Es war einmal in Hollywood - Quentin Tarantino - E-Book
SONDERANGEBOT

Es war einmal in Hollywood E-Book

Quentin Tarantino

0,0
12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der erste Roman eines der größten Künstler unserer Zeit - eine Weltsensation! ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD, mit Leonardo di Caprio und Brad Pitt in den Hauptrollen, war für zehn Oscars nominiert. In seinem Debütroman "Es war einmal in Hollywood" transformiert Quentin Tarantino die Geschichte um den Schauspieler Rick Dalton und sein Stuntdouble Cliff Booth in einen Abenteuerroman, der seines Gleichen sucht. Los Angeles, Hollywood 1969 RICK DALTON - Einst der Star seiner eigenen Fernsehserie, ist er heute ein abgewrackter Schurke, der seine Sorgen in Whiskey Sours ertränkt. Wird ein Anruf aus Rom sein Schicksal retten oder es besiegeln? CLIFF BOOTH - Ricks Stuntdouble und der berüchtigtste Mann an jedem Filmset, weil er der Einzige ist, der mit einem Mord davongekommen sein könnte... SHARON TATE - Sie verließ Texas, um dem Traum von Hollywood nachzujagen – mit Erfolg. Sie lebt jetzt unbeschwert hoch in den Hollywood Hills. CHARLES MANSON – Ein Haufen Hippies hält den Ex-Knacki für ihren spirituellen Führer, aber er würde alles dafür geben, ein Rock 'n' Roll-Star zu sein. HOLLYWOOD 1969 - DU HÄTTEST DABEI SEIN SOLLEN "In den Siebzigerjahren waren Romanfassungen von Filmen die ersten Bücher für Erwachsene, die ich las, daher bin ich stolz, 'Es war einmal in Hollywood' als meinen Beitrag zu diesem oft marginalisierten, aber geliebten Subgenre der Literatur anzukündigen. Ich freue mich außerdem sehr, meine Charaktere und ihre Welt weiter zu ergründen für dieses literarische Projekt, das (hoffentlich) neben seinem filmischen Gegenstück bestehen kann." Quentin Tarantino

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 552

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Quentin Tarantino

Es war einmal in Hollywood

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Melle und Stephan Kleiner

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Quentin Tarantino

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

1 »Nennen Sie mich Marvin«

2 »Ich bin neugierig (Cliff)«

3 Cielo Drive

4 Brandy, du bist ein feines Mädchen

5 Pussycats Hausbesuch

6 »Hollywood oder nichts«

7 »Good Morgan, Boss Angeles!«

8 Lancer

9 »Weniger Hippie, mehr Hells Angels«

10 Unglücksfall

11 Der Twinkie-Wagen

12 »Sie können mich Mirabella nennen«

13 »Der schöne Körper der Deborah«

14 »Rollkommando«

15 »Sie sind der geborene Edmund«

16 James Stacy

17 Die Tapferkeitsmedaille

18 »Ich heiße nicht Dämlack«

19 »Meine Freunde nennen mich Pussycat«

20 Ein verführerischer, böser Hamlet

21 Die Dame des Hauses

22 Aldo Ray

23 Die Ruhmeshalle der Trinker

24 Nebraska Jim

25 Das letzte Kapitel

Bounty Law

Comic

Danksagung

Rechtenachweis

Inhaltsverzeichnis

Dieses Buch widme ich

meiner Frau

DANIELLA

und meinem Sohn

LEO

Danke, dass ihr ein fröhliches Zuhause um mich herum geschaffen habt, in dem ich schreiben konnte.

 

AUSSERDEM

 

Allen Filmveteranen, die mir fantastische Geschichten über das Hollywood dieser Zeit erzählt haben.

Dank ihnen halten Sie dieses Buch nun in Händen.

Bruce Dern * David Carradine * Burt Reynolds

Robert Blake * Michael Parks * Robert Forster

und besonders

Kurt Russell

Inhaltsverzeichnis

Kapitel Eins»Nennen Sie mich Marvin«

Die Gegensprechanlage auf Marvin Schwarz’ Schreibtisch macht ein Geräusch. Der Finger des William-Morris-Agenten drückt den Hebel. »Ist das die Dreiunddreißig, wegen der Sie mich ansummen, Fräulein Himmelsteen?«

»So ist es, Herr Schwarz«, flötet die Stimme seiner Sekretärin aus dem winzigen Lautsprecher. »Herr Dalton wartet draußen.«

Marvin drückt den Hebel wieder hinunter. »Ich wäre so weit, Fräulein Himmelsteen.«

Als die Tür von Marvins Büro sich öffnet, tritt zuerst seine Sekretärin, Fräulein Himmelsteen, ein. Sie ist eine einundzwanzigjährige Frau mit Hippiegesinnung. Sie trägt einen weißen Minirock, der ihre langen, gebräunten Beine zur Schau stellt, und hat ihre langen braunen Haare pocahontasmäßig zu zwei Zöpfen geflochten, die rechts und links neben ihrem Gesicht herabhängen. Der hübsche zweiundvierzigjährige Schauspieler Rick Dalton, natürlich nicht ohne seine unerlässliche nassglänzende braune Schmalztolle, folgt ihr.

Marvins Lächeln wird breiter, als er sich vom Stuhl hinter seinem Schreibtisch erhebt. Fräulein Himmelsteen möchte die Herren einander vorstellen, doch Marvin unterbricht sie. »Fräulein Himmelsteen, da ich gerade ein ganzes verdammtes Rick-Dalton-Filmfestival hinter mir habe, müssen Sie mir den Mann gewiss nicht vorstellen.« Marvin durchquert den Raum, um dem Cowboydarsteller die Hand zu geben. »Schlagen Sie nur ein, Rick.«

Rick lächelt und schüttelt dem Agenten fest die Hand. »Rick Dalton. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für mich nehmen, Herr Schwartz.«

»Schwarz, nicht Schwartz«, korrigiert Marvin ihn.

Mein Gott, denkt Rick, ich verkack’s schon jetzt.

»Verdammt noch mal … Das tut mir leid, echt … – Herr Sch-WARZ.«

Mit einem letzten Händedruck sagt der Agent: »Nennen Sie mich Marvin.«

»Marvin, ich bin Rick.«

»Rick … –«

Sie lassen einander die Hände los.

»Darf Fräulein Himmelsteen Ihnen ein leckeres Getränk bringen?«

Rick winkt ab. »Nein, danke, ich brauche nichts.«

Marvin insistiert: »Sind Sie sicher? Keinen Kaffee oder eine Coke, Pepsi, Simba?«

»Also gut«, sagt Rick. »Eine Tasse Kaffee vielleicht.«

»Gut.« Marvin klopft dem Schauspieler auf die Schulter und wendet sich seinem jungen Mädchen für alles zu. »Fräulein Himmelsteen, seien Sie doch so nett und bringen meinem Freund Rick hier eine Tasse Kaffee und für mich bitte auch eine.«

Die junge Dame nickt und durchquert das Büro. Als sie kurz davor ist, die Tür zu schließen, ruft Marvin ihr hinterher: »Ach, und nicht die Maxwell-House-Brühe, die Sie da im Pausenzimmer haben. Gehen Sie ins Büro von Rex«, weist Marvin sie an. »Der hat immer den allerbesten Kaffee – aber bloß nicht diesen türkischen Mist, bitte«, warnt Marvin.

»Jepp, Sir«, antwortet Fräulein Himmelsteen und wendet sich dann Rick zu. »Wie trinken Sie Ihren Kaffee, Herr Dalton?«

Rick dreht sich ihr zu und sagt: »Schon mal Black is beautiful gehört?«

Marvin lacht kurz wie eine Hupe auf, Fräulein Himmelsteen muss kichern und versucht, es mit der Hand zu verstecken.

Bevor seine Sekretärin die Tür hinter sich schließen kann, ruft Marvin: »Ach, und Fräulein Himmelsteen, sollten meine Frau und meine Kinder nicht gerade tot auf dem Highway liegen, halten Sie alle meine Anrufe zurück. Wobei – wenn meine Frau und die Kinder tot sind, dann sind sie es in dreißig Minuten auch noch, selbst der Anruf kann also warten.«

Der Agent bittet den Schauspieler, sich auf eines der beiden Ledersofas zu setzen, dazwischen ein Couchtisch, und Rick macht es sich bequem.

»Das Wichtigste zuerst«, sagt der Agent.

»Viele Grüße von meiner Frau, Mary Alice Schwarz! Wir haben gestern Abend echt eine Rick-Dalton-Doppelvorstellung in unserem Vorführraum gehabt.«

»Wow. Das freut mich, ist aber auch ein bisschen peinlich«, sagt Rick. »Was haben Sie denn gesehen?«

»Filmkopien von Tanner und Die vierzehn Fäuste des McCluskey.«

»Okay, das sind zwei der besseren«, sagt Rick. »McCluskey wurde von Paul Wendkos gedreht. Er ist der beste Regisseur überhaupt. Gidget hat er gemacht. Da sollte ich eigentlich drin mitspielen. Tommy Laughlin hat meine Rolle dann bekommen.«

Großmütig winkt er ab.

»Aber das ist okay, ich mag Tommy. Er hat mich ins erste große Stück gebracht, das ich je gemacht habe.«

»Echt?«, fragt Marvin. »Haben Sie denn viel Theater gespielt?«

»Nicht viel«, sagt Rick. »Es langweilt mich, immer wieder die gleiche Scheiße zu machen – immer wieder dasselbe, immer wieder.«

»Dann ist Paul Wendkos Ihr Lieblingsregisseur, was?«, fragt Marvin.

»Ja, mit ihm hab ich damals angefangen. Ich war in dem einen Cliff-Robertson-Film dabei, Schlacht im Korallenmeer. Tommy Laughlin und ich, wir hängen da den ganzen Scheißfilm im hinteren Teil des U-Boots rum.«

Marvin, jetzt im Branchentalk-Modus: »Der verdammte Paul Wendkos. Unterschätzter Actionspezialist.«

»So ist das«, stimmt Rick zu. »Und als ich Bounty Law gemacht hab, war er dann auch mit von der Partie und führte Regie, bei so sieben oder acht Episoden.«

Und jetzt ist Rick wohl auf ein Kompliment aus, als er sagt: »Aber ich hoffe doch, die Rick-Dalton-Doppelvorstellung war nicht allzu unangenehm für Sie und die Frau Gemahlin?«

Marvin lacht: »Unangenehm? Ach, Quatsch. Alles wunderbar, wunderbar, ganz wunderbar.« Marvin weiter: »Wir haben Tanner geschaut. Mary Alice mag die Gewalt in den Filmen heutzutage nicht, also hab ich mit McCluskey gewartet, bis sie schlafen ging, und hab ihn dann alleine geschaut.«

Dann klopft es leise an der Bürotür, und Fräulein Himmelsteen kommt in ihrem Minirock ins Büro, mit zwei Tassen voll dampfendem Kaffee für Rick und Marvin in der Hand. Vorsichtig reicht sie den beiden Herren die Heißgetränke.

»Ist der aus Rex’ Büro, ja?«

»Rex sagte, Sie schulden ihm noch eine Ihrer Zigarren.«

Der Agent schnaubt. »Dieser knauserige jüdische Bastard, das Einzige, was ich ihm schulde, ist ein Tritt in den Arsch.«

Alle lachen.

»Danke, Fräulein Himmelsteen, das wäre erst mal alles.«

Sie geht und lässt die beiden Männer allein, um über das Showbusiness zu reden, über Rick Daltons bisherige Karriere und natürlich, am wichtigsten, über seine Zukunft.

»Wo war ich?«, fragt Marvin. »Ach ja – Gewalt in modernen Filmen. Mary Alice mag das nicht. Aber sie liebt Western. Schon immer. Als wir noch frisch verliebt waren, haben wir immer nur Western geschaut. Uns gemeinsam Western anzusehen, ist eine unserer Lieblingsbeschäftigungen, und Tanner haben wir sehr gemocht.«

»Och, das ist schön«, sagt Rick.

»Ja, und wenn wir diese Double-Feature-Abende machen«, erklärt Marvin, »dann schläft Mary Alice meist bei den letzten drei Rollen des ersten Films auf meinem Schoß ein. Aber bei Tanner hielt sie bis kurz vor der letzten Rolle durch – das war um 21:30 Uhr, was für ihre Verhältnisse ziemlich gut ist.«

Während Marvin Rick die Sehgewohnheiten des glücklichen Paares erläutert, nimmt Rick einen Schluck vom heißen Kaffee.

Hey, der ist gut, denkt der Schauspieler. Dieser Rex-Typ hat wirklich klasse Kaffee.

Marvin fährt fort: »Der Film ist vorbei, sie geht ins Bett. Ich mache eine Schachtel Havannas auf, schenke mir einen Cognac ein und schaue mir den zweiten Film alleine an.«

Rick nimmt einen weiteren Schluck von Rex’ köstlichem Kaffee.

Marvin deutet auf die Kaffeetasse. »Gutes Zeug, hm?«

»Was«, fragt Rick, »der Kaffee?«

»Nein, die Pastrami. – Mann, natürlich der Kaffee!«, sagt Marvin mit perfektem Timing.

»Der ist scheißsensationell«, stimmt Rick zu. »Wo hat er den her?«

»Aus einem dieser Feinkostläden hier in Beverly Hills, aber er sagt nicht, wo genau«, antwortet Marvin und macht dann mit Mary Alice’ Sehgewohnheiten weiter.

»Heute Morgen nach dem Frühstück und nachdem ich ins Büro gegangen bin, kommt also der Filmvorführer, Greg, zurück und zeigt ihr die letzte Rolle, damit sie sich das Ende von dem Film ansehen kann. So machen wir das immer. Und wir sind sehr glücklich damit. Und sie hat sich sehr darauf gefreut zu sehen, wie Tanner endet.«

Dann fügt Marvin hinzu: »Wie auch immer, sie wusste schon sehr früh, dass Sie Ihren Vater, Ralph Meeker, würden killen müssen, bevor alles vorbei ist.«

»Na ja, gut, das ist das Problem mit dem Film«, sagt Rick. »Die Frage ist nicht, ob ich den herrschsüchtigen Patriarchen töte, sondern wann ich es tue. Und die Frage ist nicht, ob Michael Callan, der sensible Bruder, mich tötet, sondern wann.«

Marvin stimmt zu. »Stimmt. Aber wir fanden beide, dass Sie und Ralph Meeker ziemlich gut zusammenpassten.«

»Ja, ich auch«, antwortet Rick. »Wir waren echt ein gutes Vater-Sohn-Gespann. Dieser verdammte Michael Callan dagegen sah aus, als wär er adoptiert worden. Aber bei mir konnte man glauben, Ralph wäre mein Alter.«

»Na ja, der Grund, warum ihr so gut zusammengepasst habt, war, dass ihr beide einen ähnlichen Dialekt habt.«

Rick lacht. »Besonders im Vergleich zu diesem beschissenen Michael Callan, der eher klingt wie ein Malibu-Surfertyp.«

Okay, denkt Marvin, das ist das zweite Mal, dass Rick seinen Tanner-Ko-Star Michael Callan schlechtmacht. Das ist kein gutes Zeichen. Es deutet auf Kleingeistigkeit hin. Es deutet auf einen Nörgler hin. Aber Marvin behält diese Gedanken für sich.

»Ich fand, Ralph Meeker war sensationell«, sagt Rick dem Agenten. »Der beste verdammte Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe, und ich habe mit Edward G. Robinson gearbeitet! Er war auch in zwei der besten Bounty Laws dabei.«

Marvin erzählt weiter von seiner Rick-Dalton-Doppelvorstellung gestern.

»Das bringt uns zu Die vierzehn Fäuste des McCluskey! Was für ein Film! Was für ein Spaß.« Pantomimisch macht er ein Maschinengewehr nach. »Das ganze Geschieße! Das Töten!« Marvin fragt: »Wie viele Nazi-Bastarde haben Sie in diesem Streifen getötet? Hundert? Hundertfünfzig?«

Rick lacht. »Ich habe nie nachgezählt, aber hundertfünfzig hört sich richtig an.«

Marvin flucht. »Diese verdammten Nazi-Bastarde … Das sind doch Sie, der dann mit dem Flammenwerfer feuert, oder?«

»Worauf Sie Ihren süßen Arsch verwetten können«, sagt Rick. »Und das ist eine scheißverrückte Waffe, bei der man nicht auf der falschen Seite stehen will. Junge, Junge, ich sag’s Ihnen. Ich habe mit diesem Drachen zwei Wochen lang drei Stunden täglich geübt. Nicht nur damit ich im Streifen gut aussehe, sondern weil ich eine Scheißangst vor dem verdammten Ding hatte, um die Wahrheit zu sagen.«

»Außerordentlich«, sagt der beeindruckte Agent.

»Wissen Sie, es war pures Glück, dass ich die Rolle bekommen habe«, sagt Rick zu Marvin. »Ursprünglich hatte Fabian meine Rolle. Dann, acht Tage vor Drehbeginn, brach er sich beim Dreh von Die Leute von der Shiloh-Ranch die Schulter. Herr Wendkos hat sich dann an mich erinnert und die Verantwortlichen bei Columbia vollgequatscht, damit sie Universal dazu überreden, mich für McCluskey auszuleihen.«

Rick schließt die Geschichte ab wie immer: »Ich hab während meines Vertrags mit Universal fünf Filme gedreht. Und welcher war mein erfolgreichster? Der, für den Columbia mich ausgeliehen hatte.«

Marvin holt ein goldenes Zigarettenetui aus der Innentasche seines Jacketts, öffnet es mit einem »Ping« und bietet Rick eine an.

»Möchten Sie eine Kent?«

Rick nimmt eine.

»Wie gefällt Ihnen dieses Zigarettenetui?«

»Es ist sehr schön.«

»Es ist ein Geschenk. Von Joseph Cotten. Einem meiner geschätztesten Klienten.«

Rick schenkt Marvin den beeindruckten Gesichtsausdruck, den der Agent sich offensichtlich wünscht.

»Ich habe ihm kürzlich sowohl einen Sergio-Corbucci-Film als auch einen Ishirō-Honda-Film verschafft, und das hier war ein Zeichen seiner Dankbarkeit.«

Die Namen sagen Rick nichts.

Als Herr Schwarz das goldene Zigarettenetui zurück in die Innentasche seines Jacketts steckt, kramt Rick schnell sein Feuerzeug aus der Hosentasche hervor. Er lässt den Deckel des silbernen Zippos aufschnappen und zündet beide Zigaretten auf seine saucoole Art an.

Als er die Zigaretten entfacht hat, lässt er den Deckel des Zippos mit Schwung laut zuschnappen. Marvin lacht über die Angeberei in sich hinein und inhaliert das Nikotin.

»Was rauchen Sie?«, fragt Marvin Rick.

»Capitol W Lights«, sagt Rick. »Aber auch Chesterfields, Red Apples und, lachen Sie nicht, Virginia Slims.«

Marvin lacht trotzdem.

»Hey, ich mag den Geschmack«, lautet Ricks Verteidigung.

»Nein, ich lache darüber, dass Sie Red Apples rauchen«, erklärt Marvin. »Diese Zigarette ist einfach eine Schande für das Nikotin.«

»Die waren der Sponsor von Bounty Law, also habe ich mich an sie gewöhnt. Außerdem dachte ich, es wäre schlau, sich mit denen in der Öffentlichkeit zu zeigen.«

»Sehr weise«, sagt Marvin. »Nun, Rick, Sid ist Ihr regulärer Agent. Und er hat mich gefragt, ob ich Sie treffen möchte.«

Rick nickt.

»Wissen Sie, weshalb er mich darum gebeten hat?«

»Um zu sehen, ob Sie mit mir arbeiten wollen?«, antwortet Rick.

Marvin lacht. »Nun, letzten Endes, ja. Aber worauf ich hinauswill – wissen Sie eigentlich, was ich hier bei William Morris mache?«

»Ja«, sagt Rick. »Sie sind Agent.«

»Ja, aber Sie haben ja bereits Sid als Ihren Agenten. Wenn ich lediglich Agent wäre, wären Sie nicht hier«, sagt Marvin.

»Ja, okay … dann sind Sie ein besonderer Agent«, sagt Rick.

»Das bin ich in der Tat«, sagt Marvin. Dann deutet er mit seiner Zigarette auf Rick. »Aber ich möchte wissen, was Sie denken, was ich hier tue.«

»Ähm«, sagt Rick, »so wie es mir erklärt wurde, bringen Sie berühmte amerikanische Talente in ausländischen Filmproduktionen unter.«

»Nicht schlecht«, sagt Marvin.

Jetzt, wo die beiden Herren auf einem Nenner sind, nehmen sie tiefe Züge von ihren Kents. Marvin stößt eine große Wolke Zigarettenrauch aus und beginnt mit seinem Vortrag: »Also, Rick, da wir uns hier kennenlernen, müssen Sie eines wissen: nämlich, dass mir nichts, und ich meine wirklich nichts, so wichtig ist wie meine Klienten. Der Grund, warum ich diese Kontakte habe, und zwar in der italienischen Filmindustrie, der deutschen Filmindustrie, der japanischen Filmindustrie wie auch in der philippinischen Filmindustrie, liegt sowohl an den Klienten, die ich vertrete, als auch an dem, was meine Liste repräsentiert. Im Gegensatz zu anderen bin ich nicht im Ehemaligen-Business. Ich bin im Hollywood-Schauspieladel-Business. Van Johnson, Joseph Cotten, Farley Granger, Russ Tamblyn, Mel Ferrer.«

Der Agent spricht jeden Namen aus, als ob er die Namen zu den Gesichtern aufzählen würde, die in Hollywoods Mount Rushmore eingemeißelt sind.

»Hollywoods wahrer Adel, mit einer Filmografie, die gespickt ist mit den besten Filmen aller Zeiten!«

Der Agent gibt ein sagenumwobenes Beispiel: »Als ein betrunkener Lee Marvin für die Rolle des Colonel Mortimer in Für ein paar Dollar mehr ausfiel – drei Wochen vor Drehbeginn –, war ich es, der Sergio Leone dazu brachte, seinen fetten Arsch in die Sportsmen’s Lodge zu hieven, nämlich auf einen Kaffee mit einem zwischenzeitlich mal trockenen Lee Van Cleef.«

Der Agent lässt die Größe dieser Geschichte erst einmal sacken. Dann nimmt er einen lässigen Zug von seiner Kent, stößt den Rauch aus und fügt eine weitere seiner offiziellen Showbizverlautbarungen hinzu: »Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Western-Mythologie der Neuen Welt.«

Marvin schaut den Cowboydarsteller auf der anderen Seite des Glastisches nun direkt an.

»Gut, Rick, Bounty Law war eine gute Serie, und Sie waren gut darin. Ein ganzer Haufen Leute kommt in die Stadt und wird für irgendeinen Scheiß berühmt. Fragen Sie mal Gardner McKay.«

Rick lacht über die Gardner-McKay-Spitze. Marvin fährt fort:

»Aber Bounty Law war eine echt anständige Cowboyserie. Und so was hat man auf der Habenseite und kann stolz drauf sein. Aber jetzt mal zur Zukunft … Doch vor der Zukunft sollten wir die Vergangenheit klarkriegen.«

Während die beiden Männer Zigaretten rauchen, beginnt Marvin, Rick auszufragen, als wäre er in einer Gameshow oder würde vom FBI verhört.

»Also, Bounty Law – das war NBC, richtig?«

»Jepp. NBC.«

»Wie lang?«

»Wie lang was?«

»Wie lang war eine Folge?«

»Nun, es war eine halbstündige Serie, also dreiundzwanzig Minuten ohne die Werbung.«

»Und wie lange waren Sie auf Sendung?«

»Wir hatten im Herbstprogramm der Fernsehsaison ’59/’60 Premiere.«

»Und wann haben Sie aufgehört zu senden?«

»Mitte der Saison ’63/’64.«

»Sind Sie je auf Farbe gegangen?«

»Nee, keine Farbe.«

»Wie kamen Sie zu der Sendung? Kamen Sie von der Straße, oder hat der Sender Sie aufgebaut?«

»Ich hatte einen Gastauftritt bei Wells Fargo, da habe ich Jesse James gespielt.«

»So wurden die also auf Sie aufmerksam?«

»Ja. Ich musste noch Probeaufnahmen machen, und da war klar: Ich musste abliefern. Aber ja.«

»Gehen Sie mal bitte die Filme durch, die Sie während Ihrer Auszeit gemacht haben.«

»Also, der erste«, sagt Rick, »war Aufstand der Komantschen, mit einem sehr alten, sehr hässlichen Robert Taylor in der Hauptrolle. Aber das war ein wiederkehrendes Motiv bei mir, in fast allen meinen Filmen«, erklärt Rick. »Ein alter Mann gepaart mit einem jungen Mann. Ich und Robert Taylor. Ich und Stewart Granger. Ich und Glenn Ford. Es gab nie nur mich allein«, sagt der Schauspieler frustriert. »Immer ich und irgendein alter Sack.«

Marvin fragt: »Wer hat bei Aufstand der Komantschen Regie geführt?«

»Bud Springsteen.«

»Mir ist aufgefallen«, bemerkt Marvin, »dass Sie in Ihrer Laufbahn mit einer Menge alter Republic-Pictures-Cowboy-Regisseure gearbeitet haben. Springsteen, William Witney, Harmon Jones, John English?«

Rick lacht. »Die Bringen-wir’s-hinter-uns-Fraktion.« Dann präzisiert er: »Aber Bud Springsteen war nicht nur ein Bringen-wir’s-hinter-uns-Typ. Bud hat es nicht nur hinter sich gebracht. Bud war anders als die anderen.«

Das interessiert Marvin. »Was war der Unterschied?«

»Hm?«, fragt Rick.

»Bud und die anderen Bringen-wir’s-hinter-uns-Typen«, fragt Marvin. »Worin bestand der Unterschied?«

Rick muss nicht lange über seine Antwort nachdenken, denn die Antwort ist ihm schon vor Jahren aufgegangen, als er mit Craig Hill einen Gastauftritt bei Whirlybirds hatte, unter der Leitung von Bud.

»Bud hatte genauso viel Zeit wie all die anderen gottverdammten Regisseure«, sagt Rick mit Nachdruck. »Nicht einen Tag, nicht eine Stunde, nicht einen Sonnenuntergang mehr als alle anderen. Aber was er mit dieser Zeit anstellte, das war der Unterschied. Bud machte es gut.« Rick sagt aufrichtig: »Man war stolz, für Bud zu arbeiten.«

Das gefällt Marvin.

»Und der verdammte Wild Bill Witney verschaffte mir meinen Einstieg«, sagt Rick. »Er gab mir meine erste richtige Rolle. Eine Figur mit einem Namen, wissen Sie. Und dann gab er mir meine erste Hauptrolle.«

»Welcher Film?«, fragt Marvin.

»Och, nur einer dieser Streifen über jugendliche Kriminelle in Hot Rods für Republic«, sagt Rick.

Marvin fragt: »Wie hieß der Film?«

»Drag Race, No Stop«, sagt Rick. »Und ich hab auch einen verfickten Ron-Ely-Tarzan für ihn gedreht.«

Marvin lacht. »Sie beide kennen sich also schon lange?«

»Ich und Bill?«, sagt Rick. »Da können Sie Gift drauf nehmen.«

Rick merkt, dass es gut ankommt, wie er so in seinen Erinnerungen schwelgt, und er hat selbst ziemlichen Spaß dabei, also macht er weiter. »Ich erzähle Ihnen mal was über den verdammten Bill Witney. Der am meisten unterschätzte Actionfilmregisseur in dieser gottverdammten Stadt. Bill Witney hat nicht nur Action-Regie geführt, er hat die Action-Regie erfunden. Sie meinten ja, Sie mögen Western … Kennen Sie diese Action-Nummer von Yakima Canutt, wo er von Pferd zu Pferd springt, dann stürzt und unter die Hufe kommt, in John Fords Ringo damals?«

Marvin nickt.

»Der verdammte William Witney hat das zuerst gemacht, und zwar ein Jahr vor John Ford, mit Yakima Canutt!«

»Das wusste ich nicht«, sagt Marvin. »In welchem Film?«

»Er hatte noch nicht mal einen Spielfilm gedreht«, sagt Rick. »Er hatte sich diesen Gag für irgendeine verdammte Serie ausgedacht. Ich erzähle Ihnen mal, wie es ist, unter William Witneys Regie zu drehen. Bill Witney arbeitet mit der Annahme, dass es keine Szene auf Erden gibt, die man nicht noch durch einen zusätzlichen Faustkampf verbessern könnte.«

Marvin lacht.

Rick fährt fort: »Ich mache also eine Riverboat-Folge, bei der Bill Regie führt. Ich und Burt Reynolds haben eine gemeinsame Szene. Also, ich und Burt machen die Szene, sprechen den Dialog. Dann sagt Bill: ›Cut, Cut, Cut! Leute, ich penne ein. Burt, wenn er das zu dir sagt, schlägst du ihn. Und Rick, wenn er dich schlägt, macht dich das wütend, also haust du zurück. Kapiert? Okay, Action!‹ Und so machen wir es. Und als wir fertig sind, schreit er: ›Cut! Das war’s, Jungs, jetzt haben wir eine Szene!‹«

Die beiden Männer lachen in der Wolke aus Zigarettenrauch, die das Büro füllt. Marvin wird langsam warm mit Ricks Sinn für hart erarbeitete Hollywood-Erfahrung. »Könnten Sie mir von diesem Stewart-Granger-Film erzählen, den Sie erwähnt hatten?«, fragt Marvin.

»Big Game«, sagt Rick. »Ein Großwildjäger-in-Afrika-Murks. Die Leute sind in Scharen aus den Kinos geflohen.«

Marvin lacht schallend auf.

»Stewart Granger«, verrät Rick, »war das größte Arschloch, mit dem ich je gearbeitet habe. Und ich habe mit Jack Lord gearbeitet. Lord im Himmel!«

Nachdem die beiden Männer über das Jack-Lord-Wortspiel gelacht haben, fragt Marvin den Schauspieler: »Und Sie haben mit George Cukor gedreht?«

»So ist es«, sagt Rick, »den Chapman-Report, was für ein Ding. Toller Regisseur, schrecklicher Film.«

Der Agent fragt: »Kamen Sie gut mit Cukor aus?«

»Machen Sie Witze?«, fragt Rick, »George hat mich geliebt!« Dann beugt er sich ein Stück über den Couchtisch und raunt vielsagend: »Ich meine, er hat mich wirklich geliebt.«

Der Agent lächelt und lässt den Schauspieler wissen, dass er die Andeutung verstanden hat.

»Ich glaube, es gibt da so eine Sache, die George immer macht«, mutmaßt Rick. »Er sucht sich bei jedem Film einen Jungen aus, wegen dem er völlig ausrastet. Und bei diesem Film stand es auf der Kippe zwischen mir und Efrem Zimbalist jr., also habe ich wohl gewonnen.« Er fährt fort: »In dem Film hab ich all meine Szenen mit Glynis Johns. Und wir gehen in ein Schwimmbad. Und Glynis hat also einen einteiligen Badeanzug an. Alles, was man sehen kann, sind Beine und Arme, alles andere ist bedeckt. Aber ich, ich trage die klitzekleinste Badehose, die durch die Zensur gekommen ist. Eine braune Badehose. Auf Schwarz-Weiß-Material sieht das aus, als wär ich völlig nackt, Scheiße noch mal! Und es ist nicht nur dieser eine Take von mir, wie ich in den Pool springe. Ich stecke immer wieder in dieser winzigen Badehose, mache große Dialogszenen mit raushängendem Arsch, und das zehn verdammte Minuten lang. Ich meine, was zum Teufel – heiße ich Betty Grable, oder was?«

Wieder lachen die beiden Männer, während Marvin ein kleines ledernes Notizbuch aus der Jackettinnentasche zückt, die gegenüber von der liegt, in der sich das goldene Zigarettenetui von Joseph Cotten befindet.

»Ich hab ein paar meiner Leute deine Zahlen in Europa recherchieren lassen. Und wie man so schön sagt: So weit, so gut.« Während er in dem Büchlein nach seinen Notizen sucht, fragt er laut: »Wurde Bounty Law in Europa ausgestrahlt?« Er findet die gesuchte Seite und schaut dann seitlich zu Rick. »Ja, wurde es. Gut.«

Rick lächelt.

Marvin schaut wieder in das Buch, sagt: »Wo?«, und findet auf der Seite die gesuchten Daten. »Italien, gut. England, gut. Deutschland, gut. Frankreich nicht.« Aber dann blickt er zu Rick auf und sagt zum Trost: »Aber, ja, Belgien. Man kennt Ihr Gesicht also in Italien, England, Deutschland und Belgien.« Marvin schließt: »Das wäre also Ihre TV-Serie. Aber Sie haben auch ein paar Streifen gemacht, wie haben die sich geschlagen?«

Marvin blickt wieder in das Büchlein in seinen Händen, durchblättert die kleinen Seiten, durchsucht ihren Inhalt.

»Eigentlich« – er findet, was er sucht – »liefen alle drei Ihrer Western, Aufstand der Komantschen, Hellfire, Texas und Tanner, ja, relativ gut in Italien, Frankreich und Deutschland.« Blick wieder hoch zu Rick: »Wobei Tanner in Frankreich sogar noch besser abgeschnitten hat. Können Sie Französisch?«, fragt Marvin Rick.

»Nein«, antwortet Rick.

»Zu schade«, sagt Marvin, während er eine zusammengefaltete Fotokopie aus dem kleinen Notizbuch fischt und sie Rick über den Couchtisch hinwegreicht. »Das ist die Kritik der Cahiers du Cinéma zu Tanner. Es ist eine gute Kritik, sehr gut geschrieben. Die sollten Sie sich übersetzen lassen.«

Rick nimmt die Kopie von Marvin entgegen und nickt den Vorschlag des Agenten ab, obwohl er genau weiß, dass er das nie tun wird.

Aber dann hebt Marvin den Kopf, sodass sich ihre Blicke treffen, und sagt plötzlich begeistert: »Aber die beste Nachricht in diesem ganzen verdammten Buch ist: Die vierzehn Fäuste des McCluskey!«

Rick strahlt hell auf, als Marvin fortfährt: »Also, in Amerika hat das für Columbia ganz gut funktioniert, als es veröffentlicht wurde. Aber in Europa – Knaller!!« Er senkt den Kopf, um die Informationen lesen zu können. »Hier steht, dass Die vierzehn Fäuste des McCluskey in ganz Europa ein richtiger Knaller war. Wurde überall und wieder und wieder und ewig lange gespielt!«

Marvin schaut auf, klappt sein kleines Buch zu und folgert: »In Europa weiß man also, wer Sie sind. Man kennt Ihre TV-Serie. Aber noch mehr als der Typ von Bounty Law sind Sie in Europa der coole Typ mit der Augenklappe und dem Flammenwerfer, der in Die vierzehn Fäuste des McCluskey hundertfünfzig Nazis gekillt hat.«

Nach dieser großen Ansage drückt Marvin seine Kent im Aschenbecher aus. »Was war Ihr letzter Kinofilm?«

Jetzt ist Rick an der Reihe, seine Zigarette im Aschenbecher auszudrücken, während er knurrt: »Ein schrecklicher Kinderfilm für die Kinderschiene morgens. Er hieß Salty, der sprechende Otter.«

Marvin grinst. »Sie waren aber nicht etwa die Titelfigur?«

Rick lächelt grimmig über den Scherz des Agenten, aber eigentlich findet er nichts an dem Film lustig.

»Das war der Film, auf den Universal mich abgeladen hat, um meinen Vier-Filme-Vertrag zu erfüllen – und also zu beenden«, erklärt Rick. »Was nur zeigt, dass Universal einen feuchten Dreck auf mich gegeben hat. Ich weiß noch, wie dieser Arsch, Jennings Lang, mir einen Haufen Zeugs an die Backe geschmiert hat. Er lockte mich mit einem Vier-Filme-Deal zu Universal. Avco Embassy bot mir damals einen Vertrag an. National General Pictures bot mir einen Vertrag an. Irving Allen Productions bot mir einen Vertrag an. Ich lehnte sie alle ab und entschied mich für Universal, weil sie die größten der Majors waren. Und weil Jennings Lang zu mir sagte: ›Universal will ins Rick-Dalton-Geschäft einsteigen.‹ Nachdem ich unterschrieben hatte, sah ich den Mistkerl nie wieder.« Und er fügt in Anlehnung an Walter Wanger, den Produzenten von Die Dämonischen, der Jennings Lang in die Leiste geschossen hatte, weil der seine Frau Joan Bennett vögelte, an: »Wenn es jemand verdient hat, dass man ihm die Eier wegschießt, ist es Jennings Lang.« Und schließt verbittert: »Universal war nie im Rick-Dalton-Geschäft.«

Rick hebt seine Kaffeetasse und nimmt einen Schluck. Der Kaffee ist kalt geworden. Mit einem Seufzer stellt er ihn wieder auf den Tisch.

Marvin macht weiter: »In den letzten zwei Jahren haben Sie also immer mal Gastauftritte in TV-Serien gehabt?«

Rick nickt. »Ja, gerade dreh ich eine Pilotfolge für CBS, Lancer. Ich bin der Schurke. Ich hab eine Folge Green Hornet gemacht und einmal Planet der Giganten. Einen Ron-Ely-Tarzan, wie gesagt, mit William Witney. Ich habe die Serie Bingo Martin mit diesem Scott Brown gemacht.«

Rick mag Scott Brown nicht, und als er seinen Namen erwähnt, wirft er unbewusst einen abschätzigen Blick in die Ferne. »Und ich habe gerade eine FBI-Folge für Quinn Martin abgedreht.«

Marvin nippt an seinem Kaffee, obwohl der schon ziemlich abgekühlt ist.

»Sie haben sich also ganz gut geschlagen?«

»Ich hab hart gearbeitet«, sagt Rick, als wollte er das klarstellen.

»Haben Sie in den ganzen Sendungen denn immer nur den Bösewicht gegeben?«, fragt Marvin.

»Nicht in Planet der Giganten, aber in den anderen, ja.«

»Und haben die Sendungen alle mit Kampfszenen geendet?«

»Planet der Giganten wieder nicht, FBI auch nicht, aber die anderen, ja.«

»Jetzt kommt die Vierundsechzigtausend-Dollar-Frage«, sagt Marvin und fragt: »Haben Sie den Kampf verloren?«

»Natürlich«, sagt Rick. »Ich bin ja der Schurke.«

Marvin stößt ein großes »Ahhhh« aus, um die wichtige Aussage, die er jetzt treffen wird, dramatisch einzuleiten. »Das ist ein alter Trick, den die Sender anwenden. Nimm beispielsweise Bingo Martin. Sie haben also einen neuen Typen wie Scott Brown und wollen seine Credibility aufbauen. Also heuert man einen Typen aus einer abgesetzten Serie an, um den Schurken zu spielen. Am Ende der Serie kämpfen sie, und der Held besiegt den Schurken.«

Doch dann erklärt Marvin weiter: »Aber was das Publikum sieht, ist Bingo Martin, der dem Typen von Bounty Law den Arsch versohlt.«

Autsch, denkt Rick. Das hat gesessen.

Aber Marvin ist noch nicht fertig. »Nächste Woche ist es dann Ron Ely in seinem Lendenschurz. Und die Woche darauf ist es Bob Conrad in seiner engen Hose, der Ihnen in den Arsch tritt.« Marvin rammt zur Untermalung seine rechte Faust in die linke Handfläche. »Wenn Sie noch ein paar Jahre lang den Prügelknaben für jeden Platzhirsch spielen, der neu im Geschäft ist«, erklärt Marvin, »wird das einen psychologischen Effekt darauf haben, wie das Publikum Sie wahrnimmt.«

Die Demütigung für jeden Mann, die Marvin da andeutet, auch wenn er sich nur auf das Schauspielern bezieht, lässt den Schweiß auf Ricks Stirn treten. Ich bin ein Prügelknabe? Ist das jetzt mein Los? Gegen den neuen Platzhirsch der Saison kämpfen, nur um zu verlieren? Hat sich Tris Coffin, der Star aus 26 Men, so gefühlt, als er in Bounty Law seinen Kampf gegen mich verlor? Oder Kent Taylor?

Während Rick diesen Gedanken nachhängt, geht Marvin zu einem anderen Thema über.

»Also gut, mir haben schon mindestens vier Leute eine bestimmte Geschichte über Sie erzählt«, beginnt Schwarz, »aber keiner von ihnen kennt die ganze Geschichte, also möchte ich sie jetzt von Ihnen hören. Was ist dran an dem Gerücht, dass Sie um ein Haar die McQueen-Rolle in Gesprengte Ketten gespielt hätten?«, fragt Marvin.

O Gott, nicht schon wieder diese Scheißgeschichte, denkt Rick. Obwohl er die Frage kein bisschen amüsant findet, versucht er, sie Marvin zuliebe mit einem Lachen abzutun.

»Das ist nur eine gute Geschichte für die Meute in der Sportsmen’s Lodge.« Rick schmunzelt in sich hinein: »Sie wissen schon, die Rolle, die du um ein Haar bekommen hättest. Die eine, die dir durch die Lappen gegangen ist.«

»Genau das sind meine Lieblingsgeschichten«, sagt der Agent. »Erzählen Sie.«

Rick hat diese alte Geschichte schon derart oft erzählen müssen, dass er sie auf ihre Grundbausteine reduziert hat. Er schluckt seinen Unmut hinunter und gibt die Rolle, die ein wenig außerhalb seines Repertoires liegt: die des bescheidenen Schauspielers.

»Okay«, legt Rick los, »offenbar bot John Sturges McQueen zur selben Zeit die Titelrolle des »Bunkerkönigs« Hilts in Gesprengte Ketten an, als Carl Foreman« – er meint den mächtigen Autor und Produzenten von Die Kanonen von Navarone und Die Brücke am Kwai – »mit einem Film namens Die Sieger sein Regiedebüt ablieferte, und er bot McQueen eine der Hauptrollen an, und offenbar schwankte McQueen so sehr, dass Sturges gezwungen war, eine Liste mit möglichen Ersatzleuten für die Rolle zu erstellen. Und offenbar stand ich auf dieser Liste.«

»Wer stand noch auf der Liste?«, fragt Marvin.

»Vier Namen«, sagt Rick. »Ich und die drei Georges: Peppard, Maharis und Chakiris.«

»Nun«, sagt Marvin begeistert, »bei der Liste kann ich mir gut vorstellen, dass Sie den Part bekommen hätten. Ich meine, wenn Paul Newman auf der Liste gestanden hätte, dann vielleicht nicht, aber die bescheuerten Georges?«

»Na ja, es wurde dann McQueen.« Rick zuckt mit den Schultern. »Was spielt das für eine Rolle?«

»Doch, doch«, beharrt Marvin, »es ist eine gute Geschichte. Wir können Sie uns in der Rolle vorstellen. Die Italiener werden die Story lieben!« Dann erklärt Marvin Schwarz Rick Dalton, wie die Genrefilm-Industrie in Italien funktioniert.

»McQueen will nicht mit den Italienern arbeiten, unter keinen Umständen. Scheiß auf die verdammten Itaker, sagt Steve. Sag ihnen, sie sollen sich Bobby Darin holen, das sagt der verdammte Steve. Er schuftet neun Monate in Indochina mit Robert Wise, aber er will keine zwei Monate in der Cinecittà mit Guido DeFatso arbeiten, für kein Geld der Welt.«

Wenn ich an Steves Stelle wäre, würde ich meine Zeit auch nicht mit einem beschissenen Italowestern verschwenden, denkt Rick bei sich.

Marvin fährt fort: »Dino De Laurentiis hat ihm eine Villa in Florenz angeboten, als Geschenk. Italienische Produzenten haben ihm eine halbe Million Dollar und einen neuen Ferrari für zehn Tage Arbeit in einem Gina-Lollobrigida-Film angeboten.« Dann fügt Marvin als Nebenbemerkung hinzu: »Ganz zu schweigen natürlich von der Lollobrigida-Muschi, die ziemlich sicher dazukommt.«

Rick und Marvin lachen. Ja, das ist eine andere Geschichte, denkt Rick. Ich würde so ziemlich jeden Film machen, wenn das hieße, ich könnte Anita Ekberg ficken.

»Aber«, sagt Marvin, »das sorgt natürlich dafür, dass die Italiener ihn nur noch mehr wollen. Obwohl Steve immer Nein sagt und Brando und Warren Beatty immer Nein sagen, versuchen die Italiener es immer wieder. Und wenn sie sie nicht kriegen können, kompensieren sie.«

»Sie kompensieren?«, wiederholt Rick.

Marvin erklärt weiter: »Sie wollen Marlon Brando; sie kriegen Burt Reynolds. Sie wollen Warren Beatty; sie kriegen George Hamilton.«

Während Rick Marvins Deine-Karriere-ist-am-Ende-Grabrede über sich ergehen lässt, kann er das brennende, stechende Gefühl von Tränen spüren, die sich hinter seinen Augäpfeln sammeln.

Marvin, der nichts von Ricks Qualen ahnt, sagt zum Schluss: »Ich sage nicht, dass die Italiener Sie nicht wollen. Ich sage nur, dass die Italiener Sie wollen werden. Aber der Grund, warum sie Sie wollen, ist, dass sie McQueen wollen, McQueen aber nicht kriegen. Und wenn sie schließlich begriffen haben, dass sie McQueen nicht kriegen können, werden sie einen McQueen haben wollen, den sie kriegen können. Und das sind Sie.«

Die krasse, brutale Ehrlichkeit der Worte des Agenten schockiert Rick Dalton so sehr, als hätte Marvin ihm, mit einer tropfnassen Hand und so fest er konnte, eine Ohrfeige mitten ins Gesicht gegeben.

Doch aus Marvins Sicht sind das alles gute Nachrichten. Wäre Rick Dalton ein beliebter Hauptdarsteller in großen Studiofilmen, würde er sich wohl nicht mit Marvin Schwarz treffen.

Außerdem war es Rick, der um ein Treffen mit Marvin gebeten hat. Rick ist es, der seine Karriere als Hauptdarsteller in Spielfilmen ausbauen will, anstatt den Bösewicht des Tages im Fernsehen zu geben. Und es ist Marvins Aufgabe, ihm die Realitäten und Möglichkeiten einer Filmindustrie zu erklären, von der er einen Scheißdreck versteht. Eine Branche, in der Marvin ein anerkannter Experte ist. Und nach Marvins Expertenmeinung ist Rick Dalton ein ähnlicher Typ wie die größten Filmstars der Welt und bietet somit eine wunderbare Gelegenheit für einen Agenten, der bekannte amerikanische Talente an italienische Kinofilme vermittelt. Daher ist er verständlicherweise verwirrt, als er bemerkt, dass Rick Dalton Tränen über die Wangen laufen.

»Was ist los, Junge?«, fragt der Agent erschrocken. »Weinen Sie etwa?«

Ein aufgewühlter und beschämter Rick Dalton wischt sich mit dem Handrücken über die Augen und sagt: »Sorry, Herr Schwarz, ich bitte um Entschuldigung.«

Marvin holt eine Schachtel Taschentücher von seinem Schreibtisch, bietet sie Rick an und tröstet den verweinten Darsteller: »Nix sorry. Wir alle regen uns ab und zu mal auf. Das Leben ist hart.«

Rick zieht mit einem harten reißenden Geräusch zwei Kleenex-Taschentücher aus der Schachtel. Er wischt sich mit den Taschentüchern über die Augen, so machomäßig, wie er es unter diesen Umständen hinbekommt. »Geht schon wieder, ich schäme mich bloß. Tut mir leid wegen dieser peinlichen Aufführung.«

»Aufführung?« Marvin schnaubt. »Was reden Sie da? Wir sind Menschen; Menschen weinen. Das ist ’ne gute Sache.«

Rick wischt die Nässe ganz weg und setzt ein falsches Lächeln auf. »Sehen Sie, schon besser. Tut mir leid.«

»Gar nichts muss Ihnen leidtun«, rügt Marvin. »Sie sind Schauspieler. Schauspieler müssen einen Zugang zu ihren Gefühlen haben. Wir sind auf Schauspieler angewiesen, die weinen können. Manchmal fordert diese Fähigkeit ihren Tribut. Und jetzt sagen Sie schon, was ist los?«

Rick sammelt sich, holt Luft und sagt dann: »Ist nur so, dass ich das schon seit über zehn Jahren mache, Herr Schwarz. Und es ist ein bisschen heftig, nach all der Zeit hier zu sitzen und damit konfrontiert zu werden, was für ein Versager ich geworden bin. Damit konfrontiert zu werden, wie ich meine Karriere den Bach hab runtergehen lassen.«

Marvin versteht das nicht. »Versager, was meinen Sie bloß?«

Rick blickt über den Kaffeetisch und sagt dem Agenten aufrichtig: »Wissen Sie, Herr Schwarz, es gab mal eine Zeit, da hatte ich Potenzial. Ja, das hatte ich. Sie können es in einigen meiner Arbeiten sehen. Sie können es an Bounty Law sehen. Besonders, wenn ich solide Filmpartner hatte. Wenn ich und Bronson vor der Kamera standen, oder ich und Coburn, oder ich und Meeker, oder ich und Vic Morrow. Da war was! Aber das Studio hat mich immer wieder in Filme mit verblühten alten Säcken gesteckt. Aber ich und Chuck Heston? Das wäre was anderes gewesen. Ich und Richard Widmark, ich und Mitchum, ich und Hank Fonda, das wär was gewesen, das wär was anderes gewesen! Und in einigen der Filme ist es da. Ich und Meeker in Tanner. Ich und Rod Taylor in McCluskey. Scheiße, sogar ich und Glenn Ford in Hellfire, Texas. Zu der Zeit hatte Ford keinen Bock mehr, aber er sah immer noch bärenstark aus, und wir sahen zusammen gut aus. Also, jawohl, ich hatte Potenzial. Aber was ich an Potenzial hatte, hat diese Arschgeige Jennings Lang von Universal vergeigt.«

Niedergeschlagen stößt der Schauspieler einen dramatischen Atemzug aus und sagt in Richtung Boden: »Scheiße, und ich selbst hab es auch vergeigt.«

Er sieht auf und begegnet dem Blick des Agenten. »Ich hab die Gelegenheit zu einer vierten Staffel von Bounty Law an mir vorbeiziehen lassen. Denn ich war fertig mit dem Fernsehen. Ich wollte ein Filmstar werden. Ich wollte Steve McQueen einholen. Wenn er es konnte, konnte ich es auch. Wenn ich während der gesamten dritten Staffel nicht so eine unkooperative Nervensäge gewesen wäre, wären wir mittenrein in eine vierte Staffel gesegelt. Und wir hätten alle gut abschneiden und als Freunde auseinandergehen können. Jetzt hasst Screen Gems mich. Diese gottverdammten Bounty-Law-Produzenten werden für den Rest ihres Lebens einen Groll gegen mich hegen. Und zwar verdient! Ich war ein Arschloch in der letzten Staffel. Ich ließ verdammt noch mal jeden wissen, dass ich Besseres zu tun habe, als in dieser verdammten, schwachsinnigen Fernsehserie zu hängen.« Rick hat wieder Tränen in den Augen. »Als ich damals Bingo Martin drehte, da hatte ich einen Hass auf diesen einen Wichser, Scott Brown. Nun, so schlimm wie er war ich nie. Sie können die Schauspieler fragen, mit denen ich gearbeitet habe, Sie können die Regisseure fragen, mit denen ich gearbeitet habe, so schlimm wie er war ich nie. Und ich habe schon oft mit Wichsern gearbeitet. Aber was war der Grund, dass dieser Arsch mich so aufregte? Ich sah, wie undankbar er war. Und als ich das gesehen habe, da habe ich mich selbst gesehen.«

Er starrt wieder den Boden an und sagt mit aufrichtigem Selbstmitleid: »Vielleicht muss ich mir vom nächsten Platzhirschen der Saison den Rotz rausprügeln lassen – vielleicht ist es genau das, was ich brauche.«

Marvin hört sich die ganze Explosion an, die da aus Rick Dalton herausbricht, er hört mit geschlossenem Mund und offenen Ohren zu. Nach einem Augenblick des Schweigens sagt der Agent: »Herr Dalton, Sie sind nicht der erste junge Schauspieler, der eine eigene Serie bekommen hat und dann in den Bann der Überheblichkeit geraten ist. In der Tat gibt es diese Krankheit hier draußen oft. Und – schauen Sie mir in die Augen –«

Rick hebt seinen Blick, sodass er den des Agenten trifft.

Marvin schließt: »Es ist verzeihlich.«

Dann lächelt Marvin den Schauspieler an. Der Schauspieler lächelt zurück.

»Aber«, fügt der Agent hinzu, »man muss sich schon ein wenig neu erfinden hier.«

»Und als was soll ich mich neu erfinden?«, fragt Rick.

Marvin antwortet: »Als jemand Bescheidenen.«

Inhaltsverzeichnis

Kapitel Zwei»Ich bin neugierig (Cliff)«

Rick Daltons Stuntdouble, der sechsundvierzigjährige Cliff Booth, sitzt im Wartezimmer von Marvin Schwarz’ Büro im dritten Stock der Agentur William Morris und blättert in einer übergroßen Ausgabe des Life-Magazins, das der Agent für die Wartenden hat rauslegen lassen.

Cliff trägt enge Levi’s-Bluejeans und eine dazu passende Levi’s-Jeansjacke über einem schwarzen T-Shirt. Sein Outfit ist ein Überbleibsel aus einem Low-Budget-Motorradstreifen, an dem Cliff drei Jahre zuvor mitgewirkt hat. Schauspieler und Regisseur Tom Laughlin, ein alter Kumpel von Rick und ein Freund von Cliff (sie haben zusammen Die vierzehn Fäuste des McCluskey gedreht), hatte Cliff als Stuntdouble in einem Motorradfilm engagiert, Engel der Hölle für American International Pictures, in dem Tom die Hauptrolle spielte und Regie führte (der Film wurde schließlich AIPs Hit des Jahres). In dem Film spielte Laughlin zum ersten Mal die Rolle, durch die er zu einer der beliebtesten Popikonen des Kinos der Siebzigerjahre werden sollte, Billy Jack. Billy Jack war ein amerikanisch-indianisch-vietnamesischer Mischling, der sein Können in der Hapkido-Kampfkunst gerne an der gewalttätigen Biker-Gang demonstrierte, welche im Film als die Born Losers (eine Parodie der Hells Angels) firmierten.

Cliffs Aufgabe war es, die Stunts für eines der Gangmitglieder namens »Gangrene« zu machen, gespielt von David Carradines altem Kumpel Jeff Cooper, dem Cliff irgendwie ähnlich sah. Doch in der letzten Woche des Drehs kugelte sich Toms Stuntdouble den Ellbogen aus (und zwar nicht bei einem Stunt, sondern beim Skateboardfahren an seinem freien Tag). Also sprang Cliff in der ganzen letzten Woche der Dreharbeiten als Double für Tom ein. Am Ende der Billigproduktion, als man ihn vor die Wahl stellte, entweder fünfundsiebzig Dollar oder die Billy-Jack-Garderobe – inklusive Lederstiefel – mitzunehmen, entschied sich Cliff für das Outfit.

Vier Jahre später spielte Tom Laughlin in dem Film Billy Jack für Warner Brothers und war enttäuscht davon, wie das Studio den Film vermarktete. Er kaufte sich die Rechte zurück und verkaufte sie dann portionsweise weiter – Bundesstaat für Bundesstaat, Markt für Markt, wie ein alter Schausteller. Laughlin mietete reihenweise Kinos und schaltete massig verlockend geschnittene TV-Werbung, abzielend auf Kids, die nachmittags nach der Schule fernsahen.

Zusammen mit der Tatsache, dass er einen ziemlich starken Film abgeliefert hatte, machten Laughlins eigenwillige Vertriebsmethoden Billy Jack zu einem der größten Überraschungserfolge in der Geschichte Hollywoods. Seitdem war Cliffs Look so eng mit dieser Legende verbunden, dass er sich etwas anderes ausdenken musste.

Während Fräulein Himmelsteen hinter ihrem Schreibtisch im Büro sitzt und Anrufe entgegennimmt (»Büro von Herrn Schwarz«, Pause – Pause – »tut mir leid, er ist gerade mit einem Klienten zugange, darf ich fragen, wer anruft?«), sitzt Cliff auf der bunten, unbequemen Couch neben ihrem Schreibtisch, das riesige Life-Magazin auf seinem Schoß ausgebreitet, und blättert durch die Seiten. Er hat gerade Richard Schickels Rezension dieses neuen schwedischen Films gelesen, der die amerikanischen Puritaner samt medialem Fortsatz derzeit alle ganz schön in Unruhe versetzt. Nicht nur Johnny Carson und Joey Bishop, sondern auch alle Comedians von Jerry Lewis bis zu Moms Mabley zogen seinen eingängigen Titel mit Wortspielen durch den Kakao.

Von der Couch aus ruft Cliff Fräulein Himmelsteen hinter ihrem Schreibtisch zu: »Haben Sie von diesem Streifen aus Schweden gehört, Ich bin neugierig (gelb)?«

»Ja, habe ich, glaub ich«, sagt Fräulein Himmelsteen. »Soll ziemlich versaut sein, oder?«

»Laut des US-Berufungsgerichts nicht«, klärt Cliff sie auf. Er liest direkt aus dem Magazin vor: »Pornografie ist ein Werk ohne heilbringenden sozialen Wert. Und Richter Paul R. Hays meint: ›Ob wir selbst nun die Ideen des Films für besonders interessant halten oder nicht, ob wir die Inszenierung für künstlerisch gelungen oder nicht, so ist es doch ziemlich sicher, dass Ich bin neugierig sehr wohl Ideen transportiert und sich auch bemüht, diese Ideen künstlerisch zu präsentieren.‹«

Er lässt das riesige Magazin sinken und blickt das junge Ding mit den Zöpfen über den Schreibtisch hinweg an.

»Und was heißt das genau?«, fragt Fräulein Himmelsteen.

»Genau«, echot Cliff, »heißt das, dass der Schwede, der den Film gemacht hat, nicht einfach einen Fickfilm gemacht hat. Er hat versucht, Kunst zu machen. Und es spielt keine Rolle, ob du denkst, dass er total versagt hat dabei. Und es ist egal, ob du denkst, der Film ist das größte Stück Scheiße, das du je im Leben gesehen hast. Was zählt, ist, dass er versucht hat, Kunst zu machen. Er hat nicht versucht, Schweinkram zu produzieren.« Dann, lächelnd, mit einem Schulterzucken: »Zumindest glaube ich das aus dieser Rezension herausgelesen zu haben.«

»Klingt provokant«, bemerkt das junge Mädchen mit den Zöpfen.

»Finde ich auch«, stimmt Cliff zu. »Wollen wir ihn uns zusammen ansehen?«

Ein sarkastisches Grinsen breitet sich auf Fräulein Himmelsteens Gesicht aus, als sie mit dem genau richtigen jüdischen Komik-Timings sagt: »Sie wollen also mit mir in einen Schmuddelfilm gehen?«

»Nein«, korrigiert Cliff. »Laut Richter Paul-irgendwas-Hays will ich Sie lediglich in einen schwedischen Film mitnehmen. Wo wohnen Sie denn?«

Bevor sie sich selbst davon abhalten kann, antwortet sie instinktiv: »Brentwood.«

»Also, ich bin ziemlich vertraut mit den Kinos in der Umgebung von Los Angeles«, klärt Cliff sie auf. »Erlauben Sie mir, das Kino auszusuchen?«

Janet Himmelsteen weiß, dass sie noch nicht einmal zugestimmt hat, sich überhaupt mit Cliff zu verabreden. Aber sowohl sie als auch Cliff wissen, dass sie Ja sagen wird. Zwar gibt es bei William Morris die Regel, dass Minirocktragende Sekretärinnen nicht mit Klienten ausgehen dürfen. Doch dieser Typ ist kein Klient. Rick Dalton ist der Klient. Dieser Typ ist nur einer von Ricks Kumpels.

»Gerne«, sagt die junge Dame.

»Eine weise Entscheidung«, sagt der ältere Mann. Sie lachen beide, als Marvins Bürotür aufschwingt und Rick Dalton in seiner hellbraunen Lederjacke aus dem Büro des Agenten tritt.

Cliff erhebt sich rasch von Marvins ungemütlicher Couch und wirft seinem Chef einen Blick zu, um das Ergebnis des Meetings einschätzen zu können. Und da Rick ein wenig verschwitzt und verstört aussieht, nimmt Cliff an, dass das Meeting nicht so toll gelaufen ist.

»Geht es dir gut?«, fragt Cliff leise.

»Ja, mir geht’s gut«, sagt Rick schnell. »Lass uns einfach von hier verschwinden.«

»Klar doch«, sagt Cliff. Dann dreht sich der Stuntman auf dem hinteren Absatz, bis er Janet Himmelsteen gegenübersteht – mit einer so schnellen Bewegung, dass sie erschrickt. Sie gibt keinen Laut von sich, weicht aber instinktiv zurück. Nun, da Cliff direkt vor ihr (eigentlich über ihr) steht, lächelnd wie ein blonder in Levi’s gekleideter Huck Finn, sieht Fräulein Himmelsteen, wie wahnsinnig gut dieser Typ aussieht. »Läuft diesen Mittwoch an«, informiert Cliff die junge Dame. »Wann soll ich Sie abholen?«

Jetzt, wo er sie voll in seinen Bann zieht, bekommt sie Gänsehaut auf dem speckigen Teil ihrer Arme. Unter dem Schreibtisch hebt sich ihr rechter Fuß, den eine Sandale ziert, und fährt an der Rückseite ihrer nackten linken Wade hinab.

»Wie wäre es mit Samstagabend?«, fragt sie.

»Wie wäre es mit Sonntagnachmittag?«, verhandelt Cliff. »Und nachher führ ich Sie zu Baskin-Robbins aus.«

»Baskin-Robbins?«, wiederholt sie in sarkastischem, übertrieben begeistertem Tonfall. »Also, ich wollte eigentlich nicht Ja sagen, aber wie könnte ich da Nein sagen?«

»Da sind Sie nicht die Einzige«, verrät Cliff. »Das ist meine Wirkung auf Menschen. Sie wollen nicht Ja sagen, aber Nein sagen können Sie auch nicht.«

Das befördert das Himmelsteen-Kichern zu einem echten Lachen. Und die Frau hat ein schönes echtes Lachen. Das sagt er ihr und entdeckt, dass sie auch über ein schönes echtes Erröten verfügt.

Er greift nach unten, zieht eine ihrer Visitenkarten aus einem Halter hervor, der wie eine Bushaltestelle aus durchsichtigem Plastik aussieht, und hält sie sich vor die Augen, um sie zu entziffern.

»›Janet Himmelsteen‹«, liest er laut vor.

»Das bin ich«, kichert sie verlegen.

Der Stuntman nimmt sein ledernes braunes Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner Bluejeans, öffnet es und schiebt die weiße William-Morris-Visitenkarte hinein. Dann geht der Blondschopf rückwärts den Flur hinunter, um seinen Chef einzuholen. Aber er führt trotzdem seine komödiantische Unterhaltung mit der jungen Sekretärin fort: »Also, denken Sie dran, falls Ihre Mutter fragt, nein, ich gehe nicht mit Ihnen in einen Schmuddelfilm. Ich führe Sie aus, um einen ausländischen Film zu sehen. Mit Untertiteln.«

Er zwinkert ihr zu, bevor er um die Ecke verschwindet mit den Worten: »Ich rufe Sie nächsten Freitag an.«

 

Als Cliff und Fräulein Himmelsteen an jenem Sonntagnachmittag Ich bin neugierig (gelb) im Royal Cinema in West L.A. sehen, gefällt den beiden der Film. Wenn es ums Kino geht, ist Cliff viel abenteuerlustiger als sein Chef. Für Rick sind Filme das, was aus Hollywood kommt, und mit Ausnahme von England sind die Filmindustrien der anderen Länder für ihn nur das Beste, was sie so hinkriegen konnten, weil sie eben nicht aus Hollywood sind. Aber angesichts all des Bluts und der Gewalt, die Cliff während des Zweiten Weltkriegs gesehen hatte, war er nach seiner Rückkehr überrascht, was für ein Kinderkram die meisten Hollywoodfilme doch waren. Es gab einige Ausnahmen – Ritt zum Ox-Bow, Jagd nach Millionen, Sprung in den Tod, Der dritte Mann, Die Brüder Rico, Terror in Block11. Nach den Verwüstungen, die die europäischen und asiatischen Länder während des Zweiten Weltkriegs erfahren hatten, begannen diese Länder langsam wieder Filme zu machen, oft inmitten der zerbombten Trümmerreste des Kriegs (Rom, offene Stadt; Diebe haben’s schwer), und entdeckten dabei, dass sie sie nun für ein viel erwachseneres Publikum machten; während man in Amerika – und wenn ich »Amerika« sage, meine ich »Hollywood« –, einem Land, in dem die Zivilisten von den grausamen Details der kriegerischen Auseinandersetzung abgeschirmt worden waren, unbeirrt weiter Filme für die ganze Familie machte, die unverbesserlich unreif waren.

Für Cliff, der Zeuge der krassen Extreme der Menschheit geworden war (etwa der Köpfe seiner philippinischen Guerilla-Brüder, die die von den japanischen Besatzern auf Stöcke gespießt worden waren), hatten selbst die unterhaltsamsten Schauspieler seiner Zeit – Brando, Paul Newman, Ralph Meeker, John Garfield, Robert Mitchum, George C. Scott – eine blöde Eigenart: Sie hörten sich immer wie Schauspieler an und reagierten auf Ereignisse exakt so, wie es nur Filmfiguren taten. Es war immer eine gewisse Künstlichkeit am Werk, die verhinderte, dass die Figuren überzeugend waren. Nach seiner Rückkehr in die Staaten war Cliffs Lieblingsschauspieler in Hollywood Alan Ladd. Er mochte die Art, wie die Mode der Vierziger- und Fünfzigerjahre um den winzigen Ladd herumschlackerte. Er mochte ihn nicht in Western oder Kriegsfilmen; in Cowboyklamotten und Militäruniformen verschwand er. Ladd musste in Anzug und Krawatte auftreten und am besten mit einem Filzhut mit umgeschlagener Krempe. Cliff mochte sein Aussehen. Er sah gut aus, ohne wie ein Filmstar-Schönling auszusehen. Da Cliff selbst so verdammt gut aussehend war, schätzte er andere Männer, die das nicht waren, es aber auch nicht sein mussten. Alan Ladd sah aus wie ein paar der Typen, mit denen er gedient hatte. Es gefiel ihm auch, dass Ladd wie ein Amerikaner aussah. Aber wie der kleine Kerl dann Faustkämpfe in seinen Filmen performte! Cliff liebte es. Er liebte es, wie er den Charakterdarstellern die Scheiße aus dem Leib prügelte, die sich darauf spezialisiert hatten, irgendwelche Gangster zu spielen. Er liebte diese schlaffe Haarlocke, die ihm während des Kampfes immer ins Gesicht hing. Und er liebte es, wie Ladd sich mit den Bösewichten auf dem Boden wälzte. Aber sein absolutes Lieblingsding an Ladd war seine Stimme. Er hatte so eine unverblümte Art, seinen Text zu sprechen. Wenn Ladd neben William Bendix spielte, neben Robert Preston, Brian Donlevy oder Ernest Borgnine, dann wirkten sie im Vergleich zu ihm alle wie Koteletts neben einem Rinderfilet. Wenn Ladd in einem Film wütend wurde, dann spielte er nicht den Wütenden. Er wurde einfach wütend, wie ein echter Kerl eben. Was Cliff betraf, war Alan Ladd der einzige Typ in Filmen, der wusste, wie man sich kämmt, wie man einen Hut trägt oder eine Zigarette raucht (okay, das mit der Zigarette wusste Mitchum auch).

Aber das zeigt nur, wie unrealistisch Cliff die Hollywoodfilme fand. Als er Otto Premingers Anatomie eines Mordes sah, lachte er über das, was die Zeitungen die »schockierend pornografische Sprache« des Films genannt hatten. Er scherzte Rick gegenüber: »Nur in einem Hollywoodfilm würde man ›Spermizid‹ als ›schockierend pornografisch‹ bezeichnen.«

Wenn er jedoch ausländische Filme sah, dann verfügten die Schauspieler dort über ein Maß an Authentizität, das es in Hollywoodfilmen einfach nicht gab. Cliffs Lieblingsschauspieler war Toshirō Mifune, keine Frage. Er war so fasziniert von Mifunes Gesicht, dass er manchmal vergaß, die Untertitel mitzulesen. Der andere ausländische Schauspieler, den Cliff mochte, war Jean-Paul Belmondo. Als Cliff Belmondo in Außer Atem sah, dachte er: Der Typ sieht aus wie ein verdammter Affe. Aber ein Affe, den ich mag.

Wie Paul Newman, den Cliff ebenfalls mochte, hatte Belmondo Filmstar-Charme.

Aber wenn Paul Newman einen Mistkerl spielte, wie in Der Wildeste unter Tausend, dann war er immer noch ein unterhaltsamer Mistkerl. Nur war der Typ in Außer Atem nicht nur ein sexy Hengst. Er war auch ein fieser Widerling, ein Kleinkrimineller, einfach ein Stück Scheiße. Und anders als in einem Hollywoodfilm wurde er hier nicht sentimentalisiert. In Hollywoodfilmen sentimentalisierten sie noch jedes Stück Scheiße, und das war echt so verlogen. In der realen Welt hatten diese Söldner-Arschgesichter keine einzige sentimentale Ader im Körper.

Deshalb schätzte Cliff es so, dass Belmondo das mit seinem kleinen Scheißer in Außer Atem nicht machte. Ausländische Filme, dachte Cliff, waren eher wie Romane. Es war ihnen egal, ob man die Hauptfiguren mochte oder nicht. Und das fand Cliff faszinierend.

In den Fünfzigerjahren fuhr Cliff oft nach Beverly Hills und Santa Monica und West Los Angeles und Little Tokyo, um sich ausländische Filme in Schwarz-Weiß und mit englischen Untertiteln anzusehen.

La Strada, Yojimbo – Der Leibwächter, Einmal wirklich leben, Die Brücke, Rififi, Fahrraddiebe, Rocco und seine Brüder, Rom offene Stadt, Die sieben Samurai, Der Teufel mit der weißen Weste, Bitterer Reis (den Cliff verdammt sexy fand).

»Ich geh doch nicht ins Kino, um zu lesen«, neckte Rick Cliff. Cliff lächelte nur über die Sticheleien seines Chefs, aber er war immer stolz darauf, dass er Untertitel las. Er fühlte sich schlauer. Er mochte es, seinen Verstand zu erweitern. Er mochte die Herausforderung, sich mit schwierigen Begriffen auseinanderzusetzen, die sich ihm anfangs nicht erschlossen. Nach den ersten zwanzig Minuten gab es nichts mehr über einen neuen Rock-Hudson- oder Kirk-Douglas-Film zu erfahren. Aber bei diesen ausländischen Filmen musste man manchmal den ganzen Film sehen, um zu kapieren, was man da eigentlich sah. Dabei schüchterten sie ihn dennoch nicht ein. Sie mussten immer noch (so oder so, auf die eine oder andere Weise) als Film funktionieren, was sollte das Ganze sonst? Cliff wusste nicht genug, um kritische Beiträge für Films in Review zu schreiben, aber er wusste genug, um zu wissen, dass Hiroshima, mon amour richtiger Dreck war. Er wusste genug, um zu wissen, dass Antonioni ein Blender war.

Er mochte es auch, Ereignisse aus anderen Perspektiven zu betrachten. Die Ballade vom Soldaten etwa rief in ihm Respekt für die sowjetischen Verbündeten hervor, den er sonst nie empfunden hatte. Der Kanal lehrte ihn, dass seine Kriegserfahrung, verglichen mit anderen, vielleicht gar nicht so schlimm gewesen war. Bernhard Wickis Die Brücke brachte ihn dazu, etwas zu tun, was er für unmöglich gehalten hätte: um Deutsche zu weinen. Er teilte diese Sonntagnachmittage normalerweise mit niemandem (der Sonntagnachmittag war sein Fremdsprachiger-Film-Tag). Niemand sonst in seinem Bekanntenkreis interessierte sich dafür (es war fast schon komisch, wie wenig sich die Stunt-Gemeinde eigentlich für das Kino an sich interessierte). Aber Cliff mochte es, allein in diese Filme zu gehen. Das war seine alleinige Zeit mit Mifune, Belmondo, Bob dem Spieler und Jean Gabin (sowohl der gut aussehende als auch der weißhaarige Gabin); das war seine Zeit mit Akira Kurosawa.

Yojimbo – Der Leibwächter war nicht der erste Mifune- oder Kurosawa-Film für Cliff. Er hatte bereits einige Jahre zuvor Die sieben Samurai gesehen, den er großartig fand. Er fand, das war ein einmaliger Film. Aber die Zeitungskritiken überzeugten den Stuntman davon, Mifunes und Kurosawas neueste Arbeit in Augenschein zu nehmen. Nachdem er aus dem winzigen, schuhkartongroßen Kino in einem überdachten Einkaufszentrum in Little Tokyo gekommen war, nachdem er also gerade Yojimbo gesehen hatte, war Cliff von Mifune überzeugt, aber noch nicht von Kurosawa. Es lag nicht in Cliffs Natur, die Arbeit eines Filmregisseurs zu verfolgen. So wichtig waren ihm Filme dann doch nicht. Regisseure waren Typen, die einen Drehplan verfilmten. Und er musste es ja wissen – er hatte mit einigen von ihnen gearbeitet. Dieser Glaube, sie wären wie gequälte Maler, die damit haderten, welchen Blauton genau sie nun auf die Leinwand pinseln sollten, war eine weit hergeholte Vorstellung vom Filmemachen. William Witney riss sich den Arsch auf, um seinen Tagesplan einzuhalten und am Ende gutes Filmmaterial zusammenzuhaben. Aber er war kein Bildhauer, der ein Stück Felsen in einen Frauenhintern verwandelte, den man dann hätte streicheln wollen.

Aber etwas an Yojimbo, jenseits von Mifune, jenseits der Story, traf bei Cliff einen Nerv. Und er dachte, dieses zusätzliche Element könnte Kurosawa sein. Sein dritter Kurosawa-Film bewies ihm, dass die ersten beiden keine Glückstreffer gewesen waren. Das Schloss im Spinnwebwald haute ihn aus den Socken. Er war ein wenig beunruhigt, als er erfuhr, dass der Film auf Shakespeares Macbeth basierte. Shakespeare hatte Cliff nie berührt (obwohl er wünschte, er täte es). Nun, Cliff war normalerweise ein wenig gelangweilt, wenn er einen Film schaute. Wenn er Aufregung wollte, fuhr er ein paar Runden auf einer Rennbahn, oder er fuhr mit einem Dirt Bike über eine Motocross-Strecke. Aber von Das Schloss im Spinnwebwald war er völlig gefesselt. Als er das in zeichenkohleartigem Schwarz-Weiß gefilmte Bild von Mifune sah, in voller militärischer Rüstung, bedeckt mit hundert Pfeilen, war es offiziell: Cliff Booth war ein Akira-Kurosawa-Fan.

Nach der Gewalt, der die Welt in den Vierzigerjahren ausgesetzt gewesen war, ging es in den Fünfzigern nur noch um Melodramen und große Gefühle. Tennessee Williams, Marlon Brando, Elia Kazan, das Actors Studio, Playhouse 90. Und Akira Kurosawa war in jeder Hinsicht der perfekte Regisseur für die schwülstigen Fünfzigerjahre, die Ära, in der seine berühmtesten Filme entstanden. Die amerikanischen Filmkritiker überschütteten Kurosawa früh mit Lobeshymnen und erhoben seine Melodramen zur hohen Kunst, vor allem weil sie sie nicht verstanden. Cliff hatte das Gefühl, nachdem er so lange gegen die Japaner gekämpft hatte und bei ihnen in Kriegsgefangenschaft gewesen war, verstand er Kurosawas Filme viel besser als jeder Kritiker, den er je gelesen hatte. Cliff fand, dass Kurosawa eine angeborene Gabe für die Inszenierung von Drama, Melodrama und pulp hatte, dazu das Talent eines Comic-Zeichners (Cliff war ein großer Marvel-Comics-Fan) für Kadrage und Komposition. Cliff hatte noch keinen Regisseur gesehen, der Aufnahmen mit mehr Dynamik und Esprit geschaffen hätte als »der Alte Mann« (wie Cliff den Filmemacher nannte). Aber Cliff war der Meinung, dass die amerikanischen Kritiker sich irrten, wenn sie den Regisseur als »Künstler« bezeichneten. Kurosawa hatte nicht als bildender Künstler begonnen. Er war ursprünglich ein Arbeiter gewesen, der Filme für andere Arbeiter machte. Er war kein bildender Künstler, hatte aber ein sensationelles Talent für die künstlerische Inszenierung von Drama und pulp.

Doch selbst der Alte Mann war anfällig dafür, sich in seine eigenen Gedankengänge zu verlieben. Mitte der Sechzigerjahre wandelte er sich von Kurosawa, dem Filmregisseur, zu Kurosawa, dem russischen Romanautor.

Cliff verließ bei Rotbart aus Respekt vor seinem einstigen Lieblingsregisseur nicht frühzeitig die Vorstellung. Doch später, als er erfuhr, dass der Grund, der Toshiro Mifune dazu veranlasste, nicht mehr mit Kurosawa zu drehen, eben diese Schwerfälligkeit des Alten Mannes war, die in Rotbart sichtbar wurde, schlug sich Cliff auf Mifunes Seite.

CLIFFS LIEBSTE KUROSAWA-FILME

1. (Unentschieden) Die sieben Samurai und Ikiru

2. Yojimbo – Der Leibwächter

3. Das Schloss im Spinnwebwald

4. Ein streunender Hund

5. Die Bösen schlafen gut (allein schon wegen der Eröffnungsszene)

Cliffs Liebe und Hingabe (wobei er es nie so genannt hätte) für das japanische Kino beschränkte sich nicht nur auf Kurosawa und Mifune. Obwohl er die Namen der anderen Regisseure nicht kannte, gefielen ihm auch Three Outlaw Samurai, The Sword of Doom, Harakiri und Goyokin. Und später, in den Siebzigerjahren, bewunderte er Shintarō Katsus Figur in Der blinde Samurai: Zatōichi. So sehr, dass Katsu eine Zeit lang Mifune als Cliffs Lieblingsschauspieler ablöste. Cliff war auch ganz vernarrt in die Filmreihe Okami von Katsus Bruder, vor allem in den zweiten Teil, Am Totenfluss. In den Siebzigern sah er auch diesen einen wilden, sexy Film aus Japan, in dem die Tussi dem Kerl den Schwanz abschneidet, Im Reich der Sinne (er ging mit verschiedenen Frauen in diesen Film). Er mochte auch den ersten von Sonny Chibas Street-Fighter-