Everlasting Love - Ruf der Unterwelt - Lauren Palphreyman - E-Book

Everlasting Love - Ruf der Unterwelt E-Book

Lauren Palphreyman

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lila fühlt eine seltsame Dunkelheit in sich, dabei könnte sie endlich das Zusammensein mit ihrem Seelenpartner Cupid genießen. Aber dann taucht Valentine plötzlich wieder auf und setzt sie unter Druck. Lila muss sich entscheiden, wem sie vertrauen kann und wem nicht. Das rasante Finale der Everlasting-Trilogie, alle Bände: Everlasting Love - Gefährliches Schicksal Everlasting Love - Valentines Rache Everlasting Love - Ruf der Unterwelt Der Wattpad-Erfolg aus den USA!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 427

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lauren Palphreyman

Everlasting Love - Ruf der Unterwelt

Aus dem amerikanischen Englisch von Anna Julia Strüh

FISCHER E-Books

Inhalt

Teil 1: Die verschwundene Seele1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelTeil 2: Die Pyxis12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. KapitelTeil 3: Die Unterwelt19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. KapitelTeil 4: Psyches Herz31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. KapitelEpilog

Teil 1:Die verschwundene Seele

1.Kapitel

Ich war noch nie in meinem Leben so müde. Meine Lider werden schwer, und alle paar Minuten sinkt mein Kopf auf meine Arme. Ich bin nicht sicher, ob das an Ms Greens monotonem Vortrag über römische Kunst liegt oder daran, dass ich seit dem Valentinstag jede Nacht schreckliche Albträume hatte, jedenfalls kann ich mich kaum wach halten.

»Hey«, flüstert Charlie. Ich zucke so heftig zusammen, dass mein Stuhl über den Boden schrappt, was mir einen bösen Blick von Ms Green einbringt. Charlie beugt sich zu mir, ohne sich daran zu stören, dass ihr stylisher pinkfarbener Overall zerknittert. Ihre dunklen Augen sind von Sorge erfüllt. »Hattest du wieder einen Albtraum?«

Stöhnend reibe ich mir das Gesicht. »War es so offensichtlich, dass ich schlafe?«

»Ach nö, überhaupt nicht. Abgesehen von dem Schnarchen … und dem Sabbern …« Ich verziehe das Gesicht, doch sie hebt beschwichtigend die Hände. »War nur ein Witz! Aber ich dachte, wenn du wach wärst, würdest du aufpassen.«

Ich folge ihrem Blick nach vorne, an Kelly und Chloe vorbei, die sich über den Gang beugen, um hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln, und setze mich kerzengerade auf. Am Whiteboard steht in schwarzer Handschrift: Amor und Psyche.

Mir stockt der Atem.

Psyche.

Das Mädchen, mit dem Amor, also Cupid, gegen seinen Willen verkuppelt wurde. Das Mädchen, für das Valentine alles aufs Spiel gesetzt hat. Das Mädchen, das er zurückbringen wollte.

»Natürlich begegnet uns der Mythos von Amor und Psyche in vielen verschiedenen Kunstformen.« Ms Green steckt den Deckel auf ihren Edding und beäugt die unruhige Klasse über ihren dicken Brillenrand hinweg. »In der Geschichte wird Amor von seiner Mutter, Venus, aufgetragen, mit einem Pfeil auf Psyche zu schießen, so dass sie sich in eine unvorstellbare Kreatur verliebt. Aus Eifersucht, denn Psyche war nicht nur schön, es ging auch das Gerücht, dass sie die nächste Göttin der Liebe werden würde. Weiß jemand, was daraufhin passierte?«

Etwas Kaltes steigt aus meiner Magengrube auf und flutet durch meine Adern. »Cupid – äh, Amor wurde selbst von einem Pfeil getroffen.«

Ms Greens Augenbrauen schießen in die Höhe – offensichtlich überrascht sie mein plötzliches Interesse an Mythologie. Sie nickt energisch und fährt sich mit der Hand durch ihren ergrauenden Bob. »Ja, Lila«, sagt sie. »Sehr gut. Amor wurde mit einem seiner eigenen Pfeile angeschossen. Die beiden verliebten sich ineinander, und –«

»Das war keine echte Liebe.« Meine Stimme ist unerwartet laut und barsch. Sie klingt überhaupt nicht nach mir. Meine Finger schließen sich fester um meinen Stift.

Ein paar meiner Klassenkameraden richten sich instinktiv auf. Kelly dreht sich um und wirft mir unter ihrem blonden Pony einen verwunderten Blick zu. James, mein Ex, der am anderen Ende des Klassenzimmers sitzt, zieht irritiert die Stirn kraus. Und ich spüre Charlies Blick auf mir.

»Ja … nun … wie dem auch sei …« Ms Green rückt ihren Bleistiftrock zurecht, wirft einen Blick auf die Plastikuhr über der Tür und wendet sich dann wieder an die Klasse. »Der Sage nach hat Psyche Amor versehentlich mit einer Öllampe verbrannt. Er ging, um seine Wunden zu versorgen, und Psyche folgte ihm.«

Mein Adrenalinspiegel steigt jäh an, aber ich habe keine Ahnung, warum. Ich schlucke den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und versuche, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

»Auf ihrer Wanderschaft versuchte Psyche, die Gunst der Götter zu erlangen«, fährt Ms Green fort. »Aber niemand war bereit, sich ihr zuliebe gegen Venus zu stellen. Also beschloss sie, der Göttin der Liebe zu dienen.«

Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen, und sehe auf meine geballte Faust hinunter. Langsam lockert sich mein Griff – wo kam dieser seltsame Gefühlsausbruch her? Ich sehe kurz zu Charlie, die mich verblüfft anstarrt, dann wende ich mich wieder nach vorne.

»Venus stellte Psyche einige schier unmögliche Aufgaben; sie musste Getreide sortieren, die Wolle eines goldenen Schafes besorgen und Wasser aus einem tödlichen Fluss schöpfen. Ihre letzte Aufgabe war es, eine Pyxis – eine Art uraltes Schmuckkästchen – in die Unterwelt zu bringen und sie mit der Schönheit der Göttin der Unterwelt zu füllen. Doch Psyche wurde von Neugier überwältigt. Sie öffnete das Kästchen und fiel in einen tiefen Schlaf.«

Es klingelt zum Unterrichtsschluss, und alle packen ihre Sachen zusammen – sie interessiert es nicht, wie Ms Greens Geschichte ausgeht. Doch ich bleibe reglos sitzen.

»Jedenfalls – um es kurz zu machen – hat Amor es schließlich geschafft, sie zu wecken«, sagt Ms Green eilig und wird fast vom Poltern zurückgeschobener Stühle übertönt. »Jupiter, der König der Götter, machte sie unsterblich. Und sie lebten alle auf ewig im Glück. Lest bis zum nächsten Mal Kapitel sieben und beantwortet die –«

»So war es nicht!« Ich stehe auf, die Tischkante fest umklammert, und taxiere Ms Green mit zornigem Blick. Mein Herz hämmert gegen meine Rippen.

Ms Green sieht mich erschüttert an, während meine Klassenkameraden aus dem Raum strömen. »Lila! Was um alles in der Welt ist in dich gefahren?!«

Charlie legt mir eine Hand auf den Arm. Das Gefühl lässt nach. Ich blinzele benommen und atme auf. Gute Frage.

»Ich … ich weiß es nicht«, stammele ich und greife nach meinem Notizblock. »Tut mir leid, ich …«

Ms Green sieht uns völlig entgeistert nach, als Charlie mich aus dem Klassenzimmer zieht. Wortlos navigiert sie mich durch das Meer pinkschwarzer Forever-Falls-High-Football-Jerseys, die Hand fest um den Ärmel meiner Lederjacke geschlossen. Sie hält vor einem Snackautomaten und dreht mich zu sich um.

»Was sollte das?!«, will sie wissen.

»Ich … ich weiß es wirklich nicht«, stammele ich. »Ich habe keine Ahnung, warum ich das gesagt habe.«

»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Cupid und Psyche, oder? Denn das war vorletztes Jahrtausend. Und außerdem – wer immer Psyche war, sie ist nicht mal mehr Teil dieser Welt.«

Ich reibe mir das Gesicht und versuche das eigenartige Gefühl loszuwerden, das mich plötzlich ergriffen hat. »Nein. Natürlich nicht. Es ist nur …« Ich schüttele den Kopf. Wie soll ich dieses Gefühl, diese Finsternis beschreiben, die mich überkommen hat? »Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen. Das ist alles«, sage ich schließlich.

Charlie mustert mich eindringlich. »Vielleicht bist du einfach aufgeregt, weil du morgen Geburtstag hast?«

Ich verdrehe die Augen. Sie liegt mir schon die ganze Woche damit in den Ohren, dass ich eine Party schmeißen soll, aber ich mag Geburtstage nicht sonderlich. Nicht, seit Mom gestorben ist.

»Nein, das ist es nicht«, antworte ich. Ich beiße mir auf die Lippe, unsicher, ob ich ihr von den Albträumen erzählen soll, die mich plagen, seit ich Valentine getötet habe; dass er mich seither wie ein Rachegeist heimsucht.

Charlies Gesicht wird sanfter. »Valentine ist tot«, sagt sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

»Ich weiß. Ich … ich hab nur ein mieses Gefühl.«

»Du klingst wie Cal«, sagt Charlie und wirft ein paar Münzen in den Snackautomaten. Wenig später reicht sie mir einen Schokoriegel.

Zu meiner eigenen Überraschung muss ich lachen. »Soll ich mich dadurch besser fühlen?«

»Schokolade macht alles besser.« Charlie wirft die Haare über die Schulter – eine stille Herausforderung, ihr zu widersprechen –, dann hakt sie sich bei mir unter, während ich den Schokoriegel zerbreche und ihr die Hälfte anbiete.

Schokolade mampfend gehen wir zu unseren Spinden. Wir kommen an einer Gruppe Zehntklässler vorbei, die sich die neueste Casting-Liste der Theater-AG anschauen, am Cheerleader-Team auf dem Weg zum Training und ein paar Sportlern, die vor dem Büro des Schulleiters eine Strafpredigt zu hören bekommen.

»Siehst du, alles ist ganz normal«, sagt Charlie.

»Abgesehen davon, dass du ein Liebesagent bist, ich mit einem Liebesgott ausgehe und wir vor ein paar Wochen den Weltuntergang verhindert haben.«

»Jepp, abgesehen davon«, pflichtet sie mir grinsend bei. »Wo wir gerade von Liebesgöttern sprechen – triffst du dich heute Abend mit Cupid?«

Ich schüttelte den Kopf und kämpfe gegen die plötzlich aufwallende Enttäuschung an. »Er meinte, er hätte zu tun. Anscheinend arbeitet er mit Cal an irgendetwas, wovon ich nichts wissen soll. Na ja, ich muss sowieso noch in die Bibliothek. Dad hat einen Anruf gekriegt, dass meine Noten in den Keller gehen, und ich konnte ihm ja leider nicht sagen, dass ich nicht zum Lernen gekommen bin, weil ich geholfen habe, eine Göttin am Wiederauferstehen zu hindern.«

Ich rechne damit, dass Charlie Protest einlegt und mir vorhält, wie öde es ist, an einem Freitagabend zu lernen, aber stattdessen zuckt sie nur die Achseln. »Tut mir echt leid, dass ich nicht mitkommen kann. Mom … ähm … kocht heute Abend.« Sie meidet meinen Blick, als sie ihre Bücher in ihre Tasche stopft. Ich runzele argwöhnisch die Stirn, als ich darin einen Pfeil und ein zerknautschtes Kleid erspähe. Offenbar verschweigt sie mir irgendetwas, aber angesichts all der Träume von Valentine, von denen ich ihr nichts erzählt habe, kann ich es ihr wohl kaum verübeln, dass sie auch ihre Geheimnisse hat. »Na dann … Ich ruf dich nachher an, okay?«

Bei meiner Ankunft ist die Bibliothek wie ausgestorben, und die Deckenlampen flackern, als ich mich an einen Tisch inmitten der Bücherregale setze. Ich atme die muffige Luft tief ein und genieße die Stille. Dann hole ich meine Schulbücher heraus und versuche, mich zu konzentrieren.

Doch das fällt mir schwer. Ungebeten steigen Erinnerungen an Valentine in mir auf. Ich weiß nicht, warum ich immer wieder an ihn denken muss. Warum er mich in meinen Träumen heimsucht. Er erschien mir so real, als ich ihn letzte Nacht an meinem Bett stehen sah.

Vielleicht fühle ich mich einfach schuldig, weil ich ihm den Pfeil in die Brust gestoßen und seinem Leben ein Ende gesetzt habe.

Aber ich glaube, es ist mehr als das. Ich glaube, die Träume sind eine Warnung.

Etwas Schreckliches kommt auf uns zu.

Ich erinnere mich an Cassies Prophezeiung. Nur eine Zeile davon ist noch nicht wahr geworden.

Sie wird wiederauferstehen.

2.Kapitel

Ich schrecke aus dem Schlaf.

Irgendetwas stimmt nicht. Mit mir stimmt etwas nicht.

In meinem Innern lauert etwas Finsteres; eine Dunkelheit, von der ich mich nicht befreien kann.

Ich blinzele ein paarmal, unsicher, wo ich bin. Langsam hebe ich den Kopf, und ein Stift, der an meiner Wange klebt, fällt klappernd zu Boden. Bei der Bewegung geht die Lampe über mir an und beleuchtet die Bücherregale um mich herum.

Ich bin immer noch in der Bibliothek und habe geschlafen, anstatt zu lernen.

Bei einem Blick auf mein Handy fluche ich leise. Es ist schon fast neun. Dad fragt sich bestimmt, wo ich bleibe. Ich stecke meinen mit Kritzeleien bedeckten Notizblock in die Tasche und stehe auf. Als ich mich zur Tür umdrehe, erstarre ich vor Schreck.

Eine Spur aus abgetrennten Rosenköpfen, rot wie Blut, führt auf den Gang hinaus. Die muffige Bibliotheksluft ist vom Duft frischer Myrte durchdrungen. Angespannt hänge ich mir meine Tasche über die Schulter und folge der Spur durch die Tür.

»Wer ist da?«, frage ich leise.

Meine Stimme hallt von den ramponierten blauen Spinden wider. Der erst kürzlich geputzte Boden ist mit Blütenblättern bedeckt. Ich denke an den Köcher voller Pfeile unter meinem Bett und verfluche mich innerlich dafür, dass ich ihn nicht mitgenommen habe.

Bevor die Liebesagenten in mein Leben getreten sind, hätte ich verstreute Blütenblätter wahrscheinlich für eine kitschige romantische Geste gehalten. Aber jetzt weiß ich, was wirklich dahintersteckt.

Eine Warnung.

Irgendetwas in mir bewegt mich dazu, der Spur zu folgen. Sie windet sich um die Ecke und unter den geschlossenen Türen der Cafeteria hindurch. Ich weiß noch genau, wann ich das letzte Mal nachts hier war – auf dem Ball haben Untote die Türen bewacht. Mein Atem beschleunigt sich, doch ich versuche, die Ruhe zu bewahren.

Valentine ist fort. Er ist tot. Er ist keine Gefahr mehr.

Ich lege die Hand auf die Klinke und halte einen Moment inne. Eine Stimme in meinem Hinterkopf schreit mich an, umzukehren und einfach nach Hause zu gehen. Aber ich muss wissen, was dort drinnen ist. Mit wild klopfendem Herzen gehe ich hinein.

Der Raum ist dunkel, aber ich sehe die hochgewachsene, imposante Gestalt sofort, beleuchtet vom Mondlicht, das durch die Fenster am hinteren Ende der Cafeteria strömt. Er steht mit dem Rücken zu mir. Die Türen schwingen hinter mir zu.

»Du solltest tot sein«, sage ich.

»Und doch bin ich hier.« Seine tiefe Stimme erfüllt den Raum. Langsam dreht er sich zu mir um. Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen, als er meinem Blick begegnet. »Hallo, Lila.«

»Hallo, Valentine.«

Ich starre ihn ungläubig an – seine kurzen schwarzen Haare, seine breiten Schultern, das hämische Funkeln in seinen Augen, die selbst im Dunkeln strahlend blau leuchten. Er trägt dunkle Jeans und ein blaues Hemd, das bis zu den Ellbogen hochgekrempelt ist. Die Sachen, in denen ich ihn getötet habe.

»Wir müssen aufhören, uns so zu treffen«, sagt er.

Ich fühle seinen Blick auf mir – er wandert meinen Körper hinab, über das schwarze Top unter meiner Lederjacke und meine hautengen Jeans. Seine Augen glitzern amüsiert, als kenne nur er allein die Pointe eines Witzes, der noch nicht erzählt wurde.

Alles fühlt sich etwas diffus an, und ich kneife die Augen zusammen, während ich meine Gedanken zu sortieren versuche.

»Ich habe dich getötet«, sage ich.

Sein Grinsen wird breiter, so dass die Grübchen in seinen Wangen zum Vorschein kommen. »Ja, ich erinnere mich. Das war nicht nett. Darüber müssen wir noch reden. Aber nicht jetzt. Jetzt haben wir Wichtigeres zu besprechen.« Er geht zu einem Tisch und lässt sich dahinter nieder. Mit dem Fuß schiebt er den Stuhl gegenüber vor und deutet mit dem Kopf darauf. »Setz dich.«

Ich nehme Platz. Einen kurzen Moment frage ich mich, warum ich einfach so einwillige, mich zu einem psychopathischen, unmenschlichen Killer zu setzen – warum fühle ich mich in seiner Gegenwart so sicher? Aber dann wird mir etwas klar.

»Ich träume«, sage ich. »Ich träume schon wieder. Du bist nicht wirklich hier. Das kann nicht sein.« Frustriert reibe ich mir das Gesicht. »O Mann. Warum träume ich ständig von dir?«

Er beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf den Tisch. Ich kann ihn riechen – Schweiß, Salz und Meer.

»Du hast zum Teil recht«, sagt er. »Du schläfst. Das ist ein Traum. Aber ich bin wirklich hier, Lila.«

»Das bezweifle ich.«

»Meine Reise in die Unterwelt hat mich zu einem alten Freund geführt, der das Unterbewusstsein kontrollieren kann. Ich kann in deine Träume eindringen, Lila Black. Das tue ich schon, seit du mich umgebracht hast – aber erst jetzt konnte ich eine richtige Verbindung herstellen.« Sein Grinsen wird noch breiter. »Offenbar hast du an mich gedacht. Das macht es leichter.«

Ich schüttele den Kopf. »Nein. Ich habe nur … ein schlechtes Gewissen, weil ich dich getötet habe. Was ich nicht haben müsste, immerhin warst du das personifizierte Böse.«

Er lacht leise. »Gut. Böse. Das ist alles das Gleiche, wenn man so lange gelebt hat wie ich. Falls du mir nicht glaubst, frag deinen Freund.« Er lehnt sich lässig zurück. »Obwohl ich mich schon gefragt habe, ob mein Tod dir zu schaffen macht. Wir haben kurz vor dem Ende einen unvergesslichen Moment erlebt, nicht wahr?«

»Das ist verrückt.« Ich stehe auf. Traum hin oder her, das kann ich mir nicht länger anhören.

Unerwartet rasch beugt er sich vor, packt meine Handgelenke und hält mich fest. Mir stockt der Atem. Es ist erst wenige Wochen her, dass ich mich ihm stellen musste, aber ich hatte schon fast vergessen, wie schnell er ist. Meine Haut brennt unter seinen rauen Fingern, und ich kann kaum glauben, wie real er sich anfühlt; wie wenig sich das Ganze nach einem Traum anfühlt.

»Du hast versucht, Psyche zurückzubringen«, sage ich leise. »Du meintest, dafür bräuchtest du ihr Herz. Venus hatte versprochen, dir zu verraten, wo es ist, wenn du sie aus der Unterwelt befreist. Hat sie dir gesagt, wo es ist?«

Valentines Gesicht verfinstert sich. »Natürlich nicht. Meiner Mutter kann man nicht trauen.«

Ich reiße mich von ihm los. »Was willst du von mir, Valentine?«

Seine kalten Augen brennen sich in mich hinein. »Ich will, dass du in die Unterwelt kommst und mich zurückholst.«

Ich starre ihn völlig entgeistert an. Dann breche ich in schallendes Gelächter aus.

Valentine wartet, bis ich mich beruhigt habe. »Was ist so lustig?«, fragt er.

»Du willst, dass ich komme und dich rette?«

»Ja.«

»Du willst, dass ich in die Unterwelt reise, mein Leben riskiere und alle, die ich kenne, hintergehe, um dich – einen Mörder – von den Toten zurückzubringen?«

»Ja.«

Während er mich eingehend mustert, sehe ich wieder diesen Ausdruck in seinem Gesicht – er weiß irgendetwas, von dem ich nicht die geringste Ahnung habe. Der Gedanke trübt meine Heiterkeit.

»Und warum zum Teufel sollte ich das tun?«

»Weil ich etwas habe, das du brauchen wirst.«

Langsam dreht er sich um und nimmt eine zylinderförmige Schatulle vom Stuhl hinter sich. Sie hat etwa die Größe einer Urne. Unter der dicken Schicht Staub ist sie azurblau, und eine Frau ist daraufgemalt. Darunter stehen Buchstaben – Griechisch, glaube ich. Der bronzene Deckel ist kunstvoll verziert und mit Spinnweben bedeckt.

Als er die Schatulle auf dem Tisch abstellt, wirbelt Staub auf, der im fahlen Mondlicht schimmert. Der moderige Geruch vergessener Dinge strömt mir in die Nase.

Die Luft um das Kästchen herum fühlt sich an wie elektrisch aufgeladen, und es knistert vor Energie. Mein Herz rast. Es fühlt sich irgendwie … mächtig an.

»Was ist das?«

Valentine grinst breit. »Komm zu mir, dann verrate ich es dir.«

Ich starre ihn fassungslos an. »Vergiss es.«

Ohne ein weiteres Wort gehe ich zur Tür.

»Seit jener Nacht in der Höhle fühlst du dich anders, oder?«, fragt er in lockerem Plauderton.

Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um. Er hat den Raum bereits durchquert und steht direkt hinter mir.

»Hol mich zurück«, sagt er. »Dann erzähle ich dir alles, was du wissen musst.« Er hält einen Moment inne, und ein dunkler Schatten legt sich über sein Gesicht. »Es wird Krieg geben, und – ob es dir gefällt oder nicht – wir beide sind ein Teil davon. Ich könnte dich zwingen, mir zu helfen. Aber das werde ich nicht. Denn du wirst ohnehin bald kommen. Du wirst mich zurückholen, weil du es willst.«

Er hält meinen Blick fest, doch ich kneife argwöhnisch die Augen zusammen. »Niemals.«

»Du wirst diese Schatulle brauchen«, sagt er. Er schaut sich in der Cafeteria um, dann tritt er einen Schritt zurück – sein Blick scheint sich auf etwas zu richten, das nicht da ist. »Ich würde gerne noch länger quatschen, aber wie mir scheint, ist Ärger im Anmarsch. Du musst jetzt aufwachen.« Er grinst und winkt mir zum Abschied zu. »Wir sehen uns, Lila.«

»Valentine, warte –«

Meine Augen öffnen sich schlagartig, und ich bin allein in der schwach beleuchteten Bibliothek. Ich warte auf die Woge der Erleichterung, die mich angesichts dessen überkommen sollte, doch sie bleibt aus. Mir ist eisig kalt. Das Gefühl, dass in meinem Innern etwas Dunkles lauert, lässt nicht nach. Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und merke, dass meine Hände zittern. Es war nur ein Traum, versuche ich mir einzureden – aber so fühlte es sich nicht an. Es fühlte sich real an.

Ist es möglich, dass ich gerade mit Valentine gesprochen habe – dem Mann, den ich vor zwei Wochen getötet habe?

Ein Geräusch draußen im Flur reißt mich aus meinen Gedanken.

Ärger ist im Anmarsch.

Ich greife mir meinen Stift und halte ihn schützend vor mich wie eine Waffe. Im selben Moment fliegt die Tür auf. Im Türrahmen erscheint Cal, seltsam formell gekleidet in einem grauen Smoking und einem blütenweißen Hemd. Seine blonden Haare sind zurückgekämmt, wie sie es zuletzt auf dem Schulball waren. Er wirft einen verwunderten Blick auf den Stift in meiner Hand. »Es gibt Ärger«, sagt er, dreht sich auf dem Absatz um und marschiert zurück durch die Tür. »Wir müssen zu Cupids Haus. Sofort.«

3.Kapitel

Cal ist schon auf halbem Weg den Flur hinunter, bis ich mir meine Tasche geschnappt habe und aus der Tür stürme.

»Cal, warte! Cupids Haus? Was für Ärger?!«

»Ärger eben.« Er sieht mich nicht an.

»Okay … So gesprächig wie immer.« Ich laufe schneller, um ihn einzuholen, und sehe, wie er einen Blick auf die Uhr wirft.

»Was machst du hier?«, fragt er in vorwurfsvollem Ton. »Ich hab nach dir gesucht.«

»Tja, wie sich herausstellt, bleibt nicht viel Zeit für Hausaufgaben, wenn man böse Göttinnen am Wiederauferstehen hindert und gegen untote Liebesagenten kämpft.«

Er sieht mich fassungslos an. »Hausaufgaben? Du hast Hausaufgaben gemacht, bis –«

»Was ist los?«, unterbreche ich ihn.

Er antwortet nicht, sondern beschleunigt seinen Schritt, als wir den Parkplatz erreichen. Er deutet mit seinem Schlüssel auf das einzige Auto weit und breit, und die Türen des roten Lamborghini schwingen auf. »Beeil dich!«

»Cal, du machst mir Angst. Was ist los? Ist alles in Ordnung?«

Er fährt sich mit der Hand durch seine blonden Haare und begegnet meinem Blick. »Ja, keine Sorge, allen geht’s gut. Du wirst schon sehen.« Er steigt ein. »Jetzt komm. Beeilung.«

Cal steckt den Schlüssel ins Zündschloss, sobald ich im Auto sitze, doch dann hält er plötzlich inne und wirft mir einen nervösen Blick zu. Er öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, schließt ihn aber gleich wieder.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Was ist?«

»Ist … ähm … alles okay? Bei dir?«, fragt er.

Ich atme langsam aus und streiche mir durch meine zerzausten Haare. »Mir geht’s gut. Ich hatte nur einen … Albtraum, nichts weiter.«

Er nickt, als würde das seine Vermutung bestätigen, und wirft den Motor an. »Ich wusste, dass du keine Hausaufgaben gemacht hast.«

»Ach, sei doch still!«

Als er auf die Uhr am Armaturenbrett schaut, wird er blass, und seine Finger krampfen sich um das Lenkrad. Dann brettert er so jäh los, dass mein Kopf an die Lehne gedrückt wird. Ich ziehe irritiert die Stirn kraus, als mir ein würziger Zitrusduft in die Nase steigt. Cal trägt normalerweise kein Eau de Cologne.

Auf der Fahrt herrscht unangenehmes Schweigen, und ich frage mich unwillkürlich, was für Ärger es bei Cupid zu Hause geben könnte, mit dem zwei Original-Cupids nicht ohne mich fertig werden. Außerdem schien Charlie etwas vor mir geheim zu halten, und sie hatte ein Kleid in ihrer Tasche.

Ich kneife argwöhnisch die Augen zusammen. »Du bist seltsam schick gekleidet, Cal. Hast du heute Abend noch was vor?«

Seine Wangen laufen hochrot an. »Nein.«

»Du siehst fast aus, als wolltest du zu einer Party gehen.«

Er räuspert sich, den Blick starr geradeaus gerichtet. »Ich mag keine Partys.«

»Ist dir klar, dass morgen mein achtzehnter Geburtstag ist?«

Er errötet noch heftiger. »Oh. Alles Gute! Das wusste ich nicht.«

Ich sehe aus dem Fenster, als wir uns der Kuppe von Juliet Hill nähern. Cupids modernes Würfelhaus steht am Fuß des Hügels. Der Weg, der zu ihm hinunterführt, ist mit Steinstatuen und matt leuchtenden Solarlampen gesäumt. Hinter der Glasfront ist nichts als Dunkelheit zu erkennen.

»Komisch«, sage ich. »Ich dachte, die Matchmaking-Agentur verfügt über die Geburtsdaten jeder einzelnen Person.«

»Ja … nun …« Cal hält auf der Wiese neben Cupids Pool und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss. Einen Moment sitzen wir schweigend da.

»Dann ist dieser Ärger also kein Vorwand, um mich zu einer … ich weiß auch nicht … Überraschungsparty zu locken?«

Er schürzt die Lippen, sagt aber nichts. Dann sprudelt plötzlich eine Flut von derben Flüchen aus seinem Mund.

»Cal!«, rufe ich gespielt entsetzt. »Das werte ich als Ja.«

Er sieht mich niedergeschlagen an, und da fallen mir die dunklen Ringe unter seinen Augen und seine krankhaft blasse Haut auf. Kann er seit dem Valentinstag auch nicht mehr richtig schlafen?

»Kannst du wenigstens überrascht tun?«, bittet er mich.

»Klar.« Ich lasse mich mit einem erleichterten Seufzen zurücksinken. »Wer hat dich dazu angestiftet? Cupid oder Charlie?«

Er macht ein trübseliges Gesicht. »Beide.«

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich hab Charlie doch gesagt, dass ich keine Party will.«

»Na ja, es ist dein achtzehnter Geburtstag. Und in letzter Zeit ist so viel passiert – sie dachte, es würde dir guttun, mal die Sau rauszulassen. Und da stimme ich ihr zu.« Er drückt auf einen Knopf, und die Türen des Lamborghini öffnen sich – unser Gespräch ist beendet.

Ich folge Cal den Hügel hinunter zu Cupids Haus. Aus der Nähe sehe ich, dass sich Schatten durch die Dunkelheit im Innern bewegen.

»Bereit?«, fragt er.

Ich nicke, atme tief durch und gehe hinein.

»Überraschung!« Die Küche erwacht schlagartig zum Leben. Die Lichter gehen an und offenbaren eine seltsame Mischung aus Liebesagenten und Schülern, alle elegant gekleidet in glitzernden Cocktailkleidern und gebügelten Smokings. Musik dröhnt aus den Lautsprechern, als die Leute sich Bier und Chips von der Theke nehmen und anfangen zu tanzen. Die Luft riecht nach Alkohol und Parfüm.

Mir steigt die Hitze ins Gesicht. Cal mustert mich forschend, um zu sehen, ob ich mich freue, dann nickt er zufrieden. Charlie eilt in einem schwarzen Kleid auf mich zu, und ihr süßes Parfüm hüllt mich ein. Sie schlingt die Arme um mich und küsst mich auf die Wange.

»Du bist so was von tot!«, rufe ich scherzhaft.

Sie lacht. »Eigentlich liebst du mich.«

Als sie mich loslässt, fällt mein Blick auf Cupid. Er steht in einem schwarzen Smoking mitten in der Menge und beobachtet mich. Seine dunkelblonden Haare sind zurückgekämmt, aber eine Strähne fällt ihm ins Gesicht. Auf seinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus. »Herzlichen Glückwunsch, Sonnenschein«, sagt er. »Na, bist du überrascht?«

»Ja«, antworte ich zu schnell.

»Lügnerin.« Seine Augen glitzern schelmisch, als er sich Cal zuwendet. »Du hast es ihr gesagt, oder, Bruderherz?«

Cal zuckt die Achseln und zupft die Ärmel seines grauen Jacketts zurecht. »Sie war etwas … schwieriger als gedacht.«

Cupids Grinsen wird noch breiter.

»Wer hätte das gedacht?«, sagt Crystal, die in diesem Moment lächelnd auf mich zukommt. Sie trägt ein dunkelblaues Abendkleid, und ihre blonden Haare sind zu einem langen Zopf geflochten, der ihr über die Schulter hängt. Sie wünscht mir alles Gute zum Geburtstag, doch in ihrer Stimme schwingt Nervosität mit. »Cal, kann ich kurz mit dir reden?«

Ihre Blicke begegnen sich. Irgendetwas scheint zwischen den beiden vorzugehen. Er folgt ihr hastig durch die Menge, und obwohl ich mich sehr über die Party freue, wird mein Herz plötzlich schwer.

Wenn ich tatsächlich mit Valentine gesprochen habe … Er sagte, es würde Ärger geben. Und ich glaube kaum, dass er von der Überraschungsparty wusste. Crystals und Cals offensichtlicher Anspannung nach zu schließen geht noch etwas anderes vor sich.

Doch da durchströmt mich eine vertraute Wärme, und als ich aufblicke, sehe ich Cupids fröhliches Grinsen. Er umfasst mein Gesicht und drückt mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Damit vertreibt er einen Großteil der Dunkelheit, die mich den ganzen Tag fest im Griff hatte. Ich schmiege mich an ihn – mein Körper passt perfekt mit seinem zusammen.

»Alles okay?«, erkundigt er sich, löst sich von mir und legt seine Stirn an meine.

»Ja.« Ich deute auf Cal und Crystal. »Was ist mit den beiden los?«

»Keine Ahnung«, antwortet Cupid. »Und das ist mir auch egal.«

Ich trete einen Schritt zurück und verschränke die Arme vor der Brust. »Die Chefin der Matchmaking-Agentur und dein arbeitsbesessener Bruder führen ein sehr ernstes, intensives Gespräch, und dir ist das völlig egal?«

»Ich weiß nicht, ob dir das schon aufgefallen ist, aber mein Bruder neigt zur Dramatik«, erwidert er trocken.

Ich muss lachen. »Ja. Das ist mir tatsächlich schon aufgefallen. Er hat sich aufgeführt, als wäre es das Ende der Welt, mich herzubringen.«

»Dann komm«, sagt Cupid lächelnd. »Das ist deine Party – über meinen Bruder und seine Geheimnisse kannst du dir später noch Gedanken machen. Holen wir uns einen Drink.«

Ich nehme seine Hand und folge ihm zum Kühlschrank, blicke aber noch einmal zu Cal und Crystal zurück. Sie scheinen sich zu streiten. Aufgebracht deutet Crystal auf einen Zettel in der Hand. Cals Gesicht bleibt wie versteinert, doch er antwortet genauso wütend. Crystal, die meinen Blick auf sich gespürt hat, wirft mir ein erzwungenes Lächeln zu, bevor die beiden im Flur verschwinden.

Valentines Worte hallen in mir nach.

Ärger ist im Anmarsch.

4.Kapitel

Zwanzig Minuten später ist die Party in vollem Gange. Die Liebesagenten scheinen die Küche übernommen zu haben, sie stehen mit Bierflaschen in der Hand um die Theke herum und unterhalten sich in ernstem Ton, während die Schüler alle anderen Räume im unteren Stockwerk von Cupids Haus besetzen. Im Wohnzimmer läuft laute Musik, und der Couchtisch wurde zur Seite geschoben, um Platz für eine behelfsmäßige Tanzfläche zu schaffen. Cupid und Charlie, die sich den Schülern der Forever Falls High angeschlossen haben, tanzen ausgelassen mit ein paar Mädchen aus dem Hockey-Team.

Ich beobachte sie einen Moment, dann schleiche ich mich aus dem Wohnzimmer und die schwarze Wendeltreppe hinauf. Crystal und Cal sind bestimmt auch hochgegangen. Oben höre ich ihre aufgebrachten Stimmen aus einem der Gästezimmer. So leise wie möglich schleiche ich zur Tür und lehne mich neben dem Bild einer Sagengestalt an die Wand.

»Wir müssen etwas unternehmen«, sagt Crystal gerade. »Die Furien … Die Unterwelt … Das ist übel, Cal.«

Mir stockt der Atem. Dass ich von Valentine träume und dann dieses Gespräch aufschnappe, ist bestimmt kein Zufall.

»Wir haben das, was sie von uns verlangen, nicht«, erwidert Cal. »Da muss ein Irrtum vorliegen.«

»Sie machen keine Fehler. Und sie stoßen auch keine leeren Drohungen aus. Wir stecken in ersthaften Schwierigkeiten. Und ich glaube, das hat etwas mit Valentine zu tun.«

Das Blut gefriert mir in den Adern.

»Jetzt eine Party zu feiern erscheint mir nicht richtig«, sagt Crystal entschieden. »Wir sollten allen von dem Brief erzählen, und wir sollten Lila fragen, was in jener Nacht, als sie Valentine getötet hat, wirklich passiert ist.«

»Sie hat heute Geburtstag«, braust Cal auf. »Verdirb ihr das nicht. Sie hat schon genug durchgemacht.«

Ich lehne mich haltsuchend an die Wand.

Crystal seufzt schwer. »Wir kümmern uns gleich morgen früh darum«, sagt sie. »Jetzt komm. Die anderen fragen sich bestimmt schon, wo wir sind.«

Das Klackern hoher Absätze nähert sich der Tür. Hastig husche ich den Flur hinunter und verstecke mich in Cupids Schlafzimmer, bis die Schritte verhallen. Mein Herz hämmert, während ich fieberhaft zu begreifen versuche, was ich soeben mit angehört habe; die Unterwelt, ein Brief – und starkes Misstrauen, ob ich wirklich die Wahrheit über meine letzte Begegnung mit Valentine gesagt habe.

Ich habe sie nicht angelogen. Aber ich wollte ihnen nicht bis ins kleinste Detail erklären, warum ich gezögert habe, ihn zu töten. Und ich habe ihnen auch nichts von den Träumen erzählt, die ich seither von ihm hatte.

Cupid hat Valentine immer gehasst, und ich will es nicht noch schlimmer für ihn machen, indem ich ihm sage, dass ich Mitleid mit ihm hatte.

»Du brauchtest anscheinend auch eine Pause«, erklingt plötzlich eine tiefe Stimme mit starkem britischem Akzent und lässt mich erschrocken zusammenfahren.

Ich drehe mich um. Mino sitzt lässig auf dem Sessel neben Cupids Bett, ein abgegriffenes Buch im Schoß. Er trägt ein enganliegendes weißes Hemd, unter dem sich seine Muskeln deutlich abzeichnen. Unter einem hochgekrempelten Ärmel lugt ein Teil des Labyrinths hervor, das in seine dunkle Haut eintätowiert ist.

»Liebesagenten sind furchtbar anstrengend, nicht wahr?« Seine Augen funkeln amüsiert. »Aber es überrascht mich, dich hier oben zu sehen, Lila Black. Gefällt dir deine Geburtstagsparty nicht?«

»Ich … äh …«, stammele ich. »Es ist nur ein bisschen laut.«

Er steht auf und kommt auf mich zu, so dass ich den Kopf in den Nacken legen muss, um ihm ins Gesicht zu sehen.

»Dich bedrückt etwas«, stellt er fest.

»Liest du meine Gedanken?«

Er lacht leise. »Das würdest du merken. Der Verstand ist wie ein Labyrinth, Lila. Aber selbst für mich ist es schwer, mir unbemerkt Zutritt zu verschaffen.«

»Oh«, sage ich. »Gut.«

Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. »Also, was bedrückt dich?«

Ich seufze. Meine Gedanken schweifen unwillkürlich zu Valentine ab.

»Kann noch irgendjemand in den Verstand anderer Leute eindringen?«, frage ich. »So wie du?«

»Nicht genau wie ich. Aber ich nehme an, andere können es auf ihre Art. Die Sirenen zum Beispiel können Leute manipulieren und hypnotisieren.«

»Aber nicht, ohne dass sie etwas merken?«

»Nein. Sie hinterlassen immer Spuren.«

»Könntest du es erkennen, wenn jemand in den Verstand eines anderen eingedrungen ist?«

»Natürlich. Wenn ich Zugang zu seinem Verstand hätte.« Er grinst und bleckt dabei seine weißen Zähne. »Aber wenn ich eine falsche Abzweigung nehme, etwas durcheinanderbringe, was nicht durcheinandergebracht werden darf, eine Tür öffne, die geschlossen bleiben sollte … nun, das würde nicht gut ausgehen, oder? Soll ich es versuchen?«

»So verlockend das auch klingt … ich verzichte.«

Mino lacht. »Also, Lila, was glaubst du, wer sich in deinem Verstand zu schaffen gemacht hat?«

Ein lautes Klirren wie von zerberstendem Glas und ein erschrockener Schrei halten mich davon ab zu antworten. Die Musik hört abrupt auf, ersetzt von panischen Rufen. Mino und ich wechseln einen raschen Blick. Dann eilen wir aus dem Raum und die Treppe hinunter. Cupid fängt uns im Flur ab. Über seine Schulter hängen mehrere Bogen und Köcher, und er hat einen beunruhigten Ausdruck im Gesicht.

»Ihr könnt nicht von den Göttern stehlen, ohne einen hohen Preis zu bezahlen«, ertönt eine unbekannte Frauenstimme aus der Küche.

Cupid fasst mich am Arm und zieht mich an die Wand neben der Wohnzimmertür, aus der einige sichtlich verwirrte Schüler hervorspähen. Jason, der Quarterback, schimpft laut darüber, dass die Musik aus ist.

»Wir wollen nicht mit dir kämpfen, Meg«, höre ich Crystals Stimme aus der Küche. »Da liegt eindeutig ein Irrtum vor. Was ihr sucht, ist nicht bei uns.«

Ich blicke zu Cupid auf. »Was ist los?«

»Die Furien sind hier«, antwortet er grimmig.

»Die … wer?«

»Mino, wir müssen die Leute hier rausschaffen, bevor es … gewalttätig wird«, sagt Cupid.

Mino nickt. »Bin schon dabei, mein Freund.«

»Die Furien?«, frage ich, während die Leute sich murrend zur Garage begeben. Ich muss an das Gespräch zwischen Cal und Crystal denken und tippe Cupid aufgebracht an. »Ich hab dir doch gesagt, dass irgendwas Ungutes vor sich geht. Ich hab dir gesagt, dass Cal und Crystal etwas darüber wissen.«

Er starrt mich überrascht an. »Du denkst, sie wussten davon?«

Kelly und Chloe mustern Cupid mit bewunderndem Blick, als sie Arm in Arm an uns vorbeikommen. Ich halte inne, bis die beiden außer Hörweite sind – sie laufen Jason nach, der alle zu sich nach Hause eingeladen hat, um dort weiterzufeiern.

»Kommst du, Lila?«, ruft er.

»Vielleicht später.« Ich setze ein Lächeln auf und beschwöre ihn innerlich, schnell von hier zu verschwinden. Dann wende ich mich wieder an Cupid. »Ja, da bin ich mir sicher. Ich habe gehört, wie sie darüber geredet haben. Wer sind die Furien?!«

Er verzieht das Gesicht. »Rachegöttinnen aus der Unterwelt. Sie haben eine ziemlich miese Einstellung. Und sie arbeiten oft für den Gott des Todes.«

»Was haben sie auf meiner Geburtstagsparty verloren?!«

»Keine Ahnung.« Er zieht mich zur Küchentür. Etwa zwanzig Liebesagenten stehen uns im Weg, und dennoch nimmt sein Gesicht einen grimmigen Ausdruck an – anscheinend ist er groß genug, um zu sehen, was mir verborgen bleibt. »Aber sie haben unsere Gastfreundschaft überbeansprucht.« Er reicht mir Bogen und Köcher, die ich dankbar entgegennehme.

»Wir kämpfen gegen sie?«

»Ich kämpfe gegen sie. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Geh und such Cal.«

»Aber –«

Er deutet mit dem Daumen auf seine Brust. »Original-Cupid, schon vergessen? Ich kann nicht getötet werden. Finde du meinen Bruder.«

Ich stimme widerwillig zu, und Cupid drückt mir einen Kuss auf die Stirn.

»Also, welche dieser Seelen gebt ihr uns als Gegenleistung?«, verlangt eine der Furien zu wissen.

»Ihr könnt mich haben«, sagt Cupid und tritt vor. »Aber dafür müsst ihr mich erst töten.«

Die Agenten in der Tür drehen sich um, und er erstauntes Raunen erhebt sich, während sie eine Gasse für ihn bilden. Drei Frauen stehen vor der Theke. Sie tragen alle schwarzes Leder und sind mit Schwertern und Peitschen bewaffnet, die im gedimmten Licht glänzen.

»Cupid«, sagt die Kleinste von ihnen. Sie hat kurze, feuerrote Haare, trägt eine Lederjacke, und ihre Lippen umspielt ein kaltes Lächeln. »Es wäre uns ein Vergnügen, dich zurück in die Unterwelt mitzunehmen.«

Die Zweite – ein Mädchen mit blondem Pferdeschwanz und schwarzgeschminkten Lippen – sieht mich mit blitzenden Augen an. »Die hier hat etwas Interessantes an sich«, sagt sie. »Kann ich mit ihr spielen?«

Meine Hand krampft sich um den Bogen, als sie nach der Peitsche an ihrem Gürtel greift. Cupid tritt in Kampfhaltung vor mich, seine Schultern straff gespannt.

»Nicht jetzt, Schwester«, sagt die letzte der Furien – eine große Frau mit dunkler Haut und einem langen schwarzen Zopf. »Wir haben etwas zu erledigen. Sollen wir loslegen?«

»Nur zu«, sagt Cupid und zieht einen Pfeil aus seinem Köcher. Die Furien stürzen sich auf ihn.

5.Kapitel

Cupid feuert den ersten Pfeil ab, legt im Bruchteil einer Sekunde einen zweiten ein und schießt erneut, doch die Furien sind zu schnell. Sie weichen aus und stürmen weiter auf uns zu, ein Wirbelwind aus schwarzem Leder und silbernen Klingen. Die Liebesagenten um uns herum stieben auseinander und drücken sich an die Küchenschränke, um den Furien nicht in die Quere zu kommen. Etwas landet mit einem lauten Krachen auf dem Boden.

Cupid zuckt zusammen. »Nicht meine Weingläser! Die sind neu!«

Er greift sich einen weiteren Pfeil und sticht mit aller Kraft zu, als ihn die Erste der Furien, die Rothaarige, erreicht. Sie pariert den Hieb und bricht die Spitze des Pfeils ab, so dass er zu Asche zerfällt. Sofort geht sie zum Gegenangriff über, aber Cupid springt zurück und kann ihrer Klinge gerade noch entgehen.

»Lila! Such Cal!«, ruft er.

Dann verschwimmt der Kampf zu einem wilden Durcheinander aus Leder, Pfeilen und Schwertern. Ich weiche der Peitsche der blonden Furie aus und stoße mit einem großen Kerl namens Curtis zusammen, den ich schon ein paarmal an der Rezeption der Matchmaking-Agentur gesehen habe. Er hilft mir auf, bevor er sich den anderen Liebesagenten anschließt, die sich zurückgezogen haben und den Kampf vom Flur aus beobachten.

Cal und Crystal stehen vor der Glasfront des Hauses, einen undurchschaubaren Ausdruck im Gesicht. Weder sie noch die anderen etwa zwanzig Agenten versuchen auch nur, Cupid zu helfen. Warum unternimmt niemand etwas?!

Ich ziehe einen schwarzen Pfeil aus meinem Köcher, als Cupid die drei Furien mit seinem Bogen gegen die Theke stößt. Klirrend fallen die grünen Flaschen darauf zu Boden und rollen über die weißen Fliesen. Eine der Rachegöttinnen folgt einer von ihnen mit dem Blick bis zu meinem Fuß, dann sieht sie zu mir auf. Sie grinst, als ich den Bogen spanne.

»Lila!«, schreit Cupid und wischt sich das Blut von der Nase. »Nicht!«

Ehe ich zielen kann, schreit die Furie auf – aus ihrer Schulter ragt einer von Cupids Pfeilen. Als sie ihn herauszieht, steigt schwarzer Rauch auf, doch dann schließt sich die Wunde, als wäre sie nie da gewesen.

Ihr feuriger Blick richtet sich auf Cupid, und sie schließt sich wieder den anderen beiden Furien an, die mit wirbelnden Klingen auf ihn losgehen. Das ist die Gelegenheit. Ich bleibe in der Tür vor der zusammengedrängten Menge stehen und spanne erneut meinen Bogen.

»Lila!« Cal erscheint wie aus dem Nichts neben mir. Sein Gesicht ist totenblass. Er legt eine Hand auf meinen Bogen und drückt ihn nach unten. »Lila, tu das nicht.« Er blickt mich eindringlich an.

Doch im selben Moment höre ich ein Poltern, und Cupid schreit vor Schmerz.

»Warum hilft ihm niemand?!«, frage ich.

»Sie sind Rachegöttinnen, Lila«, sagt Cal, als würde er mit einem trotzigen Kind reden.

»Na und?!«

»Sie denken, wir hätten etwas aus der Unterwelt gestohlen. Und jetzt drohen sie damit, eine Seele dorthin mitzunehmen, bis wir es zurückgegeben haben. Es könnte schlimmer sein.«

»Wir lassen sie Cupid einfach mitnehmen?!«

»Nein. Wir lassen Cupid mit ihrer Rache fertig werden. Wenn er gewinnt, werden sie zurückkommen, um ihn zu bestrafen – nur ihn allein. Aber wenn sich noch mehr von uns einmischen, könnte es Krieg zwischen der Matchmaking-Agentur und der Unterwelt geben.«

Hinter mir ertönt das laute Klirren von Metall auf Metall. Ich drehe mich erschrocken um, als Cupid einen Messerangriff mit einem Barhocker abwehrt. Die Furie mit dem dunklen Zopf versetzt ihm einen harten Tritt, und er sinkt mit einem Stöhnen auf die Knie. Cal versteift sich.

»Und wenn er nicht gewinnt?«, fahre ich ihn an.

Er antwortete nicht. Mit bleichem Gesicht und straffgespannten Schultern beobachtet er, wie zwei der Furien Cupid an den Armen packen und ihn über den Boden schleifen. Er tritt wild um sich, trifft aber nur herumrollende Bierflaschen.

»Er kommt schon klar«, sagt Cal, doch er klingt alles andere als überzeugt. »Warte … warte es einfach ab.«

Irgendwie schafft Cupid es, der blonden Furie einen Pfeil in den Bauch zu rammen. Schwarzer Rauch steigt aus der Wunde auf, aber die Furie gerät nicht mal ins Straucheln.

»Können Furien überhaupt getötet werden?«

»Wenn er besser zielen würde«, murmelt Cal. Als ich ihm einen ärgerlichen Blick zuwerfe, seufzt er schwer. »Wenn er sie mit einem schwarzen Pfeil ins Herz trifft, müssen sie zurück in die Unterwelt, bis sie das Fährgeld bezahlen und über den Fluss der Toten zurückkehren können. Also kann man sie zumindest vorübergehend töten, ja.«

Ich lege einen Pfeil ein, doch Cal hält mich am Handgelenk fest. »Du willst dich nicht mit den Furien anlegen, Lila.«

Ich ziehe die Hand zurück und fahre mir aufgebracht durch die Haare. Die Liebesagenten sehen untätig zu, wie der Kampf sich dem Ende entgegenneigt. Cupid wirkt erschöpft. Er liegt am Boden. Sein Hemd ist zerfetzt, wo die Messer der Furien auf ihn eingestochen haben. Wenn niemand etwas unternimmt, werden sie ihn in die Unterwelt mitnehmen.

Mein Atem geht keuchend. Die Dunkelheit, die ich schon seit Tagen in mir heranwachsen spüre, erreicht einen eisigen Höhepunkt, und ich halte es nicht mehr aus. Cal versucht mich aufzuhalten, aber ich entwinde mich ihm.

»Halt!« Meine Stimme ist kalt und hart.

Die atemlose Spannung in der Luft nimmt noch zu, als die Liebesagenten erkennen, was ich vorhabe. Vor mir gibt es einen Aufruhr, und ich sehe Charlie, die, von drei Liebesagenten umringt, am anderen Ende des Raumes steht. Ich sollte wahrscheinlich Angst haben. Doch das tue ich nicht. Ich bin vollkommen ruhig. Ich werde gewinnen.

»Lila, was tust du da?«, ruft Cupid und reißt sich mit einem kräftigen Ruck von einer der Furien los. »Cal, bring sie hier raus!«

Die Furie grinst. Sie hebt ihren Dolch und setzt dazu an, etwas zu sagen, doch bevor sie auch nur ein Wort herausbringt, zücke ich meinen Bogen, ziele und schieße. Der Pfeil bohrt sich in ihre Brust.

Ihre dunklen Augen werden groß, als sie meinem Blick begegnet. Verwirrung breitet sich auf ihrem schroffen Gesicht aus. Der Pfeil löst sich auf, und schwarzer Rauch strömt aus ihrem Herzen hervor. Er hüllt sie vollständig ein. Dann ist sie fort. In der Küche kehrt Stille ein. Das Einzige, was ich noch höre, ist mein eigener erstaunlich ruhiger Atem.

Dann wirbeln die anderen beiden Furien zu mir herum und rennen los.

Ich hebe erneut meinen Bogen.

Cupid ist urplötzlich wieder auf den Beinen. Er packt das Mädchen mit den kurzen roten Haaren von hinten, zieht sie an seine Brust und stößt ihr einen Pfeil ins Herz.

»Cal!«, höre ich ihn verzweifelt schreien, als die letzte Furie mich erreicht. Blitzschnell zieht Cal einen Pfeil aus meinem Köcher, stürmt vor und rammt ihn ihr ins Herz.

Sie sieht mich direkt an, als uns der schwarze Rauch umfängt. Er blendet uns. Verzehrt uns. Und durch ihn dringt eine kalte Frauenstimme: »Drei Seelen. Drei Seelen werden wir dieser Welt entreißen. Eine für jede von uns, die ihr verschmäht habt. Jede Nacht. Bis ihr uns zurückgebt, was ihr gestohlen habt.«

Der Rauch wabert immer noch um mich herum. Mir ist kalt. Ich fühle mich darin verloren. Es kommt mir vor, als würde die Dunkelheit, die sich seit Valentines Tod in mir ausbreitet, aus mir herausströmen und uns alle verschlingen.

Als sich der Rauch endlich auflöst, stehen Cupid, Cal und ich uns inmitten der verwüsteten Küche zwischen umgekippten Stühlen und zerbrochenen Flaschen gegenüber. Die kleinen Lichter unten an den Küchenschränken flackern, und der Boden ist blutbeschmiert. Wir atmen alle keuchend.

Während die anderen Liebesagenten weiter stumm um uns herumstehen, tritt Crystal vor. Ihre Augen blitzen wütend. »Habt ihr auch nur die geringste Ahnung, was ihr getan habt?!« Sie reibt sich die Nasenwurzel und schließt einen Moment die Augen. »Wir fahren zur Matchmaking-Agentur. Sofort.«

6.Kapitel

Betreten sitzen Cupid, Cal und ich auf den neonfarbenen Sesseln vor Crystals Schreibtisch. Cupid drückt sich rechts von mir einen Eisbeutel an die Wange, Cal kauert auf der Kante des Sessels links von mir. Mein Köcher lehnt neben meinen Beinen.

Crystal seufzt schwer und beugt sich vor. »Noch einmal: Habt ihr eine Ahnung, was ihr angerichtet habt?«

Cupid reibt sich den Nacken. »Lass mich raten. Wir haben uns den Zorn einer Furie zugezogen, die jetzt höllische Rache an uns, der Matchmaking-Agentur und der ganzen Welt nehmen will?«

Sie setzt zu einer Erwiderung an, doch Cal fällt ihr ins Wort. »Spar dir den Vortrag, Crystal«, blafft er und setzt sich aufrechter hin. »Wir wissen, dass wir in Schwierigkeiten stecken.«

»Das ist die Untertreibung des Jahres«, entgegnet sie. »Cal, was hast du dir nur dabei gedacht?«

Sie taxieren einander mit ärgerlichem Blick.

»Fairerweise muss man aber sagen, dass die Matchmaking-Agentur schon in Schwierigkeiten steckte, bevor mein Bruder sich eingemischt hat«, sagt Cupid. Dass er seinen Bruder verteidigt, überrascht mich genauso sehr wie Cal. »Und das hat er nur getan, weil ich ihn darum gebeten habe.«

»Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Cal eine Aufforderung braucht, um Lila zu beschützen, Cupid«, erwidert Crystal.

Cal errötet, wendet den Blick aber nicht von ihr ab. »So war es nicht, und das weißt du genau.«

Die beiden starren einander noch einen Moment wütend an, dann seufzt Crystal und schließt kurz die Augen. »Also gut. Wir müssen die Sachen klären und uns nicht gegenseitig an die Gurgel gehen. Wir müssen einen Weg finden, uns mit den Furien zu einigen.«

Einen Moment herrscht unbehagliches Schweigen.

»Sie meinten, sie würden jede Nacht eine Seele in die Unterwelt mitnehmen, bis wir ihnen zurückgeben, was wir gestohlen haben«, murmele ich leise.

»Na, dann gebt es zurück«, sagt Cupid. »Problem gelöst. Ganz einfach. Also … was wurde ihnen gestohlen?«

Crystal wirft ihm einen strengen Blick zu. »Woher soll ich das wissen?« Sie zögert kurz, dann legt sie einen Brief auf den Tisch. »Den habe ich gestern bekommen.«

Cupid nimmt ihn, und sein Gesicht verfinstert sich zunehmend, während er ihn liest. Dann reicht er ihn an mich weiter.

An die Matchmaking-Agentur,

uns ist kürzlich zu Ohren gekommen, dass ein schweres Verbrechen begangen wurde. Eine wertvolle Seele wurde aus der Unterwelt gestohlen. Wir haben Grund zu der Annahme, dass ihr sie habt.

Gebt sie schnellstmöglich zurück.

Oder tragt die Konsequenzen.

Mit rachsüchtigen Grüßen

Die Furien

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen lege ich den Brief auf den Tisch zurück. »Sie denken, die Matchmaking-Agentur hätte eine Seele gestohlen?«, frage ich. »Wessen Seele?«

»Ich weiß es nicht!«, ruft Crystal frustriert. Sie stößt ein tiefes Seufzen aus und sinkt förmlich in sich zusammen. »Wir müssen über jene Nacht in der Höhle reden, Lila.«

Ich balle so fest die Fäuste, dass meine Fingernägel sich in meine Haut graben. Ich will nicht über Valentine reden. Ich verstehe es selbst nicht, aber etwas in mir sträubt sich dagegen.

»Ich habe euch doch schon alles erzählt«, sage ich, mein Ton so eisig, dass Cupid und Cal überrascht die Augenbrauen hochziehen.

Doch Crystal lässt sich nicht beirren. »Nicht im Detail«, erwidert sie. »Wenn eine Seele aus der Unterwelt entkommen ist, dann mit Sicherheit während der Schlacht mit den Untoten am Strand von Malibu. Und bestimmt hat das etwas mit Valentine zu tun.«

»Du denkst, unser Bruder ist wieder da?«, fragt Cupid.

Sie seufzt. »Vielleicht. Wenn er in der Lage war, andere Seelen zurückzuholen –«

»Er ist nicht wieder da«, sage ich.

Die drei Liebesagenten sehen mich verblüfft an, und mir wird zu spät klar, dass ich mit einer Überzeugung gesprochen habe, die in ihren Augen verdächtig wirken muss.

»Woher weißt du das?«, fragt Crystal.

»Ich … ich habe von ihm geträumt. Er sagte, er sei in der Unterwelt.«

Cal sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren, während Crystal irritiert die Stirn krauszieht. Cupid tätschelt meinen Arm. »Klingt, als hättest du vor dem Schlafengehen zu viel Käse gegessen, Sonnenschein«, sagt er mit einem schiefen Grinsen.

»Nun, so stichhaltig dieser Beweis auch ist«, sagt Crystal in sarkastischem Ton, »bist du dir sicher, dass du uns nichts weiter über jene Nacht erzählen kannst?«

Kurz kommt mir der Gedanke, dass ich versuchen sollte, sie zu überzeugen, dass ich wirklich mit Valentine geredet habe, aber er weicht schnell einer tiefen Erleichterung, dass sie mir nicht geglaubt haben. Ich will die Träume und ihn für mich behalten. Auch wenn ich nicht erklären kann, warum.

»Ich habe ihn getötet«, sage ich gelassen. »Ich habe ihm den Finis ins Herz gestoßen, und er ist gestorben. Genau wie Venus.«

Crystal mustert mich forschend. Was soll ich ihr sonst noch sagen? Dass es zu einfach schien, ihn zu töten? Dass ich es im entscheidenden Moment gar nicht wirklich tun wollte? Dass ich mich seitdem verändert fühle?

Sie sieht nicht überzeugt aus, aber schließlich nickt sie. »Okay«, sagt sie und sieht auf ihren ordentlich aufgeräumten Schreibtisch hinunter. »Okay, dann planen wir unser weiteres Vorgehen in der Annahme, dass ihr drei in Gefahr schwebt.«

Sie listet eine Reihe von Aufgaben auf, die so schnell wie möglich erledigt werden müssen. Cupid beauftragt sie, nach Malibu zu fahren, Charon, den Fährmann der Toten, ausfindig zu machen und herauszufinden, ob er irgendetwas weiß; Cal trägt sie auf, sich Zugriff zum System der Schicksalsgöttinnen zu verschaffen und zu sehen, ob sich dort eine Seele befindet, die nicht dort sein sollte.

»Ich stationiere ein paar meiner Männer vor Lilas Haus, um ihren Vater zu beschützen, falls die Furien auf die Idee kommen sollten, an ihm Rache zu nehmen«, fährt Crystal fort. Mir wird flau im Magen. »Und ich muss ein paar Liebesagenten an der Forever Falls High einschreiben, damit sie mit Charlie zusammenarbeiten können. Jetzt, da Lila auf ihrer schwarzen Liste steht, greifen sie womöglich die Schule an, wenn wir nicht bald einen Weg finden, sie aufzuhalten.«

»Wie kann ich helfen?«, frage ich.

Crystal sieht mich einen Moment schweigend an, dann drückt sie einen Knopf an der Gegensprechanlage. Wenig später öffnet sich die Tür zu ihrem Büro.

»Du hast gerufen, meine Liebe?« Im Türrahmen steht Mino. Er grinst mir zu, bevor er sich wieder Crystal zuwendet.