzle des Lebens gehören unbedingt die wesentlichen Puzzleteile, selbst wenn es unbequeme Wahrheiten sind.

Einen positiven Effekt hat diese offene Herangehensweise bei der Vorbereitung zum Buch schon mit sich gebracht. Meine Mama und ich haben uns so intensiv ausgesprochen wie noch nie, und wir sind uns jetzt näher als je zuvor. Man kann sagen, wir haben uns ganz neu kennengelernt.

Mami, ich liebe dich und drücke dich ganz fest!

Der innere Zwang, sich selbst nicht gut zu tun

Was mich und mein Leben in der Vergangenheit am meisten definiert, beherrscht, gesteuert hat? Jetzt, wo ich endlich die nötige Reife und Gelassenheit erlangt habe, um einen klaren, unaufgeregten Blick zurückzuwerfen, möchte ich es mal so formulieren:

Seit meiner Ausreise aus der DDR war ich von dem inneren Zwang beherrscht, mir selber nicht gut zu tun.

Doch eigene Dämonen kommen nicht von ungefähr, sie haben sehr konkrete Ursachen. Meine liegen ziemlich sicher in der Kindheit begründet. Ich habe weder Nestwärme, noch bedingungslose Liebe oder ungeteilte Aufmerksamkeit und Anerkennung deutlich gespürt beziehungsweise erfahren. Auch nicht, was es heißt, sich selbst zu entdecken – ob nun den eigenen Charakter, Vorlieben oder Fähigkeiten. Anders ausgedrückt, ich habe nicht gelernt, mich selbst zu spüren.

Was mir ganz oft gefehlt hat, das war Führung. Als Jugendliche schaute ich in den Spiegel, ohne mich auch nur ansatzweise zu kennen, sah ein nach außen hin ansehnliches Gefäß, das innen gleichzeitig leer zu sein schien.

Das alles führte unter anderem dazu, dass ich mir später zu oft Männer ausgesucht habe, die mir nicht guttaten.

Ich verwechselte Erniedrigung mit Führung, Gewalt mit Liebe, Schwäche mit Stärke – immer wieder aufs Neue.

Was ich im vermeintlich „goldenen Westen“ vorgefunden habe, ist alles andere als hilfreich gewesen, es hat auf mich eher wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Die DDR-Ausreise meiner Eltern hat mich meiner ersten großen Liebe und der gewohnten Umgebung entrissen, das Leben in einem Aufnahmelager wurde der traumatische Kulturschock schlechthin.

Auf der Suche nach mir selbst folgte ich leichtgläubig jedem, der mir eine Lösung versprach, war anfällig für so manche Einflussnahme und miserablen Tipps. So wurde ich an diverse Süchte herangeführt. Doch egal welche, sie konnten niemals die Lösung sein. Heute weiß ich das, aber über viele Jahre setzte ich meinem Körper und meiner Seele extrem hart zu, indem ich exzessiv Sport trieb, mich in einen Schlankheitswahn einschließlich herbeigeführtem Erbrechen hineinsteigerte oder mich unkontrolliert dem Alkohol hingab. Absurderweise, weil völlig überflüssig, ließ ich zudem noch einen Schönheitschirurgen an mir herumpfuschen. Erstaunlich, dass ich wenigstens die Finger von Drogen und vom Ritzen gelassen habe – meine persönlichen Tabus.

Neben all dem baute ich mir eine Karriere als vielbeschäftigte Schauspielerin auf, war als prominente Teilnehmerin in verschiedenen TV-Show-Formaten von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ über „Das perfekte Promi Dinner“ bis hin zu „Das große SAT.1 Promiboxen“ zu sehen. Depressionen wurden dennoch immer wieder aufs Neue befeuert. Anlässe ergaben sich mehr als genug in einem Showbiz zwischen trügerischem Glanz und knallharter Realität, wo man Begriffe wie Anteilnahme, Vertrauen, Respekt oder Freundschaft allzu häufig vergeblich suchte.

Dann wäre da noch diese abgeschmackte Weisheit, die mir längst aus den Ohren quillt, weil ich sie mir von jedem wohlstandsverwöhnten Hinz und Kunz gefühlte eintausend Mal habe anhören müssen: „Wieder aufstehen, Krönchen richten und weitermachen.“ - Erzähle mir bloß keiner mehr was vom Krönchen richten, ich könnte Wolkenkratzer damit bauen!

Mittlerweile gilt mein Hauptaugenmerk nicht mehr der Schauspielerei, vielmehr nenne ich als Gastronomin ein schönes Restaurant-Bistro mein Eigen. Was nicht etwa heißen soll, dass ich interessanten Rollenangeboten gegenüber abgeneigt wäre.

Alle Liebe schenke ich meinem Sohn, der prächtig wächst und gedeiht. Die Suche nach mir selbst hat einen glücklichen Verlauf genommen, denn ich kann mich endlich spüren, in einem Gefühl der Freiheit aus mir selbst schöpfen und weiß nun, dass ich alles schaffen kann.

Aber Vorsicht! Die inneren Dämonen können zum Schweigen gebracht werden, doch sie werden niemals ganz weg sein, sondern lauern auf ihre nächste Chance, bis man es vielleicht irgendwann zulässt. Dessen bin ich mir sehr bewusst.

Mit dieser Biografie lasse ich mein bisheriges Leben Revue passieren, den ganzen steinigen Weg, auf dass ich und meine geneigte Leserschaft daran erinnert werden, wie zerbrechlich und wertvoll das Geschenk des Lebens ist, wie bedeutsam jeder ausgetragene Kampf darum.

Ich wünsche euch ein Lesen mit vielen ermutigenden, nachdenklichen sowie humorvollen Momenten.

Eure Doreen

Eine eigentlich unbeschwerte Kindheit in der DDR

In die klassische Bilderbuchfamilie wurde ich im Krankenhaus von Zeulenroda schon mal nicht hineingeboren. Mein Erzeuger, der selber noch nicht richtig trocken hinter den Ohren gewesen war, hatte sich bereits vom Acker gemacht, da war ich noch gar nicht geboren. Einen sich kümmernden Vater sollte ich trotzdem bekommen – wenn auch erst mit drei Jahren – und seinen Familiennamen noch dazu.

Ein Jahr später kam auch schon mein Halbbruder zur Welt.

Mein neuer Papa füllte seine Rolle so gut aus, dass ich ihn als solchen nie in Frage gestellt habe. Das Wort „Stiefvater“ hat für mich bis zu seinem viel zu frühen Tod im Jahr 2020 nicht existiert. Wir sind in all den Jahren gut miteinander ausgekommen, auch wenn es sich mehr wie eine liebevolle Freundschaft angefühlt hat als wie eine typische Vater-Tochter-Beziehung mit konsequenter Autorität. Vermutlich war das eben doch der Tatsache geschuldet, dass ich nicht sein eigen Fleisch und Blut war. Interessanterweise ist mir sein Tod zwar nahe gegangen, hat mich jedoch nicht aus der Bahn geworfen. Wie auch immer, er hat mir in jedem Fall eine alles in allem unbeschwerte Kindheit ermöglicht.

Mit der Geburt meines Bruders verließen wir die Kleinstadt Triptis in Thüringen, wo Mami damals als Kellnerin arbeitete, und zogen auf Papas Bauernhof im ländlichen Trünzig, das im äußersten Westen Sachsens liegt. Auf einem Bauernhof zu leben bedeutete auch für mich als Kind, in Stall und Garten sowie auf dem Feld mit anzupacken.

Daneben wurde die ganze Gegend für mich zum riesigen Abenteuerspielplatz, frei von zelebrierten Klassenunterschieden und pathologischem Materialismus. Dass sich die Erwachsenen gegenseitig unter die Arme griffen und Nachbarschaftshilfe leisteten, war genauso normal wie das Teilen von Süßigkeiten unter uns Kindern. Einfach gestrickt aber dem Miteinander verpflichtet, so ließ sich der Menschenschlag in jener Gegend der ländlichen DDR wohl am besten beschreiben.

Genau wie Papa, so hat zweifelsohne auch meine mich liebende Mama ihr Bestes getan, um die Härten des Alltags von mir fernzuhalten. Allerdings war sie mit ihrer Lebenssituation häufig überfordert. Neben der Arbeit als Reinigungskraft in einer Bergbaugesellschaft und den vielfältigen Aufgaben auf dem Bauernhof – alleine schon das Wäschewaschen mit der überhaupt nicht verbraucherfreundlichen Maschine vom VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg war eine schweißtreibende, ganztägige Angelegenheit – blieb wenig Zeit für liebevolle Gesten oder ein offenes Ohr. Im Gegenteil, es wurde schnell geschimpft, und ich fing mir nicht selten eine ein. Sie hat mir definitiv nicht viel durchgehen lassen. Manchmal glaube ich, sie hat sich durch mich zu sehr an meinen leiblichen Vater erinnert gefühlt – ihre erste große Liebe – dem ich mich so nahe fühlte, ohne ihn überhaupt zu kennen. Lediglich von Fotos, und darauf sah er so hübsch aus. Meine Mami hat sich wohl von ihm im Stich gelassen gefühlt.

Wenn wir gestritten haben, sind ihr auch schon mal Sachen herausgerutscht wie zum Beispiel, ich solle ihr aus den Augen gehen, ich würde wie mein Vater grinsen. Eine Tante hat sogar wortwörtlich zu mir gesagt:

»Du läufst genau wie dein Alter.«

Als es bis zu meinem dritten Lebensjahr nur mich und meine Mama gegeben hatte, war das noch ganz anders gelaufen. Jedenfalls zeigen mir meine frühesten Erinnerungen eine sehr ausgeglichene und liebevolle Mama, die zärtlich von ihrer „Doreeni“ gesprochen hat. Dann wurde mein Bruder geboren, und in mir erwachte das Teufelchen:

»Den brauchen wir nicht, den können wir gleich verkaufen! Ich will den nicht haben!«, mussten sich meine Eltern von mir anhören.

Zwar wandelte ich mich dann zur glühenden Beschützerin meines kleinen Bruders – gerne auch mit Fäusten – blieb aber rasend eifersüchtig, weil er auch noch alle Aufmerksamkeit vom Opa erhielt. Beantwortet habe ich das fortan mit einem frechen Mundwerk und zunehmender Aufsässigkeit. Wie man sich denken kann, tat das dem Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir überhaupt nicht gut. Gewollt oder ungewollt vermittelte sie mir das Gefühl, ich würde ihr nur Sorgen bereiten und nichts richtig machen können. Irgendwann glaubte ich es dann selbst und verhielt mich noch ungenierter, während ich im Stillen litt und weinte. Andererseits gab es nach wie vor auch diese harmonischen, leisen Momente zu zweit in meinem Zimmer, wenn wir zusammen kuschelten und sie ganz liebevoll war. Dann war ich wieder ihre „Doreeni“ und zwischen uns war alles wie früher. Von diesen Ausnahmen zehrte ich. Als ich einmal mit schwerer Grippe und hohem Fieber das Bett hüten musste, brachte mich ihre fürsorgliche Liebe schnell wieder auf die Beine. Jeden frühen Morgen kam sie mit warmem Kakao, Marmeladenbrot und einer Tablette zu mir. Ihre ganze Sorge und Hingabe galt nur noch mir. Die übrigen Alltagsprobleme schienen für sie keine Rolle mehr zu spielen. Trotz Grippe empfand ich es als Paradies, wollte sie gar nicht mehr aus dem Zimmer gehen lassen.

Anders als meine Mutter hat mein Stiefvater nur nachsichtig auf mich eingeredet oder gleich ganz weggeschaut, anstatt laut oder handgreiflich zu werden, wenn ich frech war oder etwas anstellte. Währenddessen litt er, wie ich Jahre später erfahren sollte, unter seinem Job als Fahrer im Dreischichtbetrieb derselben Bergbaugesellschaft ohne echte Erfolgsaussichten.

Unterm Strich bleibt festzuhalten, weder haben mich meine Eltern ab dem vierten Lebensjahr mit Herzenswärme überschüttet, noch waren sie gute Lehrmeister in der Frage, was genau im Alltag richtig oder falsch war und warum. Nicht zuletzt deshalb habe ich mich verstärkt älteren Kindern und Jugendlichen sowie anderen Erwachsenen zugewendet.

Diese Voraussetzungen, auch dass ich von Hause aus eine Frohnatur war sowie die Tatsache, dass ich im ländlich geprägten Trünzig ohne große Höhepunkte aber dafür mit viel Natur drumherum aufwuchs, ließen mich zu einer Mischung aus „Pippi Langstrumpf“ und „Michel aus Lönneberga“ werden, die nur Unfug im Kopf hatte und am laufenden Band Streiche ausheckte. - Wenn ich so darüber nachdenke, ein Wildfang bin ich eigentlich schon immer gewesen. Mit meinem fabrizierten Blödsinn wäre wohl selbst der nervenstärksten Mutter früher oder später die Hand ausgerutscht.

Apropos Streiche, mit denen habe ich rotzfreche Göre locker jedem Lausbuben in der Gegend Konkurrenz gemacht. Einige Beispiele gefällig? Aber gerne doch: In der ländlichen DDR gab es für mich kein Fernsehen, und Westfernsehen konnten wir schon gar nicht empfangen. Da war Kreativität gefragt, um uns den Alltag zu versüßen. Besonders im Alter zwischen neun und zwölf Jahren bin ich zur Höchstform aufgelaufen. So kam es, dass ich auf einer meiner ewigen Erkundungstouren einen Nagel gefunden habe – auf dem Boden der Werkstatt unseres Hofs. Und schnell wusste ich auch, was damit anzufangen war. Bei meiner Oma Elfriede gab es nämlich immer einen frischen Laib Brot vom Bäcker. Genau dort hinein drückte ich den Nagel, selbstredend unbemerkt von der Oma. Als die nun ihre Brotmaschine mit Handkurbel bemühte, kam sie nicht weit und ging der Sache sofort auf den Grund.

Das von mir platzierte Fundstück ließ sie aus der Haut fahren. Sofort wollte sie den Bäcker das Fürchten lehren.

Damit hatte ich mein erstes Ziel erreicht und setzte die Unschuldsmiene auf:

»Darf ich bitte mitkommen?«

Ich durfte und wurde kurz darauf Zeugin, wie meine Oma den Bäckermeister lautstark zusammengeschissen hat. Was ihm denn einfallen würde und wie ein Nagel überhaupt ins Brot hatte geraten können. Das wäre verantwortungslos und durch nichts zu entschuldigen. Der arme Mann war sichtlich rat- und sprachlos. Nur ich fühlte mich bestens unterhalten.

Auch Opa Walter wurde Opfer meiner Streiche. Gerade als er auf einem stattlichen Birnenbaum saß und konzentriert abpflückte, kam ich angeschlichen, um die Leiter umzustoßen. Bevor er so recht begriff, wie ihm geschah, hatte ich mich auch schon wieder unentdeckt verkrümelt und brachte eine möglichst große Entfernung zwischen mich und den Tatort. Niemand war im Haus und keine Nachbarn in der Nähe. Er hat eine Ewigkeit auf dem Baum ausharren müssen und fluchte abends noch immer über seine eigene Ungeschicklichkeit, die Leiter nicht richtig positioniert zu haben.

Einmal sollte ich Getränke in der kleinen Dorfkneipe kaufen gehen und war überhaupt nicht begeistert davon.

Ausbaden musste es die betagte Wirtin. Als die nämlich in den Keller runterging, um die gewünschten Flaschen zu holen, schloss ich kurzerhand die Tür von außen zu und warf den Schlüssel beim Weglaufen an den Wegrand. Es muss ziemlich lange gedauert haben, bis jemand die Ärmste aus ihrer misslichen Lage befreit hat, so wie mich meine Mami später dafür bestrafte. Aber auch, wenn ich ab und zu erwischt wurde und meine verdiente Abreibung erhielt, bekehrt hat es mich deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil, ich wurde noch einfallsreicher.

Als ich im Pferdetrog eine annähernd volle Flasche Doppelkorn entdeckte – vermutlich vom Opa, damit er unbemerkt von der Oma einen zwitschern konnte – hatte ich schon eine ziemlich gute Vorstellung davon, wie sich Alkohol bei allzu hemmungslosem Genuss auf die Menschen auswirkte. Nun nutzte ich die Gelegenheit, um ein Experiment am lebenden Tier durchzuführen. Der komplette Inhalt der Flasche landete im Hühnerfutter. Besoffene Hühner – das versüßte mir so was von den Tag! Herrlich, dieser ganze Strauß an Gemütsregungen, bevor das Federvieh nach und nach umkippte. Der Hahn veranstaltete das größte Theater – typisch Mann halt. Dann wurde mir allerdings mulmig, denn mich beschäftigte die Frage, ob die Hühner überhaupt wieder aufwachen würden und wenn ja, ob sie besoffene Eier legen würden. Besoffene Eier zum Sonntagsfrühstück, na, das konnte was werden.

Wo wir gerade bei Männern waren, der Ehemann einer Cousine hat immerzu filterlose Karo-Zigaretten made in DDR geraucht. In einem unbeobachteten Augenblick nahm ich seine noch volle Schachtel an mich und machte mich daran, in jede einzelne Zigarette per Sattlernadel – als Pferdeliebhaber und Reparatur-Ass hatte mein Opa auch die im Stall griffbereit – Rosshaar einzuziehen. Danach tauchte die Schachtel auf wundersame Weise wieder auf. Der passionierte Raucher hatte sie schon verzweifelt gesucht und ging wie erhofft davon aus, sie selbst verlegt zu haben.

»Die Zigarette schmeckt irgendwie komisch«, kommentierte er den ersten Zug, rauchte aber unerschrocken bis zum bitteren Ende weiter.

Bitter deshalb, weil er wenige Stunden später – weitere Glimmstängel waren noch nachgefolgt – dermaßen die Scheißerei bekommen hat, als wäre ihm eine halbe Flasche Rizinusöl eingeflößt worden. Speiübel war ihm außerdem noch. Das wurde selbst mir unheimlich und nagte an meinem Gewissen. Aber nur kurz, denn andererseits war ich ja noch ein Kind. Woher hätte ich wissen sollen, dass die robusten Haare eines Pferdes diese Wirkung entfalten würden. Unter normalen Umständen wurde dem Mann meiner Cousine von seinen stinkenden Zigaretten ja auch nicht schlecht, die das ganze Haus verpesteten.

Auch der alte Geldbeutel meiner Mama wurde zum Objekt meiner schelmischen Begierde, als sie sich einen neuen zulegte. Arglos überließ sie ihn mir, und so konnte ich auf meine ganz eigene Art Angeln gehen. An einer Schnur befestigt, legte ich meinen „Köder“ auf die Straße und nahm im Straßengraben Deckung. Ja, ich weiß, was Ihr jetzt denkt: schon zu Kaisers Zeiten ein ganz alter Hut. - Umso erstaunlicher, wie gut es funktionierte. Etliche Autos hielten an. Die dummen Gesichter werde ich nie vergessen, als anstelle des vermeintlichen Geldes in einem sich wie durch Zauberhand fortbewegenden Geldbeutel am Ende nur ein Mädchen winkte, das eine lange Nase drehte und laut lachend aufs Feld flüchtete.

Gerne habe ich auch meinen Bruder zum Mitmachen angestiftet. Zum Beispiel wenn es darum ging, vorbeifahrende Autos mit aus dem Feld gerissenen Grasbüscheln samt Wurzeln und Erde zu bewerfen. Jeder Treffer machte ordentlich Krach und Dreck, ließ uns lautstark jubeln, so als hätten wir gerade einen gefährlichen Drachen erlegt. Wenn gebremst und hörbar geflucht wurde, war unser Triumph vollkommen. Einmal verfolgte uns ein wutschnaubender Autobesitzer sogar zu Fuß bis weit aufs Feld. Zu seinem Unglück war der Mann überaus „gut genährt“ und der Ackerboden zu tückisch, um uns einholen zu können. Als er erschöpft kehrt machte, führten mein Bruder und ich einen Siegestanz auf. Es war ein unbeschreibliches Gefühl von Glück, Freiheit und Unbesiegbarkeit, wie es wohl nur Kinder erleben konnten.

Doch alles hatte seinen Preis, besonders meine anarchistische Ader. Diese Lektion lernte ich schon früh. Wie bereits erwähnt, verteilte meine Mama wenig zimperlich Schellen oder versohlte mir manchmal sogar den Hintern, wenn ich es arg zu bunt getrieben hatte. Ich wiederum war hart im Nehmen und steckte das weg. Ja, ich hatte wirklich viel von einem Jungen, umgab mich lieber mit ihnen als mit Mädchen. Im Umgang mit den Jungs aus Nachbarschaft und Schule war ich, wenn nötig, auch nicht zimperlich.

Ich fluchte, raufte und tobte wie sie, genau das war mein Ding. Mit Puppen zu spielen wäre mir nie in den Sinn gekommen, genauso wenig wie mir lange Fingernägel wachsen zu lassen. Auch der Pferdeschwanz, den meine Mutter mir jeden Morgen mit Hilfe eines straffen Einweggummis aufzwang, nährte meinen Widerstand. Es war unbequem, eine einzige Quälerei. Abends tat mir davon dermaßen die Kopfhaut weh, dass ich schließlich beschloss, zur Schere zu greifen. Ade, du lästiger Pferdeschwanz und ihr langen Haare. Daraufhin setzte es die heftigste Haue, die ich vorher wie nachher je von meiner Mutter bekommen habe. Sie wollte in mir halt unbedingt einen Engel mit blauen Augen und langen dunklen Haaren sehen – wenigstens optisch, wenn schon nicht dem Charakter nach. Tja, und mit einem Scherenschnitt war es damit von einer Sekunde auf die nächste vorbei.

Ich stellte auch Unfug an, der auf den ersten Blick zwar durchaus den Tatbestand eines ausgewachsenen Streiches erfüllte, bei näherer Betrachtung aber lediglich der Tatsache geschuldet war, dass ich manches zu wörtlich nahm oder einfach nur zu unwissend daherkam. Nehmen wir zum Beispiel die Sache mit dem Rumtopf. Ich beobachtete immer wieder aufs Neue, wie die Oma im Garten Beeren pflückte – Himbeeren, Erdbeeren Brombeeren, schwarze Johannisbeeren – und damit im Keller verschwand. Neugierig wie ich war, bin ich natürlich irgendwann hinterhergeschlichen und habe heimlich dabei zugesehen, wie sie den Deckel eines Holzbottichs wegnahm, um die Beeren einzufüllen. Dann kam der Deckel wieder drauf und die Oma ging. Ich blieb und wartete ab, bis die Luft rein war.

Dann ging ich der Sache auf den Grund. Erste Erkenntnis: die Beeren schwammen obenauf in einer Flüssigkeit.

Zweite Erkenntnis: es stieg ein intensiver Duft nach Alkohol aus dem Bottich auf. Dritte Erkenntnis: oha, die Beeren schmeckten gar nicht mehr wie die üblichen Beeren, sondern süßlich alkoholisiert. Egal, es schmeckte gut und verursachte ein wohlig warmes Gefühl im Bauch.

Von nun an machte ich jeden Tag einen Abstecher in den Keller, immer nach der Schule, um mir eine Kelle voll Beeren abzuschöpfen. Ich muss tagtäglich einen im Tee gehabt haben, jedenfalls fühlte ich mich besonders beschwingt und abenteuerlustig, so viel ist mal sicher.

Manchmal legte ich mich einfach nur auf die Couch und genoss es, wie der Alkohol seine bewusstseinsverändernde Wirkung entfaltete.

Es kam Heiligabend, und Oma Elfriede holte den Rumtopf aus dem Keller. Sie sah hinein und schrie ungläubig auf:

»Das kann doch nicht wahr sein, wo sind denn die Beeren hin?!«

Schon drängte sich der Rest der Familie ratlos um den Bottich.

Nur ich nicht, ich stellte stattdessen eine betont unschuldige Frage: »Was ist denn mit den Beeren?«

Jetzt meldete sich meine Mutter zu Wort: »Die gehören normalerweise in den Rumtopf.«

»Darf man die essen?«

Sie sah mich streng an. »Die darfst du nicht essen, das ist giftig. Alkohol ist nichts für Kinder.«

Während ich mir insgeheim schwor, nie wieder vom Rumtopf zu naschen, rätselte meine Familie noch immer, was wohl aus den Beeren geworden war. Waren die Spirituosen vielleicht zu hochprozentig gewesen? Und waren die Zutaten aus dem Garten deshalb womöglich zersetzt worden? Schließlich wurde sogar Opa Walter einem peinlichen Verhör unterzogen:

»Sag mal, hast du dich heimlich aus dem Rumtopf bedient?«

»Gottverdammmich nochmal! Was weiß ich denn, wo du deinen Rumtopf stehen hast. Außerdem würde ich wenn überhaupt die Flüssigkeit leermachen und nicht die Beeren andatschen.«

Bei den ganzen Gedankenspielen blieb ich völlig außen vor und damit unbehelligt. Puh, noch einmal Glück gehabt. Final verständigte man sich doch darauf, dass Himbeeren & Co. sich zersetzt hatten.

Die nächste naive Aktion ging genau genommen auf das Konto des Biologieunterrichts in der Grundschule.

Dort brachte man uns nämlich bei, dass Schweine Allesfresser seien. Wer konnte mir also verübeln, wenn ich die Probe aufs Exempel machte. Unserer für die nächste Schlachtung vorgesehenen Sau wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, alles zu verwerten, was ich ihr in der folgenden Zeit in den separaten Futtertrog warf: ein schon verwesendes Nagetier aus dem Wald, Zahnpasta, Schuhcreme … - Und wirklich, die Gute erfreute sich auch nach Tagen noch bester Gesundheit, grunzte zufrieden vor sich hin. Es dauerte nicht mehr lange, da wurde das fidele Tier geschlachtet. Ich dachte mir nichts weiter dabei, es war ja nicht das erste Mal. Doch dann kam ich aus der Schule und stieß in der Küche auf einen mir bereits bekannten Mann, der im Beisein vom Opa ein Mikroskop und sonstige Mitbringsel auf dem Tisch verteilte – eigentlich wie immer nach einer Schlachtung.

Aber jetzt plagte mich die Neugier: »Was machen Sie da eigentlich immer?«

»Ich muss schauen, ob eure Sau gesund war. Wenn was mit der Leber nicht stimmt, dann war sie es nicht, und Ihr müsst den Schinken und die ganze Wurst wegschmeißen.«