Espresso Morte - Karlheinz Moll - E-Book

Espresso Morte E-Book

Karlheinz Moll

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Beschreibung

An einem Sonntagvormittag wird in der Altstadt von Malcesine ein Mann erschlagen aufgefunden. Der pensionierte deutsche Kommissar Giancarlo Lehmann genießt gerade einen Espresso am Seeufer des Gardasees, als er unterwartet zum Tatort gerufen wird. Er kann nur noch den Tod des Mannes feststellen und Hilfe durch die Polizei herbeiholen. Sein Schwiegersohn Sergio Gemma aus Trient wird mit den Ermittlungen beauftragt und wie schon bei einigen früheren Fällen, bittet er Giancarlo um Unterstützung, worauf er sich widerwillig einlässt. Die erste Spur führt in das noble Seminarhotel "Perle am See" in Riva am Gardasee, in dem das Opfer an einem Finanzsymposium teilnahm. Die zunächst unbekannte Frau, mit der er die Nacht vor seinem Tod in einer Pension in Malcesine verbrachte, ist ebenfalls zu Gast in dem Hotel. Noch bevor sich aus den Befragungen im Hotel erste Verdachtsmomente ergeben, wird ein zweiter Hotelgast von der Bastione in Riva zu Tode gestürzt. Auch er nahm an dem Seminar im Hotel teil und in den Lebensläufen der beiden Toten finden sich schon bald einige Parallelen aus der Finanzwelt. Giancarlo Lehmann und Sergio Gemma tauchen immer tiefer ein in die finanziellen Machenschaften der Ermordeten und auch über die Frau eines der Ermordeten fördern sie höchst Brisantes zu Tage. Als kurz darauf ein weiterer Gast von einem Auto angefahren wird und immer weitere Details aus der Vergangenheit der Opfer bekannt werden, erscheint ein Rachemotiv in deren beruflichen Umfeld unausweichlich.

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Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Karlheinz Moll

Espresso Morte

Ein Gardasee Krimi

© 2020: Karlheinz Moll

Cover, Illustration: Petru Stendl, Intergrafos

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN:

 

Paperback

978-3-347-21736-2

Hardcover

978-3-347-21737-9

e-Book

978-3-347-21738-6

Alle Rechte vorbehalten. Das Buch, auch in Teilen daraus sind rechtlich geschützt und dürfen nicht reproduziert, elektronisch gespeichert geteilt oder in irgendeiner Form auf irgendeine Weise übertragen werden. Eine elektronisches oder ein anderweitiges Aufzeichnen sind ohne schriftliche Genehmigung des Autors nicht gestattet.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Alle Namen, deren Hintergrund und Geschichten sind das Produkt der Vorstellungskraft des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufällig und unbeabsichtigt.

Kapitel 1

Ihr lautes Rufen war schon von Weitem zu hören, schon bevor sie an der Uferpromenade um die Ecke bog und völlig außer Atem auf das Café di Lago zu gerannt kam.

„Commissario, Commissario, schnell…der Mann…“

Giancarlo Lehmann blickte von seiner Zeitung auf, setzte seinen Espresso ab und unterbrach das Mädchen.

„Graziella, wie oft soll ich Dir noch sagen, dass Du mich nicht Commissario nennen sollst…schon gar nicht vor allen Leuten…hinterher glauben die das auch noch. “ sagte er mit einem Lächeln.

„…liegt tot auf der Straße.“ fuhr sie fort, nach Atem ringend, die Worte Giancarlos überhörend.

Das Wort ´tot´ ließ Giancarlo aufhorchen und das Lächeln entwich seinem Gesicht. Er kannte Graziella schon seit ihrer frühesten Kindheit, eigentlich schon seit er und seine Frau damals bei ihrer Taufe mit dabei waren. Sie war ein lebhaftes Mädchen, das nicht zur Hysterie neigte, somit musste an ihren Worten etwas dran sein.

Er versuchte sie zu beruhigen und bat sie alles der Reihe nach zu erzählen. Graziella war noch sehr aufgeregt und sie musste tief schnaufen, um zu sprechen, schaffte es aber dann den Grund ihrer Aufregung zu erzählen. Sie sagte, dass sie gerade auf der Via Capitanato unterwegs zum Bäcker gewesen sei, als sie vor einer Parkbank mitten in der Gasse einen Mann liegen sah. Sie sah, dass er am Kopf blutete und nahm an, dass er tot war und rannte sofort los. Es war niemand sonst in der Gasse unterwegs, weswegen sie so schnell sie konnte zum Café di Lago lief und hoffte Giancarlo Lehmann dort anzutreffen.

„Ich gehe sofort los…und Du bleibst bitte hier.“ sagte er zu Graziella und warf einen Blick hinüber zu Claudia Mauro, die sofort verstand.

„Grazie Commissario.“ sagte Graziella sichtlich erleichtert.

Giancarlo Lehmann setzte sich schnellen Schrittes in Bewegung, unterließ es aber die kurze Strecke zu rennen, um kein Aufsehen zu erregen, schließlich könnte sich das auch als etwas völlig Harmloses herausstellen. Vielleicht hatte sich nur ein betrunkener Tourist auf der Bank niedergelassen, war heruntergefallen und hatte sich den Kopf gestoßen.

Als er in die Via Capitanato einbog konnte er die Person am Boden schon von weitem erkennen.

Als er bei dem leblosen Mann ankam, versuchte er zuerst dessen Puls zu fühlen, aber er konnte kein Lebenszeichen spüren. Danach drehte er den auf dem Bauch liegenden Körper behutsam leicht zur Seite, um in dessen Augen zu sehen. Die Pupillen waren so leblos wie der Puls und es wies alles auf Exitus hin. Er nahm sein Handy heraus und drückte die Anruftaste seines Schiegersohnes.

„Sergio? …ciao…ich zerre Dich ungern so früh aus Deinem Bett, aber hier wartet glaube ich Arbeit auf Dich…“ sagte er zu Sergio Gemma, gefolgt von einer kurzen Erklärung, worum es sich handelte, wo genau er sich befand und bat ihn auch gleich die Ambulanz kommen zu lassen.

Während er sein Handy wieder die Tasche schob schaute er um sich. Es waren immer noch kaum Leute unterwegs, was nicht verwunderlich war. Heute war Sonntag; die meisten Einheimischen waren in der Kirche und die Tagestouristen vermutlich noch im Bett oder beim Frühstück. Kein Vergleich mit dem Trubel und dem Lärm, wenn die Touristen die Gassen der malerischen Altstadt belebten. Jetzt waren gerade einmal ein paar Vögel zu hören, die um die Wette zu zwitschern schienen. Er blickte nach oben um Ausschau zu halten, ob von den Balkonen der Wohnungen oberhalb der Geschäfte jemand herunterschaute, aber es war niemand zu sehen. Die Fensterläden der meisten Wohnungen waren verschlossen. Giancarlo vermutete, dass der Täter selbst schon längst durch einer der vielen kleinen Gässchen entschwand, bevor er seinen Blick wieder auf den Toten richtete und sich zu ihm hinunter beugte.

Am Hinterkopf klaffte eine große Wunde und austretendes Blut verklebte die Haare des Toten. Giancarlo sah sich auch die Parkbank und die teilweise frisch gepflasterte Gasse um den Körper des Toten herum an, konnte aber auf den ersten Blick keine Blutflecken oder andere sichtbare Spuren entdecken. Da der Mann auf dem Bauch lag, schloss er ohnehin aus, dass er ohne Fremdeinwirkung auf den Kopf gefallen war und dabei tödlich verunglückte. Er hatte schon viele ähnliche Wunden gesehen und er hatte den Eindruck, dass hier jemand mit voller Wucht und mit einem harten Gegenstand auf den Schädel des Mannes eingeschlagen hat. Giancarlo stand auf und ging ein paar Schritte um den Toten herum. Ein paar Meter entfernt erspähte er an einer kleinen Baustelle einen Sandhaufen, ein paar Schaufeln und ein loser Stapel mit Pflastersteinen, die in der Gasse wohl noch verbaut werden sollten.

„Das könnte passen.“ flüsterte er leise vor sich hin, bevor er sich wieder der Leiche widmete.

Der Tote war sehr gut gekleidet und auch die Schuhe waren von gehobener Qualität, soviel konnte er auch als Laie erkennen. In der hinteren Hosentasche steckte ein Geldbeutel, den er aber stecken ließ. Aus seiner aktiven Zeit wusste er nur zu genau, dass es kaum etwas gab, was die Kollegen von der Spurensicherung mehr in Rage brachte als ein Ermittler, was er de-facto gar nicht mehr war, der den Tatort veränderte und damit wertvolle Spuren verwischen könnte. Wie wertvoll das sein kann, hatte er selbst oft genug erlebt, auch wenn ihm die Pedanterie der Kollegen manchmal doch etwas arg übertrieben schien. Als er nah am Körper des Toten war, stieg im ein süßlich, herber Duft in die Nase.

„Eine Frau.“ murmelte er in sich hinein mit einem verschmitzten Lächeln.

Auf ein Knie gestützt stand er langsam wieder auf und ließ seinen Blick nochmals über den ganzen Körper des Toten schweifen. Gedanklich nahm er Maß und versuchte sich vorzustellen, wie groß der Täter wohl gewesen sein mag. Giancarlo vermutete, dass der Tote mindestens von einem gleichgroßen Menschen erschlagen wurde, da die Wunde am Kopf doch sehr weit oben war. Er fragte sich, ob eine Frau einen derartigen Hieb auf den Kopf ausführen könnte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder als zu verfrüht.

Giancarlo Lehmann blickte an das Ende der Gasse, wo ihm ein Krankenwagen mit heulenden Sirenen entgegenkam.

„Sergio; bitte übernehmen.“ flüsterte er zu sich selbst.

Kapitel 2

Als der Krankenwagen mit Blaulicht und heulender Sirene die Corso G. Garibaldi kurz vor dem Seeufer in die Via Capitanato einbog war die Person bereits wieder bei ihrem Auto angelangt, das sie in der Via Parocchia geparkt hatte. Es war ihr gelungen, den kurzen Fußweg ungesehen zurück zu legen und bog kurz darauf mit ihrem Fahrzeug über den Kreisverkehr an der Capolinea auf die Staatsstraße 249 ein. In kürzester Zeit ließ die Person Malcesine hinter sich und atmete durch.

Es war geschafft, dachte sich die Person während der Fahrt, penibel auf die Geschwindigkeitsbegrenzung achtend und jedes passierende Auto registrierend. In Gedanken ließ sie den Vorabend und die letzten Stunden Revue passieren.

Das Warten an der Fassade eines Eckhauses hatte sich für die Person gelohnt. Der Mann auf den sie gewartet hatte, lief wie verabredet die Via Capitanato herunter. Es war Alessandro Meissner und er war wie erwartet alleine.

Am Vorabend hatte sie Meissner und seine Begleitung aus sicherer Distanz beobachtet und bis zur Pension Camillo verfolgt, bevor sie wegfuhr. Nach einer kurzen Nacht fuhr die Person zurück zur Pension Camillo und legte in einem unbemerkten Moment einen Umschlag auf den Tresen der unbesetzten Rezeption, adressiert an A-lessandro Meissner. Die Person nahm an, dass das Personal der Rezeption Meissner den Umschlag aushändigen würden, spätestens bei der Abreise. Als der Mann die Pension verließ war es schon hell und wesentlich später, als die Person es gehofft hatte. Offensichtlich standen er und die Frau etwas später auf und somit musste sie umdisponieren.

Ursprünglich hatte die Person vor, Meissner von hier aus an einen anderen Ort zu bewegen und dann etwas zu arrangieren, was seinen Tod wie einen Unfall hätte aussehen lassen, aber die knappe Zeit, die ihr zur Verfügung stand ließ ihr wenig Alternativen. Da die Gasse zudem menschenleer war und sich auch in den Wohnungen über den Geschäften niemand an den Fenstern zeigte, entschied sie sich für eine schnelle Aktion gleich vor Ort.

Schon bevor Meissner in Sichtweite kam fand sie bei einer kleinen Baustelle auch die geeignete Waffe. Die Person zog sich die Einmalhandschuhe über, griff sich einen Stein aus einem Stapel und wartete.

Kaum war Meissner am verabredeten Treffpunkt angehalten, machte sich die Person bereit. Meissner stand nichtsahnend nur wenige Meter mit dem Rücken zu der Person entfernt, als sie mit kurzen, schnellen Schritten um die Ecke bog, auf den Mann zulief und mit dem Gegenstand in ihrer Hand mit voller Kraft auf den Schädel des Mannes einschlug.

Alessandro Meissner hatte keine Gelegenheit zu reagieren, nicht einmal ein Schrei war zu hören. Leblos wie ein Stein fiel er durch den wuchtigen Hieb auf den Kopf nach vorne auf den Asphalt.

Noch außer Atem vor Erregung blickte die Person für einen kurzen Moment auf den am Boden liegenden Körper. Meissner bewegte sich nicht mehr und sie war sich sicher, dass er tot war oder es zumindest bald sein würde. Kurz schaute die Person zu allen Seiten, aber es war weiterhin niemand zu sehen. Sie griff sich in die Innentaschen des Sakkos, bis sie in einer den Umschlag mit der Nachricht des Vorabends fand.

Stark schnaufend aber in normalen Tempo ging die Person die Gasse hinunter, als sie sah, dass jemand in die Via Capitanato einbog. Schnell verschanzte sich die Person hinter einer Hauswand. Es war ein Mädchen, das die Gasse entlang kam. Es war zu spät davon zu laufen. Es blieb ihr nichts anderes übrig als auszuharren. Sie beobachtete das Mädchen, wie sie den leblosen Mann fand und dann schnell davon rannt.

Die Person ergriff die sich bietende Gelegenheit und machte sich schnelleren Schrittes auf den Weg. Sie bog zuerst in eine Gasse zum See hinunter ein und warf den Stein achtlos ins Gebüsch. Das Entledigen der Mordwaffe hatte etwas Befreiendes für die Person. Danach ging sie mit gemächlichem Tempo auf der Corso G. Garibaldi entlang.

Als die Person dann auf der Gegenfahrbahn ein Polizeiauto mit Sirene auf dem Weg nach Malcesine sah, war sie schon einige Kilometer aus der Stadt heraus und wog sich in Sicherheit.

Kapitel 3

Sergio Gemma kam flotten Schrittes die Uferpromenade entlang geschritten und wie immer war er auch heute wie aus dem Ei gepellt. Mit seinen dunklen Haaren, einem gepflegten Drei-Tage-Bart, einer eleganten, dunkelgrauen Hose, einem aufgeknöpftem, blütenweißen Hemd und einem passenden leichten, gedeckten Sakko hätte er auch gut als Fotomodel durchgehen können.

Es gab eine Zeit, da hatte er rund um den See einen Ruf als Frauenheld und mancherorts wurde gemunkelt, er hätte in jedem zweiten Dorf entlang der Uferstraße eine Liebschaft gehabt, was aber sicherlich etwas übertrieben war.

Auf jeden Fall war es damit vorbei, als er vor zwei Jahren Margherita in Malcesine kennenlernte, die mit ihrem Vater, Giancarlo Lehmann, ein paar Wochen am See verbrachte. Für Beide war es Liebe auf den ersten Blick und kaum sechs Monate später hielt er um ihre Hand an. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Nachwuchs das Idyll abrunden würde.

„Wusste ich doch, dass ich Dich hier finde.“ sagte Sergio zu Giancarlo, der sich zu einem weiteren Espresso zurück an seinem Lieblingsplatz in seinem Café eingefunden hatte und wieder in seine Zeitung vertieft war.

Die kräftige Mittagssonne erwärmte die Frühlingsluft und Sergio konnte bereits ohne Sakko draußen sitzen. Auch Giancarlo hat seinen wollenen Pullover über die Schultern gelegt. Für einen Pullover war es eigentlich schon zu warm; ohne Schutz würde er sich aber schnell seine empfindlichen Schultergelenke verkühlen.

Sergio nahm an dem kleinen Tisch Platz und signalisierte Claudia Mauro mit einem Handzeichen, was er wollte und sie verstand ohne Worte. Giancarlos Schwiegersohn verschlug es zwar selten von seinem Haus oder seinem Büro in Trient nach Malcesine, aber doch oft genug für die Café Besitzerin, um ihn und seine Gewohnheiten zu kennen.

„Fall schon gelöst?“ fragte Giancarlo süffisant.

„Frühestens am Nachmittag; bitte also um etwas Geduld.“

Beide lachten herzlich.

„Willst Du darüber reden?“

„Ich hatte gehofft, Du würdest fragen.“ erwiderte Sergio.

Sergio Gemma war vor kurzem zum Leiter der Mordkommission in Trient und der Region rund um den Gardasee befördert worden, nachdem er fast drei Jahre den Stellvertreterposten inne hatte, sich aber partout kein Leiter finden wollte, der auch länger hätte bleiben wollen. Die Meisten lockte die schnelle Karriere, die sich eher in den Metropolen von Mailand oder Rom machen ließen. Trient war dagegen für viele schlichte Provinz. Nicht so für Sergio; er wurde in Trient geboren und nach der Polizeischule gab es für ihn nur einen Ort in Italien, an dem er seinen Dienst ausüben wollte; in der Heimat.

In Trient hatte er zwar mit Verbrechen aller Art seine Erfahrungen gemacht, ein Mord kam aber eher selten vor. Umso dankbarer war er, wenn er auf die Unterstützung seines Schwiegervaters zählen könnte, auch wenn es meist einiges an Überredungskunst bedurfte, um seine Erfahrung in einen Fall wie diesem einzubringen.

Er konnte es Sergio an den Augen ablesen, dass er voller Sorge war, alles richtig zu machen. Sergio hatte es schon mit einigen wenigen Fällen von Mord und Totschlag zu tun, wo der oder die Täter aber meist schnell ermittelt werden konnten.

Dies hier könnte allerdings ein etwas komplexer Mordfall sein, da es bislang keine Zeugen zu geben schien und der Tote sicherlich kein Einheimischer war. Vielleicht fiel es Giancarlo diesmal genau deshalb leichter, seinem Schwiegersohn unter die Arme zu greifen und freiwillig seine Hilfe anbieten, die dieser auch sofort annahm.

„Was hast Du bislang?“ fragte Giancarlo ohne lange Umschweife.

Sergio erzählte, dass die Gerichtsmedizinerin bei der ersten Begutachtung am Tatort beim Opfer ein tödliches Kopftrauma festgestellt hatte, das offensichtlich von einem harten Gegenstand herbeigeführt wurde, vermutlich einem Stein. Giancarlo konnte ein Lächeln schwerlich unterdrücken, als er in Gedanken den Stapel mit den Pflastersteinen in der Via Capitanato vor sich sah.

Durch die Brieftasche konnten die Personalien des Toten leicht festgestellt werden. Es handelte sich um einen 48-jährigen Mann namens Allessandro Meissner. Seinen Visitenkarten zufolge, die er in einem silbernen Etui in seinem Sakko trug, war er ein Finanzberater aus Bozen. Laut Touristenkarte war er im Hotel Perle am See in Riva untergebracht.

„Noble Adresse.“ lamentierte Giancarlo.

„Schon einmal dort übernachtet?“

„Wo denkst Du hin…bei meiner Pension…mehr als ab und an daran vorbeizufahren ist da nicht drin.“

Giancarlo erinnerte sich an die Kleidung des Toten, was mit seiner Hotelunterkunft in der gehobenen Kategorie zusammen passte. Das mit der Finanzbranche überraschte ihn etwas, dafür war er eigentlich zu leger, aber doch elegant gekleidet. Vielleicht lief das unter diesem Management Begriff ´Business casual´ dachte er sich.

„Was war noch in der Brieftasche?“ wunderte sich Giancarlo.

Sergio fuhr fort und zählte alles auf, an was er sich auf die Schnelle erinnern konnte. Neben einigen Kreditkarten hatte er einiges an Bargeld dabei, seinen Ausweis, Führerschein und eine Rechnung für eine Übernachtung in der kleinen Pension ´Camillo´ am Stadtrand von Malcesine.

„Die Frau.“ sagte Giancarlo, der gedanklich 1 und 1 zusammenzählte.

„Was für eine Frau?“

„Hast Du das Parfum gerochen?“

Sergio schüttelte den Kopf. Giancarlo erzählte kurz über den Duft eines Parfums, der ihm in die Nase stieg und er vermutete, dass es sich um ein Frauenparfum handelte.

„Die Pension Camillo könnte der Treffpunkt für ein Schäferstündchen gewesen sein.“ warf Giancarlo ein.

„Wenn da mal nicht Deine Fantasie mit Dir durchgeht. Warum sollte er das tun, wenn er in Riva in einem 5-Sterne Hotel gemeldet ist?“ schoss es aus Sergio heraus, bevor er Giancarlos Gedankengang folgen konnte. „Ah, ich verstehe…er hat sich vielleicht mit jemanden getroffen, mit der er in seinem Hotel nicht gesehen werden wollte.“

Giancarlo nickte zufrieden.

„Zum Beispiel…und diese Jemand könnte das Parfum getragen haben, vielleicht sogar am Tatort. Für Theorien ist es aber noch zu früh, dennoch darf man gespannt sein, was die Überprüfung in der Pension dazu ans Tageslicht bringt. Zurück zu seinen Sachen; was hast Du noch? Was ist mit einem Handy?“

Das Smartphone war bereits auf dem Weg ins Labor und Ergebnisse aus der Auswertung würden noch etwas auf sich warten lassen müssen.

Giancarlo fragte ihn nach Zeugen, aber eine erste Befragung von Anwohnern, die neugierig aus ihren Wohnungen auf die Straße gelaufen kamen oder von den Balkonen aus die Untersuchungen am Tatort verfolgten, verlief erfolglos. Niemand schien bislang etwas gehört oder gesehen zu haben, nicht mal einen Schrei, was ihn nicht überraschte. Schließlich hatte er selbst auch niemanden in unmittelbarer Nähe des Toten wahrgenommen.

„Was denkst Du…jenseits der paar Fakten, die wir bis jetzt haben?“ wurde er von Sergio gefragt.

„Raubmord können wir ausschließen; Mord aus Leidenschaft…vielleicht…aber das sind zu diesem Zeitpunkt nur wilde Spekulationen.“

„Mafia?“

„Der Auftragsmord eines Paten? Am Gardasee? Ist das Dein Ernst?“ fragte Giancarlo in seiner gewohnt ironischen Art zurück.

Beide mussten schmunzeln.

„OK…vielleicht ein bisschen weit gegriffen.“ antwortete Sergio etwas ernüchternd. „Und nun?“

„Ich wollte schon immer mal ein 5-Sterne Hotel von innen sehen.“

Kapitel 4

Sergio Gemma fuhr in seinem Porsche Cabrio mit offenem Verdeck die Uferstraße entlang nach Riva bis zum Hotel Perle am See in der Via Hermann Sudermann, unweit vom Strandbad.

Von weitem würde niemand ahnen, dass es sich bei dem Mann am Steuer des flotten gelben Flitzers um einen Gesetzeshüter handelte, noch dazu von der Mordkommission. Seine oberste Dienstbehörde hatte es aufgeben, ihn deswegen zu maßregeln, schließlich war es sein Privatfahrzeug und sparte dem Staat damit sogar Steuern.

Als Sohn eines alten Adelsgeschlechts war Sergio nicht unvermögend, führte aber außer dem noblen Auto und abgesehen von einer nicht minder luxuriös ausgefallenen Villa auf einem Hügel über der Stadt und Blick auf die Etsch ein eher bodenständiges Leben. Seine Familie hatte sich ursprünglich eine andere, standesgemäße Berufswahl ihres Sohnes gewünscht, waren aber heute jedoch nicht ohne Stolz auf ´ihren´ Commissario Die Kriminaltechniker waren gleich nach der Tatortsicherung voraus gefahren und ihre Dienstfahrzeuge standen bereits in der Einfahrt. Giancarlo wollte ursprünglich mit ihm fahren, ihm fiel aber noch ein, dass er sich bei Graziella bedanken wollte, das ihn so lautstark auf den Toten aufmerksam gemacht hatte.

Im Gegensatz zu Giancarlo kannte Sergio das Hotel auch von innen. Er genoss schon das eine oder anderen Mittagessen im hoteleigenen Haubenrestaurant und auch verschiedene Familienfeiern fanden dort statt. Fast hätte seine Hochzeit mit Margherita in der Perle am See stattgefunden, wenn seine Braut nicht auf ein kleines Restaurant in Malcesine bestanden hätte.

Das Hotel war zu früheren Zeiten einmal eine Herrschaftsresidenz bis es in den 1950ern in ein Hotel umgewandelt wurde. Das denkmalgeschützte Hotel hatte gerade einmal 25 Zimmer, die es aber in sich hatten. Jedes Zimmer war individuell eingerichtet und war mit feinstem Mobiliar und Dekor versehen. Zudem stand jedes der vier Stockwerke unter einem besonderen Motto.

Während das Erdgeschoss dem Klassizismus frönte, war das oberste Stockwerk im Stil der neuen Moderne eingerichtet. Schon bei der Hotelbuchung konnte der Gast seine gewünschte Stilrichtung angeben und wurde meistens auch berücksichtigt. Die eher überschaubare Anzahl von Zimmern wurde durch die gehobene Preisklasse mehr als ausgeglichen.

Sergio meldete sich an der Rezeption, als der Hotelbesitzer und Geschäftsführer ihm auf der Treppe entgegen kam.

„Frederico Batardy; zu Ihren Diensten…“ sagte er und fragte verwundert „kennen wir uns nicht?“

Sergio erwiderte die Begrüßung und beim Reichen der Hände erinnerte er Batardy, dass sie sich unter anderem bei einer Geburtstagsfeier von Sergios Tante vor ein paar Jahren getroffen hatten. Batardy, seine Frau und seine Tochter waren damals nicht nur die Ausrichter, sondern auch als geladene Gäste zugegen, erinnerte ihn Sergio.

Frederic Batardy konnte sich nun auch an die Begegnung erinnern und erwiderte „Schade, dass wir uns unter diesen widrigen Umständen wieder treffen. Ihre Kollegen haben mir schon die traurige Mitteilung gemacht, dass einer meiner Gäste tödlich verunglückt ist.“

„Wenn man Mord ´verunglückt´ nennen mag…“

„Von Mord hatten Ihre Kollegen nicht gesprochen…das ist ja schrecklich.“ entgegnete Batardy bestürzt.

Vermutlich machte er sich Gedanken um den Ruf seines Hauses, dachte sich Sergio.

Zurückhaltend fragte Batardy nach der Todesursache und ob man schon wisse, wer der Mörder sei.

„´Ja´ zum ersten Teil Ihrer Frage und ´Nein´ zum zweiten Teil. Aber deswegen sind wir ja auch hier.“

Batardy schien nicht so recht zu verstehen, was Sergio ihm mit den kurzen Antworten gerade gesagt hatte.

„Sie vermuten den Mörder hier…in diesem…in meinem Hotel? fragte er mit nervöser Stimme. „Wissen Sie, was das für mein Haus bedeuten kann…stellen Sie sich einmal die Schlagzeile in den Lokalblättern vor…´Mörder im Nobelhotel´.“

„Jetzt beruhigen Sie sich bitte…“ versuchte Sergio zu beschwichtigen und erläutere, dass er nicht gesagt habe, dass der Mörder zwingend im Hotel zu finden sei, sondern nur, dass er wegen der Suche nach dem Mörder das Hotel einer der ersten Anlaufstellen war, weil das Opfer nun mal in Batardys Hotel gemeldet war.

Etwas beruhigt bat Batardy darum, alles so diskret wie möglich abzuhandeln, um die Hotelgäste nicht zu verschrecken. Sergio nickte. Es hätte keinen großen Sinn gemacht, den Hotelier darauf aufmerksam zu machen, dass es mit der Diskretion schnell vorbei sein könnte, sollte sich doch herausstellen, dass sich womöglich ein Mörder im Hotel befinden könnte. Stattdessen wies er Batardy darauf hin, dass er sich so oder so darauf vorbereiten müsse, wie er mit der Presse umgehen würde, sobald diese von dem Mord Wind bekommen würde, was allenfalls eine Frage der Zeit war.

Sergio bat darum alle Informationen zu Alessandro Meissner einzusehen und dafür zu sorgen, dass sich seine Kollegen von der Spurensicherung im Zimmer des Toten umsehen konnten. Frederico Batardy nickte, gab der Rezeption ein Zeichen und bat Sergio in einem der kleineren Besucherzimmer zu warten. Er begleitete Sergio hinein, als auch bereits ein Etagenkellner hinzukam und fragte, ob er dem Commissario etwas bringen könne. Sergio dachte einen kurzen Moment nach und bat dann um einen Kräutertee. Normalerweise wäre es jetzt Zeit für seinen Espresso am Nachmittag, aber da er mit Giancarlo bereits eine Tasse intus hatte, war sein Koffeinbedarf für heute gedeckt.

Der Kellner erschien mit dem Tee noch bevor der Hotelier zurückkehrte. Sergio nippte nur kurz an dem noch brühend heißen Tee und lief in dem großräumigen und edel dekorierten Besprechungszimmer auf und ab, während er auf den Hotelchef wartete.

Als Batardy zurückkam, hatte er einen Tablet Computer und einige Ausdrucke bei sich, die er an Sergio aushändigte und ihn informierte, dass seine Mitarbeiter diese Informationen auch bereits an seine Ermittlerkollegen weitergegeben hatten, die danach fragten.

„Ist der Tee zu Ihrer Zufriedenheit?“ fragte er.

„Vorzüglich…die Minzblätter…eigener Kräutergarten?“

„Selbstverständlich…Bio und Regional…das sind wir unseren Gästen schuldig und wird von ihnen auch geschätzt und honoriert.“

„Dass dies mit einem entsprechenden Honorar verbunden ist, kann ich mir gut vorstellen.“

„Entschuldigung…?“

„Nicht so wichtig…“ antwortete Sergio um Batardy nicht in Verlegung zu bringen. Sarkasmus im Zusammenhang mit einer Morduntersuchung war in diesem Moment vielleicht auch nicht ganz passend, dachte er sich, bevor er auf den eigentlichen Punkt kam. „…was können Sie mir zu Alessandro Meissner sagen…ich meine Alles, was nicht in diesen Buchungsdaten steht?“

Batardy nickte und sagte, dass der Finanzberater Meissner einer Seminargruppe von 12 Teilnehmern angehörte. „Sie trafen sich, soweit ich das das verstanden habe, regelmäßig, um die Entwicklung am Finanzmarkt und dem Vertrieb von Anlageprodukten zu analysieren und zu diskutieren.“

Auf Nachfrage von Sergio konnte er keine weiteren konkreten Angaben zu dem Seminar oder dessen Inhalt machen, da dies so ziemlich alles war, was ihm zugetragen wurde.

Er fuhr fort, dass die Teilnehmer am vergangenen Dienstag angereist waren und das Seminar am Freitag offiziell zu Ende war. „Laut unseren Buchungsunterlagen sind 7 der 12 Teilnehmer im Laufe des Freitags bereits abgereist…ich kann Ihnen aber bestätigen, dass alle Kontaktadressen der Gäste natürlich verfügbar sind.“

Sergio bat um die volle Liste der Teilnehmer und deren Buchungsunterlagen, insbesondere der noch nicht abgereisten 5 Gäste.

Sergio warf einen weiteren Blick auf die Buchungsunterlagen.

„Wissen Sie ob Meissner verheiratet war?“

„Nein…das ist nicht etwas, was wir bei einer Reservierung abfragen.“

„Natürlich nicht…“ sagte Sergio, als er merkte, dass er seine Frage nicht konkret genug formuliert hatte. „…wie es scheint, reiste er alleine an?“

„Er hatte ein Einzelzimmer gebucht.“

„Sie wollen mir sagen, dass Sie nicht ausschließen können, dass er deswegen auch die letzten Tage alleine im Zimmer geschlafen hatte.“

Batardy errötete leicht. „Dazu kann ich nun wirklich nichts sagen.“

Sergio konnte sehen, dass Frederico Batardy dennoch etwas auf den Lippen lag, er aber zögerte.

„Wenn Ihnen noch etwas einfällt, egal wie klein oder unbedeutend Ihnen das auch in Bezug auf den Tod von Alessandro Meissner erscheinen mag…immer heraus damit.“ ermunterte er ihn.

„Es mag in der Tat unwichtig sein und ich rede auch sehr ungern darüber…aber ich hatte Herrn Meissner gestern Abend gesehen, wie er aus der Garage heraus in Richtung der Hauptstraße fuhr…“

„…und das Ungewöhnliche daran war?“ fragte Sergio neugierig.

Batardy zögerte noch einen Moment, da ihm das sichtlich peinlich erschien. „…und er war nicht alleine.“ sagte er schließlich.

„Sie sagten vorhin, er war alleine angereist…Sie vermuten somit, die Frau, die mit ihm im Auto saß war nicht seine eigene?“

„Vermuten wäre das falsche Wort…die Frau, mit der er wegfuhr war die Ehefrau eines anderen Gastes“

„Jetzt wird es interessant.“

Kapitel 5

Nachdem Sergio zum Hotel Perle am See aufgebrochen war, wechselte Giancarlo noch ein paar Worte mit Claudia Mauro, der Besitzerin und Geschäftsführerin seines Lieblingscafés.

Er kam schon in den Jahren hier her, als ihr Vater noch das Café di Lago führte und er noch in München lebte und nur ab und an im Urlaub zu Besuch kam. Auch seine Frau liebte die besondere Atmosphäre, die von diesem Platz ausging. Nie würde er die letzten Tage und Stunden vergessen, die sie zusammen am See und im Café di Lago verbrachten, um zumindest kurzzeitig von ihrer tödlichen Krankheit Abstand zu gewinnen und um diese letzte Zeit in glücklicher Harmonie zu verbringen.

Er hatte Jahre gebraucht, um den Schmerz und den Verlust zu verwinden. Erst als er sein Leben umkrempelte, seinen vorzeitigen Abschied von der Kriminalpolizei in München nahm und den Neuanfang in der Heimat seines Vaters wagte, hatte er neuen Lebensmut gewonnen. Manche würden sagen, dass auch die Begegnung mit Claudia Mauro einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat.

Claudia Mauro kam nach ihrer Scheidung aus Mailand zurück und hatte nach dem Tod ihres Vaters das traditionelle und beliebte Café di Lago übernommen. Auch für sie war es ein kompletter Neuanfang nach einer langen, komplizierten Ehe. Als ihr Sohn von zu Hause auszog, wagte sie schließlich den Schritt und trennte sich von ihrem Mann.

Vor einem halben Jahr waren sich Giancarlo und Claudia das erste Mal etwas nähergekommen, nachdem außer ihm alle Gäste gegangen waren und sie sich mit einer Flasche Wein zu ihm setzte. Sie redeten über Gott und die Welt während am Horizont langsam die Sonne unterging und die Lichter um den See zu funkeln begannen. Von da an sahen sie sich praktisch täglich, nicht zuletzt bei seinem täglichen Ritual aus Espresso und Tageszeitung, ohne dass einer von den Beiden den nächsten Schritt gewagt hätte. Beide hatten gegenseitigen Respekt vor den Trennungen, die sie durchleben mussten, merkten aber, dass mit jedem Tag die Nähe zwischen ihnen wuchs und es nur eine Frage der Zeit war, bis einer der beiden aussprechen würde, was beide fühlten. Aber noch war dieser Moment nicht gekommen.

Giancarlo hatte sich nach Verbleib von Graziella erkundigt, dem Mädchen, das ihn auf den Toten in der Via Capitanato aufmerksam machte. Sie ging nach Hause, nachdem er sie im Café di Lago zurückgelassen hatte. Ihr Vater führte ein Friseurgeschäft, ein seit Generationen bestehender Familienbetrieb. Giancarlos Vater war Stammkunde bei ihm und auch er ließ sich dort die Haare schneiden, wenn er in seiner Jugendzeit die Schulferien bei seinem Vater verbrachte und erst recht, seit er in Malcesine wohnte.

Er verabschiedete sich von Claudia, in der Hoffnung, Graziella heute noch im Friseurgeschäft anzutreffen, da die Familie am Sonntagnachmittag öfters zu Graziellas Großeltern in Verona fuhr. Das Geschäft lag selbst zu Fuß nur wenige Minuten entfernt und Giancarlo hatte Glück. Der Friseur war zu Hause, auch wenn sein Geschäft am Sonntag geschlossen war.

„Ciao Maurizio.“ begrüßte er den Friseur mit einer kurzen Umarmung.

„Ciao Commissario…ich meine natürlich Giancarlo.“ antwortete Maurizio mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Sie wechselten ein paar Worte, bevor er darum bat, noch kurz mit Graziella sprechen zu können. Maurizio erzählte ihm, dass sie das gut verarbeitet hatte. Es half sicherlich, dass sie die Tat selbst nicht mitbekommen hatte.

Als sie Giancarlos Stimme hörte, kam Graziella aus dem Hinterzimmer, das direkt zur angrenzenden Wohnung des Friseurs führte. Giancarlo erklärte ihr kurz in angemessener Weise, was passiert war und dass er noch eine Frage hätte.

„Weißt Du noch, was Du heute Vormittag gerufen hast, als Du zu mir angerannt kamst.“

„Ja, natürlich…ich rief Commissario, Commissario.“ sagte sie.

Giancarlo musste schmunzeln.

„Ja, das auch…Du sagtest aber auch…“

„…ein Mann ist tot.“

„Fast…Du sagtest ´der´ Mann ist tot.“

„Macht das einen Unterschied?“ wunderte sich Maurizio.

„Einen Menge…“ nickte Giancarlo und wandte sich erneut an Graziella. „…kanntest Du den Mann?“

Graziella überlegte kurz und antwortete, dass sie ihn vorher schon einmal gesehen hatte. Sie hatte ihn an dem Sakko wieder erkannt.

„Wann war das?“

„Gestern Abend. Er ging direkt an unserem Geschäft vorbei. Wir hatten schon geschlossen und ich hatte Papa beim Aufräumen geholfen.“ sagte sie nicht ohne Stolz.

„Wohin ging er denn?“

Graziella zeigte die Straße runter. Giancarlo hatte schon eine Idee, wohin er vermutlich unterwegs war. Er dachte an die Pension Camillo.

„War er allein?“

„Nein, eine Frau war bei ihm…mit roter Mähne…Bella Donna.“ warf Maurizio ein, der nun wusste, wen seine Tochter meinte. „Sag das aber bloß nicht der Mama…sonst ist sie wieder eifersüchtig.“ sagte er mit Blick auf seine Tochter.

Graziella verdrehte die Augen und ergänzte, dass der Mann und die Frau mit den roten Haaren wie ein Paar ausgesehen hätten, als sie weiter Arm in Arm die Uferpromenade entlang flanierten.

Auf dem Weg zum Taxistand am zentralen Busbahnhof Capolinea suchte Giancarlo in seinem Smartphone nach der Telefonnummer der Pension Camillo. Da die Pension sich auf direktem Weg nach Riva befand, konnte er hier gleich seine Neugier befriedigen, was es mit dem Pärchen auf sich hatte, von dem sich der männliche Part dann am nächsten Tag tot auf der Straße wiederfand.

Während der Taxifahrer gegen ein üppiges Trinkgeld im Wagen ausharrte, sprach Giancarlo mit der Dame an der Rezeption. Wie für viele Einheimische von Malcesine bedurfte es keiner Vorstellung durch Giancarlo Lehmann. Er gehörte inzwischen zum Stadtbild, ähnlich wie damals sein Vater, als er über viele Jahre als Mitglied im Stadtrat die positive Entwicklung der Gemeinde bis zu seinem Tod kurz nach der Jahrtausendwende prägend mit gestaltete.