Europa und das Reich -  - E-Book

Europa und das Reich E-Book

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Beschreibung

Mit der Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II. 1806 erlosch nach beinahe 850 Jahren das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Dennoch haben besonders für die Deutschen die Institution des Reichs und der europäische Kulturraum bis heute ein eigentümliches Verhältnis zueinander, dem dieser Sammelband in vier Abschnitten nachspüren möchte. Dem Rückblick auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und dessen historisch-kultureller sowie spiritueller Bedeutung widmen sich Pater Thomas Jentzsch, Martin Schwarz und der Herausgeber. Das gleichermaßen Spannungen und Synergien einschließende Verhältnis zwischen Europa und Reich beleuchten Univ.-Prof. Dr. Hans-Kristof Kraus, Univ.-Prof. Dr. Felix Dirsch, Dr. Ulrich March, Dr. Hans-Georg Meier-Stein, Karl Richter, Robert Steuckers, Sebastian Pella und Jürgen Schwab. Der besonderen Perspektive des Grafen Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi auf "Paneuropa" sind Beiträge von Herbert Jöll und Marcel Grauf gewidmet. Über die Zukunft Europas debattieren Dr. Albert Pethö, Dr. Claus-Martin Wolfschlag, Barbara Rosenkranz, Philip Stein, Benedikt Kaiser und Ettore Ricci. Weitere Analysen insbesondere der Situation auf dem nie ganz ruhigen Balkan runden den Sammelband sinnvoll ab.

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Wolfgang Dvorak-Stocker (Hg.)

EuropaUND DASREICH

Umschlaggestaltung: DSR – Digitalstudio Rypka, 8143 Dobl

Umschlagabb. Vorderseite: WikiMedia Commons / Heralder & Tom-L (CC BY-SA 3.0)

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter https://www.dnb.de abrufbar.

Anmerkung des Verlags:

Das Recht zu einem Abdruck in einem Sammelband wurde uns von den Autoren in der Regel bereits zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung ihres Beitrags in der Zeitschrift „Neue Ordnung“ bzw. „Abendland“ eingeräumt. Da hier alle Beiträge in der ursprünglichen Fassung ohne weitergehende Aktualisierung wiedergegeben sind, müssen sie im einzelnen nicht dem heutigen Wissensstand bzw. der heutigen Auffassung ihrer Verfasser entsprechen.

Hinweis

Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

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Tel.: +43 (0)316/82 16 36

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E-Mail: [email protected]

www.ares-verlag.com

ISBN 978-3-99081-104-7

eISBN 978-3-99081-122-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by Ares Verlag, Graz 2022

Layout: Ecotext-Verlag Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, Wien

Inhalt

Wolfgang Dvorak-Stocker: Vorwort

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

Thomas Jentzsch: Das Heilige Römische Reich und die Deutschen

Deutschlands Aufgabe

Der Nationalstaat

Der Weg in die Zukunft

Deutschland, das Israel des Neuen Bundes

Wolfgang Dvorak-Stocker: Das Kaisertum

Die Ausdehnung des Reiches

Zweigewaltenlehre

Selbstkrönung

Herr über den Papst

Die deutschen Päpste

Der Investiturstreit

Heinrichs Sieg bei Canossa

Der Friedenskaiser

Weltherrschaft

Gefangenschaft

Martin Schwarz: Kaiser des Abendlandes. Reichsidee, Katholizismus und Heidentum

Ex oriente Abul Abbas

Parzifal und der Priesterkönig

Die letzten Ghibellinen

Martin Schwarz: Dante und die beiden Schwerter des katholischen Ghibellinentums

Europa und das Reich

Jürgen Schwab: Die Reichsidee. Ein Konzept für Europas Zukunft?

Reichsbegriff und Reichsidee

Die vielfältige Reichstradition

Welche Völker umfaßt das Reich?

Kaiser- und Königreich zugleich

Karl Richter: Warum wir noch lange nicht mit der Reichsidee fertig sind

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

Drei Reiche ohne Transzendenz

Die Aufgaben des Reiches

Das Reich kehrt wieder

Robert Steuckers: Das Reichsprinzip. Geopolitik und Spiritualität

Die Strategie der Seemächte

Rußland und der pontische Raum

Von den Protoiranern zu den Goten

Das Erbe Roms

Die historischen Dimensionen des Reichsbegriffs

Der Osmanismus als ahrimanisches Prinzip

Der Kampf zwischen Westen und Osten

Rhône, Rhein und Donau

Fortbestand der tellurischen Fakten

Über die politischen Grundsätze jedes „Reichs“

Reichsdiener aus allen Nationen

Echte Multikulturalität und todbringende Multikulturalität

Ein Ideal der Einfachheit und der Strenge

Die iranische Tradition gelangt durch die Kreuzzüge nach Europa

Die „neue Reichskanzlei“ nach Carl Schmitt

Hans-Georg Meier-Stein: Gewinnt die Reichsidee an Aktualität? Ein Abgesang

Die alten Götter sind gestürzt

Ein Zusammenbruch mit einzigartigen Folgen

Der antifaschistische Gegenmythos

Konsumgesellschaft

Keine Restauration möglich

Der verlorene Osten

Eine Revolution wird nicht stattfinden

Der Niedergang Europas

Hans-Christof Kraus: Der Traum vom heiligen Reich. Preußens und Österreichs Konservative im 19. Jahrhundert

Wolfgang Dvorak-Stocker: Ende und Wiedergeburt des Reiches. Zum 200. Todestag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation

Das österreichische Kaiserreich

Das Ende des Reiches

Die Idee des Reiches

Der Traum vom Reich im 19. Jahrhundert

Reichsidee versus Nationalismus und Imperialismus

Das Reich und Österreich

Ohne das Reich zerbricht Europa

Die Reichsidee – heute noch aktuell?

Benedikt Kaiser: Leben im Mythos. Literatur und Nationswerdung in Montenegro

Njegoš – Vater des Landes

Chronist des Landes: Djilas

Stalinismus, Titoismus – Djilasismus?

Ost-West-Scheidelinie und Ivo Andrić

Montenegrinische Literatur

Njegoš und Djilas als montenegrinische Legenden

Benedikt Kaiser: Albanien und Europa. Geschichte einer schwierigen Beziehung

Österreich hilft zur Unabhängigkeit

Im Zweiten Weltkrieg

Atheistisch und stalinistisch

Albanien heute

Johannes Schüller: Der Weg nach Eurasien. Dostojewski, Danilewski, Dugin: Marksteine russischer Identität

Die Dekabristen: Volksbegriff der deutschen Romantik

Der Nationalismus begann in Rußland konservativ

Die Slawophilen: Dorfgemeinschaft als Ideal

Dostojewski: National-religiöse Überwindung des Nihilismus

Danilewski: Der russische Spengler

Die frühen Eurasier: Asien als Heimat

Orthodoxer Glaube als verbindendes Element

Dugin: Neoeurasismus gegen US-Imperialismus

Algis Klimaitis: Rußland, die Sowjetunion und das Baltikum. Ein beziehungsgeschichtlicher Überblick

Rußlands Marsch an die Ostsee

Balten im russischen Staatsdienst

Die Teilungen des polnisch-litauischen Reichs

Das 19. Jahrhundert

Sowjetischer Zugriff

Zwischen Deutschland und Rußland

Sowjetrepubliken

Wiederherstellung der Souveränität

Das Verhältnis zum heutigen Rußland

Ulrich March: Der Ostseeraum. Eine europäische Region

Dänische Vorherrschaft

Die Ostsee wird Schwedens Binnenmeer

Preußens Aufstieg

Russifizierung

Absolute Herrschaft der Sowjetunion

Die Rückkehr zur Vielfalt

Sebastian Pella: Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik

Der organisierte Rechtskatholizismus

Ideologie

Fazit

Felix Dirsch: Rechtskatholizismus von der Französischen Revolution bis heute. Versuch einer Typologie

Ordnungspolitischer Katholizismus von Joseph de Maistre bis Carl Schmitt

Othmar Spann und die Suche nach der verlorenen Ganzheitlichkeit

Zusammenfassender Ausblick

Coudenhove-Kalergi und Paneuropa

Herbert Jöll: Widersprüche bei Coudenhove

Marcel Grauf: Eine notwendige Richtigstellung. Was Coudenhove-Kalergi wirklich wollte

Die Europäer: Schicksals- und Kulturgemeinschaft

Weltpolitische Analysen großteils überholt

Blut- und Geistesadel bringen keine Vorbilder mehr hervor

Jüdische Rasse wurde an Exklusivität und Auslese von keiner anderen übertroffen

Etliche Prognosen haben sich nicht bewahrheitet

Eine Auseinandersetzung mit Denkschulen der Europäischen Union fehlt

Europas Zukunft

Barbara Rosenkranz: Imperium oder Demokratie? Die EU vor dem Scheideweg

Europa der Vaterländer?

Anspruch und Wirklichkeit der EU

Aufgeklärte Toleranz

Es gibt eine Alternative

Philip Stein: Der Nationalstaat ist tot. Es lebe Europa!

Europa ist ein geistiger Raum

Faschistische Europaideen

Für einen europäischen Bundesstaat

Junges Europa

Claus-M. Wolfschlag: Notwendigkeit Nationalstaat. Die Barriere gegen europäische Entdemokratisierung und Entsolidarisierung

Sozial geht nur national

Die EU ist und bleibt der Destruktion verschrieben

Barrieren gegen nivellierende Universalismen

Albert Pethö: Universalismus und Nationalismus. Anmerkungen zur aktuellen Diskussion

Europa ist nicht die EU

Habsburgischer Universalismus

Benedikt Kaiser: Europa – wie weiter?

„Totengräber europäischer Volkskulturen“?

Paneuropa: „Schmelztiegel“ oder „sozialistischer“ Staatenbund?

Realismus tut not

Dreifache Zugehörigkeit: Region, Nation, Europa

Ettore Ricci: Neue Europa-Visionen. Eine italienische Debatte

Europäisches Imperium

Konföderation oder Staatenbund

Die heidnische und die christliche Seele Europas

Europa ist nichts

Synthese von Reichsgedanken und Staatenverbund

Autorenverzeichnis

Vorwort

Europa sei, so hieß es, auf den drei Hügeln des Golgota (Christentum), der Akropolis (griechische Philosophie) und des Kapitol (römischer Staatsidee) erbaut worden. Dieser Satz berücksichtigt nicht die Leistung der germanischen Stämme, deren Völkerwanderung einerseits das römische Reich zu Fall brachte, die aber andererseits in den Jahrhunderten des Mittelalters auch die moderne europäische Staatenwelt mit Spanien (Westgoten), Frankreich (Franken), Italien (Langobarden und Ostgoten), Rußland (Waräger) und nicht zuletzt Deutschland schufen. Die Translatio imperii ging auf das ostfränkische Reich über, die deutschen Könige wurden Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen Oberhoheit zu manchen Zeiten auch die Könige von Frankreich, England und Dänemark anerkannten. Von alldem ist in den Texten dieses Sammelbands die Rede. Das von slawischen Stämmen, Völkern und Staaten bestimmte Osteuropa kommt dabei zu kurz, doch kann der Sammelband zum Thema „Europa und das Reich“ nur einige Schlaglichter auf die Geschichte werfen und diese unmöglich zur Gänze abbilden. Einige wenige Texte etwa über Montenegro, Albanien und die russisch-eurasische Reichsidee sind aber bewußt aufgenommen worden, um deutlich zu machen, daß „Europa“ nicht mit dem „Westen“ gleichzusetzen ist und auch nicht mit der EU.

Europa reicht bis Wladiwostok. Eine Reise von Tschita in Mittelsibirien nahe der mongolischen Grenze über Ulan Ude und Irkutsk bis nach Listwjanka am Baikalsee hat mir vor Augen geführt, daß das ganze russisch geprägte Sibirien trotz der verschiedenen dort siedelnden asiatischen Völker wie der Ewenken, Baschkiren und Jakuten Teil der europäischen Welt ist. Der neue Riß, der durch Europa geht, der neue „Eiserne Vorhang“, der durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die westlichen Sanktionen gegen Rußland niedergegangen ist, muß daher als furchtbares Verhältnis betrachtet werden, dessen Folgen sich heute, aus der Perspektive des Jahres 2022, in ihren schrecklichen Konsequenzen nur erahnen, aber nicht abschätzen lassen. Schon in den letzten Jahren war es so, daß Russen oder Ukrainer „Europa“ sagten, wenn sie den Westen meinten. Doch dies ist falsch, „Europa“ ist mehr als der „Westen“, und daran festzuhalten gebietet die intellektuelle Redlichkeit. Moskau verstand sich als „drittes Rom“; in unserer Zeitschrift „Neue Ordnung“, die 2020 in „Abendland“ umbenannt wurde, haben wir zahlreiche Beiträge über die russische Kultur und Geschichte veröffentlicht. Der Angriff Rußlands auf die Ukraine ist ein Bruderkrieg im doppelten Sinn: ein Krieg zwischen zwei Völkern, die ethnisch, familiär, sprachlich, religiös und kulturell engstens verbunden sind, aber auch ein innereuropäischer Konflikt, den ich noch vor wenigen Monaten für undenkbar hielt.

Was ist Europa? Geographisch nicht mehr als der zerklüftete Westteil des asiatischen Kontinents, dessen Grenze mit dem Uralgebirge nur willkürlich gezogen ist. Geistig und kulturell aber um so vieles mehr.

Wenn wir von Europa sprechen, kommen wir um die Reichsidee nicht herum. Das Alte Reich sollte von seinem Anspruch her die gesamte christliche Welt des Mittelalters umfassen, realpolitisch konnte dies jedoch nie auch nur annähernd verwirklicht werden. Das „Zweite Deutsche Reich“ und auch das „Dritte Deutsche Reich“ haben mit dem eigentlichen „Reich“ nur mehr den Namen gemeinsam und waren Ausdruck ganz anderer, heute obsoleter Ordnungsideen. Das Alte Reich zeichnete eine innere Vielfalt aus: Republikanische Gebilde, wie die freien Reichsstädte, existierten neben geistlichen Territorien, kleinste adelige Herrschaftsgebiete, wie jene der Reichsritterschaften, neben landesfürstlichen Flächenstaaten, die mit der Entwicklung in Westeuropa zu einheitlichen Herrschaftsgebieten unter einem Regenten durchaus vergleichbar waren. Nicht nur Deutsche haben das Reich bewohnt, auch Tschechen (im Königreich Böhmen), Italiener (in Reichsitalien bis zum Patrimonium Petri), Elbslawen, Polen (in Schlesien) und sogar Franzosen (in den lange zum Reich gehörenden Territorien im Westen und Süden des heutigen Frankreich).

Selbstverständlich ist dem Historiker klar, daß diese ungeheure innere Vielfalt des Reichs nicht Folge einer bewußten Politik der Kaiser, sondern eher Ausdruck ihrer Schwäche war, und doch kann und sollte sie Muster für die Vereinigung Europas sein. Richard von Coudenhove-Kalergi (gegen den seine Gegner auch zu Recht viel vorzubringen haben) hat die Notwendigkeit eines europäischen Zusammenschlusses angesichts der unserem Kontinent feindlich gegenüberstehenden Mächte USA und (damals) UdSSR, aber auch angesichts des sich bereits in den 1950er Jahren abzeichnenden Aufstiegs asiatischer und afrikanischer Staaten eindrucksvoll beschworen. Wer heute auf Europa blickt, sieht eine Vielzahl von Ländern mit eigener nationaler Identität, ja vielfältigen regionalen Identitäten, wenn wir nur Deutschland oder Österreich betrachten. All dies in einen Einheitsstaat zusammenzurühren, wird nicht funktionieren, die Europäische Union hat diesen Versuch aber unternommen und wird an ihm scheitern. Trotzdem müssen die europäischen Völker und Staaten zur Gemeinsamkeit finden, um die Herausforderungen der modernen Welt zu bewältigen. Nach langen Jahrzehnten, in denen sich Österreich und viele westeuropäische Staaten auf einer „Insel der Seligen“ wähnten (fälschlicherweise allerdings), ist nun das Krisenbewußtsein allgegenwärtig geworden: Umwelt und Klima, Migration und Wirtschaftsleistung, Energie und Sicherheit. Nur gemeinsam werden die europäischen Staaten und Völker ihre Zukunft sichern können, auf sich allein gestellt werden sie unweigerlich untergehen. Die richtig verstandene Reichsidee bietet dazu Lösungsansätze, weshalb sie nicht nur in Deutschland in politisch alternativen Kreisen nach wie vor aktuell ist. Auch dieser Frage widmen sich etliche Beiträge des vorliegenden Sammelbands. Kann sie aber tatsächlich noch einmal wirksam werden, oder hat ihre geschichtliche Stunde längst geschlagen? Wird sie noch einmal Inspiration für eine junge Generation sein, und kann sie tatsächlich zu einem Neubau der EU beitragen, oder wird sie in Zukunft nur mehr das Interesse von (nichteuropäischen) Historikern hervorrufen, so wie wir uns heute mit der Geschichte des Römischen Reichs befassen?

All diese Fragen beleuchtet der Sammelband „Europa und das Reich“. Unterschiedliche Autoren haben zu unterschiedlichen Aspekten der europäischen Geschichte und Gegenwart, aber auch der Reichsidee ihre Gedanken und ihre Analysen vorgetragen. So verschieden wie das Denken dieser Autoren sind auch die Ergebnisse ihrer Ausführungen. Dieses von mir herausgegebene Buch verkündet daher auch kein Fazit im Sinne von „So ist es“ oder „So soll es sein“, sondern liefert Informationen, Fakten und Gedankenanstöße unterschiedlicher Art und Richtung. Wer es liest, muß seine Schlüsse selbst daraus ziehen, wenngleich es vor allem Menschen ansprechen will, die sich bewußt als Europäer verstehen und denen klar ist, daß unser durch Geschichte, Glaube und Kultur verbundener Kontinent nur gemeinsam eine Zukunft haben kann und daß diese im Unterschied zur Auffassung der EU-Eliten in der reichen historischen Identität Europas wurzeln muß.

Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH DEUTSCHER NATION

Das Heilige Römische Reich und die Deutschen

Alle Völker haben in der Heilsgeschichte Gottes eine Sendung, und so auch das deutsche Volk, und zwar keine geringe. Diese Besinnung auf die heilsgeschichtliche Grundlage Deutschlands ist auch der einzig gangbare Weg, endgültig und entschieden davon abzurücken, die deutsche Geschichte auf die zwölf Jahre des „tausendjährigen Reiches“ einzuengen und diese zu verabsolutieren, samt den ständig wachgehaltenen Schuldkomplexen. Es gilt, die Erinnerung an eine große, jahrhundertelange, kontinuierliche deutsche Geschichte wiederaufzunehmen. Wir sollen wieder zu Recht unser von Gott gegebenes Volkstum lieben und den Auftrag wieder annehmen, den Gott dazu mitgegeben hat.

Am 10. Juni dieses Jahres jährte sich zum 810. Mal der Todestag von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, einem der mächtigsten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der auf dem Dritten Kreuzzug in Kleinasien beim Durchqueren des Bergflusses Saleph, wohl von einem Strudel erfaßt, vom Pferd gerissen wurde und im eisigen, schnellfließenden Bergwasser den Tod fand. Andere Überlieferungen sprechen davon, der Kaiser sei bei einem Bad in dem kalten Wasser vom Herzschlag getroffen worden und untergegangen. Nach längerer Suche konnte nur noch der entseelte Leichnam, am Ufer angeschwemmt, geborgen werden. So fand der erfolgversprechende Dritte Kreuzzug, von deutscher Beteiligung her gesehen, vor den Toren des Gelobten Landes ein bitteres Ende. Hatte ja schon Sultan Saladin angesichts des Erscheinens des disziplinierten, heldenhaften kaiserlichen Heeres seinen Rückzug aus Palästina angetreten.

Kaiser Friedrich Barbarossa gilt als das Modell eines Kaisers, was Ansehen, Macht und Sendungsbewußtsein betrifft.

Welches Reich beherrschte der Staufer? Das Heilige Römische Reich erstreckte sich von der Nordsee bis an das Gebiet von Rom, vom Königreich Burgund im Westen bis nach Schlesien und Pommern im Osten. Diese Ausdehnung des Heiligen Römischen Reiches zeigt, daß es sich nicht auf Deutschland beschränkte. Es zeigt uns, daß Deutschland im Reich gelegen, aber nicht das Reich selbst war. Das Alte Reich war kein Nationalstaat.

Es war die Klammer, der gemeinsame Lebensraum von verschiedenen Völkern und Staaten, ein Zusammenschluß und Bündnis verschiedener Herrschaften, so der deutschen Herzogtümer der Baiern, Franken, Schwaben, Sachsen, Lothringer, der Königreiche Böhmen, Burgund und der Langobarden, von Grafschaften, Marken und freien Städten. Das Reich war also übernational, ein Verband von relativ selbständigen Herrschaften unter einem gewählten Oberhaupt, das seinerseits auch ein Landesherr war (Barbarossa war zugleich Herzog von Schwaben).

Das Reich war eine völkerverbindende Institution, ein reger Austausch von verschiedenen Völkerschaften im selben „Staatswesen“. Reichspolitik bedeutete – und damit teilte Friedrich Barbarossa die Auffassung Ottos III. –, deutsche und nichtdeutsche Völkerschaften föderativ zu vereinen, nicht aber eine deutsche Vorherrschaft über die Nachbarn auszuüben. Nach außen wurde keine Eroberungspolitik betrieben, sondern der Versuch unternommen, andere Herrschaftsgebiete, so besonders Polen und Ungarn, wie Bundesgenossen und Freunde an das Römische Reich zu binden, als Mitarbeiter für das Reich.

Dieses christliche Imperium sollte ein Völkerverband sein, dessen Würde und Vorrangstellung vor völkischen Königreichen durch die Person des Kaisers dargestellt und garantiert wurde. Der Kaiser selbst anerkannte in Respekt und Achtung die „nationalen“ Eigenheiten der Völker, ja, er garantierte durch Privilegien selbst den Schutz von Minderheiten, einschließlich der Juden.

In der Geschichte ist das Reich das weltliche Gegenstück zur Kirche gewesen, das Corpus Christianum (politische Körperschaft der Christenheit) in Korrespondenz zum Corpus Christi mysticum (Kirche als mystischer Leib Christi). Das oberste Hirtenamt des Papstes stand in Beziehung zum obersten weltlichen Amt des Kaisers. Das Amt des Kaisers bedeutete Verpflichtung gegen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche und somit verantwortliches Handeln vor Christus, dem Herrn aller Welten, dem Pantokrator.

Durch die Kaiserkrönung Karls des Großen zu Weihnachten des Jahres 800, vollzogen durch den Papst, erhielt Karl Sendung und Weihe und so die Sendung und Weihe seines Reichs zum Römischen Reich und zum Nachbilden des himmlischen Jerusalem als der civitas Dei (Gottesstaat). Der Kaiser stellt sich bewußt in die Nachfolge Christi und will starker Arm der Kirche sein, die Interessen Christi in der Welt zur Geltung zu bringen. Von daher ist die Grundorientierung des Kaisers auf Rom und auf das Papsttum zu sehen: Die Kirche als die Stiftung des Gottessohns ist die einzige legitime Macht, um ein Staatswesen von innen her aufzubauen und zu festigen. Darin liegt der Grund des universalen Königtums Christi.

Die Idee des Reichs als einer übernatürlichen christlichen Staatenfamilie, dem katholischen Glauben verpflichtet, wurde als ein Gut geschätzt, als eine Friedensordnung in dieser Welt. Darin liegt das Bemühen um eine Nachbildung des Vorbilds, des kommenden Reichs Christi, darin liegt die eschatologische Ausrichtung des Heiligen Reichs, des sacrum imperium.

Der Kaiser verstand sich als Träger einer von Gott verliehenen Macht und wußte sich von daher dem göttlichen Recht unterworfen. Er, der Verwalter des Reichs als des Typus des kommenden Gottesstaats, mußte Gott Rechenschaft ablegen. So sah er sich als Repräsentant des universalen Königtums Christi auf Erden zur Erbauung und Sicherung der friedlichen christlichen Ordnung und als weltlicher Schutzherr der Kirche, die die Garantin des Reichsbestands war. Das Ziel der Politik war nicht Weltherrschaft, sondern Weltgeltung als Vorbild und Muster.

Das Reich gipfelte in der Würde der Kaiserkrone. Programmatisch ist die christliche Staatsidee auf der Reichskrone bildhaft dargestellt: Vier Bildplatten der oktogonalen Krone zeigen Szenen aus dem Alten Testament: König David, König Salomon, König Ezechias und die Vision der Majestät des Herrn bei Isaias.

Die Aufgabe des Kaisers ist demnach: Regieren in Recht und Gerechtigkeit zum Verwirklichen eines Friedensreichs. Abhängig ist der Kaiser von der Gnade Gottes und in Huldigung unterworfen dem Willen Christi: Er soll Christus nachahmen (imitatio Christi), und als Abbild Christi, des Weltherrschers, erscheint im Kaiser selbst das Bild Gottes (imago Dei). Dafür waren David und Salomon der Typus, das auf Christus hinweisende Vorbild. Das irdische Reich war zwar nicht Christi Reich, war nicht die Stadt Gottes, aber dieses Reich sollte von Christi Kraft erfüllt und von Ihm her gestaltet werden, damit die irdischen und überirdischen Kräfte eins würden aus dem Willen Christi. Er muß herrschen (1. Kor. 15,25)! Das Reich und insbesondere Deutschland als Träger und Kernland sollten ein Musterbeispiel der gottgegebenen biblischen Beziehungen von Kirche und Staat sein, da ja der Kaiser, anders als der König, bei dem das völkische Element zum Tragen kommt, gleichsam „amtsmäßig“ auf den Papst orientiert ist.

© gemeinfrei

Die Reichskrone mit den Abbildungen biblischer Könige und den vier nach dem Vorbild der Brustschilde alttestamentarischer Hohepriester gestalteten Edelsteinplatten versinnbildlicht die sakrale Bedeutung von Kaiser und Reich.

Nach der Theologie der Reichskrone ist der Kaiser der erste Christ, der kraft seiner Taufe im allgemeinen Priestertum den Staat als oberster Laie, gleichsam mit hohepriesterlichem Grundzug, Gott darbringt als Gabe seines Glaubens und in Huldigung an Christus. Dies drücken besonders die Stirn- und Nackenplatten der Reichskrone aus, die in ihrer Anordnung der zwölf Edelsteine an den Choschen, den Brustschild der alttestamentlichen Hohenpriester, erinnern. Zugleich sind damit die zwölf Grundsteine des himmlischen Jerusalem der Apokalypse ausgedrückt: Der Staat soll sich auf Gott hinbewegen und in ihm sein Ziel finden. Das ist die eschatologische Ausrichtung der Reichsidee. Also steht das deutsche Kaisertum tief im biblischen Denken.

Die kaiserliche Macht ist so geläutert worden zum Aufbau einer öffentlichen Ordnung nach christlichen Maßstäben, als vor Gott verantwortete Macht. Nicht der Wille des Kaisers ist Gesetz, sondern die Machtausübung steht in Bezug zur sittlichen Erlaubtheit. Dies ist die Frucht der Hinwendung des Staats zur Kirche seit Konstantin dem Großen, als ein Prozeß über Jahrhunderte: über Theodosius den Großen und Justinian bis zu Karl dem Großen und den nachfolgenden deutschen Kaisern. Der Staat als Universalstaat auf christlicher Basis – das war die tragende Idee des Heiligen Römischen Reiches.

Deutschlands Aufgabe

Reichsaufgabe war es, neue Welt für die christliche Gemeinschaft zu gewinnen. Nach der Aufteilung des Reiches Karls des Großen ging die Kaiserwürde mit Otto dem Großen auf die Deutschen über, und damit die Reichssendung. Reichsaufgabe im besonderen war es, das Glaubensgut in neuberührte Völker zu tragen, ferner die Ostgrenze gegen heidnische Einfälle zu sichern.

Von der geographischen Lage in der Mitte Europas her, als Brücke von West zu Ost, wurde Deutschland die abendländische christliche Mission zur Pflicht auferlegt. Von daher hat Deutschland eine weltgeschichtliche Sendung zu erfüllen: Als Land der Mitte ist es geistig im Westen verankert – im ehemaligen Frankenreich Karls des Großen gelegen – und an Rom gebunden durch die Missions- und Aufbauarbeit des hl. Bonifatius. Aber die Missions- und Kulturarbeit war nach Osten gerichtet.

Durch die offene Ostgrenze bedingt, wurde das deutsche Volk zur Reichsaufgabe berufen; es mußte sich dieser christlichen Aufgabe der Sicherung der bedrohten Ostgrenze, der Mission und Kultivierung unterziehen, bis bei den östlichen Völkern das Christentum Wurzeln gefaßt hatte und bis die Kraft der Türken gebrochen war. Reichsaufgabe bedeutet Aufgabe gegenüber der Außenwelt, Aufgabe für den Glauben.

So haben schon polnische Könige und auch der hl. Stephan von Ungarn deutsche Siedler zur Missionierung und Kultivierung angeworben. Die organische Besiedlung des deutschen Ostens während des ganzen Hochmittelalters. Jahrhunderte später, nach dem Zurückdrängen der Türken aus dem von ihnen besetzten Ungarn, bald nach der Eroberung Belgrads 1717, ließ der kaiserliche Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, Deutsche zur Besiedlung der durch die fremde Besatzung verwüsteten und entvölkerten Landstriche des Donauraums anfordern. Es sollte keine militärische Sicherung der befreiten Gebiete sein, sondern eine Sicherung durch Ansiedlung. Damit haben die Habsburger deutsche Siedler betraut, vor allem schwäbische, um durch Schutz und Erhaltung des Bodens einen Schutzwall für das christliche Abendland zu bilden. Bei der Urbarmachung des Bodens im Südosten zeigten sich aufs neue deutsche Tugend und Organisationstalent, Mut und Fleiß sowie echte Frömmigkeit, wie schon im Mittelalter bei der Urbarmachung, Kultivierung und Christianisierung des deutschen Ostens in Schlesien und Preußen.

Sehr schön kommt das Deutschtum im Osten zum Ausdruck im „Lied der Buchenlanddeutschen“ (Bukowina):

Traute Welt der goldnen Ähren,

Wälder, Fluren wunderbar,

über Wipfeln schneebedeckt

wacht des Himmels Sternenschar.

Das ist am Karpatenrand

Gottes grünes Buchenland.

In den Bergen, in den Hütten,

bunter Stämme Liebe webt,

und der Deutsche schlicht inmitten

als ein wahrer Bruder lebt.

Deutscher Geist durch deutsches Wort

ist der beste Friedenshort.

Dräuet Sturm und Ungewitter,

wankt der Damm in finstrer Nacht,

hält im grünen Land der Buchen

deutsche Treu die Feuerwacht.

Wo der Pflug die Scholle sucht,

folgen heilig Recht und Zucht.

Traute Welt der goldnen Ähren,

Wälder, Fluren wunderbar,

über Wipfeln schneebedeckt

wacht des Himmels Sternenschar.

Das war am Karpatenrand

Gottes grünes Buchenland.

Deutschland selbst war eingegliedert in das die Nationen überspannende Heilige Römische Reich. Die Deutschen als Reichsvolk und mit Österreich (Habsburg) als Kraftzentrum und Kern des Reichs stellten sich ganz in den Dienst der Reichsaufgabe: Missionierung, Ausbreitung der christlichen Kultur in den heidnischen Osten, später Mitaufbau eines christlich gewordenen Ostens und Abwehr antichristlicher Angriffe aus dem Osten (Türkei).

So fand das Deutschtum, eingebunden in das Reich und in die Reichsaufgabe, seine Sendung, sein Maß und seine Erfüllung. Die Deutschen führten gleichsam ein zweifaches Leben: als raumgebundenes Siedlungsvolk in den westlichen und mittleren Breiten der Erdteilmitte und dann als stärkste Träger einer den deutschen Raum weit übergreifenden Idee, nämlich der Reichsidee als des universalen Gottesstaats, des corpus Christianum. Darin fand und verwirklichte sich deutsches Wesen, darin trug Deutschland zu einer europäischen Friedensordnung bei, darin fand Deutschland den internationalen Anschluß und Ausgleich und sein Gleichgewicht. Das Reich war kein national-deutsches Reich, war kein Nationalstaat. Die Grenzen des Deutschtums im Osten nach Polen zu, nach Böhmen, Mähren, Ungarn und in den südslawischen Bereich, waren nicht fest, sondern übergehend, fließend, offen. Ferner gab es deutsche Siedlungsgebiete, ganze Landstriche, inmitten anderer Völker.

Wie das Reich selbst, so hatte auch Deutschland die Struktur eines genossenschaftlichen Wesens, das den einzelnen Völkern und Stämmen in der Zuordnung auf ein christliches Kaisertum gute Freiheiten beließ.

Der Nationalstaat

Die erste große Erschütterung des Reichsgefüges, der Zusammenprall der Kräfte im Reich, wurde ausgelöst durch die Glaubensspaltung Luthers. Doch das Reich fiel nicht auseinander, hatte allerdings seinen ausschließlich katholischen Charakter eingebüßt. Die katholischen Herrschaften und Fürstbistümer erwiesen sich als stark genug.

Mit dem Entstehen des Nationalstaats in Frankreich ging eine Rationalisierung der Staatsregierung nach den „Gesetzen der Vernunft“ Hand in Hand, was schon die absolutistischen französischen Könige begonnen hatten. Alles sollte vernünftig, überschaubar, praktisch werden. Das oberste Gebot der Vernunft war die Vereinheitlichung der Staatsregierung und Zentralisation, Machtkonzentration in der Regierung. Privilegien, Sonderrechte, alle Traditionen von Volksgruppen und Minderheiten sollten auf einer nationalen Basis vereinheitlicht werden.

Die Allmacht des Staats kündigte sich an, die es im Reich nie gab, weil in ihm als lehensrechtlichem Verband oder, modern umgesetzt, als föderalistischem Staatenbund Mitherrschaft, Mitverantwortung und Mittragen des Reichs durch die Herrschaftseinheiten in der „Verfassung“ traditionell verankert waren. Das Unheil über Deutschland brachte Napoleon, als er durch seine „kaiserlichen“ Eroberungen den letzten römischen Kaiser, Franz II., zwang, die Kaiserkrone niederzulegen (6. August 1806).

Aus dem Reich entstand durch Beraubung des Kircheneigentums (Säkularisation) und Auflösung (Mediatisierung) der kleinen Herrschaften eine Fülle von selbständigen Staaten. Dieser Zustand, Deutschland als Gebiet mit vielen souveränen Staaten ohne gemeinsames Oberhaupt, blieb auch nach dem Wiener Kongreß bestehen. Das war eigentlich die totale Zerschlagung des Reichs und die Zersplitterung Deutschlands in lauter selbständige Staaten.

Dieses unnatürliche, engkarierte und eigensüchtige Gebilde konnte nicht von Dauer sein. Im Zuge der modernen Nationalbewegung war der Ruf nach Einheit der Nation immer lauter geworden. Diese neue Idee des Nationalstaats stammt aus der Französischen Revolution, wonach eine Volks-Nation den Staat ausmachen sollte.

Diesen Ruf erfüllte schließlich Preußen auf seine Weise, indem Bismarck einen deutschen Nationalbundesstaat schuf. Die deutschen Fürstentümer kamen unter preußische Vorherrschaft. Die Tragödie war, daß der legitime Einfluß des kaiserlichen, habsburgischen Österreich als Repräsentationsmacht der deutschen Staaten durch Bismarck ausgeschaltet und Deutschland auf sich selbst beschränkt wurde. Das Ende des alten Deutschland war die Schlacht bei Königgrätz 1866, wo Preußen siegte und Österreich aus Deutschland verwies. Dieser Sieg Preußens leitete letztlich den Sieg des Nationalismus im deutschen Raum ein, den Bismarck so nicht gewollt hat. Der Nationalismus bedeutet den Bezug nur auf sich selbst, das Verlieren der universalen, völkerverbindenden Schau des traditionellen Deutschtums und den Verlust des Verantwortungsgefühls für die Nachbarvölker.

© Wien Museum (CC0)

Das Krönungsornat des Kaisers macht seine Rolle als gesalbter „Quasi-Episcopus“ deutlich, also seine sakrale Funktion, die ihn vom bloß weltlichen Herrschertum der Könige unterschied.

Wir erkennen den krassen Bruch mit der Reichsidee: der Reichsidee nämlich als Konföderation im Sinne des Miteinander, Einbindung in ein natürliches Gesamt und Wahrung der Rechte und Freiheiten. Diese reichische Haltung hat einst die Deutschen im Dienst an ihr charakterlich geformt. Dies drückt sich aus durch Respekt vor anderen Völkern und die Bereitschaft, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie bei sich selbst mitarbeiten zu lassen, verbunden jedoch mit einer Treue und Hochschätzung des eigenen Volkstums. Es war eine tausendjährige Indienstnahme des Deutschen für das Reich.

Indem Deutschland sich durch den Nationalstaat auf sich selbst beschränkte, wurde das Gleichgewicht in Mitteleuropa gestört. Der letzte, tragische, nicht mehr geahnte Abgrund des Irrwegs, der Verführung und des Abfalls von der deutschen Bestimmung vor Gott war der totale Nationalismus. Das säkularisierte, preußisch-national orientierte „Zweite Reich“ entartete völlig im sogenannten „Dritten Reich“. Unter Hitler wurde die Idee des Reichs zum Götzen gemacht, zum schlechthin entchristlichten Staat, der raffiniert mit der Vorstellung des ersten mittelalterlichen Reichs die Massen anlockte und Reichsbegeisterung erregte.

Der Weg in die Zukunft

Der Ausweg kann nur ein neues Deutschland sein, das heißt: die Rückkehr zu den alten Quellen deutscher Frömmigkeit und Gottbezogenheit, auf daß Gott Deutschland eine neue Sendung gebe für das Abendland und Europa. Die deutsche Staatskunst liegt nicht im zentralistischen Staat (was zwar auch technisch beherrscht würde), sondern im föderativen Staatswesen, einbezogen in ein übernatürliches Gesamt.

Diese Seelenhaltung des Deutschen, der Sinn für Eigenständigkeit, gepaart mit Freiheitssinn, dazu die Fähigkeit, mit anderen zu kooperieren und sich mit anderen im Verbund zusammenzuschließen (Konföderation), um so Zusammenarbeit entstehen zu lassen, dieser Charakter liegt im germanischen Wesen begründet und hat seine Form und Veredelung im Alten Reich erfahren, dessen geistiges Fundament der katholische Glaube war.

Das war deutsche Staatskunst, die bis zuletzt im Vielvölkerstaat der habsburgischen Donaumonarchie als dem Rest des Alten Reichs gegenwärtig war. Die letzte Stimme deutscher Staatskunst war gegen Ende des Ersten Weltkriegs das Völkermanifest des letzten Kaisers von Österreich, Karls I.: „Meine Regierung ist beauftragt, zum Neuaufbau Österreichs ohne Verzug alle Arbeiten vorzubereiten. An die Völker, auf deren Selbstbestimmungsrecht sich das neue Reich gründen wird, geht Mein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte mitzuwirken, die, gebildet aus den Reichsratsabgeordneten jeder Nation, die Interessen der Völker zueinander sowie im Verkehr mit Meiner Regierung zur Geltung bringen. So möge unser Vaterland, gefestigt durch die Eintracht der Nationen, die es umschließt, als Bund freier Völker aus den Stürmen des Krieges hervorgehen.“

Kaiser Karl war das letzte große Angebot Gottes für eine Friedensordnung in der europäischen Mitte im Sinne des Reichs mit dem alten Prinzip der Konföderation gegen den absolutistischen Zentralismus und nationalistisches Eigennutzdenken. Auch auf ihn kann man die Stelle im Johannesprolog beziehen: „Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Das Konzept Kaiser Karls gewinnt aber gerade heute Aktualität und weist den Weg in eine neue Zukunft für die Mitte Europas.

Die christliche Reichsidee bestand im germanisch-fränkischen Bereich von Karl dem Großen über Otto den Großen bis 1806. Weitergeführt wurde sie in der Donaumonarchie bis 1918: über tausend Jahre. Das Bismarckreich bestand siebenundvierzig Jahre, das „Dritte Reich“ zwölf Jahre. Eines ist klar: Warum bestand das tausendjährige Heilige Römische Reich? Weil es auf Christus hin orientiert war. Die letzten Zeiten waren für Deutschland der „Ausnahmefall“.

Die Übernahme des Nationalstaats von Frankreich, die Ausgrenzung anderer einerseits und das Erringen der eigenen nationalen Größe andererseits bedeuteten für Deutschland Konflikte, Kampf und Krieg. Die Kraft des deutschen Volkstums war im alten übernationalen Reich eingegliedert in einen großen Organismus von Völkern.

Deutschland, das Israel des Neuen Bundes

Doch die deutsche Sendung kann man letztlich nur übernatürlich begreifen, von Gott her gesehen als eine Bestimmung. Was ist die Wurzel des Deutschen bezüglich seiner Weltaufgabe im christlichen Sinn, die eben die Reichsaufgabe war?

Die deutsche Sendung weist eindeutig auf Israel hin, auf das Königtum Davids. Wie Israel ein Gottesstaat war, wo die Religion das öffentliche Leben geprägt hat, wo der König berufen war, das Volk im Glauben zu erhalten und zu schützen, so ging diese Sendung und Aufgabe über den Papst an den deutschen König als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs über. Auffallend ist ferner, daß der Patron Israels als des Gottesvolkes im Alten Bund und der Patron Deutschlands der hl. Erzengel Michael ist, der Verteidiger des Volks Gottes. Im Neuen Bund nimmt Deutschland die Sendung Israels ein für die Kirche.

Das deutsche Volk trug die Reichsaufgabe, und deshalb wurde es der Gegenstand des Ringens. Der dämonische Einfall galt dem Ziel, diese Schau Gottes aus dem Herzen des Volks zu reißen, um durch eine Schwächung die Macht Christi zu unterhöhlen. Dieser Kampf blieb lange Zeit unerkannt, die Menschen langsam in diese Entwicklung hineinziehend.

„Unwiderruflich sind die Gnadengaben und Berufungen Gottes“ (Röm. 11,29). Das gilt nicht nur für Israel im Alten Bund, das gilt auch im Neuen Bund für die Berufungen, die von Gott in seinem Heilsgeschehen gesetzt worden sind. Im Urteil der Kirche, in den Augen Gottes hat das Heilige Römische Reich als die Herzmitte und Verkörperung christlicher Zivilisation weiterhin Bestand als ideelle Wirklichkeit und somit auch die Bedeutung Deutschlands im Heilsplan Gottes. So hat Papst Pius VII. die Ablegung der Reichskrone durch den letzten Kaiser Franz II. nicht anerkannt und betont, daß diese Institution weiterbestehe als bleibende Aufgabe für uns und für die Zukunft.

Da ebendieser besondere Auftrag Gottes für die Deutschen – die Sendung für die Kirche und Schaffung einer christlichen Völkerkonföderation – in entscheidenden Stunden der deutschen Geschichte verleugnet wurde, belegte Gott unser Land mit dem Zeichen des Kreuzes zu Buße und Umkehr: die durch die Reformation hervorgerufene religiöse Teilung Deutschlands in Nord und Süd und die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Teilung in Ost und West.

Deutschland – ein Land unter dem Kreuz. So klagt auch der Prophet Jeremias, angewandt auf das deutsche Volk: Warum wendet dieses Volk sich ab in beständiger Abkehr, klammert sich fest am Trug und verweigert die Umkehr? (8,5)

Es möge dieses Wort des Propheten Jeremias sich enthüllen: „Kehrt zurück, abtrünnige Söhne“ – Spruch des Herrn, „denn ich bin euer Gebieter! Dann verleihe ich euch Hirten, die nach meinem Herzen sind, diese weiden euch voll Einsicht und Klugheit.“ (3,14–15)

Und der Prophet Isaias: „Völker werden deine Gerechtigkeit schauen und alle Könige deine Herrlichkeit. Du wirst mit einem neuen Namen genannt, der geprägt wird vom Munde des Herrn. Du wirst eine prächtige Krone sein in des Herrn Hand, ein Königsdiadem in der Hand deines Gottes.“

„Dann nennt man sie ‚heiliges Volk?‘, ‚Erlöste des Herrn?‘“ (Is. 62,2–3 u. 12)

„Seine Wege sah ich und will es nun heilen und leiten und Tröstung ihm schenken“ (Is. 57,18)

Thomas Jentzsch, „Neue Ordnung“ IV/2000

Das Kaisertum

Was die Kaiserkrönung des fränkischen Herrschers Karl am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom tatsächlich bedeutete, darüber waren sich die Zeitgenossen einmütig im klaren. Kein Usurpator griff nach den Sternen, um sein Reich mit antiker Würde zu erhöhen, ebensowenig hatte der Papst aus kirchenpolitischen Erwägungen eine translatio imperii vollzogen oder gar einen neuen Rechtszustand geschaffen. Nein, Gott selbst hatte es getan. Das Zeitbewußtsein ruhte ganz im Glauben an die Allmacht Gottes, in den Augen der Zeit hatte Christus selbst den Frankenkönig zum Erben des christlich gewordenen weströmischen Reiches bestimmt, indem er ihm Sieg auf Sieg schenkte.

Und tatsächlich hat Karls Reich damals im wesentlichen das Gebiet der römischen Christenheit umspannt. Wie sein Großvater Karl Martell das Vordringen des Islam über Spanien hinaus verhindert hatte, blieb Karl Sieger über die neue Gefahr aus dem Osten, das räuberische Reitervolk der Awaren. Karl herrschte über Franken, Burgunder, Thüringer, Bayern und die galloromanische Bevölkerung Frankreichs. 774 erwarb er das langobardische Königreich in Norditalien, das nicht dem fränkischen Reich eingegliedert wurde, sondern als solches bestehenblieb. In der ersten Personalunion der europäischen Geschichte nannte sich Karl nun „Rex Francorum et Langobardorum“ und, schon jetzt, „Patricius Romanorum“. Karl unterwarf die heidnischen Sachsen und Friesen und dehnte sein Reich mit einer spanischen Mark über die Pyrenäen und mit den pannonischen Marken weit in die ungarische Tiefebene aus. Sogar der noch heidnische Slawenstamm der Abodriten unterstellte sich seinem Schutz. Außerhalb seines Herrschaftskreises blieben nur die damals schwachen christlichen Königreiche England, Asturien und Kastilien.

Mit der Kaiserkrönung vollzog der Papst also nur den jedem Zeitgenossen deutlich sichtbaren Willen Gottes. Schon zwölf Jahre später hat auch der oströmische Basileus Karl als Imperator des „Imperium occidentale“ anerkannt.

Nach dem Tode Karls des Großen verlor das Kaisertum rasch an Bedeutung. Erneuert wurde es erst mehr als hundert Jahre später von den ostfränkischen Ottonen. Kein anderer als der deutsche König hat von da an die römische Kaiserkrone getragen.

Die Ausdehnung des Reiches

In direkter lehensrechtlicher Abhängigkeit vom Reich befanden sich Burgund, Dänemark und Polen. Burgund wurde allerdings schon 1033 als drittes Königreich (neben dem deutschen und langobardischen) ein Teil des Reiches. Auch Ungarn und England haben dem Kaiser immer wieder als Lehensherren gehuldigt, wenngleich hier nicht eigentlich von einer politischen Abhängigkeit gesprochen werden kann. Allerdings spielte noch beim Ausbruch des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England (1338–1453) die alte lehensrechtliche Bindung eine Rolle. Der englische König Eduard legitimierte seinen Kampf damit, daß er sich von Kaiser Ludwig IV. zum Generalvikar des Reiches und Stellvertreter des Kaisers bestellen ließ, und begann so seinen Angriff auf Frankreich, der ihm die französische Krone einbringen sollte, als Reichskrieg!

Auch Polen blieb in einer Abhängigkeit vom Reich. Immer wieder griffen die Kaiser bei innenpolitischen Händeln ein, meist gerufen von der einen oder anderen Seite.

Das lange Zeit von den böhmischen Przemysliden beherrschte Schlesien wird in der Mitte des 11. Jahrhunderts auf Intervention des Reiches an Polen zurückgegeben und später aufgrund des Eingreifens von Friedrich Barbarossa ein selbständiges Herzogtum unter den Söhnen eines vertriebenen polnischen Thronanwärters. In der Folge schließt sich das Land immer enger an Deutschland an und wird von seinen Herrschern der Einwanderung aus dem Reich geöffnet.

Böhmen selbst wird schon unter Otto dem Großen 950 in lockerer Form dem Reich eingegliedert, und zwar bis zur Zeit der Habsburger unter der Dynastie der Przemysliden.

Überhaupt muß an dieser Stelle hervorgehoben werden, daß die so dynamische deutsche Ostkolonisation ohne die Impulse, die von der Reichsidee ausgingen, kaum denkbar gewesen wäre. Heidenmission zählte zu den wichtigsten Aufgaben des Kaisers – ein Gedanke, der sich nicht nur in den Kreuzzügen zeigte, sondern eben auch im beständigen Ausgreifen des Reiches nach Osten. Schon unter Karl dem Großen gab es eine sorbische Mark. Im 10. Jahrhundert bilden die Ottonen mehrere Marken im Osten, doch erst im 12. Jahrhundert unter Lothar III. und Friedrich Barbarossa werden die weiträumigen Gebiete östlich der Elbe dauerhaft dem Reich eingegliedert und erneut deutsch besiedelt, ein im wesentlichen friedlicher Vorgang der Durchdringung und Vermischung mit der slawischen Bevölkerung, die im Zuge der Völkerwanderung nach dem Abzug der Germanen dort eingewandert war.

Aufgrund der Aufgabe zur Heidenmission griffen deutsche Bistümer auch weit über die Grenzen des Reiches hinaus, zum Erzbistum Hamburg-Bremen gehörte ursprünglich der gesamte skandinavische Raum bis Grönland. Erst Ende des 11. Jahrhunderts erhielt etwa Dänemark seine eigene Kirchenorganisation. Die polnische Kirche unterstand ursprünglich dem Magdeburger Erzbischof, bis Otto III. im Jahre 1000 mit der Schaffung des Erzbistums Gnesen nicht zuletzt auch die Grundlagen für die Herausbildung des polnischen Nationalstaates legte.

Kriegerisch wurde das spätere Ostpreußen erworben, und zwar vom Deutschen Ritterorden, der, gerufen von Herzog Konrad von Masowien, beauftragt und gesandt aber vom römischen Kaiser Friedrich II. und vom Papst, die heidnischen Pruzzen unterwarf. Ostpreußen unterstand aufgrund der von Friedrich 1226 ausgestellten Goldenen Bulle von Rimini damit auch dem Reich!

Derselbe Friedrich II. brachte als Erbe seiner Mutter auch das normannische Königreich in Süditalien mit, das römisch-deutsche Imperium erreichte damit seine größte Ausdehnung. Nach seiner Verehelichung mit der Tochter des Johannes von Brienne kann Friedrich sich sogar „König von Jerusalem“ nennen. Ein klangvoller Titel, mit dem sich noch ein Kaiser Franz Joseph schmücken konnte, der aber schon damals keine machtpolitische Bedeutung mehr besaß.

Während das Reich Karls des Großen und eigentlich auch das ostfränkische Reich der Ottonen eine hegemoniale Stellung in Europa besaßen, kann jetzt davon keine Rede mehr sein. Erstarkt ist das Selbstbewußtsein der Nationalstaaten, allen voran Frankreichs, und allzusehr haben die Kaiser mit den aufständischen lombardischen Städten und ihrem wichtigsten Gegner, dem Papst, zu kämpfen. Am Widerstand der Kirche ist die Macht des Kaisertums dann auch zerbrochen.

Papst Leo III. hatte einst Karl den Großen zwar deshalb nach Rom gerufen, weil Kirche und Papsttum einen starken Schutzherrn nötig hatten. Mit der Ausdehnung der kaiserlichen Macht drohte die Kirche aber dann in allzugroße Abhängigkeit zu geraten, der Konflikt war vorprogrammiert, schon wegen der spezifisch christlichen Idee des Kaisertums.

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Die Zweigewaltenlehre dient zur Klärung des Verhältnisses zwischen Reich (weltlicher Gewalt) und Kirche (geistlicher Gewalt), oft versinnbildlicht als zwei Schwerter. Ihr zufolge hat Gott zur Verwaltung der Welt beide – getrennte – Gewalten eingesetzt, wobei die Geistlichkeit vor Gottes Gericht auch für die von ihr betreuten Könige Rechenschaft abzulegen hat und so „schwerer wiegt“.

Zweigewaltenlehre

Papst Gelasius I. (492–496) formuliert in einem Schreiben an Kaiser Anastasius die Zwei-Gewalten- oder auch Zwei-Schwerter-Lehre, wonach „die geheiligte Autorität der Bischöfe und die königliche Gewalt“ gemäß dem Willen Christi die Welt regieren. Dem Priesteramt wird dabei der Vorrang eingeräumt, weil die Träger der geistlichen Gewalt „auch für die Könige der Menschen im göttlichen Gericht werden Rechenschaft ablegen müssen“. Gelasius grenzt dann die Rechte und Pflichten der beiden von Gott gesetzten Gewalten deutlich voneinander ab und weist insbesondere jeden Eingriff der weltlichen Macht auf kirchliches bzw. geistliches Gebiet zurück, wie dies im oströmischen Reich schon damals die Praxis war. Christus selbst ist wahrer Priesterkönig, auf Erden hat er aber, um der Schwäche der menschlichen Natur willen und um jeder Gefahr einer hochmütigen Überheblichkeit vorzubeugen, die beiden Ämter geschieden und doch zugleich aufeinander bezogen: Die christlichen Kaiser sind für das ewige Leben auf die Päpste und die Päpste für die zeitlichen Dinge auf den Gebrauch der kaiserlichen Anordnungen verwiesen. Damit wird deutlich, daß sich die christlichen Könige und insbesondere der Kaiser als Stellvertreter Christi sehen können und sollen: In unserer Zeit, die mit dem Begriff des Gottesgnadentums nichts mehr anzufangen weiß, ist es vielleicht nötig, darauf hinzuweisen, daß damit zuallererst eine schwere Verpflichtung gemeint war.

Im Zuge der Krönung eines christlichen Königs wurde dieser auch gesalbt, womit dem Herrscher eine geistliche Gewalt verliehen wurde. Die Salbung war ein Sakrament in vollem Sinne, in bewußter Analogie zur Bischofssalbung und zugleich unterschieden dadurch, daß mit ihr keine priesterliche Gewalt verliehen wurde. Der König war „Quasi-Episcopus“, Träger eines speziellen Amtes der Christenheit, eines Sondercharismas innerhalb des corpus mysticum. Und wie nun der Papst zwar auch nur geweihter Bischof von Rom, aber dennoch Lenker der Kirche und Stellvertreter Christi auf Erden war, ist analog das Amt des Kaisers zu verstehen, das nach Otto dem Großen an die deutsche Königswürde gebunden war.

Selbstkrönung

Dem Frankenkönig Karl war das Kaisertum aufgrund seiner Machtfülle logischerweise zugefallen, letztlich dadurch, daß er die Herrschaft über Rom gewann und wie ein Eroberer in die gegen den Papst aufständisch gewordene Stadt einziehen konnte. Dennoch zeigte er sich von der Aktion Papst Leos III. am Christtag des Jahres 800 in St. Peter überrascht. Leo setzte ihm plötzlich eine goldene Krone aufs Haupt, begleitet von der (offenbar vorher eingeübten) Akklamation der Römer, die Karl zum Kaiser ausriefen. Darauf warf sich der Papst dem neuen Kaiser nach byzantinischer Sitte huldigend zu Füßen. Karls Biograph Einhard berichtet aber, dieser „würde die Kirche selbst an jenem hohen Feiertage nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte“. Wie das zu verstehen war, wird 13 Jahre später deutlich, als Karl seinen Sohn Ludwig zum Mitkaiser erhebt – und dieser sich selbst die Krone aufs Haupt setzen muß. Auch in Konstantinopel wurde der Basileus, der oströmische Kaiser, vom Patriarchen nur gesalbt und nicht inthronisiert. Durch eine Krönung aber wurde der Eindruck erweckt, daß diese Handlung des Papstes erst den Kaiser macht, mit der Folgerung, daß die Hand, die die Krone gab, diese auch wieder nehmen konnte. Doch Karls Voraussicht blieb erfolglos. Schon sein Sohn Ludwig ließ sich 816 nochmals vom Papst salben und krönen, ebenso wie dessen Sohn, Karl der Kahle. Damit war die Krönung durch den Papst konstitutiv für die Kaiserwürde geworden, erst Maximilian I. sollte mit dieser Praxis brechen.

Nach Rom gerufen hatte den Frankenkönig der Papst selbst. Leo III. hatte nach einem Volksaufstand aus der Stadt fliehen müssen. Gegen ihn wurden schwerste Vorwürfe hinsichtlich eines unsittlichen Lebenswandels erhoben. In dieser Situation begab er sich unter den Schutz Karls, den er damit als Herrn anerkannte. Karl bestätigte dem Papst zwar den Kirchenstaat und erweiterte ihn sogar durch Schenkung einiger Städte, machte jedoch auch deutlich, daß er das Patrimonium Petri als unter der Oberhoheit des Reiches stehend ansah. Ziel seines Romzuges war es auch, zu einem Urteil über die Vorwürfe gegen den Papst zu kommen. Doch die von ihm eingesetzte Kommission kam zur Erkenntnis, daß ein Papst nicht justitiabel sei. Allein Gott könne über einen Papst urteilen.

In diesem Punkt also verhält sich Karl klar entsprechend der Zwei-Gewalten-Lehre des Gelasius. Gleichzeitig aber schien er es als sein natürliches Recht zu betrachten, in geistlichen Dingen ein erhebliches Wort mitzureden, und zwar schon als gesalbter König. So berief er mehrere Synoden ein, die unter seinem Vorsitz in Glaubensdingen urteilten. Auf der Synode von Regensburg 792 (also Jahre vor der Kaiserkrönung!) wurde z.B. die Lehre des Adoptionismus verurteilt (nach der Christus nur eine Art Adoptivsohn Gottes gewesen sei).

Herr über den Papst

Das Kaisertum wurde erneuert durch den aus dem sächsischen Herzogshaus stammenden Otto I. (936–973). Es ist bemerkenswert, daß es ausgerechnet ein Sproß dieses gerade 120 Jahre davor gewaltsam und blutig christianisierten Stammes war, der das Bild des priesterlichen Kaisers als Stellvertreter Christi für die kommenden Jahrhunderte prägte und die Kirche zur Hauptstütze seiner Herrschaft in Deutschland machte. Unter ihm erlangte das Reich erneut eine Hegemonialstellung in Europa, wie sie nicht einmal unter den Staufern mehr erreicht werden sollte. Möglich gemacht hat dies die überragende Persönlichkeit des Herrschers, dem nicht nur ein endgültiger Sieg über die Ungarn gelang, sondern der auch das nördliche Italien wieder zum Reich bringen konnte. In dieser Zeit war das Papsttum zum Spielball lokalrömischer Adelsgeschlechter geworden, die römische Kirche befand sich in einem Niedergang ohnegleichen, der u.a. im Absterben der Liturgie und dem Verschwinden von Schreibstuben für liturgische Bücher deutlich wurde. Gerettet wurde die liturgische Tradition nur durch die fränkisch-deutsche Kirche, seit dem Ende des 10. Jahrhunderts hatte sich in Rom eine römisch-fränkische Mischliturgie durchgesetzt.

In dieser Situation wiederholt sich der Vorgang des Jahres 800: Der bereits gekrönte Kaiser Otto wird mit schwersten Vorwürfen moralischer Art gegen den mit gerade 17 Jahren zum Papst gewählten Johannes XII. konfrontiert. Im Unterschied zu Karl ist Otto aber bereit, über den Papst zu richten. Auf einer Synode in der Peterskirche im Jahr 963 setzt Otto den Papst ab und läßt gleich einen Kandidaten eigener Wahl zu seinem Nachfolger wählen – einen Laien, der zuerst noch rasch zum Priester geweiht werden muß. Und Otto tut ein weiteres: Er läßt die Römer beschwören, nie einen Papst ohne Zustimmung des Kaisers zu wählen.

Zu einem besseren Verständnis des Vorganges ist festzuhalten, daß es in dieser Zeit noch keine Papstwahlordnung gegeben hat, sondern die Päpste durch den Klerus und das Volk von Rom gewählt wurden. Allerdings hatten die byzantinischen Kaiser ein Bestätigungsrecht in Anspruch genommen, und tatsächlich sandten die Päpste bis ins 8. Jahrhundert ihre Wahlanzeigen nach Konstantinopel.

Die ganze Machtfülle des Kaisers zeigt sich dann kurze Zeit später, als Johannes XII. nach dessen Abzug die Stadt Rom wiedergewinnt und Rache an den Verbündeten Ottos nimmt, es aber nicht wagt, den Kaiser aufgrund seines Eingriffes zu bannen. Wenngleich Otto nach dem gewaltsamen Tod Johannes XII. seinen Anspruch auf Bestätigung des Papstes endgültig durchsetzt, ist doch festzuhalten, daß er im Unterschied zu Karl in theologische Streitigkeiten nicht mehr eingegriffen hat.

Die deutschen Päpste

Immer wieder haben die Ottonen Päpste designiert, und immer war deutlich, daß es ihnen nicht darum ging, willfährige Kreaturen auf den Stuhl Petri zu setzen, sondern möglichst fähige und würdige Männer zum Bischof von Rom zu machen. Obgleich sich darunter so überragende Gestalten wie Sylvester II. befanden, war ihnen hinsichtlich einer Reinigung der Verhältnisse in Rom doch kein dauerhafter Erfolg beschieden.

Dies sollte sich erst unter dem Salier Kaiser Heinrich III. ändern. Auf der berühmten Synode von Sutri (1046) setzte er gleich drei streitende und gleichzeitig amtierende Päpste ab und in der Folge eine Reihe deutscher Päpste ein. Deren Amtszeit war zwar jeweils nur kurz (Gift mag, wie auch neuere Untersuchungen nahelegen, im Spiel gewesen sein), dennoch vermochten sie das Gedankengut der cluniazensischen Reform in Rom durchzusetzen.

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Heinrich III. aus der Familie der Salier war 1039–1056 König und ab 1046 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Um seine Kaiserkrönung unanfechtbar zu machen, bedurfte er eines unumstrittenen „Coronators“, was ihn dazu antrieb, auf der Synode von Sutri das bestehende Schisma zwischen drei zeitgleich amtierenden Päpsten zu beenden und die Einsetzung von Clemens II. als Papst zu betreiben, der ihn im Gegenzug zum Kaiser krönte und zum Schutzherrn Roms ernannte.

Eine Reinigung an Haupt und Gliedern der Kirche erstrebend, ist für unser Thema vor allem interessant, daß sich die Reformer gegen Simonie, Priesterehe und Laieninvestitur wandten.

Unter Simonie verstand man die damals verbreitete Praxis, daß Kandidaten kirchliche Ämter durch Geldzuwendungen erwarben. Auch die Priesterehe hatte zu einer Verschleuderung von Kirchengut geführt, in den reicheren städtischen Gemeinden führten viele Priester ein Lotterleben mit wechselnden Geliebten, statt sich um ihre Amtspflichten zu kümmern. Kein Wunder, daß gerade dagegen besonders in den italienischen Kommunen eine regelrechte Volksbewegung bestand.

Der Investiturstreit

Investitur bedeutete die jahrhundertelang geübte Praxis, daß der König einen Bischof mit Ring und Stab in seine weltlichen Rechte, die Regalien, zugleich aber auch in die geistlichen Amtsrechte, die Spiritualien, einsetzte. Dagegen wandten sich nun die Reformer. Wie damals auch eine Papstwahlordnung geschaffen wurde, nach der nur mehr die Kardinalbischöfe das Wahlrecht hatten, sollten jetzt auch die einzelnen Ortsbischöfe kanonisch gewählt und nicht mehr von den Herrschern eingesetzt werden.

Als nach dem Tode Heinrichs III. dessen minderjähriger Sohn auf den Thron kam, setzten die Reformer die neue Papstwahlordnung durch und begnügten sich damit, dem deutschen Hof nur mehr das Ergebnis der Wahl anzuzeigen. Die für ihren Sohn regierende Kaiserin Agnes war zu schwach, dagegen anzugehen. Zugleich erwuchsen dem Papst in den Normannen mächtige Verbündete, die die bereits gewonnenen langobardischen und byzantinischen Ländereien Süditaliens, aber auch das erst noch zu erobernde Sizilien aus dessen Hand zum Lehen erhielten. Dies war der zweite Eingriff in Reichsrechte, denn auf Süditalien hatte das Reich seit den Tagen Karls des Großen Anspruch erhoben. Aufgrund dieser beiden Vorfälle traten die deutschen Bischöfe als Wahrer der Reichsrechte auf, verdammten den neugewählten Papst Nikolaus II. und verkündeten seine Absetzung. Damit wird deutlich, daß es sich bei dem Kampf, der sich nun entspannen sollte, nicht um einen von „Kirche“ gegen „Staat“ handelte, sondern die Fronten anders verliefen.

Die verkündete Absetzung blieb folgenlos, da Nikolaus bald darauf starb. Als sein Nachfolger wieder nach den neuen Regeln gewählt wurde, versuchte die Kaiserin, einen Gegenpapst einzusetzen. Zum wirklichen Kampf kam es aber erst mit dem nächsten Papst: Hildebrand, der sich den Namen Gregor VII. wählte, von seinen Gegnern aber „Höllenbrand“ genannt wurde.

Im Jahre 1075 verkündete er mit dem „Dictatus papae“ seinen Weltherrschaftsanspruch. Darin hieß es u.a., „daß alle Fürsten des Papstes Füße küssen“, „daß es ihm erlaubt ist, Kaiser abzusetzen“, und „daß er Untergebene von dem Treueid gegenüber Sündern lösen kann“. Damit griff er weit über den von Gelasius gesteckten Rahmen in die Rechte der weltlichen Fürsten ein, ja mit dem Anspruch, Treueide auflösen zu können, sprengte er das Grundprinzip des mittelalterlichen Lehensstaates. Auch die Bischöfe werden nach diesem Diktat in einer bis zu diesem Zeitpunkt ungekannten Weise dem Papst unterstellt. Mit diesen revolutionären Neuerungen konnte sich Gregor auf keine Tradition berufen.

Der Hauptstreitpunkt blieb aber die Frage der Investitur, die aufgrund des sogenannten Reichskirchensystems von großer Bedeutung war. Kaiser Otto der Große hatte mit den Fürsten seines Reiches mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Immer wieder hatten sich diese ihm entgegengestellt, selbst nahe Verwandte waren zu Aufständischen geworden. Und auch der Grundgedanke des Lehenssystems, daß ein Lehen nach dem Tod des jeweiligen Amtsinhabers stets neu vergeben werden konnte, ließ sich in der Praxis gegen die Eigeninteressen des Adels nicht durchsetzen, die Lehen wurden in der Regel erblich vom Vater auf den Sohn weitergegeben. In dieser Situation übertrug Otto dem Reichsepiskopat zahlreiche Lehen, und zwar aus folgenden Gründen: Hier konnte er nach dem Tod des Amtsinhabers tatsächlich den Nachfolger bestimmen oder auf dessen Wahl doch zumindest Einfluß nehmen. Dynastische Eigeninteressen spielten unter den Bischöfen mangels leiblicher Nachfolge eine viel geringere Rolle, und zudem zeigte sich, daß die geistlichen Herren weit bessere Verwalter der ihnen übertragenen Güter waren als ihre weltlichen Kollegen. Und dies war wiederum für den Kaiser von Bedeutung, da jedes Lehensgebiet gemäß seiner Leistungsfähigkeit eine bestimmte Anzahl von Panzerreitern im Kriegsfalle aufzubringen hatte etc. Die reichliche Ausstattung der Bischöfe mit Lehen und Hoheitsrechten war also mit den vielfältigen Aufgaben begründet, die sie für das Reich zu übernehmen hatten. Jetzt aber sollten die Bischöfe dem Einfluß des Kaisers völlig entzogen und gleichsam zu Vasallen des Papstes werden. Gleichzeitig formulierte Kardinal Humbert, daß nicht nur die Kirche, sondern auch ihr Eigentum heilig sei, daß die Kirchengüter Gott übergeben und damit geheiligt wären. Die Bischöfe als Stützen des Reiches sollten also ausfallen, die Lehensgüter der Kirche aber gleichzeitig unantastbar bleiben! Wie ungeheuerlich diese Vorstellung in den Ohren des deutschen, aber auch der anderen Könige geklungen haben muß, können wir daraus ermessen, daß die Frage staatlicher Mitsprache bei Bischofsernennungen bis in die Gegenwart ein bedeutsames Thema geblieben ist. Als Maria Theresia von den Ansprüchen Gregors VII. hörte, wollte sie ihn nachträglich aus den Papstlisten streichen lassen! Und selbst heutige, säkulare Staaten haben mehr Rechte, als Gregor den gesalbten Königen des Mittelalters zugestehen wollte: So kann auch die österreichische Bundesregierung nach dem gültigen Konkordat gegen die Ernennung eines Bischofs im Falle schwerwiegender Gründe Einspruch erheben.

Freilich wurde der Machtanspruch des Papstes auch aus Kreisen der Kirche zurückgewiesen. So machte Bischof Walram von Naumburg in einer Streitschrift deutlich, daß der Treueid als Staatsfundament gerade auch auf Basis des Neuen Testaments unauflöslich wäre, da nach Petrus selbst einem Nero Gehorsam geschuldet würde. Auch der Papst kann also die Untertanen von dieser Verpflichtung nicht lösen. Ein anonymer Verfasser weist in einem 1109 erschienenen Traktat darauf hin, daß Papst Hadrian Karl und seinen Nachfolgern das Bestätigungsrecht der Papstwahl sowie die Bischofsinvestitur übertragen hat, ein Recht, das von Papst Leo gegenüber Otto I. bestätigt wurde. Die Investitur beziehe sich ja nur auf die Besitztümer der Kirche, und für diese dem Lehensrecht unterstehenden Regalien müsse auch ein Treueid erbracht werden, der mit der geistlichen Weihe nichts zu tun habe, was auch Gregor von Catina ausführt.

Heinrichs Sieg bei Canossa

Auch der deutsche König Heinrich IV. nahm den Kampf auf und ließ nicht von der Einsetzung neuer Reichsbischöfe ab. Schließlich sagte sich Heinrich gemeinsam mit dem deutschen Episkopat von Gregor los und forderte ihn zum Rücktritt auf. Dieser antwortete mit der Bannung und Absetzung Heinrichs. Ein ungeheurer Vorgang! Schon oft waren Päpste von Kaisern abgesetzt worden, noch nie aber ein Kaiser vom Papst! Und doch war die Exkommunikation in dieser tiefgläubigen Zeit eine so scharfe Waffe, daß etliche Bischöfe die Seiten wechselten. Besonders schwerwiegend war jedoch, daß sich etliche sächsische und süddeutsche Fürsten aus Eigennutz und aufgrund alter Konflikte mit dem König auf die Seite des Papstes stellten. Ein Gegenkönig wurde gewählt. Wenn es Heinrich nicht rasch gelingen würde, sich aus dem Bann zu lösen, dann war es um sein Königtum geschehen. Die deutschen Fürsten sperrten jedoch die Wege nach Italien. In dieser Situation gelang es Heinrich, gemeinsam mit Frau und Kind auf einem heroischen Marsch mitten im Winter die Alpen über abgelegene Pässe zu überqueren. Zur Überraschung aller stand er im Februar 1077 vor der oberitalienischen Burg Canossa, in die sich der Papst zurückgezogen hatte. Doch nicht als König war er gekommen, sondern als sündiger Mensch: Im härenen Büßergewand lag er drei Tage im Schnee vor den Toren der Burg, bis ihn der Papst aufnahm.

Dieser Vorgang wird oft als Schmach des deutschen Königtums gedeutet, in Wirklichkeit war er aber ein ungeheurer Sieg Heinrichs: Durch seine Reue zwang er den Papst, sich auf sein Priesteramt zu besinnen, und er vereitelte, daß die geistliche Waffe der Bannung in einer politischen Auseinandersetzung eingesetzt werden konnte: Der Papst mußte dem reuigen Sünder vergeben und ihn aus dem Bann lösen. Auch Prestigeverlust war damit für Heinrich nicht verbunden, hatten doch schon etliche Kaiser vor ihm das Büßergewand getragen.

Der Kampf um Königrecht und Investitur war damit noch lange nicht beendet. Heinrich wollte gewiß nicht von seinen als gottgegeben betrachteten Rechten lassen. Gregor würde ihn schon bald wieder bannen, doch da hatte diese Waffe bereits ihre Schärfe verloren. Zu oft hatte der unbeugsame Papst sie eingesetzt, nicht nur gegen den deutschen, auch gegen den französischen König, gegen zahlreiche Bischöfe usw. Schließlich verspielte Hildebrand mit seiner Härte alles. Auch in Rom kam es zum Aufstand, die Mehrzahl der Kardinäle sagte sich von ihm los. Die Römer riefen Heinrich in ihre Stadt, wo dieser von einem von ihm eingesetzten Gegenpapst zum Kaiser gekrönt wurde.