Essenzen der Welt - Dominique Roques - E-Book

Essenzen der Welt E-Book

Dominique Roques

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Beschreibung

Der wahre Luxus der Parfumherstellung ist ein gut gehütetes Geheimnis: das der Naturprodukte, aus denen die besten Parfums bestehen. Oft werden bis zu achtzig verschiedene Essenzen kombiniert. Aus Blumen, Früchten, Rinden und Harzen werden sie mit traditionellen handwerklichen Techniken kultiviert, geerntet und destilliert. So zum Beispiel die Zistrose in Andalusien, der Jasmin in Ägypten, das Patschuli in Indonesien, das Sandelholz in Australien, das Vetiver in Haiti. Anschaulich erzählt Dominique Roques von ihren Gerüchen, Landschaften und Geschichten, gleichzeitig rückt er die Menschen in den Fokus, die auf den Plantagen und in den Destillerien ihren Lebensunterhalt verdienen. Dieses Buch ist Zeugnis einer tiefen Leidenschaft für natürliche Düfte und ein beeindruckendes Panorama der Welt, in der wir leben.

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Seitenzahl: 342

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Dominique Roques

Essenzen der Welt

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel

Cueilleur d’essences. Aux sources des parfums du monde bei Editions Grasset & Fasquelle, Paris.

Die Rechte wurden vermittelt durch MelseneTimsit & Son, Scouting

and Literary Agency.

 

© der deutschsprachigen Ausgabe

2022 Arche Literatur Verlag AG, Zürich–Hamburg

© Editions Grasset & Fasquelle, 2021

Lektorat: Angelika Künne, Erfurt

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Herr K | Jan Kermes, Leipzig, unter Verwendung eines Motivs von © Pari Dukovic / Trunk Archive

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03790-141-0

 

www.arche-verlag.com

www.facebook.com/ArcheVerlag

www.instagram.com/arche_verlag

Für meinen Vater,

der mir den Weg der Bäume wies.

»Halte ein bei Handelsplätzen der Phönizier

Und erwirb die schönen Waren,

Perlmutter und Korallen, Bernstein, Ebenholz

Und erregende Essenzen aller Art,

so reichlich du vermagst, erregende Essenzen«

 

Konstantinos Kavafis, Ithaka

Prolog

Die Sammler der Welt

Düfte sind vertraut und geheimnisvoll zugleich. Sie rufen immer einen Teil unseres Geruchsgedächtnisses wach, Bruchstücke von Kindheitserinnerungen, die sehr intensiv sind, obwohl sie weit zurückliegen. Niemand kann sich dem entziehen. Jeder trägt ein Leben lang den Hauch von Flieder, den Duft eines ginstergesäumten Weges oder den Geruch eines geliebten Menschen in sich. Ich erinnere mich noch genau an ein Erlebnis als Kind im Wald. Im Mai war unter den großen Eichen in Rambouillet der Waldboden über und über mit Maiglöckchen bedeckt, die die ganze Luft mit ihrem Duft erfüllten. Ich war entzückt und verwirrt von diesem Geruch, der meine Mutter heraufbeschwor, die das üppige Parfum »Diorissimo« trug, eine Hommage an die kleinen weißen Glocken. Dieser intimen Vertrautheit im Spiel der Düfte mit unseren Erinnerungen steht eine geheimnisvolle Kraft gegenüber, die eine Komposition beim Öffnen eines Flakons lebendig werden lässt – ein Parfum beruhigt uns zunächst, indem es uns von uns selbst erzählt, anschließend bezaubert es uns, indem es uns von sich erzählt.

»Hier hast du Zweige, Blätter, Früchte, Blumenspenden« – dieser berühmte Vers von Verlaine zeigt melodisch die große Bandbreite an natürlichen Rohstoffen für Parfums. Ich ergänze: Wurzeln, Rinde, Holz, Flechten, Samen, Knospen, Beeren, Balsam und Harz – die Welt der Pflanzen in all ihren Ausprägungen ist reich an Essenzen und Extrakten, aus denen die Parfümerie entstanden ist. Bevor man im neunzehnten Jahrhundert synthetische Duftmoleküle entwickelte, waren Naturprodukte drei Jahrtausende lang die einzigen Rohstoffe für Parfums. Wenngleich sie inzwischen zu einem Luxusprodukt geworden sind, gilt die Liebe der Parfümeure nach wie vor ganz entschieden ihnen. Sie verleihen ihren Kreationen Vielfalt und Komplexität, und einige sind schon für sich genommen ein Parfum.

Bevor sie sich auf unserer Haut verflüchtigen, erzählen die Kompositionen innerhalb weniger Augenblicke all die Geschichten ihrer vielen Bestandteile. Geschichten von Laboren bei den chemischen Komponenten, Geschichten von Blumen, Gewürzen oder Harzen bei den Naturprodukten. Destilliert oder extrahiert fließen die Pflanzen als ätherische Öle, Absolues oder Resinoide[1] in die Komposition eines Parfums ein und werden durch synthetische Duftstoffe ergänzt. Bei der Werbung für eine Marke werden sie stets in den Vordergrund gerückt, denn auf ihre Duftfülle gründet sich jedes wahre Parfum.

Die Essenzen haben jeweils ihre eigenen Geschichten. Sie entstehen im Zusammenspiel einer Region mit ihrer Landschaft, ihren Böden und ihrem Klima, sie sind das Produkt von Menschen, die dort tief verwurzelt sind oder nur vorübergehend leben. Die Parfumherstellung brauchte schon immer und braucht nach wie vor Holzfäller, die Duftgehölz fällen – Zedern-, Adler- oder Sandelholz. Menschen, die Wildpflanzen, Wacholderbeeren, Zistrosenzweige und Tonkabohnen oder Säfte und Harze, Weihrauch, Benzoe und Perubalsam sammeln. Bauern, die Pflanzen kultivieren, um deren Blüten, Blätter und Wurzeln zu gewinnen, Rosen und Jasmin, Vetiver und Patschuli. Leute, die Zitrusfrüchte wie Bergamotte und Zitronen pressen. Menschen, die diese Fracht transportieren, damit handeln und so das Erbe der Kameltreiber aus Arabien und der Seefahrer, die Indien mit dem Mittelmeer verbanden, lebendig halten. Schließlich Menschen, die sich darauf verstehen, Rosenwasser herzustellen – früher, seit dem siebzehnten Jahrhundert, Alchimisten, heute Destillateure und Chemiker. Eine bunt zusammengewürfelte, über den ganzen Erdball verstreute Gemeinschaft, die in Wüsten und Wäldern sammelt, die mit Hacke oder Trecker pflügt, die geheim oder öffentlich mit der Ware handelt, die entweder nicht weiß, was mit ihren Produkten passiert, oder auf ihren Feldern Besuch von großen Parfümeuren und Vertretern der renommiertesten Marken empfängt.

Diese Vielfalt bildet, ohne dass sie sich dessen bewusst ist, eine großartige historische Gemeinschaft, durch die Lavendel, Rose und Weihrauch zu uns gelangten. Sie ist geprägt von verschlungenen Pfaden, wechselnden Orten, bewahrten, überlieferten, verlorenen und wiederentdeckten Traditionen. Und doch haben alle, die Teil des Entstehungsprozesses von Parfum sind, eines gemein: Sie nähren die ungebrochene Begeisterung der Menschen für die Düfte der Natur. Wenn eine madagassische Bäuerin die Blüte einer Vanille-Liane bestäubt, liegt darin ein gewisser Zauber. Sie muss die Bewegung Tausende Male wiederholen, damit sich Schoten bilden und reifen, die gesammelt und anschließend extrahiert werden können, um sich am Ende in den köstlichen Duft zu verwandeln, der aus einem Fläschchen mit Vanille-Absolue strömt.

Dieses Buch erzählt von drei Jahrzehnten, in denen ich rund um die Welt zu den Ursprüngen der Düfte gereist bin. Ich bin weder Chemiker noch Botaniker, sondern nach einem Betriebswirtschaftsstudium in der Parfümerie gelandet und damit der Anziehungskraft gefolgt, die Bäume und Pflanzen seit jeher auf mich hatten. Ich habe diesen Weg aus Neigung und aus Neugier eingeschlagen, er ist zur Leidenschaft geworden, und seit dreißig Jahren ist es meine Aufgabe, Dutzende von Aromen für die Parfumindustrie zu suchen, zu finden, zu kaufen und manchmal auch zu produzieren. Auf den Rosen- und Patschulifeldern, in den Wäldern von Venezuela und den Dörfern von Laos haben mich Menschen in die Düfte ihrer Regionen eingeführt. Sie haben mich gelehrt, auf die Geschichten zu hören, die die Essenzen und Extrakte erzählen, wenn man einen Flakon öffnet, und so bin ich mit der Zeit zu einem Entdecker von Duftquellen geworden.

Bei einem Aromen- und Duftstoffhersteller bin ich damit betraut, unsere Parfümeure mit Essenzen und Extrakten von mehr als hundertfünfzig natürlichen Rohstoffen aus etwa fünfzig Ländern zu versorgen. Meine Rolle besteht darin, die Mengen und die Qualität sicherzustellen, aber auch darin, neue Ingredienzien zu suchen, um die »Palette« der Parfümeure zu erweitern. Innerhalb des industriellen Prozesses bin ich das erste Glied der Kette, die von den blühenden Feldern bis zu den Flakons in den Parfümerien führt. Am anderen Ende stehen die Parfummarken, die für ihre neuen Düfte die Parfümeure verschiedener Kompositionsgesellschaften in den Wettkampf schicken, die berühmten »Nasen«, die Schöpfer komplexer, geheimer Rezepturen: der Parfumkonzentrate. Die Zunft der Parfümeure birgt große Talente und Persönlichkeiten, die ständig neue Düfte für die renommiertesten Marken ersinnen, und ich stelle meine Erfahrung in ihren Dienst.

Am Anfang habe ich für ein Familienunternehmen in den Landes (im Südwesten Frankreichs) Destillations- und Extraktionsanlagen in den Ursprungsländern wichtiger Duftstoffe aufgebaut. Als eines der ersten Unternehmen hatte es sich in den Achtzigerjahren bei der Herstellung natürlicher Pflanzenextrakte für Niederlassungen direkt vor Ort entschieden. Spanien, Marokko, Bulgarien, Türkei oder Madagaskar – überall musste für die nötige Ausstattung gesorgt werden, der Anbau und die Ernte mussten organisiert und Teams für die Produktion angeheuert werden. Dabei habe ich geschichtsträchtige Orte gesehen, auf traditionellem Wissen beruhende und zuweilen vom Aussterben bedrohte Tätigkeiten kennengelernt und tiefe Beziehungen geknüpft.

Seit zehn Jahren entdecke ich neue Duftquellen für eine Schweizer Firma, ebenfalls ein Familienunternehmen, eines der weltweit wichtigsten in der Herstellung von Duftstoffen und Aromen. Um die Naturstoffe für unsere Parfümeure zu beschaffen und die Bandbreite der Düfte zu erweitern, habe ich im Laufe der Zeit ein Kontaktnetzwerk mit den Produzenten in der ganzen Welt aufgebaut, wobei ich mit sämtlichen Berufen rund um die Entstehung von Parfum in Berührung gekommen bin. Im Zuge dieser Begegnungen ist meine Leidenschaft für Düfte entstanden.

Aufgrund der unterschiedlichen Herkunft unserer Produkte ist man beim Entdecken neuer Duftquellen mit einer Vielzahl von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten konfrontiert. Ich habe mit vielen, oftmals isoliert lebenden Gemeinschaften zusammengearbeitet, die Wirbelstürmen und Trockenheit ausgesetzt sind und manchmal von ihrer eigenen Regierung im Stich gelassen werden. Schon sehr früh ist mir bewusst geworden, welche Rolle und Verantwortung unserer Industrie bezüglich der Zukunft dieser Menschen zukommt. Dieses Bewusstsein ist nach wie vor Antrieb und Leitgedanke dabei, wie ich meinen Beruf ausübe.

Die Idee zu diesem Buch entstand während einer Reise vor nicht allzu langer Zeit, als ich vor einem Weihrauchbaum in den Bergen der Republik Somaliland stand. Der Erntearbeiter, der mich begleitete, hatte gerade den Stamm eingeritzt, aus dem kleine milchige Tropfen zu perlen begannen. Mit dem betörenden Duft dessen, woraus einmal Weihrauch werden würde, trug der Wind mir das Gefühl zu, genau in diesem Moment Zeuge einer außergewöhnlichen und seit mehr als dreitausend Jahren andauernden Geschichte zu sein: der Entstehung natürlicher Duftstoffe. Der Geruch des frischen Harzes versetzte mich Jahre zurück, als ich in den Zistrosenfeldern von Andalusien erste Berufserfahrungen sammelte. Mit einem Schlag begriff ich, dass ich – von der Zistrose bis hin zum Weihrauch – das Glück gehabt hatte, dreißig Jahre lang die Erben einer mindestens dreißig Jahrhunderte alten Geschichte zu erleben. Mir wurde klar, worüber ich gerne schreiben wollte: über die Entwicklung der Parfumrohstoffe im Laufe der Zeiten, über das Leben der Menschen, die sich ihnen nach wie vor widmen, über ihr immenses Wissen und ihre Traditionen, über die Schönheit der Orte, an denen sie ihre Düfte herstellen, und über ihre unsichere Zukunft. Jedes Kapitel dieser Geschichte ist anders und einzigartig, aber alle haben eines gemein: Die Arbeit der Menschen findet ihre Krönung in den Düften, die uns überwältigen. Nichts verdeutlicht das besser als das, was ich im Tal der Rosen in Bulgarien gelernt habe: Um ein Kilo Rosenessenz herzustellen, müssen eine Million Blüten mit der Hand gepflückt werden.

Dieses Buch ist den Sammlern der Welt gewidmet.

Die Tränen Christi

Andalusien, Zistrose

An einem Aprilnachmittag in Andalusien in der Comarca El Andévalo erblickte ich auf einmal hinter einer Kurve ein Feld mit blühenden Zistrosen. Ich war geblendet von dem Anblick, in dem bereits der Zauber dessen lag, was ich hier entdecken würde: den Duft dieser Region und die Menschen, die mit ihm zu tun haben. Ende der Achtzigerjahre begann die mit Zistrosen übersäte Hügellandschaft direkt hinter der Stadt Huelva, gleich bei den ersten Dörfern des Hinterlandes. Die Straße führte zwischen den Eukalyptusplantagen hinauf und schlängelte sich zwischen weit ausladenden Zweigen und in der Sonne glänzenden Blättern hindurch. Noch ein Dorf, dann tauchten vereinzelt große, grüne Steineichen auf, erhaben aufragende Wachposten, die ihre Schatten auf die sonnenglühende Erde warfen, auf der die Zistrose wuchs.

Nach der eintausenddreihundert Kilometer langen Fahrt von Frankreich hierher war ich durch die Müdigkeit noch stärker sensibilisiert für die mir unbekannte Landschaft. Ich kam nach Andalusien, um hier eine Destillations- und Extraktionsanlage zu bauen. Es war meine erste Begegnung mit der Welt der Düfte, alles war neu für mich: der Beruf, das Land, seine Gerüche und Traditionen. Ich sprach nur ein gebrochenes Spanisch, mit dem ich mich aber trotzdem würde verständlich machen müssen. Ich musste ein Team anheuern, eine kleine Fabrik aufbauen und für deren Belieferung sorgen, um den Bedarf an Zistrosenextrakt eines großen Parfümeriekonzerns zu decken – keine leichte Aufgabe.

An jenem Frühlingstag waren die Hügel übersät mit großen weißen Flocken, als wäre ein Schneeschauer über die Felder gezogen, bevor er der andalusischen Sonne gewichen war. Die Blütezeit der Zistrose liegt zwischen März und April. Die mohnähnlichen weißen Blüten, zart wie Seidenpapier, halten nicht länger als zwei bis drei Tage. Ich ging los, um in dieses Bild einzutauchen. Stängel an Stängel, eine schwer zugängliche, dichte Vegetation. Die Zistrosen reichten mir bis zur Taille, an manchen Stellen noch höher, und die Blätter an den Zweigen schimmerten bereits. Sobald die Pflanze blüht, sondert sie ein Harz ab, das berühmte Labdanum, das den gesamten Sommer über den Jahrestrieb bedeckt, um ihn vor der Hitze zu schützen. Über den Hügel waberte ein köstlicher Geruch, noch nicht so intensiv wie im Juli, aber doch betörend. Das Zistrosenharz riecht ebenso stark, wie es klebt. Ein lebhafter, fast animalischer, erstaunlich kräftiger Geruch. Zistrosenextrakt ist sehr verbreitet in der Parfumherstellung, seine Ambra-Note unentbehrlich für orientalische Duftakkorde. Labdanum gehört zum Wesen des legendären Parfums »Mitsouko« von Guerlain von 1919, das mit der Kombination aus floralen Noten und exotischen, würzigen Düften die damals revolutionären Chypre-Kompositionen begründete. Die Blüten sind prächtig, duften aber nicht: fünf weiße Blütenblätter, in der Mitte gelbe Staubgefäße und unten an jedem Blütenblatt ein karmesinroter Fleck, den die Andalusier die »Tränen Christi« nennen. Die Blüte der Zistrose ist Teil ihrer Kultur.

In Andalusien begegnete ich dem, was mich all die Jahre danach überall dort beschäftigen und faszinieren sollte, wo Düfte entstehen. Die Parfums, die die Pflanzen uns bescheren, haben ihren Ursprung weit weg von den Parfümerien, dort, wo die Natur den Lauf der Zeit bestimmt. Sie sprießen aus der Erde, werden geerntet, verarbeitet, transportiert und ergeben am Ende auf geheimnisvolle Weise ein Elixier in einem Flakon. Wenn man ein Parfumfläschchen öffnet, entsteht jedes Mal ein Moment der Freude und Überraschung, ein kurzer Augenblick, in dem die einzelnen Bestandteile von sich erzählen können. War es der Duft des Labdanums, die zarte Schönheit der Blüten oder das Gefühl, Eintritt ins Reich einer einzigartigen Pflanze zu erhalten? Jener Frühlingsnachmittag war für mich der Beginn einer Reise zu den Düften und Gefühlen, die bis heute andauert.

 

Ich erinnere mich noch gut an Josefa. Zusammen mit ihren Töchtern beaufsichtigte sie als Mutter einer Gitano-Familie das Auskochen des Labdanums. In der Gluthitze des andalusischen Sommers stand sie mit Strohhut auf dem Kopf und Forke in der Hand in einem von Harzflecken übersäten Trainingsanzug und dem rauchgeschwärzten Gesicht mitten im Feld und machte sich an den Fässern zu schaffen, in denen die Zistrosenzweige kochten. Als sie mich kommen sah, rief sie laut: »Ah, der Franzose, was macht dein Spanisch?« Wir unterhielten uns über die Hitze – Sonne und Feuer zusammen waren beinahe unerträglich – und über das Labdanum, das sie für mich produzierte. »Bei dem miserablen Preis, für den du es uns abkaufst, müsstest du uns eigentlich mit Parfum aus Paris eindecken! Wann kommt das neue Chanel?«, fragte sie lachend. In dem Wort Parfum klang bei ihr die Vorstellung einer Luxuswelt mit, die sie selbst nicht kannte. Ihr Satz brachte die große Kluft zwischen ihr und den Parfumflakons zum Ausdruck, zwischen dem Anfang einer Geschichte und ihrem unbekannten Ende.

Die Zistrose, Cistus ladaniferus, ist ein Strauch, der von selbst überall rund ums Mittelmeer wächst, vom Libanon bis nach Marokko. Auf Brachflächen mit saurem Milieu siedelt er sich rasch an. Mancherorts fühlt die Zistrose sich so wohl, dass sie Hunderte, ja Tausende Hektar bedeckt. Früher fand man solche Flächen auf Zypern und auf Kreta, heute in Spanien, vor allem im Südwesten Andalusiens, wo die Felder sich weit bis nach Portugal hinein unter die Korkeichen ausdehnen.

Labdanum ist einer der ersten Aroma-Rohstoffe, der wegen seines Duftes verwendet wurde. Es wurde bereits 1700 v. Chr. auf den Schrifttafeln in Mesopotamien erwähnt. Die Ägypter kannten es und verbrannten es zusammen mit Weihrauch und Myrrhe. Wie es in der Antike gesammelt wurde, ist eine schöne Geschichte: Wenn die Ziegenherden, die auf Kreta und Zypern über die Felder streiften, am Abend zurückkehrten, war ihr Fell voller Harz, das die Schäfer herauskämmten, um daraus die Masse herzustellen, die anschließend verbrannt wurde. Später wurde das Harz mithilfe von mit Lederriemen bespannten Harken gesammelt, mit denen man auf die Zweige schlug, bevor das Harz mit einem Messer davon abgeschabt wurde. Wenn ich von meinen Besuchen in den Feldern mit Harz an meiner Kleidung zurückkehrte, stellte ich mir gerne vor, wie die zypriotischen Schäfer abends ums Feuer saßen und das Harz von ihren Lederriemen kratzten, um daraus Kugeln zu formen, die Vorgänger unserer Räucherstäbchen.

Wie ich von Josefa und den Gitanos lernen sollte, ist die Harzproduktion noch immer eine extrem harte Arbeit, für die Natriumkarbonat und Schwefelsäure benötigt werden. Vor dem Krieg in der Region um Salamanca beheimatet, verschob sie sich nach dem Krieg in Richtung Südspanien und der großen Flächen mit Zistrosen in der Extremadura und in Andalusien und schließlich bis an den Rand der Halbinsel am Atlantik.

 

El Andévalo gehört zum Hinterland der Provinz Huelva nahe Portugal. Eine Region, deren Geschichte vom Bergbau geprägt ist, dem Abbau von Zinn und Silber in der Antike, von Eisen- und Kupferkies im neunzehnten Jahrhundert. Doch in den Achtzigerjahren schlossen die Minen in Minas de Riotinto, wovon schon bald nur noch das vom Eisenerz rot gefärbte Flusswasser und der von der weltweit größten Bergbaugesellschaft übernommene Name existierten. Zurück blieb eine Region mit metallhaltigem Boden, den man manchmal beben zu spüren meint und auf dem hartgesottene Bergarbeiter und Bauern lebten. Eine Region mit starken Traditionen und einer Bevölkerung, die sich ihrer gemeinsamen Wurzeln bewusst ist. Bergbau, Jagd, Pferde, Tanz und Flamenco-Gesang, weiße Dörfer mit Kopfsteinpflasterstraßen, in denen sich bei den alljährlichen Pilgerfahrten die Menschen versammeln und ihre Gemeinschaft aufleben lassen.

Das Dorf, das wir damals als Standort für die Fabrik auswählten, heißt Puebla de Guzmán. Es vereint alles, was zu einem typischen Knotenpunkt im Hinterland gehört, einem Ort der Begegnung: den Bergbau mit einer riesigen Grube unter freiem Himmel, in der nur noch die Schreie der Krähen widerhallen; die Zucht des Iberischen Schweins, aus dem der berühmte Pata-Negra-Schinken gemacht wird; die Pferde, die in Puebla ebenso wie in Cádiz oder in Jerez dressiert werden und die man am Wochenende stolz vorführt; die Jagd auf Rebhühner, die gerne in den von Zistrosen bewachsenen Hügeln nisten; die Bars, in denen man am Morgen geröstetes, mit Olivenöl beträufeltes Brot isst; die Feste, bei denen alle Generationen die Sevillanas tanzen und stets ein Sänger und ein Gitarrist zugegen sind und einen cante flamenco anstimmen, der untrennbar zu Andalusien gehört.

Ich hatte ein Team von einem Dutzend Arbeitern aus dem Dorf eingestellt. Nach der Schließung des Bergbaus waren sie froh, eine Beschäftigung zu finden. Sie waren verwurzelt in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung – traditionsbewusste Andalusier, verlässliche Handwerker. Ein Jahr nach Beginn der Bauarbeiten lief die Produktion in der Fabrik an. Ein riesiger Berg Reisigbündel glänzte in der Sonne vor der Halle und wartete darauf, zerkleinert und destilliert zu werden. Bis weit ins Land hinein roch es von hier aus nach Zistrosen, und die Spaziergänger auf dem Weg waren beim Anblick der Fabrik stolz darauf, dass ihr Dorf den Schritt vom Bergbau zur Parfumherstellung vollzogen hatte. Die Verarbeitung der Zistrose würde den Abbau von Pyrit ersetzen. Ihr Land war eindeutig etwas Besonderes.

Der Mann, der mir dieses Land zeigte, heißt Juan Lorenzo und ist Schweinezüchter, Jäger und Verwalter landwirtschaftlicher Betriebe. Ihm verdankt unsere Fabrik die Belieferung mit Reisig und Harz. Der wortkarge Juan Lorenzo war schon damals ein Urgestein von El Andévalo, er liebte seine Heimat und wusste alles über die Zistrose. Mit seiner Schirmmütze, dem klaren Blick und Händen, die von der Feldarbeit zeugten, verkörperte er auf großartige Weise dieses Land, und als ich irgendwann den andalusischen Dialekt verstand, verbrachten wir wunderbare Augenblicke miteinander. Er wohnte auf einem in den Hügeln unter Steineichen versteckten Hof, ein weißes Gebäude vollkommen einsam am Ende der Straße Richtung Mine gelegen, wo er ein paar Pferde und etwa hundert Schweine bester Herkunft züchtete. Die Qualität des Schinkens bemisst sich nach den Tagen, die die Schweine auf der Weide unter den Eichen verbringen. Ende der Achtzigerjahre war der jamón de bellota längst nicht so bekannt wie heute, sondern fast noch ein Geheimtipp, ein regionales Produkt, das die Touristen mit seinem einzigartigen Geschmack überzeugte, den die Eicheln Fleisch und Fett verleihen.

Juan Lorenzo machte mich nach und nach mit den lokalen Gegebenheiten vertraut. Seit jeher ist »la Puebla« das Herzstück eines riesigen Gebietes, in dem die Zistrose wächst. Schneidet man sie nicht zurück, erreicht die Pflanze eine Höhe von zwei Metern, und ihre Stängel bilden ein sehr hartes Holz aus, das traditionell von Bäckern zum Heizen des Brotbackofens verwendet wird. Seit Jahrzehnten spiegelt die Umgebung hier das Gleichgewicht zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Schafzucht wider. Die Zistrose wächst unter den Steineichen, mit deren Eicheln die Schweine im Winter gemästet werden. Wenn sie zu alt wird, reißt man sie heraus, pflügt die Erde um und sät Weizen oder Hafer. Im darauffolgenden Jahr kommt die Zistrose auf den Brachflächen erneut hervor und bildet innerhalb von zwei, drei Jahren einen gleichmäßigen Bewuchs mit jungen Stängeln aus. Diese Art der Bewirtschaftung kommt den großen Landgütern in der Region entgegen, Höfen von mehreren Tausend Hektar Fläche, die reichen Einzelunternehmern oder großen Jagdgesellschaften aus Sevilla oder Madrid gehören. Die Region ist berühmt für ihr Wild, und das Labdanum spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn die Zistrose bietet Rebhühnern und Hasen Schutz, und wo Steineichen stehen, sind auch Wildschweine nicht weit.

Doch von Juan Lorenzo lernte ich, was ich bis dahin nicht wusste: Das Harz der Zistrose, das Labdanum, ist das Geschäft der Gitanos. Sie sind schon ewig in Andalusien ansässig, nachdem sie sich am Ende einer jahrhundertelangen Migration ihrer Vorfahren von Nordindien und Pakistan aus hier niedergelassen haben. Von ihrer tragischen Geschichte ist nur wenig bekannt. In diesem Teil Andalusiens gab es Dörfer mit einem großen Bevölkerungsanteil an Gitanos, die Zistrosen sammelten und Labdanum herstellten. Einige Jahre später würde ich in Bulgarien bei der Anpflanzung von Rosen weitere Roma-Dörfer kennenlernen. Am anderen Ende Europas sind die bulgarischen Roma genauso wichtig für die Rosenproduktion wie die Gitanos von Andévalo für das Labdanum – eine bemerkenswerte Parallele der Roma-Gemeinschaften und ihrer Rolle in beiden weit voneinander entfernten europäischen Ländern. Nach der Sesshaftwerdung sind diese Familien zum einen in der lokalen Kultur, zum anderen in ihrer eigenen verwurzelt. Still und bescheiden behalten die Gitanos ihre Geschichte für sich. Auf meine Fragen zu ihrer Vergangenheit – Seit wann produzieren Sie Labdanum und haben Ihre Väter schon dasselbe getan? – antworteten sie nur mit Scherzen und Lachen. Viel lässt sich nicht darüber in Erfahrung bringen. Der Beruf des »Labdanum-Kochers« ist in der Region noch relativ jung und reicht nur bis in die Fünfzigerjahre zurück. Lange wurde die Zistrose an den Ufern des Tajo gesammelt, bevor sich die Ernte Richtung Süden verschob, wo der Bestand der Pflanze sich heute so ausdehnt wie sonst nirgends in Europa. Die Zistrosenpflücker im Westen sind ebenso wie die Rosenpflücker im Osten Außenseiter und Ausgegrenzte, überall übernehmen Roma diese Aufgabe. Nur selten wird gewürdigt, welche Rolle ihre Gemeinschaften bei der Entstehung der legendären Düfte spielen. Aber kommt es ihnen darauf an?

Als Verwalter musste Juan Lorenzo die geeigneten Parzellen für den Bewirtschaftungsplan seiner Flächen auswählen. Ein Tag mit ihm begann früh – in der Bar mit mehreren kleinen sehr starken Kaffees, Brot mit Olivenöl und Käse aus der Region. Selbstverständlich stießen die Gitanos dazu, und es entspannen sich lange Verhandlungen. Nicht auf Spanisch, sondern auf Andalusisch, dem Dialekt, der manche Silben verschluckt und den Worten dadurch noch mehr Vehemenz verleiht. Wir fuhren zu den Feldern, die zu riesigen Anwesen gehörten, und begutachteten die Qualität der Zweige und die Mengen sowie die Zugänglichkeit des Ortes. Juan Lorenzo hatte seine eigene Strategie, Zistrosen zu bekommen, ohne dafür zu bezahlen, und zwar im Tausch gegen Arbeitsstunden auf den Feldern, auf denen Weizen gesät werden sollte. Er kannte sämtliche Clans der Gitano-Dörfer in der Region, und diese Beziehungen waren unverzichtbar, denn das Geschäft mit dem Labdanum ist Familiensache. Er nahm mich überall hin mit, und meine Stellung als ausländischer Projektleiter schien Verbindlichkeit zu vermitteln. So bestellten wir eine bestimmte Anzahl an Fässern mit Labdanum, die die Familien über den Sommer produzieren würden.

 

Ich erlebte mit, was hier jedes Jahr geschah: Weitab der Ortschaften, mitten in der Landschaft, am Ende eines kilometerlangen Weges wird für den Sommer eine Produktionsstätte für das Labdanum von ein oder zwei Gitano-Familien eingerichtet, die einen Passierschein erhalten haben, um auf die Felder eines größeren Anwesens zu gelangen. Dafür ist eine Wasserstelle in der Nähe nötig, am besten ein kleiner Bach, der auch im Sommer Wasser führt, was man an dem von wildem Oleander gesäumten Ufer erkennt. Ein solcher Sommerbetrieb besteht aus etwa zehn alten 200-Liter-Ölfässern, in deren Nähe eine Grube ausgehoben werden muss, um zum Schluss das Kochwasser aufzufangen.

Vormittags, wenn es noch nicht zu heiß für die Arbeit ist, werden die Reisigbündel geschnitten. Zistrosen zu schneiden hört sich erst einmal leicht an. Aber dabei schnell und gut zu arbeiten, ohne sich zu verausgaben, ist eine Kunst. Das Werkzeug, das dafür benötigt wird, ist eine dicke Sichel mit Sägezähnen. Nur der obere Teil der Zweige wird abgeschnitten, der Jahrestrieb, der rot vom Harz und noch biegsam ist. Dabei sollte nicht zu weit unten ins Holz hineingeschnitten werden, wo es schwer zu brechen und unergiebig ist. Die Handbewegungen der erfahrenen Arbeiter beim Schneiden sind beeindruckend. Sie ergreifen mehrere Stängel und brechen und schneiden die Zweige zugleich mit der Sichel, und zwar sehr schnell. Die Büschel bleiben am Boden liegen, bis es genügend für ein Bündel sind. Zum Zusammenbinden der Reisigbündel tragen die Erntearbeiter Schnüre am Gürtel. Unter der Vormittagssonne arbeiten sie sich gebückt Stück für Stück durch das Feld, dann laden sie ihre Reisigbündel mit einer Forke auf einen Eselskarren, bis nichts mehr darauf passt. So wie es bei der Heu- oder Getreideernte bis vor fünfzig Jahren vielerorts in Frankreich auf dem Lande üblich war. Hier hat sich das Leben der Landarbeiter nicht verändert. Und das, obwohl die Zistrose sich deutlich schwerer schneiden lässt als Getreide.

Die Karren werden in der Nähe der Fässer entladen, wo die Frauen bereits das Auskochen der Zistrosen vorbereitet haben, das bis zum Abend dauert. Um die mit Wasser und Natron gefüllten Behälter zu erhitzen, werden die ausgekochten Zweige der Vortage verwendet: Sie werden um die Fässer herum angehäuft und in Brand gesetzt – ein erstaunlicher Anblick in der Nachmittagshitze, wenn Flammen und Rauch unter der Sonne aufsteigen und schließlich den Inhalt der schwarzen Fässer zum Kochen bringen. Mit Forken füllen die Frauen die am Vormittag geschnittenen Reisigbündel hinein. Nach einer Stunde ist das Harz der Stängel und Blätter gelöst, und man kann das Feuer löschen und die Zweige herausnehmen. Bleibt noch die schwierigste Aufgabe, die dem Familienoberhaupt vorbehalten ist. In kurzen Hosen, Flip-Flops und einem harzverschmierten Hemd nimmt er ein Fass mit Schwefelsäure, füllt den Inhalt vorsichtig in einen Eimer und schüttet ihn anschließend in sämtliche Fässer. Alles qualmt und brodelt, je mehr die Säure den Inhalt der Gefäße neutralisiert und das Harz ausfällt. Am Boden des Fasses entsteht ein dickflüssiger Fladen Labdanum. Beim Durchrühren mit einem Stock entweichen Wasser und Luft, bis es eine buttrige Konsistenz und eine schöne beige Färbung annimmt.

Fasziniert beobachtete ich diese Szenen wie aus einem anderen Zeitalter und erkannte hinter der sichtbaren Gelassenheit des Mannes das stille Erbe vieler Generationen, für die das Leben immer hart und das Risiko eine Art Spiel mit dem Schicksal gewesen war. Am Ende des Tages wurden die zwei oder drei Fässer in unsere Fabrik geliefert, wo das Harz nach der Trocknung zu edlen Aroma-Derivaten weiterverarbeitet wurde. Der Duft der Zistrose ist so intensiv, dass er die Pflücker den ganzen Sommer über umgibt, und er begleitete auch mich zurück nach Frankreich in die Landes.

 

Die Geschichte der Gitanos und des Labdanums wird schon bald der Vergangenheit angehören. Abwasser, Feuer mitten im Sommer, Säure und Natron, keinerlei Sicherheitsmaßnahmen – all das konnte nicht ewig so bleiben. Die Behörden der Provinz und der Region haben nach und nach die Produktion reglementiert, und inzwischen produzieren einige ortsansässige Unternehmen Labdanum in sicheren Werkstätten und entsorgen das dabei entstehende Abwasser. Noch gibt es viele Gitanos, die selbst Labdanum herstellen, doch eines Tages werden sie sich mit der Ernte der Reisigbündel begnügen müssen, eine harte, aber gut bezahlte Arbeit. Seit einiger Zeit sind die Gitanos nicht mehr allein mit ihren heiligen Zistrosen: Rumänen sind zu ihnen gestoßen, die ursprünglich Erdbeeren und Orangen an der Küste der Provinz Huelva gepflückt haben und aufgrund der besseren Bezahlung weiter hinauf in die Hügel gekommen sind. So treffen hier zwei Gemeinschaften aufeinander, deren gemeinsamer Ursprung inzwischen zu weit zurückliegt, als dass sie ihn spüren würden.

Juan Lorenzo fragte mich oft, wie das Harz oder das Öl aus seinen Zweigen in die Flakons der Luxusparfums gelange. »Wirst du in Paris und New York von uns erzählen?«, wollte er wissen. »Du musst die Parfümeure mit hierher bringen, dann werde ich ihnen zeigen, warum El Andévalo der schönste Ort auf der ganzen Welt ist.« Selbstbewusst versprach ich es, traute mich aber nicht zuzugeben, dass ich die Parfümeure ebenso wenig kannte wie er … Das Unternehmen, bei dem ich damals beschäftigt war, hatte seinen Sitz in den Landes, weit weg von Grasse oder Genf, und ich wusste nichts von der Parfumindustrie, wie sie funktionierte und wer darin welche Rolle spielte. Mit ein paar Markennamen täuschte ich darüber hinweg, und die Tatsache, dass ich Franzose war, half mir dabei. Doch im Laufe der Zeit und mit dem zunehmenden Erfolg der Fabrik kamen tatsächlich Parfümeure nach Puebla, und Juan Lorenzo war mir dafür sehr dankbar. Es war großartig zu sehen, wie er unsere begeisterten Gäste mit leuchtenden Augen und tadelloser Schirmmütze auf dem Kopf zu den Produktionsstätten und den Pflückern führte. Und der Höhepunkt am Abend war der Schinken von seinem Bauernhof.

 

Puebla de Guzmán ist berühmt für seine romeria, die Pilgerfahrt, die jedes Jahr Ende April zu Ehren der Virgen de la Peña, der Kirchenpatronin, stattfindet. Schon bei meinem ersten Besuch im Ort hatte ich davon gehört. Mit mehreren Zehntausend Pilgern aus ganz Andalusien und Hunderten Reitern war das Fest der ganze Stolz des Dorfes, sozusagen seine Existenzberechtigung. Ein Jahr nach unserer ersten Begegnung lud Juan Lorenzo mich ein, offiziell an der Pilgerfahrt teilzunehmen, was bedeutete, dass ich die traditionelle andalusische Kleidung anzog und mich zwei Tage lang aufs Pferd setzte. Am Morgen der Feierlichkeiten versammelten sich alle Reiterinnen und Reiter, um in einer Prozession den kilometerlangen, von Zistrosen gesäumten Weg hinaufzureiten bis zur Bergspitze, die von der Kapelle der Heiligen Jungfrau gekrönt wird. Die Frauen, die im Damensitz ritten, trugen Reiterinnenkluft, diejenigen, die hinter ihren Reitern aufsaßen, Flamencokleider. In meinem Sattel auf einem schönen Pferd, mit dem flachen Hut auf dem Kopf, der grauen Weste und ledernen Beinschützern fühlte ich mich wie in einem Kostümfilm. Ich folgte Juan Lorenzo inmitten unseres Zuges abseits der Straße den Berg hinauf, eine elegante, farbenfrohe, stille Karawane auf einem Pfad zwischen Eukalyptus und Zistrosen. Als wir an der Einsiedelei ankamen, stiegen die Reiter ab und banden ihre Pferde im Schatten der Steineichen fest. Die Statue der Jungfrau Maria wird nur ein Mal im Jahr hervorgeholt und von einem Dutzend Auserwählter getragen, deren Wahl kompliziert und streng abläuft und und eine Ehre ist, auf die manch einer zehn Jahre wartet. Nach und nach füllte sich der Kapellenvorplatz mit Tausenden von Menschen, und als schließlich die Träger mit der Statue erschienen, war die leidenschaftliche Stimmung auf dem Höhepunkt. Es wurde geweint, gebetet, gesungen, alle wollten die Statue berühren, und der Zug kam kaum voran. Ich empfand all das als überwältigend und unwirklich zugleich. Alles, was ich in den vergangenen Monaten über die Kultur und das Leben vor Ort erfahren hatte, wurde in dieser großartigen, aus dem Alltag und der Zeit gefallenen Zeremonie mit Sinn gefüllt. Die Zistrose hatte mich hierher geführt, wie an das Ende einer Geschichte.

Schließlich gelang es uns, näher zu treten. Da war sie, die Jungfrau, auf ihrem Thron, eine große Statue in prächtigem Gewand, die nun auf Schulterhöhe hochgehoben wurde. Auf ihrem goldbestickten dunkelroten Mantel prangte eine große Zistrose, prachtvoll und für alle sichtbar. Große weiße Blütenblätter auf einem goldenen Stängel und mittendrin fünf rote Flecken: die »Tränen Christi«.

Ich war ergriffen. Hier oben auf dem Hügel verkörperte die Blume auf dem Mantel ganz selbstverständlich den zauberhaften Duft der Zistrosenfelder im Sommer, wenn die Luft vibriert und die Sonne das Harz auf den Blättern glänzen lässt – ein feiner Film, wie geschmolzenes Metall, das aus der überhitzten Erde der einstigen Bergbauregion von El Andévalo aufsteigt.

Blau in Hülle und Fülle

Haute-Provence, Lavendel

»Ich kenne Lavendel seit meiner Kindheit, aber etwas so Gutes habe ich glaube ich noch nie gerochen.« In seinem mit dickem Teppichboden ausgestatteten Büro in Neuilly, das Teil eines Gebäudes aus Glas und Aluminium ist, nahm der Parfümeur Fabrice sich Zeit für die Begutachtung. Zwischen den Fingern hielt er einen Teststreifen aus Papier, dessen Spitze er in ein kleines Fläschchen mit Öl tauchte. Er führte ihn unter seiner Nase entlang, hin und her, legte ihn ab, nahm ihn erneut zur Hand, schwieg. Der Teststreifen ist das Werkzeug des Parfümeurs, die Verbindung zwischen Flakon und Nase, eine erste Annäherung vor dem Riechen auf der Haut. Ich beobachtete, wie er sich auf die neue Probe konzentrierte, die ich ihm mitgebracht hatte. Fabrice stammt aus Grasse und ist einer der großen Parfümeure, er ist spezialisiert auf Duftrohstoffe natürlicher Herkunft und pendelt zwischen Paris und seiner Heimatstadt. Er ist schüchtern und wortkarg, aber seine hellblauen Augen leuchten jedes Mal auf, wenn ein neuer Duft ihn überrascht. In Neuilly gehört er zu dem Team in unserer Firma, das neue Kreationen für die Luxusparfümerie entwickelt. In Grasse prüft er, welche neuen Duftnoten interessant sein könnten, um damit in unseren Laboren zu arbeiten. Egal ob es um neue Pflanzen oder neue Extraktionsmethoden geht, Fabrice urteilt als olfaktorischer Richter über all das. Vor mir war sein Tisch übersät mit kleinen Glasfläschchen, Dutzenden Proben, an denen er täglich für eines seiner vielen laufenden Projekte arbeitete, die von Robotern abgewogen und gemischt wurden.

 

Allein oder in der Gruppe – Parfümeure arbeiten immer an mehreren Parfumkompositionen gleichzeitig. Sie richten sich dabei nach den »Briefings«, mit denen eine Marke die Note beschreibt, die sie für das nächste geplante Parfum sucht. Ihre Rezepturen sind komplexe Gebilde, ausgeklügelte Zusammenstellungen Dutzender Bestandteile, natürlicher ebenso wie synthetischer. All diese Ingredienzien werden chemisch und olfaktorisch genau dokumentiert und müssen über das Jahr hinweg ihren ganz bestimmten Duftcharakter wahren, den der Parfümeur in Erinnerung behält. Mögliche Qualitätsschwankungen dürfen das Gleichgewicht einer Rezeptur nicht verfälschen, und genau das ist eine Schwierigkeit für meine Aufgabe bei der Beschaffung. Qualität und Zuverlässigkeit sind unter allen Umständen zwingend erforderlich für den, der die Naturprodukte einkauft. Wenn der Kunde es wünscht, müssen die Parfümeure ihre ursprüngliche Idee immer wieder abwandeln, bevor sie ein Projekt tatsächlich umsetzen können. Ihr Alltag ist ebenso von Frust und Enttäuschung begleitet wie von dem Ruhm, den Zeitschriften und Öffentlichkeit den »Nasen« zuschreiben.

 

Fabrice ist bekannt für seine Kreationen bei Marken wie Diptyque, Réminiscence oder L’Artisan Parfumeur, die für eine hochwertige Parfümerie stehen. Hier entfaltet er sein Talent in kunstvollen Duftgebilden aus Naturprodukten, die ihm bereits große Erfolge bei Paco Rabanne, Jean Paul Gaultier und Azzaro beschert haben. Er war mir eine große Hilfe beim Riechenlernen. Eigentlich sind eine echte Ausbildung und jahrelange Praxiserfahrung in diesem Beruf unerlässlich, doch ich habe zumindest einige Grundkenntnisse erworben, um auf den Feldern und in den Betrieben die grünen oder süßen Facetten eines Blumenduftes zu erspüren, die gebrannte Note in frischen Essenzen wiederzuerkennen und mich mit einem eher anschaulichen als beschreibenden Vokabular vertraut zu machen. So spricht man von metallischen oder erdigen Noten, von frisch geschnittenem Heu, Kuhstall, salziger Haut, neuem Leder … Fabrice hat mir einen kleinen Schatzkoffer mit auf den Weg gegeben, den ich immer bei mir trage. An jenem Tag sprachen wir über Lavendel, der, obwohl ihn jeder kennt, immer wieder aufs Neue entdeckt sein will. In der provenzalischen Julisonne duftet er nach dem vielleicht bekanntesten und erschwinglichsten Parfum überhaupt, einem Parfum, bei dem man an Sommer denkt, an Wäscheschränke, an die Frische von Kölnischwasser. Lavendel ist der Lieblingsduft der Franzosen und das Symbol der Provence, der Duft des Südens, Südfrankreichs und des Mittelmeers. Unter dem weiten, stets unwiderstehlich blauen Himmel changiert die Farbe der Lavendelfelder, die weder richtig blau noch richtig lila sind. Je nach Lichteinfall und Tageszeit, je nach Ausrichtung und Größe der Anpflanzungen ändern sich die Nuancen. Heute wird Lavendel überall auf der Welt angebaut, doch seine Wurzeln liegen hier. Seit jeher ist Lavendel das französische Produkt, wenn es um Aromen geht. Alle mögen ihn und erkennen seinen Duft.

Als Fabrice mit strahlenden Augen und provenzalischem Akzent von den Blütenständen des Lavendels sprach, musste ich unweigerlich an den Himmel der Haute-Provence denken: »Ein schöner Lavendel riecht kräftig, frisch, stechend und aufregend. Er riecht nach Sauberkeit, nach Sonne auf weißer Wäsche.« Wir wussten beide, dass Bulgarien inzwischen der große Lavendelöl-Lieferant für die Parfümerie war und Frankreich bei der Produktion den Rang abgelaufen hatte. Schwer zu akzeptieren für jemanden, der aus der Provence stammt, und er fragte: »Ich bekomme regelmäßig bulgarische Produkte zu riechen, aber die meisten sind recht flach und haben eine pilzige Note, fast wie Roquefort. Der Lavendel, den du mir hier zeigst, ist klar und edel. Woher kommt die Probe?« Also erzählte ich ihm alles: Wie die Produzenten aus der Provence um jeden Preis den französischen Lavendel retten wollten, der von der ausländischen, günstigeren Konkurrenz bedroht war. Wie ich Jérôme kennengelernt hatte, der seit drei Jahren eine neue Kreuzung anbaute und mich erwartungsvoll gefragt hatte, ob ich seine Proben nicht unseren Parfümeuren vorstellen könnte. Fabrice war begeistert. »Das ist toll, das will ich unbedingt sehen …« In Sekundenschnelle war die Sache besiegelt, wir würden zusammen in den Süden fahren, nach Manosque, und von dort aus hinauf zu den Feldern von Jérôme. Im Regal hatte Fabrice neben den Flakons seiner erfolgreichen Parfums einige alte Fotos stehen, die die Blumenernte in Grasse zeigten – Jasmin, Nachthyazinthe und Rosen – und einen alten Alembik für Lavendel auf einem Karren. Der Sohn eines Parfümeurs fühlt sich als Erbe dieser langen Geschichte, die er selbst bis heute weiterschreibt. In Paris ist Fabrice ein wenig im Exil.

 

Für mich als Enkel einer provenzalischen Großmutter bedeutete die Reise nach Manosque vor allem eine Begegnung mit meinen Kindheitserinnerungen an die Ferien im Süden, an ein Haus, dessen Schränke allesamt nach Lavendel dufteten. Meine Großmutter hatte als Schülerin in Digne-les-Bains Anfang des Jahrhunderts den Siegeszug des Lavendels miterlebt. Wenn sie davon erzählte, verfiel sie immer in den Dialekt ihrer Heimat. Sie erzählte von Lavendel, von Olivenzweigen und von kandierten Früchten zu Ostern. Vor dem Ersten Weltkrieg drangen die Grundschullehrer nach dem Unterricht darauf, dass die Kinder ihre Eltern dazu anhalten sollten, Lavendel zu pflanzen. Die Familien sollten sich für die Sache der Region einsetzen.

Selbstverständlich steht Manosque auch für seinen großen Schriftsteller, Jean Giono. In Provence schreibt er, erlesener Lavendel wachse nur im Hochland, in den Ausläufern der Montagne de Lure, und darin verkörpere sich der Geist der Haute-Provence. Historisch verortet er ihn vor allem zwischen Alpen und Provence in armen steinigen und windigen Regionen mit Schafen. In den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts lebte eine ganze Region für den Lavendel. Alles drehte sich um den Anbau, die Alembiks, die Märkte in Digne und Manosque, auf denen das Öl gehandelt wurde. Giono schreibt: »Zur Erntezeit des Lavendels duften die Nächte. Die Farbe der Spreu der geschnittenen Blüten leuchtet im Sonnenuntergang. Die einfachen Destillieröfen, die neben den Zisternen stehen, lassen rote Flammen in den Nachthimmel lodern.«

 

Doch die Geschichte reicht noch deutlich weiter zurück. Bereits in der Antike ernteten die Schäferfamilien der Regionen mit der Sichel die baïassières, große Flächen von wildem Lavendel, der in Büscheln an den Berghängen wuchs. Die ersten erhaltenen Alembiks gehen auf das siebzehnte Jahrhundert zurück. Seit 1850 war die Nachfrage nach Lavendelöl so groß, dass die Destillation sich veränderte und ausweitete. Auf die kleinen, einfachen Alembiks, die am Feldrand aufgestellt wurden, folgten Modelle, die von Dorf zu Dorf über Land transportiert wurden, um auf Wunsch die Lavendelbündel zu destillieren, die die Bauern brachten. Diese Alembiks gehörten fast ein ganzes Jahrhundert zum Leben in der Region. Die Eselskarren mit den Kupferbottichen wichen nach und nach den Lastern, doch die Funktionsweise blieb dieselbe. Um 1890 begann man mit der Anpflanzung von Lavendelfeldern, um auf die Nachfrage der Industrie zu reagieren. Angesichts der schrecklichen Verluste während des Ersten Weltkrieges fehlte es hinterher an Arbeitskräften für die Ernte des wild wachsenden Lavendels in den Bergen, die damit ein Ende fand. Julien, der Bruder meiner Großmutter, wurde 1915 an der Somme im Alter von zwanzig Jahren getötet. Sie sprach nie darüber, lieber erzählte sie uns von ihren Erinnerungen rund um den Lavendel.

 

Mit der Kultivierung verschwand der Lavendel nach und nach aus den Bergen, und der Duft der Blütenstände veränderte sich. Das Öl verlor etwas von seinem Charakter, es galt als weniger »edel«. Das war der Preis für den riesigen Erfolg des Lavendels, der über ein Jahrhundert hinweg eng verbunden war mit der Entwicklung der Parfümerie in Grasse und dem spektakulären Aufstieg ortsansässiger Unternehmen und ihrer Parfumhäuser. Die Zwanziger- und Dreißigerjahre waren zugleich der Höhepunkt des Lavendels, das Goldene Zeitalter von Grasse und das der natürlichen Rohstoffe. Große Namen wie Schimmel, Lautier und Chiris wurden bis in die Sechzigerjahre mit der Stadtgeschichte in Verbindung gebracht. Um ihren Bedarf an Öl zu decken, siedelten diese Firmen allesamt große Destillerien in der Haute-Provence an. Der Lavendel trug dazu bei, aus Grasse die Welthauptstadt des Parfums zu machen.

 

Als Fabrice und ich in Manosque ankamen, führte unser Weg zunächst hinauf Richtung Valensole. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das große Plateau nur eine Steinfläche, auf der Eichen und Pinien wuchsen, Schafe weideten und Mandelbäume angepflanzt wurden. Im Februar, wenn die Mandelbäume blühen, war der Anblick des Plateaus bezaubernd, doch der Frost machte die Ernte jedes dritte Jahr zunichte. Mandeln waren ein Produkt elender Verhältnisse. Meine Großmutter erinnerte sich, dass die Frauen, die zum Knacken angestellt waren, mit den Schalen bezahlt wurden, einem Nebenprodukt ihrer Arbeit, das sie zum Heizen verwendeten. Die Mandeln waren vor allem für die Nugatherstellung vorgesehen, und immer, wenn wir