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Hugh Howey

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Beschreibung

Im Jahr 2049 wird der junge amerikanische Architekt Donald Keene von Senator Thurman mit dem Bau einer riesigen unterirdischen Anlage beauftragt. Noch ahnt er nicht, über welch brisantes Wissen seine Auftraggeber verfügen: Ein politischer Konflikt zwischen Iran und den USA steht bevor – und eine Katastrophe, die die Erde unbewohnbar machen wird. Die Menschen sollen in fünfzig unterirdischen Silos Zuflucht suchen. In ihnen wird das Leben autoritär organisiert und streng reglementiert. Und es fordert Opfer. Als ein Aufstand ausbricht, muss der Wärter Troy alle Bewohner in den sicheren Tod schicken. Doch Troy weiß mehr über die Silos, als alle vermuten … »Level« ist das Prequel zu Howeys internationalem Bestseller »Silo«. Packend und von beängstigend visionärer Kraft.

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Seitenzahl: 529

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Für all jene, die wirklich und wahrhaftig allein sind.

Übersetzung aus dem Englischen von Gaby Wurster

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Shift« bei CreateSpace, Charleston, South Carolina.

ISBN 978-3-492-96791-4

© Hugh Howey, 2012 Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2014 Covergestaltung: Hafen Werbeagentur Covermotiv: GettyImages / Michael Duva Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Das Center for Automation in Nanobiotech, CAN, stellte 2007 die Hardware- und Softwareplattformen vor, mit denen Roboter, kleiner als menschliche Körperzellen, eines Tages befähigt sein würden, Krankheiten zu diagnostizieren, medizinische Operationen durchzuführen und sich selbst zu vermehren.

Im selben Jahr wiederholte die CBS eine Sendung über die Wirkung von Propranolol auf Patienten, die unter schweren Traumata litten. Den Forschungsergebnissen zufolge genügte die Einnahme einer einzelnen Tablette, um die Erinnerung an jedes traumatische Erlebnis zu löschen.

Endlich hatte die Menschheit also einen Weg gefunden, ihren eigenen Untergang herbeizuführen. Und im nahezu selben Moment hatte sie ein Mittel entdeckt, um zu vergessen, dass dies je geschehen war.

PROLOG

2110Unter den Hügeln von Fulton County, Georgia

Troy kehrte zurück unter die Lebenden, er erwachte in einem Grab. Direkt über seinem Gesicht hing eine dicke, frostüberzogene Glasscheibe.

Dunkle Schatten bewegten sich auf der anderen Seite der Scheibe. Troy wollte die Arme heben und gegen das Glas schlagen, aber seine Muskeln waren zu schwach. Er versuchte zu schreien, brachte aber nur ein Husten zustande. Im Mund hatte er einen fauligen Geschmack. In seinen Ohren tönte das Klirren der schweren Schlösser, als seine Schlafeinheit geöffnet wurde, das Pfeifen der Luft, das Knarren von Scharnieren, die lange nicht bewegt worden waren.

Die Lichter über ihm waren hell, die Hände auf seiner Haut warm. Sie halfen ihm, sich aufzusetzen, während er weiterhin hustete, sein Atem bildete Wölkchen in der kalten Luft. Jemand gab ihm Wasser, Pillen, die er einnehmen musste. Das Wasser war frisch, die Pillen waren bitter. Troy würgte ein paar Schlucke hinunter. Ohne Hilfe konnte er das Glas nicht halten, seine Hände zitterten, Erinnerungen strömten auf ihn ein, Szenen aus komplizierten Albträumen. Die Eindrücke längst vergangener Tage vermischten sich mit den Gedanken an die jüngste Vergangenheit. Troy zitterte.

Ein Papierkittel. Das Klebeband, das von seiner Haut gerissen wurde. Ein Zupfen am Arm, ein Schlauch wurde aus seinem Unterleib gezogen. Zwei Männer in Weiß halfen ihm aus dem Sarg. Um ihn herum stieg Dampf auf, die Luft kondensierte und trieb davon.

Als er sich aufsetzte, in die Helligkeit blinzelte und erstmals wieder seine Augenlider bewegte, sah er Särge voller Lebender, die sich in langen Reihen bis zu den fernen, gerundeten Wänden erstreckten. Die Decke wirkte niedrig, niedergepresst von den Schichten der Erde darüber. Und von den Jahren. So viele Jahre waren vergangen. Jeder, der ihm lieb gewesen war, würde längst verschwunden sein.

Alles war verschwunden.

Die Pillen brannten ihm im Hals. Er versuchte zu schlucken. Die Erinnerungen verblassten beim Erwachen wie ein Traum, und er spürte, dass er alles losließ, was er gekannt hatte.

Er fiel nach hinten, aber die Männer in den weißen Overalls hatten es kommen sehen. Sie fingen ihn auf, legten ihn auf den Boden, der Papierkittel raschelte auf der rissigen und trockenen Haut.

Bilder kamen zurück, Erinnerungen regneten auf Troy herab, verschwanden dann wieder.

Mehr war von den Tabletten zunächst nicht zu erwarten. Es würde Zeit brauchen, die Vergangenheit auszulöschen.

Troy schlug die Hände vors Gesicht. Eine mitfühlende Hand legte sich auf seinen Kopf. Die Männer in Weiß gönnten ihm diesen Augenblick. Sie trieben den Prozess nicht ohne Erbarmen voran. Eine warmherzige Geste, die weitergereicht wurde von einem wachen Mann zum nächsten – all die schlafenden Männer in ihren Särgen würden eines Tages beim Erwachen in diesen Genuss kommen.

Und es dann … wieder vergessen.

1. KAPITEL

2049Washington, D.C.

Die hohen Pokalvitrinen waren einst Bücherschränke gewesen. Das Holz der Regale war jahrhundertealt, die Scharniere hingegen sowie die kleinen Schlösser an den Glastüren hatte man erst vor wenigen Jahrzehnten eingebaut. Die Rahmen um die Scheiben waren aus Kirschholz, die Fächer dagegen aus Eiche. Man hatte versucht, den Unterschied mit ein paar Schichten Beize zu vertuschen, aber die Maserungen passten nicht zusammen, die Farben waren nicht perfekt abgestimmt. Solche Details fielen dem geübten Auge sofort auf.

Der Kongressabgeordnete Donald Keene nahm diese Dinge wahr, ohne sich groß darauf zu konzentrieren. Er sah einfach, dass vor langer Zeit hier umfassend geräumt und Platz geschaffen worden war. Irgendwann waren die obligatorischen Gesetzbücher aus dem Wartezimmer des Senators geschafft und nur noch einige wenige Exemplare zurückgelassen worden. Diese Bände standen nun eingeschlossen in den schummrigen Ecken der Glasvitrinen. Die Buchrücken waren mit Rissen überzogen, das alte Leder schälte sich wie sonnenverbrannte Haut.

Ein paar von Keenes frisch gewählten Mitabgeordneten füllten das Wartezimmer, sie liefen hin und her, auf und ab, die Legislaturperiode hatte gerade erst begonnen. Wie Donald waren sie jung und noch hoffnungslos optimistisch. Sie brachten Veränderung ins Kapitol. Sie würden erfolgreich sein, wo ihre naiven Vorgänger versagt hatten.

Während sie darauf warteten, dass sie einer nach dem anderen mit dem bedeutenden Senator Thurman aus ihrem Heimatstaat Georgia zusammentreffen würden, plauderten sie nervös miteinander. Wie eine Schar junger Priester, dachte Donald, sie standen Schlange, um zum Papst vorgelassen zu werden und seinen Ring zu küssen. Donald atmete schwer aus und konzentrierte sich auf den Inhalt der Vitrine, er verlor sich in den Schätzen hinter dem Glas, während ein Kollege aus Georgia sich weiter über die Gesundheitsämter seines Wahlkreises ausließ.

»… und sie haben diese detaillierten Anweisungen auf ihrer Website, eine Anleitung, wie man sich verhalten soll im Falle einer – das muss man sich mal vorstellen! – einer Zombieinvasion. Zombies! Das heißt doch, selbst die Ämter denken, dass irgendetwas schieflaufen könnte und wir uns dann gegenseitig auffressen werden …«

Donald unterdrückte ein Lächeln. Er wandte sich um und betrachtete eine Reihe von Fotos an der Wand, auf denen der Senator mit jeweils einem der letzten vier Präsidenten zu sehen war. Jede Aufnahme zeigte die gleiche Pose und den gleichen Handschlag, den gleichen Hintergrund aus hängenden Fahnen und übergroßen, bombastischen Staatswappen. Während die Präsidenten kamen und gingen, schien sich der Senator kaum verändert zu haben. Sein Haar, schon damals weiß, war es noch immer. Der Mann sah aus, als sei er vom Lauf der Jahrzehnte völlig unberührt geblieben.

Dass die Fotos so nebeneinanderhingen, nahm den einzelnen Aufnahmen ihre Besonderheit. Sie wirkten gestellt. Als habe in dieser Versammlung der mächtigsten Männer der Welt ein jeder darum gebettelt, mit einer Pappfigur in einem Vergnügungspark zu posieren.

Donald zog sein Handy heraus und prüfte die Uhrzeit. Er blickte zur Tür des Wartezimmers und fragte sich, wie lange er wohl noch würde warten müssen. Während er sein Telefon wieder einsteckte, ging er zurück zur Vitrine. Er besah sich eine Militäruniform, die so sorgfältig in ihrem Fach drapiert worden war wie ein Kunstwerk aus Papier. An der linken Brusttasche hing eine ganze Sammlung von Orden und Ehrenzeichen; die Ärmel waren vorn gefaltet und mit Nadeln festgesteckt, um die goldenen Litzen hervorzuheben, die an den Manschetten aufgenäht waren. Vor der Uniform lagen in einem maßgefertigten Holzgestell einige Gedenkmünzen – Zeichen der Anerkennung für die Männer und Frauen, die in Übersee dienten.

Diese beiden Auslagen sprachen Bände: die Uniform der Vergangenheit und die Medaillons derer, die heute im Einsatz waren – zwei Kriege: einer, in dem der Senator in seiner Jugend gekämpft hatte, ein anderer, für dessen Verhinderung er sich als älterer, weiserer Mann eingesetzt hatte.

»… es klingt vollkommen verrückt, ich weiß, aber habt ihr schon mal einen Hund gesehen, der die Tollwut hat? Ich meine, was wirklich passieren kann, wenn die biologischen Faktoren …«

Donald beugte sich vor und betrachtete die Münzen genauer. Die Nummern und Kampfparolen standen jeweils für eine bestimmte Einsatztruppe. Oder für ein bestimmtes Bataillon? Er erinnerte sich nicht mehr. Seine Schwester Charlotte würde es wissen. Sie war irgendwo da drüben im Kriegseinsatz.

»Hey, du bist wohl gar nicht nervös?«

Donald merkte, dass die Frage an ihn gerichtet war. Er drehte sich um und stand vor dem gesprächigen Kongressabgeordneten. Er musste in Donalds Alter sein, Mitte dreißig. Donald konnte die ersten Anzeichen des körperlichen Verfalls erkennen, denselben Bauchansatz wie bei sich selbst, das sich lichtende Haar, das Hinübergleiten in die mittleren Jahre.

»Wegen der Zombies?«, lachte Donald. »Nein, ich könnte nicht behaupten, dass ich deswegen nervös bin.«

Der Abgeordnete stellte sich neben Donald, seine Augen wanderten zu den unzähligen Orden auf der Brust der Uniform.

»Nein«, sagte er. »Wegen des Treffens mit ihm.«

Die Tür zum Vorzimmer ging auf, das Klingeln der Telefone im anderen Raum drang herüber.

»Abgeordneter Keene?«

Eine ältere Vorzimmerdame stand in der Tür, ihre weiße Bluse und ihr schwarzer Rock betonten ihre schlanke, sportliche Figur.

»Senator Thurman wird Sie nun empfangen«, sagte sie.

Donald schlug dem Kollegen aus Atlanta im Vorbeigehen auf die Schulter.

»Viel Glück!«, stammelte der Mann ihm hinterher.

Donald lächelte. Er widerstand der Versuchung, sich umzudrehen und dem Mann zu sagen, dass er den Senator sehr gut kannte, dass er als Kind auf den Knien des großen Mannes geschaukelt worden war. Doch Donald war zu sehr damit beschäftigt, seine eigene Nervosität zu verbergen.

Durch die mit dicken Holzpaneelen vertäfelte Tür trat er ins Allerheiligste des Senators. Das war nicht einfach so, als würde man vor eine Haustür treten und den Vater fragen, ob man mit seiner Tochter ausgehen dürfe. Er würde dem Senator nun als Kollege auf Augenhöhe begegnen müssen – obwohl er sich eigentlich noch wie derselbe kleine Junge von damals fühlte.

»Hier entlang«, sagte die Vorzimmerdame. Sie führte Donald zwischen mehreren großen Schreibtischen und Dutzenden von Telefonen hindurch, die in kurzen Klingelsalven läuteten. Junge Männer und Frauen in Anzügen, Kostümen und gestärkten Hemden und Blusen sprachen in unzählige Telefonhörer. Ihre gelangweilten Mienen deuteten darauf hin, dass die vormittägliche Hektik dem Arbeitspensum eines ganz normalen Werktages entsprach.

Donald streckte die Hand aus, als er an einem der Schreibtische vorüberging, und strich mit den Fingerspitzen über das Holz. An der hinteren Wand des sirrenden, surrenden Zimmers öffnete sich eine vertäfelte Tür und entließ den Abgeordneten Mick Webb, der gerade sein Treffen mit dem Senator hinter sich gebracht hatte. Mick sah Donald nicht, er war zu beschäftigt mit dem Aktenordner, den er aufgeschlagen vor sich hielt.

Donald blieb stehen und wartete, bis sein Kollege und Collegefreund ihn bemerkt hatte. »Und?«, fragte er. »Wie lief’s?«

Mick blickte auf und klappte schnell den Ordner zu. »Ja, ja, lief prima.« Er lächelte. »Entschuldige, dass es so lang gedauert hat. Der Alte konnte gar nicht genug von mir kriegen.«

Donald lachte. Er glaubte dem Freund. Mick war mit Leichtigkeit in den Kongress eingezogen. Er hatte das Charisma und das Selbstvertrauen, die mit Körpergröße und gutem Aussehen einhergingen. Donald zog ihn immer damit auf, dass er eines Tages Präsident werden könnte, wenn er nicht so ein miserables Namensgedächtnis hätte. »Kein Problem«, sagte Donald. Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Ich habe neue Freunde gefunden.«

Mick grinste. »Das glaube ich gern.«

»Also dann, wir sehen uns drüben.«

»Klar.« Mick schlug ihm mit dem Ordner auf den Arm und ging zur Tür. Donald fing den Blick der Vorzimmerdame auf und trat rasch zu ihr. Sie winkte ihn in das spärlich beleuchtete Büro des Senators und zog die Tür hinter ihm zu.

»Abgeordneter Keene.«

Senator Paul Thurman erhob sich von seinem Schreibtisch und streckte die Hand aus. Er setzte sein übliches Lächeln auf, das Donald sowohl aus dem Fernsehen kannte als auch aus seiner Kindheit. Trotz seines Alters – Thurman musste auf die siebzig zugehen, wenn er sie nicht schon überschritten hatte – war der Senator gepflegt und fit. Sein Oxford-Hemd umschloss einen breiten, athletischen Oberkörper, das weiße Haar war so ordentlich gestutzt wie bei einem Soldaten.

Donald ging durch den schummrigen Raum und schüttelte dem Senator die Hand.

»Schön, Sie zu sehen, Sir.«

»Setz dich bitte.« Thurman ließ Donalds Hand los und bot ihm einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs an. Donald ließ sich in das hellrote Leder sinken. Die goldenen Ösen an der Armlehne waren so robust wie die Nieten in einem Stahlträger.

»Wie geht es Helen?«

»Helen?« Donald zog seine Krawatte gerade. »Sehr gut. Sie ist wieder in Savannah. Sie hat sich wirklich gefreut, Sie beim Empfang zu sehen.«

»Sie ist eine schöne Frau, Donald.«

»Danke, Sir.« Donald versuchte, sich zu entspannen, aber es half nichts. Obwohl die Deckenlampen brannten, herrschte in diesem Büro eine Stimmung wie zur Abenddämmerung. Die Wolken draußen waren unheimlich geworden, dunkel und niedrig. Wenn es zu regnen anfing, würde er durch die Unterführung zurück in sein Büro gehen müssen. Er hasste den Weg durch den Tunnel. Auch wenn man ihn mit Teppich ausgelegt hatte und in regelmäßigen Abständen kleine Lampen aufgehängt worden waren – er wusste trotzdem, dass er unter der Erde war. Er kam sich vor wie eine Ratte, die durch einen Abwasserkanal huschte. Er hatte immer den Eindruck, als müsste jeden Moment die Decke einbrechen.

»Wie läuft es mit dem Job?«

»Der Job ist gut. Viel Arbeit, aber gut.«

Er wollte den Senator fragen, wie es Anna ging, aber bevor er dazu kam, öffnete sich hinter ihm die Tür. Die Vorzimmerdame kam mit zwei Flaschen Wasser herein. Donald bedankte sich, schraubte am Verschluss und merkte, dass er schon offen war.

»Ich hoffe, du bist nicht zu beschäftigt, um für mich noch eine Sache zu übernehmen.« Thurman zog eine Augenbraue hoch. Donald nahm einen Schluck Wasser und fragte sich, ob man diese Fähigkeit erlernen konnte, dieses Augenbrauen-Hochziehen. Am liebsten wäre er aus dem Sessel gesprungen und hätte salutiert.

»Ich kann mir ganz sicher Zeit dafür nehmen«, sagte er. »Nach all der Unterstützung, die ich von Ihnen im Wahlkampf erhalten habe! Allein hätte ich es wohl kaum über die Vorwahlen hinaus geschafft.« Er spielte mit der Wasserflasche auf seinem Schoß.

»Du und Mick, ihr kennt euch von früher, oder? Ihr seid beide Bulldogs.«

Donald brauchte einen Moment, bis er begriff, dass der Senator ihr Mannschaftsmaskottchen vom College meinte. Er war in Georgia nicht oft dazu gekommen, die Sportveranstaltungen zu verfolgen. »Jawohl. Go Dogs!« Er hoffte, dass der Slogan stimmte.

Der Senator lächelte.

»Du hast in Georgia Architektur studiert, oder?«

Donald nickte. Manchmal vergaß er, dass er den Senator besser kannte als dieser ihn. Was daran lag, dass nur der eine von ihnen ständig in den Schlagzeilen war.

»Richtig. Im Grundstudium. Für meinen Master habe ich mich dann in Stadtplanung eingeschrieben. Ich dachte, ich könnte mehr erreichen, wenn ich die Menschen verwalte, als wenn ich Schachteln zeichne, in die man sie hineinsteckt.«

Er zuckte zusammen, als er sich so reden hörte. Es war ein dummer Studentenspruch – etwas, das er zusammen mit den Trinkspielen und der Begeisterung für die Hinterteile seiner Kommilitoninnen hätte hinter sich lassen sollen. Zum hundertsten Mal fragte er sich, warum er und die anderen Kongressabgeordneten zum Senator gebeten worden waren. Als er die Einladung bekommen hatte, hatte er zuerst gedacht, es handle sich um einen Freundschaftsbesuch. Als dann Mick mit seinem Termin geprahlt hatte, hatte Donald vermutet, es handle sich um irgendeine Formalität oder um ein traditionelles Treffen. Jetzt überlegte er, ob es eine vorsorgliche Maßnahme zum Machterhalt war, eine Gelegenheit, den Abgeordneten von Georgia zu schmeicheln und so den Moment vorzubereiten, wenn Thurman eine bestimmte Stimme im Unterhaus brauchen sollte.

»Sag mal, Donny, wie gut kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«

Donald stockte das Blut in den Adern. Er zwang sich zu einem Lachen, um die nervliche Anspannung abzuschütteln.

»Man hat mich immerhin zum Abgeordneten gewählt, nicht wahr?«

Senator Thurman lächelte. »Und im Wahlkampf hast du vermutlich die beste Geheimhaltetaktik überhaupt gelernt.« Er nahm seine Wasserflasche und prostete Donald damit zu. »Das Dementi.«

Donald nickte und trank aus seiner eigenen Flasche. Er war sich nicht sicher, worauf das hier hinauslief, aber er fühlte sich schon jetzt unwohl. Er spürte, dass es zu einer dieser Hinterzimmerabsprachen kommen würde, von denen er seinen Wählern versprochen hatte, dass er sie ausmerzen würde.

Der Senator lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Das Dementi ist die große Geheimwaffe in dieser Stadt«, sagte er. »Ich sage dir jetzt, was ich allen neu gewählten Abgeordneten sage: Die Wahrheit kommt immer ans Licht, aber sie vermischt sich am Ende mit all den Lügen.« Der Senator wedelte mit der Hand. »Du musst jede Lüge und jede Wahrheit genau gleich behandeln: Du musst sie leugnen. Lass diese ganzen Wichtigtuer, die auf ihren Websites von den Vertuschungen in der Politik schreiben, für dich die Öffentlichkeit verwirren.«

»Äh, jawohl, Sir.« Donald trank ratlos einen weiteren Schluck Wasser.

Wieder zog der Senator eine Augenbraue hoch. Er verharrte eine Weile reglos, dann fragte er völlig zusammenhanglos: »Glaubst du an Außerirdische, Donny?«

Donald hätte fast das Wasser über den Tisch geprustet. Er hielt sich die Hand vor den Mund, hustete und musste sich das Kinn abwischen. Der Senator rührte sich nicht.

»Außerirdische?« Donald schüttelte den Kopf und putzte die nasse Hand am Oberschenkel ab. »Nein, Sir. Jedenfalls glaube ich nicht an Entführungen und Ufo-Landungen. Warum?«

Er fragte sich, ob es eine Art Test war. Warum hatte der Senator ihn gefragt, ob er ein Geheimnis bewahren könne? War dies eine Einführung in die Sicherheitsbestimmungen? Der Senator schwieg weiter.

»Es gibt sie nicht wirklich«, sagte Donald schließlich. Er lauerte auf ein Zucken oder einen Hinweis vonseiten des Senators. »Oder etwa doch?«

Der alte Herr setzte ein Lächeln auf. »Genau das ist der Punkt«, sagte er. »Ob es sie gibt oder nicht – das Gerede da draußen wäre dasselbe. Wärst du überrascht, wenn ich dir sagen würde, dass es sie sehr wohl gibt?«

»Definitiv, ja, ich wäre überrascht.«

»Gut.« Thurman schob einen Aktenordner über die Schreibtischplatte.

Donald sah ihn an und hielt eine Hand hoch. »Warten Sie. Gibt es nun Außerirdische oder nicht? Was wollen Sie mir sagen?«

Senator Thurman lachte. »Natürlich gibt es keine Außerirdischen. Hast du gesehen, wie viel die NASA ausgeben will, um auf den Mars und zurück zu fliegen? Wir kommen niemals in ein anderes Sonnensystem. Niemals. Und zu uns kommt auch keiner. Warum auch?«

Donald wusste nicht, was er denken sollte. Er begriff, was der Senator meinte: dass Lüge und Wahrheit schwarz und weiß erschienen, zusammengemischt aber alles grau und verwirrend war. Er besah sich den Ordner. Es war dasselbe Modell, das Mick bei sich gehabt hatte, und es erinnerte Donald an die Vorliebe der Regierung für alles Altmodische.

»Das meinten Sie mit Dementi, stimmt’s?« Er sah den Senator forschend an. »Genau das tun Sie gerade: Sie versuchen, mich durcheinanderzubringen.«

»Nein. Ich meinte bloß, dass du nicht so viele Science-Fiction-Filme schauen sollst. Was meinst du, warum diese ganzen Deppen ständig davon träumen, andere Planeten zu besiedeln? Hast du eine Vorstellung davon, was das Ganze an Aufwand bedeuten würde? Es ist grotesk. Nicht kosteneffizient.«

»Es liegt in unserer Natur, von offenem Raum zu träumen«, sagte Donald, »Raum zu finden, um sich auszubreiten. Sind wir nicht deswegen überhaupt hier?«

»Hier? In Amerika?« Der Senator lachte. »Als wir hierhergekommen sind, da gab es keinen freien Raum. Wir haben einen Haufen Leute krank gemacht, ein ganzes Volk umgebracht und uns damit den Raum erst geschaffen.« Thurman deutete auf den Ordner. »Womit wir beim Thema wären. Ich hätte gern, dass du für mich an einer Sache arbeitest.«

Donald stellte seine Flasche auf die Lederauflage des riesigen Schreibtischs und nahm den Ordner. Er versuchte, seine Hoffnungen zu dämpfen. Der Gedanke, in seinem ersten Amtsjahr zum Beispiel einen Gesetzesentwurf mit auszuarbeiten, war verlockend

»Ist das die Vorlage von einem Ausschuss?«

Er schlug den Ordner auf und hielt ihn Richtung Fenster. Draußen braute sich ein Unwetter zusammen.

»Nein, nichts dergleichen. Es geht um die ALEK.«

Donald nickte. Natürlich! Die Vorrede über Dementi und Verschwörungen ergab auf einmal absolut Sinn, genauso wie die Versammlung der Abgeordneten vor Thurmans Tür. Es ging um die Anlage zur Lagerung und Entsorgung verbrauchter Kernbrennstoffe, kurz ALEK, die im Zentrum der neuen Energiegesetzesvorlage des Senators stand – ein Komplex, in dem eines Tages ein Großteil des ausgebrannten Atommülls untergebracht werden sollte. Oder laut der Websites, auf die Thurman angespielt hatte: Es sollte entweder ein militärisches Sperrgebiet in der Art von »Area 51« werden oder der Ort, an dem eine neue Superbombe gebaut werden sollte, oder es würde dort ein Hochsicherheitsgefängnis für Regierungsgegner eingerichtet werden. Man konnte es sich aussuchen. Da draußen waren so viele Gerüchte im Umlauf, dass sich jede Wahrheit damit verschleiern ließ.

»Sie sollen wissen, Sir, dass ich persönlich hundertprozentig hinter der Anlage stehe«, sagte Donald ernüchtert. »Wobei ich natürlich froh bin, dass ich nicht öffentlich darüber sprechen muss. Jedenfalls wurde es langsam Zeit, dass jemand seinen Hinterhof für die Anlage opfert, nicht wahr?«

»Genau. Ein Opfer für das Gemeinwohl.« Senator Thurman nahm einen großen Schluck Wasser, lehnte sich zurück und räusperte sich. »Du bist ein scharfsinniger junger Mann, Donny. Nicht jeder sieht, was für ein Segen diese Anlage für unseren Staat sein wird.« Er lächelte. »Entschuldige – ich darf doch noch Donny sagen, nicht? Oder ist dir Donald inzwischen lieber?«

»Beides ist okay«, log Donald. Er mochte es eigentlich nicht mehr, wenn man ihn Donny nannte. Er beugte sich wieder über den Ordner und blätterte das Begleitschreiben um. Darunter war eine Skizze, an der ihm sofort etwas falsch vorkam. Sie war … so vertraut. Vertraut, und gleichzeitig gehörte sie nicht hierher – sie war aus einem anderen Leben.

»Die Zeichnung stammt von mir!« Donald zog das Blatt heraus. Er zeigte es dem Senator, als wüsste dieser nicht ganz genau, was in dem Ordner zu finden war. Donald überlegte, ob Thurmans Tochter dahintersteckte, ob es irgendein Scherz, ein Gruß oder eine Nachricht von Anna war.

Thurman nickte. »Ja, allerdings könnte man noch mehr ins Detail gehen, findest du nicht?«

Donald betrachtete die Bauzeichnung. Er war sich inzwischen sicher, dass der Senator ihn auf die Probe stellte, er konnte sich nur nicht erklären, worum genau es bei diesem Test gehen sollte. Er erinnerte sich an die Skizze. Er hatte das Projekt im letzten Moment für sein Nachhaltigkeitsseminar im Abschlussjahr ausgearbeitet. Es war nichts Ungewöhnliches, nichts Aufregendes, es war einfach ein großes, zylindrisches Gebäude von etwa hundert Stockwerken aus Beton und Glas, die umgeben waren von Balkonen mit sprießenden Gärten. Die Skizze zeigte einen Querschnitt, damit man auf den verschiedenen Levels die Verteilung für Wohnen, Arbeiten und Einkaufen sehen konnte. Der Bau war spartanisch, wo die Entwürfe mancher Kommilitonen, wie er sich erinnerte, kühn gewesen waren, und zweckmäßig, wo er etwas hätte wagen können. Grüne Büschel ragten über das Flachdach – ein schreckliches Klischee, ein pathetisches Ja zur CO2-Neutralität.

Insgesamt war der Entwurf farblos und langweilig. Donald konnte sich nicht vorstellen, dass sich ein so schmuckloser Bau neben den neuesten Wolkenkratzern in Dubai erheben könnte. Auf jeden Fall begriff er nicht, was der Senator mit der Skizze wollte.

»Mehr ins Detail«, murmelte Donald, die Worte des Senators wiederholend. Er blätterte den restlichen Ordner durch, suchte nach Hinweisen, nach einem Zusammenhang.

»Moment.« Donald las eine Liste von Anforderungen, der das Gebäude gerecht werden müsste – als sei sie nach den Ansprüchen eines angehenden Kunden zusammengestellt worden. »Das sieht nach einem Angebot aus.« Worte sprangen ihm ins Auge, von denen er vergessen hatte, dass er sie je gelernt hatte: innere Verkehrsströme, Grundriss, Heizungs- und Klimatechnik, Hydrokultur …

»Auf das Sonnenlicht musst du verzichten.« Thurmans Stuhl knarrte, als der Senator sich über den Schreibtisch beugte.

»Wie bitte?« Donald hielt den Ordner hoch. »Was genau soll ich damit machen?«

»Es gibt da diese Lichter, die meine Frau benutzt.« Thurman hob die hohle Hand und deutete in deren Mitte. »Sie bringt im Winter kleine Samen zum Keimen, mit Lampen, die mich ein verfluchtes Vermögen kosten.«

»Sie meinen Pflanzenlampen.«

Thurman schnippte mit den Fingern. »Keine Sorge wegen der Kosten. Du kriegst alles, was du brauchst. Einen Ingenieur. Ein ganzes Team.«

Donald blätterte weiter in dem Ordner. »Was soll mit dem fertigen Gebäude dann passieren? Und warum ich?«

»Man spricht bei einem solchen Projekt von einem Notfallgebäude. Wahrscheinlich wird es nie benutzt werden, aber wenn wir nicht diesen Mist neben die ALEK-Anlage bauen, werden wir keine Erlaubnis bekommen, die Brennstäbe dort zu lagern. Wie bei meinem Kellerfenster – ich musste es niedriger machen, damit unser Haus von den Sachverständigen … wie nennt man das …?«

»Abgenommen wurde.«

»Ja, damit es abgenommen wurde.« Er deutete auf den Ordner. »Dieses Gebäude ist wie mein Fenster – manchmal muss man etwas nur deshalb bauen, damit der Rest abgenommen wird. In dem Ding sollen – im unwahrscheinlichen Fall eines Angriffs oder eines Lecks – die Angestellten der Anlage unterkommen. Ein Bunker. Und er muss perfekt sein. Dass die ALEK genehmigt und ratifiziert wurde, heißt noch lange nicht, dass wir machen können, was wir wollen, Donny. Es gab noch dieses Projekt drüben im Westen, das vor Jahrzehnten schon genehmigt worden war, auch die Finanzierung war gesichert. Und am Ende ist es durchgefallen.«

Donald kannte die Anlage, von der Thurman sprach. Ein Lager tief in einem Berg. Gerüchten zufolge hatte das ALEK-Projekt in Georgia dieselben Erfolgsaussichten. Der Ordner wog auf einmal das Dreifache: Donald wurde gerade darum gebeten, an einer sicheren Pleite zu arbeiten. Darauf hätte er sein neu gewonnenes Amt verwettet.

»Ich habe Mick Webb gebeten, sich um etwas zu kümmern, das mit der Sache in Zusammenhang steht. Planung und Logistik. Ihr beide werdet bei ein paar Dingen zusammenarbeiten müssen. Und Anna verlässt ihre Stelle beim MIT, um euch zur Hand zu gehen.«

»Anna?«

»Natürlich. Sie wird eure Bauleiterin. Im Ordner ist eine Liste mit den Räumlichkeiten, die sie für das Projekt braucht. Ich könnte selbstverständlich eine Menge anderer Leute anheuern, aber wir können kein Risiko eingehen, verstehst du? Deswegen möchte ich mit Leuten arbeiten, die ich kenne, mit Leuten, denen ich vertrauen kann.« Senator Thurman verschränkte die Hände. »Es ist vielleicht das einzige Projekt, an dem du während deiner Amtszeit arbeiten wirst, und ich möchte, dass du es richtig machst. Ich habe dich vor allem deshalb unterstützt.«

»Natürlich.« Donald bewegte nickend den Kopf auf und ab, um seine Verwirrung zu kaschieren. Während der Wahlen hatte er befürchtet, dass die Rückendeckung durch den Senator auf seine alten Verbindungen zur Familie zurückging. Aber das hier war irgendwie noch schlimmer. Donald hatte den Senator mitnichten benutzt – es war andersherum. Als er die Skizze auf seinem Schoß betrachtete, hatte er das Gefühl, dass ihm sein Job als Kongressabgeordneter wieder abgenommen und von einer Arbeit ersetzt worden war, die ihm mehr als unheimlich vorkam.

»Moment. Eines habe ich noch immer nicht verstanden«, sagte er mit Blick auf seine alte Zeichnung. »Warum die Pflanzenleuchten?«

»Weil das Gebäude, das du für mich entwerfen sollst, unter der Erde liegen wird.«

2. KAPITEL

2110Silo 1

Troy hielt den Atem an und versuchte, ruhig zu bleiben, während der Doktor die schwarze Blutdruckmanschette aufpumpte. Sie spannte sich um seine Haut, bis sie den Bizeps zusammenpresste. Er war sich nicht sicher, ob es sich auf seinen Pulsschlag auswirkte, wenn er seine Atmung verlangsamte, doch er wollte den Mann im weißen Overall unbedingt beeindrucken. Er wollte, dass seine Werte wieder »normal« wären.

Sein Arm pochte ein paar Herzschläge lang, während der Zeiger des Messgeräts zitterte und die Luft aus der Manschette entwich.

»Achtzig zu fünfzig.« Die Manschette gab ein reißendes Geräusch von sich, als sie abgezogen wurde. Troy rieb sich die Stelle, an der seine Haut eingedrückt worden war.

»Ist das in Ordnung?«

Der Arzt machte sich eine Notiz auf seinem Clipboard. »Ein bisschen niedrig. Aber nicht außerhalb der Norm.«

Hinter ihm markierte ein Assistent einen Becher mit dunklem Urin mit einem Aufkleber und stellte ihn in einen kleinen Kühlschrank. Troy sah, dass direkt neben den Urinproben ein angebissenes Sandwich lag, es war nicht einmal eingewickelt.

Er senkte den Blick auf seine nackten Knie. Seine Beine waren bleich und wirkten dünner, als er sie in Erinnerung hatte. Sie ragten seltsam leblos aus dem blauen Papierkittel, den er noch trug.

»Ich kann noch immer keine Faust machen«, sagte er zum Doktor, während er seine Hand öffnete und schloss.

»Das ist ganz normal. Sie werden wieder zu Kräften kommen. Schauen Sie nun bitte in die Lampe.«

Troy blickte in den hellen Lichtstrahl und versuchte, nicht zu blinzeln.

»Wie lange machen Sie das schon?«, fragte er den Arzt.

»Sie sind der erste Patient, den ich aus dem Schlaf hole. Und zwei habe ich eingelagert.« Er senkte die Lampe und lächelte Troy an. »Ich selbst bin auch erst seit ein paar Wochen wieder wach. Ich kann Ihnen versprechen, dass Ihre Kräfte bald zurückkommen.«

Troy nickte. Der Arzthelfer gab ihm zwei Tabletten und einen Becher Wasser. Troy zögerte. Er starrte auf die kleinen blauen Dragées in seiner Hand.

»Doppelte Dosis heute Morgen«, sagte der Arzt. »Danach bekommen Sie je eine Tablette zum Frühstück und zum Abendessen. Aber Sie dürfen bitte keine auslassen.«

Troy sah auf. »Was passiert, wenn ich die Tabletten nicht einnehme?«

Der Doktor schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

Troy schob die Tabletten in den Mund und spülte sie mit Wasser hinunter. Ein bitterer Geschmack rann ihm durch die Kehle.

»Einer meiner Assistenten wird Ihnen Kleidung und eine flüssige Mahlzeit bringen, damit Ihre Verdauung wieder in Gang kommt. Sollten Sie Schwindel oder Schüttelfrost bekommen, lassen Sie mich sofort rufen. Ansonsten sehen wir uns in sechs Monaten wieder.« Der Arzt machte sich eine Notiz und schmunzelte. »Das heißt, jemand anderes wird sich dann um Sie kümmern. Meine Schicht ist in fünfeinhalb Monaten zu Ende.«

»Gut.« Troy schüttelte sich.

Der Arzt sah von seinem Klemmbrett auf. »Ihnen ist doch nicht kalt? Ich lasse hier drinnen extra ein bisschen heizen.«

Troy zögerte mit der Antwort. »Nein, Doktor, mir ist nicht kalt. Nicht mehr.«

Mit noch schwachen Beinen betrat Troy den Aufzug am Ende des Korridors und stand vor einer Tafel mit nummerierten Knöpfen. Unter den Anweisungen, die er bekommen hatte, befand sich auch eine Wegbeschreibung zu seinem Büro, wobei er sich vage auch so noch erinnerte, wie er dorthin gelangte. Sein Orientierungssinn war in den Jahrzehnten des Schlafes weitgehend erhalten geblieben. Er erinnerte sich, dass er wieder und wieder dasselbe Buch gelesen hatte, erinnerte sich an die vielen Männer, Tausende, die in verschiedenen Schichten in die Anlage eingewiesen worden waren, bevor man sie eingelagert hatte – so wie zuvor bereits die Frauen. Es kam ihm so vor, als hätten die Orientierungswochen erst gestern stattgefunden – ältere Erinnerungen schienen sich ihm jedoch zu entziehen.

Die Aufzugstüren schlossen sich automatisch. Seine Wohnung war im siebenunddreißigsten Stock, das wusste er noch, sein Büro im vierunddreißigsten. Er wollte den Knopf drücken, um direkt an seinen Schreibtisch zu gehen, stattdessen glitt seine Hand nach ganz oben. Er hatte noch eine Weile Zeit, bevor er irgendwo sein musste, und er hatte das dringende Bedürfnis, so weit nach oben zu kommen wie nur möglich – sich aus der Erde zu erheben, die ihn von allen Seiten umschloss.

Der Aufzug surrte, als er sich in Bewegung setzte, und schoss dann den Schacht hinauf. Es zischte, als eine andere Kabine ihm entgegenkam. Die runden Knöpfe leuchteten auf, während die Stockwerke vorbeizogen. Es gab eine riesige Menge Knöpfe, siebzig insgesamt. In der Mitte waren die meisten Knöpfe stumpf von der jahrelangen Benutzung. Da schien etwas nicht zu stimmen – gestern waren die Knöpfe noch glänzend und neu gewesen. Gestern allerdings war auch sein ganzes Leben noch neu gewesen, gestern hatte es die Welt noch gegeben.

Der Lift wurde langsamer. Troy stützte sich mit der Hand an der Wand ab, um das Gleichgewicht zu halten. Eine Glocke ertönte, die Türen glitten auf. Troy blinzelte in das helle Licht des Korridors. Er verließ den Aufzug und ging den kurzen Weg zu einem Raum, aus dem Gespräche zu hören waren. Seine neuen Stiefel saßen steif an den Füßen, der silotypische Overall kratzte. Er versuchte, sich vorzustellen, dass er noch neunmal so erwachen und sich schwach und desorientiert fühlen würde. Zehn Schichten von je sechs Monaten. Zehn Schichten, für die er sich nicht freiwillig gemeldet hatte. Er fragte sich, ob es mit der Zeit wohl leichter oder nur immer schlimmer werden würde.

Das Stimmengewirr in der Cafeteria verstummte, als er eintrat. Ein paar Köpfe drehten sich zu ihm um. Er sah gleich, dass sein grauer Overall nicht so typisch war, wie er gedacht hatte. Die Männer an den Tischen trugen ganz unterschiedliche Farben, viel Rot, ein bisschen Gelb – kein Grau.

Die erste Mahlzeit aus klebrigem Brei rumorte noch einmal in seinem Magen, als ihm der Geruch des Kantinenessens in die Nase stieg. In den nächsten sechs Stunden würde er nichts zu sich nehmen dürfen. Er erinnerte sich an die Verpflegung, von der er während der Orientierungswochen gelebt hatte. Täglich der gleiche Fraß. Nun würden es Monate sein. Hunderte von Jahren.

»Sir.«

Ein junger Mann auf dem Weg zum Aufzug nickte ihm zu. Troy meinte ihn zu kennen, war sich aber nicht sicher. Der Mann schien ihn auf jeden Fall erkannt zu haben. Oder fiel nur der graue Overall auf?

»Erste Schicht?«

Ein älterer Herr kam auf ihn zu, dünn mit weißem Haar, das seinen Kopf bekränzte. In der Hand hielt er ein Tablett, er lächelte Troy zu. Er öffnete einen Recyclingeimer, hielt das ganze Tablett darüber und ließ es krachend fallen.

»Sind Sie wegen der Aussicht hier?«, fragte der Mann.

Troy nickte. In der ganzen Cafeteria saßen nur Männer. Ausschließlich Männer. Man hatte ihm erklärt, warum es auf diese Weise sicherer wäre. Er versuchte, sich daran zu erinnern, während der Mann mit den Altersflecken auf der Haut die Arme verschränkte und neben ihm stehen blieb. Man stellte sich nicht gegenseitig vor. Troy überlegte, ob Namen innerhalb der kurzen Sechs-Monats-Schichten vielleicht weniger Bedeutung hätten. Er blickte über die essenden Männer an ihren Tischen hinweg zu dem riesigen Bildschirm, der am anderen Ende des Raums die ganze Wand einnahm.

Staubschwaden und niedrige Wolken hingen über einem Land voller verstreuter Trümmer und Schutthaufen. Ein paar Eisenstangen ragten leblos aus dem Boden, die Zelte und Flaggen waren längst verschwunden. Troy kam etwas in den Sinn, ohne dass er hätte sagen können, was es war. Sein Magen schloss sich wie eine Faust um den Brei und die bitteren Tabletten.

»Das ist jetzt meine zweite Schicht«, sagte der Mann.

Troy hörte kaum hin. Seine Augen wanderten über die versengten Hügel, die sich zu den dunklen, bedrohlichen Wolken emporreckten. Der Müll, der überall lag, verrottete. Bei der nächsten oder übernächsten Schicht würde alles verschwunden sein.

»Von der Lounge aus können Sie weiter sehen.« Der Mann drehte sich um und deutete auf die andere Seite der Cafeteria. Troy wusste nur zu gut, welchen Raum er meinte. Dieser Teil des Gebäudes war ihm auf eine Weise vertraut, die der Mann kaum erahnen konnte.

»Nein. Trotzdem danke«, sagte Troy und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich denke, ich habe genug gesehen.«

Die neugierigen Gesichter wandten sich wieder den Essenstabletts zu, die Gespräche wurden wieder aufgenommen. Das Gemurmel war durchsetzt vom Scheppern der Gabeln und Löffel auf den Metallschüsseln und -tellern. Troy drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Er ließ den unheimlichen Anblick hinter sich, die Welt dort draußen, über die niemand sprach. Zitternd eilte er zum Lift, seine Knie waren nicht nur von der langen Ruhe weich. Er musste allein sein, er wollte niemanden um sich haben, wollte keine mitfühlenden Hände, die ihn trösteten, wenn die Panik kam.

3. KAPITEL

2049Washington, D.C.

Donald hatte den dicken Ordner in sein Jackett gestopft und eilte durch den Regen. Lieber wurde er nass, als dass er in den Tunneln seine Klaustrophobie ertrug.

Der Verkehr rauschte über den nassen Asphalt. Donald wartete auf eine Lücke und rannte über die Straße. Vor ihm glitzerten die Marmorstufen des Rayburn House, in dem die Büros der Kongressabgeordneten untergebracht waren. Vorsichtig stieg er hinauf und bedankte sich beim Portier, als er hineinging.

Ein Sicherheitsbeamter stand teilnahmslos neben ihm, während sein Ausweis gescannt wurde. Donald prüfte den Ordner, den Thurman ihm gegeben hatte, er vergewisserte sich, dass er noch trocken war, und fragte sich, warum Geheimunterlagen noch immer bevorzugt auf Papier weitergegeben und nur selten digitalisiert wurden.

Sein Büro lag im ersten Stock. Er lief zur Treppe – die ihm lieber war als der alte, langsame Fahrstuhl im Rayburn House. Seine Schuhe quietschten auf den Fliesen, als er die weiche Matte verließ, mit dem der Eingangsbereich ausgelegt war.

Seine Sekretärin Margaret stand vom Schreibtisch auf. »Sie haben Besuch, Sir.«

Donald sah sich im Wartezimmer um. Es war leer. Dann sah er, dass seine Bürotür einen Spalt offen stand.

»Entschuldigen Sie, ich habe sie eingelassen.« Margaret mimte jemanden, der eine Kiste trug, sie stemmte die Hände in die Hüften und drückte den Rücken durch. »Sie hatte eine Lieferung für Sie dabei, sie komme vom Senator.«

Donald winkte ab – schon okay. Margaret war älter als er, Mitte vierzig, sie hatte ausgezeichnete Referenzen, hatte sich aber einen etwas verschwörerischen Unterton angewöhnt. Vielleicht eine Folge ihrer jahrelangen Erfahrung.

»Alles in Ordnung«, versicherte Donald ihr. »Ich werde schauen, worum es geht. In der Zwischenzeit müssen Sie mir bitte täglich etwas Platz im Terminkalender freihalten. Ein oder zwei Stunden vormittags wären ideal.« Er zeigte ihr den Ordner. »Das hier wird ziemlich viel Zeit fressen.«

Margaret nickte und setzte sich vor ihren Computer. Donald wollte in sein Büro gehen.

»Ach, Sir …«

Er drehte sich noch einmal um. Margaret deutete auf ihren Kopf. »Ihr Haar«, flüsterte sie.

Donald fuhr sich mit der Hand durchs Haar, Wassertropfen sprangen heraus wie aufgeschreckte Flöhe. Margaret zog die Stirn kraus und zuckte in einer Geste der Hilflosigkeit mit den Schultern. Donald kümmerte sich nicht weiter um sein Äußeres und drückte die Bürotür auf. Er erwartete, jemanden vor seinem Schreibtisch sitzen zu sehen, stattdessen sah er, wie jemand darunter herumkroch.

»Hallo?«

Die Tür war gegen einen Gegenstand auf dem Boden gestoßen. Donald sah sich um und entdeckte einen großen Karton mit dem Bild eines Computermonitors darauf. Er blickte zum Schreibtisch und stellte fest, dass der Bildschirm bereits aufgebaut war.

»Oh, hallo!«

Der Gruß klang gedämpft unter dem Schreibtisch hervor. Schlanke Hüften bewegten sich in einem Tweedrock, während die Frau in Donalds Richtung zurückkrabbelte. Noch bevor ihr Kopf auftauchte, wusste er, wer sie war. Schuldgefühle überkamen ihn. Und Wut, dass sie so unangekündigt auftauchte.

»Du solltest deine Putzfrau ab und zu hier unten saugen lassen.« Anna Thurman stand lächelnd auf. Sie schlug die Hände zusammen und wischte den Staub ab, bevor sie ihm die Hand hinstreckte.

Nervös ergriff er sie.

»Hallo, Fremder.«

»Ja, hallo.« Die Regentropfen rannen ihm über Wangen und Hals und verbargen einen plötzlichen Schweißausbruch. »Was ist hier los?« Er ging um seinen Schreibtisch herum, um einen gewissen Abstand zu schaffen. Dort stand unschuldig ein neuer Monitor, die Schutzfolie aus Plastik noch über dem flachen Bildschirm.

»Dad meinte, du könntest ein zusätzliches Gerät gebrauchen.« Anna steckte sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haars hinters Ohr. Wenn ihre Ohren so hervorstanden, sah sie noch immer so verführerisch und elfenhaft aus wie früher. »Ich habe mich freiwillig gemeldet«, erklärte sie mit einem Achselzucken.

»Ach so.« Er legte den Ordner auf den Schreibtisch und dachte an die Gebäudeskizze, von der er kurz vermutet hatte, Anna hätte sie zwischen die Unterlagen geschmuggelt. Und nun war sie selbst hier.

Er setzte sich und stellte fest, dass er den Stuhl vor dem Schreibtisch nicht mehr sehen konnte. Er schob den neuen Monitor auf die Seite, während Anna zu ihm kam und sich mit verschränkten Armen und völlig entspannt neben ihn stellte. Als hätten sie sich gestern erst gesehen.

»Du bist also in der Stadt«, sagte er.

»Seit letzter Woche. Ich wollte dich und Helen am Samstag besuchen, aber ich hatte so viel mit dem Einzug zu tun. Sachen auspacken, du weißt schon …«

»Ja.« Aus Versehen stieß er an die Maus, der alte Bildschirm schaltete sich ein, sein Computer lief. Der Schreck, mit seiner Ex im selben Raum zu sein, wich augenblicklich, als Donald bewusst wurde, wie die Ereignisse des Tages zeitlich zusammenhingen.

»Moment mal.« Er sah Anna an. »Du hast dieses Ding hier installiert, während dein Vater mich gefragt hat, ob ich an seinem Projekt mitarbeiten will? Was, wenn ich abgelehnt hätte?«

Sie hob eine Augenbraue. Donald wurde klar, dass man sich einen solchen Gesichtsausdruck nicht antrainieren konnte – es war eine erblich bedingte Fähigkeit.

»Die Wahl zum Kongressabgeordneten ist gewissermaßen ein Bonbon gewesen«, sagte sie trocken.

Donald nahm den Ordner und strich über die Seitenkanten wie über ein Kartendeck. »Ihr hättet zumindest die Illusion aufrechterhalten können, dass ich frei entscheiden darf.«

Anna lachte. Jetzt würde sie gleich sein Haar verwuscheln, er spürte es. Er nahm die Hand vom Ordner und tastete in seiner Sakkotasche nach dem Handy. Es war, als wäre Helen hier bei ihm. Er musste sie dringend anrufen.

»War Dad wenigstens nett zu dir?«

Er blickte auf und sah, dass Anna sich nicht bewegt hatte. Ihre Arme waren noch immer verschränkt, sein Haar war unzerzaust – also kein Grund zur Panik.

»Was? Oh … Ja. Er war nett. Wie in alten Zeiten. Als wäre er wirklich keinen Tag älter geworden.«

»Weißt du, er altert nicht.« Sie ging durch den Raum, hob die Styroporverschalung auf, in die der Monitor verpackt gewesen war, und stopfte sie geräuschvoll in den leeren Karton. Donald ertappte sich dabei, wie sein Blick zu ihrem Rock glitt, und zwang sich wegzusehen.

»Er nimmt es mit seinen Nanobehandlungen peinlich genau. Wegen seines Knies hat er damit angefangen. Das Militär ist eine Zeit lang für die Kosten aufgekommen, und nun schwört er darauf.«

»Das wusste ich nicht«, log Donald. Natürlich hatte er Gerüchte gehört. Die Nanobehandlung sei »wie Botox für den ganzen Körper«, hieß es. Besser als Testosteronspritzen. Es kostete ein Vermögen, und man lebte nicht ewig, aber man konnte ziemlich sicher sein, dass sich die schmerzhaften Alterserscheinungen hinauszögern ließen.

Anna kniff die Augen zusammen. »Du findest die Behandlung doch nicht grundsätzlich falsch, oder doch?«

»Was? Nein. Ich würde es nur selbst nicht wollen. Warte mal … Warum? Sag jetzt nicht, du hast …«

Anna stemmte die Hände in die Hüften und neigte den Kopf. In ihrer defensiven Haltung lag etwas seltsam Aufreizendes, etwas, das ihn die Jahre, in denen er sie nicht gesehen hatte, vergessen ließ.

»Findest du etwa, dass ich das nötig hätte?«, fragte sie.

»Nein, nein, darum geht es nicht!« Er hielt abwehrend die Hände vor sich. »Ich denke nur … ich zumindest würde es nicht wollen.«

Annas Lippen öffneten sich zu einem Lachen. Die reifen Jahre ließen ihr schönes Gesicht härter wirken und betonten ihre schlanke Figur, aber die Wildheit ihrer Jugend war geblieben. »Das sagst du jetzt, aber warte, bis deine Gelenke anfangen zu schmerzen und du dir den Rücken verrenkst, sobald du einem jungen Mädchen auf der Straße nachsiehst.«

»Gut, okay.« Er klatschte in die Hände. »Du hast dir nicht gerade den besten Tag ausgesucht, um die alten Zeiten wiederaufleben zu lassen.«

»Ja. Also, an welchem Tag passt es dir am besten?« Anna schob den großen Karton mit dem Fuß zur Tür. Sie ging wieder um den Schreibtisch herum, stellte sich neben Donald und legte eine Hand auf seinen Stuhl, mit der anderen griff sie nach der Maus.

»An welchem Tag …?«

Er sah zu, wie sie ein paar Konfigurationen an seinem Rechner verstellte und der neue Monitor zum Leben erwachte. Donald roch ihr vertrautes Parfüm. Der Luftzug, den sie verursacht hatte, als sie durchs Zimmer gegangen war, schien ihn noch immer zu umspielen. Es fühlte sich fast an wie eine Liebkosung, eine körperliche Berührung, und er fragte sich, ob er Helen in diesem Moment schon betrog.

»Du kannst mit dem Computer umgehen, oder?« Mit der Maus zog sie den Cursor von einem Bildschirm zum anderen und verschob dabei ein altes Solitär-Spiel.

»Mh, ja.« Donald wand sich auf seinem Stuhl. »Was meinst du mit einem Tag, an dem es mir besser passt?«

Sie ließ die Maus los. Es fühlte sich an, als hätte sie die Hand von seinem Schenkel genommen.

»Dad will, dass ich die technische Durchführung übernehme.« Sie deutete auf den Ordner, als wüsste sie genau, was darin stand. »Ich nehme beim Institut ein Sabbatjahr, bis dieses Projekt steht und läuft. Ich dachte, wir könnten uns einmal pro Woche zur Besprechung treffen.«

»Oh. Verstehe. Darüber müssen wir noch mal sprechen. Meine Termine hier sind der Wahnsinn. Jeder Tag ist anders.«

Er stellte sich vor, was Helen dazu sagen würde, wenn er und Anna sich wöchentlich trafen.

»Wir könnten eine gemeinsame Datei für die ALEK erstellen«, schlug er vor. »Ich kann dir den Zugriff auf meine Dokumente freischalten…«

»Okay, wenn du meinst …«

»Und dann können wir E-Mails hin und her schicken. Uns per Videokonferenz abstimmen …«

Anna runzelte die Stirn. Donalds zurückhaltende Reaktion war offensichtlich etwas zu deutlich ausgefallen. »Gut, dann machen wir das so«, sagte sie.

Als sie sich nach dem Karton umdrehte, war ihr kurz die Enttäuschung anzusehen, und Donald hatte das Gefühl, er müsse sich entschuldigen. Aber wenn er das tat, würde das Problem wie in Leuchtschrift auf seiner Stirn zu lesen sein: Ich traue mir selbst nicht in deiner Gegenwart. Wir können unmöglich Freunde werden. Was zum Teufel machst du hier?

Er stand auf und lief hastig um seinen Schreibtisch herum, um sie zur Tür zu bringen. Anna bückte sich nach dem Karton.

»Ich kann das machen.«

»Unsinn.« Sie richtete sich wieder auf, den Karton zwischen Arm und Hüfte geklemmt. Abermals steckte sie sich das Haar hinters Ohr.

»Du siehst übrigens großartig aus.« Und bevor er zurückweichen oder sich wehren konnte, strich sie mit einem Lächeln auf den Lippen sein Haar glatt.

Donald erstarrte. Als er einige Zeit später wieder zu sich kam, war Anna gegangen, und er stand dort allein mit seinem schlechten Gewissen.

4. KAPITEL

2110Silo 1

Troy war spät dran. Der erste Tag seiner ersten Schicht – er war zittrig und vollkommen verängstigt, und nun würde er auch noch zu spät kommen. In seiner Eile, die Cafeteria zu verlassen und für sich zu sein, hatte er aus Versehen den normalen Aufzug genommen, nicht den Express. Während er nun versuchte, sich zu beruhigen, schien der Lift auf dem Weg nach unten auf jeder Etage zu stoppen, um Passagiere aufzunehmen oder auszuladen.

Er stand in der Ecke, als der Fahrstuhl hielt und ein Mann einen Karren voller schwerer Kartons hineinbugsierte. Ein anderer Mann mit einer Ladung Lauchzwiebeln drängte sich hinter Troy und stand ein paar Stationen lang dicht bei ihm. Als er ausstieg, blieb der Zwiebelgeruch in der Kabine hängen. Troy schauderte, es war ein heftiges Zittern, das sich über den Rücken in seine Arme fortpflanzte, aber er dachte sich nichts dabei. Im vierunddreißigsten Stock stieg er aus und versuchte, sich zu erinnern, warum er vorher so aufgebracht gewesen war.

Der einsame Wachmann vom Dienst sah von seinem Lesestoff auf und nickte zum Gruß. Troy legte seine Handfläche auf den Scanner, der vom vielen Gebrauch schmierig geworden war. Es gab kein Geplauder, keine unverbindlichen Worte, niemand versuchte, eine Beziehung zum anderen zu knüpfen. Die Lampe über der Konsole leuchtete grün auf, die Verriegelung klickte laut, und einige Metallpartikel wurden von dem Drehkreuz gerieben, als Troy hindurchging.

Am Ende des Gangs blieb Troy stehen und zog den Zettel mit den Anweisungen aus seiner Brusttasche. Auf der Rückseite war eine Notiz vom Arzt. Er drehte die kleine Skizze so, dass sie in die richtige Richtung zeigte. Er war sich zwar ziemlich sicher, dass er den Weg kennen müsste, aber seine Gedanken kamen und gingen, ohne dass er sie wirklich fassen konnte.

Sein Weg führte ihn an einer Reihe kleiner Büros vorbei. Tastaturen klapperten, Leute redeten, Telefone klingelten – und mit einem Mal machten ihn die Arbeitsgeräusche müde. Er spürte die Panik erneut aufsteigen, war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er dem Job, den er übernommen hatte, auch wirklich gewachsen war.

»Troy?«

Er blieb stehen und drehte sich zu der Tür um, an der er gerade vorbeigekommen war. Ein Blick auf die Karte sagte ihm, dass er fast an seinem Büro vorbeigelaufen wäre.

»Der bin ich.«

»Merriman.« Der Mann reichte ihm nicht die Hand. »Sie sind spät dran. Kommen Sie rein.«

Merriman drehte sich um und verschwand im Büro. Troy folgte ihm, seine Beine schmerzten vom Gehen. Er erkannte den Mann oder hatte zumindest das Gefühl, ihn zu erkennen, konnte sich aber nicht erinnern, ob er ihn noch von den Orientierungswochen her kannte oder aus einer anderen Phase seines Lebens.

»Entschuldigen Sie die Verspätung.« Troy wollte sich erklären: »Ich habe den falschen Aufzug genommen …«

Merriman hob die Hand. »Schon in Ordnung. Haben Sie Durst?«

»Ich habe Essen bekommen.«

»Selbstverständlich.« Merriman nahm eine durchsichtige Thermostasse von seinem Schreibtisch, der Inhalt war hellblau. Troy erinnerte sich an den fauligen Geschmack. Der ältere Mann schmatzte mit den Lippen und atmete aus, als er die Tasse wieder hinstellte.

»Scheußliches Zeug«, sagte er.

»Ja.« Troy sah sich um: sein Büro für die nächsten sechs Monate. Der Raum war ziemlich in die Jahre gekommen. Merriman auch. Ob er im letzten halben Jahr mehr graue Haare bekommen hatte, war schlecht zu sagen, aber er hatte zumindest das Zimmer in Ordnung gehalten. Troy nahm sich vor, seinem Nachfolger dieselbe Gefälligkeit zu erweisen.

»Erinnern Sie sich an Ihr Briefing?« Merriman schob einige Ordner auf dem Schreibtisch zusammen.

»Als wäre es gestern gewesen.«

»Okay. Gut, in den letzten Monaten ist nichts Aufregendes passiert. Als ich meine Schicht angetreten habe, gab es ein paar technische Probleme, aber die habe ich behoben. Sollte etwas sein, wenden Sie sich an einen Mann namens Jones. Er ist seit ein paar Wochen draußen und um vieles klüger als sein Vorgänger. Für mich war er die Rettung. Er arbeitet im Kraftwerk unten im achtundsechzigsten Stock, aber er hat ein geschicktes Händchen und kann so ziemlich alles reparieren.«

Troy nickte. »Jones. Okay.«

»Gut. Also. Ich habe Ihnen in diesen Ordnern ein paar Notizen gemacht. Wir mussten ein paar Arbeiter einfrieren, sie waren nicht fit genug für eine weitere Schicht.« Mit ernster Miene sah Merriman auf. »Sie dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen, verstehen Sie? Viele hier würden am liebsten durchschlafen, anstatt zu arbeiten. Lassen Sie die Männer nur dann einfrieren, wenn Sie wirklich sicher sind, dass sie nichts taugen.«

»Werde ich.«

»Gut.« Merriman nickte. »Hoffentlich haben Sie eine ereignislose Schicht. Ich muss schnell los, bevor dieses Zeug hier wirkt.« Er nahm einen weiteren großen Schluck, Troy verzog vor Mitgefühl den Mund. Merriman ging an ihm vorbei, schlug ihm auf die Schulter und streckte den Arm nach dem Lichtschalter aus. Im letzten Moment hielt er inne und zog die Hand zurück. Er nickte, und weg war er.

Und damit war nun Troy im Dienst.

»He, warten Sie!« Er sah sich im Büro um und lief hinaus. Merriman war schon auf dem Weg durch den Hauptkorridor zur Sicherheitsschranke. Troy rannte ihm nach.

»Lassen Sie das Licht brennen?«, fragte Merriman.

Troy blickte zurück. »Ja, aber …«

»Gute Angewohnheit.« Merriman schüttelte seine Thermostasse. »Weiter so!«

Ein korpulenter Mann stürzte aus einem Büro und versuchte schwerfällig, die beiden einzuholen. »Merriman! Bist du fertig mit deiner Schicht?«

Die Männer schüttelten sich herzlich die Hand. Merriman nickte lachend. »Ja. Troy löst mich ab.«

Der Mann zuckte mit den Schultern, er stellte sich nicht vor. »In zwei Wochen bin ich weg«, sagte er, wie um sein Benehmen zu erklären.

»Du, ich bin spät dran«, sagte Merriman. Sein Blick wanderte ein wenig vorwurfsvoll zu Troy. Er drückte seinem Freund die Thermostasse in die Hand. »Hier, den Rest kannst du behalten.« Er wandte sich zum Gehen, Troy folgte ihm.

»Nein danke!«, rief der Mann und schwenkte lachend die Tasse.

Merriman sah Troy an. »Entschuldigung – haben Sie noch Fragen?« Er ging durch das Drehkreuz, Troy hinterher.

»Ja, ein paar. Stört es Sie, wenn ich mit Ihnen hinunterfahre? Während der Orientierungswochen war ich ein bisschen … abgelenkt. Unerwartete Beförderung. Ich würde gern ein paar Dinge klären.«

»Na, dann mal los. Sie geben jetzt die Befehle.« Merriman drückte auf den Knopf und rief den Expresslift.

»Ich bin im Grunde also hier für den Fall, dass etwas schiefgeht?«

Der Aufzug kam. Merriman drehte sich um und sah Troy mit zusammengekniffenen Augen an, als wollte er sichergehen, dass Troy die Frage ernst meinte.

»Ihr Job ist es sicherzustellen, dass nichts schiefgeht.« Sie betraten den Lift, die Kabine schoss in die Tiefe.

»Ja, natürlich. Das habe ich gemeint.«

»Sie haben doch das Buch der Weisung gelesen, oder?«

Troy nickte. Aber nicht für diesen Job, wollte er sagen. Er hatte gelernt, einen Silo zu führen, nicht aber den einen Silo, von dem aus alle anderen gesteuert wurden.

»Halten Sie sich einfach an die Anweisungen. Hin und wieder werden Sie Anfragen von den anderen Silos bekommen. Ich fand es klug, so wenig wie möglich zu antworten. Hören Sie einfach schweigend zu. Und vergessen Sie nicht, dass es sich bei den anderen meist um Überlebende der zweiten und dritten Generation handelt, ihr Wortschatz hat sich also schon ein wenig entwickelt. In Ihrem Ordner sind ein Spickzettel und eine Liste mit den verbotenen Wörtern.«

Schwindel überkam Troy, ihm wurde beinahe schwarz vor Augen, als der Aufzug abbremste und schließlich hielt. Er war noch lange nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte.

Die Türen öffneten sich, er folgte Merriman durch einen kurzen Korridor – denselben, den er Stunden zuvor in die andere Richtung gegangen war. Der Arzt und sein Assistent warteten in dem Raum dahinter, sie bereiteten eine Infusion vor. Der Doktor blickte Troy überrascht an, als habe er nicht damit gerechnet, ihn so bald, wenn überhaupt wiederzusehen.

»Haben Sie Ihre letzte Mahlzeit zu sich genommen?«, fragte er, während er Merriman zu einem Schemel bat.

»Jeden einzelnen Tropfen von dem ekligen Zeug.« Merriman hakte seinen Overall auf und ließ ihn bis zur Taille hinunterfallen. Er setzte sich und streckte den Arm aus, die Handfläche nach oben. Troy sah, wie blass Merrimans Haut war, ein lockeres Netz dunkelroter Linien spannte sich um seinen Ellbogen. Er wandte sich ab, wollte nicht sehen, wie die Spritze ins Fleisch stach.

»Sie sollten sich mit Victor vom Psychologischen Dienst treffen«, sagte Merriman. »Er sitzt direkt im Büro gegenüber. In einigen Silos gehen merkwürdige Dinge vor, sie sind sensibler, als wir dachten. Versuchen Sie, die Sache für Ihren Nachfolger unter Kontrolle zu bekommen.«

Troy nickte.

»Sie müssen jetzt zu Ihrem Kryo-Pod«, sagte der Arzt. Sein junger Assistent stand mit einem Papierkittel bereit. Die ganze Prozedur wirkte sehr vertraut. Der Doktor drehte sich zu Troy um, als wäre er ein Stück Dreck, das man wegfegen müsste.

Troy trat auf den Gang und blickte zum Gefrierraum hinüber. Alle Frauen und Kinder wurden dort aufbewahrt sowie die Männer, die ihre Schichten nicht durchgehalten hatten. »Stört es Sie, wenn ich …« Troy fühlte sich von den Räumen regelrecht angezogen. Merriman und der Arzt runzelten die Stirn.

»Das ist keine gute Idee …«, hob der Arzt an.

»Ich würde es nicht tun«, sagte Merriman. »In den ersten Wochen war ich ein paarmal dort. Es ist ein Fehler. Lassen Sie es sein.«

Troy starrte den Korridor hinunter. Er war sich ohnehin nicht ganz sicher, was er ihn dort erwarten würde.

»Bringen Sie die nächsten sechs Monate hinter sich«, sagte Merriman. »Die Zeit geht schnell vorbei. Alles geht schnell vorbei.«

Troy nickte. Der Doktor sah ihn feindselig an, während Merriman seine Stiefel auszog. Troy warf der schweren Tür am Ende des Gangs einen letzten Blick zu, dann ging er in die andere Richtung zum Aufzug.

Er hoffte, Merriman hätte recht. Als er den Knopf des Expresslifts drückte, versuchte er, sich seine Schicht in ihrem vollen Umfang auszumalen. Und die nächste. Und die danach. Es war kaum vorstellbar, was kommen sollte, wenn dieser Wahnsinn einmal zu Ende war.

5. KAPITEL

2049Washington, D.C.

Der Regen der vergangenen Woche hatte endlich nachgelassen, der Verkehr am Dupont Circle kam nur stockend voran. Als Donald durch die Connecticut Avenue ging und sich gegen den auffrischenden Wind stemmte, fragte er sich, warum der Senator das Treffen ausgerechnet bei Kramerbooks angesetzt hatte. Es gab ein Dutzend besserer Cafés, die sehr viel näher an seinem Büro lagen.

Er überquerte eine Nebenstraße und eilte die kurze Steintreppe zum Buchgeschäft hinauf. Die Eingangstür war eines dieser antiken Holzdinger, die alteingesessene Geschäfte gern einbauen ließen, wie um damit anzugeben – ein Zeugnis ihrer Beständigkeit. Als Donald die Tür öffnete, quietsche sie in den Angeln, über seinem Kopf klingelten echte Glöckchen. Eine junge Frau, die gerade einige Bücher auf dem Bestsellertisch in der Mitte ordnete, blickte auf und lächelte zum Gruß.

Donald sah, dass das Café voll war, Frauen und Männer in Businesskleidung tranken aus weißen Porzellantassen. Vom Senator war nichts zu sehen. Donald wollte auf seinem Handy nachsehen, ob er zu früh war, als er einen Agenten vom SecretService entdeckte. Breitschultrig stand er vor dem Durchgang zum Nebenraum – die Buchabteilung von Kramers Café. Donald lachte darüber, wie auffällig der Mann war – Headset, Beule unter dem Jackett, die Sonnenbrille, die er auch hier drinnen nicht abnahm. Donald ging auf ihn zu, das Parkett knarzte altersschwach.

Die Augen des Agenten zuckten in seine Richtung, aber es war schwer zu sagen, ob er Donald ansah oder zur Eingangstür blickte.

»Ich treffe mich hier mit Senator Thurman«, sagte Donald, seine Stimme war ein wenig heiser. »Ich habe einen Termin.«

Der Agent drehte den Kopf. Donald folgte seinem Blick und sah Thurman, der am hinteren Ende des Raums die Bücherstapel durchsah.

»Ah. Danke.« Er ging zwischen den hohen Regalen hindurch. Das Licht wurde schwächer, der Kaffeeduft wich einer leicht muffigen Geruchsmischung aus Staub und Leder.

»Was hältst du von dem hier?«

Senator Thurman hielt ihm ein Buch hin. Kein Gruß. Nur diese Frage.

Donald las den Titel aus Goldprägelettern auf dem dicken Lederband. »Nie gehört«, gab er zu.

Der Senator lachte. »Selbstverständlich nicht. Das Buch ist über hundert Jahre alt. Und auf Französisch. Ich wollte wissen, wie du den Einband findest.« Er reichte Donald den Band.

Donald war überrascht, wie schwer das Buch war. Er schlug es auf und blätterte ein paar Seiten um. Es fühlte sich so massiv an wie ein Gesetzbuch, aber an den weißen Stellen zwischen den Dialogzeilen sah er, dass es sich um einen Roman handelte. Als er weiterblätterte, stellte er bewundernd fest, wie dünn das Papier war. Im Falz am Rücken waren die Bogen mit dünnen Strängen aus blauem und goldenem Faden geheftet. Einige von Donalds Freunden schworen noch immer auf richtige Bücher – nicht zur Deko, sondern tatsächlich zum Lesen. Als er das Exemplar in seiner Hand betrachtete, verstand er diese nostalgische Schwäche.

»Der Einband sieht toll aus«, sagte er und strich mit den Fingerkuppen darüber. »Ein schönes Buch.« Er gab es dem Senator zurück. »Gehen Sie vor allem nach dem Umschlag, wenn Sie etwas zum Lesen suchen?«

Thurman steckte sich das Buch unter den Arm und zog ein anderes aus dem Regal. »Ich will mich lediglich für ein weiteres Projekt inspirieren lassen, an dem ich gerade arbeite.« Er drehte sich zu Donald um und kniff die Augen zusammen. Es war ein unangenehmer Blick. Donald kam sich vor wie eine Labormaus.

»Wie geht es deiner Schwester?«, fragte Thurman.

Die Frage brachte Donald aus dem Konzept.

»Charlotte? Sie … Es geht ihr gut, denke ich. Sie ist wieder im Einsatz. Das haben Sie sicher gehört.«

»Ja.« Thurman schob das Buch, das er zuletzt aus dem Regal genommen hatte, zurück in die Lücke und wog das andere, das Donald gefiel, in der Hand. »Ich war stolz, dass sie verlängert hat. Unser Land kann stolz auf sie sein.«

Donald dachte daran, was es eine Familie kosten konnte, ein Land stolz zu machen.

»Ja«, sagte er. »Allerdings hatten sich meine Eltern wirklich gefreut, Charlotte wieder zu Hause zu haben. Es fiel ihr schwer, sich an den Rhythmus hier zu gewöhnen. Ich … wissen Sie, ich glaube nicht, dass sie sich richtig entspannen kann, bevor der Krieg vorbei ist.«

»Ich weiß«, sagte Thurman. »Und selbst dann wird sie vielleicht nicht zur Ruhe kommen.«

Das war nicht, was Donald über seine Schwester hören wollte. Er beobachtete, wie der Senator mit dem Finger über einen luxuriösen Buchrücken mit erhabenen Bünden und eingeprägter Schrift strich. Der Blick des Senators schien sich auf etwas zu richten, das hinter den Buchreihen verborgen lag.