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Hugh Howey

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Beschreibung

Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass das Schicksal aller in deinen Händen liegt? Juliette Nichols, die neue Herrin in Silo 18, bricht mit den jahrhundertealten Regeln der unterirdischen Gemeinschaft - und lässt den riesigen Bohrer demontieren, um ihn für einen neuen Zweck einzusetzen. Denn Juliette weiß, dass ihr Freund Lucas und die anderen sterben werden, wenn sie nicht sofort handelt. Doch sie weiß nicht, dass ihr die größte Überraschung noch bevorsteht - ihr größter Gegner heißt noch immer Senator Thurman. Denn Thurman lebt, und sein Plan ist es, die Aufständischen aus Silo 18 endgültig zu vernichten - mit einer lebensbedrohlichen Wolke aus Nano-Partikeln. »Exit« schließt die »Silo«-Serie des amerikanischen Kult-Autors Hugh Howey ab und führt sie zu einem verblüffenden Ende.

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Seitenzahl: 598

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Für die Überlebenden

Übersetzung aus dem Englischen von Gaby Wurster   Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Dust« bei CreateSpace, Charleston, South Carolina.

ISBN 978-3-492-96963-5 März 2015

© Hugh Howey 2013 © Piper Verlag GmbH, München

/

Berlin 2015 Covergestaltung: Hafen Werbeagentur Covermotiv: GettyImages

/

Auke Holwerda Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

VORWORT

»Ist da jemand?«

»Hallo? Ja, ich bin hier.«

»Ah, Lukas! Du hast gar nichts gesagt. Ich dachte kurz … du wärst jemand anders.«

»Nein, Lukas hier. Ich stelle nur mein Headset ein. War viel los heute Morgen.«

»Ja?«

»Ja. Ödes Zeugs. Ausschusstreffen. Unsere Personaldecke ist zurzeit ein wenig dünn. Eine Menge Umbesetzungen.«

»Aber beruhigt sich die Lage denn? Gibt es noch Unruhen?«

»Nein, nein. Alles normalisiert sich wieder. Die Leute stehen morgens auf und gehen zur Arbeit, abends fallen sie ins Bett. Diese Woche hatten wir eine große Lotterie – das hat ein paar Menschen wirklich glücklich gemacht.«

»Das ist gut, sehr gut. Wie läuft es an Server 6?«

»Gut, danke. Unsere Passwörter funktionieren alle. Bislang kommen allerdings ständig dieselben Daten rein. Ich weiß nicht, warum das so wichtig sein soll.«

»Bleib dran. Alles ist wichtig. Wenn die Daten bei dir ankommen, gibt es einen Grund dafür.«

»Das haben Sie auch über die Einträge in diesen Büchern gesagt. Aber so vieles kommt mir unsinnig vor. Ich frage mich, ob irgendetwas davon der Wirklichkeit entspricht.«

»Warum? Was liest du gerade?«

»Ich bin bei Band C. Heute Morgen ging es um … irgendeinen Pilz. Warten Sie, ich suche den Eintrag. – Hier. Cordyceps: Kernkeule.«

»Das ist ein Pilz? Nie gehört.«

»Hier steht, dass er etwas mit dem Gehirn der Ameise macht, er programmiert es neu, als wäre das Ameisenhirn eine Maschine, damit sie dann bis ganz oben auf eine Pflanze krabbelt, bevor sie stirbt …«

»Ein unsichtbare Substanz, die das Gehirn neu programmiert? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das kein zufälliger Eintrag ist.«

»Ach ja? Und was soll das dann heißen?«

»Es heißt, dass … dass wir nicht frei sind. Keiner von uns ist frei.«

»Sehr erbaulich. Jetzt verstehe ich auch, warum ich ständig diese Anrufe entgegennehmen soll.«

»Wer sagt das? Eure Bürgermeisterin? Sie hat schon eine ganze Weile nicht mehr geantwortet.«

»Nein. Sie ist unterwegs. Arbeitet an einem Projekt.«

»An was für einem Projekt?«

»Das sage ich lieber nicht. Ich glaube, es würde Ihnen nicht gefallen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Weil es mir selbst nicht gefällt. Ich habe versucht, es ihr auszureden. Aber sie kann mitunter ein wenig … starrköpfig sein.«

»Wenn es Ärger gibt, sollte ich davon wissen. Ich bin hier, um zu helfen. Ich kann dafür sorgen, dass gewisse Leute nichts davon mitbekommen …«

»Genau das ist es. Sie traut Ihnen nicht. Sie glaubt nicht, dass Sie jedes Mal dieselbe Person sind.«

»Doch, bin ich aber. Die Geräte verstellen meine Stimme.«

»Ich sage Ihnen nur, was sie denkt.«

»Ich würde mir wünschen, dass sie ihre Einstellung ändert. Ich will wirklich helfen.«

»Ich glaube Ihnen. Aber im Moment können Sie uns am besten helfen, indem Sie einfach nur die Daumen drücken.«

»Warum das?«

»Ich habe das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird.«

1. KAPITEL

Silo 18

In der Mechanik rieselte Staub von der Decke, freigesetzt von der Wucht der Bohrung. Die wulstigen Kabelstränge zitterten, die Rohre schepperten. Ein Stakkato aus Schlägen erfüllte die Luft im Generatorenraum, das Geräusch hallte von den Wänden wider und erinnerte an die Zeit, als die schlecht justierten Maschinen noch eine Gefahr für die Arbeiter gewesen waren.

Mitten in diesem Radau stand Juliette Nichols, sie hatte ihren Overall bis zur Taille heruntergezogen, die losen Ärmel um die Hüften gebunden, ihr Unterhemd war dreckig von Staub und Schweiß. Sie lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Bohrhammer, ihre sehnigen Arme zitterten, während der schwere Schlagbolzen wieder und wieder in die Betonwand von Silo 18 rammte.

Juliette spürte die Vibrationen in ihren Zähnen. Jeder Knochen, jedes Gelenk in ihrem Körper bebte, ihre alten Wunden schmerzten, die Erinnerung an früher. Die Grubenarbeiter, die sonst die Maschine bedienten, sahen ihr wenig begeistert von der Seite aus zu. Juliette wandte den Blick von dem staubüberzogenen Beton ab und sah die Männer dastehen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt, die Kiefer kantig zusammengepresst. Vielleicht waren sie wütend, weil Juliette sich ihre Maschine angeeignet hatte. Oder wegen der Tabuverletzung – dass sie an einer Stelle bohrte, wo das Bohren eigentlich verboten war.

Juliette schluckte Staub und Steinchen, die sich in ihrem Mund sammelten, und konzentrierte sich auf die einstürzende Wand. Es gab vielleicht noch einen anderen Grund für die Abneigung der Arbeiter – einen, den sie nicht ignorieren konnte: Gute Mechaniker und Grubenleute waren ihretwegen gestorben. Blutige Kämpfe waren ausgebrochen, nachdem sie die Reinigung verweigert hatte. Wie viele dieser Männer und Frauen, die ihr nun beim Graben zusahen, hatten einen geliebten Menschen verloren, den besten Freund, ein Familienmitglied? Wie viele gaben ihr die Schuld? Sicherlich war sie selbst nicht die Einzige, die sich Vorwürfe machte.

Der Bohrer bockte, Metall krachte auf Metall. Juliette hielt den Schlaghammer schräg, und im weißen Fleisch des Betons wurden noch weitere Stahlknochen freigelegt. Sie hatte bereits ein beträchtliches Loch in die Außenwand des Silos gerissen. Eine erste Reihe von Stahlstreben hing gezackt herunter, und an den Enden, wo Juliette den Schneidbrenner angesetzt hatte, waren sie weich wie Kerzenwachs. Dahinter war sie auf noch einen halben Meter Beton und eine weitere Reihe Stahlstäbe gestoßen. Die Silowände waren dicker, als sie gedacht hatte. Mit tauben Gliedern und angespannten Nerven schob Juliette die Maschine auf ihren Schienen weiter nach vorn, der keilförmige Schlagbolzen löste den Stein zwischen den Streben. Wenn sie das Schaubild nicht mit eigenen Augen gesehen hätte – wenn sie nicht sicher wüsste, dass es dort draußen noch andere Silos gab –, sie hätte längst aufgegeben. Ihre Arme vibrierten so sehr, dass ihre Hände nur noch verschwommene Flecken waren. Aber es war die Wand des verfluchten Silos, die sie angriff, sie arbeitete mit wilder Entschlossenheit, wollte sich endlich ganz nach draußen bohren.

Die Arbeiter traten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Juliette konzentrierte sich auf den Streifen weißen Betons zwischen den Stahlstäben. Mit dem Stiefel trat sie auf den Steuerungshebel und stemmte sich gegen die Maschine, die sich abermals auf den verrosteten Schienen ein paar Zentimeter voranbewegte. Sie hätte schon längst eine Pause einlegen sollen. Der Staub saß ihr in der Kehle, sie musste unbedingt Wasser trinken, ihre Arme brauchten Erholung. Zu ihren Füßen und unten am Bohrhammer häufte sich der Schutt. Sie trat ein paar größere Stücke aus dem Weg und bohrte weiter.

Mayor Nichols fürchtete, dass sie die Arbeiter nicht noch einmal überreden könnte, sie weitermachen zu lassen, wenn sie eine Pause einlegte. Mayor hin oder her, Schichtleiterin hin oder her – sie hatte gesehen, wie Männer, die sie für furchtlos gehalten hatte, den Generatorenraum mit gerunzelter Stirn verließen. Sie schienen Angst zu haben, dass Juliette eine Art heiliges Siegel brechen und faule, todbringende Luft hereinlassen könnte. Sie war sich bewusst, wie die Leute sie anblickten: Sie wussten, dass sie draußen gewesen war, außerhalb des Silos – als wäre sie eine Art Geist. Manche gingen auf Distanz, als hätte sie irgendeine Krankheit.

Sie biss die Zähne zusammen – der Schmutz knirschte –, erneut trat sie auf den Führungshebel, und der Bohrhammer fuhr wieder ein paar Zentimeter weiter. Ein paar Zentimeter! Juliette verfluchte die Maschine und den Schmerz in ihren Handgelenken. Verflucht seien der Aufstand und ihre toten Freunde! Verflucht sei der Gedanke an Solo und die Kinder, die ganz allein waren – eine Endlosigkeit aus Stein entfernt! Und verflucht sei dieser blödsinnige Bürgermeisterinnenjob – die Leute sahen sie an, als müsste sie auf einmal alle Schichten auf allen Ebenen leiten, sie meinten, sie wüsste zum Henker noch mal, was sie tat, und man müsste ihr Gehorsam leisten, selbst wenn man sie fürchtete …

Der Bohrhammer machte einen größeren Satz nach vorn, der Schlagbolzen kreischte. Juliette rutschte mit einer Hand ab, die Maschine drehte hoch, als wollte sie jeden Moment explodieren. Die Arbeiter schraken auf wie Flöhe, ein paar eilten zu ihr. Juliette schlug auf den roten Aus-Knopf, der unter der weißen Staubschicht kaum zu sehen war. Das Gerät rumpelte und holperte, dann stand es still.

»Du bist durch! Du bist durch!«

Raph zog sie zurück, seine bleichen, von jahrelanger Grubenarbeit kräftigen Arme umschlangen ihre lahmen Glieder. Auch andere riefen ihr zu, dass sie es geschafft habe. Sie war durch! Der Bohrhammer hatte geklungen, als sei eine Kurbelwelle gebrochen – sie hatte das alarmierende Schrillen einer schweren Maschine gehört, die ohne Reibung, ohne Widerstand gelaufen war. Juliette ließ die Steuerungsknöpfe los und sank in Raphs Arme. Wieder überkam sie die Verzweiflung beim Gedanken an ihre Freunde, die lebendig begraben waren in dieser Gruft, in diesem leeren Silo, und zu denen sie nicht gelangen konnte.

»Du bist durch – du musst weg da!«

Eine Hand, die nach Schmierfett und Plackerei roch, hielt ihr den Mund zu und schützte sie vor der Luft von außen. Juliette konnte nicht mehr atmen. Als sich die Staubwolke verzog, war vor ihr ein schwarzer Fleck aus leerem Raum zu sehen.

Da, zwischen zwei Stahlstreben, war ein dunkles Nichts. Ein Nichts zwischen den Gefängnisgittern, die den Silo in zwei Lagen vollständig umgaben, von der Mechanik bis ganz hinauf zur Spitze.

Sie war durch. Draußen. Juliette erhaschte einen Blick auf eine andere, eine ganz andere Außenwelt.

»Den Brenner«, murmelte sie. Sie zog Raphs schwielige Hand von ihrem Mund und wagte einen Atemzug. »Bring mir den Schneidbrenner und eine Taschenlampe.«

2. KAPITEL

Silo 18

»Dieser Scheiß ist total verrostet.«

»Sieht aus, als wären das hydraulische Leitungen.«

»Die müssen ja tausend Jahre alt sein«, lispelte Fitz. Die Worte zischten durch die Zahnlücken des Mannes, der hier unten für die Schmierölversorgung zuständig war. Die Grubenarbeiter und Mechaniker, die während der Bohrung Distanz gehalten hatten, drängten sich nun hinter Juliette, während sie die Taschenlampe durch einen hartnäckigen Schleier aus pulverisiertem Stein in die Finsternis dahinter hielt. Raph, dessen Haut weiß war wie der umherschwebende Staub, stand neben ihr. Die beiden zwängten sich in den konischen Krater, den Juliette in den etwa anderthalb Meter dicken Beton gerissen hatte. Der Albino machte große Augen, er blähte seine durchscheinenden Wangen auf und schürzte die blutleeren Lippen.

»Du kannst ruhig atmen, Raph«, sagte Juliette. »Hier hinten kommt einfach bloß ein weiterer Raum.«

Mit einem erleichterten Grunzen atmete er aus und bat die Leute hinter ihm, nicht zu drängeln. Juliette gab die Taschenlampe an Fitz weiter und trat von dem Loch zurück. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, ihr Herz raste beim Anblick der Maschine auf der anderen Seite der Wand. Was sie gesehen hatte, bestätigten gleich darauf die anderen, die etwas sagten von Streben, Bolzen, Schläuchen, Stahlplatten mit Farbresten und Rostflecken – ein mechanisches Ungeheuer, das so weit hinauf und so weit nach rechts und links reichte, wie die schwachen Lichtstrahlen der Taschenlampe den Raum durchdrangen.

Ein Blechbecher mit Wasser wurde Juliette in die zitternden Hände gedrückt. Gierig trank sie. Sie war erschöpft, aber ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Sie konnte es nicht erwarten, ans Funkgerät zu gehen und Solo von ihrem Erfolg zu erzählen. Und Lukas. Sie hatte hier unten ein Stückchen Hoffnung gefunden.

»Und jetzt?«, fragte Dawson.

Der neue Vorarbeiter der dritten Schicht, der ihr den Wasserbecher gegeben hatte, taxierte sie misstrauisch. Dawson war Ende dreißig, aber die Arbeit im gedimmten Licht der Nachtschicht hatte ihn vorzeitig altern lassen. Er hatte große, knotige Hände, die von zerschrammten Knöcheln und von gebrochenen Fingern zeugten – welche er sich teils bei der Arbeit, teils in Schlägereien zugezogen hatte. Juliette gab ihm den Becher zurück. Dawson blickte hinein und trank den letzten Schluck.

»Jetzt machen wir ein größeres Loch«, sagte sie. »Wir gehen da rein und schauen nach, ob das Ding noch zu retten ist.«

Juliette nahm eine Bewegung oben auf dem surrenden Hauptgenerator wahr. Sie blickte gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie Shirly sie stirnrunzelnd ansah und sich dann abwandte.

Juliette drückte Dawsons Arm. »Dieses eine Loch zu vergrößern würde ewig dauern«, sagte sie. »Wir brauchen Dutzende kleinere Löcher, die wir dann verbinden können. Hol den anderen Bohrhammer. Und setz die Männer mit Pickhacken auf die Arbeit an – aber sorg dafür, dass es, wenn möglich, nicht so viel Staub gibt.«

Der Vorarbeiter nickte und trommelte mit den Fingern an den leeren Becher. »Keine Sprengung?«, fragte er.

»Nein. Was auch immer das da drinnen ist, ich will es nicht beschädigen.«

Er nickte wieder, und Juliette überließ ihm die Leitung der weiteren Bohrung. Sie ging zum Generator. Auch Shirly hatte ihren Overall bis zur Taille heruntergezogen und die Ärmel zusammengebunden, auf ihrem Unterhemd zeichnete sich ein auf dem Kopf stehendes Schweißdreieck ab. Mit einem Lappen reinigte sie die Oberseite des Generators, wischte alte Schmiere und den neuen Staubfilm ab, der sich bei der heutigen Grabung daraufgelegt hatte.

Juliette band die Ärmel ihres Overalls auseinander, schlüpfte hinein und verbarg ihre Narben. Sie stieg an der Seitenwand des Generators hinauf, sie wusste, wo sie Halt finden konnte, welche Stellen heiß waren und welche nur warm. »Brauchst du Hilfe?«, fragte sie, als sie oben angekommen war und die wohlige Wärme sowie die Vibrationen der Maschine in ihren strapazierten Muskeln spürte.

Shirly wischte sich das Gesicht mit dem Saum ihres Unterhemds ab. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, geht schon«, sagte sie.

»Tut mir leid wegen des Drecks.« Juliette musste das Dröhnen der massiven Kolben übertönen, die ständig auf und ab schossen. Vor nicht allzu langer Zeit wären ihr die Zähne ausgefallen, wenn sie sich auf den Generator gestellt hätte, damals, als die Maschine nicht rundgelaufen war.

Shirly warf die dreckigen weißen Lappen hinunter zu Kali, die als ihr Schatten arbeitete und den Stoff in einen Eimer mit schmutzigem Wasser auswrang. Es war komisch, zu sehen, wie sich die neue Leiterin der Mechanik mit so etwas Banalem abrackerte wie dem Reinigen des Generators. Juliette versuchte, sich Knox dabei vorzustellen … Und dann fiel ihr zum hundertsten Mal ein, dass sie selbst inzwischen Mayor war – und wie verbrachte sie ihre Zeit? Indem sie sich durch Wände grub und Stahlstreben zerschnitt. Kali warf die Lappen wieder hinauf, Shirly fing sie mit einem nassen Klatschen auf. Das Schweigen von Juliettes alter Freundin, die sich bückte und weiterarbeitete, sprach Bände.

Juliette drehte sich um und sah zu, wie das Bohrungsteam, das sie zusammengestellt hatte, Schutt beseitigte und das Loch vergrößerte. Shirly war nicht begeistert gewesen darüber, dass Juliette ihr die Arbeitskräfte abgezogen und das Siegel des Silos durchbrochen hatte. Der Bedarf an Arbeitern war zu einem Zeitpunkt gestiegen, als deren Reihen sich ohnehin infolge der Gewaltausbrüche gelichtet hatten. Und ob Shirly ihr nun die Schuld am Tod ihres Mannes gab oder nicht, war unerheblich. Juliette gab sich selbst die Schuld, und dadurch stand die Spannung so greifbar zwischen ihnen wie festgebackene Schmiere zwischen zwei Zahnrädern.

Bald ertönte wieder das Hämmern an der Wand. Juliette sah Bobby an der Steuerung der Maschine, seine dicken, muskulösen Arme zitterten, während er den fahrbaren Presslufthammer führte. Der Anblick dieser merkwürdigen Maschine, irgendeines Apparates, der jenseits der Wand verborgen war, hatte ihrer zögerlichen Mannschaft Energie verliehen. Angst und Zaudern hatten sich in Entschlossenheit verwandelt. Ein Träger brachte Essen. Juliette sah, wie der junge Mann mit den nackten Armen und Beinen die Arbeiten aufmerksam verfolgte. Er ließ seine Lieferung aus Obst und warmem Mittagessen da und nahm dafür Klatsch und Tratsch mit.

Juliette stand auf dem dröhnenden Generator und zerstreute ihre Zweifel, indem sie sich noch einmal sagte, dass sie das Richtige taten. Sie hatte selbst gesehen, wie groß die Welt war, sie hatte auf einer Hügelkuppe gestanden und über das Land geblickt. Nun musste sie den anderen zeigen, was dort draußen lag. Dann würden sie sich in die Arbeit stürzen und sich nicht mehr vor ihr fürchten.

3. KAPITEL

Silo 18

Ein Loch wurde aufgerissen, groß genug, um sich hindurchzuquetschen. Juliette durfte als Erste hinein. Mit der Taschenlampe in der Hand krabbelte sie über einen Schutthaufen und zwischen verbogenen Stahlstreben hindurch. Die Luft außerhalb des Generatorenraums war kühl wie in einem tiefen Schacht. Sie hustete in die hohle Hand, der Staub von den Bohrungsarbeiten kitzelte sie in Nase und Rachen. Sie sprang auf den Boden hinter dem klaffenden Loch.

»Vorsicht«, sagte sie zu den anderen, die ihr nachkamen, »man rutscht hier leicht weg.«

Teils erklärte sich die Unebenheit im Inneren mit den Betonstücken, die hereingefallen waren, teils war es einfach die Beschaffenheit des Bodens hier drinnen, der aussah, als wäre er von den Krallen eines Riesen aufgerissen worden.

Sie leuchtete von unten, von ihren Stiefeln bis ganz hinauf an die dunkle Decke, und begutachtete die wandhohe Gestalt einer Maschine, neben der selbst der Hauptgenerator und die Ölpumpen winzig wirkten. Ein Koloss von einem solchen Ausmaß hätte nie gebaut werden sollen – und würde sich vermutlich niemals reparieren lassen. Juliette verließ der Mut. Ihre Hoffnung, die Maschine wieder instand setzen zu können, schwand.

Raph kam auf dem knirschenden Schutt in der Dunkelheit zu ihr. Albinismus kam nicht in allen Generationen vor. Raphs Augenbrauen und Wimpern waren hauchzart, fast unsichtbar. Seine Haut war hell wie Milch. Aber wenn er in den Gruben war, verlieh ihm die Dunkelheit, die andere wie Ruß überzog, eine gesunde Gesichtsfarbe. Juliette konnte verstehen, warum er als Junge die Farmen verlassen hatte, um im Dunkeln zu arbeiten.

Mit einem anerkennenden Pfeifen schwenkte Raph seine Lampe über die Maschine. Kurz darauf kam das Pfeifen als Echo zurück – ein Vogel in einer dunklen Ecke, der ihn verhöhnte.

»Ein solches Ding muss von den Göttern stammen«, überlegte er laut.

Juliette sagte nichts. Sie hatte Raph nie für einen Mann gehalten, der den Märchen der Priester Glauben schenkte. Dennoch, das Ding war zweifellos Ehrfurcht einflößend. Sie hatte Solos Bücher gesehen und vermutete, dass die gleichen Menschen, die in der alten Zeit diesen Apparat gebaut hatten, auch für die verfallenden Türme verantwortlich waren, deren Reste noch immer hinter dem Hügel aufragten. Juliette streckte die Hand aus und strich über das Metall, das seit Jahrhunderten nicht mehr berührt oder angesehen worden war, und staunte, wozu die Leute früher imstande gewesen waren. Sie fühlte sich plötzlich sehr klein. Vielleicht lagen die Priester doch nicht so weit daneben …

»Ja, die Götter«, brummte Dawson und drängte sich neben die beiden. »Was machen wir damit?«

»Ja, Jules«, flüsterte Raph aus lauter Respekt vor den dunklen Schatten und den noch dunkleren Vorzeiten, »wie sollen wir das Ding hier rausschaffen?«

»Gar nicht«, sagte sie. Juliette schlüpfte in den Hohlraum zwischen der Betonmauer und dem Maschinenturm. »Das Ding wird sich selbst hinausschaffen.«

»Du meinst, dass wir es in Gang setzen können?«, sagte Dawson.

Die Arbeiter im Generatorenraum drängten sich um das Loch und blockierten das Licht, das hereingefallen war. Juliette richtete ihre Taschenlampe auf den schmalen Spalt zwischen der Silowand und der riesigen Maschine und suchte einen Weg darum herum. Sie ging in die Dunkelheit hinein und kletterte die sanft ansteigende Bodenfläche hinauf.

»Wir setzen es in Gang«, versicherte sie Dawson. »Wir müssen nur herausfinden, wie es funktioniert.«

»Vorsicht!«, sagte Raph, als sie mit den Stiefeln einen Stein lostrat. Juliette war schon über den Köpfen der Männer. Sie sah, dass der Raum weder eine Ecke noch eine hintere Wand hatte, er wölbte sich einfach rundherum.

»Das ist ein großer Kreis«, rief sie, ihre Stimme hallte zwischen Stein und Metall wider. »Ich glaube nicht, dass die Maschine hier auf dieser Seite bedient wird.«

»Da drüben ist eine Tür«, verkündete Dawson.

Juliette rutschte den Hang hinab zu den beiden Männern. Einer der Zuschauer im Generatorenraum schaltete eine weitere Taschenlampe an, zusammen mit Juliettes Lichtstrahl beschien er die Tür, die statt an Angeln an Bolzen hing. Dawson kämpfte mit einem Griff hinten an der Maschine. Er stöhnte vor Anstrengung, aber dann quietschte das Metall und gab widerwillig der Muskelkraft nach.

Kaum waren sie durch die Tür, standen sie im weiten Inneren der Maschine. Damit hätte Juliette niemals gerechnet. Als sie an das Schaubild in Solos verborgenem Zimmer dachte, wurde ihr nun klar, dass die Geräte maßstabsgetreu gezeichnet worden waren: Die kleinen Fortsätze, die auf Solos Plan bei den unteren Etagen vorsprangen, waren in Wirklichkeit ein Stockwerk hoch und doppelt so lang. Riesige Stahlzylinder – dieser hier schmiegte sich in eine runde Höhle, fast als hätte er sich selbst begraben. Juliette sagte ihren Leuten, die das Innere der Maschine begingen, sie sollten vorsichtig sein. Ein Dutzend Arbeiter kam hinzu, ihre Stimmen vermischten sich und hallten in den labyrinthischen Eingeweiden des Apparates wider. Das Tabu war gebannt durch Neugier und Erstaunen, die Bohrungen waren erst einmal vergessen.

»Das ist eine Tunnelbohrmaschine mit Abraumförderanlage«, sagte jemand. Lichtstrahlen fielen auf Eisenschütten aus ineinandergreifenden Platten. Unter den Platten waren Räder und Zahnräder und auf der anderen Seite noch mehr Platten, die sich überlappten wie die Schuppen einer Schlange. Juliette begriff auf den ersten Blick, wie sich das ganze Band bewegte – die Platten klappten am Ende um und wurden zum Anfang zurückgezogen. Steine und Schutt wurden damit transportiert. Niedrige Seitenwände aus fingerdicken Platten verhinderten, dass die Steine hinunterfielen. Der Bruchstein, den die Bagger ausgruben, wurde von hier ans Ende befördert, von wo die Arbeiter ihn dann mit Schubkarren wegschaffen mussten.

»Das Ding ist völlig durchgerostet«, sagte jemand leise.

»Ist aber nicht so schlimm, wie es aussieht«, meinte Juliette. Die Maschine hatte Hunderte von Jahren hier gestanden, sie hatte einen Rosthaufen erwartet, aber der Stahl glänzte stellenweise noch. »Vermutlich war der Raum luftdicht«, dachte sie laut und erinnerte sich an den Luftzug an ihrem Hals und wie der Staub eingesaugt worden war, als sie zum ersten Mal durch das Loch in der Wand geblickt hatte.

»Das ist alles hydraulisch«, sagte Bobby. In seiner Stimme schwang Enttäuschung mit – als hätte er gerade erfahren, dass auch die Götter ihre Hintern nur mit Wasser wuschen. Juliette sah die Sache anders. Solange die Stromquelle intakt war, würde sie die Maschine zum Laufen bringen. Es war eine einfache Konstruktion – als hätten die Götter gewusst, dass diejenigen, die sie entdeckten, auf jeden Fall weniger raffiniert, weniger kompetent sein würden. Es gab Tritthebel wie bei einem Presslufthammer, die jedoch über die gesamte Länge der gewaltigen Maschine verliefen, lediglich die Achsen waren in alter Schmiere festgebacken. An den Seiten und an der Decke gab es weitere Trittstufen, die ebenfalls gegen die Erde drückten. Juliette verstand nur nicht, wie man die Grabung in Gang setzen könnte. Vorbei an den beweglichen Schütten und an all den Teilen, mit denen man den zerkleinerten Stein und Abraum aus dem hinteren Teil des Gerätes transportierte, gelangten sie zu einer Stahlwand, die hinter den Trägern und Stegen in der Dunkelheit darüber verschwand.

»Das ergibt doch nicht einen Hauch von Sinn«, meinte Raph, als er an der rückwärtigen Wand stand. »Sieh dir diese Räder an. Wie herum bewegt sich das Ding denn überhaupt?«

»Das sind keine Räder«, sagte Juliette und richtete die Taschenlampe darauf. »Das ganze Vorderteil dreht sich. Hier ist das Drehgelenk.« Sie deutete auf die Mittelachse, die den Umfang von zwei erwachsenen Männern hatte. »Und diese runden Scheiben hier werden vermutlich auf der anderen Seite hervorspringen und bohren.«

Bobby blies ungläubig den Atem aus. »Durch massiven Fels?«

Juliette versuchte, eine der Scheiben zu drehen. Sie bewegte sich kaum. Man würde ein ganzes Fass Schmiere brauchen.

»Ich glaube, sie hat recht«, sagte Raph. Er hatte den Deckel von einem Behältnis angehoben, das die Größe eines Doppelbetts hatte. Er leuchtete mit der Lampe hinein. »Das hier ist ein Gehäuse mit Zahnrädern. Sieht nach einem Getriebe aus.«

Juliette ging zu ihm. Spiralförmige Zahnräder vom Durchmesser einer Männerbrust steckten in getrocknetem Fett fest. Sie passten in die Zähne, die das Vorderteil drehen würden. Das Getriebegehäuse war so breit und massig wie das des Hauptgenerators, wenn nicht größer.

»Schlechte Nachrichten«, sagte Bobby. »Seht mal nach, wohin die Wellen führen.«

Die Lichtkegel von drei Taschenlampen vereinten sich und folgten der Antriebswelle bis ganz nach hinten, wo sie im Nichts endete. Im Inneren dieses schweren Gerätes, in dem großen, leeren Raum, in dem sie standen, hätte das Herz des Ungetüms liegen sollen.

»Sie führen nirgendwohin«, sagte Raph.

Juliette kehrte zurück zum hinteren Teil. Die dicken Aufhängungen für den Motor waren nackt. Zusammen mit den anderen Mechanikern hatte sie die Stelle gesucht, wo ein Antrieb hingehörte. Nun, da sie wusste, wonach sie suchen musste, entdeckte sie die Fundamente: sechs Gewindestangen von zwanzig Zentimeter Durchmesser voller altem, gehärtetem Fett. Die passenden Muttern zu den Gewinden hingen an Haken unter der Aufhängung. Die Götter kommunizierten mit Juliette, sie sprachen mit ihr. Die Menschen von früher hatten eine Nachricht hinterlassen, verfasst in der Sprache derer, die etwas von Maschinen verstanden. Über diese weite Zeitspanne hinweg sagten die Götter zu ihr: »Das funktioniert folgendermaßen. Befolge diese und jene Schritte.«

Fitz kniete sich neben Juliette und legte eine Hand auf ihren Arm. »Tut mir leid wegen deiner Freunde«, sagte er und meinte damit Solo und die Kinder. Aber Juliette fand, er hörte sich so an, als würde er sich zugleich für alle anderen freuen. Als sie zum hinteren Teil der metallenen Höhle blickte, sah sie noch mehr Grubenarbeiter und Mechaniker, die hereinspähten, sich aber nicht so recht ins Innere wagten. Als wären sie alle froh, wenn dieses Unterfangen genau hier und jetzt zu Ende wäre und Juliette nicht weitergraben würde. Aber sie verspürte mehr als nur den Drang weiterzumachen – sie entdeckte allmählich einen Sinn. Die Maschine war nicht vor ihnen versteckt, sondern sicher verwahrt worden. Geschützt. Verstaut. Sie war überall gut geschmiert und vor der Luft geschützt worden – aus einem Grund, den sie nicht erfassen konnte.

»Machen wir das Ganze wieder zu?«, fragte Dawson. Sogar der erfahrene Mechaniker schien plötzlich erpicht darauf zu sein, dass Juliette nicht weiterbohrte.

»Das Gerät wartet auf etwas«, sagte sie, zog eine der großen Muttern vom Haken und legte sie auf eine eingefettete Gewindestange. Die Größe der Stange kam ihr bekannt vor. Sie erinnerte sich an die Arbeit, die sie in einem anderen Leben verrichtet hatte – damals, als sie den Hauptgenerator justiert hatte. »Die Maschine will geöffnet werden«, sagte sie. »Überprüft die Rückseite der Maschine, wo wir hereingekommen sind. Die Wand sollte sich entfernen lassen, damit man den Schutt hinausbefördern, aber auch etwas hereintransportieren kann. Der Motor fehlt nämlich ganz und gar nicht!«

Raph blieb bei ihr, seine Taschenlampe war auf ihren Oberkörper gerichtet, damit er in ihr Gesicht sehen konnte.

»Ich weiß, warum sie die Maschine hier reingestellt haben«, sagte sie zu ihm, während die anderen zur Rückseite gingen und nachsahen. »Ich weiß, warum sie das Gerät direkt neben den Generatorenraum platziert haben.«

4. KAPITEL

Silo 18

Shirly und Kali putzten noch immer den Hauptgenerator, als Juliette aus dem Bauch der riesigen Förderanlage zurückkam. Bobby zeigte den anderen, wie sich die Rückseite der Maschine öffnen ließ, welche Bolzen man entfernen musste und wie die Platten zu lösen waren. Juliette ließ sie die Abstände zwischen den Gewindestangen und dann die Fundamente des Ersatzgenerators ausmessen, um bestätigt zu bekommen, was sie bereits wusste. Die Maschine, die sie freigelegt hatten, war ein richtiggehendes Schaubild. Es war wirklich eine Nachricht aus der Vorzeit. Eine Entdeckung, die eine ganze Kette weiterer Erkenntnisse nach sich zog.

Während Juliette zusah, wie Kali den Schmutz aus einem Tuch wrang, bevor sie es in einem zweiten Eimer mit kaum weniger dreckigem Wasser auswusch, kam ihr eine zündende Idee: Eine Maschine verrottete, wenn man sie tausend Jahre einfach so stehen ließ. Sie lief nur dann rund, wenn man sie benutzte, wenn ein Team von Leuten sich ein Leben lang ihrer Wartung verschrieb. Dampf stieg von einem heißen, schaumigen Verteiler auf, als Shirly den Hauptgenerator wischte, und Juliette begriff, dass sie seit Jahren auf diesen Moment zugearbeitet hatten. Sosehr ihre ehemalige Freundin und jetzige Leiterin der Mechanik Juliettes Projekt auch hasste – Shirly hatte die ganze Zeit mitgearbeitet. Der kleinere Generator auf der anderen Seite des Hauptmotors hatte eine andere, eine weiter reichende Bedeutung.

»Die Fundamente scheinen zu passen«, sagte Raph, als er mit einem Zollstock in der Hand ankam. »Meinst du, sie haben den Hauptgenerator mit dieser Maschine hierhergebracht?«

Shirly warf einen schmutzigen Lappen herunter, ein sauberer wurde hinaufgeworfen. Arbeiter und Schatten bewegten sich im Takt wie zwei summende Kolben.

»Ich glaube, dass der Ersatzgenerator dazu dient, die Maschine hier herauszuholen«, sagte Juliette zu Raph. Sie verstand nur nicht, warum jemand ein Notstromaggregat einer anderen Verwendung zuführen sollte, und sei es auch nur für kurze Zeit. Damit wäre der ganze Silo den Launen eines Stromausfalls ausgesetzt. Hinter der Wand hätten sie genauso gut einen kaputten Motor in Form eines Rosthaufens finden können. Schwer vorstellbar, dass jemand einverstanden war mit den Plänen, die in Juliettes Kopf Gestalt annahmen.

Ein Lappen flog in hohem Bogen durch die Luft und platschte in einen Eimer mit braunem Wasser. Kali warf keinen weiteren Lappen hinauf – sie starrte zum Eingang des Generatorenraums. Juliette folgte ihrem Blick, ihr wurde heiß. Inmitten der schwarzen, schmutzigen Arbeiter der Mechanik stand ein makellos sauberer junger Mann in einem glänzenden silbernen Overall und fragte nach dem Weg. Ein Mann deutete in Juliettes Richtung, und Lukas Kyle, Leiter der IT-Abteilung und Juliettes Freund, kam auf sie zu.

»Sorg dafür, dass der Ersatzgenerator gewartet wird«, sagte sie zu Raph, der sich sichtlich versteifte. Er schien zu wissen, worauf diese Anweisung hinauslief. »Wir müssen ihn anschließen und sehen, was die Maschine dann macht. Wir müssen sowieso die Krümmer entfernen und reinigen.«

Raph nickte, er biss die Kiefer zusammen und löste sie wieder voneinander. Juliette klopfte ihm auf den Rücken, wagte aber nicht, Shirly anzusehen, während sie Lukas entgegenging.

»Was tust du hier unten?«, fragte sie ihn. Sie hatte tags zuvor mit ihm gesprochen, und er hatte nichts von seinem geplanten Besuch gesagt. Es fühlte sich so an, als wollte er sie in die Enge treiben.

Lukas blieb abrupt stehen und zog die Stirn kraus. Juliettes Tonfall war ihr selbst peinlich. Es gab keine Umarmung, keinen Handschlag zur Begrüßung. Sie war zu aufgewühlt, zu angespannt von den Entdeckungen dieses Tages.

»Ich sollte dich dasselbe fragen«, sagte Lukas. Sein Blick wanderte zu dem Loch in der hinteren Wand. »Während du hier unten Löcher bohrst, erledigt der IT-Chef die Arbeit des Mayors.«

»Dann ist ja alles beim Alten.« Juliette lachte und versuchte, die Situation zu entspannen. Aber Lukas lächelte nicht. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und führte ihn weg vom Generator und hinaus in die Halle. »Tut mir leid«, sagte sie, »ich war nur überrascht, dich zu sehen. Du hättest mir sagen sollen, dass du kommst …«

»… und dann hätten wir dieses Gespräch auch über Funk führen können?«

Juliette seufzte. »Nein … Ich freue mich, dich zu sehen. Wenn ich hochkommen und Papiere unterschreiben soll, mache ich das gern. Und wenn du willst, dass ich eine Rede halte oder ein Baby küsse, mache ich das auch. Aber ich habe dir letzte Woche gesagt, dass ich eine Möglichkeit finden will, meine Freunde aus dem anderen Silo zu holen. Und da du dagegen warst, dass ich noch mal über die Hügel gehe …«

Lukas’ Augen weiteten sich, als Juliette so einfach gegen das Tabu verstieß und von der Außenwelt sprach. Er sah sich in der Halle um, ob jemand in der Nähe war. »Jules, du sorgst dich wegen ein paar Leuten da drüben, während hier im Silo alle unruhig werden. Es gibt Gerüchte über Unstimmigkeiten im oberen Drittel. Es gibt ein Nachbeben des Aufstandes, den du ausgelöst hast – nur wendet sich diesmal das Ganze gegen uns.«

Juliette spürte, wie ihr heiß wurde. Ihre Hand glitt von Lukas’ Arm. »Ich habe diesen Kampf nicht gewollt. Ich war nicht einmal hier, als er stattgefunden hat.«

»Aber jetzt bist du hier.« Lukas’ Augen waren traurig, nicht zornig. Juliette sah, dass die Tage ganz oben im Silo für ihn genauso lang gewesen waren wie für sie unten in der Mechanik. In den vergangenen Wochen hatten sie seltener miteinander gesprochen als damals, als sie in Silo 17 gewesen war. Nun standen sie sich näher und liefen Gefahr, sich zu entfremden.

»Was soll ich tun?«, fragte sie.

»Erstens: Hör auf zu graben. Bitte! Sheriff Billings hat ein Dutzend Beschwerden von Nachbarn gesammelt, die darüber spekulieren, was passieren wird. Einige sagen, dass die Außenwelt zu uns hereindringen wird. Ein Priester aus der Mitte des Silos hält wöchentlich zwei Messen ab, um vor den Gefahren zu warnen – seine Vision ist, dass der Staub in den Silo dringt und Tausende sterben werden …«

»Priester!«, höhnte Juliette.

»Ja, Priester. Die Leute marschieren von ganz oben herunter und von unten herauf, um seine Messe zu hören. Und sollte er seine Frequenz erhöhen und drei Messen in der Woche lesen, wird es zu einer Massenbewegung kommen.«

Juliette fuhr sich durchs Haar, Steinchen und Schutt fielen heraus. Schuldbewusst blickte sie in die Wolke aus feinem Staub. »Was glauben die Leute denn, was mit mir da draußen geschehen ist? Bei meiner Reinigung? Was sagen sie darüber?«

»Manche können es kaum glauben«, sagte Lukas. »Es wird zu einer Legende hochstilisiert. Also wir, wir in der IT, wissen, was passiert ist, aber die anderen fragen sich, ob du überhaupt zur Reinigung hinausgeschickt wurdest. Ich habe ein Gerücht gehört, nach dem das Ganze eine Inszenierung gewesen sein soll, mit der du deine Wahl zur Bürgermeisterin erzwingen wolltest.«

Juliette fluchte leise. »Gibt es Neuigkeiten aus den anderen Silos?«

»Ich erzähle den Leuten schon seit Jahren, dass die Sterne Sonnen sind wie unsere Sonne. Manches übersteigt einfach unser Fassungsvermögen. Und ich glaube nicht, dass die Rettung deiner Freunde etwas daran ändern würde. Du könntest auch deinen Funkerfreund auf dem Markt vorführen und behaupten, dass er aus einem anderen Silo kommt, und die Leute würden es dir genauso glauben – oder eben nicht.«

»Walker?« Juliette schüttelte den Kopf, aber sie wusste, dass Lukas recht hatte. »Ich brauche meine Freunde nicht, damit sie bestätigen, was ich erlebt habe, Luke. Hier geht es nicht um mich. Da drüben leben sie zusammen mit den Toten. Mit Geistern.«

»Wir etwa nicht? Vergraben wir unsere Toten etwa nicht in den Gemüsebeeten? Ich bitte dich, Jules! Hunderte würden für dich sterben, nur damit du ein paar Menschenleben retten kannst. Vielleicht sind die anderen da drüben besser dran.«

Sie holte tief Luft und hielt den Atem an, bemühte sich, nicht wütend zu werden. »Das sind sie nicht, Lukas! Der Mann, den ich retten will, ist halb verrückt, weil er Jahrzehnte lang ganz allein war. Die Kinder da drüben haben eigene Kinder. Sie brauchen unsere Ärzte. Und außerdem … habe ich es ihnen versprochen.«

Juliettes flehentliches Bitten erntete lediglich einen traurigen Blick. Es hatte keinen Sinn. Wie sollte man einen Mann dazu bringen, sich um Menschen zu kümmern, die er nie getroffen hatte? Umgekehrt fragte sie sich, was ihr eigentlich an den Leuten in diesem Silo hier lag, die sich zweimal pro Woche von einem Priester vergiften ließen. Oder an all den Fremden, die sie zu führen gewählt worden war, die sie aber nie kennengelernt hatte?

»Ich wollte diese Stelle nicht«, sagte sie zu Lukas, und es fiel ihr schwer, ihre Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. Andere hatten sie als Bürgermeisterin gewollt, nicht sie selbst. Doch anscheinend waren es nun nicht mehr so viele Leute wie bei ihrer Wahl.

»Ich wusste auch nicht, wofür ich meine Schattenzeit absolviert habe«, konterte Lukas. Er wollte noch etwas hinzufügen, hielt aber den Mund, als eine Gruppe Arbeiter aus dem Generatorenraum kam. Ihre Stiefel wirbelten Staubwolken auf.

»Wolltest du noch etwas sagen?«, fragte Juliette.

»Ich wollte dich bitten, heimlich zu graben, wenn es denn sein muss. Oder überlass es den Männern und komm …«

Er ließ den Satz unvollendet.

»Wenn du sagen wolltest, ich solle heimkommen – mein Zuhause ist hier! Gib mir noch ein paar Tage.« Es war keine Bitte, es war eine Anweisung. »Lass mich prüfen, ob wir hier unten überhaupt graben können. Und dann komme ich, küsse die Babys und begrabe die Toten. Wenn auch natürlich nicht in dieser Reihenfolge.«

Lukas runzelte die Stirn über Juliettes makabren Ton. »Und du wirst aufpassen, was du sagst, nicht ständig das Tabu brechen?«

Sie nickte. »Wenn wir graben, dann in aller Stille.« Dabei fragte sie sich, ob eine Maschine wie die, die sie gefunden hatten, überhaupt ohne den entsprechenden Lärm graben könnte. »Ich wollte ohnehin ein paar Energiespartage einlegen. Ich möchte den Hauptgenerator eine Zeit lang auf halber Kraft fahren lassen. Nur für den Notfall.«

Lukas nickte. Juliette merkte, wie leicht und notwendig sich ihre Lügen anhörten. Sie überlegte, ihm auch von der anderen Idee zu erzählen, die ihr seit Wochen durch den Kopf ging, seit sie damals beim Arzt gewesen war, um ihre Verbrennungen behandeln zu lassen. Sie würde für diese Idee ganz oben im Silo etwas erledigen müssen, aber sie sah, dass Lukas nicht in der Stimmung war, weiteren Ärger zu schlucken. Also erzählte sie ihm nur jenen Teil ihres Plans, von dem sie dachte, er würde sich darüber freuen.

»Wenn hier unten alles auf den Weg gebracht ist, will ich hochkommen und eine Zeit lang bleiben«, sagte sie und nahm seine Hand. »Ich werde für eine Weile nach Hause kommen.«

Lukas lächelte.

»Aber weißt du«, sie hatte trotz allem das Bedürfnis, ihn zu warnen, »ich habe die Außenwelt gesehen, Luke. Nachts bin ich wach und lausche Walkers Funkverkehr. Da draußen sind eine Menge Leute wie wir, sie leben in Angst, sie leben getrennt voneinander und kennen die Wahrheit nicht. Ich will mehr tun, als nur meine Freunde zu retten. Ich hoffe, du weißt das. Ich will dem, was sich dort draußen hinter den Mauern des Silos befindet, auf den Grund gehen.«

Lukas’ Adamsapfel hüpfte auf und ab, sein Lächeln verschwand. »Du hängst deine Ziele zu hoch«, sagte er kleinlaut.

Juliette drückte lächelnd die Hand ihres Geliebten. »Das sagt der Mann, der die Sterne beobachtet!«

5. KAPITEL

Silo 17

»Solo! Mister Solo!«

Die schwache Stimme eines Kindes drang bis in den hintersten Winkel der Pflanzbeete. Sie erreichte auch die kühleren Bereiche, wo die Lampen nicht länger brannten und wo nichts mehr wuchs. Dort saß Jimmy Parker allein auf der unfruchtbaren Erde und hing den Erinnerungen an einen alten Freund nach.

Er griff wahllos in die Tonerde und zerrieb sie zu Pulver. Wenn er sich darauf konzentrierte, konnte er das Kratzen der Krallen durch seinen Overall spüren. Und er konnte Schattens kleinen Bauch glucksen hören wie eine Wasserpumpe. Es fiel ihm schwerer, die Bilder zu halten, je näher die junge Stimme kam, die nach ihm rief. Der Strahl einer Taschenlampe fiel durch das letzte Labyrinth aus Pflanzen, das die Kleinen die »Wildnis« nannten.

»Da bist du ja!«

Elise machte eine Menge Krach, der ihre schmächtige Statur Lügen strafte. In ihren viel zu großen Stiefeln stapfte sie auf ihn zu. Jimmy dachte daran, dass er sich vor langer Zeit gewünscht hatte, seine Katze Schatten könne sprechen. Er hatte unzählige Träume gehabt, in denen Schatten ein Junge mit schwarzem Pelz und schnurrender Stimme gewesen war. Heute träumte Jimmy nicht mehr von diesen Dingen. Heute war er dankbar für die sprachlosen Jahre, die er mit seinem alten Freund gehabt hatte.

Elise wand sich durch das Geländer und hängte sich an Jimmys Arm. Die Lampe blendete ihn, als Elise sie an ihre Brust drückte und zu ihm hinaufleuchtete.

»Es ist Zeit, zu gehen«, sagte sie und zog ihn mit. »Es ist Zeit, Mister Solo.«

Er blinzelte wieder in das grelle Licht, er wusste, dass sie recht hatte. Die Jüngste im Silo, die kleine Elise, schlichtete öfter Streit, als dass sie welchen begann. Jimmy zerdrückte einen weiteren Erdklumpen in der Hand, verteilte die Krumen auf dem Boden und wischte sich die Hand am Schenkel ab. Er wollte nicht weggehen, wusste aber, dass sie nicht bleiben konnten. Er sagte sich, dass es nur vorläufig wäre. Das hatte Juliette gesagt, sie hatte gesagt, dass sie zurückkommen und hier zusammen mit allen anderen leben würde, die mitkommen wollten. Es würde eine Zeit lang keine Lotterie geben müssen. Sie würden seinen alten Silo neu besiedeln.

Jimmy schauderte beim Gedanken an die vielen Menschen, die es in seiner Nähe dann geben würde. Elise zerrte ihn am Arm. »Los! Gehen wir!«

Und in diesem Moment wurde Jimmy bewusst, wovor er Angst hatte. Nicht davor, eines Tages gehen zu müssen – das war noch eine Weile hin. Nicht davor, ganz unten wohnen zu müssen – die unteren Ebenen waren fast leer gepumpt und schreckten ihn nicht mehr. Es war der Gedanke, dass er zu dem zurückkehren würde, was der Silo einmal gewesen war. Sein Zuhause war sicherer geworden, solange es sich geleert hatte – erst als es sich wieder zu füllen begonnen hatte, war er angegriffen worden. Ein Teil von ihm wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, wollte einfach Solo sein.

Er ließ sich von Elise zurück auf den Treppenabsatz führen. Sie zog ihn an seinen schwieligen Händen und zerrte ihn energisch vorwärts. Draußen hob sie die Sachen auf, die sie auf den Stufen liegen gelassen hatte. Rickson und die anderen waren unten zu hören, ihre Stimmen hallten durch den stillen Betonschacht herauf. Auf dieser Etage war eine Notleuchte ausgefallen und bildete einen schwarzen Fleck in dem trüben Grün. Elise hängte ihre Schultertasche um, die ihr Erinnerungsbuch enthielt, und verschloss ihren Rucksack, in dem Wasser, Essen, Wechselkleidung, Batterien, eine zerschlissene Puppe und ihre Haarbürste steckten – im Grunde alles, was sie besaß. Jimmy hielt den Schultergurt, damit sie ihren Arm hindurchschieben konnte, dann sammelte er sein eigenes Gepäck ein. Die Stimmen der anderen verebbten. Die Treppe bebte leicht unter ihren Füßen, als sie hinunterrannten. Es schien eine eher seltsame Richtungswahl zu sein – hinunterzugehen, um herauszukommen.

»Wann kommt Jules uns denn holen?«, fragte Elise. Sie nahm Jimmy an der Hand, und sie stiegen nun nebeneinander die Wendeltreppe hinab.

»Bald«, sagte Jimmy, was so viel hieß wie: Ich weiß es nicht. »Sie versucht es. Es ist ein weiter Weg. Weißt du, wie lange das Wasser nach unten braucht, bis es versickert?«

Elise nickte eifrig. »Ich habe die Stufen gezählt.«

»Ja, das hast du. Na ja, und nun müssen sie durch den massiven Fels einen Tunnel zu uns graben. Das wird nicht leicht.«

»Hannah sagt, wenn Jules kommt, kommen danach noch andere Leute. Hunderte!«

Jimmy schluckte. »Vielleicht sogar Tausende«, sagte er heiser.

Elise drückte seine Hand. Sie brachten ein weiteres Dutzend Stufen hinter sich, beide zählten leise. Für beide war es schwierig, so weit zu zählen.

»Rickson sagt, sie kommen nicht, um uns zu retten, sondern weil sie unseren Silo wollen.«

»Nun ja, er sieht immer das Schlechte in den Menschen«, sagte Jimmy. »So wie du nur immer das Gute in ihnen siehst.«

Elise blickte herauf zu Jimmy. Beide hatten sich verzählt. Er fragte sich, ob die Kleine sich vorstellen konnte, was Tausende Leute bedeuteten. Er konnte sich selbst kaum erinnern.

»Es wäre schön, wenn Rickson wie ich das Gute in den Menschen sehen könnte«, meinte sie.

Jimmy blieb vor dem nächsten Treppenabsatz stehen. Elise klammerte sich an seine Hand, mit der anderen hielt sie ihre baumelnde Tasche fest und blieb ebenfalls stehen. Er kniete sich zu ihr hinunter. Als Elise eine Schnute zog, entdeckte er eine neue Zahnlücke.

»In jedem Menschen steckt etwas Gutes«, sagte Jimmy. Er drückte Elises Schulter und spürte, wie er einen Kloß im Hals bekam. »Aber auch Schlechtes. Manchmal hat Rickson tatsächlich recht.«

Er sagte das nicht gern, er wollte Elise nicht unnötig beunruhigen. Aber er liebte sie, als wäre sie seine eigene Tochter. Und er wollte ihr die dicken Stahltüren schenken, die sie brauchen würde, wenn sich der Silo wieder füllte. Deshalb erlaubte er ihr auch, die Bücher in den Blechschubern zu zerschneiden und alle Seiten mitzunehmen, die ihr gefielen. Deshalb half er ihr, die wichtigen Seiten zu suchen – er suchte die Buchseiten, die ihr halfen zu überleben.

»Du musst anfangen, die Welt mit Ricksons Augen zu sehen«, sagte Jimmy und hasste sich dafür. Er richtete sich auf, und diesmal zog er sie die Treppen hinunter, ohne weiterzuzählen. Er wischte sich die Augen, bevor Elise seine Tränen sehen konnte, bevor sie ihm wieder eine ihrer einfachen Fragen stellte, auf die es keine einfache Antwort gab.

6. KAPITEL

Silo 17

Es fiel Jimmy schwer, das helle Licht und die Bequemlichkeit seines alten Heims zu verlassen, aber er hatte eingewilligt, hinunter in den unteren Farmbereich zu ziehen. Dort hatten es die Kinder bequem, sie arbeiteten an den Pflanzbeeten, und sie waren näher an den versiegenden Fluten.

Jimmy stieg rutschige Treppen hinunter, die von frischem Rost überzogen waren, und lauschte dem Plätschern des Wassers, das sich in Lachen sammelte und auf den Stahl tropfte. Viele der grünen Notleuchten waren in der Überflutung versunken, und selbst jene, die noch funktionierten, waren voll mit trüben Blasen eingeschlossenen Wassers. Jimmy dachte an die Fische, die dort geschwommen waren, wo nun wieder offener Raum war. Ein paar hatte er noch im zurückweichenden Wasser gefunden, in den seichten Pfützen waren sie leicht zu holen gewesen. Er hatte Elise gezeigt, wie man sie angelte, aber sie hatte Schwierigkeiten, sie vom Haken zu ziehen – immer warf sie die glitschigen Geschöpfe zurück ins Wasser. Im Scherz beschuldigte Jimmy sie, es absichtlich zu tun, und Elise gab zu, dass sie die Fische lieber fing, als sie zu essen. Er hatte sie die letzten paar Fische wieder und wieder fangen lassen, bis ihm die armen Tiere leidgetan hatten. Rickson, Hannah und die Zwillinge hatten die Fische gern von ihrem Elend erlöst und sich ein Festmahl gegönnt.

Weiter unten, wo die Treppe endete, hatte sich eine Pfütze gebildet. Der Boden war hier eben, er neigte sich nicht, das Wasser lief nicht ab – es hätte nie so hoch steigen dürfen. Jimmy schaltete seine Taschenlampe ein, der Lichtkegel schnitt durch die trostlose Dunkelheit hier unten in der Mechanik. Ein Kabel wand sich durch den Korridor über eine Sicherheitsschranke. Daneben verlief ein Schlauchknäuel, es knickte ab und führte denselben Weg wieder zurück. Kabel und Schlauch kannten den Weg zu den Pumpen – Juliette hatte beides zurückgelassen.

Jimmy ging hinein. Als er zum ersten Mal ganz unten an der Treppe gewesen war, hatte er ihren Plastikhelm gefunden, er lag in einem Haufen Müll, Schutt und Schlick, in all dem Dreck, der übrig geblieben war, als das Wasser schließlich zurückging. Jimmy hatte versucht, alles zu reinigen, so gut es ging, und hatte dabei die Unterlegscheiben gefunden, die ihm einst als Anker für seine Papierfallschirme gedient hatten – wie Silbermünzen in all dem Schmutz. Doch zum Großteil war der Unrat, den das Wasser zurückgelassen hatte, liegen geblieben, Jimmy hatte lediglich Juliettes Helm geborgen.

Kabel und Schlauch führten ein paar rechteckige Stufen hinunter. Jimmy folgte ihnen und achtete darauf, nicht zu stolpern. Hin und wieder tropfte ihm das Wasser aus den Leitungen und Rohren an der Decke auf Kopf und Schultern. Die Tropfen glitzerten im Licht der Taschenlampe, alles andere war dunkel. Er versuchte, sich vorzustellen, er wäre hier unten gewesen, als alles noch überflutet gewesen war. Es gelang ihm nicht – auch trocken war es noch Angst einflößend genug.

Ein Schwall Wasser platschte ihm direkt auf die Stirn und lief ihm in den Bart. »Okay, ich meinte: größtenteils trocken«, sagte Jimmy zur Decke. Er kam ganz unten an, er konnte sich nur noch am Kabel orientieren, und das war schlecht zu erkennen. Er watete durch eine dünne Wasserschicht in die Halle der Mechanik. Juliette hatte gesagt, man müsse unbedingt auf die Pumpe achten. Jemand müsse sie ein- und ausschalten. Das Wasser würde weiterhin eindringen, und die Pumpe müsse nach wie vor ihre Arbeit verrichten, dürfe allerdings nie im Trockenen laufen. Dann würde ein Teil durchbrennen, das man Antriebsrad nannte, hatte sie gesagt.

Jimmy fand die Pumpe, die unglücklich vor sich hinratterte. Ein großes Rohr lief über den Rand eines Brunnenschachts – Juliette hatte gesagt, er solle aufpassen, dass er nicht hineinfiel. Aus der Tiefe kamen gurgelnde, saugende Geräusche. Jimmy leuchtete mit der Taschenlampe hinein und sah, dass der Schacht fast leer war, da standen nur noch ein paar Zentimeter Wasser, die von dem vergeblichen Saugen des großen Rohrs aufgewirbelt wurden.

Jimmy nahm das Teppichmesser aus der Brusttasche und zog das Kabel aus der Wasserlache. Die Pumpe grummelte wütend, Metall schlug auf Metall, in der Luft hing der Geruch heißer Kabel, von dem zylindrischen Gehäuse des Motors stieg Dampf auf. Jimmy löste die beiden verbundenen Kabel voneinander und schnitt eines durch. Die Pumpe machte noch eine Umdrehung und fuhr dann langsam herunter. Juliette hatte ihm gesagt, was er machen musste. Er verband das abgeschnittene Kabel wieder, indem er die Enden zusammendrehte. Wenn das Becken wieder voll wäre, müsste er den Starter von Hand kurzschließen, so wie er es all die Wochen über getan hatte. Er und die Kinder könnten sich dabei abwechseln. Sie würden oberhalb der Etagen leben, die vom Wasser ruiniert waren, sie würden sich um die Wildnis kümmern und den Silo trocken halten, bis Juliette sie holte.

7. KAPITEL

Silo 18

Der Streit mit Shirly über den Generator war heftig gewesen. Juliette hatte sich durchgesetzt, aber sie fühlte sich nicht als Siegerin. Sie sah ihrer alten Freundin hinterher, die davonstürmte, und versuchte, sich an deren Stelle zu versetzen. Erst vor wenigen Monaten war Shirlys Mann Marck gestorben. Als Juliette damals ihren George verloren hatte, war sie ein ganzes Jahr lang am Boden zerstört gewesen. Und nun kam die Bürgermeisterin und sagte der Leiterin der Mechanik, dass sie den Ersatzgenerator brauchte … Sie würde ihn stehlen und den Silo einem möglichen Stromausfall überlassen. Es bräuchte nur ein Zähnchen aus einem Zahnrad zu brechen, und alle Stockwerke wären dunkel, die Pumpen würden ausfallen, bis alles wieder repariert wäre.

Shirly musste Juliette die Argumente gar nicht erst aufzählen – sie kannte sie selbst zur Genüge. Nun stand sie allein auf einem dämmrigen Korridor, während die Schritte ihrer Freundin verhallten, und fragte sich, was in aller Welt sie da eigentlich tat. Selbst ihre Getreuen verloren langsam das Vertrauen in sie. Und warum? Wegen eines Versprechens? Oder war sie einfach nur halsstarrig?

Sie kratzte sich am Arm – eine Narbe unter dem Overall juckte – und erinnerte sich daran, wie sie nach fast zwanzig Jahren, in denen sie sich stur aus dem Weg gegangen waren, wieder mit ihrem Vater gesprochen hatte. Sie hatten sich nicht eingestanden, wie dumm sie gewesen waren, aber es hatte im Gespräch über ihnen gehangen wie ihr persönliches Familienwappen: dieser Grund für den Ehrgeiz, mit dem sie es im Leben zu etwas brachten, zugleich der Grund für den Schaden, den sie so oft hinterließen – ihr unseliger Stolz.

Juliette machte kehrt und ging zurück in den Generatorenraum. Der dröhnende Lärm an der hinteren Wand erinnerte sie an … Tage, die aus dem Gleichgewicht geraten waren. Die Bohrgeräusche klangen ähnlich wie der instabile Generator damals: jung, heiß, gefährlich.

Der Ersatzgenerator wurde bereits abgebaut. Dawson hatte mit seiner Mannschaft schon die Krümmer entfernt. Raph war mit einem riesigen Schraubenschlüssel an einer großen Mutter am vorderen Sockel zugange und löste den Motor aus seiner alten Verankerung. Juliette wurde sich bewusst, dass sie das wirklich entschieden hatte. Shirly war vollkommen zu Recht sauer.

Juliette durchquerte den Raum und stieg durch ein Loch an der Wand, sie duckte sich unter den Stahlstreben hindurch und fand Bobby an der Rückseite der großen Maschine. Er kratzte sich am Bart. Bobby war ein Schrank von einem Mann. Er trug sein Haar lang und in straffen Zöpfchen, eine Frisur, die bei den Grubenarbeitern schon immer beliebt war, seine kohlschwarze Haut täuschte über die Mühen des Grabens in der Dunkelheit hinweg. Er war in jeder Hinsicht genau das Gegenteil seines Freundes Raph. Seine Tochter Hyla, die auch sein Schatten war, stand gelassen neben ihm.

»Wie läuft’s?«, fragte Juliette.

»Wie es läuft, oder wie diese Maschine läuft?« Bobby drehte sich um und sah sie kurz an. »Ich werde dir sagen, wie diese Rostlaube hier läuft: Sie lässt sich nicht zur Seite lenken – nicht so, wie du das gern hättest. Sie läuft immer nur stur geradeaus. Man kann sie überhaupt nicht lenken.«

Juliette begrüßte Hyla und machte sich ein Bild von den Fortschritten an der Maschine, die gereinigt wurde und in einem ziemlich guten Zustand war. Sie legte Bobby die Hand auf den Arm. »Das kriegen wir schon hin«, beruhigte sie ihn, »wir bringen hier an der rechten Seite Eisenkeile an.« Sie deutete auf die Stelle. Flutlichter aus den Gruben waren an die Decke gehängt worden und beleuchteten den dunklen Fels. »Wenn die Rückseite gegen die Keile drückt, wird die Vorderseite zur Seite geschoben.« Juliette drückte mit einer Hand gegen ihr anderes Handgelenk und veranschaulichte das Manöver.

Zögernd brummte Bobby: »Das geht zwar nur langsam, aber es könnte tatsächlich funktionieren.« Er faltete ein dünnes Blatt Papier auseinander – den Plan aller Silos – und studierte den Weg, den Juliette eingezeichnet hatte. Sie hatte die Karte aus Lukas’ geheimem Büro stibitzt. Die Bohrung, die sie geplant hatte, führte in einem Bogen von Silo 18 zu Silo 17, von Generatorenraum zu Generatorenraum. »Wir müssten auch Keile anbringen, damit die Maschine nach unten fährt«, sagte Bobby. »Sie sitzt nämlich so schräg in ihrem Loch, als wollte sie nach oben abhauen.«

»Das geht in Ordnung. Hast du wegen der Abstützung des Tunnels etwas gehört?«

Hyla taxierte die beiden Erwachsenen und drehte einen Kohlestift in der Hand, in der anderen hielt sie die Schiefertafel. Bobby blickte stirnrunzelnd an die Decke.

»Erik ist nicht besonders scharf darauf, uns sein Material zu borgen. Er sagt, er kann die Balken für etwa tausend Meter entbehren. Ich habe ihm gesagt, dass du fünf- oder zehnmal so viel willst.«

»Dann müssen wir welche aus den Gruben ziehen.« Juliette nickte Hyla mit einem Blick auf die Tafel zu und bedeutete ihr, das aufzuschreiben.

»Sag mal – willst du da unten einen Krieg anzetteln?« Bobby zog sichtlich aufgeregt an seinem Bart, Hyla hörte auf, auf ihre Tafel zu kritzeln, und sah von einem der beiden zum anderen, unsicher, was sie tun sollte.

»Ich spreche mit Erik«, sagte Juliette zu Bobby. »Wenn ich ihm den Riesenberg Stahlträger verspreche, den es im anderen Silo gibt, wird er einknicken.«

Bobby lachte nervös, während Juliette seiner Tochter ein Zeichen machte. »Wir brauchen sechsunddreißig Querträger und zweiundsiebzig Stützpfeiler«, sagte sie.

Mit schuldbewusstem Blick zu Bobby schrieb Hyla mit.

»Wenn das Ding läuft, macht es eine Menge Dreck«, sagte Bobby. »Wenn wir den Abraum von hier zum Brechwerk in die Gruben hinuntertransportieren müssen, gibt das ein Chaos, und wir brauchen dafür so viele Leute wie für die Bohrung selbst.«

Der Gedanke an den Zerkleinerungsraum, in dem Abraum zu Pulver zermahlen und durch die Abluftanlage hinausgeblasen wurde, weckte bei Juliette schmerzliche Erinnerungen. Sie richtete ihre Taschenlampe auf Bobby und versuchte, nicht an die Vergangenheit zu denken. »Wir werden den Abraum nicht rausschaffen. Schacht 6 ist direkt unter uns.«

»Du willst den Sechser füllen?«, fragte Bobby ungläubig.

»Er ist ohnehin schon fast versiegt. Und wenn wir beim anderen Silo angekommen sind, können wir unsere Erzgewinnung verdoppeln.«

»Erik wird durchdrehen! Bist du sicher, dass du nicht noch jemanden vergessen hast?«

Juliette sah ihren alten Freund fragend an. »Wen sollte ich vergessen haben?«

»Jemanden, dem du mit deinem Projekt noch nicht auf die Füße trittst.«

Juliette ignorierte den Kommentar und wandte sich an Hyla: »Sag Courtnee Bescheid. Der Ersatzgenerator soll vollständig gewartet werden, bevor er hier hereingeschafft wird. Sobald er eingebaut ist, haben wir keinen Platz mehr, um die Spulen zu entfernen und die Dichtungen zu prüfen, die Decke ist zu niedrig.«

Bobby folgte Juliette, die weiter die Tunnelbohrmaschine inspizierte. »Aber du wirst doch hier sein und dich darum kümmern, oder?«, fragte er. »Du wirst hier sein, um den Generator an dieses Unding anzuschließen, nicht wahr?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein. Dawson wird das übernehmen. Lukas hat recht – ich muss nach oben und meine Runde drehen …«

»Scheiße, Jules! Was soll das? Ich habe noch nie erlebt, dass du bei so etwas halbe Sachen gemacht hättest, selbst wenn du dafür drei Schichten fahren musstest!«

Juliette drehte sich um und warf Hyla diesen Blick zu, den alle Kinder und Schatten kannten: Sie sollte weghören. Hyla blieb im Hintergrund, während die beiden Freunde weitergingen.

»Es bringt Unruhe, wenn ich hier unten bin«, sagte sie leise zu Bobby, ihre Stimme wurde von der gigantischen Maschine um sie herum verschluckt. »Lukas hat gut daran getan, herunterzukommen und mich zu holen.« Sie warf dem alten Bergarbeiter einen strengen Blick zu. »Wobei er nie erfahren muss, dass ich das gesagt habe!«

Bobby lachte und hob die Hände. »Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich bin verheiratet.«

Juliette nickte. »Am besten grabt ihr alle, während ich woanders bin. Und wenn ich für Ablenkung sorgen soll, sagt mir Bescheid, dann tue ich das.« Sie kamen ans Ende des leeren Raums, den bald der Ersatzgenerator füllen würde. Die zwischenzeitliche Lagerung war klug durchdacht: Man hatte den empfindlichen Motor herausgenommen und an einen Ort gestellt, wo er benutzt und gewartet wurde. Der Rest der Maschine bestand lediglich aus Stahl und aus einem fettverkrusteten Getriebe.

»Deine Freunde …«, fragte Bobby, »sind sie die ganze Mühe denn auch wert?«

»Ja, das sind sie.« Juliette sah ihren alten Kollegen an. »Aber ich tue das nicht nur für sie, sondern für uns alle.«

Bobby kaute auf seinem Bart herum. »Ich kann dir nicht folgen«, sagte er nach einer Weile.

»Wir müssen beweisen, dass das hier funktioniert«, sagte sie. »Das ist erst der Anfang.«

Bobby kniff die Augen zusammen. »Hm, wenn es nicht der Anfang einer Sache wäre, würde ich zu behaupten wagen, dass es das Ende einer anderen Sache einläutet.«

8. KAPITEL

Silo 18

Juliette blieb vor Walkers Werkstatt stehen und klopfte, bevor sie eintrat. Sie hatte gehört, er habe während des Aufstands tatsächlich sein Zimmer verlassen und sei aktiv gewesen, aber das passte für Juliette so gar nicht zu dem Walker, den sie kannte. Sie hielt es für bloßes Hörensagen – schätzungsweise so, wie auch ihr Ausflug nach draußen und in einen anderen Silo für die meisten Leute keinen Sinn ergab. Ein Gerücht. Ein Mythos. Wer war diese Frau aus der Mechanik, die behauptete, ein anderes Land gesehen zu haben? Solche Geschichten wurden abgetan – sofern die Legende nicht auf fruchtbaren Boden fiel und eine Religion daraus spross.

»Jules!« Walker blickte von seiner Werkbank auf, sein Auge sah durch die Lupe so groß aus wie eine Tomate. Er legte das Glas zur Seite. »Schön, schön! Freut mich, dass du hier bist.« Er winkte Juliette zu sich. Im Raum hing der Geruch verbrannter Haare, vermutlich hatte sich der alte Mann gedankenlos über seine Lötarbeit gebeugt und seine langen grauen Locken versengt.

»Ich wollte nur Solo etwas ausrichten«, sagte sie. »Und dir sagen, dass ich ein paar Tage weg sein werde.«

»Ach?« Walker runzelte die Stirn. Er schob ein paar kleine Werkzeuge in eine Tasche seiner Lederschürze und drückte den Lötkolben in einen nassen Schwamm. Das Zischen erinnerte Juliette an die übellaunige Katze, die früher im Pumpenraum gelebt und sie aus einer dunklen Ecke immer angefaucht hatte. »Hat dieser Lukas dich uns abspenstig gemacht?«, fragte er.

»Zum Teil«, gab sie zu. Sie zog einen Schemel hervor und ließ sich darauf sinken. Sie betrachtete ihre Hände, sie waren voller Kratzer und Schmiere. »Der andere Punkt ist, dass die Bohrung eine Weile dauern wird, und du weißt ja, dass ich nicht still sitzen kann. Ich muss ein weiteres Projekt überdenken, und das wird auf noch weniger Gegenliebe stoßen als diese Grabung.«

Walker sah sie forschend an, dann blickte er an die Decke und riss die Augen auf. Irgendwie wusste er ganz genau, was sie vorhatte. »Du brennst wie eine Schüssel Chili«, sagte er leise.

Juliette lachte, verspürte aber auch einen Stich der Enttäuschung, weil sie so leicht zu durchschauen war. So berechenbar.

»Ich habe es Lukas noch nicht gesagt«, warnte sie ihn. »Und Peter auch nicht.«

Walker verzog fragend das Gesicht bei der Erwähnung des zweiten Namens.

»Billings«, sagte sie. »Der neue Sheriff.«

»Ach so.« Er zog seinen Lötkolben aus der Steckdose und tupfte ihn noch einmal am Schwamm ab. »Hab vergessen, dass das nicht mehr dein Job ist.«

Das ist er auch nie gewesen, wollte sie sagen.