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In einer Welt, die von ständigen Innovationen geprägt ist, bleibt oft wenig Raum für die gezielte Beendigung bisheriger Prozesse und den Abschied von veralteten Produkten – die Exnovation. Dieses Buch schließt diese Lücke und bietet einen tiefgehenden Einblick in die Verschränkung von Innovation und Exnovation. Durch das strategische Beenden und Loslassen eröffnen sich ungeahnte Chancen und Potentiale in Transformationsprozessen. Inhalt und Struktur: - Teil A: Exnovation – eine inhaltliche Annäherung: Lernen Sie die Grundlagen und die Relevanz der Exnovation kennen. Vertiefen Sie Ihr Verständnis durch eine umfassende Betrachtung der aktuellen Forschung und etablierter Konzepte und Modelle. - Teil B: Transfer in die Praxis und Beispiele: Praktische Fallstudien und Beispiele aus dem Wirtschafts- und Non-Profit Bereich verdeutlichen die vielfältige Relevanz der Exnovationsthematik in der Praxis. Interviews mit Expertinnen und Experten sowie exemplarische Vertiefungen bieten zusätzliche Einblicke und Übertragungshilfen. - Teil C: Methodischer Teil: Ein umfangreiches Methodenkapitel stellt Ihnen bewährte Tools und Modelle für Exnovationsprozesse vor. Zahlreiche Interventionen und Methoden bieten einfache und praxisorientierte Ansätze für eine inhaltliche, strategische, persönliche oder ganz grundsätzliche Bearbeitung der Exnovationsthematik. Dieses Buch richtet sich an Expertinnen und Experten in Innovationsmanagement, Begleitung von Transformationsprozessen, Organisationsentwicklung, sowie Beratung und Coaching. Für den Einstieg sowie die fortgeschrittene Beschäftigung bietet das Buch hilfreiche Impulse und liefert neben wissenschaftlichen Grundlagen auch praxisorientierte Erfahrungswerte und Lösungsansätze für die Herausforderungen zwischen dem Neuen und dem Alten.
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Seitenzahl: 397
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Reihe Systemisches Management
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Sandra Bils/Gudrun L. Töpfer
Exnovation und Innovation
1. Auflage, Oktober 2024
© 2024 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
Reinsburgstr. 27, 70178 Stuttgart
www.schaeffer-poeschel.de | [email protected]
Bildnachweis (Cover): © Stoffers Grafik-Design, Leipzig
Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner
Lektorat: Dr. Angelika Schulz, D.A.S.-Büro, Zülpich
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Jeder Akt der Schöpfung ist zuerst ein Akt der Zerstörung. (Pablo Picasso)
Löst diese markige These bei Ihnen ein Störgefühl aus?
Bei uns auf jeden Fall. Denn die These ist – zugegeben – sehr zugespitzt und ihr fehlt Kontext. Es ist für Sie, die Lesenden, der Anfang dieses Buches. Für uns ist es die Zusammenfassung dessen, was wir über Exnovation verstanden haben. Doch lassen Sie es uns erklären: In fast allen Lebensbereichen suchen wir händeringend nach neuen Lösungen. So vielfältig und herausfordernd dieses Forschen nach innovativen Perspektiven auch ist, so zeichnet es sich doch immer durch einen gemeinsamen Nenner aus: Die Lösungssuche ist komplex und ist deshalb nicht durch einfache Maßnahmen in den Griff zu bekommen – sonst wäre die Lösung schon längst gefunden.
Liegt diese Lösungslosigkeit daran, dass nicht intensiv genug an neuen Ansätzen gearbeitet wird? Mitnichten. Vielmehr ist es so, dass »viel Innovation« zwar notwendig ist, aber für diese großen Themen nicht ausreicht. Dafür sollten wir den fehlenden Schritt gehen: aufhören mit dem, was nicht mehr funktioniert.
Aufhören ist eine große Herausforderung und im Fahrwasser der Innovation eine in aller Regel übersehene Aufgabe. Das ist wenig verwunderlich, hat Aufhören doch immer mit Abschiedsschmerz zu tun. Es ist konnotiert mit dem Verlust von Dingen, die man lieb gewonnen und wertgeschätzt hat, die lange ihren Dienst getan und funktioniert haben – und in die in aller Regel viel Mühe und Energie geflossen ist. Deren Ende zu akzeptieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe ist jedoch erkannt und ihre Mechanismen sind bereits beschrieben worden. Ihr Name: Exnovation.
Wir gehen davon aus, dass Exnovation künftig ein stark prägendes Thema sein wird. Und so sei auch die eingangs recht gewagte These verstanden: Es wird in Zukunft nicht mehr nur darum gehen, Innovationen hervorzubringen. Wir postulieren, dass stattdessen der Abschied vom Bestehenden die große Aufgabe der kommenden Zeit sein wird.
Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde die disruptive Kraft innovativer Technologien und ihr massiver Einfluss gegenüber etablierten Platzhirschen (wir kennen sie alle: Nokia, Kodak, …) beleuchtet. Clayton Christensen hat die Herausforderungen für Unternehmen angesichts dieser Effekte im Jahr 1997 als »Innovator’s Dilemma« beschrieben.
Heute zeigt sich ein weiterer, anders gelagerter Effekt, der aber eine ähnlich zerstörerische Kraft hat. War 1997 allein die verschlafene Innovation im Blick, die sich an großen Unternehmen rächte und manche sogar ganz vom Markt verdrängte, könnten es heute zusätzlich die verschlafenen Impulse zur Exnovation sein, die selbst große und etablierte Unternehmen gefährden. Das »Innovator’s DilemmaInnovator’s Dilemma« ist zum »Exnovator’s DilemmaExnovator’s Dilemma« geworden: Es gilt, mit dem Aufhören anzufangen, nicht mit dem Anfangen aufzuhören. Die Zeit der Exnovation hat begonnen.
Fragen zum Hineinfinden …
Wird die Welt nicht durch Innovationen grundsätzlich verbessert?
Was soll an Innovationen schlecht sein?
Bedeutet Exnovation eigentlich Rückschritt?
Derzeit gehört die Bühne der Innovation: Es gibt Innovationsmethoden, Innovationsmanagerinnen und -manager, Innovationsnetzwerke, Innovationskultur, Innovationsstrategien, Innovationswerkzeuge, Innovationsliteratur, Innovationsprojekte, Innovationsforschung, Innovationsmodelle, Innovationsworkshops, Innovationsplattformen, Innovationsforen, Innovationsteams …
Bei Innovation handelt es sich um den Prozess der Erneuerung, genauer genommen:
»InnovationInnovation, Definition ist die Entwicklung und Durchsetzung einer neuartigen technischen, organisationalen, institutionellen oder sozialen Problemlösung, die zu sprunghaften Veränderungen führt, von relevanten Anwendern akzeptiert und von Innovationen in der Erwartung eines Erfolgs betrieben wird.«
Fichter und Clausen 2013, S. 34
Die einzelnen Schritte sind dabei in aller Regel:
die Invention an sich i. S. einer Erfindung/Entdeckung,
das Durchsetzen der Neuerung und
deren Verbreitung (Diffusion) (ebd.).
Die Innovation kann einerseits schrittweise, in Form einer Weiterentwicklung ablaufen, wie z. B. die stetige Verkleinerung der ersten Mobiltelefone von einem großen »Koffer« bis hin zu einem Gerät für die Hosentasche. Demgegenüber gibt es andererseits auch radikale (disruptive) Innovationen, die in der Lage sind, die Welt auf den Kopf zu stellen, wie z. B. die Erfindung der Smartphones mit Touchscreen oder die Veröffentlichung von ChatGPT oder anderen KI-Tools. Sie brechen aus den bisherigen Bahnen und entwickeln komplett neue Zugänge. Ist es dann nicht nur gut und richtig, dass Innovationen und den dazu gehörigen Prozessen intensive Aufmerksamkeit gewidmet wird?
Pro-Innovation BiasPro-Innovation Bias
Beide Varianten von Innovationen haben in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten zu einer Vielzahl von Neuerungen geführt. Was dabei oft vergessen wird: Innovation ist kein Selbstzweck. Nur »neu« ist bei präziser Betrachtung kein Wert an sich:
»Dass gegenwärtig der Begriff der Innovation den des Fortschritts ersetzt zu haben scheint, ist kein Zufall: [D]enn die Innovation braucht keine normative Referenz, sie ist ja schon erreicht, wenn etwas neuer ist als etwas anderes, unabhängig von der Frage, ob es überhaupt der Erneuerung bedurfte.«
Welzer 2021, loc. 299
Eigentlich sollten Innovationen eher Mittel zum Zweck sein, um für ein Problem eine hilfreiche Herangehensweise zu liefern.1 Als zentrales Werkzeug zur Problemlösung ist der Innovationsbegriff äußerst positiv konnotiert. Schon Rogers (2003) bemerkte bei seiner Untersuchung der Innovationsliteratur, dass nur 0,2 % der Forschung im Innovationsbereich die (negativen) Konsequenzen von Innovation betrachteten. Eindrückliche Beispiele dafür, dass Interventionen besser erscheinen, wenn sie als »neu« gelabelt werden, finden sich im medizinischen Bereich: Neue Medikamente und Behandlungsmethoden wurden in verschiedenen Vergleichsstudien als effektiver beschrieben, selbst wenn die bisherige Medikation weiter verabreicht wurde und gar kein neues Medikament zum Einsatz kam (Salanti et al. 2010; Tinè et al. 2017).
Diesen unreflektiert positiven Blick auf Innovationen nennt man »Pro-Innovation BiasPro-Innovation Bias« bzw. »Pro-Innovations-Voreingenommenheit« (Geels 2011; Kimberly und Evanisko 1981; Kimberly 1981; Rogers 2003; Sveiby et al. 2012; Ziegler 2020, S. 7 ff.). Er beinhaltet eine Überbetonung positiver Attribute von Innovationen (z. B. Wert, Nutzen oder Erfolg) und ignoriert mögliche Nachteile, Risiken oder negative Konsequenzen. Dieser Effekt ist besonders bedenklich, wenn eine Innovation Kollateralschäden mit sich bringt, die angesichts der Begeisterung am Neuen nicht so deutlich wahrgenommen werden. Joana Breidenbach, die Gründerin von betterplace.org, hat solche Innovationen als »Bullshit Innovationen« bezeichnet (Breidenbach 2020)und meint damit die Hyperfixierung auf Innovationen, bei denen ein möglicher Nutzen (oft für eine begrenzte Personengruppe) und der damit verbundene Schaden (oft woanders verursacht, so dass es die Nutzendengruppe gar nicht betrifft) in keinem sinnvollen Verhältnis stehen.
Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass die überwiegende Menge an Innovationen überhaupt nicht umgesetzt wird und eher im Ideen-Status verbleibt. Dies trifft besonders auf Bemühungen zur Nachhaltigkeit zu: »Aus Nachhaltigkeitssicht haben wir in Deutschland nicht primär ein Innovationsproblem, sondern ein Diffusionsproblem« (Fichter und Clausen 2018, S. 32). Dass auch bei »gescheiterten« Innovationen von Innovationen gesprochen wird, ist nach Meinung einiger Forschenden eine Unschärfe in der Definition, die einer neuen Idee erst den Status einer Innovation zuschreiben, wenn eine erfolgreiche Verbreitung und Akzeptanz zu konstatieren ist (Brockhoff 2010).
Wie wir in den folgenden Abschnitten sehen werden, liegt das »Scheitern« von InnovationenInnovation, Scheitern gelegentlich an ausgebliebener Exnovation: »The ›pro-innovation bias‹ seems to go hand-in-hand with an ›anti-exnovation bias‹» (Holbek und Knudsen 2020, S. 6). Man könnte auch sagen: »Vergangene Innovationserfolge verursachen und blockieren spätere Anpassungsnotwendigkeiten« (Kropp 2015, S. 6).
Die Endlichkeit von RessourcenRessourcen, Endlichkeit
Aus diesen Überlegungen abzuleiten, dass wir als Gesellschaft aufhören sollten, uns um Innovationen zu bemühen, wäre natürlich falsch. Wenn wir von Innovation als Werkzeug zur Problemlösung sprechen, gibt es derzeit jede Menge zu tun. Menschengemachte Probleme sollten nach dem Verursachendenprinzip auch durch sie wieder gelöst und nicht einfach »hingenommen« oder der nachfolgenden Generation überlassen werden. Der Mensch ist zu einer solch prägenden Kraft des jetzigen Zeitalters im Hinblick auf den biologischen, geologischen und atmosphärischen Einfluss geworden, dass die derzeitige Epoche nach dem prägenden menschlichen Einfluss benannt wird: AnthropozänAnthropozän (Crutzen 2002). Die Auswirkungen sind enorm, sowohl in Wichtigkeit als auch Komplexität. Der »Club of Rome« sprach schon 1972 in seinem Bericht »Die Grenzen des Wachstums« davon, wie immens die Effekte des Wirtschaftswachstums auf unsere Lebensumwelt bereits sind und auch künftig sein werden. Um diese Probleme zu lösen, seien fünf »außerordentliche Kehrtwenden« notwendig, nämlich die Beendigung der Armut, die Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, die Ermächtigung der Frauen, der Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und der Einsatz sauberer Energie (Dixson-Declève et al. 2022).
Dass Wachstum GrenzenWachstum, Grenzen haben kann (und anscheinend haben muss), ist ein ungemütlicher Gedanke, ist doch Wachstum, ähnlich wie Innovation, überwiegend positiv konnotiert. Ein Erklärungsansatz mag darin liegen, dass die Kosten für das Wachstum selten mitgedacht werden. Würde man im gleichen Atemzug immer auch von »gesteigertem Verbrauch« sprechen, wäre die Sache klarer: »Denn die Logik permanenter Steigerung des Weltverbrauchs ist es ja, was das zivilisatorische Modell der Moderne im 21. Jahrhundert in ganz erhebliche Schwierigkeiten bringt« (Welzer 2021, loc. 994).
Es ist keine ganz neue Nachricht, dass in unserer Gesellschaft im »Modus der Steigerung« (Rosa 2023, S. 16) das Ende des Mottos »höher, schneller, weiter« in Sicht ist. Vereinzelt zeigt sich bereits, dass die Entwicklung neuer Prozesse, Praktiken, Technologien und Geschäftsmodelle mit einem aktiven Management bzw. einer Politik des Auslaufens des Bestehenden einhergehen muss (Hoffmann et al. 2017; Kivimaa und Kern 2016). Die Erkenntnis, dass nicht »mehr Wachstum«, sondern »dosiertes Wachstum« ein Lösungsansatz ist, wird auch schon gelegentlich geäußert (Bardi 2017, S. 202 ff.): Die »Wende zum Weniger« (Paech 2006a, S. 32) steht an.
Bekanntheit und Verbreitung des Themas
Die Exnovation ist – Stand heute – in der allgemeinen Debatte kein allzu verbreitetes Thema. Angesichts der großen Herausforderungen, die zu bewältigen sind, wird in dieser Richtung noch viel geforscht und einiges an Boden bereitet werden müssen.
Forschende sind sich weitgehend einig, dass allgemein mehr Forschung nötig ist (Hermwille 2017; Heyen 2018a; November 2018; Wehnert 2017, S. 33 f.). Es hat sich gezeigt, dass die alleinige Schwerpunktsetzung auf Innovation nicht zielführend ist und der mögliche Erkenntniszuwachs aus dem Bereich der Exnovation dringend gebraucht wird (David 2015, S. 2; Graaf et al. 2021, S. 1; Heyen et al. 2017, S. 30 f.). Exnovation ist besonders in der Transitions- bzw. TransformationsforschungTransformationsforschung2 repräsentiert und wird bisher meist in einem Atemzug mit dem Bemühen um Nachhaltigkeit genannt (Arnold et al. 2015; Callorda Fossati und Fransolet 2021; David und Gross 2019; Pel et al. 2022; Wetzchewald 2023). Im Hinblick auf Fragen, wie Exnovation praktisch umgesetzt werden kann, sind noch etliche Lücken zu erkennen, die es zu schließen gilt (David 2015, S. 87ff; Graaf et al. 2021, S. 17; Wetzchewald 2023, S. 77 f.).
Der Gedanke, dass Exnovation ein kritischer Aspekt besonders für NachhaltigkeitNachhaltigkeitsthemen sein dürfte (Ablassen oder Ausschleichen von schädlichen Produkten und Praktiken), begründet gut die Forderungen nach mehr Forschung in diesem Gebiet. Die Relevanz hingegen begründet sich darin, dass verheißungsvolle Innovationen gar nicht den Effekt erreichen, den sie ursprünglich anzielen, oder dass sie hinter dem Potenzial zurückbleiben, das man damit verknüpft hatte. Dies sei beispielhaft anhand zweier Nachhaltigkeitsprinzipien dargestellt:
Vertiefung
Das EffizienzprinzipEffizienzprinzip beschreibt das Phänomen, dass eine Innovation, die auf Nachhaltigkeit abzielt, oft in der Praxis das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich erreicht werden sollte. Die unter der Begrifflichkeit »Jevons ParadoxonJevons Paradoxon« (Moreau et al. 2020) bekannte Logik funktioniert so: Für ein Produkt wird eine z. B. sparsamere, nachhaltigere, weniger Ressourcen verbrauchende Lösung gefunden. Diese verbreitet sich jedoch rasch und macht das Produkt besser massentauglich, so dass am Ende der Ressourcenverbrauch wieder gleich hoch ist. Dies war z. B. beim »Umstieg« von Kohlefadenlampen auf Glühlampen mit Wolfram-Glühfäden zu beobachten: Der geringere Energieverbrauch machte die neue Art der Beleuchtung für die breite Masse erschwinglich und nach der DiffusionsphaseDiffusionsphase hatte jeder Haushalt mehrere solcher »modernen« Lampen. Ergebnis: Der Energieverbrauch schoss nach oben. Dieses als Rebound-EffektRebound-Effekt bezeichnete Phänomen können wir heute bei unseren Elektrogeräten im Haushalt beobachten: Obwohl wir uns seit vielen Jahren um sparsamere Produkte mit einer guten Energieeffizienzklasse bemühen, steigt der Gesamtstromverbrauch weiter an. Das Muster ist stabil und gilt für spritsparende Autos, optimierte Heizungen und besser gedämmte Häuser gleichermaßen. Die Innovation sparsamerer Produkte führt am Ende zu einem höheren Ressourcenverbrauch. Der absolute Fußabdruck ist somit größer als vor der Innovation (Greening et al. 2000; Hertwich 2005).
Ein verwandtes Prinzip ist das Suffizienz-PrinzipSuffizienz-Prinzip, das jedoch stärker auf das Konsumverhalten der Zielgruppen abzielt. Anders als beim Effizienzprinzip wird nicht das gleiche Produkt, nur anders gestaltet, zur Verfügung gestellt. Stattdessen soll der Bedarf durch etwas anderes, weniger Ressourcenaufwändiges gedeckt werden. So wird z. B. im Suffizienz-Prinzip nicht für ein Verbrennerauto ein Wasserstoffauto vorgeschlagen, sondern andere Mobilitätskonzepte wie z. B. Carsharing. Diese Vorhaben können jedoch eine ähnliche Kehrseite aufweisen (vgl. oben Jevons Pardoxon): So wurden beispielsweise E-Scooter als nachhaltige und öffentlich nutzbare Alternative für das Auto in den städtischen Bereich eingeführt. Oftmals werden E-Scooter nun aber für Strecken genutzt, die vorher einfach zu Fuß zurückgelegt wurden (Moreau et al. 2020).
Exnovation als Weg aus der Zwickmühle?
Es scheint verzwickt: Bemühungen um RessourcenschonungRessourcen, Schonung führen zu erhöhtem Ressourcenverbrauch. Bevor wir uns der Exnovation im Detail widmen, ziehen wir den Themenfokus noch etwas größer. Viele Erkenntnisse, Forschungen und Überlegungen zur Exnovation sind stark mit dem Thema der NachhaltigkeitNachhaltigkeit verknüpft – die Exnovation ist quasi in der Nachhaltigkeitsdebatte »zu Hause«. Wie wir zeigen werden, ist die Logik der Exnovation jedoch übertragbar auf viele weitere Themen, Problembereiche, Organisationsformen, Gesellschaften und all ihre Subgruppen. Denn, wenn wir von begrenzten Ressourcen sprechen, sind damit neben (endlichen) Rohstoffen auch andere Ressourcen gemeint: Luft, Wasser, finanzielle Ressourcen, Platz, Energie, Zeit, Arbeitskraft, intellektuelles Kapital, sozialer Zusammenhalt, Infrastruktur, Stabilität und viele mehr in all ihren Ausprägungen.
Fast jede Innovation, die wir uns denken können, greift auf mehrere dieser Ressourcen zurück. Wäre es jetzt an der Zeit, damit geizig zu werden? Was könnte uns helfen, genauer abzuwägen, welche Innovationen wir würdig finden, verfolgt zu werden? Und konsequent den nächsten Schritt gedacht: Wie geben wir Ressourcen aus veralteten, nicht mehr dienlichen Praktiken frei, um für die Lösung anstehender Probleme Ressourcen bereitzustellen?
1 Dafür gäbe es neben der Innovation noch andere Möglichkeiten, die jedoch seltener genannt werden, z. B. die Renaissance oder Wiederentwicklung vergessener Erfindungen/Entdeckungen oder die Reformation von etwas Bestehenden (vgl. dazu auch Goldhammer 2018).
2 Die beiden Begriffe Transitionsforschung und Transformationsforschung entstammen ursprünglich verschiedenen Forschungszweigen: Transformationsforschung war eher von politischen Aspekten geprägt und befasste sich z. B. mit der Umwandlung von Regierungssystemen (z. B. Mauerfall in Deutschland) in oder Veränderungen in Regimes, während die Transitionsforschung sich mit wichtigen Rahmenbedingungen zur Veränderung hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft (z. B. durch das Kyoto-Protokoll) befasst. Im Rahmen der volatilen und herausfordernden gesellschaftlichen Entwicklungen in Abhängigkeit von Ressourcenkonflikten haben sich die Begriffe in den letzten Jahren aufeinander zubewegt und werden synonym und ohne spezifische Abgrenzung benutzt: »Both concepts provide nuanced perspectives on how to describe, interpret and support desirable radical and non-linear societal change« (Hölscher et al. 2018). Da sich die beiden Begriffe also nah sind und im deutschen Sprachgebrauch die »Transformation« gängiger ist, verwenden wir überwiegend diesen Begriff, um groß angelegte, chaotische und potenziell disruptive Veränderungen zu betiteln.
3 Für den Fall, dass all diese Beispiele sehr nach »Ökotümelei« und Jesuslatschen klingen, sei ein besonders knackiges Gegenbeispiel genannt: In der Punk-Szene, die oft nicht gerade für ihren zurückhaltenden Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen bekannt ist, hat sich seit den frühen 1980er-Jahren die Straight-Edge-Bewegung (auch Str8 Edge) herausgebildet. Ihre Anhängerinnen und Anhänger verzichten bewusst auf Alkohol, Nikotin, oft auch auf Koffein. Sie leben meist monogam und ernähren sich bewusst vegetarisch oder vegan. Wie passt das zu unserem Bild von Punk?
4 Hier fügt sich gut die Beobachtung ein, dass das Wort »Priorität« ursprünglich nur im Singular existierte. In den 1900er-Jahren wurden mehr und mehr Dinge immer wichtiger, was inzwischen zu so interessanten Phänomenen wie mehreren Prioritäten geführt hat, so dass es am Ende Prio A, B, C usw. gibt. Der Effekt ist klar: Sind zu viele Dinge »Prio«, ist am Ende gar nichts Prio (McKeown 2014, loc. 409).
»Lieber Freund, entschuldige meinen langen Brief, für einen kurzen hatte ich keine Zeit.«
(Dieses Zitat stammt wohl von Blaise Pascal aus dem Jahr 1656, obwohl das Zitat auch anderen Persönlichkeiten zugeschrieben wird.)
Die Frage nach dem »Warum« oder besser »Wozu« (»Start with whyStart with why«) ist nicht erst seit dem bekannten TED-Talk von Simon Sinek ins Bewusstsein getreten (Sinek 2014). Daneben gilt die Frage nach purpose als wirkmächtiges OrdnungsprinzipOrdnungsprinzip: Wozu macht man etwas? Mit welchem Ziel? Welcher Zweck soll erreicht werden?5
Die Fragen nach Grund, Ziel und Zweck sind verschiedene Angriffspunkte, aber sie zielen alle auf einen Aspekt: auf das Wesentliche, um das es uns geht, wenn wir denken und handeln. Diese Essenz ist der Prüfstein, an dem man Handlungen ausrichten kann und auch soll. Andernfalls sind die Handlungen maximal durch Zufall erfolgreich oder man erreicht einen Zustand, der eigentlich gar nicht erstrebenswert war. Wenn man nicht weiß, wohin man will, sind Handlungen beliebig, und wenn man nicht weiß, was erhaltenswert ist, ist unklar, was beendet werden muss.
Vergegenwärtigen wir uns diesen Punkt kurz an einem Beispiel: Wer eine Wanderung unternehmen möchte – besonders eine über längere Zeit (z. B. den Jakobsweg oder andere Fernwanderwege) –, überlegt sich sehr gut, was er oder sie an Gepäck mitschleppen möchte. Mit verschiedenen Strategien kann man das Gewicht reduzieren: Man kann Kleidungsstücke aus leichten Fasern mitnehmen oder Dinge einpacken, die mehrfachen Zwecken dienen. Eine weitere Idee ist, Dinge wegzulassen, die nicht essenziell sind. Die Zahnbürste einfach wegzulassen, ist z. B. eine schlechte Idee. Aber den Griff der Zahnbürste kann man getrost zu Hause lassen. Es gibt deswegen kurze Reisezahnbürsten – oder der Griff kann entfernt werden, so dass man nur noch mit dem Bürstenkopf unterwegs ist. Auch das Wasser in der Zahnpasta muss nicht unbedingt getragen werden: Zahnputztabletten sind die »leichtere« Lösung.
Wollte man das Prinzip der Exnovation zum Beispiel falsch verstanden umsetzen, würde man gar keine Zahnputzutensilien mitnehmen. Aber darum geht es nicht. Die Anwendung eines Prinzips ohne Blick auf das Ziel, den Einsatzkontext oder den intendierten Zweck ist sinnlos. Was hier für Exnovation dargestellt ist, gilt für Innovation gleichermaßen. Eine Innovation um ihrer selbst willen ist auf Dauer höchstens durch Zufall erfolgreich. Einfach nur neu zu sein, ist kein Gütekriterium.
Wir wollen festhalten, dass sich jede Entscheidung (das gilt für Innovationen gleichermaßen wie für Exnovationen) an übergeordneten strategischen Zielen orientieren muss, andernfalls »wird das Abschaffen zum Hasardspiel« (von den Eichen 2002).
5 Zur Vertiefung seien hier die Bücher von Fink und Moeller (2018, 2022) empfohlen.
Mit diesem Buch wollen wir Autorinnen der Exnovation als HandlungsprinzipExnovation, als Handlungsprinzip den Weg bereiten. Dazu gehört notwendigerweise, dass wir im ersten Schritt genauer erklären,
warum Exnovation überhaupt notwendig ist,
wo Exnovation schon geschieht,
wie der Prozess vonstattengehen kann,
mit welchen Schwierigkeiten Exnovationsbemühungen verbunden sind und
was uns erwartet, wenn wir Exnovation meistern.
Zum zweiten wollen wir den nächsten Schritt ermöglichen und die Exnovation als Handlungsmuster für alle Akteurinnen und Akteure aufbereiten. Dazu sollen Veränderungsprozesse, die oft mit Erneuerungsprozessen gleichgesetzt werden, genauer unter die Lupe genommen werden. Wie sich zeigen wird, ist Exnovation oft mehr oder minder deutlich schon in VeränderungsmodelleVeränderungsmodellen angelegt, es fehlt jedoch die explizite Benennung und Ausarbeitung eines Exnovationsmodells. Dies soll hiermit nachgeliefert werden, und zwar in einer Form, die es erlaubt, Exnovation beliebigen Veränderungsprozessen hinzuzufügen – sozusagen eine weitere Schicht auf das Geschehen zu legen und neben Förderung der Innovation auch die Begleitung der Exnovation zu adressieren. Denn – auch dies wird sich zeigen – je besser ein System darin ist, Innovationen den Weg zu bereiten und sich immer und immer wieder mit Neuem zu befassen, umso wichtiger wird es werden, gezielt zu exnovieren.
An praktischen Beispielen wollen wir schließlich zeigen, wie Exnovation aussehen kann. Dazu unternehmen wir einen Deep Dive sowohl in den kirchlichen Kontext – stellvertretend für eine Nichtregierungsorganisation – als auch in Unternehmen, um den Wirtschaftsbezug herzustellen.
Auch wenn die Begeisterung für Innovation am Anfang dieses Buches etwas ausgebremst wurde: Wir lieben Innovationen. Wir wollen, dass die passenden Innovationen unserer Gesellschaft, unserer Zeit, unserem Planeten und den nachfolgenden Generationen ein lebenswertes Dasein ermöglichen. Insofern wollen wir der Innovationsforschung und -literatur nichts wegnehmen, die Bemühungen und Forschungen nicht kleinreden oder sie gar abwerten. Im Gegenteil: Wir wollen zu ihrem Gelingen beitragen, indem wir etwas ergänzen.
Fragen zum Hineinfinden …
Was kann man alles unter Exnovation verstehen?
Wer hat sich damit schon beschäftigt?
Und warum?
Der Exnovationsbegriff ist unglaublich vielschichtig und man kann ihn schwer greifen, wenn man hinter die naheliegende erste Idee blickt, dass Exnovation wohl das Gegenteil von Innovation sein dürfte. Der sprachliche Ursprung des Wortes Exnovation scheint in seinen Komponenten schon gut darauf hinzudeuten, was man darunter verstehen kann: die Verdrängung des Neuen. Das lateinische Verb »novare« bedeutet nicht nur »erneuern«, »neu machen« oder »erfrischen«, sondern auch »verändern«, »aufreißen«, »verwandeln«, »brechen« oder »umstürzen« (»novo, novare (novus)«, Hau 1997, S. 668). Zusammen mit der Vorsilbe »ex« – im Deutschen »aus« oder »heraus« – ist in den 1970er-Jahren ein Begriff entstanden, der prägend für Diskussionen in großen Veränderungsprozessen sein sollte.
Exnovation als Fachterminus hat sich vermutlich durchgesetzt, weil sich das Wort intuitiv erschließen lässt und sowohl im Englischen (internationaler Diskurs) wie auch im Französischen gut funktioniert. Alternativen werden bisweilen noch genannt, beispielsweise die Begriffe »ExantiquationExantiquation« (Thomas 2019, S. 380), »OutnovationOutnovation« oder »ExvetationExvetation« (Heyen 2017, S. 327). Vermutlich hat sich auch aufgrund der Verbindung zur Innovation und der Abgrenzung davon aber schließlich der Begriff der Exnovation breiter durchgesetzt.
Definition Exnovation
Die »dienstälteste« Definition stammt aus dem Jahr 1981. Die Autoren beschreiben Exnovation als »the process whereby an organization decides to divest itself of an innovation that it had previously adopted« (Kimberly und Evanisko 1981, S. 710).
In der Forschungsliteratur wird an verschiedenen Stellen die ungeklärte, undifferenzierte und oft synonyme Verwendung der Begriffe und damit einhergehenden Konzepte konstatiert: »Not even a reasonably agreed terminology has emerged« (Stegmaier 2022, S. 78). Die interdisziplinäre Bearbeitung verschiedener verwandter Themen hat das Ihrige zur bunten Mischung der Begrifflichkeiten beigetragen.6 Jedoch besteht allgemeiner Konsens, dass sich Exnovation nicht alleine denken lässt, sondern immer in einem Spannungsverhältnis zur Innovation steht. Beginnen wir also im ersten Schritt mit einer Annäherung, indem wir zuerst Synonyme und Konnotationen zur Exnovation betrachten. Im zweiten Schritt betrachten wir Exnovation im Verhältnis zur Innovation. Hier werden wir sehen, dass Exnovation, dezidiert in Abhängigkeit zu Innovation betrachtet, wiederum noch weitere Metaphern und Umschreibungen hervorbringt.
6 Eine ordnende und konzentrierte Zusammenschau findet sich z. B. bei David (2015); Holbek und Knudsen (2020); Wetzchewald (2023).
Exnovationsbegriff, SynonymeFür den Grundgedanken der Exnovation können – je nach Kontext – verschiedene Begriffe identifiziert werden, die sich alle um den Inhaltskern des Beendens drehen. Nach Wetzchewald (2023, S. 72) gibt es folgende Zielobjekte für Exnovation, die dann jeweils auch die Breite der Begrifflichkeiten konstituiert: Produkte, Technologien, Politik, Praktiken, Institutionen und Infrastruktur. Im Kern liegen folgende Eigenschaften, die die Exnovation von anderen Abschaffungs-, Auflösungs- und Beendigungsprozessen abgrenzt:
»aktiv« (Antes et al. 2012, S. 37; David 2017, S. 138; Heyen 2017, S. 30)
»bewusst« (David 2017, S. 138)
»politisch intendiert« (Heyen 2017, S. 30) bzw. »absichtsvoll« (Schneidewind 2018, S. 144 f.)
Diese Aspekte spiegeln sich in den verwendeten Begriffen wider. Die Begrifflichkeiten hängen außerdem davon ab, wie schnell, wie radikal, wie intensiv die Exnovation ausfällt. Beginnen wir also mit einer Zusammenschau von Synonymen, Konnotationen und Umschreibungen für den Exnovationsbegriff (vgl. Tab. 1).
Begriffe
Synonyme, Konnotationen und Umschreibungen
Literatur
Phase-outPhase-out
Phase-out
Feltkamp und Dootalieva 2021, S. 4; Graaf et al. 2021; Hebinck et al. 2022, S. 1009; Hermwille 2017, S. 34 ff.; Heyen 2017; 2018b, S. 5; Holbek und Knudsen 2020, S. 1; Rogge und Johnstone 2017; Rosenbloom und Rinscheid 2020; Wetzchewald 2023, S. 71 f.
Kreative und schöpferische Zerstörung
Schöpferische ZerstörungSchöpferische Zerstörung
Schumpeter 1993, S. 136 ff.
Creative disruptionCreative disruption (kreative Zerstörung)
Kivimaa und Kern 2016
Destabilisierung
DestabilizationDestabilization
Rosenbloom und Rinscheid 2020
System destabilisation
Heyen 2018b, S. 5
Rückgang
DeclineDecline
Rosenbloom und Rinscheid 2020
Managed decline
Heyen 2018b, S. 5
Eliminierung
EliminationElimination
Abrahamson und Fairchild 1999; Holbek und Knudsen 2020, S. 1
Abbau/Rückbau
DismantelingDismantling
Bauer und Knill 2013; Stegmaier 2022, S. 87 ff.
Einstellung und Rückzug
DiscontinuationDiscontinuation (als Einstellung einer Technologie oder eines Produkts aus rechtlichen oder strategischen Gründen)
Hoffmann et al. 2017; Stegmaier et al. 2014; Zaltman et al. 1973
CessationCessation (als Einstellung von Produkten oder Dienstleistungen, um sich auf andere zu konzentrieren)
Carson et al. 2000
ExitstrategieExitstrategie
Fichter und Clausen 2018, S. 328 f.
Gerechte Veränderung
Just transitionJust transition (im Sinne der Berücksichtigung sozialer Folgen für Betroffene)
Heyen 2018b, S. 5
Aufgeben/Abbrechen/Beenden
TerminationTermination
Holbek und Knudsen 2020, S. 1
Management of termination (auch genauer spezifiziert im Hinblick auf »policy terminination« oder »governance termination« (vgl. dazu Stegmaier 2022, S. 85)
Albert 1984, S. 1
De(s)investition
Disinvestment
Holbek und Knudsen 2020, S. 4
Desinvestment (als Rückzug aus einem nicht mehr profitablen oder zukunftsfähigen Geschäftsfeld)
von den Eichen 2002
DivestmentDivestment (im Sinne eines aufgegebenen Investments)
David 2018, S. 519
Verlernen
UnlearningUnlearning/verlernen im Sinne von abandon/aufgeben
Alänge et al. 2007, S. 10 f.
Unlearning (als »Sonderfall des Verlernens«)
Holbek und Knudsen 2020, S. 1
Ablehnen
RejectionRejection
Abrahamson 1991; Zaltman et al. 1973
De-adoptionDe-adoption (Beenden eines Verhaltens)
Gnjidic und Elshaug 2015
Verschwinden/Verflüchtigen
DisappearanceDisappearance
Abrahamson 1991
Das Nicht-Nachhaltige aus der Welt schaffen
Fichter und Clausen 2018, S. 38
Sterben (lassen)/Töten
DemiseDemise
Carson et al. 2000
Tab. 1: Zusammenschau von Synonymen, Konnotationen und Umschreibungen für den ExnovationsbegriffExnovationsbegriff, Synonyme
Fragen zum Hineinfinden …
Was für Gründe gibt es, dass etwas verschwinden soll?
Wenn etwas verschwindet, kommt dann etwas Neues?
Und war das Neue schon da, bevor das Bestehende verschwunden ist?
War das Neue gar der Auslöser für das Verschwinden? Oder kam es erst danach?
In der wissenschaftlichen Diskussion kristallisiert sich langsam die Erkenntnis heraus, dass zum Anstoßen erwünschter Veränderungen ein alleiniger Fokus auf Innovation nicht ausreicht: Um Veränderungsziele zu erreichen, muss ein Zusammenspiel von Innovation und Exnovation erreicht werden, wobei sich Innovation und Exnovation in wechselseitiger Abhängigkeit synergetisch verstärken (Antes et al. 2012, S. 37; Fichter 2010; Frost und McHann 2015, S. 15; Graaf et al. 2021, S. 2; Heyen 2016, S. 5, 2017, S. 330; Heyen et al. 2017, S. 326; Jacob und Ekins 2020, S. 12 f.; Kristof 2021, S. 10; Kropp 2015, S. 13; Paech 2006b, S. 31; Schneidewind 2018, S. 145; Sveiby et al. 2012, S. 157).
Deshalb betrachten wir nachfolgend mögliche Beziehungen, die zwischen Exnovation und Innovation entstehen können. Der Zuschnitt der Beziehungen ist bisher nicht eindeutig und damit ebenfalls Gegenstand forschender Bemühungen (Wetzchewald 2023, S. 75). Um Diskussionsfähigkeit herzustellen, seien die gängigsten Zuordnungen genannt (s. Tab. 2-5). Wir beginnen in Tabelle 2 mit derjenigen, die die schwächste Kopplung zwischen Innovation und Exnovation aufweist.
Anmerkung zu Tabelle 2
Exnovation wird bei den genannten Metaphern und Umschreibungen als beabsichtigte Beseitigung (oder Abbau) von Praktiken, Produkten, Technologien und Infrastruktur verstanden, die einst als Innovation neu in ein System gekommen sind (Krüger und Pellicer-Sifres 2020, S. 117). Ob der Impuls zur Exnovation dabei von innen (also aus dem System heraus) kommt oder von außen gesetzt wird (bspw. politisch intendierte Prozesse des Ausschleichens, wie der FCKW-Ausstieg), ist offen – beides ist möglich.
EliminierungEliminierung: Exnovation als Entfernung einer (ehemaligen) Innovation
Literatur
Aktives Gestalten eines Ausstiegs
Wehnert 2017, S. 32
Loslösungsprozess vom »Alten« und kann »Neuem« (beispielsweise Innovationen) Platz schaffen
David 2015, S. 78
The processes of saying goodbye to earlier innovations (Prozess des Abschiednehmens von früheren Innovationen)
Pel et al. 2022, S. 75
Deliberate killing off of an innovation (absichtliches Töten von Innovationen)
Hartley und Knell 2022, S. 1
Killing innovation (Töten von Innovation)
Hartley 2005, S. 32
Dumping of obsolete activities (Loswerden von überflüssigen Aktivitäten)
Khandwalla 2006, S. 8
Hospizarbeit, indem die alte Technik zur letzten Ruhestätte geleitet wird
Jungjohann 2020, S. 7
Exnovation is the removal of innovations that do not currently improve organizational performance or do not fit well with current strategy, structures, culture, or incentives. (Exnovation ist die Entfernung von Innovationen, die die Leistungsfähigkeit der Organisation aktuell nicht verbessern oder nicht gut zur aktuellen Strategie, Strukturen, Kultur oder Anreizen passen.)
Rodriguez et al. 2016
The process whereby an organisation decides to divest itself of an innovation that it had previously adopted (der Prozess, durch den eine Organisation beschließt, sich von einer Innovation zu trennen, die sie zuvor angenommen hatte)
Kimberly und Evanisko 1981, S. 710
Exnovation als Substitut durch Innovation (Exnovation als erfolgreiche Ersetzung des Alten durch das Neue)
Jungjohann 2020, S. 5
Tab. 2: Eliminierung: Exnovation als Entfernung einer (ehemaligen) Innovation
Anmerkung zu Tabelle 3
Die genannten Beispiele gegensätzlicher Metaphern und die Gegenteiligkeit von Exnovation und Innovation darzustellen, dürfte jene Denkweise sein, die intuitiv am einfachsten zugänglich ist, die jedoch aufgrund der Unverbundenheit wenig Einsicht darüber gestattet, wie genau das Verhältnis der beiden Pole zueinander ist. Oft werden die beiden bildhaft aneinandergeknüpft (»Kopf und Schwanz« – »Medaille«), was zwar eindrücklich ist, jedoch eine präzisere Fassung auslässt.
Gegensätzlichkeit: Exnovation als Gegenteil von InnovationGegenteil von Innovation
Literatur
Other side of the coin (andere Seite der Medaille)
Antes et al. 2012, S. 37; Graaf et al. 2021; Hartley und Knell 2022, S. 7; Heyen 2018b, S. 26; Kivimaa und Kern 2016; Pel et al. 2022, S. 75; Wolff et al. 2018, S. 46
Heads and tail (Kopf und Schwanz)
Callorda Fossati und Fransolet 2021, S. 5
The other end (das andere Ende)
Holbek und Knudsen 2020, S. 2
The reverse side of innovation-oriented view of progress (die Kehrseite der innovationsorientierten Sicht auf den Fortschritt)
Gross und Mautz 2015, S. 4
Weitere Bilder dieser und ähnlicher Gegensätzlichkeiten gegenüber Innovation
Antes et al. 2012, S. 37; Graaf et al. 2021; Hartley und Knell 2022, S. 7; Heyen 2018b; Kivimaa und Kern 2016, S. 210; Moutaouakil 2022, S. 12; Pel et al. 2022, S. 75; Wolff et al. 2018, S. 46
Tab. 3: Gegensätzlichkeit: Exnovation als Gegenteil von Innovation
Anmerkung zu Tabelle 4
Bei Deutungen mit jeweils bildlicher Gegenüberstellung von Innovation und Exnovation steht die komplementäre Ergänzung im Vordergrund. Als Gegenpole, die zusammenspielen und dabei gegensätzlichen Logiken folgen, drängt sich ausgleichend das Bild eines ausbalancierenden Nullsummenspiels auf, bei dem Innovation als Expansion gedacht wird und ausgleichend Exnovation in Form eines Gegengewicht zum Austarieren eingesetzt wird (Paech 2006b, S. 30 ff.). Gerade in derzeitig vornehmlich innovativ geprägten Transformationsprozessen wird eine stärkere Integration von Exnovation vielfach als Ausgleich und »komplementärer Ansatz« beschrieben (Jacob und Ekins 2020, S. 14). Innovation und Exnovation können somit als gleichwertige Alternativen in der Gestaltung von Veränderungsprozessen gewertet werden (Gross und Mautz 2015; Paech 2005, S. 263).
DichotomieDichotomie: Exnovation als komplementäre Ergänzung zur Innovation
Literatur
Exnovation and innovation form a certain yin-yang of birth and death. (Exnovation und Innovation formen ein gewisses Yin & Yang aus Geburt und Tod.)
Pel et al. 2022, S. 76
Yin-yang
Callorda Fossati und Fransolet 2021, S. 5
Wechselverhältnis
Heyen 2018b, S. 25
Pendent zur Innovation
Heyen 2017, S. 30
Ersetzt nicht, sondern ergänzt
Heyen 2018b, S. 26
The lesser-known sibling of innovation (das weniger bekannte Geschwisterteil der Innovation)
Ziegler 2023, S. 7
Tab