Europa muss sich rechnen - Gabriel Felbermayr - E-Book

Europa muss sich rechnen E-Book

Gabriel Felbermayr

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Beschreibung

Inflation, Energiekrise, steigende Staatsverschuldung, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, löchrige Außengrenzen: Der wirtschaftliche Zustand Europas wirkt düster, obwohl gerade in geopolitisch gefährlichen Zeiten ein starkes, dynamisches Europa der beste Garant für Prosperität und Sicherheit der Mitgliedstaaten ist. Dazu kommt der Eindruck, europäische Politik sei bürokratisch und bürgerfern, gefangen in Streitereien über Verteilungsfragen. Starökonom Gabriel Felbermayr zeigt in seiner pointierten Analyse Europas, seiner Wirtschaft und seiner Rolle in der Welt: Wir stehen besser da, als viele meinen. Um aber weiterhin Wohlstand und Sicherheit zu garantieren, muss die EU spürbare Vorteile für die Bürger*innen und für die Länder bringen. Das heißt: Die Europäische Union muss sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und das, was sie tut, besser machen. Nur so findet sie im Inneren ausreichend Zustimmung und nach außen Gehör. Warum der Schlüssel dazu in der Vollendung der Wirtschaftsunion liegt und wir uns zu einer Union der gemeinsamen öffentlichen Güter weiterentwickeln müssen, zeigt dieses eindrucksvolle, realistische Plädoyer für ein zukunftsfähiges Europa.

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Vorwort des Herausgebers

1 Einleitung

2 Die EU sollte sich darauf konzentrieren, Mehrwert zu schaffen

3 Kronjuwel Binnenmarkt

4 Der Euro: Der Weg zu einer »normalen« Währung

5 Von Nettozahlern und Nettoempfängern

6 Warum die EU ein größeres Budget braucht, aber keine Schuldenunion werden sollte

7 Europäisches Geld für europäische öffentliche Güter

8 Ein Budgetrecht für das EU-Parlament

9 Lehren aus dem Brexit oder Vertiefung versus Erweiterung

10 Schengen, Einwanderung und Asyl: So kann es nicht bleiben

11 Europa, der Freihandel und die neue Geoökonomik

12 Schlussfolgerungen

Anmerkungen

Der Autor

Impressum

Vorwort des Herausgebers

Unsere Welt befindet sich in tiefgreifendem, rasantem Wandel. Der Umbruch der Gesellschaft mit ihrer zunehmenden Komplexität und der Umbruch politischer Ordnungen führen zu neuer Unübersichtlichkeit, welche wachsende Verunsicherung erzeugt.

Um dies abzuwenden, bedarf es Orientierung und zukunftsfähiger Perspektiven. Und es wird fundiertes Wissen über die großen Themen der Gegenwart benötigt, um durch die Flut von Daten, Halbwahrheiten und Fake News navigieren zu können und sich zurechtzufinden. Aus diesem Grund nehmen führende Intellektuelle, Expertinnen und Experten in der Reihe Auf dem Punkt zu den großen Fragen unserer Zeit Stellung.

Europa, aber wo liegt es? Dies ist trotz beachtlicher Integrationserfolge immer noch die Frage. Dieser kleinere Teil der eurasischen Landmasse war die längste Zeit der Zivilisationsgeschichte, der Flusskulturen und des Mittelmeerraumes in einer Randlage des Römischen Reichs. Aus seiner geografischen und politischen Vielfalt ist nie ein europäisches Imperium entstanden, auch wenn es darum ständig Kämpfe gab. Wohl aber sind aus der Randlage der Küstenländer riesige Kolonialreiche, allein das Britische Empire, entstanden. Der Aufstieg der USA und die beiden Weltkriege haben die Bedeutung Europas beendet, die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem wirtschaftlichen Aufstieg geführt, euphorisch als »Wirtschaftswunder« betrachtet, allerdings in einem durch den »Eisernen Vorhang« getrennten. Dies war nur durch die Hilfe der USA und ihres Sicherheitsschirmes möglich. Beigetragen hat dazu auch die mit der Montanunion beginnende europäische Integration. Allerdings ist aus der Vielfalt immer noch nicht die erforderliche selbstständige Einheit entstanden. Noch immer ist diese durch inzwischen zunehmende kleinstaatlich-nationalistische Vielfalt beeinträchtigt. Die geopolitischen Bedrohungen, die geoökonomischen Fragmentierungen, die Energie- und Rohstoffabhängigkeit, der zunehmende Rückstand bei der Entwicklung von Schlüsseltechnologien und der Mangel an eigenem Sicherheitspotential stellen für Europa eine große Gefahr dar. Es gilt: »Either we hang together or we will hang separately«.

Dr. Hannes Androsch

1

Einleitung

Denk ich an Europa in der Nacht,

dann bin ich um den Schlaf gebracht.

So beginnt Heinrich Heine sein Gedicht »Nachtgedanken«. Oder fast – denn statt an Europa hat er 1844 im Pariser Exil an Deutschland gedacht. Es plagt ihn Heimweh, aber ebenso verzweifelt der liberale Dichter am schier aussichtslosen Kampf um Demokratie und Einigkeit zwischen den deutschen Kleinstaaten, die der fortschreitenden Industrialisierung und dem Wettlauf der anderen europäischen Mächte um Macht und Einfluss in der Welt nicht gewachsen scheinen.

Denkt man heute an Europa in der Nacht, kann man kaum verhindern, von ähnlichen Sorgen befallen zu werden. Europa – damit ist in diesem Buch in der Regel die Europäische Union (EU) gemeint, und umgekehrt -- ist zwar seit dem Zweiten Weltkrieg zweifellos sehr weit gekommen, aber der Einigungsprozess scheint in der Krise zu stecken. Europa wird technologisch von Ost und West abgehängt, es steht der immer schärfer werdenden geopolitischen Polarisierung hilflos gegenüber, seine demographische Entwicklung macht einen weiteren Verlust an relativer Bedeutung in der Welt unvermeidbar, an seinen Grenzen herrschen Krieg und Flüchtlingschaos, und zentrale Stützen des gemeinsamen europäischen Hauses fallen weg (Großbritannien) oder lassen sich von den Feinden eines starken und geeinten Europas instrumentalisieren (Ungarn).

Auch das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa, Deutschland, ist im globalen Maßstab für sich genommen ein sehr kleiner Spieler.

Über Europa kann man also in der Tat seinen Schlaf verlieren. Da mag es durchaus verständlich sein, wenn so mancher erst gar nicht über den Zustand und die Zukunft unseres alten Kontinents nachdenken möchte. Aber wer das trotzdem auch nur eine Sekunde lang tut, kommt unweigerlich zum Schluss, dass es für die Europäer keine bessere Alternative gibt, als das Integrationsprojekt weiter voranzutreiben und zu verbessern. Und gerade aus dieser Erkenntnis resultiert angesichts von Stillstand oder sogar Rückschritt fast zwangsläufig Frustration und Schlaflosigkeit.

Auch das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa, Deutschland, ist im globalen Maßstab für sich genommen ein sehr kleiner Spieler. Seine Bevölkerung macht circa 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, Tendenz stark sinkend. Seine Wirtschaftskraft beläuft sich auf ungefähr 4 Prozent der globalen Bruttowertschöpfung, sein Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß auf ungefähr 2 Prozent. Es ist offensichtlich, dass das Land aus eigener Kraft in der Welt wenig bewirken kann; auf sich allein gestellt wäre es in geopolitisch unruhigen Zeiten sehr verletzlich. Umso stärker gilt das für alle anderen EU-Staaten, die noch weniger Gewicht auf die Waagschale bringen als Deutschland. Ganz offensichtlich ist das Argument natürlich für kleinere europäische Länder wie Österreich, dessen relative Bedeutung in der Welt in den meisten einschlägigen Statistiken ungefähr ein Zehntel Deutschlands ausmacht.

Europa ist ein Flickenteppich von Kleinstaaten. In einer Welt, die sicherheitspolitisch und wirtschaftlich von einem »gutmütigen Hegemon« bestimmt wird, mag das kein Problem sein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg, und vor allem nach dem Ende des Kommunismus sowjetischer Spielart rund um das Jahr 1990, als gutwillige globale Ordnungsmacht agiert, die das regelbasierte System abgesichert hat. Von dieser Rolle hat sich Amerika verabschiedet, und ein Zeitalter von intensiver Systemrivalität hat begonnen – zwischen den Machtpolen USA, China, künftig wohl auch Indien. Statt Politik mit Blick auf die gemeinsamen globalen Herausforderungen zu machen, geht es wieder vermehrt um die Durchsetzung nationaler Egoismen. Statt multilateraler Institutionen geben nationale Regierungen die Regeln vor. Statt der Herrschaft des Rechts dominiert wieder handfeste Machtpolitik.

In einer Welt, die immer stärker in politische und wirtschaftliche Blöcke zerfällt, die sich nicht immer wohlwollend gegenüberstehen, ist die Zusammenarbeit innerhalb Europas die beste Option, um politische und wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, die erreichten Errungenschaften zu verteidigen und auszubauen und um gemeinsame Interessen durchzusetzen. Dabei braucht es aber einen Grundkonsens darüber, wie Europa funktionieren soll. Damit dieser sich entwickeln kann, ist eine tabufreie Diskussion erforderlich, was Europa leisten soll, welche Materien bei den Mitgliedsstaaten verbleiben sollen und unter welchen Organisationsstrukturen Europa effektiv und effizient funktionieren kann. Gute Antworten auf diese Fragen werden in dem Maße immer wichtiger, wie der Wind auf den Weltmärkten und in der Weltpolitik rauer wird. Die bisher geltenden institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen der globalen Ordnung passen gut zum demokratischen, marktwirtschaftlichen, freiheitlichen System, zu dem sich die Bevölkerungen und politischen Eliten Europas immer noch in großer Mehrheit, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, bekennen. Es droht eine Veränderung der globalen Rahmenbedingungen zu Ungunsten des alten Kontinents. Diese ist bereits im Gange. Die jüngste Erweiterung des sogenannten BRICS-Verbandes, des losen Zusammenschlusses von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika um sechs weitere Länder (Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate) ist nur ein deutlicher weiterer Schritt in einem längeren Prozess. Eine weniger stark auf die Interessen Europas und der USA zugeschnittene Weltordnung mag dem einen oder der anderen vielleicht gerechter erscheinen, sie bedeutet im »Westen« aber fast zwangsläufig Wohlstandseinbußen. Sie bringt außerdem Werte, die bisher als universell galten, wie die Menschenrechte oder demokratische Mitbestimmung, unter Druck. Wollen die europäischen Länder nicht unter die Räder kommen, müssen sie erstens zusammenarbeiten und zweitens ihre Zusammenarbeit besser organisieren.

Das globale Umfeld ist indes nur ein, wenn auch zentraler Faktor. Auch andere Megatrends erfordern ein neues Nachdenken über Europa. Allen voran ist der Klimawandel zu nennen, der zu starken Migrationsbewegungen führen wird, für die sich Europa rüsten muss. Während es in relativ nahe gelegenen Weltregionen – Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten, Zentralasien – Geburtenüberschüsse gibt, geht die einheimische Bevölkerung in Europa zurück. Auch durch technologische Veränderungen – die Digitalisierung aller Lebensbereiche – werden die Karten neu gemischt. Europa braucht auf diese Megatrends Antworten. Sie haben eines gemeinsam: Ohne ein gemeinsames, wenigstens stark koordiniertes, Vorgehen hat der alte Kontinent keine Chancen, seine Interessen zu wahren.

Daher ist es von großer Bedeutung, dass in Europa Reformprozesse beginnen, die wirtschaftlich und politisch neuen Schwung bringen. Dabei wird es nicht ohne Zugeständnisse gehen. Die Mitgliedsstaaten müssen bereit sein, noch stärker zusammenzuarbeiten; umgekehrt sollte manches, was heute in Brüssel entschieden und verwaltet wird, wieder stärker in die Verantwortung der Mitgliedsstaaten gehen. Die europäischen Behörden müssen bürgernäher und demokratischer werden. Und für den innereuropäischen Ausgleich an Interessen und wirtschaftlichen Vorteilen braucht es passende Instrumente. Jedenfalls ist klar, dass die europäischen Strukturen für ganz andere Bedingungen geschaffen wurden. Die Zollunion stammt aus den 1960er-Jahren, der Binnenmarkt aus den 1980er-Jahren, die Währungsunion aus den frühen 1990ern. Und eine europäische industriepolitische Strategie, die angesichts zunehmenden Standortwettbewerbs immer dringender wird, muss erst einmal gefunden werden.

Das bereits Erreichte ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Der europäische Einigungsprozess hat dem Kern Europas viele Jahrzehnte Frieden und Wohlstand gebracht. Demokratie und soziale Marktwirtschaft haben sich ausgedehnt. Heute sind Länder in der EU, die vor einer Generation kommunistische Diktaturen waren. Noch in den 1970er-Jahren waren Spanien, Portugal und Griechenland autoritär regierte und isolierte Länder. Auch heute ist die Lage in Europa oft besser als vielfach behauptet. Der soziale Ausgleich funktioniert in den meisten EU-Staaten gut, das Gesundheitswesen schafft steigende Lebenserwartung. Die Universitäten sind zwar fragmentiert, bringen aber immer wieder Nobelpreisträger und -trägerinnen hervor. Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten, etwa gemessen durch das Verhältnis des Pro-Kopf-Einkommens des reichsten und des ärmsten Landes oder durch den Variationskoeffizienten, sinken. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in der EU schließt langsam, aber stetig zum US-Niveau auf, in den letzten Jahren getrieben vor allem durch Wachstum in Mittel- und Osteuropa. Europas Anteil an den globalen Exporten von Gütern und Dienstleistungen liegt mit circa 15 Prozent noch immer deutlich über dem Anteil Chinas oder der USA, der Anteil bei den Importen liegt gemeinsam mit den USA bei ebenfalls circa 15 Prozent und signifikant über jenem Chinas.1 Die Treibhausgasemissionen Europas gehen zurück, sowohl absolut als auch relativ. Waren die aktuellen Mitgliedsländer der EU in den 1960er-Jahren für ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich, so liegt der Anteil heute bei 7 Prozent.

Die Europäische Union ist deutlich weniger unbeliebt bei ihren Bürgern, als oft unterstellt wird. Das belegen die Auswertungen der halbjährlichen Eurobarometer-Umfragen immer wieder. Doch sie büßt zusehends an Wettbewerbsfähigkeit ein. In vielen Branchen geht die Technologieführerschaft verloren. Während Länder wie China, die USA und immer mehr auch Indien, Brasilien und Saudi-Arabien ihre geoökonomischen Interessen erstens besser zu kennen scheinen und zweitens viel vehementer vertreten, schwindet der Einfluss des alten Kontinents. Das Bildungssystem ist in den meisten EU-Staaten nicht Weltklasse, obwohl der schwachen demographischen Entwicklung am besten mit einer Qualitätsoffensive entgegengetreten wird.

Und in vielen Bereichen ist der Integrationsprozess halbfertig. Das ist ein Problem. Oft ist dieser Limbo-Zustand gefährlich – etwa in der Geld- und Fiskalpolitik oder in der Einwanderungspolitik. Europa muss sich entscheiden: entweder die entscheidenden Integrationsschritte weitergehen, um das Projekt zukunftsfest zu machen, oder die Mitgliedsstaaten wieder stärker in Verantwortung bringen. In manchen Politikfeldern sollte es zu einer weiteren Europäisierung kommen – etwa in weiten Teilen der Wirtschaftspolitik, der Verteidigungspolitik oder der Forschungspolitik; in anderen Bereichen könnte das Gegenteil angesagt sein, etwa im Bereich der Agrarpolitik. Jedenfalls zwingt die weltpolitische Situation zu raschen Weichenstellungen, will Europa nicht unter die Räder geraten.