Es war einmal ... ein Wolf - Rhys Ford - E-Book

Es war einmal ... ein Wolf E-Book

Rhys Ford

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Beschreibung

Gibson Kellers Leben folgt einer ziemlich öden Routine: Aufstehen, Arbeiten und eine Menge Kaffee dazu. Nebenbei kümmert er sich noch um Ellis, seinen großen Bruder, der in seiner Wolfsgestalt steckt, seit er aus dem Krieg heimgekommen ist. Ein einfaches Leben mit vielen langen Läufen auf zwei oder vier Beinen … bis Ellis einen gut aussehenden Mann über eine Klippe ins eiskalte Wasser in der Nähe ihres Hauses jagt und Gibsons Leben damit für immer verändert. Zach Thomas wollte einen Neuanfang machen, als er sich das alte B&B kaufte – sein Stadtleben hinter sich lassen und endlich die ersehnte Ruhe finden. Auf den Pfaden hinter seinem Grundstück zu wandern, klang eigentlich wie eine ziemlich sichere Idee – bis zu dem Augenblick, als ihn ein riesiger, schwarzer Wolf in den See jagt und Zach beinahe ertrinkt. Zu seiner Überraschung muss er erfahren, dass es wirklich Werwölfe gibt, doch das ist nichts gegen die Entdeckung des Mannes, der ihn aus dem eisigen Wasser rettet und dann einfach in sein Herz spaziert, als gehörte es ihm.

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Zusammenfassung

Widmung

Danksagung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Epilog

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Biographie

Von Rhys Ford

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Copyright

Es war einmal … ein Wolf

Von Rhys Ford

Gibson Kellers Leben folgt einer ziemlich öden Routine: Aufstehen, Arbeiten und eine Menge Kaffee dazu. Nebenbei kümmert er sich noch um Ellis, seinen großen Bruder, der in seiner Wolfsgestalt steckt, seit er aus dem Krieg heimgekommen ist. Ein einfaches Leben mit vielen langen Läufen auf zwei oder vier Beinen … bis Ellis einen gut aussehenden Mann über eine Klippe ins eiskalte Wasser in der Nähe ihres Hauses jagt und Gibsons Leben damit für immer verändert.

Zach Thomas wollte einen Neuanfang machen, als er sich das alte B&B kaufte – sein Stadtleben hinter sich lassen und endlich die ersehnte Ruhe finden. Auf den Pfaden hinter seinem Grundstück zu wandern, klang eigentlich wie eine ziemlich sichere Idee – bis zu dem Augenblick, als ihn ein riesiger, schwarzer Wolf in den See jagt und Zach beinahe ertrinkt. Zu seiner Überraschung muss er erfahren, dass es wirklich Werwölfe gibt, doch das ist nichts gegen die Entdeckung des Mannes, der ihn aus dem eisigen Wasser rettet und dann einfach in sein Herz spaziert, als gehörte es ihm.

Für Mel Brooks, Gene Wilder, Marty Feldman, Teri Garr, Cloris Leachman, Peter Boyl und die unvergleichliche Madeline Kahn. Danke für das Lachen und für die verdammte pawlowsche Reaktion, die jedes Mal in meinem Hirn entsteht, wenn ich das Wort „Werwolf“ höre.

Dieses Buch ist Andrea Canada gewidmet, die mich immer wieder angestachelt hat, eine Gestaltwandler-Story zu schreiben. Außerdem widme ich es Michelle Mary Taylor, die sich durch meine Wörter wühlt, um darin irgendwelche Goldstücke zu finden. Hier sind deine Wölfe.

Danksagung

FÜR DIE fantastischen Fünf: Jenn, Lea, Penn und Tam. Weil wir die besten Haarfarben haben und uns zumindest fast alle einig sind, dass Ketchup kein adäquater Ersatz für gehackte Tomaten ist.

Und mit viel Liebe für meine anderen Schwestern, die mich zum Lachen, Kopfschütteln und Schmunzeln bringen: Ree, Lisa Ren und Mary.

Wie immer gilt mein Dank Dreamspinner – Elizabeth, Lynn, Grace und ihrem Team, Naomi und allen, die so hart daran arbeiten, dass wir der Welt unsere besten Seiten präsentieren.

Nicht zuletzt möchte ich all den Wesen danken, die in der Nacht herumspuken. Ihr seid alle süß. Denkt daran, das Licht auszumachen, wenn ihr euch wieder unter dem Bett verkriecht.

1

SO SOLLTE sein Leben nicht enden.

Nicht jetzt. Nicht so. Nicht, wo er es gerade erst aus den Klauen der Depression gerettet hatte.

Nicht jetzt, wo er sich gerade erst wieder wachgerüttelt hatte.

Die Winterluft hielt Zachs Lunge umklammert, streckte ihre eisigen Finger in seine staubtrockene, enge Kehle und hieb ihre Klauen in seine Brust, als er nach Luft schnappte. Der grüne, abgestandene Geruch der Bäume durchzog die Hügel rund um Big Bear. Zach hatte geglaubt, er würde sich irgendwann daran gewöhnen, aber jetzt, da ihn der riesige Schatten durch den dichten Wald jagte, schien ihm das nicht mehr sehr wahrscheinlich. Hier gab es keine Sicherheit. Er hatte keine Ahnung, wo er war. Sich durch den hohen Schnee zu wühlen hatte ihm vor nur einer halben Stunde noch Spaß gemacht. Für einen Jungen, der in der Stadt geboren und aufgewachsen war, war es eine neue Erfahrung gewesen.

Doch dann hatte sich das Licht verändert und sein Spaziergang war plötzlich eine Sache von Leben und Tod geworden. Im Handumdrehen hatten sich die Schatten blau gefärbt und die Bäume mit der hellen Rinde hatten sich in stockfinstere Vorboten verwandelt. Ihre frostigen Kronen hatten sich verdunkelt, als die Sonne vom Himmel verschwand, und der Wald lag jetzt in ein schlammig-graues Licht getaucht da. Dann hatte Zach den Donner gehört, eine rollende Walze, die ihm die Knochen durchzuschütteln schien, als sie von den umliegenden Bergen widerhallte. Er hatte umkehren wollen, doch als er sich umgesehen hatte, hatte er erkennen müssen, dass der Pfad, dem er gefolgt war – ein deutlich zu erkennender Pfad auf seinem neu gekauften Grundstück – so komplett verschwunden war wie eine Spur aus Brotkrümeln, die ein paar Kinder im Märchen gelegt hatten.

Der Wind schien eine gewisse Unsicherheit und Anspannung zu ihm zu tragen, ein Flüstern aus der Urzeit, das in einem Schauer über Zachs Rücken lief und ihn im Nacken packte. Als er das Knurren zum ersten Mal hörte, hatte er es noch abgetan, versucht, nicht an die „Was-wäre-wenns“ zu denken, und es sich als das Echo eines weit entfernten Donnerschlags zu erklären.

Doch dann hatte er den riesigen Umriss eines Wolfs hinter den Bäumen gesehen. Zumindest hatte er gedacht, es sei ein Wolf. Er war in Marin County aufgewachsen und hatte deshalb nicht viel Erfahrung mit solchen Dingen, aber was konnte es schließlich anderes sein? Die Gesichtszüge des Tiers lagen zwar in der Dunkelheit verborgen, aber seine Augen glommen in feuriger Wut durch die Schatten hindurch. Es war riesengroß – viel größer als Zach gedacht hätte, dass ein Wolf werden könnte – und seine stille Wacht weiter oben am Abhang brachte jeden von Zachs Nerven zum Zittern, sodass er nicht mehr klar denken konnte. Eigentlich wusste er es besser. Oder er hätte es zumindest besser wissen müssen. Aber seine Füße und sein Gehirn trafen ihre eigenen Abmachungen, bei denen er nicht mitreden durfte.

Furcht hat etwas Bitteres an sich. Sie legt sich wie ein öliger Film über das Gehirn eines Menschen und erstickt alle vernünftigen Gedanken. Zach hatte schon der Atem gestockt, bevor er sich auch nur einen einzigen Schritt von dem Schatten entfernt hatte, der über ihm lauerte. Als er sich bewusst wurde, dass er gerade mit aller Kraft davonrannte, wusste er augenblicklich, dass er damit sein Todesurteil unterschrieben hatte. Über seine eigenen gequälten Atemzüge konnte er das Rascheln der Zweige und Blätter hinter ihm kaum hören, aber es war gerade laut genug, um ihm zu verraten, dass der Wolf ihn verfolgte.

Das Tier hätte ihn schon längst fangen müssen. Er rannte schon seit ungefähr fünf Minuten so schnell er konnte, zumindest fühlte es sich so lange an. Die Zeit entglitt ihm viel zu oft. Während der Zeit, in der er sich von dem Unfall erholt hatte, war sein Leben zu einer Reihe von Papierbechern mit Medikamenten, unerträglich schmerzhaften Tests und langen, unkontrollierbaren Weinkrämpfen geworden. Die Ärzte hatten ihm erzählt, es sei normal, dass er manchmal aus seinem Krankenhausbett hochschreckte, vor Schmerz völlig verkrampft war und mit Gefühlen, die er einfach nicht abschütteln konnte. Monatelange Physiotherapie hatte ihn wieder so fit gemacht, wie er gewesen war, bevor der geklaute Panzerwagen in seinen Audi gerast war und seine Welt sich mit blinkenden Lichtern und heulenden Sirenen gefüllt hatte, aber die winzige Schwedin, die sich mit ihm darum bemüht hatte, dass er wieder auf die Beine kam, hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass er es mit einem Berg aus Fell und Zähnen aufnehmen müssen würde.

Ein kleiner Teil seines Gehirns versuchte immer noch zu erfassen, wie groß das Tier war. Komisch, auf was für Gedanken man kommt, wenn man eigentlich damit beschäftigt sein sollte, nicht zu sterben. Am Ende war es eine Decke aus Kiefernnadeln, die sein Schicksal besiegelte. Er trat mit dem rechten Fuß auf die rutschige Masse und verlor die Balance. Die Tatsache, dass es hier steil bergab ging, ließ ihn nur noch schneller fallen. Bevor Zach blinzeln konnte, saß er auf dem Hintern und rollte dann den felsbedeckten Hügel hinunter.

Bäume rauschten an ihm vorbei, harte Streifen in der weicheren Landschaft, und sein letztes bisschen Verstand sagte ihm, er solle sich an allem festhalten, was er zu fassen bekam. Seine Hände schlossen sich um einen dicken Ast, der an einen Felsblock gelehnt dastand, doch der Ast war an nichts befestigt und zersplitterte ihm zwischen den Fingern. Holzsplitter, Staub und Kiefernnadeln peitschten ihm ins Gesicht und Zach hustete sie aus, während er weiter unkontrolliert auf Talfahrt ging.

Sterne tanzten vor seinen Augen und seine Stirn pulsierte schmerzhaft. Blutgeschmack lag ihm auf der Zunge und Zach wurde klar, dass er gegen einen Baum geprallt sein musste. Das Atmen fiel ihm schwer. Die Welt rauschte an ihm vorbei. Schnee drang in jede Ritze, sein Hemd, seinen Mund, und die Kälte bohrte sich in seine aufgeschlagenen Handflächen.

Er sah den Felsblock, einen gefallenen Mond am Rand des Sees, aber der Hügel war zu steil, als dass er hätte anhalten können. Oh Gott, er konnte nicht anhalten! Und der Schatten war immer noch hinter ihm her. Auf leisen Pfoten und geifernd tanzte er in Zachs Blickfeld und wieder hinaus, im gleichen Tempo, in dem Zach stürzte. Zach versuchte, die Beine anzuwinkeln und sich irgendwie davon abzuhalten, in diesen Knochensplitter der Erde zu krachen, aber es half alles nichts. So wie der Wolf seinen Fluchtinstinkt ausgelöst hatte, bereitete sein Hirn sich angesichts des Felsens auf Schmerz vor und erinnerte ihn an jeden einzelnen ausgefransten Nerv und gerissenen Muskel, den er vor Monaten durchlebt hatte.

Die Sterne vor seinen Augen verwandelten sich in eine ganze Milchstraße, als er auf den Felsblock traf. Der Schmerz war überwältigend. Rote Blitze zuckten durch seine ohnehin schon gequälten Muskeln, und Knochen, die gerade erst vorsichtig abgeheilt waren, erbebten unter dem Aufprall. Zach hatte nicht einmal genug Zeit für einen Schrei. Seine Zunge erstickte ihn, als er in den See stürzte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er schon so nah am Ufer war, so schrecklich nah, doch als er gegen den Felsen prallte, wirbelte sein Körper herum und er rutschte ins Wasser.

Einen winzigen Moment lang fühlte sich die unerträgliche Kälte gut an. Die Schmerzen hatten ihn überhitzt, und das dünn überfrorene Wasser erstickte die Flammen unter seiner Haut. Die Erleichterung verflog jedoch in Sekundenschnelle wieder, gefolgt von einer Welle von Höllenqualen, die ihn überrollte. Mit völlig verkrampften Muskeln versuchte Zach, festen Boden zu finden und sich nach dem Ufer auszustrecken, in der Hoffnung, er könne etwas finden, an dem er sich festhalten konnte, aber seine zitternden Hände griffen ins Leere.

Die Kälte verschluckte ihn gänzlich wie eine hungrige Schlange, die ihn sich zur Beute gemacht hatte. Eine Finsternis, die ebenso dicht war wie der bedrohliche Schatten in den Bäumen, begann sich um ihn zu legen. Während der fast gefrorene See ihm das Leben aus dem Körper sog, sah er, wie der Wolf auf den Felsen kletterte, den Kopf in den Nacken warf und ein schauriges, gespenstisches Heulen ausstieß.

„ELLIS, ICH schwöre es, wenn er uns wegstirbt, häute ich dich und benutze deinen Pelz als Teppich.“ Der riesige schwarze Wolf, der sich vor dem Kaminfeuer zusammengerollt hatte, antwortete nicht, aber das hatte Gibson auch nicht erwartet. „Ich wünsche mir schon lange einen Teppich, und dein Fell käme mir da gerade recht.“

Es wäre schön gewesen, wenn er wenigstens ein Ohrenzucken bekommen hätte, aber das Tier schlief in aller Seelenruhe weiter.

Gibson hatte Ellis’ Heulen gehört, die Panik und Sorge, die in den hallenden Basstönen lagen, und war sofort losgerannt. Einen Augenblick lang hatte er überlegt, ob er die Gestalt wechseln sollte, ob es besser wäre, seine menschliche Form abzulegen und sich in das Blut und den Pelz seines Vaters zu hüllen, aber in diesen Wäldern gab es manchmal Jäger und er konnte es nicht riskieren, erschossen zu werden. Nicht solange Ellis ihn brauchte. Der Boden unter seinen Füßen war tückisch und er hatte vergessen Schuhe anzuziehen – immer vergaß er die verdammten Schuhe –, deshalb kam er durch das Unterholz, das unebene Gelände und die Schneewehen vergleichsweise langsam voran. Als Wolf hätte er die Meilen nur so verschlungen.

Es entsprach nicht unbedingt Gibsons Vorstellung von einem gelungenen Start in den Tag, Ellis dabei zuzusehen, wie er das durchweichte, tote Gewicht eines bewusstlosen Mannes aus dem überfrorenen See zog, aber angesichts der bläulichen Farbe, die sich im blassen Gesicht und auf den von der Kälte geröteten Händen des Mannes abzuzeichnen begann, war sein Morgen ein ganzes Stück schlechter gelaufen.

„Du hättest ihn ja auch nicht durch die Bäume jagen müssen, du Arschloch“, sagte Gibson, während er über Ellis’ massives Hinterteil stieg, um in die Küchenzeile des Blockhauses zu kommen. „Es ist mir egal, ob er auf unserem Grundstück war. Menschen sind kein Spielzeug, erinnerst du dich?“

Ein gelber Blitz unter Ellis’ fast geschlossenen Augenlidern verriet Gibson, dass der Wolf ihn gehört hatte, doch das Schnauben, das darauf folgte, und die kleine Wolke aus stinkendem Gas, die er in die Küche entließ, waren Ellis’ Art ihm mitzuteilen, er solle ihn in Ruhe lassen. Im Vorbeigehen stupste Gibson Ellis mit dem Fuß an, dann breitete er die Ladung Handtücher, die er frisch und warm aus dem Trockner geholt hatte, über den Körper und die Beine des Mannes aus.

Der Winter hatte noch einmal voll zugeschlagen, bevor sie es zurück ins Blockhaus geschafft hatten. Schnee hatte den Pfad fast verschwinden lassen. Ellis’ massiger Körper hatte Gibson die Beine gewärmt, während der Wolf sie führte und dabei nur so schnell ging, dass Gibson Schritt halten konnte. Das Gewicht des bewusstlosen Mannes, den Gibson sich im Rettungsgriff über die Schultern gelegt hatte, hinderte ihn daran, schneller als der Sturm zu laufen. Das war einfach nicht drin. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Ellis schon vorgerannt und durch die offene Tür hineingegangen wäre und sich am Feuer aufgewärmt hätte, aber ohne die Hilfe des Wolfes hätte er es auf keinen Fall zurück zum Blockhaus geschafft.

Manchmal war Gibsons menschliche Form ein Fluch. Seine Sinne waren so viel stumpfer, als wenn der Wolf ihn ritt. Sein Verstand wusste, dass es nicht mehr als eine kleine Willensanstrengung gegen die dünne Haut über seinen Knochen und Muskeln brauchte, um seine ganze Welt zu verändern, die Gerüche in der Luft und auf dem Boden zum Glänzen zu bringen und die Verdunklungsschicht abzustreifen, die sein Körper um alles legte. Einen attraktiven Mann in den Armen zu halten, machte ihn fast wahnsinnig vor Frust, denn es erregte einen Urinstinkt in Gibson. Das leichte Flattern im Herzschlag des Mannes, das sich durch seinen ganzen Körper fortpflanzte, und der unregelmäßige Puls an seiner Kehle verrieten Gibson, dass er noch am Leben war, dass die Elemente ihm jedoch ordentlich zugesetzt hatten.

Er musste ihn nach drinnen bringen, ins Warme und Sichere, auch wenn das bedeutete, dass er seine verborgene Welt öffnen musste, aus der er jeden außer seinem Bruder verbannt hatte.

Und das hatte er jetzt davon: einen hochgewachsenen, langbeinigen Mann mit dem Gesicht eines Engels, der in eine Keilerei verwickelt worden war, und einem Körper, bei dem ihm das Wasser im Mund zusammenlief, der allerdings mit blauen Flecken und Narben übersät war.

Nachdem er die Tür geschlossen und den Sturm ausgesperrt hatte, hatte Gibson den zitternden Mann auf die lange Seite des Ecksofas gelegt und ihm die durchnässten Kleider ausgezogen. Der Stoff war steifgefroren gewesen und er hatte das Flanellhemd zerrissen, als er versucht hatte, die Knöpfe zu öffnen. Die Jeans war so hart und unnachgiebig gewesen, dass es nicht zu vermeiden gewesen war, dass ihre Nähte lange, rote Kratzer auf den leicht behaarten Beinen des Mannes hinterließen. Gibson hatte gedacht, er hätte seine Erregung im Griff, aber als er dem Mann die patschnasse Boxershorts auszog – absurderweise eine schwarze mit winzigen Einhörnern mit Regenbogenmähne darauf – musste er einen Augenblick innehalten und einmal tief durchatmen.

Er schrieb die Lust, die ihn durchflutete, der Tatsache zu, dass er schon seit Jahren keinen Mann in seinem Leben gehabt hatte und sich kaum mehr an das letzte Mal erinnern konnte, als sich etwas anderes als seine eigene Hand um seinen Schwanz gelegt hatte. Oder er hätte es zumindest getan, wenn Ellis ihn nicht mit seinem breiten Wolfsgrinsen ausgelacht hätte.

Ellis’ Beute sah – abgesehen von den blauen Flecken und Narben – aus, als wäre er dafür geschaffen, jeden einzelnen von Gibsons Wünschen zu erfüllen. Der schlanke Mann mit den gut definierten Muskeln und den langen Gliedern hatte etwas an sich, das dafür sorgte, dass Gibsons Magen sich vor Vorfreude zusammenzog. Er war nicht besonders schön. Sein Gesicht war keines von der Sorte, mit der man coole Klamotten oder die neueste Technik verkaufte. Der Mann, den Ellis aus dem See gezogen hatte, trug Spuren seines Lebens im Gesicht. Ein Hauch von Krähenfüßen lag um die Augen mit den langen Wimpern, und irgendwann musste er einmal in etwas gerannt sein, das härter als seine Nase gewesen war, wie die winzige Beule im Nasenrücken bezeugte. Selbst jetzt, wo sein Körper sich langsam aufwärmte, war er noch ein wenig bleich, wie ein Mann auf dem Weg der Heilung. Einige der zahlreichen Narben auf seinen Beinen, seinen Knien und seinem Rücken waren pink und unruhig unter der Haut. Sie waren nicht ganz frisch, aber immer noch neu genug, um böse auszusehen.

Oder vielleicht war es der Mann, der sie trug, der böse aussah. Er hatte die Fäuste geballt und hielt sie so an die Seiten gepresst, als hätte Gibson ihn mitten in einer Schlägerei entdeckt. Wobei, Gibson kannte Ellis gut genug – soweit man Ellis überhaupt kennen konnte – um zugeben zu müssen, dass das durchaus der Wahrheit entsprechen konnte. Der schwarze Wolf hatte nur dann einen Sinn für Humor, wenn Gibson dabei war. Den Rest der Zeit war er düsterer Stimmung und abweisend, und manchmal suchte er Streit – Streit, den weder Ellis noch Gibson sich leisten konnten.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du extra hinausgegangen bist und ihn für mich erlegt hast“, sagte Gibson. Der Mann stöhnte und verlagerte sein Gewicht auf den Kissen. Gibson ging auf, dass er schon seit Ewigkeiten mit keinem echten Menschen mehr gesprochen hatte, mit Ausnahme von Old Walter im Gemischtwarenladen am Fuß des Hügels. „Ellis, musstest du ihn wirklich in den See jagen?“

Wieder keine Antwort.

„Okay, dann sehen wir mal zu, dass du warm wirst“, sagte Gibson und stapelte warme Handtücher und ein paar Steppdecken auf dem nackten Körper des Mannes. „Deine Haut nimmt schon ein bisschen Farbe an. Das ist ein gutes Zeichen, hoffe ich zumindest. Alles was ich weiß, kommt daher, dass ich für das verdammte Buch recherchieren musste. Ob uns das weiterhilft, weiß ich ehrlich gesagt nicht.“

Der Strom war ausgefallen und sein Handy hatte kaum Empfang, wobei das der Normalfall war. Trotzdem versuchte er es noch einmal beim Notruf, doch das führte nur zu mehr Frust. Es krachte und knisterte in der Leitung und auf dem Festnetz war es auch nicht besser. Draußen heulte der Sturm und Gibson machte im Kopf eine Liste der Vorräte, die er in der Speisekammer und in der Gefriertruhe hatte. Das Gefriergut war natürlich ein Problem. Er würde die Temperatur im Auge behalten müssen, um zu entscheiden, ob es sicherer war, alles nach draußen zu schaffen, wo es vom Wetter gekühlt wurde oder ob er den kleinen Generator anwerfen musste, den er für Notfälle bereithielt.

„El, wenn wir noch mal beschließen, ein Blockhaus im Wald zu mieten, müssen wir unbedingt darauf achten, dass der Stromanschluss ein bisschen besser ist als hier. Ich hätte nichts dagegen, gleichzeitig die Mikrowelle und den Föhn zu benutzen, ohne befürchten zu müssen, dass ich das ganze Haus in die Luft jage.“

Gibson ließ sich in der Hocke auf die Fersen fallen. Er wusste, dass er jetzt nichts mehr tun konnte, als abzuwarten, aber das machte die Situation nicht einfacher. Der Mann atmete und sein Puls war kräftig, aber die Beule auf seiner Stirn sah besorgniserregend aus. Wenn er nicht bald wieder zu Bewusstsein kam, würde Gibson eine schwere Entscheidung treffen müssen. Der Sturm würde nicht zulassen, dass sie mit dem Auto wegfuhren, und selbst wenn, gab es keine Garantie dafür, dass sie durchkommen würden.

„Das B&B ist am nächsten. Ich würde sagen, bis dorthin ist es ungefähr eine gute Meile, was meinst du? Ansonsten gibt es auf unserer anderen Seite nicht viel. Dank seiner Brieftasche kennen wir seinen Namen, aber in seinem Führerschein steht, dass er aus der Stadt kommt.“ Gibson warf Ellis einen Blick zu und kaute dabei gedankenverloren auf seiner Unterlippe. „Wahrscheinlich kommt dieser Kerl aus dem alten Wirtshaus. Das ist näher an der Hauptstraße. Wenn nicht irgendwo ein Kabel gerissen ist, haben sie dort wahrscheinlich sogar Strom. Oder zumindest ein funktionierendes Telefon. Wenn er nicht bald aufwacht, werde ich versuchen, es rüber zu dem alten Haus zu schaffen und zu schauen, ob uns dort jemand helfen kann. Dann muss ich ihn mit dir allein lassen, Ellis.“

Er versuchte, die Besorgnis im zerfurchten Gesicht des Wolfs zu ignorieren, aber das gelang ihm nicht so recht. Sie war viel zu deutlich.

Schnee klebte an den Fenstern wie weiße Vorhänge mit frostigem Spitzenbesatz. Draußen grollte Donner. Blitze zerrissen die Finsternis und tauchten die Landschaft für einen Augenblick in grelles Licht. Das Blockhaus, das nur aus einem Raum bestand, bebte und Ellis begann an seinem Platz vor dem Kamin zu winseln.

„Komm her!“ Gibson saß auf der kurzen Seite des Ecksofas und rief den Wolf zu sich. „El, komm rüber.“

Ellis erhob sich schmerzlich langsam. Sein Rückgrat verkrampfte sich und verdrehte ihm den ganzen Körper. In seinen Augen war das Weiße zu sehen und als es draußen wieder donnerte, begann er zu hecheln und auf und ab zu gehen. Gibson bekam das raue Wolfsfell zu fassen und zerrte den widerstrebenden Ellis zu sich herüber. Ellis fletschte die Zähne, die Lefzen hochgezogen, sodass die glänzend weißen, rasiermesserscharfen Reißzähne zum Vorschein kamen, mit denen er sonst eher lächelte als zu drohen. Jetzt lag jedoch echte Gefahr in der Luft.

Der Lärm des Sturms – sein schreckliches Getöse – trieb das letzte bisschen Verstand, das Ellis noch besaß, in die Schatten. Die verschlagene Intelligenz, die Gibson in Ellis’ bernsteinfarbenem Blick sehen konnte, erlosch langsam, vertrieben von Albträumen und Erinnerungen. Gibson hatte die Zähne des Wolfs schon einmal zu spüren bekommen, als er einen seiner Anfälle gehabt hatte und mit einem Reißzahn innen an Gibsons rechtem Arm hängengeblieben war, aber dieses Mal rief der Sturm eine ganze wilde Jagd von Ängsten aus den dunklen Tiefen von Ellis’ Gehirn hervor.

„Komm hierher!“ Gibson war hin- und hergerissen, ob er seinen Bruder eng an sich ziehen oder seine Schnauze wegschieben sollte, aber das wäre zwar vernünftig, würde aber auch eine tiefsitzende Ablehnung bedeuten. Sie mussten sich ihren Atem teilen, ihren Geruch austauschen, und vor allem musste Ellis ihn spüren und von seiner Kraft zehren, um den Widerhall des Sturms bekämpfen zu können.

Es war ein Kampf des Willens und des Widerstands. Ellis war so schwer, dass es Gibson schwerfiel, ihn zu bewegen, aber er verankerte sich an der Couch und legte die Arme um die Brust des Wolfs, um ihn an sich zu ziehen. Ellis widersetzte sich der Umarmung, ein zum Zerreißen angespanntes Tier, das von der Wut des Sturms in den Wahnsinn getrieben wurde. Sein Maul stand weit offen, sodass fast alle seine Zähne zu sehen waren. Gibson schob seinen Arm nach oben und legte ihn um Ellis’ Kehle.

„Ich halte dich, Bruder“, wisperte er dem Wolf ins Ohr. Ellis knurrte, dann wurde seine Stimme plötzlich höher und sein Winseln verwandelte sich in ein dünnes Heulen. Er wand sich und versuchte aus Gibsons Armen zu entkommen, doch dieser hielt ihn fest umklammert und weigerte sich, ihn loszulassen. Gibsons Finger gruben sich tief ins dichte Fell auf Ellis’ Brust und begannen die Stelle zu reiben, von der Gibson wusste, dass sie den Wolf beruhigen würde. „Hör auf mich, El, nicht auf den Sturm. Du bist nicht dort. Du bist hier bei mir in Kalifornien. Was auch immer du tust, daran musst du dich erinnern. Du schaffst das. Du kannst es hinter dir lassen. Gemeinsam schaffen wir es.“

Der Wolf wand sich immer panischer, je heftiger der Sturm tobte. Mit jedem Blitz wurde Ellis’ Geheul stärker, bis er schließlich einen ununterbrochenen Klagelaut ausstieß, die Schnauze mit Speichel und Schaum befleckt. Gibson konnte spüren, wie die Knochen sich unter dem Fell bewegten und unter seiner Handfläche bebten. Der Pelz des Wolfs kräuselte sich wellenförmig von den Schultern zu den Beinen. Er drückte den Rücken in hohem Bogen durch, sodass die Wirbel knackten, das Fell sich entlang des Rückgrats teilte und die Haut an dieser Stelle dünn und durchscheinend wurde.