Exil in New York - Siegfried Müller - E-Book
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Exil in New York E-Book

Siegfried Müller

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Beschreibung

Migration ist in aller Munde, und schnell wird vergessen, dass auch viele Deutsche und Österreicher einst gezwungen waren, ihr Heimatland zu verlassen. In den 1930er und 1940er Jahren flohen hunderttausende rassisch und politisch Verfolgte vor dem nationalsozialistischen Terror in die USA. Hinreichend untersucht sind die Emigration bekannter Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Hannah Arendt oder George Grosz. Doch wie gingen "normale" Menschen mit dem einschneidenden Erlebnis einer Emigration um? Wie schafften sie es, auszureisen und wie fanden Sie sich in ihrer neuen Umgebung zurecht? Siegfried Müllers Studie fußt auf hunderten von Briefen, Lebenserinnerungen, Briefwechseln und Tagebüchern und lässt die Lebenswelten deutschsprachiger Emigranten in New York auferstehen. Lebendig schildert er individuelle Perspektiven auf verschlungene Fluchtwege, die Arbeits- und Wohnungssuche vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise in den USA, die Konfrontation mit Antisemitismus, aber auch den kulturellen Einfluss der Migranten auf die pulsierende Metropole.

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Seitenzahl: 649

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Vorwort

Einleitung

Drittes Reich und Verfolgung

Die Emigration

Die Ausreise aus Deutschland

Die Beschaffung der Einreisepapiere in amerikanischen Konsulaten

Der Abschied und die Reise über den Ozean

Ankunft und Einreiseformalitäten in New York

Die ersten Tage

Die neue Heimat New York

Die Wohnungssuche

Antisemitismus in den USA

Yorkville: das New Yorker Zentrum des Antisemitismus und Nationalsozialismus

Die Wohnverhältnisse

Die ökonomische Situation und die Arbeitssuche

Netzwerke

Selbständige und unselbständige Arbeit

Juristen

Mediziner

Schriftsteller

Theaterleute

Musiker

Fotografen

Zeichner und Maler

Die Frau an seiner Seite

Assimilierung

Die neue Sprache lernen

Neues Leben

Neighborhood

Kulturelle Differenzen

Essen und Trinken

Kleidung

Begegnungen

Jüdisches Leben

Kabarett und Kleinkunst auf New Yorker Bühnen

Deutsches Exilkabarett

Wiener Exilkabarett und Kleinkunst

Nach der Arbeit: Entspannung, Bildung, soziale Kontakte

Spaziergänge und Busfahrten – billige Vergnügungen

Ausflüge in New York und Umgebung

Kino

Deutschsprachige Infrastruktur

Der Sommer

Der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg

Der Dienst in der US-Armee

Emigranten an der Heimatfront

Tägliches Leben im Krieg

Einsatz für den Krieg

Nach dem Krieg

Einflüsse von Emigranten auf das Kulturleben in den USA

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archive

Zeitungen

Literatur

Internetseiten

Abbildungsverzeichnis

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Cover

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

Inhaltsbeginn

Kohlhammer

Geschichte in Wissenschaft und Forschung

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/gwf

Siegfried Müller

Exil in New York

Deutschsprachige Emigranten in der Neuen Welt (1933 – 1945)

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk wurde freundlicherweise gefördert von der Ursula Lachnit-Fixson Stiftung.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

Umschlagabbildung: STwul – stock.adobe.com.1. Auflage 2026

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Heßbrühlstr. 69, 70565 [email protected]

Print:ISBN 978-3-17-046460-5

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-046461-2epub: ISBN 978-3-17-046462-9

Vorwort

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen nicht nur die bekannten Schriftsteller und andere Künstler, sondern vor allem die vielen unbekannten Hitler-Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich, die nach 1933 nach New York kamen. Sie wurden von der Emigrationsforschung bisher weniger berücksichtigt. New York war eines der intellektuellen Zentren des deutschen Exils, aber auch neue Heimat für Tausende rassisch oder politisch Verfolgter und ihrer Angehörigen. Das Buch zeichnet ihren Weg ins Exil und den Lernprozess nach, den sie vor dem Hintergrund der damaligen politischen und wirtschaftlichen Situation in den USA und in New York mit unterschiedlichem Erfolg durchmachen mussten. Die Digitalisierung zahlreicher Quellen eröffnet diesen bisher nur in engen Grenzen möglichen historiographischen Zugriff. Auf diese Weise ist eine atmosphärisch dichte und über weite Strecken erzählerische Darstellung entstanden, die vor dem Hintergrund der Diskussion über die Migration in der Bundesrepublik und Europa überaus aktuell ist.

Meine Frau Dr. phil. habil. Annelore Rieke-Müller hat das Projekt über Jahre mit Rat und Tat begleitet. Prof. Dr. Nancy Reagin/New York unterzog Teile des Manuskripts ihrer gehaltvollen Kritik. Das Archiv und die Fotoabteilung des Jüdischen Museums in Berlin standen mir hilfreich bei der Beschaffung von Archivalien und Fotos zur Seite, ebenso akg images/Berlin. Der Ursula Lachnit-Fixson Stiftung in Berlin danke ich herzlich für einen Druckkostenzuschuss. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Kohlhammer Verlag für das Vertrauen und seiner Lektorin Dr. Johanna Blume für die unkomplizierte und zugleich engagierte Zusammenarbeit.

Oldenburg, im Herbst 2025

Einleitung

Forschungen zur deutschsprachigen Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus widmen sich seit den 1960er Jahren vor allem der literarisch-künstlerischen und politischen Emigration, differenziert nach Zufluchtsländern bzw. –orten.1 Seit den 1980er Jahren kamen einzelne Berufsgruppen,2 die Rolle von Frauen3 sowie – seit etwa 15 Jahren – Netzwerke im Exil in den Blick.4 Die Dissertation von Claudia Appelius von 2002 arbeitete erstmals anhand ausgewählter Quellen wichtige Strukturmerkmale des Exils in New York heraus.5 Die Dissertation von Geneviève Susemihl aus dem Jahr 2003 thematisiert in ihrem Vergleich von New York und Toronto ebenfalls Aspekte des Lebens im Exil und berücksichtigt dabei auch die Rolle der Frau und die Generationenfrage.6 Von diesen Studien abgesehen fehlen in der Exilforschung nach wie vor Arbeiten zur Exilsituation Nichtprominenter, obwohl die meisten Emigranten aus Deutschland und Österreich dem gehobenen Bürgertum angehörten.7 Vor diesem Hintergrund bietet die vorliegende Studie eine stärkere Individualisierung und Differenzierung aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Mein Buch folgt den Emigranten auf ihrem Weg nach Amerika in die Konfrontation mit dem New York der 1930er und 1940er Jahre. Es fragt nach konkreten Anlässen für die Emigration und die Wahl des Exilortes, nach der mühevollen Beschaffung der Einreisepapiere, dem Abschied aus der Heimat und Erlebnissen während der Überfahrt. Dargestellt werden erste Eindrücke von der Stadt, die Arbeits- und Wohnungssuche, Hilfsangebote und das Erlernen der fremden Sprache, aber auch die Konfrontation mit Antisemitismus. Wichtige Themen sind des Weiteren Aspekte der Assimilierung, die Werte und Traditionen, die beibehalten wurden und die Differenzen mit osteuropäischen Juden. Die erstmalige Analyse des Freizeitverhaltens gibt auch Aufschlüsse über Netzwerke, soweit sie erfassbar sind. Das betrifft vor allem die prominenteren Emigranten. Netzwerke werden sichtbar durch die Hilfe bei der Beschaffung der Visa, Jobs und Wohnungen, die Zugehörigkeit zu Stammtischen und »Kränzchen«, gegenseitige Einladungen, durch gemeinsame Projekte, den Besuch von Veranstaltungen, Cafés und Restaurants und nicht zuletzt durch Urlaube am selben Ort. Der Beitrag der Emigranten zur Heimatfront nach dem Eintritt der USA in den Krieg und die US-Army als Assimilierungsfaktor sind weitere Themen, die ebenfalls bisher von der Forschung kaum berücksichtigt wurden. Beispiele der Rückkehr nach Europa im Krieg und kurz nach dem Kriegsende sowie die Frage nach dem Einfluss von Emigranten auf das Kulturleben der USA schließen die Darstellung ab.

Anders als alle bisherigen Arbeiten zum Exil in New York beruht die vorliegende Studie zum einen auf einer Fülle von gedruckten Lebenserinnerungen, Tagebüchern und Briefwechseln.8 Vor allem aber konnten über 200 ungedruckte persönliche Zeugnisse sowie die wichtigste deutschsprachige Exilzeitschrift Aufbau für die 1930er und 1940er Jahre, die das Leo Baeck Institut/New York dankenswerter Weise ins Internet gestellt hat, herangezogen werden, außerdem Archivalien im Jüdischen Museum/Berlin sowie digitalisiertes Schriftgut der US-Administration. Auch wenn Autobiografien, anders als Briefe und Tagebücher Jahrzehnte nach der Emigration verfasst wurden und eine sehr subjektive Erinnerung spiegeln, lassen sich doch aus ihnen Facetten filtern, die ein Muster von Erfahrungen erkennbar machen. Zum anderen konnten erstmals zahlreiche digitalisierte zeitgenössische deutsche und österreichische Exilzeitungen sowie amerikanische Zeitungen umfassend ausgewertet werden. Auf diese Weise münden viele individuelle Perspektiven, eingebettet in das politisch-kulturelle Umfeld, in eine Analyse der Emigration in ihrer Breite, Tiefe und Differenziertheit, in der viele Individuen zu Wort kommen.

Endnoten

1Siehe z. B. Claus-Dieter Krohn 2011. Zu New York: z. B. Helmut F. Pfanner; Christian Klösch, Regina Thumser 2002; John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt, Sandra H. Hawrylchak (Hg.).

2Z. B. Michael Groth; Johannes Reichmayr; Claus-Dieter Krohn 1987; Mario Keßler; Helene Roth.

3Christine Backhaus-Lautenschläger; Sybille Quack; Geneviève Susemihl 2003 und 2012.

4Burcu Dogramaci; Helene Roth.

5Claudia Appelius.

6Geneviève Susemihl 2003. Die Dissertation von Lori Gemeiner Bihler fällt hinter diesen Forschungsstand zurück.

7Diese Forschungsperspektive forderte Wolfgang Benz bereits 1991 ein. Siehe auch ders. 2025.

8Z. B. Walter Zadek (Hg.); Henri Jacob Hempel (Hg.); Thomas Hartwig; Elfi Hartenstein; Will Schaber (Hg.); Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.); Andreas Heusler, Andrea Sinn (Hg.). Als besonders aussagekräftig für den New Yorker Alltag der Emigranten erwies sich z. B. die Autobiografie des Zahnarztes Bruno Stern von 1985.

Drittes Reich und Verfolgung

Die Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 veränderte alles. An die Stelle einer parlamentarischen Demokratie trat eine Diktatur mit dem Ziel, ihre politischen Gegner auszuschalten. Es ging Schlag auf Schlag. Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933 war die verfassungsrechtliche Aufhebung der Weimarer Republik. Vor allem Regimegegner aus den Reihen der Abgeordneten und Mitglieder von SPD und KPD wurden in »Schutzhaft« genommen, erste Konzentrationslager in Deutschland errichtet. Für den Schriftsteller Alfred Döblin war bereits der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 der Auslöser für die Emigration:

»[...] ich war unbekümmert für mich, wenn auch tief beunruhigt und empört – bis man mich anrief und fragte, was ich machen wollte [...]. Die innere Umstellung von einem Rechts- auf einen Diktatur- und Freibeuterstaat gelang mir nicht sogleich. Gegen Abend war ich soweit«.9

Auch der Justiziar der SPD, Dr. Alfred Prager, verließ Deutschland im April 1933, nachdem sein Anwaltskollege von den Nazis umgebracht worden war und er um sein Leben fürchtete.10 Mit dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 begann die Säuberung des öffentlichen Dienstes von politisch unerwünschten Personen und von Personen jüdischer Abstammung. Ausgenommen waren bis Jahresbeginn 1936 noch die sogenannten Frontkämpfer, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg. Im August 1933 und im März 1934 veröffentlichte das NS-Regime dazu die ersten Ausbürgerungslisten. Sie betrafen sowohl deutsche Juden als auch als politisch belastet Geltende. Unter den ersten Betroffenen waren u. a. Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Ernst Toller und Kurt Tucholsky. Insgesamt veröffentlichte das Regime bis 1938 359 solcher Listen.11 Besonders gravierende Folgen hatte das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933. Es bildete die Grundlage für den Ausschluss von nichtarischen Kulturschaffenden und hinderte sie damit daran, ihrem Beruf nachzugehen.12 Mit dem Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 wurden alle so definierten jüdischen Beamten zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand versetzt. Dazu zählten ebenso Richter wie Ärzte an öffentlichen Krankenhäusern. Die berufliche Ausgrenzung zog noch weitere Kreise. Beispielsweise berichtete der jüdische Gynäkologe Dr. Theodore Hirsch, er habe in seiner Klinik in Karlsruhe ab 1935 keine nichtjüdischen Krankenschwestern unter 45 Jahren mehr beschäftigen dürfen. Auch war es ihm nicht erlaubt, Kassenpatienten zu behandeln. Das war jedoch nur die erste Stufe der Repression, in deren Folge er 1937 seine Klinik an einen Kollegen verkaufte, der NSDAP-Mitglied war. Der Staat strich 80 % des Verkaufserlöses ein. Schließlich emigrierte er in die USA.13 Die Kinderärztin Dr. Hertha Nathorff (geb. Einstein) hatte als Chefärztin des Frauen- und Kinderhospitals des Roten Kreuzes in Berlin-Lichtenberg noch bis Sommer 1938 praktizieren dürfen.14 Doch die »Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz« vom 25. Juli 1938 entzog allen jüdischen Ärzten die Approbation zum 30. September und damit auch ihr. Jüdische Patienten durften sie noch – auf Widerruf – behandeln.15 Freiberufliche Rechtsanwälte ohne den sogenannten Ariernachweis wurden aufgrund der »Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz« vom 27. September 1938 aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen.16

Eine Verordnung vom 26. April 1938 hatte schon bestimmt, dass jeder Jude sein gesamtes in- und ausländische Vermögen anzumelden und zu bewerten hatte: Barvermögen, Bankguthaben, Wertpapiere (»genaue Aufstellung mit doppeltem Nummernverzeichnis von Seiten der Bank«), Grundbesitz, Forderungen, Versicherungen, Renten und Pensionen. Hierzu zählten u. a. auch Sammlungen, Schmuck und Bilder.17 Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 forcierte das Regime die »Arisierung jüdischen Besitzes« und die systematische Vertreibung der Juden. Die Verordnung vom 12. November bestimmte dazu, dass sie eine Milliarde Reichsmark als »Sühneleistung« zu entrichten hatten. Dazu wurden 20 % ihres jeweiligen Vermögens über 5.000 Reichsmark einbehalten. Mit der Verordnung vom 19. Oktober 1939 erhöhte das NS-Regime diesen Anteil auf 25 % mit der Begründung, die Milliarde sei noch nicht erreicht worden. Der Ausplünderung diente auch die Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 21. Februar 1939. Danach mussten alle Juden ihr Gold, Platin, Silber sowie ihren Schmuck bis zum 31. März bei den städtischen Pfandleihanstalten abliefern. Dr. Hans Reichmann, Syndikus des »Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens«, schreibt dazu in seinen Erinnerungen:

»Unser Schmuck, unsere Silbergeräte, unsere goldenen Erbstücke werden uns genommen [...]. Ich breche die goldenen Deckel meiner Uhr ab und trage sie zur Berliner Pfandleihe, bei der in den letzten drei Märztagen [1939] 16 000 Pakete, Koffer und Körbe mit jüdischem Edelmetall-Gerät ankommen. Fast jedes Päckchen enthält Sabbathleuchter, bei deren Glanz die deutschen Juden den Feiertagsfrieden grüssten, der aus jüdischer Tradition in ihre Häuser strömte. Jetzt sind die Leuchter ›Bruch-Silber‹, und nur vorurteilslose Pfandleihbeamte wagen es, den Preis für ›Gebrauchssilber‹ zu zahlen [...]. Hätten wir aber Devisen eingebracht, – wir hätten unser Eigentum behalten dürfen [...]. Der offene Raub, in Paragraphen gekleidet, ist zum System geworden.«18

Der Stuttgarter Jurist Alfred Schweizer, der im Juni 1940 in die USA emigrierte: »Welch' trauriger Anblick! Hunderte von Menschen drängten sich mit verängstigten Gesichtern vor den Schaltern.« Die beim Pfandleiher erzielte Summe sei auf ein von ihm genanntes Sperrkonto überwiesen worden. Letztlich konfiszierten es die Nazis.19 Im Einzelfall trauten sich Auswanderer unter Lebensgefahr Juwelen in Geheimfächern von Möbeln zu verstecken und in ihre neue Heimat zu retten.20

Die sogenannte Köpenicker Blutwoche im Juni 1933 war nur ein Ereignis in der Kette des Straßenterrors durch die SA und andere nationalsozialistische Aktivisten. Sie richteten gleich nach der Machtergreifung Haft- und Terrorstätten für von ihnen aus politischen oder rassischen Gründen als Feinde betrachtete Personen ein. Der damals 36-jährige Rechtsanwalt, Journalist und politisch im linken Spektrum tätige Wilhelm Necker gehörte zu den ersten Juden, die aus Angst um ihr Leben flohen:

»Als die Nazis 1933 bei mir eindrangen, war ich blitzschnell durch die Hintertür entwischt. Am nächsten Tage fand man 24 meiner Freunde und Nachbarn tot – in Säcke verpackt im See oder gehängt in ihrem eigenen Haus. Später wurde das ›Die Köpenicker Blutwoche‹ genannt. Sie hatte mit mir anfangen sollen.«21

Über die Flucht des Grafikers und Malers John Heartfield (Helmut Herzfeld) aus Berlin berichtet der damalige Bühnenbildner Erwin Piscators, Wolfang Roth:

»John Heartfield hatte auch ein bisschen Glueck; naemlich das Glueck, von kleiner Statur zu sein, hatte ihm das Leben gerettet. Wie man mir in Prag erzaehlte, war er oben in seiner Berliner Wohnung, als er ein SA-Kommando die Treppe raufkommen hoerte. Schnell wie er eben war, raus durchs Hinterfenster, die Regenrinne runterrutschen und auf dem Hinterhof in den Muelleimer rein, wo er sich versteckte, dann vom Muelleimer zum Bahnhof – so entkam John Heartfield, aus dem die Nazis bestimmt hackepeter gemacht haetten.«22

Gleichwohl schätzten die meisten Juden ihre Gefährdung falsch ein. Bezeichnend ist die Erinnerung des Journalisten Sebastian Haffner an ein Gespräch mit seinem Vater am Abend des 30. Januar 1933: »[...] wir waren uns einig darüber, daß sie zwar eine Chance hatte, eine ganz hübsche Menge Unheil anzurichten, aber kaum eine Chance, lange zu regieren.«23 Der Philosoph Hans Jonas erinnert sich sogar, zu seiner Mutter gesagt zu haben:

»Gott sei Dank. Endlich ist es soweit. Das ist die einzige Art, wie wir diese Pest wieder loswerden. Die werden innerhalb weniger Monate abgewirtschaftet haben. Sie mußten mal rankommen, und da es Wahnsinnige sind, werden sie also binnen kurzem Bankrott machen.«24

Der Maler und Fotograf Theodore Lux Feininger hielt die Meinung seiner Eltern für unverständlich, das Regime werde sich nicht lange halten, und auf den Straßen Berlins habe man den Satz gehört: »Bald jiebt es einen großen Krach – Denn sa'rn wa wieda Juten Tach!«25 Der Dramatiker Georg Kaiser: »Was ist schon weiter passiert? Ein Kegel-Club hat seinen Vorstand geändert – das ist alles. Was geht's mich an?«26 Auch der Soziologe Theodor W. Adorno glaubte, das Dritte Reich sei von kurzer Dauer.27 Noch am 17. August 1934 war Thomas Mann sicher, dass Hitler »nicht mehr lange oben bleiben« werde, berichtet der Maler George Grosz seinem Freund und ehemaligen Meisterschüler Ulrich Becher. Er selbst hatte Deutschland schon im Januar 1933 endgültig verlassen, weil er fürchtete, Hitler werde länger bleiben, »als viele annehmen – getragen von der Liebe der deutschen Untertanen, der Schwerindustrie, der glorreichen Armee und der tüchtigen Gestapo.«28 Margarete Susman, eine Schülerin des Soziologen Georg Simmel, schreibt in ihren Erinnerungen dagegen über die allgemeine Stimmung:

»Wer hätte den Umschwung für möglich gehalten? So tief er geschichtlich begründet ist, so wenig haben wir lange die Zeichen der Zeit verstanden. Es war ja auch für uns alle, besonders für uns Juden, schwer. Wir waren leidenschaftliche Deutsche [...].«29

Unter diesen Umständen sah kaum jemand die Konsequenzen der Machtergreifung für sich selbst vorher. Der Schriftsteller Stefan Zweig: »Aber wir merkten noch immer nicht die Gefahr. Die wenigen unter den Schriftstellern, die sich wirklich die Mühe gemacht hatten, Hitlers Buch zu lesen, spotteten, anstatt sich mit seinem Programm zu befassen, über die Schwülstigkeit seiner papiernen Prosa.«30 Dem New Yorker Emigrant Fritz Lerdan war 1933 nach der Lektüre von Hitlers Buch Mein Kampf zwar bewusst, was auf die Juden zukommen werde. Jedoch zögerte er, seine Heimat zu verlassen, und er war nicht der Einzige:

»Only too many people told you at the time that it could not become as bad as that. The old German proverb was thrown out that nothing can be eaten as hot as it has been cooked [...]. Leaving Germany – even in those days it was hard. Not only were there the Nazis, there were the ties to friends that had to be cut, home [...], garden, landscape, the river Elbe, the Alster basin [...], the Lueneburger Heide and other excursion centers.«31

Sara Lieber, Witwe des Rabbi Hermann Lieber, die erst im Mai 1939 in die USA emigrierte, meinte dazu:

»People were thinking of leaving the country, of course, but at that time, 1935, we were still hoping that the whole thing would blow over soon. We didn't believe it would last that long. People said, ››that's madness, it cannot last'.«32

Auch die Ehefrau von Victor Palfi, die Schauspielerin Lotte Palfi-Andor, war zunächst nicht gewillt, ihr »gemütliches Leben in Berlin« aufzugeben. Er überzeugte sie schließlich immerhin, »Stenographie und Tippen in einer Handelsschule« zu lernen, um sich auf eine mögliche Emigration vorzubereiten.33 Der Arzt Paul Tachau (geb. 1887), der in Braunschweig und Wolfenbüttel praktizierte, hatte selbst zwar keine Gewalt erfahren. Doch er las 1935 in der Zeitung »about pogrom-like riots in Berlin [...]. A new wave of Jew beatings swamped Germany [...]. I realized with doleful reluctance it was time to leave Germany for good.«34

Prof. Fritz Bamberger, ab 1934 Ausbilder an der Jüdischen Lehrer-Bildungsanstalt in Berlin, kam im Januar 1939 mit einem Non-quota Visum in die USA. Er berichtet, dass im Laufe der Naziherrschaft jüdische Schulen massiv Zulauf erhalten hätten, »because all these thousands of Jews who hadn't paid much attention to their being Jewish before suddenly felt they had to do something in order to know why they were Jewish.«35 Ihr »Deutsch sein« verglich Ilse Davidsohn, Tochter des Oberkantors einer Berliner Synagoge, mit der deutschen Eiche, der man doch nicht sagen könne: ›Von heute an bist du nicht mehr eine deutsche Eiche! Zieh‹ deine Wurzeln aus dieser Erde und geh' fort!'«36 Der Rechtsanwalt Rudolf Callmann, der 1936 in die USA emigrierte und später an der Harvard Universität lehrte, meinte 1971 in einem Interview: »Many Jews in Germany were more Prussian and militaristic than the Germans.«37 Dr. T. Simon schrieb 1934 in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung, er lerne jetzt jüdisch. »Eigentlich haben wir alle in den letzten anderthalb Jahren wieder Jüdisch lernen müssen, wenigstens sehr viele von uns; wir haben uns besonnen auf unser Judentum.«38 Victor Andor, Manager des Kabaretts von Friedrich Holländer, sagte zu seiner Frau nach Hitlers Machtergreifung: »Von heute an bin ich Jude«.39 Seine Reaktion entsprach derjenigen vieler Assimilierter, die emigrierten und später berichteten, sie hätten ihre jüdischen Wurzeln erst durch den Nationalsozialismus wiederentdeckt. Die meisten, so der Schriftsteller und Dolmetscher Hans Jacob, »waren – dem Papier nach – Juden, ohne jedoch praktizierende Juden zu sein.«40 So feierte der spätere Germanist und Schriftsteller Richard Plant (Plaut) als Kind mit den Eltern das Weihnachtsfest mit Tannenbaum und Kerzen.

»Koscher zu essen war mir unbekannt. Niemals bin ich Bar Mizwa geworden. In New York habe ich zum ersten Mal eine Synagoge besucht. Erst hier lernte ich einiges über jüdische Geschichte, jüdische Rituale kennen [...]. In Amerika konnte ich als Jude auftreten, denn diese Identität hatte für mich Bedeutung gewonnen.«41

Der Philosoph Heinrich Blücher meinte gegenüber seiner Frau Hannah Arendt, er lerne nun, Jude zu sein »weil ich endlich begriffen habe, dass ich einer bin.«42 Und der Filmregisseur Billy Wilder erinnerte sich später: »Ich bekenne mich zwar als Jude, aber erst seit Hitler. Vorher spielte das bei mir und meiner Familie keine entscheidende Rolle, weder religiös noch sonst.«43

Der Schriftsteller Joseph Roth, der 1928 prophezeit hatte, dass Deutschland in zehn Jahren Krieg gegen Frankreich führen werde, Schriftsteller und Künstler mit Glück in der Schweiz leben könnten und Juden auf dem Kurfürstendamm verprügelt werden würden,44 war offenkundig eine der weitsichtigen Ausnahmen. Zu diesen zählte auch Hermann Weyl, Professor für Mathematik an der Universität Göttingen. Er schreibt 1948 in seinen Erinnerungen, er habe nicht zu denen gehört, die damals glaubten, »dass die üblen Auswüchse der Bewegung in wenigen Monaten überwunden sein würden. Ich gehörte nicht zu diesen Optimisten, ich witterte das furchtbare Unheil, das im Anzug war, und strebte mit allen Kräften hinaus.« Weil er bereits 1932 einen Ruf an das »Institute for Advanced Studies« in Princeton erhalten hatte, zögerte er nicht, noch 1933 Deutschland zu verlassen.45 Der promovierte Jurist und Politikwissenschaftler Arnold Brecht (geb. 1884), 1933 aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst entlassen, hatte im November 1933 ebenfalls die Möglichkeit, in die USA zu emigrieren, wo er an der »Graduate Faculty of Political and Social Science« der »New School for Social Research« lehrte. In seinen Erinnerungen schreibt er über seinen Entschluss:

»Es wurde mir immer deutlicher, daß ich in Deutschland nur noch in einem Zustande völliger Unfreiheit würde leben können, auf Schritt und Tritt bewacht, unfähig einen freien Beruf auszuüben, öffentlich zu sprechen, Bücher und Aufsätze zu veröffentlichen oder auch nur mich unbewacht mit Freunden zu treffen, jeden Tag dem Abtransport in ein Konzentrationslager ausgesetzt.«46

Wie ihm ging es vielen anderen, wenn auch oft unter weniger komfortablen Umständen. Bis 1936 waren mehr als 1.600 jüdische Hochschullehrer emigriert, darunter etwa 300 Lehrstuhlinhaber.47

Der 35-jährige Antoni Graf Sobanski, der als polnischer Korrespondent für die Warschauer Wochenzeitschrift Literarische Nachrichten nach Deutschland gereist war, erlebte 1934 die Stimmung in Berlin:

»Jeder fürchtet sich vor der eigenen Stimme und den eigenen Gedanken [...]. Das Netz des Terrors ist mittlerweile so lückenlos und engmaschig, so dicht, daß es ohne Anwendung von Gewalt oder anderen drastischen Mitteln funktioniert.«48

Diese Einschätzung eines Augenzeugen bestätigt der Zahnarzt Bruno Stern, der sein Leben ab April 1933 »zwar keiner körperlichen Bedrohung« ausgesetzt sah, »doch hatte es immer wieder Zwischenfälle gegeben, die einem das Dasein erschwerten. Der kumulative Effekt all dieser Ereignisse mußte schließlich seine Spuren hinterlassen, sei es nun im Bereich der physischen oder psychischen Gesundheit oder auch nur im Hinblick auf die Fähigkeit des ›reibungslosen Funktionierens‹.«49 Der Rückzug ins Private war für deutsche Juden bald nicht mehr möglich. »Wohin man sich zurückzog«, so Sebastian Haffner, »überall fand man gerade das wieder vor, wovor man hatte fliehen wollen. Ich lernte, daß die Nazi-Revolution die alte Trennung zwischen Politik und Privatleben aufgehoben hatte, und daß es unmöglich war, sie einfach als ›politisches Ereignis‹ zu behandeln.«50 Man gewöhnte sich an, vorsichtig zu sein. Es herrschte ein Klima des Misstrauens und der Angst. Hilda Epstein, zu dieser Zeit Krankenschwester in einem Frankfurter Jüdischen Krankenhaus: »Man wußte nicht mehr, wo man hingehen sollte. Man konnte den eigenen Freunden nicht trauen, also den Ariern.«51 Brigitte Bermann Fischer: »Oft, mitten in der Nacht, packte uns die Angst [...]. Dann nahmen wir unser Bettzeug unter den Arm und übernachteten bei Freunden.«52 Der Architekt Erich Mendelssohn sah schon 1933 »überall Käfige und Ketten [...]. Man schließt uns aus vom Gnadentisch, von der Menschenwürde, von der Menschlichkeit. Also muß man sich freimachen und diesem Kreis den Rücken kehren.«53 Er emigrierte zunächst nach England.

Spätestens die Reichspogromnacht mit brennenden Synagogen, Verhaftungen, Verschleppungen in Konzentrationslager, Misshandlungen und Morden machte deutlich, dass es nun höchste Zeit war, an Flucht zu denken. Der Rechtsanwalt und Notar Alfred Kahn beschrieb das Gefühl der Ohnmacht danach: »Das Atmen in der Heimat fiel einem schwer.«54 Auch die Journalistin und Schriftstellerin Käthe Vordtriede, die im Dezember 1941 über Lissabon nach New York floh,55 zog aus der immer bedrohlicher werdende Situation die Konsequenz: »Zu Beginn des Jahres 1939 hatte ich über- und übergenug davon, Augenzeugin der Versklavung des deutschen Volkes zu sein. Ich betrieb meine Auswanderung eifrig [...].«56 Die Berliner Schriftstellerin und Ruth Andreas-Friedrich beschreibt in ihrer Tagebuchaufzeichnung vom 24. Februar 1939 die Stimmung seit der Pogromnacht:

»Der Lift ist Trumpf in Berlin. Nicht der Personenaufzug eleganter Hotels, sondern der Transportbehälter erlaubten Emigrantengepäcks. Seit sechs Wochen gibt es kaum ein anderes Gesprächsthema mehr. Der 10. November hatte selbst den heimattreuesten Juden die Augen geöffnet.«57

Endnoten

9Alfred Döblin 1964a, S. 37.

10Leo Baeck Institute (zit. LBI), Alfred Prager (AR 25385), S. 11.

11Michael Hepp (Hg.); Katharina Rudolph, S. 249 f.

12Der Wiener Jude Benedikt Fred Dolbin, der sich in der Weimarer Republik in Berlin mit seinen Porträtzeichnungen einen Namen gemacht hatte, erfuhr am 8. Februar 1935, dass sein Gesuch um Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste, Dachverband Bund Deutscher Gebrauchsgraphiker e. V., abgelehnt worden war. Zugleich wurde ihm die »weitere Berufsausübung als Gebrauchsgraphiker« untersagt. Dolbin emigrierte im Oktober 1935 in die USA. Siehe dazu Will Schaber 1976, S. 100, 109.

13LBI, Dr. Theodore Hirsch (AR 25385), S. 3. Nach bestandener Englischprüfung und dem Staatsexamen arbeitete er wieder als Arzt.

14Wolfgang Benz 1987, S. 112.

15Siehe dazu Leo Lippmann, S. 683 f. Sie waren aufgrund der Verordnung sogenannte ›Krankenbehandler‹.

16Ebd., S. 684. LBI, Gerhard Friedlander (AR 11827), S. 35 erzählt in seinen Memoiren, dass sein Vater, der Rechtsanwalt war, auch nach dem Verbot der Berufsausübung wiederholt von »arischen« Kollegen wegen seiner Expertise um Rat gefragt wurde. Dessen Schriftsätze trugen dann allerdings nur deren Namen.

17Leo Lippmann, S. 687.

18LBI, Hans Reichmann (ME 1231), S. 308.

19LBI, Alfred Schweizer (ME 84).

20Marion A. Kaplan 1998, S. 135.

21Walter Zadek (Hg.), S. 34. Necker setzte sich in die Tschechoslowakei ab. Als die Nazis nach dem Münchener Abkommen 1938 seine Auslieferung verlangten, floh er nach Großbritannien.

22LBI, Wolfgang Roth (ME 315), S. 75.

23Sebastian Haffner, S. 105.

24Hans Jonas, S. 129 f.

25Theodore Lux Feininger, S. 139. Siehe auch S. 155, wo er schreibt, sein Vater Lyonel Feininger sei sich sicher gewesen, dass sich »›das alles‹ bald in Luft auflösen werde«.

26Zit. nach Erika und Klaus Mann, S. 68.

27Stefan Müller-Doohm, S. 271. Ähnlich urteilte auch Paul Tillich noch im Sommer 1933. Siehe dazu Friedrich Wilhelm Graf, S. 16.

28Herbert Knust (Hg.), Brief George Grosz an Ulrich Becher vom 17. 08. 1934, S. 201.

29LBI, Margarete Susman (AR 1166), S. 114.

30Stefan Zweig 1964, S. 410.

31LBI, Enrique Lerdan (MF 1789). Siehe auch LBI, Walter Wolff (ME 947), S. 45, der zum Jahr 1933 schreibt: »My wife wanted to leave the country immediately but I was absolutely certain that this situation could last no more than six months and that the government would be toppled, as had happened to all the preceding ones in recent years.«

32Zit. nach Gloria DeVidas Kirchheimer, Manfred Kirchheimer, S. 22.

33LBI, Lotte Andor (ME 412), S. 1 f.

34LBI, Paul Tachau and Ilse Sternthal-Tachau (ME 639).

35LBI, Fritz Bamberger (AR 25385).

36Zit. nach Geneviève Susemihl 2003, S. 50.

37LBI, Rudolf Callmann (AR 25385), S. 34. Für Ludwig Stein (S. 93) waren die deutschen Juden »deutscher als die Deutschen«.

38Jüdische Allgemeine Zeitung, Jg. 14, Nr. 92, S. 12.

39LBI, Lotte Andor (ME 412), S. 1.

40Hans Jacob, S. 269. Siehe auch LBI, Hans Sonnenfeld (ME 608), S. 24, der meinte, es müsse »zugestanden werden, dass der Antisemitismus der Hitler-Regierung viele Juden zur besseren Beachtung von Traditionen zurueckgebracht hatte. Ein grosser Kreis von Juden hatte nur noch Rosh Hashanah und Jom Kippur gehalten. Fuer diese Juden gab es den weit verbreiteten kritischen Ausdruck ›drei-Tage-Juden‹. Mit einem weit verbreiteten Witz wurden die Leute, die gar keine juedische Tradition mehr beachteten, verhoehnt. Am Jom Kippur trifft Cohn den Meyer, der sein Musterkoefferchen traegt. ›Herr Meyer, halten Sie denn gar nichts mehr vom Judentum?‹ Antwort: ›doch, das Berliner Tageblatt‹« – viele Juden lasen diese Zeitung.

41Richard Plant 1984, S. 168.

42Zit. nach Claus-Dieter Krohn 2020, S. 73.

43Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Bd. 1, S. 458.

44Brigitte B. Fischer, S. 283.

45LBI, Hermann Weyl (ME 685), S. 10.

46Arnold Brecht, S. 327.

47Hans-Albert Walter 1981, S. 18.

48Zit. nach Siegfried Müller 2017, S. 68.

49Bruno Stern, S. 89 f.

50Sebastian Haffner, S. 205.

51Hilda Epstein, S. 101. Der Hollywood-Schauspieler Gary Cooper, der sich 1938/39 mehrere Wochen in Europa aufhielt, berichtete nach seiner Rückkehr über Berlin: »You get the feeling that a hammer is hanging over your head. I tried to talk to taxi drivers, but they were afraid. Every time anyone mentions Hitler, he turns around to see if some is listening.« Zit. nach Deutsches Volksecho, Vol. III, No. 3, 21. 01. 1939, S. 8.

52Brigitte B. Fischer, S. 127.

53Zit. nach Siegfried Müller 2017, S. 77.

54LBI, Carol Kahn Strauss (AR 11224), S. 10. Siehe auch LBI, Georg Landauer (AR 6007).

55Detlef Garz, Nachwort, S. 262.

56Zit. nach ebd. (Hg.), S. 207.

57Zit. nach Juliane Wetzel, S. 419. Siehe zur Lage in Berlin auch LBI, Hans Reichmann (ME 1231), S. 306, Zitat S. 313. Reichmann war u. a. Mitgründer des Leo Baeck Instituts. Zur ökonomischen und sozialen Ausgrenzung der Juden siehe z. B. auch LBI, Max K. Liebmann (ME 1395).

Die Emigration

1933 lebten der Volkszählung vom 16. Juni zufolge 500.000 »Glaubensjuden« im Deutschen Reich, von denen 55 % über 45 Jahre alt waren, 30 % zwischen 20 und 45.58 Ein Drittel von ihnen lebte in Berlin. 1933 emigrierten 65.000, weitere 22.000 bzw. 20.000 in den Jahren 1934 und 1935.59 Insgesamt emigrierten nach den Rassegesetzen von 1933 bis 1940 etwa 260.000 so definierte Juden. Wie für Hans Reichmann, so war auch für andere die Emigration eine Frage von Leben und Tod. Der kommunistische Schriftsteller und Journalist Karl O. Paetel über das Jahr 1935: »Ich bin nicht freiwillig herausgegangen. Erst als sich alles auf die Alternative ›Zuchthaus oder Flucht‹ zugespitzt hatte, bin ich emigriert.« Er flüchtete zunächst nach Prag, dann nach Frankreich und schließlich nach New York.60 Der Hamburger Kaufmann Edgar Brager (1911) wurde in der Silvesternacht 1934 von einem Unbekannten gewarnt, er müsse mit seiner Verhaftung wegen Rassenschande rechnen. Noch am selben Abend floh er in die Schweiz; über Zypern und Palästina erreichte er im Mai 1937 New York.61 Die Lyrikerin Hilde Marx fasste Ende 1937 den Entschluss, Berlin zu verlassen.62

»Die Gestapo hatte mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Ich verfügte über eine kleine Erbschaft in Pilsen [...]. Mein Vater, der ein sehr gesetzestreuer Deutscher war, hat dieses Auslandsguthaben sofort angemeldet, so wie es das Gesetz befahl. Daraufhin hat die Gestapo verlangt, daß ich diese Vermögen ins Reich transferiere. Mein tschechischer Onkel weigerte sich, das Geld herauszugeben. Die Gestapo setzte mich vor die Alternative: Entweder ist das Geld innerhalb einer Woche hier oder Sie wissen, wo wir Sie hinbringen werden. Zwei Tage später war ich weg, in der Tschechoslowakei.«63

Dr. Alice Salomon, eine in der deutschen Frauenbewegung tätige liberale Sozialreformerin, schrieb 1937 an ihre Freunde vor ihrer Emigration über England in die USA u. a.:

»Es ist mir offiziell mitgeteilt worden, dass ›Juden‹ – also in meinem Fall Christen jüdischen Blutes – die sich oft und lange im Ausland aufhalten, zur Vermeidung der Überweisung in ein Schulungslager, auszuwandern haben, und es sind mir 3 Wochen Zeit für die Liquidierung meines Lebens in Deutschland belassen worden [...]. Ich gehe in ein Leben des Kampfes ums Brot – aber guten Mutes und in froher Zuversicht – völlig ungebrochen in geistiger und sittlicher Kraft, in meinem Wertgefühl, das nicht von außen beeinträchtigt werden kann.«64

Wenige Tage nach ihrer Ankunft am 28. September gab sie Alice McKay Kelly ein Interview, das die New York Times am 6. Oktober 1937 abdruckte. Darin artikuliert sie ihr Gefühl von Freiheit: »I left poor but free [...]. Whenever the door bell rings in the morning at 6, it can't be the secret police – it can only be the milkman.«65

Schon die erste entscheidende Hürde, der Pass, konnte zum Problem werden. Klaus Mann, dem die Staatsbürgerschaft bereits 1933 aberkannt worden war, klagte in einem Brief an seinen Vater vom 12. April 1934 aus Amsterdam:

»Einen Paß habe ich immer noch nicht und werde wohl auch nie einen bekommen. Es ist wirklich wie mit Peter Schlehmils Schatten: als man ihn noch hatte, machte man sich gar nichts draus, aber da ihn der Teufel einem weggenommen hat, merkt man, daß es furchtbar lästig ist, wenn er fehlt.«66

Ohne gültigen Identitätsausweis bekam man keine Einreisedokumente in andere Länder. Den Nansen-Pass, den der Völkerbund ab 1922 für Staatenlose als Passersatz ausgab, erkannten nicht alle Staaten an. Der Berliner Bildredakteur und Zeichner für verschiedene Berliner Blätter Ludwig Wronkow hatte vorgesorgt. Er hatte den Reichstagsbrand erlebt. Nach Aussage seines Bruders Georg hatte er »Dollar-Reiseschecks« [...] bei Freunden in Paris deponiert, das französische Visum im Paß und gültig.«67 Mit der Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verloren alle Juden, die im Ausland lebten, die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern sie nicht schon vorher ausgebürgert worden waren. Ihr Vermögen fiel an das Deutsche Reich.68 Der österreichische Dirigent Bruno Walter konstatierte über seine Situation im Jahr 1938:

»Da es kein Österreich mehr gab, so verloren unsere österreichischen Pässe ihre Gültigkeit, und der deutsche Stempel, der sie gültig, aber ihre Inhaber zu Deutschen machte, kam für uns nicht in Betracht [...]. Und so fehlte uns nun die Staatsangehörigkeit und der Paß.«69

Viele, vor allem zionistisch eingestellte Juden, wanderten nach Palästina aus. Doch nicht alle blieben dort, wie die ehemalige Leipziger Richterin Gisela Graf, die als Schreibkraft in einem Rechtsanwaltsbüro Arbeit gefunden hatte. Sie schrieb später: »Von Palästina war ich begeistert. Man hatte das Gefühl, jeder Mensch ist wichtig für den neuen Staat, ganz gleich, was man gemacht hat, wer man war.« Doch dann fühlte sie sich vom Vormarsch der deutschen Truppen auf El Alamein so bedroht, dass sie 1942 in die USA auswanderte.70

Zahlreiche Emigranten warteten in England oder in den Niederlanden die weitere Entwicklung ab. Viele wählten Österreich, flüchteten nach dem »Anschluss« 1938 weiter in die Tschechoslowakei und schließlich mit der Ausdehnung des NS-Machtbereichs nach Frankreich. Vor allem für das literarische Exil blieb Europa vorerst die Bezugsgröße auch für jene, die später in die USA flüchteten – Ernst Bloch drückte es 1939 mit den Worten aus: »Wir sind voll Europa, dort kennen wir uns aus, wir sind Athen.«71 Bloch war nach seiner Ausbürgerung 1933 zunächst in die Schweiz gegangen.72 Sie war aber nur die erste Station einer längeren Fluchtgeschichte, denn das Land verfolgte eine restriktive Asylpolitik. Eine Arbeitserlaubnis erhielten Flüchtlinge nicht.73 Die spätere Frau von Ernst Bloch, Karola Piotrowska, durfte 1934 noch an der ETH Zürich ihr Studium der Architektur abschließen. Jedoch wiesen die Behörden sie und Ernst Bloch anschließend sofort aus.74 Im September 1938 gab es dann die Weisung, Flüchtlinge ohne Visum, besonders jene, »die Juden oder sehr wahrscheinlich Juden sind«, schon an der Grenze abzuweisen und in ihren Pässen den Vermerk »zurückgewiesen« (»refoulé«) anzubringen.75 Die Emigranten, die ohne Pass ins Land gekommen bzw. staatenlos waren, wurden ab Herbst 1939 aufgefordert, das Land schnellstens wieder zu verlassen.76 Die Entscheidung, weiter nach Wien zu ziehen, bezeichnete Karla Bloch später als »politisch gesehen [...] nicht sehr vernünftig. Seit dem Staatsstreich von Dollfuß im März 1933 herrschte dort der Austrofaschismus (wie Ernst zu sagen pflegte: ›gemildert durch Schlamperei‹). Aber es war für uns nicht unangenehm dort. Niemand belästigte uns, Juden wurden nicht verfolgt, man gewöhnte sich an die illegalen Nazi-Demonstrationen.«77 Auch Bruno Walter sah das Dasein in Wien in diesen Jahren durchaus noch positiv: »Obgleich die Wühlarbeit der Nazis in Österreich beständig zu spüren war, besaß das Leben während der dreißiger Jahre in Wien doch noch immer viel von seinem alten Reiz.«78 Für die Berlinerin Brigitte Bermann Fischer verlief das Leben an der Seite des Verlegers Gottfried Bermann Fischer in Wien ab 1935 ebenfalls »noch ungestört, obwohl sich die Zeichen des nahenden Unheils mehrten. Die Wiener blieben ihrer Tradition, zu leben und leben zu lassen, treu, solange es nur möglich war, sie füllten die Theater, die Konzertsäle und feierten Feste miteinander.«79 Man unterschätzte die Wirkmächtigkeit antisemitischer Traditionen und hoffte auf Besserung.80 Der Wiener Psychoanalytiker Dr. Edward Biebring schrieb am 23. Dezember 1936 an den Wiener Analytiker Fritz Wittels in New York:

»Von hier gibt es nicht viel Neues zu berichten, außer, daß wir die leise Hoffnung haben, daß sich die europäischen Verhältnisse doch noch beruhigen werden. Unsere Arbeit hier geht in unvermindertem Ausmaße weiter, trotzdem uns gewisse Möglichkeiten eingeschränkt wurden.«81

Diese Situation änderte sich im März 1938 mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich.82 Der Psychoanalytiker Dr. Richard Sterba, der 1939 in die USA emigrierte, beschrieb seine Erlebnisse in diesen Tagen:

»Das Antlitz Wiens war mit einem Mal völlig verändert. Die Deutsche Wehrmacht mit Tanks, Artillerie und Truppen im Stechschritt zog über den Ring und andere Hauptverkehrsadern der friedlichen Reichshaupt- und Residenzstadt, und Horden von Nazianhängern füllten die Stadt mit ihrem lauten Jubel und den häßlichsten antisemitischen Liedern und Schlagwörtern.«83

Adolph Wald: »Ganz Wien« habe auf dem Wiener Schwarzenbergplatz gestanden und ›Sieg Heil‹ geschrien, ohne aufzuhoeren, ohne aufzuhoeren. Das war ein Wahn, ein Hitlerwahn.«84 Er selbst sei einmal Österreicher gewesen, Hitler habe ihn zum Zionisten gemacht.85 Olly Schwarz: »Die menschlichen Automaten standen stundenlang mit ausgestrecktem Arm zum Hitlergruss und schrien sich heiser: ›Heil Hitler!‹ ›Wir danken unserem Fuehrer‹.«86 Brenda Preminger die Wien noch am Tage des »Anschlusses« verließ: »[Als] Wenn der Messiah kommen würde, so war das. Die Freude, die haben auf der Straße getanzt.«87 An der Fassade der Wiener Staatsoper, so erinnert sich die promovierte Germanistin Elfriede Hale, sei auf der ganzen Front »in stockwerkhohen Lettern die Aufschrift ›Die Juden sind unser Unglueck‹« angebracht worden.88

Der Straßenterror hielt innerhalb weniger Tage Einzug in Wien.89 Jüdische Geschäfte wurden geplündert und zerstört, Inhaber geschlagen, teilweise getötet.90 »Zwei Tage nach dem Umbruch«, so der Wiener Kaufmann Chas Kelfeit, »begannen die Quälereien der jüdischen Bevölkerung Oesterreichs. Es wurden immer neue an das Sadistische grenzende Martern ausgedacht. Zuerst wurden Juden und Jüdinnen in allen Altersklassen zum Reinigen der Strassen herangezogen und dazu noch dem Spott und Hohn des Mobs ausgesetzt [...]. Es war gang und gäbe, dass uniformierte S. A. und S. S. Leute [...] in Wohnungen von Juden eindrangen, die Möbelstücke zerschlugen. Dabei scheuten sie sich nicht, alles, was ihnen an Kostbarkeiten in die Hände fiel, mit Beschlag zu legen und wegzuführen.« Aus zahlreichen Geschäften transportierten SA-Leute die Waren ab. Juden mussten in ihren Geschäften selbst die Plakate mit der Aufschrift »Arier kauft nicht bei Juden« kleben, einen jüdischen Geschäftsmann zwang man, auf einem Sessel stehend vor seinem Geschäft 30 Minuten die Arme auf und ab bewegen. Dabei stach ihn ein Junge ununterbrochen mit Nadeln in die Beine. In einem Kaffeehaus wurde der Besitzer gezwungen, den Inhalt der Spucknäpfe zu trinken. Manche Juden mussten mit zwei Tafeln in den Händen zum Vergnügen der SA-Leute ununterbrochen turnen, andere exerzieren, sich auf den Boden legen und eine halbe Stunde lang mit Händen und Füßen vor- und zurückkriechen.91 Dr. Franz Hahn, der damals im Wiener Rothschild-Hospital arbeitete, bemerkte, dass die Zahl der Selbstmorde 1938 und noch in der ersten Hälfte 1939 erschreckend hoch gewesen sei.92 Die 15-jährige Wienerin Gertrud Kissiloff, die im März 1939 mit einem Kindertransport nach Schottland und ab Oktober 1940 mit ihren Eltern New York erreichte, erlebte den »Anschluss« als »Shock [...] and we all felt helpless. I simply stopped going to school.«93 Die damals 13-jährige Gerda Lederer erinnert sich, dass ihr Vater nach Angriffen auf ihren 15-jährigen Cousin mit den Worten reagiert habe: »Wenn Menschen in der Lage sind, ein Kind dermaßen zu quälen und zu verprügeln, dann können wir hier nicht länger bleiben, sagte mein Vater und begann mit der Organisation unserer Ausreisepapiere.«94 Der Wiener Soziologe Eric Voegelin: »Die Höhepunkte im Zerstörungsprozeß Österreichs lösten bei mir einen tiefen emotionalen Schock aus.«95 Zum Straßenterror kam in den ersten Wochen nach dem »Anschluss« die Übertragung der im Deutschen Reich geltenden Gesetze auf die neue »Ostmark«. Damit galten auch alle repressiven Regelungen für die jüdische Bevölkerung. Auch Voegelin war unter den aus dem Staatsdienst Entlassenen, wie alle nichtarischen Lehrer. Der Mittelschullehrer Philipp Flesch (geb. 1896), versuchte sich zunächst mit der neuen Situation zu arrangieren:

»Mit Ausnahme des zehnten November [1938], bei dem ich verhaeltnismaessig gut ›davongekommen‹ war und nach dem Verhoer bei der Gestapo hatte ich in Wien ein ruhiges, wenn auch veraengstigtes Leben gefuehrt. Von meiner Wohnungstuer hatte ich wie die meisten Juden das Namensschild entfernt. Ich lehrte meine Freunde ein bestimmtes Klopfsignal und oeffnete nur auf dieses hin. Ich fuehlte mich auf der Strasse nicht sicher und blickte immer rundum, ob nicht vielleicht mich jemand scheel anblickte [...]. Meine Pension kam regelmaessig, wenn auch durch die hohen Reichssteuern stark verkuerzt [...]. Dennoch begann ich nach dem zehnten November ernstlich an meiner Auswanderung zu arbeiten.«96

1938 boten sich den Ausreisewilligen allerdings noch weniger Zielländer als 1933/1934 an. Philipp Flesch:

»Es kam damals gar nicht darauf an wohin man fuhr. Guatemala, Honduras, Ceylon, St. Domingo, Peru, Chile, Finnland, Persien wurden akzeptiert, ohne dass der Auswanderer eine Ahnung davon hatte, wie es in diesen Laendern aussah.«97

Ein anderer, der schon im selben Jahr in New York eine neue Heimat fand, beschreibt die Suche nach einem neuen Zufluchtsort:

»Ich glaube, die Wiener Juden haben in den Tagen nach dem Umbruch mehr Geografie gelernt als jemand in der Schulzeit. Kein Land der weiten Erde, das nicht in Erwägung gezogen wurde: Haiti, Honduras, Australien ... Und was ist mit Panama? Uruguay soll auch möglich sein. Und Kenia? Ein wenig heiß zwar, aber doch besser als Wien.«98

Schwierig war es vor allem für jene, die keinen gültigen Pass mehr hatten. Bereits im Mai 1938 hatten mehr als 60.000 Menschen im amerikanischen Generalkonsulat in Wien ein Einreisevisum beantragt.99 Von 1938 bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 kamen von den 128.000 österreichischen Juden100 etwa 30.000.101

Der österreichische Schriftsteller Hermann Broch war nach dem »Anschluss« zunächst inhaftiert. Mit der Hilfe prominenter Schriftstellerkollegen erlangte er ein Visum für England, von wo aus er dann im Oktober 1938 in die USA emigrieren konnte. Er war der Meinung, dass ein Schriftsteller das Humane jetzt nur noch in Amerika verteidigen könne.102 1933 bis 1938 hatten Schätzungen zufolge insgesamt 8.000 bis 10.000 Deutsche in die Tschechoslowakei flüchten können,103 meistens Musiker, Sänger, Schriftsteller, Dirigenten, Kabarett- und Varietékünstler.104 Auch das Ehepaar Bloch wählte 1938 Prag, weil ihnen dort »das Exil [...] viel angenehmer als in anderen Ländern« erschien. »Die Tschechoslowakei war nicht so bürokratisch wie Frankreich, eine ›carte d'identité‹ nicht erforderlich.« Prag sei »eine sehr deutsche Stadt mit einer deutschen Universität, deutschen Mittel- und Volksschulen, mit täglich spielenden deutschen Theatern und fünf deutschen Tageszeitungen.«105 Im März 1939 mussten sie jedoch wie viele andere nach der Annexion Böhmens und Mährens in das »Großdeutsche Reich« weiter nach Frankreich ziehen. Karl Otto Paetel über das Jahr 1937 in Prag: [...] man war zu Hause – wenn auch nur im Reich der Fiktionen [...]. Das Reich der Wirklichkeit hinter der von Hitler beherrschten Welt einer zufälligen Sinnlosigkeit öffnete sich den Heimatlosen in den kleinen Prager Kaffeehäusern.«106

Einige Jahre lang war Frankreich die nächste Station vieler Emigranten, vor allem Paris, das »Zentrum der mittellosen Hitler-Flüchtlinge«, wie sich der spätere Verleger George Weidenfeld erinnert.107 Insgesamt kamen von 1933 bis 1944 hier etwa 150.000 Emigranten zumindest zeitweise zur Ruhe.108 Da die Grenze zur Schweiz bereits am Tag des »Anschlusses« Österreichs von der SS kontrolliert wurde, gestaltete sich die Flucht dorthin jedoch von Wien aus problematisch. Die spätere Schriftstellerin Stella Hershan (Stella Kreidl) (geb. 1915), die 1939 mit ihrer Familie über die Schweiz und Frankreich schließlich New York erreichte, schreibt über ihre traumatische Erfahrung beim Grenzübergang in die Schweiz:

»Nazi officials stepped into the compartment. ›Your passport‹. The voices were as cold as their faces. No human emotions showed in them. My husband handed them the passport. They took it, studied it for a long while. Then they disappeared with it. We sat frozen. This surely was the end. We would be taken off the train. The official came back. Returned the passport [...]. Streched out his hand. ›Heil Hitler‹.«109

Auch die Wiener Schriftstellerin Hertha Pauli berichtet über ihren Weg von Wien nach Frankreich über die Schweiz:

»Mit einem Ruck hielt der Zug dicht vor der Grenze. Anstelle der österreichischen Zollbeamten stiegen SS-Leute ein und hinter ihnen wurden die Wagentüren verschlossen. Wir erbleichten beim Anblick der schwarzen Uniformen. Die Pässe wurden eingesammelt und nach Listen verglichen; die Koffer wurden geöffnet, der Inhalt auf den Boden gestülpt und durchwühlt. Einige aus dem Coupè wurden abgeführt, andere auf dem Gang an uns vorbeigetrieben. Nur wenige kamen zurück.«110

In Paris entstanden nach 1933 spezielle politische Emigrantenorganisationen sowie Exilzeitungen und -zeitschriften. Ludwig Wronkow, der dort u. a. für Paris Soir arbeitete,111 schreibt über die Stadt:

»Wer in Paris so tat, als ob er auf Besuch wäre, also die Reize der Stadt auf Spaziergängen auf sich wirken ließ, Museen besuchte und Freude an den Festen der Pariser; wie Sylvester + dem 4. Juli hatte, konnte die Tragödie der Lösung vom eigenen Kulturkreis zu einem kleinen Teil überwinden. Da konnte man auch im ›Deutschen Klub‹ tanzen gehen [...]. Hier hielt unter vielen anderen Alfred Kerr Vorträge, und in leichten Kabarett-Stücken traten Kurt Gerron u. Felix Bressart auf. In den vielen Kaffeehäusern konnten manche Kaffeehausgespräche geführt werden.«112

Für den Journalisten Arthur Koestler, der von 1934 bis 1936 in Paris lebte, führten die meisten Emigranten »eine Art Getto-Existenz. Sie lasen ihre Emigrantenzeitungen, besuchten ihre Emigrantenklubs und -cafés und versanken völlig in ihrer Emigrantenwelt und in deren unvermeidbaren Streitigkeiten und Intrigen.«113 Die Lyrikerin und Journalistin Claire Goll (geb. Clara Aischmann) erlebte Paris nach 1933 wie einen »Vorort von Berlin, nur mit dem Unterschied, daß die Dichter, Schriftsteller, Verleger und Regisseure nach Überschreitung der Grenze jede Bedeutung verloren [...]. Nach der ersten Wiedersehensfreude breitete sich in den Cafés eine bedrückende Stimmung aus. Die Gespräche drehten sich nur noch um Visa und Aufenthaltsgenehmigungen. Leute, die man auf dem Gipfel des Ruhms gekannt hatte, vom Ehrgeiz durchdrungen, vom Erfolg berauscht, waren nichts mehr als Flüchtlinge auf der Dauersuche nach einer billigen Unterkunft, einem nicht zu dreckigen Lokal, einem Personalpapier, um eine Arbeitskarte zu erhalten.«114

Arbeiten durfte man nur, wenn kein Franzose die entsprechende Tätigkeit ausführen wollte.115 Jeder Ausländer, der länger als zwei Monate in Frankreich leben wollte, benötigte außerdem eine »carte d'identité«, die zwei Jahre gültig blieb. Voraussetzung dafür war eine Aufenthaltserlaubnis, die jeweils für vier Wochen gültig war. Folglich musste jeder Emigrant einmal im Monat in der Fremdenabteilung der Präfektur vorstellig werden. Karola Bloch versuchte es wieder und wieder: »Wie oft bin ich in die düstere Conciergerie gegangen, um endlich das begehrte Dokument zu erhalten. Die französische Bürokratie machte einem das Leben schwer.«116 Für den ausgebürgerten Bruno Walter beschaffte der französische Justizminister Paul Reynaud persönlich 1940 einen Pass, der ihn zum französischen Staatsbürger machte und solchen Schwierigkeiten enthob.117 Die Witwe eines Berliner Schauspielers ging einen anderen Weg, wie sich der Berliner Theaterdirektor Ernst Josef Aufricht erinnert:

»In ihrer Angst, abgewiesen zu werden, begrüßte sie den Polizeimann mit: ›Vive la France et la liberté!‹, ›Et encore plus, Madame?‹ sagte der kleine, dünne Mann. Sie wußte es nicht. ›Et encore plus?‹ wiederholte er. ›L'amour, Madame! Kommen Sie um zwei Uhr nachmittags ...‹ Er gab ihr eine Adresse. Sie bekam die Aufenthaltsbewilligung immer auf eine Woche. Jeden Dienstag mußte sie erscheinen. Da sie sehr gefällig war, baten wir sie öfters, eine zusätzliche Aufenthaltserlaubnis zu erschlafen.«118

Viele österreichische und deutsche Flüchtlinge ließen sich am Stadtrand von Paris nieder, weil es dort billiger war, z. B. in Lagny-sur-Marne. An der Cote d'Azur entwickelte sich Sanary-sur-Mer zum Emigrantenort,119 der in der Zeit von 1933 bis 1939 als die »Hauptstadt der deutschen Literatur« galt.120

Die Emigrantenexistenz in Frankreich erlebte nach dem 13. Mai 1940 einen Einschnitt, als die französische Regierung die Einweisung aller deutschen Männer und Frauen im Alter von 17 bis 55 Jahren in Lagern anordnete, von den Betroffenen als »Konzentrationslager« bezeichnet.121 Damit begann für sie ein langer Leidensweg, denn mit dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich vom 22. Juni 1940 erlosch ihr Asylrecht.122 Die französische Vichy-Regierung im unbesetzten südlichen Teil Frankreichs verpflichtete sich, alle Deutschen, die das NS-Regime namentlich benannte, auszuliefern (Artikel 19, § 29). Erneut war »das rechtzeitige Entkommen«, wie es Alfred Kantorowicz ausdrückte, »für viele Flüchtlinge eine Frage von Tod oder Leben.«123 Vielen Internierten gelang es, ins unbesetzte Marseille zu fliehen. »Die Zahl der Bettler wuchs von Tag zu Tag«, erinnert sich Hertha Pauli an das Jahr 1940. »Die Masse der Heimatlosen drängte sich immer dichter in der Mausefalle Marseille.«124 Hier strandeten auch Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Heinrich Mann, Walter Mehring und das Ehepaar Werfel.125 Der Ende August 1940 nach Marseille geschickte Vertreter des »Emergency Rescue Committee«, Varian Fry, versuchte, möglichst viele Autoren, andere Künstler und Politiker zu retten. Dazu beschaffte das Komitee falsche Papiere, Geld für die Bestechung von Beamten und für Menschenschmuggler.126 Mithilfe des »Emergency Rescue Committee« durften prominente Flüchtlinge wie z. B. Franz Blei, Julius Deutsch, Hertha Pauli und das Ehepaar Alma und Franz Werfel in die USA einreisen. Eines der Visa besorgte Nahum Goldmann, bis 1940 Vertreter der »Jewish Agency« in Genf beim Völkerbund, für den ehemaligen Chefredakteur der Berliner Vossischen Zeitung, Georg Bernhard. Wie Goldmann in seinen Lebenserinnerungen berichtet, hatte sich Bernhard in Marseille in einem Bordell versteckt, »weil er mit Recht annahm, daß die Deutschen dort nicht nach Juden suchen würden. Der amerikanische Konsul fand ihn dort. Das Versteck hatte seinen besonderen Reiz, da Frau Bernhard betont streng bürgerlich und puritanisch war.«127

Um aus Frankreich weg zu kommen, musste man sich in Marseille einschiffen, was nach Ernst Josef Aufricht einem »Lotteriespiel« glich, weil »die Plätze auf dem schwarzen Markt gehandelt wurden.«128 Oder man versuchte weiter legal mit einem spanischen Transitvisum und einem Visum für Portugal oder illegal über die Pyrenäen durch Spanien nach Lissabon zu gelangen.129 Die Route durch Spanien war nochmals eine Herausforderung, denn dort herrschte Bürgerkrieg und das Land zählte zu den Verbündeten des Deutschen Reiches. Ab Juli 1940 war Lissabon das letzte Tor in die Freiheit, in die USA. Herbert Schönfeldt, der aus einem französischen Internierungslager entkommen konnte, schreibt in seinen Erinnerungen über Lissabon:

»Das Damoklesschwert hing hier zwar höher als in Frankreich, aber auch unter einem hoch hängenden Damoklesschwert lebt es sich nicht angenehm. Es war ein bedrückender Gedanke, nach soviel Mühen vielleicht noch an der letzten Hürde zu straucheln.«130

Alfred Döblin erinnert sich:

»Die Poste-restante-Ecke in Lissabon, in Portugal, im äußersten Winkel von Europa, wurde der tragische Treffpunkt für viele Menschen in diesem Unglücksjahr [...]. Und wir Flüchtigen [...] warteten auf den Rettungsball, der uns über den Ozean zugeworfen werden sollte.«131

Im Herbst 1940 hofften laut dem »Jewish Refugee Committee« in Portugal 8.000 jüdische Flüchtlinge auf ihre Weiterfahrt über den Ozean.132 Konnte man vor dem Krieg nach Erteilung des Visums die Schiffskarte kaufen, sofern man das Geld aufbringen konnte, musste man nun vor Erteilung des Visums den Nachweis des Schiffsplatzes und auch der Abfahrtszeit vorlegen. Zudem waren viele Schiffsplätze für heimkehrende Amerikaner reserviert. So konnten im April 1941 nur noch 3.000. Flüchtlinge entkommen.133 Die Situation spitzte sich in diesem Jahr zu, weil zum einen die autoritäre Regierung Portugals mit der Gestapo zusammenarbeitete, und zum anderen die Schiffskapazitäten insgesamt immer kleiner wurden. Die Plätze auf portugiesischen Schiffen waren auf neun Monate ausverkauft.134 Mancher, der kein Visum erhalten hatte, beging in Lissabon Selbstmord.135

Endnoten

58Aufbau, 4. Jg., No. 2, 01. 01. 1938, S. 2.

59Claudia Appelius, S. 69 f.

60Karl O. Paetel 1981, S. 191.

61Edgar Brager, S. 25.

62Hilde Marx, S. 46 f. Am 14. November 1938 traf sie in New York ein.

63Siehe auch Albrecht Bald.

64Zit. nach Joachim Wieler, S. 184.

65New York Times vom 6. Oktober 1937, abgedr. in: Joachim Wieler, S. 245.

66Martin Gregor-Dellin (Hg.), S. 172.

67Georg Wronkow, S. 189.

68Vgl. auch Aufbau, Vol. VIII, No. 3, 16. 01. 1942, S. 7.

69Bruno Walter, S. 423.

70Gisela Graf, S. 128 f. und S. 131 (Zitat S. 128).

71Zit. nach Claus-Dieter Krohn 2020, S. 83.

72Ernst Bloch war einen Tag nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 in die Schweiz geflohen. Zu dieser Zeit wurde er bereits steckbrieflich gesucht. Seine spätere Ehefrau kam einen Monat später nach. Siehe dazu Karola Bloch, S. 82 f.

73Siehe z. B. den Brief Albert Ehrensteins an Carl und Maude Ehrenstein vom 27. 02. 1941 aus Zürich: »Meine Situation hier ist zu schwierig, weil meine Arbeitsmöglichkeiten hier infolge mangelnder Arbeitserlaubnis gleich Null sind.« Zit. nach Hanni Mittelmann (Hg.), S. 345 f., hier: S. 345. Allerdings hat ihn die Gemeinde in Kilchberg monatlich mit 50 Franken unterstützt. In den USA lebte er in ärmlichen Verhältnissen und verstarb 1950 in einem Armenhospital in New York. Allgemein zur schweizerischen Flüchtlingspolitik siehe Guido Koller.

74Karola Bloch, S. 77, 92.

75Bernadette Mayrhofer 2014b, S. 114.

76Susanne Kinnebrock, S. 120.

77Karola Bloch, S. 97. Zur Ausweisung S. 94 ff.

78Bruno Walter, S. 410.

79Brigitte B. Fischer, S. 135.

80Wie diese Einschränkung aussehen konnte, erlebte der österreichisch-jüdische Geiger Felix Galimir. Er hatte im Mai 1936 bei den Wiener Philharmonikern vorgespielt und sollte seine Stelle zum 1. September antreten. Doch dann erhielt er plötzlich eine Absage – bereits im März bzw. September 1920 waren die letzten jüdischen Musiker in das Orchester aufgenommen worden. Siehe dazu Felix Galimir, S. 105. Er erhielt später in New York eine Anstellung beim NBC Orchestra (S. 109). Vgl. auch Bernadette Mayrhofer 2014a, S. 17.

81Zit. nach Johannes Reichmayr, S.149. Bibring emigrierte 1938 nach Großbritannien, 1941 in die USA.

82Wiener Neueste Nachrichten, 14. Jg., Nr. 5473, 12. 03. 1938, S. 1. Zum Nationalsozialismus in Wien siehe auch Katharina Stengel (Hg.), Gerhard Botz und Ernst Bruckmüller, S. 200 ff.

83Zit. nach Johannes Reichmayr, S. 158 f. Zu den sich an die Annexion anschließenden Exzessen gegen Juden siehe ebd., S. 156 ff.

84LBI, Adolph Wald (AHC 180), S. 7.

85Ebd., S. 19.

86LBI, Olly Schwarz (ME 590), S. 100. Sie war Gründungsmitglied des »Neuen Wiener Frauenklubs« und arbeitete vor ihrer Emigration mit ihrem Ehemann in die USA 1940 in verschiedenen sozialdemokratischen Frauenorganisationen mit.

87LBI, Brenda Preminger (AHC 1194). Sie studierte in Wien Chemie. Mit ihrem Ehemann floh sie über Italien nach Australien. 1944 kam sie in die USA, wo ihr Ehemann in New York ein Holzgeschäft eröffnete. Vgl. auch Fritz Rodeck, S. 88.

88LBI, Elfriede Hale (ME 268), S. 9.

89Allgemein siehe dazu Hans Safran, Hans Witek.

90LBI, Edith Hacker (ME 1186), S. 34, 37. Siehe auch LBI, Florence Mendheim (AR 25441), The New Yorks Jewish News, Vol. II, No. 9, 06. 05. 1938, S. 5.

91LBI, Chas Kelfeit (ME 1587) S. II ff. Er flüchtete mit Hilfe von Schleusern in die Schweiz. 1940 emigrierte er in die USA.

92Anna Auer, S. 14. Auch Adolph Wald berichtet, im Herbst und Winter 1938 habe es in Wien viele Selbstmordversuche gegeben. Siehe dazu LBI, Adolph Wald (AHC 180), S. 12.

93LBI, Gertrud Nachtigall-Kissiloff (AR 11224).

94Gerda Lederer, S. 103.

95Zit. nach Peter J. Opitz (Hg.) 1994, S. 60. Siehe dazu auch Anton Amann, S. 227.

96LBI, Philipp Flesch (ME 132), S. 32. Er kam 1939 über Holland in die USA.

97Ebd.

98Zit. nach Brigitta Boveland, S.60.

99Robert E. Lawrence, S. 52.

100Friedrich Stadler, S. 17.

101Peter Eppel, S. 986.

102Robert Pick (Hg.), Brief Nr. 116 an Carl Seelig vom 10. 12. 1938, S. 168 f., hier: S. 168. Siehe auch Peter Eppel, S. 988. Danach besorgte Hermann Broch u. a. ein Visum für die Sängerin Dora Amann und ihren Ehemann Paul,LBI, Dora (geb. Israel) Ammann (ME 1431), S. 4.

103Michael Groth, S. 118. Allgemein siehe Peter Becher.

104Jaromir Paclt.

105Karola Bloch, S. 116.

106Karl O. Paetel 1964, S. 108 f. Siehe auch LBI, Wolfgang Roth (ME 315), S. 77: »In Prag [...] fand ich am Wenzels Platz und in umliegenden Kaffeehaeusern alle moeglichen und unmoeglichen Leute aus Berlin, Kollegen vom Theater und vom Film, Schriftsteller, Maler und Musiker, Juden und Nichtjuden, Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten. Viele taten so, als ob es ihnen glaenzend ginge«.

107George Weidenfeld, 103.

108Michael Groth, S. 133.

109LBI, Stella Hershan (ME 1055), S. 191. In New York arbeitete sie als Verkäuferin, u. a. bei Elizabeth Arden.

110Hertha Pauli, S. 25. Carl Zuckmayer, der 1933 nach Österreich geflohen war, konnte mit dem Zug nach Zürich entkommen. Siehe dazu Carl Zuckmayer 1964, S. 148; Alice Herdan-Zuckmayer 1981, S. 174 und dies. 1980, S. 7.

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