Evangelium kommunizieren - Greifswalder Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst - Michael Herbst - E-Book

Evangelium kommunizieren - Greifswalder Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst E-Book

Michael Herbst

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Beschreibung

Dieses Arbeitsbuch führt in neun Schritten zur Erarbeitung einer evangelischen Predigt und eines evangelischen Gottesdienstes: Für Theologiestudierende und alle, die lernen wollen, wie man eine Predigt erstellt, und dafür ein kompaktes, theologisch fundiertes und zugleich praxisrelevantes Buch suchen. Homiletisches und liturgisches Arbeiten gehören hier eng zusammen. Predigt- und Gottesdienstvorbereitung bemühen sich um eine Kommunikation des Evangeliums mit dem Ziel, dass es zu einer Begegnung zwischen Gott und Gemeinde kommt. Dieses "Greifswalder Exerzitium" bietet dafür eine profilierte und praktisch erprobte Einführung - und gibt somit grundlegendes Handwerkszeug für Predigt und Gottesdienst mit an die Hand.

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Evangelium kommunizieren

Greifswalder Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst

Wenn nicht anders gekennzeichnet, sind die Bibelstellen folgender Übersetzung entnommen: BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Mit (LUT) gekennzeichnete Bibelstellen sind entnommen aus: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Umschlagabbildung auf der Rückseite: »Greifswalder Missale« (1503), Universitätsbibliothek Greifswald, MS 977

Beginn des Propriums de tempore am Sonntag Judica

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de, unter Verwendung eines Bildes © AlexKaplun (shutterstock.com)

Lektorat: Ekkehard Starke

DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com

Verwendete Schriften: Chaparral Pro, Myriad Pro

Gesamtherstellung: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-6838-5 (E-Book)

www.neukirchener-verlage.de

Vorwort

Knapp 20 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage des Buches Wir predigen nicht uns selbst haben wir uns nun erneut an das Arbeitsbuch für Gottesdienst und Predigt gesetzt. Unter Mitarbeit von Dr. Felix Eiffler, der seit Sommersemester 2017 das ›Homiletisch-liturgische Seminar‹ (HLS) begleitet, haben wir das bereits in sechs Auflagen erschienene Arbeitsbuch grundlegend überarbeitet. Neben der mittlerweile 25-jährigen praktischen Erfahrung aus der Arbeit im HLS an der Universität Greifswald prägen die Aufnahme aktueller Literatur sowie die Berücksichtigung gegenwärtiger homiletischer, liturgiewissenschaftlicher und kirchenmusikalischer Diskurse das vorliegende Buch. Die aufmerksame Leserin wird feststellen, dass wir manche – wenige – Passagen übernommen haben, da uns diese weiterhin aktuell und relevant erscheinen. Vieles haben wir jedoch grundlegend überarbeitet und aktualisiert, neu fundiert und erweitert. Dabei ist das Arbeitsbuch gewachsen und hat manch neue Akzente erhalten.

Um die Tatsache zu unterstreichen, dass mit diesem Buch ein neues Werk und nicht nur eine neue Auflage vorliegt, haben wir uns für einen neuen Titel entschieden. Dieser Titel drückt mehrere Überzeugungen der Autoren aus: Zunächst knüpfen wir damit an den entsprechenden Diskurs an, welcher von Ernst Lange angestoßen und von Christian Grethlein zu neuer Blüte gebracht wurde. Der Titel spiegelt die Erkenntnis, dass das Evangelium kommuniziert und nicht ›angesagt‹ wird. Zudem ist diese Kommunikation nicht auf die Predigt beschränkt. Vielmehr werben wir für die Wahrnehmung der Kommunikation des Evangeliums in allen Aspekten des Gottesdienstes. Schließlich ›brechen‹ wir die Formulierung Langes theologisch ein wenig mit der lutherischen Figur von ›Gesetz und Evangelium‹ und plädieren für eine Kommunikation des Evangeliums, welche das Gesetz als notwendigen Aspekt der göttlichen Anrede berücksichtigt.

Wir hoffen, dass dieses Buch einen möglichst praktischen Beitrag dazu leistet, dass Kirchenmusiker und Theologinnen, Prädikantinnen und Diakone, Gemeindepädagogen und Ehrenamtliche aller Couleur sich für die Aufgabe der Kommunikation des Evangeliums begeistern lassen und darin unterstützt werden.

Wir danken unserer studentischen Mitarbeiterin Clara Zühl für die gründliche Korrektur und Überarbeitung des Manuskripts. Wir danken unserer studentischen Mitarbeiterin Corona Schumann für die Graphiken, welche sie für dieses Buch erstellt hat. Wir danken Ekkehard Starke vom Neukirchener Verlag für die bewährt professionelle und konstruktive Zusammenarbeit. Besonders danken wir allen Studierenden der Kirchenmusik und der Theologie (sowie zahlreichen Summer Sabbaticals) für ihr Engagement im Vorbereiten und Feiern von vielen sehr unterschiedlichen und überaus schönen Seminargottesdiensten, die wir in den letzten 25 Jahren im Rahmen des HLS in Greifswald gefeiert haben. Die Erfahrungen und das gemeinsame Lernen im Rahmen dieser Gottesdienste und ihrer spannenden Nachgespräche haben wesentlich zu diesem Buch beigetragen. Schließlich danken wir den Greifswalder Gemeinden – namentlich der Mariengemeinde, der Johannesgemeinde, der Christusgemeinde, der Gemeinde in Wieck, der Johanna-Odebrecht-Stiftung sowie der ESG –, dass wir in ihren Kirchen und Kapellen über all die Jahre Gottesdienste feiern konnten.

Greifswald, Weitenhagen und Hamburg im Herbst 2021

Felix Eiffler, Michael Herbst, Matthias Schneider

Erster Teil: Hinführung

Predigt als spannungsvolle Kommunikation

Deshalb danken wir Gott immer wieder dafür, dass ihr durch unsere Verkündigung sein Wort empfangen habt. Ihr habt sie nicht als Menschenwort angenommen, sondern als das Wort Gottes, was sie tatsächlich ist. Nun wirkt es unter euch, die ihr zum Glauben gekommen seid.11Thess 2,13

Die Spannung zwischen dem Machbaren der Predigt und dem nicht herzustellenden Wunder ist nicht aufzulösen.2
Rudolf Bohren

Worum geht es?

Über die zentrale Bedeutung des Gottesdienstes für den christlichen Glauben schreibt Ingolf Dalferth: »Als liturgische Kommunikation unter Anwesenden, in der die Kopräsenz von Verkündigung des Evangeliums und Amen der Gemeinde in der Einheit einer Situation zum Gleichnis für die Gegenwart Gottes in der Gegenwart der Gemeinde und der Gegenwart der Gemeinde in der Gegenwart Gottes wird, ist der Gottesdienst die Grundsituation christlicher Kommunikation des Evangeliums bis zum heutigen Tag. Ihr sind alle anderen Formen und Weisen der Evangeliumskommunikation nach- und zugeordnet.«3 Wenngleich die Beschreibung Dalferths etwas ›technisch‹ wirkt, drückt sie dennoch das Wunder und Geheimnis eines jeden Gottesdienstes aus: »die Gegenwart Gottes in der Gegenwart der Gemeinde«. Die Überschrift über jedem Gottesdienst könnte mit Gerhard Tersteegen lauten: »Gott ist gegenwärtig« (EG 165). Gott ist da. Er mischt sich mitten unter die versammelte Gemeinde und lädt jede und jeden ein, sich von ihm dienen zu lassen. Er sieht und spricht jede Person an – durch Musik und Lieder, Lesungen und Predigt, Gebet und Anbetung. Gott setzt damit fort, was er in der Wolken- und Feuersäule, in der Stiftshütte, im Jerusalemer Tempel, in der Krippe und seit Pfingsten in unseren Herzen tut: Er ist gegenwärtig. Er macht sich klein und lässt sich ein – auf uns und unser Leben. Im Gottesdienst geschieht das Woche für Woche an unzähligen Orten in unserem Land und in unserer Welt, in unserer Kirche und in anderen Kirchen.

Aus diesem Grund empfinden wir die Feier jedes einzelnen Gottesdienstes als etwas Großartiges. Wir haben teil an etwas Großem, Wunderschönem und Ewigem. Wir einfache und normale Menschen, mit unseren fragwürdigen Biographien und unserem wackeligen Glauben. Gott beteiligt uns, um uns und anderen zu dienen. Was für ein Geschenk und was für eine fantastische Aufgabe!

Bevor wir uns in das Handwerk von Gottesdienst und Predigt stürzen, möchten wir auf das Wunder des Gottesdienstes verweisen und laden zum Staunen über Gott und seine Gegenwart in unseren Gottesdiensten ein.

Spannungen

Wer schon gepredigt hat, kennt die Spannungen, die mit dieser Form der Kommunikation verbunden sind:

die Spannung zwischen den eigenen Erwartungen und denen der Gemeinde;die Spannung zwischen der eingeplanten und der tatsächlichen Zeit zur Vorbereitung der Predigt;die Spannung zwischen meiner Absicht und der faktischen (zumindest für mich sichtbaren) Wirkung der Predigt; die Spannung zwischen den Idealen meiner akademischen Bildung und den realen Anforderungen des Pfarramtes usw.

Man könnte sicher noch zahlreiche weitere Beispiele dafür finden, dass Predigen eine spannungsvolle Kommunikationsform ist.

Am Beginn dieses Arbeitsbuches möchten wir fünf zentrale theologische Spannungen skizzieren, zwischen denen sich die Predigt ereignet und mit denen das homiletische Handwerk konfrontiert ist. Wir sind überzeugt, dass die Kenntnis dieser Spannungen unabdingbar ist, um die homiletische Aufgabe angemessen zu bewältigen und allen Beteiligten gerecht zu werden. Ebenso sind wir überzeugt, dass die Berücksichtigung dieser spezifischen Bedingungen homiletischen Arbeitens sowohl für Vorbereitung als auch für das Halten einer Predigt notwendig ist. Die homiletische Kunst besteht darin, die Spannungen nicht nur auszuhalten, sondern sie konstruktiv zu gestalten. Dazu muss man jeweils beide Pole kennen und ernst nehmen. Wenn dies gelingt, dann entsteht – um es mit den Worten des südafrikanischen Missionstheologen David J. Bosch zu sagen – eine ›kreative Spannung‹ (»creative tension«).4

Auf Grund dieser Einsicht beginnen wir dieses Arbeitsbuch mit der Skizze fünf grundlegender Spannungen, die das Predigthandwerk in Vorbereitung und Durchführung prägen. Diese sind:

1. Die Spannung zwischen göttlichem Auftrag und menschlichem Unvermögen

2. Die Spannung zwischen Gottes Wort und Menschenwort

3. Die Spannung zwischen der Intention des Predigers und der Rezeption der Hörerinnen

4. Die Spannung zwischen vertiefender und einladender Predigt

5. Die Spannung zwischen Predigt und Gottesdienst

Erste Spannung: Sollen und nicht Können

Im Oktober 1922 hat Karl Barth einen Vortrag mit dem Titel ›Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie‹ gehalten, dessen Kerngedanke lautet: »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsere Bedrängnis. Alles Andre ist daneben Kinderspiel.«5

Albrecht Grözinger schreibt zu diesen drei Sätzen: »Es gibt wohl kaum Sätze, die solche homiletische Prominenz erlangten wie diese drei Sätze Barths.«6 Mit Blick auf das 21. Jahrhundert schreibt Grözinger, dass »die Überlegungen Barths das theologische Nachdenken über die Aufgabe der Predigt nachhaltig anzuregen«7 imstande sind. Diesen Impuls aufnehmend, wollen wir mit diesem Diktum Karl Barths beginnen.

Ganz im Sinne Dialektischer Theologie kreist Barth um die thematische Mitte, die »unfaßlich (sic!) und unanschaulich ist«8. Diese Mitte – das »eigentliche Thema«9 –, ist der lebendige Gott, ist Jesus Christus, ist der Gott, der Mensch wird. Nachdem Barth sowohl den ›dogmatischen‹ als auch den ›kritischen‹ Weg, von Gott zu reden, als mögliche, aber begrenzte Wege beschrieben hat, zeigt er mit dem ›dialektischen‹ Weg ebenfalls einen begrenzten Weg, aber einen, der dem Gegenstand – dem ›eigentlichen‹ Thema – gerechter wird als die übrigen Wege.

Denn der ›dialektische‹ (und laut Barth der paulinisch-reformatorische) Weg verbindet die Stärken des dogmatischen und des kritischen Weges, respektiert aber deren und seine eigenen Grenzen. So kann sich der Dialektiker bei der Rede von und über Gott diesem ›eigentlichen Thema‹ immer nur annähern und muss jeweils die Spannungen im Blick behalten: das positive Entfalten des Gottesbegriffs und die Kritik des Menschen bzw. des Menschlichen. Dies ist der schmale Grat des dialektischen Weges und Barth beschreibt die theologische (und somit auch homiletische) Aufgabe als eine Wanderung auf eben diesem Felsgrat, auf welchem »man nur gehen, nicht [aber] stehen«10 könne, da man sonst herunterfalle.

»So bleibt nur übrig, ein grauenerregendes Schauspiel für alle nicht Schwindelfreien, beides, Position und Negation, gegenseitig aufeinander zu beziehen. Ja am Nein zu verdeutlichen und Nein am Ja, ohne länger als einen Moment in einem starren Ja oder Nein zu verharren.«11

Folglich kann der Dialektiker von Gott nur als dem verborgenen und offenbaren Gott sprechen, dem Gott, der transzendent und zugleich Mensch ist. Ebenso kann die Dialektikerin vom Menschen nur als dem gefallenen Ebenbild Gottes sprechen, welches als Sünder durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wird und »von der Sünde nicht anders als mit dem Hinweis, daß wir sie nicht erkennen würden, wenn sie uns nicht vergeben wäre«12.

Mit Blick auf die Predigt bedeutet dies: Ein Mensch, der predigt, soll als Mensch von Gott reden. Aber nimmt man die Einsicht Barths ernst, »daß von Gott nur Gott selber reden kann«13, so ist diese Aufgabe letztlich unmöglich. Als Theologin und Prediger soll der Mensch aber von Gott reden.14 In dieser Grundspannung bewegt sich jede Predigt.15

Barth empfiehlt nun nicht, diese Spannung aufzulösen oder zu ignorieren, sondern im Wissen um diese Spannung Gott zu ehren: »Wir sollen eben Beides, die Notwendigkeit und die Unmöglichkeit unsrer Aufgabe wissen.«16 Dies bedeutet, dass die Predigerin das Ihre – das zentrale Thema – nicht aufgibt, sondern sich dieser Aufgabe stellt und aussetzt, in dem Wissen, dass man ihr als Mensch niemals gerecht werden, ihr aber als Theologin und Prediger nicht ausweichen kann, denn die »Aufgabe der Theologie ist das Wort Gottes.«17

Aber die Eigenart eben dieses Wortes gibt der Predigerin Hoffnung, die homiletische Aufgabe zu wagen, denn »das Wort Gottes, das wir nie sprechen werden, [ …] [hat] unsere Schwachheit und Verkehrtheit [angenommen], so daß unser Wort in seiner Schwachheit und Verkehrtheit fähig geworden wäre, wenigstens Hülle und irdenes Gefäß des Wortes Gottes zu werden«18. Weil Gott sich auf unsere Welt und Wirklichkeit einlässt, besteht die Hoffnung, dass Gott sich immer wieder auch auf die Wirklichkeit und Gebrochenheit menschlicher Rede einlässt. Jede Predigerin kann hoffen und glauben, dass sich Gottes Wort – welches in Jesus Christus19 Mensch wurde – auch ›in, mit und unter‹20 ihre Rede mengt und somit das ewige Wort Gottes hörbar wird und die Gemeinde durch Gott selbst angesprochen wird. Gelingt dies, wäre das Ziel der Predigt erreicht, nämlich »daß Gott selber rede«21. Mit dieser Zielformulierung ist bereits die zweite Spannung formuliert.

Zweite Spannung: Gottes Wort und Menschenwort

Menschen predigen und erwarten, erhoffen und erbitten zugleich, dass ihre Rede nicht nur als menschliche Rede wahrgenommen wird, so wie es Paulus im Brief an die Gemeinde in Thessalonich formuliert: »Deshalb danken wir Gott immer wieder dafür, dass ihr durch unsere Verkündigung sein Wort empfangen habt. Ihr habt sie nicht als Menschenwort angenommen, sondern als das Wort Gottes, was sie tatsächlich ist.«22

Diese Spannung zwischen dem menschlichen Handwerk der Predigt und dem Reden Gottes in den Herzen der Menschen markiert die zweite grundlegende homiletische Spannung. Karl Barth beschreibt drei Gestalten des Wortes Gottes: das verkündigte, das geschriebene und das offenbarte Wort Gottes.23 Grundlegend und maßgebend ist Gottes Wort in Jesus Christus (vgl. Hebr 1,1–14). Davon zeugend und darauf Bezug nehmend ist der Kanon der Bibel die zweite Gestalt des göttlichen Wortes. Schließlich stellt die Predigt als Auslegung des Bibelwortes die dritte Gestalt des Wortes Gottes dar.24

›Verkündigtes Wort Gottes‹ ist nach Barth menschliche Rede von Gott aufgrund der ›Anweisung‹25 und ›Selbstvergegenständlichung‹26Gottes, die in Gottes Urteil über Objekt und Subjekt der Predigt »wahre und also zu hörende, mit Recht Gehorsam verlangende Rede ist.«27 Das Wunder der Offenbarung bestehe darin, »wenn uns menschliche Rede von Gott nicht nur das, sondern auch und zuerst und entscheidend Gottes eigene Rede ist«28. Darin kommt die Verkündigung an ihr Ziel und in diesem zentralen Sinn ist die Verkündigung Gottes Wort: »Menschliche Rede von Gott, in der und durch die Gott selber von sich selber redet.«29 Rudolf Bohren spricht mit Blick auf die Predigt ebenfalls von einem Wunder, »weil der, von dem die Rede ist, sich in das Reden über ihn einmischt [und] selbst das Wort ergreift.«30 Daraus schließt er: »Predigt ist Predigt, wenn sie ein Wunder ist.«31

Dabei hebt das göttliche Wort weder das menschliche auf noch können beide letztlich voneinander getrennt werden. Beides gehört zusammen – ungetrennt und unvermischt.32 Diese Spannung gilt es auszuhalten und zu gestalten, denn sie bedeutet, dass dem menschlichen Tun eine große Würde zukommt, einer Predigt das Entscheidende aber dennoch entzogen ist. Dass eine Predigt als Gottes eigenes Wort – als Gottes Anrede an die Hörerinnen – empfunden wird, kann eine predigende Person nicht herbeiführen oder sicherstellen. Es ist ein Geschenk Gottes, welches sich seiner Initiative und seinem Wirken verdankt, denn: »Unser Predigen ist ein von ihm selbst erwartetes Reden.«33 Oder mit anderen Worten: »Das Predigtwort ist die Sache selbst [Gottes Wort], nicht nur Hinweis auf sie.«34

Hat uns im Blick auf die erste homiletische Spannung die Christologie eine hoffnungsvolle Perspektive eröffnet, so hilft uns die Pneumatologie35 im Blick auf diese zweite homiletische Spannung, denn: »Ich brauche zum Predigen vor allem den Heiligen Geist.«36 Die Chance der pneumatologischen Perspektive auf die Predigt besteht darin, dass sie sowohl das göttliche Moment des ›Wunders‹ einer Predigt als Wort Gottes als auch das menschliche Moment des homiletischen Handwerks wahr- und ernst nimmt. Beides gehört zur Predigt und beides findet durch diese pneumatologische Perspektive seinen angemessenen Ort. Das Ergebnis ist eine Predigt, die weder von menschlicher Arbeit und Mühe noch vom Wirken des Heiligen Geistes absieht, sondern von beiden das ihnen Gemäße erwartet und die homiletische Aufgabe dementsprechend wahrnimmt.

Die Pneumatologie verankert das entscheidende Moment einer ›gelungenen‹ Predigt (i. S. v. 1Thess 2,13) in Gott selbst und öffnet zugleich den Blick sowohl für die Predigerin als auch für die Gemeinde der Hörer: »In demselben Akt redet er [Gott] uns an durch sein Wort von außen und schließt uns für sein Wort auf von innen durch den Heiligen Geist.«37 Der Geist wirkt das Eigentliche (»Der Geist spricht und ich rede.«38) und dies tut er durch und mit uns Menschen – den Predigern und auch den Hörerinnen. Rudolf Bohren nennt dies ›theonome Reziprozität‹, eine »gottgesetzte Wechselseitigkeit und Gegenseitigkeit, eine Art Austausch, eine eigentümliche Partnerschaft.«39 Bohren beschreibt diese Figur als Ausweg aus dem von Karl Barth skizzierten Dilemma des Von-Gott-reden-Sollens und Nicht-Könnens, »indem Gott die Ehre gegeben und des Menschen Tun gewürdigt wird.«40

Timothy Keller unterscheidet zwischen »good and great preaching«: »However, while the difference between a bad sermon and a good sermon is mainly the responsibility of the preacher, the difference between good preaching and great preaching lies mainly in the work of the Holy Spirit in the heart of the listener as well as the preacher. The message in Philippi came from Paul, but the effect of the sermon on hearts came from the Spirit.«41

Und Wilfried Engemann verweist darauf, dass »für die sich ›im Heiligen Geist‹ vollziehende Kommunikation des Evangeliums [ …] keine Extra-Bedingungen geschaffen werden [müssen], weil die gegebenen, dem Menschen und seinem Glauben entsprechenden Bedingungen der personalen Kommunikation dafür ausreichend sind«42. Dieser Hinweis unterstreicht die Bedeutung des menschlichen Handelns für den Kommunikationsakt ›Predigt‹: ›In, mit und unter‹ menschlicher Kommunikation vollzieht sich das Reden Gottes. Es bedarf dafür keines besonderen Modus, Stils oder anderweitig besonderer Bedingungen.

Isolde Karle verweist darauf, dass sowohl formal als auch inhaltlich das Wirken des Geistes Gottes nicht willkürlich ist, denn der »Geist hat sich an die Kommunikation und damit auch an ihre Regeln gebunden«43. Folglich könnten die Bedingungen des Geistwirkens »im Nachhinein identifiziert und beschrieben werden«44. Karle nennt u. a. besondere Verständigungsformen, von denen Glaube, Liebe und Hoffnung die prominentesten im Neuen Testament sind. Michael Welker schreibt, dass das Geistwirken eine Gemeinschaft stiftet, die »verbunden [ist] mit der universalen Verständigung über die ›großen Taten Gottes‹, und diese Verständigung ist ihrerseits konzentriert auf die Verkündigung des Gekreuzigten und Auferstandenen, auf den Empfang des von diesem messianischen Geistträger ausgegossenen Geistes, auf die Verkündigung des Evangeliums von der Rettung der Menschen durch Gott«45.

Jedoch geht das Reden Gottes nicht einfach in der menschlichen Kommunikation auf, sodass beide gleichzusetzen wären.46 Die Grenze der Unverfügbarkeit Gottes, die Gott als souveränes Gegenüber erkennt, muss homiletisch respektiert werden, damit Predigerinnen und Prediger wirklich mit der Gemeinde kommunizieren.47 Sonst droht die Gefahr, die Gemeinde zu manipulieren, indem Prediger versuchen, das zu evozieren, was lediglich Gottes Geist tun kann: Glauben wecken, der sich in Liebe, Hoffnung und Freiheit ausdrückt, denn: »Glaube ist das Ziel, aber nicht die Wirkung der christlichen Kommunikation des Evangeliums.«48

Diese zweite homiletische Spannung wird in der Begegnung des Paulus mit Lydia, der Unternehmerin aus Thyatira, anschaulich: Paulus und sein Team sitzen am Fluss mit verschiedenen Frauen zusammen und Paulus spricht mit ihnen. Während er das tut, geschieht das Wunder: »Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.«49 Paulus spricht mit den Frauen, und währenddessen handelt Gott, spricht Lydia an und öffnet ihr das Herz für das Evangelium. In der Folge lässt Lydia sich taufen und die erste Gemeinde Europas entsteht. Dieses Muster begegnet an mehreren Stellen in der Bibel, wird aber nicht immer – wie hier – so deutlich benannt: Gott wirkt in, mit und unter menschlichem Handeln.

Dritte Spannung: Absicht und Wirkung

Die dritte Spannung kann mit einer grundsätzlichen Feststellung Wilfried Engemanns überschrieben werden: »Kommunikationsprozesse sind grundsätzlich ›unverfügbar‹.«50 Diese Einsicht betrifft die homiletische Kommunikationssituation natürlich unmittelbar: Jede Predigerin ist mit der Erfahrung vertraut, dass die Gemeinde etwas anders gehört und verstanden hat als von der Predigerin intendiert.51

Die kommunikationswissenschaftliche Einsicht52, dass bei der Aufnahme von Informationen verschiedene ›Filter‹ sowie eine dynamische Adaption des Vermittelten zu berücksichtigen sind, wurde unter Bezugnahme auf die ›Rezeptionsästhetik‹ sowie auf die ›Theorie des offenen Kunstwerks‹ (Umberto Eco) eingehend homiletisch reflektiert.53 Das Resultat dieser Reflexion besteht u. a. darin, die Rezeption einer Predigt durch ihre Hörerinnen nicht mehr ausschließlich unter einer defizitären Perspektive des potentiellen Verlustes von Informationen sowie Bestandteilen der Botschaft zu betrachten. Stattdessen wird die Rezeption durch die Hörer als »kreativer Prozess verstanden, der seinerseits Sinn entstehen lässt«54. Unterstrichen wird diese Wahrnehmung durch die Einsicht, dass zahlreiche biblische Texte aufgrund ihres Alters und besonders gemäß ihrer Gattung (v. a. die Gleichnisse) geradezu zu einer aktiv-kreativen Rezeption herausfordern.55

Dieser homiletische Diskurs hat die Rolle der Hörerinnen und Hörer einer Predigt auf grundlegende Weise neu reflektiert und sie als zentrale Größe im homiletischen Geschehen gewürdigt. Wir möchten diese Einsicht als drittes Spannungsfeld in doppelter Hinsicht für die vor uns liegende homiletische Aufgabe betrachten:

Die Erkenntnisse der Kommunikations- sowie der Literaturwissenschaft haben der Predigtlehre geholfen, die Rolle des Hörers neu zu reflektieren. Dies beinhaltet einerseits die Akzeptanz, dass die intendierte Predigtabsicht die Hörerin nicht zwingend vollumfänglich erreicht, sondern der Prozess der Aufnahme von Informationen häufig mit ›Reibungsverlusten‹ einhergeht. Das Ziel dieser Erkenntnis besteht nicht darin, eine willkürliche Aufnahme von Inhalten zu erwarten, sondern die Prozesse menschlicher Kommunikation – zu denen die Predigt gehört – nüchtern wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung erschöpft sich dann ihrerseits wiederum nicht in der Beschreibung von ›Verlusten‹, sondern entdeckt im Hörer sogar das Potential für eine kreative und eigenständige Adaption des Gehörten, die u. U. der intendierten Aussageabsicht einer Predigt entgegenkommt oder ggf. etwas (subjektiv) Wichtiges ergänzt.

Die beschriebene ›Ko-Konstruktion‹56 des Predigtgeschehens ist aus theologischer Sicht bzw. aus der Perspektive christlicher Anthropologie jedoch zumindest ambivalent zu betrachten57: Da der Mensch als Sünder eben nicht zwingend nur eine sinnvolle, evangeliumsgemäße und dem Leben dienliche Rezeption des Gehörten vollzieht, muss das sinnstiftende Potential des »kreativen Prozesses«58 der Rezeption einer Predigt durch die Hörenden auch in seinen destruktiven, von Verkrümmung in sich selbst bestimmten Potentialen reflektiert werden. Damit die Erkenntnisse sozial- und textwissenschaftlichen Forschens auch für die homiletische Situation fruchtbar gemacht werden können, müssen diese auch theologisch bestimmt und ggf. ergänzt oder korrigiert werden.

Damit ist die erste Variante dieser dritten Spannung skizziert: Die Hörerinnen und Hörer müssen als selektiv hörendes und kreativ-aktiv rezeptierendes Gegenüber wahrgenommen und in den Predigtvorgang einbezogen werden.59 Wiederum ist die kreativ-aktive Rezeption nicht immer und unter allen Umständen nur positiv und dient somit nicht immer einer Kommunikation des Evangeliums. Es bedarf also einer ›kritischen‹ Würdigung der Hörerinnen und Hörer, um ihnen gerecht zu werden. Dies bedeutet dann folglich, dass der Prediger auch an dieser Stelle des Predigtgeschehens auf das Wirken des Geistes Gottes angewiesen ist, damit das Wunder geschieht, dass die Hörerin das Evangelium für sich hört, denn »der natürliche Mensch [ …] nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist«60. Dies leitet über zur zweiten Variante dieser vierten homiletischen Spannung.

Die Würdigung der Hörerinnen und Hörer umfasst eine weitere Dimension: Die Beschreibung der Predigt als einer Form des Wortes Gottes (siehe oben) lässt sich ja nicht auf die Rede im engeren Sinn als die Rede, die vorbereitet und gehalten wird, beschränken, sondern umfasst ebenso die Hörerinnen und Hörer als Akteure des Predigtgeschehens. Man muss folglich die theologische Feststellung, dass sich in, mit und unter menschlichen Worten Gottes Wort ereignet, um die Dimension der Gemeinde erweitern, sodass es heißt: In mit und unter den menschlichen Worten in menschlichen Ohren, Köpfen und Herzen ereignet sich Gottes Wort, erweist sich die Selbstkommunikation des Evangeliums als ›Kraft Gottes‹. Mit den Worten Isolde Karles: »Ohne die Gemeinde als Leib Christi ist Predigt nicht zu denken. Predigt setzt Gemeinde voraus und begründet sie zugleich.«61

Folgt man dieser Einsicht, so sollte eine Predigerin den Hörer als eigenständige dynamische Größe innerhalb des Predigtgeschehens ernstnehmen, indem sie davon ausgeht, dass sich das Wunder der Selbstkommunikation des Evangeliums letztlich im Hörer selbst ereignet. Dazu Ingolf Dalferth: »Wo es zur Orientierung eines Lebens an Gottes Gegenwart kommt, verdanken Menschen das nicht den geschöpflichen Medien von Gottes Selbstkommunikation, sondern der schöpferischen Selbstvermittlung von Gottes Geist, durch die sich Gott selbst seinen Geschöpfen so erschließt, dass sie sich zu ihm als ihrem Schöpfer verhalten können.«62

Dies ist die zweite Variante dieser dritten homiletischen Spannung: Das Wunder der Selbstkommunikation des Evangeliums ist der Predigerin bzw. dem Prediger genommen und ereignet sich innerhalb des dynamischen und reziproken Verhältnisses zwischen den verschiedenen Kommunikationspartnern: Text, Senderin, Empfänger und Gott.63 Herzstück dieses Geschehens ist, dass es theonom ist und somit letztlich in Gott selbst und in seinem Evangelium gründet. Diese besondere Form der Unverfügbarkeit unterscheidet die Predigt letztlich dann doch von anderen Formen menschlicher Kommunikation.

Vierte Spannung: Predigt als Vertiefung des bestehenden Glaubens und als Einladung zum Glauben

Predigten werden i. d. R. im Rahmen eines Gottesdienstes gehalten und richten sich somit zumeist an eine mehr oder weniger christliche Hörerschaft. Folglich ist die durchschnittliche Gemeindepredigt – und auf diese zielt das vorliegende Buch – eher keine missionarische oder evangelistische Predigt, die Menschen zum Glauben einlädt, den Glauben plausibilisiert oder verteidigt. Die meisten Gottesdienstbesucher sitzen nicht ›aus Versehen‹ im Gottesdienst, sondern sie erwarten eine ansprechende sowie anspruchsvolle Predigt, die sie im Glauben stärkt, herausfordert und begleitet. Dies ist die vorrangige Aufgabe der Predigt in einem evangelischen Gottesdienst. Jedoch ist dies nur die halbe Wahrheit, denn diese vorrangige Aufgabe der Predigt ist nicht ihre einzige. Die vierte homiletische Spannung besteht zwischen der glaubensstärkenden und zum Glauben einladenden Funktion von Predigt.

Die deutsche Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Säkularisierung und Entkirchlichung erlebt, die im Osten Deutschlands noch deutlich stärker ausgeprägt ist als im Westen.64 Diese Prozesse sind nicht abgeschlossen. Für die europäische sowie gesamtdeutsche Gesellschaft kann man konstatieren, dass sie sich weiter säkularisiert. Der Anteil derer, für die Gaube und Religion überhaupt keine Rolle spielen und auch nie spielten, wächst und eine säkulare Grundhaltung entwickelt sich zunehmend zur dominanten Lebenseinstellung.65 Man kann von einem »weitreichenden Traditionsbruch christlicher Religiosität in Europa«66 sprechen, der Auswirkungen u. a. auf die Evangelische Kirche hat.67 Die Folge ist ein »sozialer Bedeutungsverlust des Christentums in Europa und in Deutschland«68. Wolfgang Huber schrieb bereits 2003: »Nachdem in Europa ein Jahrtausend lang die Präsenz des Christlichen in der Gesellschaft als gegeben vorausgesetzt wurde, geht es nun darum, daß diese Präsenz erneuert und bewußt gestaltet werden wird.«69

Eine Predigt, die sich mit ihrem soziokulturellen Kontext auseinandersetzt, kann diese Umbrüche weder ignorieren noch an dieser Entwicklung vorübergehen und so tun, als ginge sie dies nichts an. Zumal die evangelische Kirche nach der sechsten These der Barmer Theologischen Erklärung den Auftrag hat, ›allem Volk‹ das Evangelium auszurichten. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, muss sich die Kirche (und mit ihr die Homiletik) mit der sich wandelnden Gesellschaft auseinandersetzen und nach Wegen suchen, wie die Kommunikation des Evangeliums mit möglichst allen Menschen gelingen und die Kirche dem Ideal einer ›Kirche für das Volk‹70 gerecht werden kann.

Angesichts der sich abzeichnenden gesamtgesellschaftlichen Situation, die man als ›nachkirchlich‹71 bezeichnen kann, forderte Albrecht Grözinger72 bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine ›gastliche Predigt‹, die den fremden und ungeübten Gast zum ›impliziten Hörer‹ macht und die Möglichkeit, dass ein dem Glauben fernstehender Mensch im Gottesdienst zugegen ist, stets berücksichtigt und die Predigt entsprechend gestaltet. Dies beinhaltet eine möglichst barrierefreie sowie voraussetzungsarme Sprache, die weder davon ausgeht, dass jeder und jedem die biblischen Texte vertraut, noch dass diese als autoritativ anerkannt sind. Eine solche Predigt nimmt mögliche Anfragen und Einwände auf, benennt sie und setzt sich mit ihnen auseinander. Sie erwartet nicht sofortige Übereinstimmung mit dem Gesagten, sondern eröffnet einen Raum zur kritischen Auseinandersetzung mit den Inhalten der Verkündigung.73

Der New Yorker Theologe und Pastor Timothy Keller arbeitet in einem Umfeld, das dem nachchristlich-säkularen Europa durchaus vergleichbar ist. Er wirbt dafür, dass die Predigt in einem solchen Umfeld sowohl zum Glauben einlädt als auch im Glauben stärkt und bildet: »Don’t just preach to your congregation for spiritual growth, assuming that everyone in attendance is a Christian; and don’t just preach the gospel evangelistically, thinking that Christians cannot grow from it. Evangelize as you edify, and edify as you evangelize.«74

Im Blick auf den Anspruch der evangelischen Kirche, ›Volkskirche‹ zu sein, fordert Reiner Preul einen »Gottesdienst für alle«75. Er meint dies stärker im Blick auf Milieus und Generationen, aber im Sinne einer Volkskirche als ›Kirche für das Volk‹76 sollte diese Forderung auch jene Menschen umfassen, die keinen Zugang zum Evangelium (mehr) haben bzw. diesen nie hatten. Mit Blick auf die Greifswalder Konversionsstudie Wie finden Erwachsene zum Glauben? wird deutlich, dass dem Gottesdienst ein hohes evangelistisches Potential innewohnt: Für 87 % der Befragten, die sich als Erwachsene dem christlichen Glauben zugewandt haben, war der traditionelle Gottesdienst auf diesem Weg bedeutsam.77 Wir plädieren dafür, dieses Potential des traditionellen Gottesdienstes zu nutzen und diesem Vorhaben durch eine entsprechende liturgische und homiletische Gestaltung jedes Gottesdienstes Ausdruck zu verleihen. Um den mit der sechsten homiletischen Spannung verbundenen Herausforderung gerecht zu werden, fordert Wolfgang Huber im Blick auf gesamtkirchliches Handeln in einer nachchristlichen Gesellschaft: »Eine neue Vergewisserung des spezifisch kirchlichen Auftrags zur Heilsverkündigung, zur seelsorgerlichen Begleitung und zur gesellschaftlichen Präsenz bildet [ …] die entscheidende Voraussetzung für ein kirchliches Handeln, das an gegebene volkskirchliche Handlungsmöglichkeiten anknüpfen, sich aber zugleich der missionskirchlichen Situation der Gegenwart stellen will.«78

Fünfte Spannung: Predigt als Teil des Gottesdienstes

Die letzte homiletische Spannung betrifft die Stellung der Predigt als Teil eines Gottesdienstes. Darin besteht die Besonderheit des Homiletisch-liturgischen Seminars an der Universität Greifswald: bereits im Studium das zu verbinden, was ohnehin zusammengehört, nämlich Homiletik und Liturgik. Deswegen arbeiten in den Seminargottesdiensten Studierende der Theologie und der Kirchenmusik eng zusammen.

In einem homiletischen Seminar (selbst in einem homiletisch-liturgischen) kommt der Predigt sachgemäß eine große Bedeutung zu (wie auch in diesem Arbeitsbuch). Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Predigt immer nur Teil eines größeren Ganzen ist. Die Predigt ist eingebettet in das Gesamte des Gottesdienstes und der Gottesdienst als Ganzer kommuniziert das Evangelium – dies ist keineswegs auf die Predigt beschränkt, sondern findet auch in der Kirchenmusik, in Lesungen und Gebeten sowie Gebetsrufen statt. Im besten Fall ergänzen Predigt und Liturgie einander und weisen gemeinsam auf dieselbe Person: Jesus Christus. Dies geschieht in einer ›fruchtbaren Spannung‹ (Michael Meyer-Blanck), da die Predigt als »Widerspruch zum Ritus im Kontext des Ritus verstanden werden«79 kann. Die Liturgie80 bietet der Predigt wiederum i. d. R. »praktisch und sachlich«81 den Rahmen.

In seiner Gottesdienstlehre folgt Michael Meyer-Blanck der »Einsicht, dass die beiden praktisch-theologischen Disziplinen Homiletik und Liturgik zusammen entfaltet werden müssen.«82 Wenngleich beide Disziplinen voneinander zu unterscheiden sind, so sind sie doch nicht zu trennen, da sie sich letztlich auf dasselbe Geschehen beziehen: den evangelischen Gottesdienst. Unterstrichen wird dies durch die systematische Feststellung, dass »Predigt und Liturgie nur zusammen als Gestalt des Evangeliums (bzw. des Wortes Gottes)«83 gelten. Diese fünfte homiletische Spannung beschreibt Meyer-Blanck so: »Die Predigt ist ein Teil der Liturgie und zwar derjenige Teil, der ihre Regeln gerade durch die Ausnahme von den Regeln bekräftigt. Diese spannungsvolle Beziehung von Rituellem und Rhetorischem ist eine ständige Herausforderung für die gottesdienstliche Praxis und damit auch für deren theoretische Reflexion.«84

Meyer-Black warnt davor, die beiden Größen zu trennen und damit der umfassenden Bedeutung des Gottesdienstes nicht gerecht zu werden: »Der Gottesdienst ist nicht die Summe von Liturgie und Predigt, sondern er ist insgesamt gemeinsamer Gebetsdienst der Gemeinde mit verschiedenen Rollen.«85 Sowohl für die Theorieebene als auch für die praktische Gestaltung eines Gottesdienstes gilt es, in Vorbereitung und Feier des Gottesdienstes Liturgie und Predigt gleichermaßen gerecht zu werden und beide sowohl in ihrer je eigenen Funktion als auch in ihrer untrennbaren Einheit zu gestalten. Dabei werden die »Aufführungsregeln [ …] von der Liturgie bestimmt – wie umgekehrt das verkündigende Element die Grunddimension des gesamten Gottesdienstes bleibt.«86 Dies ist zu berücksichtigen und in seiner spannungsvollen Beziehung gottesdienstlich auszutarieren, denn das ›Ostinato‹, das Wiederkehrende in allen Teilen des Gottesdienstes besteht in der »Beziehung Christi zu seiner Gemeinde«87.

Die von der Liturgie vorgegebenen ›Aufführungsregeln‹ betreffen sowohl die innerliturgische Spannung zwischen Ordinarium und Proprium als auch die homiletische Balance zwischen dem Text ›an sich‹ und dem Text in seiner kirchenjahreszeitlichen Position in diesem spezifischen Gottesdienst. So orientiert sich der Gottesdienst einerseits am Kirchenjahr und seinen Festzeiten. Andererseits folgt jeder Gottesdienst der inneren Logik von ›Eröffnung und Anrufung‹, ›Verkündigung und Bekenntnis‹, ›Abendmahl‹, ›Sendung und Segen‹ und ist als solcher Gebet88 bzw. ›Anrufung Gottes‹.89 In diese doppelte Logik und Struktur fügt sich die Predigt ein: Sie ist auf die Feier eines spezifischen Gottesdienstes ausgerichtet, welcher sich an einem bestimmten Ort des Kirchenjahres befindet. Diese zeitliche Einordnung muss homiletisch berücksichtigt werden, wenn die Predigt nicht ›quer‹ zum übrigen Gottesdienst stehen möchte.90 Zudem hat die Predigt ihren Ort im zweiten Teil des Gottesdienstes (›Verkündigung und Bekenntnis‹) und somit kommt ihr im Ganzen der gottesdienstlichen Feier eine bestimmte Funktion zu: »Die Predigt bestätigt das Regelwerk der Liturgie, indem sie dieses durch eine individuelle Rede unterbricht.«91 Neben ihrer rhetorischen Gestaltung (und pädagogischen Absicht)92 mittels der klassischen ›genera praedicandi‹ kommt der Predigt – als gottesdienstlicher Rede – laut Meyer-Blanck noch ein ›liturgisches Genus‹ zu.93 »Dieses liturgische Genus der Rede steht unter der hermeneutischen Regel von Mt 18,20: ›Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.‹«94 Der Aufbau des vorliegenden Exerzitiums folgt dieser Einsicht und bettet die einzelne Schritte des homiletischen Arbeitens in die liturgische Reflexion und Gestaltung des zu feierndes Gottesdienstes ein.

Das ›verkündigende Element‹ als Grunddimension des Gottesdienstes umfasst seinerseits ebenso Liturgie und Predigt. Dabei orientiert es das gesamte gottesdienstliche Geschehen, denn Gottesdienst stellt (in liturgischen Versen, Lesungen und Predigt) Gottes Anrede an die Gemeinde sowie (in Gemeindegesang und Gebet) deren Antwort dar und dient somit der Gestaltwerdung der Beziehung zu dem in seinem Wort gegenwärtigen Christus und seiner Gemeinde. Folglich besteht das Ziel des Gottesdienstes darin, die Gemeinde »zur betenden Haltung zu führen. [ …] Insofern ist die betende Haltung das Gemeinsame aller liturgischen Dramaturgie.«95 Daraus folgt, dass die Vorbereitung des Gottesdienstes ebenso gründlich und umfassend erfolgen muss wie die Arbeit an der Predigt. Das homiletisch-liturgische Wechselspiel bedarf einer Gestaltung, die jede Dimension je für sich und beide in Beziehung und Ergänzung zueinander gestaltet, ohne eine von beiden unsachgemäß zu bevorzugen oder zu vernachlässigen. Wenn dies gelingt, dann kommuniziert der Gottesdienst das Evangelium. Damit dies gelingt, müssen sich Predigerinnen, Kirchenmusiker und Liturginnen um die beschriebene Integration von liturgischem und homiletischem Handeln bemühen – eingedenk der Tatsache, dass die gesamte »liturgische Darstellung [ …] dem Hören auf Gott und dem entsprechenden Antworten«96 dient.

Ausblick

Am Schluss dieses Kapitels steht ein Ausblick auf eine mögliche sechste Spannung: die Spannung zwischen analogen und digitalen Gottesdiensten. Aufgrund der Covid-19-Pandemie kam es zu einem regelrechten ›Boom‹ an digitalen Gottesdiensten, was zu einer grundsätzlichen Einsicht geführt hat: Analoge und digitale Gottesdienste folgen verschiedenen Logiken. Dies bedeutet, dass ein analoger Gottesdienst nicht dadurch ein digitaler Gottesdienst wird, indem man ihn filmt und ins Netz stellt. Ein analoger Gottesdienst lebt von der Interaktion zwischen Gemeinde und Kirchenmusikerinnen, Liturgen, Lektorinnen und Predigern. Dies lässt sich nicht ohne Weiteres in den digitalen Raum übertragen. Um digital Gottesdienst zu feiern, müssen die Regeln für digitale Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es einer umfassenden Analyse der mit der Digitalisierung97 einhergehenden Dynamiken, die von Hubert Knoblauch und Martina Löw mit dem Begriff der ›Re-Figuration‹98 zusammengefasst werden.

Eine umfassende homiletisch-liturgische Reflexion der Digitalisierung und der damit einhergehenden kommunikationstheoretischen sowie -praktischen Folgen steht erst am Anfang99 und sollte dringend intensiviert werden. Denn: Um der umfassenden Re-Figuration und den damit verbundenen Entwicklungen (Translokalisierung, Mediatisierung, Polykontextualisierung, Smartifizierung etc.)100 gottesdienstlich gerecht zu werden, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit diesen Prozessen und einer gründlichen Analyse sowie einer angemessenen theologischen (v. a. homiletischen und liturgischen) sowie kommunikationstheoretischen Reflexion der Digitalisierung. Die skizzierten Aufgaben kann dieses Buch nicht leisten, denn ein solcher Versuch wäre entweder unterkomplex oder ausufernd. Deshalb konzentriert sich dieses Arbeitsbuch auf die Gestaltung eines analogen Gottesdienstes, welcher die Regeln analoger Kommunikation des Evangeliums im Rahmen eines evangelischen Gottesdienstes beachtet.

Ausgewählte Literatur zum Thema

Engemann, Wilfried: Einführung in die Homiletik. Tübingen 32020

Bohren, Rudolf: Predigtlehre. München 51986

Grözinger, Albrecht: Homiletik. Gütersloh 2008 (Lehrbuch Praktische Theologie, Bd. 2)

Meyer-Blanck, Michael: Gottesdienstlehre. Tübingen 22020

1 Wenn nicht anders angegeben, zitieren wir nach der BasisBibel.

2 Rudolf Bohren (1971), 32.

3 Ingolf U. Dalferth (2018), 55.

4 Vgl. David H. Bosch (2011), 69. Vgl. auch John Corrie (2001), 97–106. Diesen Hinweis verdanken wir Andreas Jansson.

5 Karl Barth (1962), 199.

6 Albrecht Grözinger (2012), 38. Dort schreibt Grözinger weiter: »Im Grunde kann man die ganze Geschichte der deutschsprachigen Homiletik des 20. Jahrhunderts als Nachhall dieser drei Sätze verstehen – im Pro und Contra.«

7 Ibid.

8 Karl Barth (1962), 212.

9 Ibid., 218.

10 Ibid., 212.

11 Ibid.

12 Ibid.

13 Ibid., 217. Hervorhebung im Original.

14 Mit Blick auf das gesamte gottesdienstliche Geschehen schreibt Michael Meyer-Blanck (2020), 13f: »Das evangelische Spezifikum liegt in der Rechtfertigungslehre als wichtigstem gottesdienstlichem Kriterium. Diese soteriologische Grundregel darf jedoch nicht dazu führen, dass der menschliche Anteil am gottesdienstlichen Geschehen unterschätzt wird.«

15 Albrecht Grözinger (2012), 40, bemerkt, dass derjenige, der auf der Kanzel das Wort ›Gott‹ sagt und dies »nicht mit Furcht und Zittern tut«, auch nicht von ›Gott‹ spreche.

16 Karl Barth (1962), 216.

17 Ibid., 217.

18 Ibid., 218.

19 Jesus Christus ist für Barth das »eigentliche Thema« seiner Ausführungen.

20 Vgl. dazu Michael Meyer-Blanck (2020), 469f.

21 Karl Barth (1962), 217.

22 1Thess 2,13. Alle Bibelzitate sind der Lutherbibel (Revision 2017) entnommen.

23 Vgl. Karl Barth (1952), 89–128.

24 Zur berühmten Formel Heinrich Bullingers: »Praedicatio verbi dei est verbum dei« schreibt Isolde Karle (2004), 147: »Angesichts der momentanen Verzagtheit und Unsicherheit auf den Kanzeln, angesichts der Ästhetisierung und Subjektivierung gegenwärtiger Predigtstile scheint es mir deshalb nicht unangebracht, an Bullingers provokantes Wort zu erinnern. [ …] Bullingers Wort erinnert überdies daran, dass es bei der Predigt nicht nur um Betroffenheitserlebnisse geht, sondern auch um die Wahrheit und Verbindlichkeit des gepredigten Wortes.« Vgl. auch Michael Meyer-Blanck (2020), 430–432.

25 Vgl. Karl Barth (1952), 90–92.

26 Vgl. Ibid., 93f.

27 Ibid., 95.

28 Ibid.

29 Ibid., 97. Michael Meyer-Blanck (2020), 4, schreibt: »Gott wird nicht durch heilige bzw. geweihte Personen mit heiligen Worten und Handlungen beschworen, sondern Gott vergegenwärtigt sich selbst in der Form der menschlichen Unterredung.«

30 Rudolf Bohren (1971), 24.

31 Ibid., 25.

32 Mit Blick auf Mt 18,20 verweist Isolde Karle (2004), 142f, auf die biblische Verbindung der Gegenwart Gottes mit sozialer Interaktion und menschlicher Kommunikation

33 Rudolf Bohren (1971), 27.

34 Isolde Karle (2004), 145.

35 Vgl. dazu auch den 5. Artikel der Confessio Augustana.

36 Rudolf Bohren (1971), 66. Vgl. insgesamt dazu: Ibid., 65–88.

37 Edmund Schlink (2005), 9.

38 Rudolf Bohren (1971), 82.

39 Ibid., 76. Vgl. dazu auch Ibid., 76–88. Michael Meyer-Blanck (2020), 10, schreibt dazu: »Es führt liturgietheologisch in die Irre, das Handeln Gottes und das Handeln des Menschen gegeneinander auszuspielen. Das Handeln Gottes gibt es für uns immer nur als Deutungsleistung des Menschen in Bezug auf bestimmte Zeichen, so dass das Handeln Gottes im Medium menschlicher Zeichendeutung erscheint.«

40 Rudolf Bohren (1971), 76. Wilfried Engemann (2020), 585–589, spricht von den Credenda und Facienda der Homiletik.

41 Timothy Keller (2015), 10.

42 Wilfried Engemann (2020), 586.

43 Isolde Karle (2004), 145.

44 Ibid.

45 Michael Welker (1992), 222.

46 Andreas Wollbold (2017), 116, schreibt: »Das an sich berechtigte Axiom, Inhalt und Form seien unmöglich voneinander zu trennen, kann auch überzogen werden, wenn dadurch der Inhalt der Glaubensverkündigung selbst in Abhängigkeit von der kommunikativen Situation gerät. Dann ersetzt Kommunikation Wahrheit, und die Suche nach dem Einverständnis endet beim kleinsten gemeinsamen Nenner.«

47 Ernst Lange (1981), 101, forderte eine »dialogische« Kommunikation.

48 Ingolf U. Dalferth (2018), 44.

49 Apg 16,14.

50 Wilfried Engemann (2020), 590. Vgl. dazu Ibid., 25–37, auch Engemanns Modell des ›Auredit‹.

51 Dass eine Kommunikationsabsicht nicht nur angemessen, sondern geboten ist, drückt Ruth Conrad (2014), 9, so aus: »Wer redet, will etwas, beziehungsweise hat etwas zu wollen. Wer nichts beabsichtigt, muss nicht öffentlich reden.«

52 Vgl. Albrecht Grözinger (2008), 83–85, und Christian Grethlein (2016), 146–159.

53 Vgl. Albrecht Grözinger (2008), 87–99.

54 Ibid., 88.

55 Vgl. Gerd Theißen (1994), 50–57, dort 54: »Bibeltexte sind offene Texte. Und anstatt darüber zu klagen, daß die Exegeten keine eindeutigen Lesarten liefern, sondern immer wieder neue Lesarten vorschlagen, sollte man darüber froh sein: Ein religiöser Text ist umso wertvoller, je größer sein Sinnpotential ist. Die Predigt lebt von der Sinnfülle biblischer Texte.«

56 Vgl. Christian Grethlein (2016), 158f.

57 Vgl. Wilhelm Egger und Peter Wick (2011), 22–29. Auch aus exegetischer Sicht kann man hier kritisch einwenden, dass das eigene Vorverständnis eine Leserin u. U. daran hindert, Inhalt und Absicht eines Textes zu erfassen, weshalb sich exegetisches Arbeiten durch ›wissenschaftliches Lesen‹ um Intersubjektivität bemüht.

58 Albrecht Grözinger (2008), 88.

59 Zur dieser Dialektik schreibt Jan Hermelink (2011), 97: »Nur in der Begegnung mit der prägnant formulierten, in Gottesdienst und Predigt kommunizierten Lehre kommt es zur Begegnung mit Gottes Wort; nur da jedoch, wo dieses Wort individuell angeeignet und auf die je eigene Lebensführung hin ausgelegt wird, kann das Bekenntnis plausibel werden – und persönliche Zustimmung finden.«

60 1Kor 2,14.

61 Isolde Karle (2004), 144.

62 Ingolf U. Dalferth (2018), 44. Michael Meyer-Blanck (2020), 10, schreibt: »Es ist das unmittelbare Erleben als Gewisswerden der Christusrede, welches den Gottesdienst zum Gottesdienst macht.«

63 Isolde Karle (2004), 144, spricht von einer »Kommunikationsgemeinschaft«.

64 Vgl. Detlef Pollack (2009), 125–149 und 223–275. Vgl. auch Olaf Müller, Detlef Pollack und Gert Pickel (2013).

65 Vgl. Gert Pickel (2020), besonders 157–167 und 173–175.

66 Ibid., 158.

67 Vgl. Gert Pickel (2016), bes. 81ff.

68 Gert Pickel (2020), 158.

69 Wolfgang Huber (2003), 253.

70 Vgl. Reiner Preul (2008), 42–51. Vgl. auch Wolfgang Huber (2003), 250 und 251–253.

71 Vgl. Michael Herbst (2013), 9–11, und Michael Herbst (2014), 129–131.

72 Vgl. Albrecht Grözinger (2004).

73 Vgl. Michael Herbst (2010), 188f. Nicht zuletzt aufgrund des soziokulturellen Umfelds der Universität Greifswald bemühen wir uns darum, diese gastliche Haltung bei den Studierenden zu kultivieren.

74 Timothy Keller (2014), 75.

75 Vgl. Reiner Preul (2008), 45f.

76 Vgl. Ibid., 42–48.

77 Vgl. Johannes Zimmermann und Anna-Konstanze Schröder (2010), 126–137 und 60f: »Denn es ist doch darüber zu staunen, dass fast alle befragten Konvertiten die ›ganz normalen‹ Gottesdienste für wichtig halten. [ …] Dass für 87% der von uns befragten Konvertiten der Gottesdienst bedeutsam war, zeigt zumindest, dass bei den Überlegungen zum missionarischen Gemeindeaufbau auch die traditionelle Form des Gottesdienstes beachtet werden muss – eben nicht nur aufgrund von kirchlich-traditionellen und theologischen Gründen, sondern auch aus der Wahrnehmung von ›religiösen Subjekten‹, die von sich sagen, dass sie eine Veränderung hin zum Glauben erlebt haben.«

78 Wolfgang Huber (2003), 253.

79 Michael Meyer-Blanck (2020), 2. Dort schreibt Meyer-Blanck weiter: »Die Predigt ist in dieser Sicht eine Art von regelrechter Regelverletzung des rituellen Handelns durch rhetorisches Handeln bzw. sie ist der Teil des gottesdienstlichen Rituals, der dieses deutet.«

80 Ibid., 7: »Zwischen den Begriffen ›Liturgie‹ und ›Gottesdienst‹ ist keine Unterscheidung zu treffen, weil es sich insgesamt um den öffentlichen Dienst des Evangeliums handelt. [ …] Liturgie ist öffentlicher Gebetsdienst der Kirche.«

81 Ibid., 2.

82 Ibid., 1.

83 Ibid., 2.

84 Ibid.

85 Ibid., 8.

86 Ibid., 13.

87 Ibid., 233.

88 Vgl. Ibid., 114–124.

89 Vgl. Ibid., 409.

90 Ibid., 419f: »Auf jeden Fall aber interpretieren sich Wochenspruch, Psalm, Wochenlied und die drei Lesungstexte des jeweiligen Sonntags gegenseitig.«

91 Ibid., 420.

92 Vgl. Ibid., 467–469.

93 Vgl. Ibid., 429f. und 469f. Meyer-Blanck spricht vom ›genus liturgicum‹ oder ›genus performativum‹.

94 Ibid., 429.

95 Ibid., 529.

96 Ibid., 524.

97 Wolfgang Beck, Ilona Nord und Joachim Valentin (2021), 9, weisen darauf hin, dass der Begriff ›Digitalisierung‹ »unscharf« sei und beschreiben den Vorgang so: »Die digitale Transformation und Durchdringung aller Bereiche von Staat und Religion, Wirtschaft und Kultur, Gesellschaft und Alltag durch die technischen Möglichkeiten, die sich aus der Übertragung von Daten der analogen Welt in digitale Daten ergeben.«

98 Vgl. Hubert Knoblauch und Martina Löw (2021).

99 Kristin Merle (2019), 17f, stellt dazu fest: »Indes sind im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren praktisch-theologische Arbeiten in der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtig stattfindenden Medienwandel erschienen, wenngleich wenige.« Zum Forschungsstand vgl. Ibid., 17–21. Jüngere Publikationen zum Thema sind u. a. Ilona Nord und Kristin Merle (2022) und Hubert Knoblauch und Martina Löw (2021).

100 Vgl. Ibid.

Das Handwerk erlernen und ausüben

Dieses Buch ist ein Versuch, den Weg der Vorbereitung zu beschreiben, den alle, die für Gottesdienste zuständig sind, immer wieder beschreiten. Dass dieser Weg mühsam sein kann, weiß jeder, der es einmal über eine längere Zeit versucht hat. Wir möchten Hilfestellungen geben, diesen Weg zu gehen, ohne an zu hohen Anforderungen zu scheitern, die im Berufsalltag kaum zu schultern wären, ohne aber auch jeden Anspruch an das eigene Handwerk preiszugeben.

Der Weg, den wir empfehlen, ist nicht in einsamen Stunden am Schreibtisch entstanden (obwohl das Schreiben dieses Buches natürlich viele einsame Stunden am Schreibtisch verlangte). Wir haben seit 1996 in Greifswald zusammen das Homiletisch-liturgische Seminar geleitet, über all die Jahre Matthias Schneider als Kirchenmusiker und Michael Herbst als Theologe, seit etlichen Jahren auch Felix Eiffler, ebenfalls als Theologe. Aber dieses Seminar wäre ohne die Studierenden aus der Kirchenmusik und der Theologie undenkbar gewesen, die sich auf ein so intensives Seminar (und diese immer noch ungewöhnliche Arbeitsgemeinschaft) eingelassen haben, in die Seminargottesdienste viel Arbeit und Fantasie investiert haben und sich dann der Kritik gestellt haben.

Die didaktische Idee des Homiletisch-liturgischen Seminars

Das Homiletisch-liturgische Seminar (oder kurz: das HLS) findet in der Regel in jedem Sommersemester in Greifswald statt.

Zu Beginn des Semesters gibt es ein Wochenend-Blockseminar, meist in einer kleinen Tagungsstätte in Altefähr auf Rügen. Lehrvideos werden einige Wochen vorher zur Verfügung gestellt (als ›flipped classroom‹), die in die Arbeit mit dem ›Evangelischen Gottesdienstbuch‹101 einführen. Beim Blockseminar selbst wird die Arbeit an der Liturgie (und deren Sinn!) diskutiert. Vertiefende inhaltliche Impulse führen vor, wie einzelne Stücke im Gottesdienst zu verstehen sind und gestaltet werden können. Und dann wird ein erster Gottesdienst in kleinen Gruppen vorbereitet. Dieser Gottesdienst wird schließlich am Sonntag mit der örtlichen Kirchengemeinde zusammen gefeiert und danach auch besprochen.

Ein Studientag wenige Wochen später dient dazu, an der eigenen liturgischen Präsenz zu arbeiten. Pastorin Margret Laudan, Trainerin für Liturgische Präsenz ©, übt mit den Studierenden einzelne Stücke wie das Votum oder den Segen ein.

Wenige weitere Theoriesitzungen dienen der Einführung in die Methodik, das sogenannte Homiletisch-liturgische Exerzitium, das auch diesem Buch zugrunde liegt und das in unserem älteren Arbeitsbuch beschrieben wurde: Wir predigen nicht uns selbst (erstmals 2001 erschienen).102 Parallel erarbeiten die Studierenden ›ihren‹ Gottesdienst, schreiben also ihre Seminararbeit, die den Schritten des Exerzitiums folgt und der Vorbereitung und Planung von Predigt und Gottesdienst gewidmet ist. Sie bereiten damit meist ihren ersten agendarischen Gottesdienst vor, jeder und jede für sich, aber auch mit den Kommilitoninnen aus Theologie und Kirchenmusik.

Danach, etwa sechs bis acht Wochen nach Semesterbeginn, werden die studentischen Seminargottesdienste in Greifswalder Kirchen gefeiert. Bei großen Seminargruppen bedeutet das: An drei Abenden in der Woche gibt es, jeweils in einer anderen Kirche, einen solchen öffentlichen Gottesdienst, den die Studierenden gemeinsam verantworten und leiten. Es sind oft (für pommersche Verhältnisse) gut besuchte Gottesdienste mit 30 bis 50 Besucherinnen und Besuchern, die anschließend mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars zu einem Nachgespräch eingeladen werden.

Im Nachgespräch besprechen wir zuerst die kirchenmusikalischen und liturgischen Aspekte und danach die homiletischen. Grundsätzlich (immer!) steht das Gelungene zuerst im Fokus, bis wir uns auch die ›Baustellen‹ oder ›Wachstumsbereiche‹ anschauen. Im homiletischen Teil des Nachgesprächs kommt auch ein studentischer Kommentar zum Tragen: Ein Teilnehmer bzw. eine Teilnehmerin hat die Predigt vorab gelesen und kommentiert sie in maximal zwei Minuten.

Zur intensiven Betreuung der Studierenden gehören ausgedehnte Sprechstundenzeiten, zusätzliche offene Gesprächsabende (»Was Sie immer schon mal fragen/diskutieren wollten …«) und zeitnahes Feedback. Jeder und jede bekommt innerhalb einer Woche ein ausführliches schriftliches Gutachten und ein persönliches Nachgespräch mit demjenigen aus dem Team, der die Arbeit bis dahin begleitet hat. Spannende Themen, die sich aus dem Gottesdienst ergeben, werden in den Seminarsitzungen, die parallel zu den Gottesdiensten weiter stattfinden, vertieft bearbeitet. D. h.: Nach der methodischen Einführung werden die Themen der weiteren Seminarsitzungen im Wesentlichen aus den gemeinsam gefeierten Gottesdiensten gewonnen.

Worauf es uns ankommt …

Auf einige Besonderheiten, die dieses Seminar auszeichnen, möchten wir eingangs hinweisen, weil dies helfen wird, unseren spezifischen, vielleicht etwas ehrgeizigen Ansatz zur Vorbereitung von Predigt und Gottesdienst besser zu verstehen – und dann zu prüfen, ob es sich lohnen könnte, sich dieser Idee (wenigstens probehalber) anzuschließen:

Predigt und Liturgie

Diese Grundentscheidung muss ganz am Anfang stehen. Wir verstehen Gottesdienst (respektive Liturgik) und Predigt (respektive Homiletik) als integriertes Ganzes und richten darum auch die Bildung von Theologinnen und Theologen von Anfang an auf eine integrierende Praxis von Gottesdienst und Predigt aus.103

So gesehen ist die Liturgie nicht nur der (mehr oder weniger lästige) Rahmen der Predigt. So gesehen ist die Predigt keine isolierte Rede, sondern ein liturgisches Element im Gottesdienst. Kristian Fechtner hat die eigentümliche Stellung der Predigt gut auf den Punkt gebracht:

»Als gottesdienstliche Rede ist die Predigt Teil der Liturgie, in deren Dramaturgie sie durch die vorangehende Lesung oder das sich anschließende Gemeindelied ebenso wie durch die ihr eigenen rituell-liturgischen Elemente (Kanzelgruß, Kanzelsegen) eingebunden ist. Zugleich ist sie Gegenüber zur Liturgie, insofern sie eine subjektiv zu verantwortende religiöse Anrede der Gemeinde darstellt.«104

Ganz ähnlich beschreibt Michael Meyer-Blanck fein und dialektisch das Gemeinsame und Unterscheidende: »Die Predigt ist ein Teil der Liturgie und zwar derjenige Teil, der ihre Regeln gerade durch die Ausnahme von den Regeln bekräftigt.«105 So entsteht »das spannungsvolle Zusammenspiel von ritueller und rhetorischer Kommunikation«106. Ist der gesamte Gottesdienst Mitteilung und Darstellung des Evangeliums, dann dominiert »in der Predigt die individuelle Mitteilung und im Ritual die gemeinsame Darstellung«107.

Exzellenz, nicht Perfektionismus

Wir sind davon überzeugt, dass sich intensive Arbeit lohnt. Wir glauben nicht an Perfektionismus, der uns Menschen nur grenzenlos überfordert und kaum je gesund ist. Aber wir glauben an Exzellenz. Der Unterschied ist einfach: Dem Perfektionisten wird es nie gut genug geraten sein. Er agiert aus Angst vor Zurückweisung und Beschämung.

Wer nach Exzellenz strebt, tut es, weil er stolz auf sein Handwerk ist und das Beste geben will – in den Grenzen des Möglichen, nach dem Maß der eigenen Begabung und Lebenskraft. Wer als Predigerin oder Liturg nach Exzellenz strebt, kennt die Freude an gelungenen Gottesdiensten, tröstenden Liedern, ermutigenden Predigten, Aha-Momenten bei denen, die zuhören, dem Einswerden der Gemeinde im Gebet und Lobgesang. Er weiß, dass er Teil hat an der Kommunikation des Evangeliums. Sie weiß, dass sie Gott und den Menschen dienen darf. Er weiß, dass gute Gottesdienste für die Gemeinde bedeutsam sind. Und darum investiert sie viel. Nicht nur am Anfang im Studium, wenn es um Noten geht. Auch danach, auf der langen Strecke im Dienst der Gemeinde. Es bleibt die tiefe Überzeugung, dass Glaube und Kirche geboren werden aus dem Hören auf das Wort und der Feier der Sakramente.

Darum allein schon gehört der Vorbereitung von Gottesdiensten so viel Liebe und Sorgfalt, denn wir haben hier – an gleichsam untergeordneter Stelle – Anteil an einem Wunder: dass Glaube entsteht, gestärkt, vergewissert, neu gewonnen oder vertieft wird, und dass Gemeinde erneuert, erbaut und entwickelt wird. Was den Pfarrerinnen und Pfarrern bei der Ordination vorgehalten wird, das verdient auch einen prominenten Platz in Zeitbudget und Wochenplanung: »Du sollst das Evangelium von Jesus Christus verkündigen, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnissen unserer Kirche bezeugt ist.«108

Wir wissen, dass das für die Leserinnen und Leser, die bereits längere Zeit im Berufsleben stehen, vielleicht eine Provokation ist. Vielleicht denken Sie: »Das sind diese Uni-Leute! Sollen sie doch mal sehen, wie es im Alltag einer Kirchengemeinde wirklich aussieht! Da ist es schnell vorbei mit dem Ehrgeiz, sich Woche für Woche mit einem ›Exerzitium‹ abzumühen. Da ist man froh, wenige Stunden für die Vorbereitung des Gottesdienstes freizuboxen. Da muss es auch mal schnell gehen! Und vor allem: Woche für Woche kaum Resonanz auf all die Mühe zu bekommen, das wird auch noch den Eifrigsten ins Nachdenken bringen, ob all die Mühe sich wirklich lohnt.«

Wir haben Respekt vor dem, was Kirchenmusiker und Pastorinnen leisten – wir kennen es auch aus nicht allzu kurzer eigener Erfahrung. Gleichwohl hatten wir den Eindruck, dass es auch unter anspruchsvollen beruflichen Bedingungen am Ende hilft, einige wenige Grenzen einzuhalten, wenn die Ansprüche von innen und außen zu groß werden: Grenzen, die auch Zeiten für Stille einschließen wie für Bewegung, Schlaf und wichtige Beziehungen außerhalb des Dienstes. Aber auch Grenzen, die sicher stellen, dass wir nicht völlig auf das verzichten, was wir einmal intensiv studiert und eingeübt haben, weshalb wir eben Theologinnen und Kirchenmusiker sind.

Das Eingeübte will nun auch ausgeübt werden – und so ›unseres‹ bleiben. In der erkämpften und ausgesparten Zeit für die Vorbereitung von Liturgie und Predigt sind wir noch Theologinnen und Kirchenmusiker und gehen nicht auf bzw. unter in dem, was noch von uns verlangt wird. Und: Qualität zahlt sich auf Dauer aus. Wir sind überzeugt, dass es auf Dauer auch Resonanz geben wird, Neugier auf den nächsten Sonntag, nachdenkliche Nachgespräche, manchmal ernstes Diskutieren, zudem dankbares Feedback, dass die Gottesdienste ›mir etwas geben‹ oder ›mir etwas zu sagen haben‹.

Weil er oder sie so – ein bisschen störrisch, durchaus! – nach Exzellenz, aber nicht nach Perfektionismus strebt, kann es auch einmal heißen: »GETMO!« Also: »good enough to move on« (C. Groeschel109). Weil im Prinzip die zentrale Arbeit an Predigt und Gottesdienst auch im wöchentlichen Zeitbudget zentral ist, gibt es ohne schlechtes Gewissen auch die Wochen, in denen es nicht recht gelang, in denen der Druck des Dringenden zu hoch war. Und wer Exzellenz, aber nicht Perfektion anstrebt, wird um den sinkenden ›Grenznutzen‹ wissen, sich also auch Grenzen für die einzelnen Arbeitsschritte setzen und nicht ohne Schranken immer noch ›einen Kommentar mehr‹ zu Rate ziehen oder eine Predigthilfe mehr aus dem Regal ziehen. Er oder sie weiß, wann es reicht.

Jenseits der Komfortzone

Wir sind deshalb überzeugt, dass wir die, die mit uns studieren, fördern und fordern sollen. Die Förderung geschieht durch intensive Betreuung und viel Gespräch. Die Herausforderung zeigt sich in einem anspruchsvollen Exerzitium und freundlicher, aber realistischer Bewertung des Geleisteten. Uns geht es um ein Ethos: Wir wollen mit den Studierenden feiern, was gelang, aufrichten und unterstützen, wenn es einmal wehtut, aber auch dazu anregen, im eigenen Handwerk immer besser werden zu wollen, als Liturgin und Prediger zu ›wachsen‹ und nicht zu bald selbstzufrieden und ›satt‹ zu werden. Wir bringen unsere besten Leistungen ja nicht in unserer Komfortzone. Wir bringen unsere besten Leistungen auch nicht im verzweifelten Versuch perfekt zu werden. Wir bringen unsere besten Leistungen immer ein Stück oberhalb der Komfortzone, da, wo wir uns ›strecken‹ müssen, weil es durchaus etwas wehtut, wo wir aber auch ahnen: Das geht! Das wird!110 Und der Beruf derer, die Gottesdienste gestalten und Predigten schreiben, lebt auch von einem solchen ›Ethos‹: »Ich bin noch nicht fertig. Ich kann noch etwas lernen. Ich m