Escape the Reaper - J. L. Drake - E-Book

Escape the Reaper E-Book

J. L. Drake

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Beschreibung

Trigger Tess steht unter der Aufsicht des Teufels, während ich hinter Gittern mit meinen Dämonen eingesperrt bin. Das Ass in meiner Tasche bringt Macht und die Versuchung, es zu nutzen, bringt mich fast um den Verstand. Der Geruch von Blut ist eine Droge. Er treibt mich an. Verschlingt mich. Ich bin verloren. Tess Der Teufel hat mich geraubt, doch ich weigere mich, zu jemand anderem zu gehören. Ich bin eine Kämpferin und ich werde tun, was nötig ist, um zu meiner Familie zurückzukehren. Verrat umgibt uns. Der einzige Ausweg besteht darin, den größten Verlust zum größten Sieg zu machen.

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J.L. Drake

Escape theREAPER

J.L. Drake

Escape theREAPER

Devil’s Reach|Teil 3

LAGO

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2021

© 2021 by LAGO, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 bei Limitless Publishing unter dem Titel Unleashed. © 2018 by J.L. Drake. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Alfons Winkelmann

Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Catharina Aydemir

Umschlagabbildung: Shutterstock/Gleb Guralnyk, FXQuadro

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-95761-194-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-268-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-269-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Ketura Worthen, Vanessa Webb, Alison De-Wille und Ceej Chargualaf: Ihr seid vor über einem Jahr in mein Leben getreten und habt mich beim Aufbau der Armee unterstützt, die wir heute haben.Ohne euch vier wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Vielen Dank für eure grenzenlose Unterstützung, Kreativität und Zeit.All das bleibt nie unbemerkt.Ein Hoch auf eine weitere Veröffentlichung!

Inhalt

Prolog

Kapitel 1: Trigger

Kapitel 2: Trigger

Kapitel 3: Trigger

Kapitel 4: Trigger

Kapitel 5: Trigger

Kapitel 6: Trigger

Kapitel 7: Trigger

Kapitel 8: Trigger

Kapitel 9: Trigger

Kapitel 10: Trigger

Kapitel 11: Trigger

Kapitel 12: Trigger

Kapitel 13: Trigger

Kapitel 14: Trigger

Kapitel 15: Trigger

Kapitel 16: Trigger

Kapitel 17: Trigger

Kapitel 18: Trigger

Kapitel 19: Trigger

Kapitel 20: Trigger

Kapitel 21: Trigger

Trigger

Danksagung

Über die Autorin

Prolog

Meine Fäuste hämmerten gegen meine Schläfen, mein Kopf schrie mir zu, ich solle töten, und der Raum drehte sich, als hätte jemand die Büchse der Pandora aufgerissen. Ich krallte mich an den Wänden fest und ignorierte den Schmerz meiner abgerissenen Fingernägel. Ich zerschmetterte den Stuhl am Tisch und riss die Kamera von der Wand. Ich schnappte mir das Kabel und wickelte es mir um die Hände, bereit, es mit Doyle aufzunehmen.

Ich schüttelte den Kopf, um die Schreie darin zum Verstummen zu bringen, während sich die Dämonen in meinem Körper von Knochen zu Knochen schwangen, wie eine Armee von Affen, die über ihr Opfer herfallen wollte.

Keine Fenster, keine Luft, nichts.

Reines, ungezähmtes Adrenalin pumpte durch mein Inneres und vernichtete endgültig jede Spur des Guten, das noch in mir verblieben war.

Ich ließ meinen Hals knacken und spürte, wie das Blut aus meinen Handflächen strömte. Ich trat von einem Fuß auf den anderen, bereit zum Kampf. Bereit, verdammt noch mal, hier rauszukommen.

»Ahhhh!« Ich konnte den Wahnsinn nicht länger zurückhalten. Ich spürte den Nervenkitzel.

Der Geruch von Blut hing in der Luft; es war ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte und einhalten wollte, sobald er sein Gesicht zeigte.

Ich rieb energisch meinen Kopf, damit er mir nicht auseinanderflog.

Ich verlor die Beherrschung nicht; so war ich nicht.

Was passierte da?

Warum die Verzögerung?

Wo zum Teufel blieb Sam?

Plötzlich, als ob jemand ein Licht angeschaltet hätte, ging die Tür auf, und Officer Doyle trat ein. Er blickte vom Aktenordner in seiner Hand auf und warf mir einen Blick zu.

Das kleine Fenster in der Tür hinter ihm zitterte, und ich ließ mich einen Augenblick lang davon ablenken.

Ich saß da auf meinem Stuhl, cool, ruhig, entspannt.

Wenn er nur von dem Sturm wüsste, der in meinem Innern tobte.

Kapitel 1Trigger

»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht dagegen ankämpfen, Trigger.« Sam zupfte an seiner Krawatte. Die Haut darum war gerötet. In all den Jahren, die er unser Anwalt gewesen war, hatte ich ihn niemals so gestresst erlebt. »Du bist des mehrfachen Mordes angeklagt, und du hast einen Rottweiler namens Rothweiler als Richter. Größtes Arschloch an der Westküste.«

»Der Beweis wird sich schon noch zeigen«, brummelte ich, noch immer verloren in meinen dunklen Gedanken, die zusammen mit dem Verlangen in mir brodelten, meinen Männer zu sagen, wer der Maulwurf war. Doch das wäre zu riskant. Höchstwahrscheinlich würden sie ihn umbringen, bevor ich es könnte. Allein das Wissen, dass er frei und ungeschoren in meinem Club herumrannte, machte mich wild und verstärkte den Drang, hier auszubrechen und ihm die Kehle herauszureißen.

Dann war da sie.

»Tatsächlich?« Brick rieb sich das Gesicht, die Stimme ohne jede Hoffnung. Er hatte sich die Haut an der Kuppe seines Daumens völlig abgeschürft, weil er ständig über die Schraube an dem Stuhlbein gerieben hatte. Er zeigte auf die Kamera an der Wand. »Die haben eindeutig ein paar Leute in der Hinterhand, damit das passieren konnte. Das kommt von ziemlich weit oben.«

Ich kenne auch Leute. Ich muss nur auf den richtigen Moment warten, um meine Karten auszuspielen.

Der ätzende Schmerz in meiner Brust machte mich darauf aufmerksam, dass mich gleich ein Bild von ihr treffen würde.

Ich fuhr bei diesem Riss in meiner Panzerung zusammen und schob das Bild beiseite, zurück an seinen Platz, weg von ihnen. Ich spürte, wie ihre Klauen an meinem Innern kratzten, als ob sie meine Schwäche riechen würden.

»Trigger.« Sam durchbrach meinen Gedankengang. »Es sieht schlecht aus. Mir sind die Hände gebunden. Niemand hört zu. Sie wollen dich lediglich hinter Gittern sehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Doyle mit dem Justizministerium schläft.«

»Ich kann nicht die Bitch von jemandem sein«, ertönte Rails schrille Stimme aus der Ecke. »Für mich gibt’s Grenzen.«

»Komm schon, Rail, du hast letzten Monat diese Alte aus dem Fitnessstudio auf dem Parkplatz gevögelt.« Brick schüttelte den Kopf. »Du hast keine Grenzen.«

»Ah, ja, stimmt.« Rail kicherte. »Sie war ein Freak.«

So durcheinander sie auch innerlich zu sein schienen, keiner von ihnen konnte den Mund halten.

»Fuck.« Sam presste sich die Hände gegen die Stirn. »Ihr wandert alle ins Gefängnis. Ich werde der Einzige sein, der auf der anderen Seite der Mauer steht.«

»Warum machst du dir dann Sorgen?« Rail nahm die Füße vom Tisch, und seine Schuhe knallten auf den Boden. »Du wirst nicht derjenige sein, der unter die Gemeinschaftsdusche geht.«

»Das wäre mir lieber als das, was mich erwartet, wenn ich euch nicht rauskriege.« Er warf mir einen Blick zu, wandte sich jedoch rasch ab. Das stimmt, du kleiner Scheißer. Du hast besser eine Scheißangst. Ich würde seine ganze Familie umbringen, wenn er uns nicht rauskriegt, und er wusste das und flippte deswegen völlig aus.

Die verstaubte, vergitterte Uhr über Sam tickte laut. Jede Sekunde, die verstrich, schien einen weiteren Eimer mit Erde auf mein Grab zu werfen … oder ihres. Ich wusste, dass Morgan Gus’ Aufenthaltsort nachverfolgt hatte, aber das war ein paar Tage her, und ich hatte seit einer Weile nichts gehört. Sam zog es vor, lieber nichts zu wissen, damit man es später nicht aus ihm herausprügeln konnte. Er war völlig zu Recht paranoid. Mit mir hinter Gittern wäre er ganz bestimmt eine Zielscheibe, und das nicht bloß für Allen, sondern auch für mich.

Ich ließ den Kopf in die Hände fallen, um den Schmerz in meinen Augen zu lindern. Ich konnte nicht schlafen, und das machte mich wahnsinnig. Ich war durch den Klang ihrer Stimme aufgewacht, nur um festzustellen, dass es Rail in der Koje über mir gewesen war.

Ich folgte den Ketten des Skeletts auf meinem Unterarm und hielt am Schloss inne. Eine Schwere legte sich über die Grube meiner gequälten Seele. Ich musste da raus, aber ich wusste auch, dass ich meine Karten richtig ausspielen musste.

Die Tür schwang auf, und herein trat mein Bewährungshelfer Chamness, der auf seine übliche missbilligende Weise den Kopf schüttelte. Ich verdrehte die Augen. Der Mann war es leid, mit mir zu arbeiten, und das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.

»Glückwunsch, Trigger, du bist jetzt echt am Arsch.«

»Nur nicht so optimistisch, Chamness«, zischte Rail.

»Oh, glaub mir, dazu besteht kein Grund.« Er ließ eine Akte auf den Tisch fallen und kniff sich in den Nasenrücken. »Du hörst nicht auf mich, du hörst nicht auf deinen Anwalt, du hörst nicht auf das Gesetz. Du hast dir selbst dein Bett gemacht, also wirst du dich jetzt in den Scheißdreck legen müssen, der dich erwartet, weil ich keine weiteren Asse mehr im Ärmel habe.«

»Soll heißen?« Ich begegnete seinem erschöpften Blick.

»Soll heißen, sie«, er zeigte zum Fenster, »sind mit dir fertig und haben keine Lust, dich noch einmal durch das Gefängnistor gehen zu lassen, durch das du gehst, seitdem du sechzehn warst. Sie haben angesichts der Zahl der Toten die Verhandlung vorverlegt und sind so weit, den Ball jetzt ins Rollen zu bringen.«

»Aber es ist erst eine Woche her.« Brick stand auf und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Dieser Scheiß dauert sonst Monate.«

»Ja.« Chamness nickte. »Aber ihr habt sie so häufig verärgert, dass sie ihren Standpunkt klarmachen wollen, und sie sind gewillt, dazu jeden juristischen Trick aus dem Lehrbuch anzuwenden.«

»Und welcher Standpunkt ist das?« Ich wollte weiterreden, aber da ging die Tür auf. Drei Polizisten traten ein und holten uns eilig in den Gerichtssaal.

»Gott verdammt noch mal, Trigger, halt bloß die Klappe«, warnte Chamness, bevor wir den Gerichtssaal betraten.

Ich erinnerte mich nicht an viel von dem, was gesprochen wurde, weil mich sogleich Morgans Blick traf, der den Kopf schüttelte und damit andeutete, dass er sie oder Gus nicht gefunden hatte.

Die wilden Kreaturen in mir wurden wahnsinnig, als sie spürten, wie meine Stimmung ins Bodenlose fiel.

Shit!

»Matthew Montgomery und Silas Hunter, ihr könnt euch auf fünfundvierzig Jahre freuen, und, bei Gott, ich werde dafür sorgen, dass ihr jede Sekunde davon absitzt.«

Brick stieß schwer die Luft aus, und Rail murmelte etwas dahingehend, dass er lieber sterben würde.

Richter Rottweiler – Rothweiler – kniff seine blauen Augen zusammen, die zum Teil hinter seinen buschigen Augenbrauen verborgen waren, und sah mich an. »Nolan Vineyard.« Er hatte Mühe, die Mundwinkel weiterhin unten zu halten. Ich richtete mich etwas gerader auf und wartete auf mein Schicksal.

»Ich garantiere dir, Vineyard, dass du dich auf dreimal lebenslänglich freuen kannst.« Ich blinzelte bei seinen Worten. »Und wenn es nach mir ginge, so würde ich dich zum Tode verurteilen.«

Rail stützte sich auf dem Tisch ab, während ich mich vorbeugte, um mit Sam zu flüstern.

Rasch zog er sein Handy heraus. »Tie ruft an.« Tie war der Typ, der alles hinbekam. Sobald wir verhaftet worden waren, hatte Morgan an ein paar Strippen gezogen, und er hatte sich an die Arbeit gemacht. Jetzt wusste ich, dass wir einfach abwarten mussten.

Ich ließ den Blick über die Gesichter in den Sitzreihen gleiten und hielt bei meiner Mutter inne. Sie nickte mir leicht zu. Ich wusste nicht genau, ob sie mir sagte, alles sei in Ordnung, oder ob sie mir ihre Unterstützung zuteilwerden ließ. So oder so, ich wollte keines von beidem. Warum war sie überhaupt hier, zum Teufel?

Ein Polizist trat hinter mich und zog mich an den Handgelenken, damit ich ihm folgte.

»Sam.« Ich riss mich los und trat näher heran. »Sie ist wichtiger als wir.«

»Ich weiß.« Seine Antwort klang distanziert. Die Bösartigkeit des Richters hatte ihn umgehauen.

»Spiel schmutzig. Ich zahle dir genügend, sodass du das tun kannst.«

»Du hast mein Wort.«

»Ich verlass mich drauf.« Ich unterließ es, ihn daran zu erinnern, dass mir seine Familie wohlbekannt war.

»Gehen wir.« Der Polizist packte mich am Arm und zog mich weg. Ich folgte ihm ruhig, um Sam gegenüber klarzustellen, was Sache war. Ich würde meinen Teil erledigen, wenn er seinen erledigte.

*

Tess

Ich warf den Pappteller in den Müll, sah durchs Fenster auf die Zufahrtsstraße hinaus und überlegte, wie lang sie tatsächlich war. Fünf, vielleicht sechs Kilometer? Ich wusste, es dauerte vier Minuten von dem Moment an, da ich den Motor hörte, bis zu dem, wo ich den Lieferwagen tatsächlich sehen konnte. Gus sagte, es wären sechs, aber ich glaubte, dass seine innere Uhr falsch ging.

Ich roch ihn, bevor ich reagieren konnte. Meine Muskeln spannten sich an, als er hinter mich trat und mir über die Schulter zuflüsterte: »Alles in Ordnung mit dir?« Zay legte seine Arme rechts und links neben mich auf die Theke. »Kann ich dir etwas holen? Deine Haut sieht so hübsch in der Sonne aus. Wie Diamanten.« Fox ging durch die Küche und stopfte sich den Mund mit Kartoffelchips voll.

»Igitt«, murmelte ich. »Du weißt absolut nichts von mir, Zay.«

»Ich weiß mehr, als du denkst.«

Ich wollte ihm meinen Ellbogen in die Rippen stoßen, aber als ich das das letzte Mal gemacht hatte, hatte es Allen an Gus ausgelassen.

»Wirklich?« Ich konnte nicht anders. Zay machte mich stinkwütend. »Dann solltest du wissen, dass eine Anspielung auf Twilight alles andere als sexy ist. Ich hasse Romantik.«

»Wo zum Teufel sind meine Schuhe?«, fauchte Allen hinter uns.

»Schön.« Zays Tonfall änderte sich. Er riss einen Arm von der Theke los und machte seinen Gürtel auf. Ich geriet in Panik. Unmöglich konnte er das tun.

»Ich habe es auf die nette Weise versucht, habe versucht, mich in deiner Gegenwart zu beherrschen, aber du hast mich beständig zurückgestoßen. Also, dann eben auf deine Weise.«

Allen kicherte, und ich wollte herumwirbeln, aber Zay hielt mich an den Hüften fest, während er mir mit der anderen Hand gewaltsam die Hose herunterziehen wollte. Er kriegte es nicht auf die Reihe. Seine Hände rutschten immer wieder vom Hosenknopf ab, also nutzte ich das zu meinem Vorteil aus.

»Du krankes Arschloch!« Ich trieb ihm meinen Absatz in den Fuß und holte aus, um ihm einen Boxhieb zu versetzen, aber er packte meine Arme und drückte meinen Oberkörper auf die Theke.

»Mir gefällt, dass du dich wehrst, Tess, aber du musst auch wissen, wem du von jetzt an gehörst.«

»Eine Schlampe muss lernen.« Allen grinste aufgeregt und rannte nach oben.

»Du bist ein krankes Arschloch, dem offenbar einer abgeht, wenn er Frauen vergewaltigt«, kreischte ich ihn an, weil das alles war, was ich tun konnte. Er war zu stark und überwältigte mich völlig.

»Es ist keine Vergewaltigung, wenn die Frau es will, und ich weiß genau, dass du es willst. Du weißt es nur noch nicht selbst.«

Heilige Scheiße, war der verrückt! Er schob mein T-Shirt nach oben, wobei es ein wenig am Hals zerriss. Doch ich war dankbar, dass er es aufgab, meine Hose aufzubekommen.

Plötzlich hörte ich einen lauten Knall, und Zay fiel mit vollem Gewicht auf mich und rutschte dann zu Boden.

»Fuck, Tess, alles in Ordnung?« Gus zog mich auf die Füße, während ich mich damit abmühte, mein T-Shirt herabzuziehen.

»Ja«, schnaufte ich und wischte mir die Tränen der Wut aus dem Gesicht.

Ich holte aus und trat den Hurensohn so fest in die Rippen, wie ich konnte. Ich wollte noch mal zutreten, aber Gus legte den Arm um mich und hielt sich einen Finger an die Lippen.

Wir hörten Schritte die Treppe herabkommen. Wir sahen einander an und wussten, was gleich geschehen würde.

»Es wird ein Morgen geben, Tess.«

Ich wär am liebsten davon gelaufen, aber er hatte recht.

»In Ordnung.«

Wir wappneten uns gegen das, was in den nächsten paar Minuten geschehen würde.

Die Schläge verursachten mir Übelkeit, das taten sie immer. Ich konnte lediglich entsetzt zuschauen; Zay hielt mich zurück. Er flüsterte mir zu, ich solle ruhig bleiben und mich still verhalten, aber ich blendete ihn aus. Er war ein Monster, ebenso wie alle übrigen.

Gus’ Lippe war geschwollen, und Blut sickerte aus einem Schnitt an seinem Kopf. Alles in allem sah er unversehrt aus, aber ich wusste, dass er durch all die Tritte und Schläge, die er abbekommen hatte, innerlich wesentlich stärker verletzt worden war, als es äußerlich den Anschein machte.

Ich schob mich näher zu ihm.

Ich tupfte ihm die Wunde am Kopf mit einem Lappen ab. »Alles in Ordnung?«

Er lachte, ein Lachen, aus dem ein hässlicher Husten wurde. »Ich bin seit 1997 nicht mehr in Ordnung, Liebes.«

Ich kämpfte mit meinen Gefühlen. Gus und ich waren uns seit unserer Ankunft hier nähergekommen. Es war komisch, wie eine schreckliche Lage die Leute einander näherbringen konnte.

Ich blickte hinüber zu den kilometerlangen Maisfeldern. »Ich glaube, ich schaff das nicht.«

Gus schloss die Augen und bemühte sich, sich etwas aufrechter an den Baumstamm zu lehnen. »Du kannst es, und du wirst es schaffen.«

»Was, wenn nicht?«

»Weißt du was, Liebes? Das ist einfach keine Option.« Er legte seine Hand auf meine. »Sie brauchen dich.«

»Wir brauchen dich«, gab ich zurück. »Du wirst hier sterben.«

Sein Lächeln zeigte mir, dass er bereits Frieden mit seiner Entscheidung getroffen hatte, und das brachte mich den Tränen nahe.

»Tess, ich habe so lange, wie ich zurückdenken kann, um mein Leben gekämpft. Ich hatte drei verschiedene Arten von Krebs, aber der jetzt«, er legte sich eine Hand an die Brust, »der will einfach nicht aufgeben.«

»Brustkrebs?« Ich wollte sichergehen.

Er nickte. »Seit einiger Zeit jetzt drittes Stadium. Mir bleiben bloß noch ein paar Monate.«

Eine Träne lief mir die Wange hinab. »Das habe ich nicht gewusst.«

»Das muss niemand wissen.«

»Weiß es Trigger?«

»Er weiß genug. Er kann zwei und zwei zusammenzählen.«

»Die Jungs?«

»Nein.« Er zog sein Bein hoch und zuckte dabei zusammen. »Da draußen wäre ich dir nur eine Last.« Sein Blick ging zu den Feldern hinüber. »Wir sollten etwas schlafen.«

Ich half ihm auf die Beine und brachte ihn ins Bett. Als ich sein Zimmer verlassen wollte, räusperte er sich.

»Du bist das Beste, was je ins Leben meiner Söhne getreten ist.« Er schaltete das Licht aus und ließ mich im Dunkeln über seine Worte nachsinnen.

Meine Brust wurde mir schwer, als ich ihm einen letzten Blick zuwarf. »Das Zweitbeste.«

Ich schloss die Tür hinter mir und mied Zay, der mich von der Schwelle seines Zimmers aus anstarrte. Ich hoffte inbrünstig, dass er nicht wusste, was wir vorhatten.

Gute Nacht, du unheimliches Arschloch.

Ich hatte mich seit unserer Ankunft hier darauf vorbereitet, aber ich fühlte mich immer noch nicht dazu bereit. Ich warf einen Blick zum Fenster hinaus und sah die schweren, dunklen Wolken, die auf uns zukamen.

Großartig.

*

Langsam öffnete ich die Tür und fluchte, weil die alten Scharniere so laut quietschten. Ich versetzte mir geistig einen Tritt, ging die Treppe hinab und zur Küchentür hinaus.

Meine Füße trafen auf die kalte Erde, und sie wurde hinter mir hochgeschleudert und kitzelte meine Waden. Die dicken Maisstengel machten mich wahnsinnig, da sie mir nur einen wenige Zentimeter weiten Blick erlaubten. Ich war eine gute Läuferin und konnte normalerweise kilometerweit rennen, ohne nachzudenken, aber das hier war etwas völlig anderes. Das war wie etwas, das für das Bootcamp der Armee entworfen worden war.

Meine Lungen bettelten um eine Pause, aber ich wusste es besser und blieb nicht stehen. Der Regen rann an meinem Körper herab, und der nasse Mais peitschte unerbittlich auf mich ein, während ich rannte, und schleuderte mir seine kalten, nassen Quasten über Gesicht und Brust.

»Nein!« Ich blieb stehen und horchte angestrengt. »Shit!« Das leise Surren sandte mir einen Schauer über die Haut. Mit letzter Energie schoss ich ein paar weitere Meter voran. Ich wusste nicht genau, wie viel Reichweite die Kamera der Drohne hatte, aber ich wusste, dass ich es versuchen musste.

»Ah!« Ich stürzte ohne Vorwarnung. Mit den Händen fing ich mich ab und verhinderte, dass mein Gesicht gegen einen weiteren Schädel prallte. Ich rutschte zurück und schluckte meine Schreie hinunter. Zwei Leichen waren in eine Grube geschoben worden. Ich sah sie mir an und bemerkte, dass ihnen beiden der Bauch aufgerissen worden war; sie waren Opfer von Allens Wieseln. Das Summen wurde stärker, und ich hatte noch kein Anzeichen eines Sees entdeckt.

Verzweifelt suchte ich nach einem möglichen Ort zum Verstecken. Dann kam mir die Idee. Allein schon bei der Vorstellung hätte ich mich fast übergeben, aber wenn ich Gus helfen wollte, blieb mir nichts anderes übrig.

»Igiit!« Ich weinte innerlich und schob würgend die Leichen zur Seite, rollte mich darunter zu einem Ball zusammen und zog sie wieder über mich zurück. Es waren schwer gebaute Männer, also musste ich mich ziemlich anstrengen; der Regen war keine große Hilfe. Ihre Kleidung fühlte sich an wie Kleister. Ich drückte die Augen fest zusammen, schaltete meinen Geruchssinn ab und betete zu irgendwem, der mich hören konnte, um Hilfe.

Die Drohne benötigte nicht lange, mich zu finden, oder zumindest glaubte ich das. Sie schwebte scheinbar zehn Minuten lang in der Luft, bevor sie sich wegbewegte und systematisch weiter nach mir suchte. Das Geräusch der Propeller, das durch den Sturm schnitt, war unheimlich und jagte eine dreifache Dosis Furcht durch mich.

»Du schaffst das«, flüsterte ich mir immer und immer wieder zu. Ich brauchte etwas, an dem ich mich festhalten konnte.

Vielleicht war es der Stress der letzten beiden Wochen oder die emotionale Achterbahnfahrt, die ich absolviert hatte, aber irgendwie brachte ich es fertig, einzuschlafen.

Ich hörte, wie sich eine Tür schloss, und öffnete mühsam die Augen. Die letzten vierundzwanzig Stunden stürzten wieder auf mich ein, und ich schoss senkrecht in die Höhe, in einem … Bett?

Was war das, zum Teufel? Ich bemühte mich zu erkennen, wo ich war.

Der Raum war klein, und eine dünne Staubschicht bedeckte alles. Das Bett und ein Ankleidetisch mit zwei Schubladen waren die einzigen Möbel im Raum. In der Ecke gab es noch eine Toilette und einen hölzernen Wandschrank.

Ich war verwirrt. Ich hätte erwartet, in einem Kellerraum zu sein, angekettet an eine Wand. Stattdessen befand ich mich in einem Schlafzimmer,

in dem es nach … ich sog tief die Luft ein und konnte schließlich den Duft zuordnen … Pfannkuchen roch.

Ich schleuderte die Decke beiseite und sah auf meine Kleidung hinab. Nichts war mir abgenommen worden, außer den Schuhen. Ich ging leise im Raum umher und überprüfte alles. Ich beugte mich herab, zog die obere Schublade des Ankleidetischs auf und fand einen Stapel sauberer Kleidung.

Unheimlich. Sie hatten meine Größe.

Ich musste daran denken, dass dieser Augenblick sehr dem von Savannah ähnelte, als sie im Safe House erwachte – nur dass sie sich tatsächlich in Sicherheit befand. Ich nicht.

Oder doch? Die Situation hier war gewaltig und warf mich völlig um.

Ich beeilte mich, die frische Kleidung anzuziehen, hüpfte währenddessen auf einem Fuß zum Fenster und versuchte, es aufzustoßen. Doch keine Chance. Zwei Nägel, die auf den Seiten herausragten, hielten es fest geschlossen.

Ich versuchte das Gleiche mit dem Fenster im Bad, doch auch das war verriegelt.

Ich sah Schatten im Spalt unter der Tür. Ich würde wohl Gesellschaft bekommen.

Ich sah mich um und suchte nach etwas, das ich als Waffe benutzen könnte, aber alles, was dem auch nur im Entferntesten nahe kam, war eine Flasche Wasser auf dem Ankleidetisch.

Langsam drehte sich der Türknauf, und dort stand Allen mit seinem Priesterkragen.

»Heiliger Luzifer«, schoss es mir über die bebenden Lippen, während mich sein starrer Blick gefangen nahm. Ein Teil von mir wollte schreien. Allen war wie eine ältere Version von Trigger, aber immer dann, wenn man sich annähernd mit ihm wohl fühlte, flackerte der Teufel über

seine Pupillen und erinnerte einen an die Dunkelheit, die seine Seele erfüllte.

»Nein, nicht Luzifer, aber wenn du deine Seele entblößen willst, dann höre ich zu, Tessa.«

»Tess«, korrigierte ich ihn.

Er zerrte an seinem Kragen, bevor er das Zimmer betrat. Er sah sich um, als würde er bewundern, wie hübsch es war.

»Sieh mal.« Er beugte sich herab und setzte sich auf die Stuhllehne. »Ich bin nicht im Entführungsgeschäft tätig. Es war mir immer ziemlich gleichgültig, also waren die meisten spätestens nach vier Stunden tot.« Er zuckte die Achseln. »Was mir wichtig ist, ist, das zurückzuholen, was mir gehört.«

»Und das wäre?« Ich verschränkte die Arme, um mein Zittern zu verbergen.

»Devil’s Reach. Und ich möchte den Gefallen erwidern, den mir mein Sohn so liebevoll erwiesen hat.« Er hob den Kopf, und ein selbstgefälliges Grinsen umspielte seine trockenen Lippen.

»Und wie passen Gus und ich da hinein?«

»Gus nicht. Er war einfach bloß Gussy. Hatte immer eine Moralsonde in seinem Arsch für diejenigen stecken, die ihm etwas bedeuteten. Er ist wie eine Zecke, die sich dir in die Haut gräbt und sich an deine Adern heftet und erst dann verschwindet, wenn du ihr entweder den Kopf abschneidest oder sie gewaltsam aus deinem Körper entfernst.«

»Und ich?«

Seine Augen wurden groß.

»Du, Tessa«, er sprach meinen Namen absichtlich langsam aus, »du bist die Schwäche meines Sohnes, mein Ass in diesem Spiel. Du«, er zeigte auf mich, »wirst mir gehören.«

»Ha!«, brach es aus mir heraus, bevor ich mich daran hindern konnte. »Keine Chance. Ich besorge es alten Männern nicht.«

Er leckte sich die Lippen, verärgert über meine Bemerkung. »So sehr es mir ja schmeichelt, dass du glaubst, ich würde dich dafür in Betracht ziehen, so wenig bin ich an Gebrauchtwaren interessiert.« Er wischte sich Staub vom Jackenärmel. »Als ich sagte, ›mir‹, meinte ich eigentlich …« Er hielt inne und warf einen Blick zur Tür. Ich folgte seinem Blick und sah Zay dort stehen, in Jeans und einem Fischerpullover. Er zeigte dasselbe ausdruckslose Gesicht, das er in meiner Gegenwart immer zeigte.

Was?

»Da wir das jetzt geklärt haben …« Er stand auf, und ich sah das Blut auf seinem Ärmelaufschlag. Er bemerkte es und hob den Arm an, um ihn besser in den Blick zu bekommen. »Rick war ein Kämpfer …«

Nett.

»Tessa.« Er schnurrte meinen Namen förmlich. »Gib dir keine Mühe, wegzulaufen. Du hast keine Schuhe, und das Maisfeld wird dir die Füße in Stücke schneiden.« Er schlug Zay im Gehen auf die Schulter. »Sie gehört dir.«

Nie und nimmer.

»Hast du Hunger?«, fragte Zay ruhig.

»Nein.«

»Kann ich dir irgendwas anbieten?«

»Eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt.« Ich triefte vor Sarkasmus.

Er lächelte mich amüsiert an. »Wir werden dir noch ans Herz wachsen.«

»Ja, wie ein Bandwurm. Oder eine Zecke.«

Er löste die Arme und ließ sie schwer an seinen Seiten herabfallen. Er trat ins Zimmer und blieb kurz vor mir stehen. »Er wird nur ein bisschen bei dir durchgehen lassen, Tess, und ich auch.«

»Gut zu wissen.« Ich verschränkte die Arme.

»Trigger gefällt das vielleicht …« Ich schlug ihm mit der offenen Handfläche ins Gesicht. Triggers Namen zu hören war im Augenblick einfach zu viel für mich. In Erwartung seiner Reaktion zog ich scharf die Luft ein. Er schloss einen Moment lang die Augen und wartete ab, bis der Schmerz vorüber war. Ich wusste, dass eine Ohrfeige von mir höllisch wehtat.

»Ich werde nicht mit dir schlafen, Zay«, murmelte ich, um das Schweigen zu füllen.

Er trat zurück und stellte sich in die Tür. »Wie gesagt, wir werden dir noch ans Herz wachsen. Also, komm, gehen wir.«

»Wohin?«

»Zu Gus.«

Das Gefühl von kalter Erde, die mir am Gesicht klebte, und der Gestank rissen mich aus dem Schlaf. Ich bemühte mich, mich unter den Leichen über mir wegzudrücken.

Panik durchkroch mein Innerstes, und meine Gedanken wirbelten unkontrolliert umher. Ich zwang mich, bis zehn zu zählen, um mich nicht zu schnell zu bewegen. Dann wand ich mich unter den menschlichen Überresten heraus. Ich sah mich um und stellte mich auf meine zittrigen Beine.

»Das ist so beschissen«, zischte ich, um meine Anspannung etwas rauszulassen. Ich ging durch die kleine Lücke im Mais und konzentrierte mich mit aller Macht. »Das ist so ein verdammter dunkler Scheiß.« Ich holte ein paar Mal tief Luft und dachte an Gus.

»Du schaffst das«, flüsterte Gus von der anderen Seite des Picknicktischs herüber. Er neigte den Kopf, sodass ich das Spiegelbild des Lieferwagens auf

seiner Sonnenbrille sehen konnte, der die Zufahrt hinabfuhr. »Der fährt weg und biegt jedes Mal nach links ab.«

»Was bedeutet, dass die Hauptstraße einfach da drüben liegen muss.« Ich zeigte nicht hin. Er wusste, dass ich verstanden hatte.

»Geh immer geradeaus, dann solltest du auf die Straße treffen. Heute Nacht.«

»Was?« Panik durchfuhr mich. »Deinem Knie geht es noch nicht besser. Wie willst du mithalten?«

Seine Lippen bildeten eine harte Linie, und ich wusste, was er gleich sagen würde.

»Nein, Gus. Was ist mit den …«

»Die einzige Möglichkeit, wie ich zu meinen Jungs zurückkomme, führt über dich.« Er senkte seine Stimme und begann, mit einem Stein in das weiche Holz zu schaben. »Folgendes musst du tun.«

Eine Träne rann mir das Gesicht herab. Ich musste in Bewegung bleiben. Ich würde nie den Ausdruck auf Gus’ Gesicht vergessen, als ich beim ersten Fluchtversuch von Fox aus dem Maisfeld gezerrt und mit gefesselten Händen zurückgebracht worden war. Sie zwangen mich, dabei zuzusehen, wie sie Gus’ Knie mit einem Kantholz malträtierten. Monster.

Kapitel 2Trigger

»Vineyard«, brüllte mich ein Wächter an. »Du hier.«

Ich warf Brick einen Blick zu. Er wurde zusammen mit Rail in die Zelle neben mir gebracht.

»Du hast eine Stunde, um dich frisch zu machen, dann geht das Licht aus.« Er lachte.

Die Tür schlug hinter mir zu, während ich die Laken auf der hässlichen Pritsche ausbreitete. Ich setzte mich auf die Matratze, rieb mir übers Gesicht und sah zu meinem Zellengenossen hinüber. Dessen Augen klebten an einem Buch. Ich wusste, dass er meinen Blick spürte, weil sein Bein unbehaglich herumrutschte.

»Werden wir beide Ärger miteinander haben?«, knurrte ich.

Der Junge sah mich an und setzte sich langsam auf. »Nein, Sir, werden wir nicht.« Die Worte rollten ihm mit schwerem Südstaaten-Akzent über die Zunge.

Ich beäugte ihn neugierig. »Wie heißt du?«

Er streckte die Hand aus, aber ich machte keine Bewegung, sie zu schütteln. »Wes.«

»Trigger.«

»Ich weiß.« Er nickte knapp, bevor er sich wieder seinem Buch zuwandte.

Es war kein Schock für mich, dass er meinen Namen kannte. Im Gefängnis kannten ihn die meisten. Ich war mein ganzes Leben lang drinnen und wieder draußen gewesen. Abgesehen davon war mein Club international, wir besaßen viele Ortsverbände. Ich war stolz darauf, den Club von Santa Monica und LA bis nach Neuseeland erweitert zu haben.

Ich knüllte die Bettdecke zu einem dicken Kissen zusammen und konzentrierte mich auf die Frage, wohin ich meine Männer noch schicken konnte, um nach Tess zu suchen.

»Nolan Vineyard, ich verurteile Sie zu dreimal lebenslänglich im Terre Haute State Prison.« Diese Worte durchbrachen meine Gedanken und ließen die Kreaturen in mir an den Gitterstäben ihrer eigenen Käfige rütteln.

Tie kriegt das lieber hin.

»Ich kann sie hören.« Rails müde Stimme erfüllte die dunkle, feuchte Zelle nebenan. Wir waren alle ein wenig aufgedreht von der Küchenarbeit, die wir heute erledigen mussten. »Sie können mich riechen.«

Verdammt, er war immer so dramatisch. Rail war kleiner, sein Körper ein wenig dünner als wir anderen. Das Gefängnis war hart für ihn, aber er stand es jedes Mal durch.

»Ich vermisse die Garage, den Geruch nach Stahl und Öl.« Die Matratze quietschte, als er sich auf die Seite warf. »Diese beschissenen Laken sind wie Schmirgelpapier.« Er hielt inne. »Bist du wach?«, hörte ich ihn sagen.

»Nein«, knurrte Brick.

»Wie du in der ersten Nacht schlafen kannst, ist mir ein Rätsel.«

»Halt’s Maul.«

Die erste Nacht war immer die längste. Sie trennt die Schwachen von den Starken. Mir war das Leben als Häftling nicht fremd, aber ich bin nie lange genug geblieben, um mich diesem Leben zu fügen, und das wollte ich auch jetzt ganz bestimmt nicht. Ich schloss die Augen, um die anderen auszublenden, und dachte an den Maulwurf in meinem Clubhaus, der mein Essen aß, meinen Whiskey trank. Die Härchen auf meinen Armen brannten wie Feuer, und ich spürte das Bedürfnis, etwas zu zerbrechen. Irgendwie brachte ich meinen Kopf dazu, sich abzulenken, und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Der Morgen kam allzu rasch. Ich blinzelte, um wach zu werden, schwang die Füße vom Bett und setzte mich auf. Sobald sich die Türen auf den Schienen kratzend öffneten, ging ich nach unten, gab meinen Männern ein Zeichen, dass ich das Frühstück ausließ, und machte mich in die entgegengesetzte Richtung auf.

Die Schlange am Telefon war lang, zog sich um die Ecke und den Flur hinab. Doch die meisten zerstreuten sich, als sie mich erblickten. Mein Ruf im Knast eilte mir weit voraus.

Ich fing den Blick eines Stripe Back auf, den ich im vergangenen Jahr hier rein gebracht hatte. Kale hatte für seine Initiation einen Tankwart umgebracht und versucht, den Mord Morgan anzuhängen, der zufällig zur gleichen Zeit dort war. Mit etwas Druck bekam ich den Beweis, den ich brauchte, um Morgans Namen reinzuwaschen und Kale auf lebenslänglich hierher zu schicken.

Zusätzlich hatte ich ein paar Gerüchte gestreut, damit er binnen weniger Tage jemandes Bitch würde.

»Das Humpeln steht dir«, Rail nickte ihm zu. »Harte Nacht unter der Bettdecke gehabt?«

Kale schoss ihm einen Blick zu, der hätte töten können, war jedoch mehr auf mich konzentriert.

»Sag mir eines.« Er rieb sich seine kurzen Haare und lehnte sich an die Mauer. »Wie kommt’s, dass du hier drin bist, während deine Ol’ Lady mit deinem alten Herrn da draußen herummacht?«

Rail kam herüber und versperrte den Wächtern den Blick, während Brick aus der Kantine auftauchte und sich auf die andere Seite stellte. Ich trat näher heran, so dass wir Nase an Nase standen, und knallte meine Hand auf seinen bleistiftdürren Schwanz.

»Ich bin hier raus, noch ehe du dein nächstes Date mit deinem Zellengenossen hast.« Ich verdrehte seinen Schwanz heftiger, und er mühte sich ab, die Fassung zu wahren. »Dann pelle ich deine Schwester aus ihren Kleidern, genauso, wie ich es in der Nacht getan habe, als sie dich verurteilt haben.«

Er versuchte, mich anzuspringen, aber ich drückte mit aller Kraft zu. Er unterdrückte ein Kreischen, während ihm die Adern hervortraten. Er konnte es sich nicht leisten, erneut ins Loch gesteckt zu werden, und er wusste, dass ich das wusste.

»Vineyard!«, schrie ein Wärter. »Gibt’s da ein Problem?«

Ich hob die Hände und trat zurück. »Hab nur mit einem alten Freund ein Wiedersehen gefeiert.«

Der Wärter warf dem rotgesichtigen Kale einen fragenden Blick zu. »Stimmt das?«

»Ja«, murmelte er.

»Gut. Dann macht weiter.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, und ich reihte mich wieder in die Schlange fürs Telefon ein.

Es läutete ganze dreimal, bis schließlich jemand abhob.

»Helmond’s Bar, Peggy am Apparat. Trigger, bist du das?«

Warum fragt sie?

»Peggy, gib mir Morgan.«

»Oh, mein Gott, Trigger! Ich dachte, es wäre vielleicht Brick oder Rail. Es ist so beschissen hier ohne dich …«

»Peggy«, fauchte ich, »wo ist Morgan?«

»Keine Ahnung. Ich dachte, du hättest ihn mit irgendwas beauftragt.«

»Such Cooper.«

»Weißt du, wie schwer es ist, diese Bar allein zu führen? Die Abrechnung stimmt nicht. Ich weiß nicht, was ich falsch mache. Morgan reibt mir ständig Tess unter die Nase. Er kann wirklich ein Arschloch sein …«

»Peggy!«, rief ich, und ein Wärter funkelte mich an. »Cooper.«

»Schön«, schnaubte sie und schrie nach Cooper, der offenbar in der Bar war, da er etwas zurückschrie. »Trigger ist am Telefon.«

Es folgte ein Gekicher, bevor er ihr den Hörer entriss.

»He, Mann, alles in Ordnung mit dir da drin?«

»Wo ist Morgan?« Ich hatte nicht mehr viel Zeit.

»Weiß ich nicht. Er ist vorgestern weg, sagte, er käme morgen zurück. Vielleicht ist sein Dad wieder da?«

Morgan würde nicht weggehen, wenn es nicht etwas Wichtiges wäre. Nur warum hatte er Cooper oder Cray nichts gesagt?

»Hast du schon was von Tie gehört?«, fragte er. In der Bar schien es lebhafter geworden zu sein, da er über den Lärm hinweg schreien musste.

»Nein. Du?«

»Er hat gestern hier herumgeschnüffelt, wollte jedoch nichts sagen.«

Wirklich?

»Such Morgan.«

»Ja, Boss.«

Ich legte auf und ging Brick suchen. Da stimmte etwas nicht.

*

»Aufhören!«, rief der Wärter, der eindeutig neu und nervös war. Schweiß rann über seine Lippe und die Schläfen. Sein Tag lief anscheinend nicht sehr gut. Das Hemd unter den Achselhöhlen war feucht, und er roch wie ein Tiefschutz.

Mit zittrigen Händen nahm er meine Handschellen ab. Ich ging extra dicht an ihm vorbei und hörte, wie ihm die Luft aus den Lungen entwich. Er war die Art Wärter, die ich mir vorknöpfen würde, wenn ich etwas benötigte.

Ich entdeckte Sam, ging hin und setzte mich ihm gegenüber. Er war leichenblass.

Tess.

Ich hielt mir den Hörer ans Ohr und sah durch die Scheibe, wie er es mir nachtat.

»Was ist?«

Seine Lippen teilten sich, und er stieß einen kleinen Seufzer aus. »Tie möchte nicht mit mir sprechen, nur mit Morgan.«

»Und?«

»Und Morgan ist weg, geht nicht an sein Handy.«

Morgan beantwortete Sams Anrufe nicht? Was zum Teufel war da los?

»Und?

»Und ich kann ihn nicht finden. Cooper ist hoffnungslos damit überfordert, alles zu organisieren. Cray kommt zu Hilfe. Dieses dumme Blondchen hinter der Theke kann nicht bis zehn zählen, und Tie wollte mir nicht mal einen Augenblick seiner Zeit gönnen, als er gestern im Club war.« Sam zupfte an seiner roten Krawatte. »Er geht nicht ans Handy. Schreibt mir nicht mal eine SMS.«

Mit dem Daumen rieb ich mir über den Ringfinger, während ich überlegte, was da in meinem Club abging, verdammt. Ein leuchtend roter Kopf erregte meine Aufmerksamkeit. Ich schaute hinüber und sah, wie Brick sich zwei Stühle neben mir niederließ. Er warf mir einen fragenden Blick zu, da er meinen grimmigen Ausdruck sah.

Der Wärter verpasste ihm einen Schlag auf die Schulter, damit er sich auf Minnie konzentrierte.

Er nahm den Hörer ab und presste die Zähne fest zusammen, während Minnie langsam den Kopf schüttelte.

Immer noch keine Spur von Tess.

»Sam«, knurrte ich mit düsterer Mine. »Finde Tie, oder ich suche mir einen anderen Anwalt.«

Ich knallte den Hörer auf die Gabel und hörte Sam meinen Namen rufen, während ich nach einem Wärter schrie.

Wir waren hier fertig.

Ich sah die Anspannung, die schwer in Minnies Augen hing, als ihr Blick dem meinen begegnete. Sie wirkte ausgelaugt. Sie zwang sich zu einem schwachen Lächeln, und ich wartete einen kurzen Moment. Dann gingen Brick und ich durch die Tür.

Nichts von dem hätte geschehen dürfen. Ich hatte immer einen Plan, und der sah nicht so aus.

»Häftling Nummer 909576, Vineyard.« Der junge Wärter gab sich Mühe, furchteinflößend zu klingend, aber seine Stimme brach, als er meinem Blick begegnete. »Sie haben, ähm, Hofdienst.«

Ich starrte ihn ausdruckslos an und wartete, dass er vorausging. Fuck, ich musste irgendjemanden umlegen.

Der Hof bestand im Wesentlichen aus harter Erde. Die paar kleinen Grashalme, die verzweifelt versuchten zu überleben, wurden langsam durch die Schuhe Hunderter von Häftlingen erstickt. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wären die Gruppen zufällig über den Hof verteilt, aber jede Gruppe stand, getrennt voneinander, an einem bestimmten Platz.

Ich warf Rail einen Blick zu; er drehte eine Zigarette wie in den Fünfzigerjahren. Brick beäugte die Koreaner, die spürten, dass wir nicht hierher gehörten.

Ein Wärter mit glänzenden schwarzen Stiefeln trat in den Hof und ging zur Mitte. Er trug weder Waffe noch Gummiknüppel, und seine makellosen Hände waren ein todsicheres Anzeichen dafür, dass er kein Kämpfer war. Sobald er seine Runden gedreht hatte, setzte er sich auf einen Eimer und trommelte einen Song. Es war Otis Reddings »Sittin’ on the Dock of the Bay«. Ich bemerkte, dass die Anführer jeder Gang einfielen und mit dem aufhörten, was sie gerade taten.

Eine dunkle Kühle erfüllte den Hof. Die rauen Haare auf dem Rücken der Bestien in mir richteten sich auf, und sie fingen an zu zischen.

Ein großer Hispano warf einen Schatten auf mein Gesicht und ließ die Knöchel knacken, wie zum Kampf bereit. »Habe gehört, du hast ein paar meiner Männer umgelegt.« Sein Englisch war gebrochen, aber ich verstand genug.

Ich nickte und blies ihm eine Rauchwolke entgegen.

Er schnippte mit den Fingern, und der Rest seiner Gang trat zu ihm.

»Du stirbst jetzt.«

Knack.

*

Tess

Ich erwachte, meine Lungen waren wie zugeschnürt. Mein Körper war nahezu erstarrt, aber was meine Aufmerksamkeit erregte, waren die kleinen Regentropfen, die mir aufs Gesicht prasselten. Ein Gewitter zog auf: Die Wolken hingen tief und schwer. Als ich mich bewegte, spürte ich sie, eine dicke, schwere Kette, die an meinem Hals anlag. Ich war an einen Baumstamm angekettet.

Ernsthaft? Ich kämpfte gegen die Panik an. Was zum Teufel war das, Black Snake Moan? Oh, mein Gott, es war beängstigend!

»Genießt du die Show?«

Ich schrie innerlich. Das Haus war schwarz, und ich fragte mich, wie spät es war.

Ich hielt die Luft an, als etwas Dunkles vorüberrannte. Ich war in meinen Kopfbewegungen eingeschränkt, also bemühte ich mich, dem dunklen Schatten mit den Augen zu folgen.

Shit, shit, shit. Die kleinen Härchen auf meinem Nacken hatten sich aufgerichtet wie bei einem Wolf, der sich einer akuten Gefahr bewusst war.

»Tess«, zischte Jace hinter mir.

Oh, fuck, nein!

Ich versuchte, mich wegzubewegen, aber ich hatte nicht viel Spielraum.

»Hör auf!« Seine Lippen berührten mein Ohr, und ich wollte ihm die Augen auskratzen. »Ich weiß, du hasst mich. Schon gut. Aber du musst mir zuhören, falls du hier irgendwie raus willst.« Ich spürte, wie er an der Kette rüttelte.

»Ich will deine Hilfe nicht«, zischte ich.

Er stieß ein düsteres Lachen aus. »Ja, du bist anscheinend gut in Form.«

Ich biss mir auf die Zunge, während er weiter an den Ketten herumfummelte. Ich hasste es, dass mich seinetwegen innerlich eine heftige Traurigkeit überkam.

»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Ich habe eine schlechte Entscheidung getroffen, aber er hatte mir versprochen, mir bei der Suche nach meiner Schwester zu helfen.«

Jace hatte seine Schwester früher schon einmal mir gegenüber erwähnt. Er hatte gesagt, dass sie getrennt worden waren, als sie sechzehn war, und dass er immer hatte wissen wollen, wo sie war. Ich wusste, dass er einfach nur eine Familie haben wollte, aber das war der Club, und er hatte voll und ganz darauf geschissen.

Obwohl ein Teil von mir ihn in die Arme nehmen wollte, wollte ihm ein anderer Teil ein Messer in die Eingeweide rammen – nur ein einziges Mal, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen.

»Was war die Gegenleistung für die Information?«

Ich spürte, wie die Kette nachgab. Ihre Spannung ließ nach, und ich holte erleichtert tief Luft.

»Du.«

»Also, du hast sie direkt zu mir geführt. In der Nacht, als Trigger mich nach Hause geholt hat, gerieten wir in den Bergen in einen Hinterhalt. Das warst du?«

Mein Magen zog sich zusammen. Es hätte so viel schiefgehen können, und alles wäre auf seine Kappe gegangen.

Wir setzten uns in Bewegung, und er hielt uns sorgfältig in den Schatten verborgen.

»Tut mir leid, Tess. Ich weiß, dass das hier nicht viel für dich zählt, aber für mich schon. Nun …« Sein Tonfall wurde schärfer, und ich wusste, dass

das Gespräch vorüber war. Uns wurde die Zeit knapp. »Etwa fünf Kilometer von hier ist ein Fluss, der zu einem See führt. Du musst ihn erreichen, sonst wird die Drohne dich finden.«

»Wie? Ich kann ihr anscheinend nicht mal davonlaufen.«

»Nein, es sei denn, du erreichst den Fluss. Sie reagiert auf Körperwärme. Geh ins Wasser und halt die verdammte Luft an. Gib mir deine Hand.«

Er griff nach mir. Verärgert entzog ich mich ihm.

»Gib sie mir«, schrie er fast. Ich tat es, und er schnitt in eine Handfläche und drückte das Blut über dem Gras aus. »Du gibst niemals leicht auf, also müssen wir so tun als ob.«

In meinem Kopf schwirrten eine Million Fragen, aber vor allem brach es mir das Herz. Jace war jung, wie ein Kind im Körper eines Erwachsenen. Er wollte einfach nur zu seiner Familie.

Ich geriet in Panik und wusste nicht genau, ob ich mich mehr davor fürchtete, allein dort draußen zu sein, oder dass Gus wieder verprügelt würde, sobald sie begriffen, dass ich weg war.

»Jace.« Ich packte ihn bei den Schultern. »Komm mit mir! Wir können Trigger die Wahrheit sagen. Dass es ein Fehler war.«

»Sie werden Gus umbringen.« Ich erstarrte, während der Regen auf uns hinabprasselte. »Ich bin der Einzige, der dafür sorgen kann, dass es nicht dazu kommt.«

Dagegen konnte ich nichts sagen. Gus war mir zu wichtig.

»Hier.« Er reichte mir ein Einweg-Handy. »Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird, aber es stammt aus Fox’ Zimmer.«

»Fox?« Ich versuchte, so viele Informationen zu bekommen, wie ich konnte. Der Ausdruck auf Jaces Gesicht machte mich noch neugieriger.

»Sagen dir die Worte Green Bend irgendetwas?«

»Ähh …« Ich durchforstete meinen wirren Kopf. »Nein. Ich weiß nicht.«

Ich merkte, dass er mehr wusste, als er laut sagte.

»Spuck’s aus, Jace.« Ich warf einen Blick zum Haus und überlegte, wie lange es dauern würde, bis sie meine Abwesenheit bemerkten.

»Wenn du nach Hause kommst, allein, suche auf dem USB-Stick nach einem Ordner mit der Bezeichnung Skeleton Key.«

»Was bedeutet das alles?«

»Tess, du musst jetzt los. Drei Kilometer zum Fluss, anderthalb weitere zur Straße. Halte dich von der Straße fern, folge den Bäumen. Bist du erstmal in der Stadt, rufst du dir ein Taxi.«

Er reichte mir eine Münzrolle, und ich steckte sie mir rasch in die triefend nassen Jeansshorts.

»Jace!« Wieder geriet ich bei dem Gedanken in Panik, Gus hier allein auf sich gestellt zurückzulassen. Blitze zuckten über den Himmel, und Jace schien ein Spiegelbild meiner eigenen Furcht zu sein.

»Lauf, Tess!«

Ich drehte mich um und verschwand im Maislabyrinth.

»Fuck.« Ich blieb stehen, stützte mich auf meine Oberschenkel und schob die Erinnerung aus meinem Kopf. Ich war stundenlang gegangen, die Sonne sank allmählich, und ich konnte den verdammten Fluss einfach nicht finden. Was mich noch mehr verwirrte, war, dass die Drohne nicht hier gewesen war. Warum?

Mein Magen knurrte und erinnerte mich daran, dass ich nichts gegessen hatte. Ich hatte das Wasser getrunken, das im Feld von den Blättern herabgelaufen war. Das würde nicht lange reichen, und ich wusste nicht, wie lange ich es noch ertrug, von nichts außer Mais umgeben zu sein. Ich wurde klaustrophobisch.

Bumm.

Erneut stolperte ich über einen toten Körper mit fehlendem Magen. Mein eigener Magen drehte sich um, als ich zwei und zwei zusammenzählte. Mir fiel ein, dass ich eine Woche lang im Haus Mais zu essen bekommen hatte. Menschliche Leichen düngten das Maisfeld. Mein Gott, ich war Hannibal Lecter.

Als ich mich mühsam wieder erhob, entdeckte ich eine kleine Taschenlampe, die im Gürtel des Leichnams steckte. Ich zog sie heraus und knipste sie an. Sie musste wasserfest sein. Ich würde gern sagen, ich hätte nie zuvor einen Toten bestohlen, aber das wäre eine Lüge. Ich hatte es schon einmal getan, und wahrscheinlich war auch dieses nicht das letzte Mal. Nun ja, es war nicht so, dass sie die Sachen noch benötigten.

Ich hielt meine wunden Füße an seine Schuhe und sah, dass sie etwa eine Nummer zu groß waren, aber das machte mir nichts. Mit einem Ruck löste ich die Schuhe, die wie Kähne aussahen, und schlüpfte hinein. Die Rückseiten falteten sich nach innen, wie bei Schlupfschuhen, aber alles war besser als weiter barfuß zu laufen.

Ich hätte gern auch sein Hemd gehabt, da es wieder kälter geworden war. Die Sonne versank rasch zwischen den Blättern, aber ich wollte mir nicht die Zeit nehmen, es ihm abzustreifen. Ich sollte in Bewegung bleiben.

Das Trommeln meines Herzens wurde schneller, als ich wenige Meter entfernt ein Licht sah. In meinen Armen pochte es, und ich richtete mich auf die Knie auf.

Es war so nahe.

Am Ende des Felds blieb ich wie erstarrt stehen. Da war Zay mit einer Taschenlampe. Er lief am Rand des Maisfelds entlang, und hinter ihm war der Fluss. Rasch kroch ich in den Mais zurück und wartete, bis das Licht vorüber war.

Verdammt!

Das kann nicht sein.

Nicht jetzt, nicht, wenn ich so weit gekommen war.

Sie würden mich oder Gus umbringen.

Ich hockte mich hin, suchte mir ein paar Steinchen und warf sie ins Wasser hinter ihm. Das Licht wirbelte herum, und er trat näher ans Ufer.

Ich warf ein weiteres kleines Steinchen nur wenig davon entfernt.

»Siehst du was?«, knurrte Fox, der Schwachkopf von den Stripe Backs, aus seinem Quad. Es war wirklich das passende Fahrzeug für ihn.

»Wahrscheinlich springen nur die Fische«, murmelte Zay verärgert.

»Sie kann nicht entkommen.«

Zay schüttelte den Kopf. »Allen wird uns fertigmachen.«

»Wir könnten einfach sagen, wir hätten sie tot aufgefunden.«

»Wir müssen sie zuerst finden.« Zay holte sein Handy heraus und meldete sich. »Hast du mehr Glück gehabt?«

Sobald er sich umgedreht und Fox sich hinten auf Zays Wagen gesetzt hatte, glitt ich ins Wasser. Ich achtete darauf, nicht zu viele Wellen zu verursachen. Ich holte tief Luft und tauchte dann vollständig in das dunkle Wasser.

Es war schlammig und ich konnte kaum etwas erkennen, aber ich tastete mich am Ufer des Flusses entlang und zog mich weiter. Ich kam nur langsam voran, und mir wurde allmählich die Luft knapp, aber ich hielt sie länger an, als ich für möglich gehalten hätte.

Schließlich erlaubte ich mir, aufzusteigen und durch die Nase zu atmen. Ich duckte mich wieder, als das Licht über mich hinweghuschte. Sobald es sich weiterbewegte, tauchte ich erneut langsam auf und nahm einen weiteren tiefen Atemzug.

»Was ist das?« Fox sprang auf und bemühte sich, irgendetwas zu erkennen.

»Ich seh schon nach! Verdammt und verflucht, halt den Mund!« Zay drehte sich um, warf die Taschenlampe in den Pick-up und zündete sich eine Zigarette an. »Sie wird sich zeigen. Niemand kommt weiter als bis zum Fluss.«

Ich musste einfach Stolz empfinden, dass ich sie bei ihrem eigenen Spiel geschlagen hatte.

»He!«, rief Allen von irgendwoher. »Was ist los, zum Teufel?«

Ich wartete nicht länger, sondern holte tief Luft, glitt wieder unter Wasser und schwamm schnell zum anderen Ufer hinüber.

Ich spürte, wie sich etwas Scharfes um mein Bein legte. Der Schmerz war fürchterlich, und ein lautloser Schrei durchfuhr mich. Ich schmeckte Kupfer im Mund und begriff, dass ich mir auf die Zunge gebissen hatte. Ich fragte mich, wie schlimm es war. Ich hatte Angst, denn ich wusste nicht, ob ich noch würde gehen können.

Mit einem heftigen Ruck befreite ich mich, holte noch einmal vorsichtig Luft und schwamm unter Wasser, bis ich das andere Ufer erreicht hatte.

Oh, mein Gott. Ich konnte kaum geradeaus denken. Der pochende Schmerz zog sich von der Mitte des Oberschenkels bis hinab zum Fußknöchel.

Ein rascher Blick mit Hilfe der Taschenlampe, und ich sah einen tiefen, heftigen Kratzer, der jedoch wesentlich schlimmer schmerzte, als er in Wirklichkeit war.

Durch das Licht der Taschenlampe kam mir plötzlich eine Idee. So sehr ich sie behalten wollte, so sehr glaubte ich, dass sie mir auf die Art mehr nutzen würde.

Ich ließ die Taschenlampe ins Wasser fallen, riss mir einen Teil meines T-Shirts herunter, knüllte es zusammen und warf es obendrauf. Meine Hoffnung war, dass sie glauben würden, ich sei ertrunken, oder dass sie zumindest mehr Zeit hier mit der Suche nach mir verbringen würden.

Ins Wasser zurückzukehren, war keine Option. Ich dachte voller Entsetzen daran, was ich mir in diesem tödlich infizierten Wasser holen könnte. Ich traute Allen zu, einige seiner Leichen ebenfalls im Fluss versenkt zu haben.

Ich war fix und fertig, und in meinem Bein pochte es, aber ich musste mich ducken und vom Uferrand wegkommen, um so viel Distanz wie möglich zwischen sie und mich zu bringen.

»Aua.« Ich klammerte mich an einem Baumstamm fest, um wieder zu Atem zu kommen. Meine Haut fühlte sich klebrig vom Dunst an. Dieser Dunst erschwerte mir die Sicht, und in jeder Richtung sah es gleich aus. Das frühe Morgenlicht sorgte für gerade genügend Helligkeit, dass ich ein kleines Stück weit sehen konnte.

Ich sah einen Farbblitz, und mir rutschte das Herz in die Hose. Ich duckte mich und wartete. Knack! Ich zog die Beine an die Brust und machte mich kleiner und gab mir Mühe, mich nicht zu bewegen. Ich suchte nach einer möglichen Waffe. Es gab ein paar große Steine und ein paar zerbrechlich wirkende Stöcke, aber das war alles. Es sei denn …

Ich setzte den Fuß auf den Stamm und zog mich mit aller Kraft hoch, wobei mein Bein fürchterlich brannte. Ich konnte gerade so den nächsten Ast erreichen und mich hinaufziehen. Die Rinde kratzte mir die Beine auf, aber ich ignorierte den Schmerz und schob mich hoch.

Ich erstarrte beim Anblick des orangefarbenen T-Shirts, legte mich so flach wie möglich auf den Ast und hielt den Atem an, während er näherkam. Shit. Ich erkannte einen von Allens Männern. Er hatte meine Spur aufgenommen und folgte mir vom Flussufer aus. Ein langsames Prickeln von Furcht kroch mir über die Haut, und ich wusste: Wenn er mich entdeckte, hieß es Kämpfen oder Sterben. Er war gut und gern zwanzig Kilo schwerer als ich, also musste ich bei meinem nächsten Zug sehr clever vorgehen.

»Hast du sie verloren?« Sein Funkgerät knisterte.

»Nein, die Schlampe ist in der Nähe. Ich spüre sie. Sie wird sich bald zeigen.«

Meine Finger waren schweißnass; er stand direkt unter mir. Ich lag etwa zwei Meter über ihm; alles, was er tun musste, war hochzuschauen.

Ich spürte den Tropfen Blut, bevor er herabfiel. Ich versuchte, mein Bein an den Ast zu pressen, damit er das Blut absorbieren konnte, aber ich war nicht schnell genug.

Tropf.

Tropf.

Shit.

Er wischte sich den Nacken, hielt sich daraufhin die Hand vors Gesicht und sah das Blut. Genau in diesem Moment ließ ich den Ast los, drehte mich in der Luft und fiel ihm direkt auf den Kopf. Wir landeten beide hart, aber er war schneller auf den Beinen als ich. Er packte mich am Fuß und riss mich zu sich, während ich mich herumwarf und meine Finger in den Boden krallte.

»Du blöde Schlampe!«, schrie er. Ich schaffte es, hart zuzutreten, und erwischte ihn direkt an der Luftröhre. Das brachte ihn kurzzeitig zum Verstummen.

Ich rannte los, kam jedoch nur zwei Meter weit, bevor er mir von hinten einen Stoß versetzte, so dass ich einen Abhang hinabflog. Ich prallte gegen einen Baumstamm, was mir die Luft aus den Lungen trieb. Er tauchte über mir auf, einen Felsbrocken hoch über den Kopf gehoben, und der Wahnsinn in seinen Augen und die Brust, die sich hob und senkte, sagten mir, dass er es tun würde.

Ich wälzte mich mit einem Aufschrei zur Seite, gerade als der Felsbrocken aufschlug. Ich sprang auf die Beine und nutzte pures Adrenalin, um meinen nächsten Zug zu planen. Ich trat ihm gegen den Fußknöchel, drückte ihn mit all meiner Kraft zurück, und er fiel gegen einen Baum. Seine Füße zuckten komisch, und sein Körper vollführte ruckartige Bewegungen. Ich sah ihm ungläubig ins Gesicht. Blut tröpfelte ihm aus dem Mund. Er wirkte ebenso überrascht, wie ich mich fühlte. Wir blickten beide auf den tödlichen Ast hinab, der ihm aus dem Bauch ragte.

»Schlampe!«, spuckte er.

»Sagt der Typ, den ein Stück Holz durchbohrt hat.« Ich musste einfach lächeln, während ihm das Leben langsam entwich. Die Haut um seine Augen erschlaffte, und seine Kinnlade fiel herab. Er war erledigt.

Es war krass, aber, shit. »Hur-ra, Baby!«

Als ich die Straße erreichte, war es Tag. Ich wollte vor Aufregung darüber schreien, dass ich sie überhaupt gefunden hatte. Ich blieb stehen und sah mir mein Bein an. Blut tropfte von meinem Knie herab, ebenso von mehreren Stellen weiter unten, meine Wade war rot und angeschwollen, und mein Knöchel schmerzte. Aber nichts spielte im Augenblick eine Rolle, außer, dass ich irgendwie meinen Weg aus diesem Höllenloch herausfinden musste.

Später setzte ich mich für eine Atempause auf einen Stein. Mir war kalt, ich war müde und hungrig, doch nichts davon zählte, wenn ich daran dachte, dass Trigger hinter Gittern war und sich fragte, wo ich war, zum Teufel.