Exzellenz - Doris Märtin - E-Book

Exzellenz E-Book

Doris Märtin

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Beschreibung

Zukunftskompetenz emotionale Intelligenz Der Einzug künstlicher Intelligenz in den Alltag eröffnet Menschen neue Freiräume für das, was sie einzigartig macht: emotionale Intelligenz und ethische Werte. Eloquent und unterhaltsam zeigt Doris Märtin, wie wir die 2020er Jahre zur Dekade unserer persönlichen Exzellenz machen. Es sind nur neun Kompetenzen, die uns über uns hinauswachsen lassen. Vorausgesetzt wir machen sie zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Lebens und Handelns. Auf Basis umfassender Studienergebnisse und lebensnaher Geschichten erfahren Mitarbeiter_innen und Manager_innen wie sie zu den brillanten Menschen werden, die unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen auf ein neues Niveau heben werden. Exzellenzkompetenz 1: Offenheit für den Aufbruch ins Ungewisse Exzellenzkompetenz 2: Selbstreflexion für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge Exzellenzkompetenz 3: Willenskraft für die nötige Ausdauer bis zum fernen Ziel Exzellenzkompetenz 4: Wohlbefinden für einen ausgeglichenen Energiehaushalt Exzellenzkompetenz 5: Souveränität, weil sich Exzellenz unter Druck am deutlichsten zeigt Exzellenzkompetenz 6: Empathie, um andere zu verstehen und zu überzeugen Exzellenzkompetenz 7: Agilität für starke Nerven in plötzlichen Veränderungen Exzellenzkompetenz 8: Resonanz, weil Innovation gemeinsam am besten geht Exzellenzkompetenz 9: Leadership für eine wertorientierte Gestaltung der Zukunft

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Doris Märtin

Exzellenz

Wissen Sie eigentlich, was in Ihnen steckt?

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Zukunftskompetenz emotionale IntelligenzDer Einzug künstlicher Intelligenz in den Alltag eröffnet Menschen neue Freiräume für das, was sie einzigartig macht: emotionale Intelligenz und ethische Werte. Eloquent und unterhaltsam zeigt Doris Märtin, wie wir die 2020er Jahre zur Dekade unserer persönlichen Exzellenz machen. Es sind nur neun Kompetenzen, die uns über uns hinauswachsen lassen. Vorausgesetzt wir machen sie zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Lebens und Handelns. Auf Basis umfassender Studienergebnisse und lebensnaher Geschichten erfahren Mitarbeiter_innen und Manager_innen wie sie zu den brillanten Menschen werden, die unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen auf ein neues Niveau heben werden. Exzellenzkompetenz 1: Offenheit für den Aufbruch ins UngewisseExzellenzkompetenz 2: Selbstreflexion für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge Exzellenzkompetenz 3: Willenskraft für die nötige Ausdauer bis zum fernen ZielExzellenzkompetenz 4: Wohlbefinden für einen ausgeglichenen EnergiehaushaltExzellenzkompetenz 5: Souveränität, weil sich Exzellenz unter Druck am deutlichsten zeigtExzellenzkompetenz 6: Empathie, um andere zu verstehen und zu überzeugenExzellenzkompetenz 7: Agilität für starke Nerven in plötzlichen VeränderungenExzellenzkompetenz 8: Resonanz, weil Innovation gemeinsam am besten gehtExzellenzkompetenz 9: Leadership für eine wertorientierte Gestaltung der Zukunft

Vita

Dr. phil. Doris Märtin begleitet Unternehmen und Persönlichkeiten auf ihr nächstes Level. Als Beraterin, Autorin und Coach gibt sie Orientierung für neue Horizonte in einer Welt des Wandels. Wenn es um die Themen Habitus und Exzellenz geht, zählt sie zu den bekanntesten Expertinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und haben unter anderem in Stern, Focus, Hamburger Abendblatt und bei Deutschlandfunk Kultur Beachtung gefunden.

Inhalt

Kapitel 1Exzellenz ist ein Lebensstil — Warum sich jeder von uns selbst übertreffen kann

Wie die VUKA-Welt die Psyche fordert

Alles zurück auf Los

Wie Corona die Digitalisierung pusht

Wenn Mitarbeiter zu Mitdenkern werden

Künstliche Intelligenz braucht emotionale Exzellenz

Zu perfekt, zu starr, zu Ingenieur

Ohne Ideen ist alles nichts

Jenseits von Mittelmaß

Warum Exzellenz plötzlich zum Thema für viele wird

Wie macht man das, Exzellenz?

Kapitel 2 Offenheit — Weil die Lust auf Neues Superkräfte freisetzt

OK, Boomer

Sorry, you too, zoomer

Offenheit: Eine mentale Aufgabe, die es in sich hat

Der unwiderstehliche Reiz des Weiter-so

Das Gehirn auf Wachstum einstellen

Gorillas in unserer Mitte

Warum Exzellenz ohne Neugier nicht geht

Serendipity: Vom Suchen und Finden des Neuen

Vom Highway- in den Safari-Modus

Das Geheimnis der Super-Encounterer

Exzellenz-Briefing: 7 Impulse für einen offenen Geist

Kapitel 3Selbstreflexion — Denn nur Sie kennen Ihre Wünsche und Werte

Selberdenker kommen weiter

Was der Blick von oben bringt

Cabin or Cockpit?

Wie denke ich nach, und wenn ja, worüber?

Notieren, Schreiben, Journaling

Exzellenz liegt in der Lücke zwischen Reiz und Reaktion

Wer will ich sein?

Exzellenz-Briefing: 7 Ideen für den objektiven Blick

Kapitel 4Willenskraft — Weil Exzellenz selten glamourös anfängt

Fleiß: Die unterschätzte Kraft

Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt

Warum Begeisterung nicht reicht

Gewissenhaftigkeit, reloaded

Die Macht der Gewohnheiten

Prioritäten priorisieren

Exzellenz muss reifen

Exzellenz-Briefing: 7 Anregungen, wie Sie Ihr Bestes geben

Kapitel 5Wohlbefinden — Weil Exzellenz am besten in Bestform geht

Megatrend Gesundheit

Digital, global, multi-optional: Die Beschleunigung des Lebens

Warum das Smartphone so unwiderstehlich wie Schokoladeneis ist

Reif für die Insel

Der Mensch regeneriert im Schlaf

Schlafen wie die Profis

Achtsamkeit ist das neue Stressmanagement

Exzellenz-Briefing: 7 Gewohnheiten für mehr Leistungskraft

Kapitel 6Souveränität — Weil sich Exzellenz unter Druck am deutlichsten zeigt

Das Spektrum der Emotionen

Aufdringliche Emotionen regulieren

Die Lehre von der Gelassenheit

Stoizismus ist das neue Cool

Auf alles vorbereitet

Gefühle brauchen Raum, aber nicht das Penthouse

Exzellenz-Briefing: 7 Strategien für den positiven Umgang mit negativen Gefühlen

Kapitel 7 Empathie — Weil Menschenversteher die Welt mit offenen Augen sehen

Die drei Facetten von Empathie

Warum uns die Empathie gerade abhanden kommt …

Empathie und Fantasie: So gehören sie zusammen

Wie Empathie zum Innovations- und Wachstumstreiber wird

Menschen sind keine offenen Bücher

Empathie gehört zum Geschäft

Die Schattenseite von Empathie

Exzellenz-Briefing: 7 Anregungen für empathisches Handeln

Kapitel 8Agilität — Weil nur geistige Beweglichkeit mehr bewirkt als große Pläne

Warum ein agiles Mindset jede noch so agile Methode schlägt

Das haben wir noch nie so gemacht? Von wegen!

It’s the outcome, not the output

Einfach mal sagen: Ich weiß es nicht!

Was am Ende zählt

Agil ist nichts für Feiglinge

Das Denken der anderen

Exzellenz-Briefing: 7 Möglichkeiten, agiler zu planen

Kapitel 9Resonanz — Weil Innovation ein beflügelndes Umfeld braucht

Resonanz: Die Kräfte potenzieren

Warum Egozentrik von gestern ist

Resonanz kann man nicht allein

Bestärkt, bereichert und beflügelt

Warum Umgänglichkeit alle anderen Qualifikationen toppt

Miteinander schwingen

Vom »Ja, aber …« zum »Ja, und …«

Exzellenz-Briefing: 7 Versuche, Ideen zum Klingen zu bringen

Kapitel 10 Leadership — Weil wahre Exzellenz über die eigene Person hinausweist

Leadership ist eine Haltung, kein Jobtitel

Hinter dem Horizont geht’s weiter

Sechs Maßstäbe für exzellente Leadership

Das edle Anliegen

Vertrauen fußt auf Konsistenz

Wie Wunschdenken zum Gamechanger wird

Die Sprache der Leadership

Thought-Leadership: Die Meinung prägen

Exzellenz-Briefing: 7 Skills in Richtung Leadership-Exzellenz

Von der Erfüllung, das Beste zu geben

Literatur

Anmerkungen

Exzellenz ist ein Lebensstil

Offenheit

Selbstreflexion

Willenskraft

Wohlbefinden

Souveränität

Empathie

Agilität

Resonanz

Leadership

Von der Erfüllung, das Beste zu geben

Kapitel 1Exzellenz ist ein Lebensstil

Warum sich jeder von uns selbst übertreffen kann

They weren’t striving for perfect, but managed somehow to be always excellent.

Michelle Obama

Exzellenz. Ein großes Wort. Ich denke bewundernd an Bill Gates, Anne-Sophie Mutter, Barack und Michelle Obama, Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg, Greta Thunberg oder die erst 34-jährige Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz – Ausnahmepersönlichkeiten, die Großes leisten und für Millionen von Menschen ein Vorbild sind. Sehr wahrscheinlich haben Sie andere Namen im Kopf. Vielleicht denken Sie an Nobelpreisträger, Elitesportler, Jahrhundertpolitiker, Kultstars, an eine mittelständische Spitzenunternehmerin in Ihrer Region oder Menschen, deren humanitäres Engagement Sie beeindruckt. Eines allerdings ist ziemlich sicher: Ihr eigener Name ist auf Ihrer mentalen Liste nicht dabei.

Die wenigsten Menschen bringen den Begriff Exzellenz mit sich selbst in Verbindung, nicht einmal insgeheim. Man bemüht sich um ein gelingendes Leben, das ja. Aber Exzellenz? Dieser Anspruch erscheint einem als sehr beliebter Lehrer, als durchaus geschätzte Ärztin, als händeringend gesuchter Bauunternehmer, erfahrene IT-Spezialistin, viel gelesene Autorin oder innovativ denkender Scrum-Master dann doch zu verstiegen.

Wie die VUKA-Welt die Psyche fordert

Überall auf der Welt verändern die Megatrends Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel die Gesellschaft, die Wirtschaft und damit auch uns. Unsere Welt wird VUKA und das bedeutet: volatil, ungewiss, komplex und ambivalent. Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch hohe Schwankungsbreiten nach oben und unten, schwer abschätzbare Wahrscheinlichkeiten, unübersichtliche Zusammenhänge und widersprüchliche Sachverhalte. Bereits vor der Corona-Pandemie zeichnete sich ab: Mit einer Vehemenz, die alle Lebensbereiche erfasst, stößt das vertraute Leben an Grenzen. Über Jahrzehnte geltende Werte, Abläufe und Wissensschätze verlieren an Gültigkeit. Allenthalben entstehen neue Perspektiven und Möglichkeiten. Das Leben wird immer weiter technologisiert. Zunehmend leistungsfähige Computer machen realisierbar, was vor kurzem noch utopisch schien.

Noch liegt im Nebulösen, welche Veränderungen die Megatrends mit sich bringen. Eines allerdings ist so sicher wie Quantenkryptografie: Die vierte und größte Transformation der Industriegeschichte wird die Spielregeln des Lebens verändern. Die Extrameile von heute wird der Standard von morgen sein. Der Keynote-Speaker Hermann Scherer hat den Satz geprägt. Er beleuchtet schlaglichtartig:

Die Vergangenheit liefert nicht mehr die Maßstäbe für die Zukunft.

Dafür wechseln die Rahmenbedingungen zu schnell, lassen sich Konsequenzen zu schlecht abschätzen, wissen wir zu wenig, was uns hinter der nächsten Biegung erwartet. Traditionelle Denk- und Handlungsweisen wie steile Hierarchien, Effizienzoptimierung oder standardisierte Kundenlösungen haben ihre große Zeit hinter sich. Für uns alle bedeutet das: Wir müssen uns auf neue und teilweise fundamental veränderte Verhältnisse einstellen, uns anpassen, wandeln und übertreffen. Je mehr uns die künstliche Intelligenz abnimmt, desto mehr müssen und können wir unsere ureigenen menschlichen Fähigkeiten ins Spiel bringen: unsere Gefühle, unser Sozialverhalten, unser ethisches Urteilsvermögen, das Miteinander. Mehr Menschen auf allen Ebenen brauchen mehr von dem, was wir bisher nur wenigen Auserwählten zuerkannten: persönliche Exzellenz.

Alles zurück auf Los

Februar 2020. Bis hierher und gut 50 Seiten weiter hatte ich dieses Buch im Rohtext geschrieben. Es sollte davon handeln, welche emotionalen Kompetenzen uns befähigen, mit der digitalen Transformation auch persönlich zur Höchstform aufzulaufen. Ich wollte Sie davon überzeugen, dass die Digitalisierung uns unendliche Chancen eröffnet, sofern wir die Entschlossenheit aufbringen, unsere eigene Exzellenz zu entfalten. Denn es war abzusehen: Die künstliche Intelligenz würde nicht nur unsere menschliche Intelligenz in neuer Weise fordern. Die anstehenden Veränderungen würden uns auch faszinierende Möglichkeiten zuspielen. Sie würden uns die Freiräume auftun, über bisherige Perspektiven hinauszuwachsen und neue Ideen und Pläne für das eigene Leben zu entwickeln.

Dann kam Covid-19. Wir saßen in Meetings, im Flieger, im Zug, schlängelten uns am Skilift vor, die Jecken waren los. Gefühlt einen Atemzug später stand unsere Welt Kopf. Kein noch so groß angelegtes Change-Management-Programm hätte Vergleichbares bewirken können. Ein paar Tage vergehen, in denen ich tue, was die meisten tun: Kühlschrank füllen, Vorräte einfrieren, Seminartermine verschieben, Auftragsausfälle weglächeln, möglichst viel Frischluft tanken. Es liegt in der Luft: Lange währt die gewohnte Freiheit nicht mehr.

Während das öffentliche Leben herunterfährt und der Graph mit den Fallzahlen nach oben schießt, sehe ich meinen Buchentwurf mit neuen Augen. Besitzt das, was ich schreibe, inmitten von alldem überhaupt noch Relevanz? Ich kann es nicht sagen. Noch sehe ich nicht ab, ob das, was ich gerade erlebe, eine Zeitenwende einleiten wird. Trotzdem kann ich nicht fortfahren, als gäbe es keine Pandemie. Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, was Covid-19 mit uns machen wird. Gesundheitlich. Wirtschaftlich. Als Solidargemeinschaft. Ich kann allenfalls ahnen, welche Themen und Fragen Sie beschäftigen werden, wenn Sie dieses Buch lesen. Nur eine Größe steht so unverrückbar fest wie vor der Virusplage: der Tag, an dem das Manuskript in Druck geht, damit es pünktlich zur Leipziger Buchmesse erscheinen kann. Von der im Lockdown-Frühjahr auch noch niemand weiß, ob sie stattfinden wird. Wie ich es auch drehe und wende:

Irgendwie muss ich es hinbekommen, ins Blaue zu schreiben und am Ende ins Schwarze zu treffen.

Eine andere Strategie sehe ich nicht. Trotzdem fühlt sich mein Plan wie Kaffeesatzleserei an. Nie vorher habe ich ein Buch für eine so uneindeutige Zukunft geschrieben. Kann ich das? Ist das machbar? Kann ein solches Unterfangen überhaupt auf seriöse Art gelingen? »Prophezeiungen sollte man nur vorsichtig aussprechen«, lese ich bei Umberto Eco, »denn die Zukunft kann sich schnell ändern. Es braucht nur in sechs Monaten ein Meteorit ins Mittelmeer zu fallen, und Ligurien würde zu einem Unterwasserparadies, während sich Basel in den schönsten Strand der Schweiz verwandelt.«

Andererseits: Geht es nicht genau darum? Bedeutet Exzellenz heute nicht vor allem das: Entscheiden trotz hoher Unsicherheit? Agil auf Veränderungen reagieren? Souverän handeln, auch wenn die Informationen unvollständig sind und das Umfeld sich dauernd verändert? Lehrt uns die Corona-Krise nicht gerade im Zeitraffer, wie VUKA geht: Nicht-Wissen zugeben, Lösungen mutig erarbeiten, hochdynamisch, auf Zuruf, jederzeit bereit, Projekte noch einmal neu zu denken, um neue Entwicklungen zu integrieren?

Wie Corona die Digitalisierung pusht

Eines immerhin zeichnet sich schon im ersten Lockdown mit großer Eindeutigkeit ab: Binnen Tagen erlebt die Digitalisierung einen Extremschub. Jede*r Zweite arbeitet von zu Hause aus. Teams organisieren sich remote und mit Tools, die soeben noch im Pilotstadium waren, sich aber nun als erfolgskritisch erweisen. Niemand, der in einem nicht systemrelevanten Beruf arbeitet, reist, fliegt, pendelt mehr. Lernen findet online statt. Konzerte, Lesungen und Kunst gibt es nur noch als Stream, dafür aber direkt im Wohnzimmer und völlig umsonst. Die seltenen Besuche im Supermarkt und beim Arzt zeigen uns, wie unersetzbar der Dienst am Menschen ist.

Zugleich erleben wir live: Die Errungenschaften des digitalen Zeitalters gleichen vieles von dem aus, was nicht mehr läuft wie gewohnt. Soeben haben wir noch besorgt die Gefahren der Digitalisierung diskutiert, vom Datenschutz bis zur Spaltung der Gesellschaft in Onliner und Nonliner. Nun holen wir zu Hause am Esstisch aus den digitalen Möglichkeiten heraus, was geht. Ohne Vorbereitung, ohne Anleitung und oft ohne Gigabit-Anschluss. Wie im Schleudersitz, so scheint es mir, beschleunigt Covid-19 die Veränderung der Arbeitswelt. Wozu ich mit diesem Buch beitragen wollte, erledigt ein kleines Virus im ganz großen Stil:

Wie Aerosole lösen sich die digitalen Berührungsängste auf, die ein paar Wochen zuvor noch als schwer abzubauendes Hemmnis galten.

Schon wenige Tage nach dem Lockdown wirken soeben noch gültige Einschätzungen wie aus der Welt gefallen: »Digitalisierung bietet Möglichkeiten für alle. Allerdings müssen alle vorbereitet und mitgenommen werden.«1 Dank Corona haben wir solche Bedenken abgeworfen wie die SpaceX Falcon-9 ihre Raketenstufen. Der Pandemieausbruch lehrte uns: Nur wenn wir für neue Abläufe, digitale Technologien, veränderte Werte und Verhaltensweisen offen sind, können wir das private und berufliche Leben zusammenhalten. Wenn wir Covid-19 eines Tages losgeworden sind, muss niemand mehr behutsam vom Nutzen der Digitalisierung überzeugt werden. Dafür hat sie uns im Notstand zu erfolgreich die Haut gerettet.

Wenn Mitarbeiter zu Mitdenkern werden

Bis vor ziemlich kurzer Zeit erforderte es nicht viel, ein guter Mitarbeiter zu sein. Man erlernte einen Beruf, übte ihn bis zum Ruhestand aus, erfüllte bestmöglich die Vorgaben, arbeitete sich die Karriereleiter hoch, bildete sich weiter, eckte nicht an und akzeptierte, dass acht Stunden Arbeit nicht immer genügten, um zu erledigen, was anstand. Wer mit überraschenden Ideen kam, Veränderung einforderte, Gewissheiten infrage stellte, galt eher als querulant denn als kreativ. Disruptiv klang verdächtig ähnlich wie destruktiv, und bei dem Wort agil dachten wir eher an wendige Verkäufertypen als an hochqualifizierte Persönlichkeiten, die in eigener Verantwortung Visionen entwickeln und verwirklichen.

Die vierte industrielle Revolution macht Schluss mit allem, was ganze Generationen so und nicht anders kannten. Der Wandel von analog zu digital stellt tief eingegrabene Denk- und Handlungsmuster auf den Kopf. IT und KI durchdringen alle Arbeitsprozesse und Lebensbereiche. Die Digitalisierung verändert die Geschäftsmodelle, die Kundenerwartungen, das urbane Leben, die Medizin, ja selbst die Art, wie wir kommunizieren, lernen, leben und uns unterhalten. Ob im Weltkonzern oder KMU, ob im beruflichen oder privaten Umfeld: »Business as usual« funktioniert immer seltener, und wenn ich nicht gerade mit der Datenschutzgrundverordnung, Mental Overload oder dem ewig lahmen Internet kämpfe, dann finde ich: zum Glück. Wenn es gut läuft, eröffnet das Leben in der VUKA-Welt nämlich nicht nur Gründern, Unternehmern und der obersten Leitungsebene spannende Chancen. Die Corona-Krise zeigt uns: Auch Mittelmanager, Mitarbeiter und Soloselbstständige können ihre Kreativität auf einem neuen Niveau einbringen und entfalten.

Denn VUKA beantwortet man am besten mit VUKA.

Die Idee stammt von dem Harvard-Business-School-Professor Bill George. Er hat die vier Buchstaben des VUKA-Akronyms mit neuen Begriffen belegt. Nach seiner Auffassung begegnet man den Anforderungen unserer volatilen, unsicheren, komplexen, ambivalenten Welt am erfolgreichsten mit Vision, Umsicht, Kühnheit und Anpassungsfähigkeit. Gefragt sind also eine klare Vorstellung, was man erreichen will, ein tiefes Verständnis der einzelnen Einflussfaktoren, der Mut, auch bei noch unvollständiger Faktenlage zu entscheiden, und die Agilität, produktiv mit überraschenden Entwicklungen umzugehen.

Der Pforzheimer Professor für Neue Medien Wolfgang Henseler bringt in knappest möglicher Form auf den Punkt, welche Möglichkeiten sich Menschen auf allen Ebenen eröffnen: »Der Mitarbeiter wird zum Mitdenker.« Schon ein banales Diensthandy verbunden mit agilem Denken verändert die Arbeitsabläufe und Kundenerlebnisse.

Beispiel

Seit ein paar Monaten habe ich einen neuen Elektriker. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern versteht er mehr als sein Handwerk. Natürlich zieht er Elektroleitungen ein und schließt Steckdosen an. Aber zugleich bestimmt er auch seine Arbeitsabläufe selbst. Für mich als Kundin bedeutet das: Flehte ich früher morgens vor sieben beim Chef um einen Termin, kommuniziere ich jetzt per WhatsApp mit dem Mitarbeiter, wir regeln direkt, was wann erledigt wird, und sollte es trotzdem später werden als geplant, kann ich sicher sein: Zumindest bekomme ich beizeiten eine Nachricht aufs iPhone.

Natürlich gibt es aufregendere Geschichten, wie neue Technologien die Welt verändern. Doch wenn ein Smartphone genügt, um über Generationen hinweg tradierte Gepflogenheiten im Handwerk aufzubrechen, dann gibt es keinen Zweifel mehr: Die Veränderungswelle geht uns alle an, nicht nur Wissenschaftler, IT-Leute, Start-ups und Technologiekonzerne. Sie hat das Zeug, unseren Arbeits- und Lebensstil zu revolutionieren.

Die Möglichkeiten sind da. Die Frage ist nur, was wir daraus machen. Jagt die Transformation uns Angst ein, zwingt sie uns nieder? Beäugen wir sie aus sicherer Entfernung? Oder surfen wir gekonnt und begeistert auf dem Wellenkamm? Die Corona-Krise offenbart: Wer irgendwie kann, springt auf die Welle auf. Ohne Traute geht das nicht: Das Reiten auf der Riesenwelle erfordert andere Fähigkeiten als das Paddeln im Badesee mit wohliger Wassertemperatur und Kopfsprung-verboten-Schild. Welche das sind, hat das Forschungsinstitut der Unternehmensberatung Capgemini in einer augenöffnenden Studie herausgefunden.

Künstliche Intelligenz braucht emotionale Exzellenz

Für die Studie wurden über 2 000 Mitarbeiter und Manager in elf Ländern und sechs Branchen befragt. Herausgekommen ist eine Erkenntnis, die ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte. Drei Viertel der befragten Manager und über die Hälfte der teilnehmenden Mitarbeiter nennen als wichtigste Erfolgseigenschaft im digitalen Zeitalter unsere menschlichen Qualitäten: Beziehungskompetenz, Empathie, Ethik, Selbstregulation, Kommunikation, Resilienz.2 Die größte Relevanz wird also den persönlichen, menschlichen Fähigkeiten zugeschrieben, die über alle Branchen und Funktionen hinweg anwendbar sind.

Kann das tatsächlich sein? Täglich schießen neue technologische Lösungen aus dem Boden. Big Data stellen auch noch so großes menschliches Wissen in den Schatten. Bei Zalando erstellt eine KI Outfit-Vorschläge, die regelmäßig besser ankommen als die ausgefalleneren Vorschläge menschlicher Stylisten. Ausgerechnet vor diesem Hintergrund soll die emotionale Intelligenz mehr zählen als das digitale Know-how? Im Moment sieht alles danach aus. Die Erhebungen bei Capgemini ergeben:

Die Nachfrage nach Mitarbeitern mit hoher emotionaler Intelligenz wird in den nächsten fünf Jahren um das Sechsfache steigen.3

In allen Branchen und Ländern gilt: Je gewandter Menschen mit Menschen umgehen, je mehr sie sich neuen Erfahrungen öffnen, je besser sie ethische Grauzonen ausleuchten, je empathischer sie zwischen unterschiedlichen Charakteren und gleichermaßen wünschenswerten Interessenlagen vermitteln können, desto schwerer sind sie durch Maschinen zu ersetzen, egal, wie intelligent diese sein mögen. Desto erfolgreicher nehmen sie es mit den Umwälzungen der Digital-Ära und Nach-Corona-Zeit auf. Unsere emotionale Intelligenz hilft uns, unser privates und berufliches Leben zu managen, bessere Entscheidungen zu treffen, unsere Beziehungen zu anderen Menschen auf hohem Niveau zu steuern, Produkte und Services aus Nutzersicht zu denken, agil auf Veränderungen zu reagieren oder KIs so zu trainieren, dass eine Bildersuche nie mehr eine nicht-weiße Person als Gorilla kategorisiert oder ein Bewerbungsroboter Frauen oder ethnische Minderheiten herausfiltert.

Allerdings braucht unsere emotionale Intelligenz dafür ein Upgrade. In meinem ersten Buch EQ bin ich schon einmal der Frage nachgegangen, welche Rolle der emotionale Quotient in unserem Leben spielt.4 Damals, kurz vor der Jahrtausendwende, wurde die emotionale Intelligenz hauptsächlich im Zusammenhang mit dem privaten Alltag betrachtet. Sie galt als Faktor, der bei Kindern den Lernerfolg steigert. Erwachsene sollte das Wissen um die eigenen Gefühle befähigen, Emotionen besser zu steuern und sich in Menschen hineinzuversetzen. Im Geschäftsleben hingegen blieb weiter der IQ das Maß der Dinge. So erlebte es auch Microsoft-Gründer Bill Gates: »Ich dachte, wenn jemand einen hohen IQ hat, kann er in allem gut sein«, erinnert er sich an sein dreißig Jahre jüngeres Ich. »Diese Vorstellung, dass es nur diese eine simple Art von Schlauheit gibt, die alles lösen kann – ich wollte, ich hätte es besser gewusst.«5

Nachfolgende Generationen starteten aufgeklärter ins Berufsleben: Im Lauf der Jahre werteten die Curricula der Hochschulen und Weiterbildungsabteilungen der Unternehmen die weichen Fähigkeiten zu Schlüsselkompetenzen auf. Entsprechende Trainings wandten sich allerdings bevorzugt an Führungskräfte und Hoffnungsträger. Erst jetzt, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, wird emotionale Intelligenz als Must-have für alle erkannt.6

Dahinter steht die Erkenntnis: Automatisierung und Digitalisierung nehmen uns zwar zunehmend mehr Arbeit ab. Ersetzt werden aber vor allem wiederkehrende, standardisierbare Tätigkeiten. Für uns Menschen bleibt die Kür: Aufgaben, die sich nicht so leicht digitalisieren lassen. Was wir von jetzt an Arbeit nennen sollten, erläutert der Journalist und Autor Wolf Lotter im Wirtschaftsmagazins brand eins:

»Das Innovative und Originelle, das Problemlösen, Nachdenken und Verbessern.«7

Das klingt nach einer schöneren Welt. Unsere Chance auf mehr Wachstum und Entfaltung können wir aber nur ergreifen, wenn wir alle, von der Topmanagerin bis zum Auszubildenden, ein Niveau an emotionaler Intelligenz entwickeln, das bisher nur von Leadern erwartet wurde: persönliche Exzellenz.

Noch muss diese Erkenntnis bei uns allerdings reifen. Andere Länder sind darin schon erheblich weiter. In Indien, China und den USA sehen fast alle befragten Manager und drei Viertel der Mitarbeiter eine hohe emotionale Intelligenz und die tägliche persönliche Weiterentwicklung als Grundvoraussetzung für digitalen Erfolg. Von den deutschen Managern teilen diese Einschätzung nur 53 Prozent, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sogar nur 44 Prozent.8 Von allen elf untersuchten Ländern liegt Deutschland damit auf dem letzten Platz. Wie kann das sein?

Zu perfekt, zu starr, zu Ingenieur

Die Tageszeitung Die Welt sagt es in aller Deutlichkeit: Unser Problem ist der deutsche Ingenieur. Ein ganzes Jahrhundert lang war er eine Kultfigur, »ein für sich selbst stehendes Versprechen von Perfektion und Technologieführerschaft.«9 Deutsche Ingenieursdenke konstruierte die ersten Verbrennungsmotoren, baute das erste Telefon, das erste Auto, das erste Gleitflugzeug. Deutschland meisterte technische Herausforderungen, indem man Schwierigkeiten auf den Grund ging und fachlich nichts dem Zufall überließ. Gründlichkeit, Sachlichkeit und ein extrem hohes Streben nach Planung und Perfektion machten uns zu Exportweltmeistern und die Marke »Made in Germany« zum Versprechen höchster Qualität. Das dafür benötigte Mindset wurde per Standards und ISO-Normen in alle Ebenen der Unternehmen transportiert. Auch das Studium ist vielfach von Qualitätssicherung, Vergleichbarkeit und traditionellen ökonomischen Ansätzen getrieben. Im Hamsterrad von Teilmodulen und Credit Points wird effektives Punktesammeln bis heute mehr belohnt als der Blick über den Horizont.

Doch die alten Erfolgsrezepte haben ihre große Zeit hinter sich. Unsicherheit vermeiden, Kosten einsparen, Technik maximal ausreizen, nach Kaufprämien rufen, bloß keine Fehler zugeben – noch ist dieses Denken in vielen Köpfen verankert. Die Wirtschaftsjournalistin Lea Hampel benennt präzise, warum es inzwischen mehr schadet als nützt: »Im Geschäft der Zukunft geht es um Daten, Kundenorientierung, Nachhaltigkeit und vor allem: dauernde Veränderung. Für all das ist in der deutschen Haltung zu Arbeit und Wirtschaft wenig Raum.«10

In den amerikanischen, chinesischen und indischen Tech-Hochburgen etabliert sich einstweilen eine Kultur, die sich von unserer unterscheidet wie die Stadtbilder von Wuhan und Wuppertal. Verwegenes Denken treibt den Wandel voran. Die erfolgreichsten Innovationsansätze polarisieren und sprengen unsere Vorstellungen von Seriosität und Machbarkeit. Airbnb ist ein typisches Beispiel dafür. In nur zehn Jahren hat sich die Reiseplattform vom Start-up zum Musterbeispiel für kulturverändernden Megaerfolg entwickelt. 2019 checkten alle halbe Sekunde drei Gäste in von Airbnb angebotene Unterkünfte ein, und es deutet sich an: Das Unternehmen wird auch gut durch Corona kommen.11 Für die digitalen Abläufe sorgen über tausend Programmierer – Experten für Algorithmen, Daten, Maschinelles Lernen, Virtual Reality, künstliche Intelligenz.12 Doch die Magie von Airbnb rührt nicht aus überlegener Technologie. Sie wird durch ein Denken hervorgebracht, das in geradezu irrwitziger Weise auf Exzellenz ausgelegt ist.

Beispiel

»Wenn Sie etwas Virales entwickeln wollen, müssen Sie eine Erfahrung kreiern, die Ihren Kunden das Hirn wegbläst«, lautet das Credo von Airbnb-CEO Brian Chesky. Unter diesem Gesichtspunkt nahm Airbnb sich das Einchecken in einer Unterkunft vor. Bei einer 5-Sterne-Erfahrung begrüßt der Gastgeber den Gast persönlich. Das ist nett, aber nicht prickelnd. Was wäre also eine 6-Sterne-Erfahrung? Der Gastgeber öffnet dem Gast die Tür, auf dem Tisch stehen Wein, Wasser, Süßigkeiten. Schon besser. Sieben Sterne: Der Gastgeber weiß, dass der Gast mit Leidenschaft surft. Er überlässt ihm sein Board, bucht ihm einen Privatlehrer, reserviert einen Tisch im angesagtesten Restaurant. Das Team dreht das Rad weiter. Acht Sterne. Neun. Zehn. Dann kommt’s: Was wäre eine 11-Sterne-Erfahrung? Der Gastgeber erwartet den Gast am Flughafen, neben sich Elon Musk, und der Gast erhält das Angebot: »Wir fliegen dich in den Weltraum.«

Wenn Sie sich jetzt fragen, was die Gedankenspiele bei Airbnb mit Digitalisierung zu tun haben, könnte das andeuten: Sie sitzen dem verbreiteten Missverständnis auf, Digitalisierung gehe vor allem IT-Abteilungen und Computerleute etwas an. Der Gedanke liegt nahe. Schließlich bedeutet das englische Wort digit Ziffer, und die digitale Transformation fußt auf hochtechnologischen Tools. Entsprechend technisch wird Digitalisierung in Deutschland verstanden.13 Man baut eine App, führt ein Social Intranet ein, die IT-Abteilung wird optimiert, und jeder bekommt ein Tablet. Die technischen Errungenschaften allein sind aber nur das Mittel zum Zweck. Entscheidend ist, zu welchen Höhenflügen uns die Technik inspiriert.

Wenn Brian Chesky erklärt, wie man die Grenzen des Machbaren ausreizt, spielt Technologie dabei nur die Mittlerrolle: »Wenn du immer verrücktere Ideen spinnst, gibt es einen idealen Punkt zwischen ›Der Gastgeber hat mir die Tür geöffnet‹ und dem Angebot, ins All zu fliegen. Du musst eine Wahnsinnserfahrung designen und dann von dort aus zurückrechnen. Plötzlich erscheint es völlig logisch, wenn der Gastgeber deine Hobbies kennt und dir sein Surfboard leiht. Klar, der logistische Aufwand ist absurd, aber genau so werden großartige Erfahrungen geschaffen.«14 Diesen Unterschied gilt es zu verstehen. Neue Technologien sind nicht nur ein paar raffinierte Tools. Sie geben uns die Möglichkeit, die Dinge völlig neu zu denken.

Beispiel

Die Corona-Krise brachte es an den Tag. Homeschooling bedeutete für Tausende von Schülern: Lehrer scannten Arbeitsblätter ein und verschickten sie per E-Mail, einige Vorreiter richteten Skype-Sprechstunden ein oder experimentierten mit Videokonferenzsystemen. Ein Anfang war gemacht. Doch Digitalisierung bedeutet viel mehr, als vorhandene analoge Inhalte online verfügbar zu machen. Die neuen Technologien ermöglichen ungeahnte, individuelle Formate, die es zu kreieren gilt – von fächerübergreifenden Lernprojekten über die hybride Schule als Mischung von Analog- und Digitalunterricht bis hin zum Flipped Classroom, wo die Grundlagen zu Hause gelernt und in der Schule vertieft und geübt werden.

Ohne Ideen ist alles nichts

Im Grunde verhält es sich mit digitalen Technologien wie mit den gerade so beliebten Saatbomben. Die Kugeln treiben nur Blüten, wenn sie am passenden Standort landen. Analog dazu entfalten innovative Technologien ihre Wucht am beeindruckendsten dort, wo Menschen die Vorstellungskraft entfalten, was sich dank der digitalen Technik verwirklichen lässt. Das spielerische, vor keiner vermeintlichen Blödheit haltmachende Denken bei Airbnb vermittelt eine Ahnung, wie Digitalisierung, Globalisierung & Co. vieles von dem alt aussehen lässt, was in Unternehmen bisher als richtig und wichtig verankert war: zweckgerichtetes Denken, gehortetes Wissen, nüchterne Wertschöpfung, absoluter Perfektionismus.

Der digitale Wandel ist also auch und vor allem ein kulturelles Phänomen, und zwar in ganz großem Stil.

Software und Technologie machen nur 20, vielleicht sogar nur 10 Prozent des digitalen Wandels aus, lautet eine immer wieder gehörte Faustregel. Alles andere wird durch Menschen, deren Verhalten und Denkgewohnheiten getrieben. Auch das Philosophie-Magazin Hohe Luft unterstreicht: »Im digitalen Wandel geht es nicht primär um das Digitale. Es geht um den Menschen und die Rolle, die wir in einer zunehmend digitalisierten Welt spielen wollen.«15

Bereits heute sind die Gewinner des digitalen Zeitalters Unternehmen, die Abteilungs- und Hierarchiedenken überwinden, Raum für Schnelligkeit und Irrtum schaffen, fantastische Kundenerlebnisse bieten und es sich zur Aufgabe machen, das technisch Machbare mit dem menschlich Wünschenswerten in Einklang zu bringen. Der Mensch rückt bei diesem Kulturwandel immer mehr ins Zentrum. Digitale Talente verwandeln Daten und Technologien in Lebensqualität, denken, was vorher nie so gedacht wurde, und stellen die Frage »Geht das auch digital?« mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie sie den Wochenendeinkauf in Körben und Mehrwegnetzen nach Hause transportieren. Manche von ihnen sind Computernerds. Andere haben von IT kaum einen Schimmer. Ihre Exzellenz liegt auf anderem Gebiet. Sie haben die Fantasie und Vision, was sich mit den neuen Möglichkeiten anfangen lässt.

Beispiel

Delia Lachance schrieb nach dem Studium als Redakteurin für das Wohnmagazin Elle Decoration. Dabei fiel ihr auf: Es gab keine attraktiven Online-Shops für Möbel und Einrichtungsaccessoires. Mit dieser Erkenntnis entwickelte Lachance die Idee für Westwing: ein Online-Möbelhaus mit täglich neuen Sales und dem Look & Feel eines Interior-Magazins. Die junge Gründerin konnte ihr Vorhaben nur verwirklichen, weil es die Technologien dafür gab. Die digitale Innovation liegt aber in der Idee: der neuartigen Mischform aus Shopping und Content.

Sackt Ingenieurskunst also zum Wert von gestern ab? Natürlich nicht. Selbstverständlich lebt die sich rasant digitalisierende Welt von Spezialisten mit einem breiten Spektrum an technologischen Kompetenzen. Die Innovationen der Zukunft setzen auf Cloud-basierten Diensten auf, mobilen Internettechnologien, Videokonferenzsystemen und anderen Collaboration Tools, Big Data, dem Internet der Dinge, auf künstlicher Intelligenz, Robotik, Blockchain und Augmented Reality. Ohne technologisches Verständnis, geht künftig weniger denn je. »Technologie braucht, ja fordert, einen Platz am Tisch«, schreibt der US-Technologiedenker John Nosta, der das Erfolgsgeheimnis unserer Tage in der Kombination aus IQ + EQ + TQ sieht.16 Trotzdem hat sich die Ingenieursdenke von ehedem überlebt:

In der digitalen Ära entwickeln sich Eigenbrötler und Tüftler mit Tunnelblick zum Auslaufmodell wie Dienstreisen und Diesel-SUVs.

In der Nach-Corona-Ära wird Innovation rasanter, pragmatischer und lebensnäher verlaufen, in gemischten Teams, über Abteilungs- und Branchengrenzen hinweg und viel öfter als bisher remote. Entscheidungen fallen in Abstimmung mit Team-Kollegen und oberstes Ziel aller Anstrengungen sind Kunden, die rundum zufrieden sind. Mehr als alles andere braucht es dafür Fantasie. Aus ihr folgt alles weitere. Oder wie es der österreichische Gitarrist und Komponist Peter Horton formuliert hat: »Fantasie ist der Botenengel einer Vision, die nach Realität greift.« Dem technologischen Fortschritt verdanken wir, dass wir immer mehr Fantasien immer schneller in die Tat umsetzen können.

Jenseits von Mittelmaß

Für Millionen von Menschen bringt die Entwicklung Vorteile. Mindestens jene 30 Prozent der Bevölkerung, die der amerikanische Ökonom Richard Florida der Klasse der Wissensarbeiter zurechnet, werden in ihren Rollen aufgewertet. Statt nach Anweisung zu arbeiten, können sie ihre Klugheit und Kreativität in anspruchsvollen Bereichen wie Technik und Management, Gesundheit, Bildung, Design oder Rechtswesen verwirklichen.17 Bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein wird das Arbeitsklima attraktiver, Arbeit selbstbestimmter und sinnvoller. Langsam, aber sicher zählt Expertise mehr als Hierarchie. Mehr Entfaltung für viele bedeutet aber auch: Sehr viel mehr Mitarbeiter stehen vor der Aufgabe, sich für das große Ganze verantwortlich zu fühlen, nicht nur für den eigenen kleinen Anteil daran. Am besten gelingt dies Menschen mit einem starken Wunsch, bei dem, was sie tun, Exzellenz zu erreichen.

Beispiel

Der hochdekorierte, tief gefallene und wiederauferstandene Golf-Weltstar Tiger Woods beschreibt diese innere Haltung so: »So etwas wie Perfektion gibt es nicht. Wir sind unperfekte Menschen, wie sollen wir also jemals dahin kommen, perfekt zu sein? Aber ich habe immer an professionelle Exzellenz geglaubt. Sie versuche ich zu verwirklichen. Ich weiß, ich werde nie an den Punkt gelangen, immer perfekte Schläge zu produzieren. Ich will einfach das Bestmögliche aus mir herausholen. Das ist für mich professionelle Exzellenz.«18

Entgegen verbreiteter Meinung bedeutet, exzellent zu sein, also nicht, vollkommen oder im ganz großen Stil erfolgreich zu sein. Vielmehr geht es darum, dass wir die Anstrengung unternehmen, über den Stand von heute hinauszuwachsen. In anderen Worten:

Exzellenz ist ein Streben, kein Status.

Sie entsteht aus der Bereitschaft heraus, zu wachsen, sich selbst zu übertreffen und der Spitze der persönlichen Möglichkeiten und Lebensqualität immer näher zu kommen. Persönliche Exzellenz steht nach dieser Definition jedem von uns offen, egal, ob wir schon immens erfolgreich sind oder mit unseren Anstrengungen ganz am Anfang stehen.

Beispiel

Natürlich zeugt es von Exzellenz, wenn Bill Gates als einer der reichsten Menschen der Welt zugleich auch der spendenwilligste Mensch der Welt ist. Es zeugt aber ebenso von Exzellenz, wenn eine Studierendengeneration ein Semester komplett online absolviert, Lehrerinnen kurz vor der Pensionierungsgrenze den Unterricht für Neunjährige innerhalb von einer Woche auf Zoom umstellen, wenn in einem Arzthaushalt alle, von der Oma bis zum Zweitklässler, Gesichtsmasken nähen oder wenn eine alleinerziehende Mutter das Geld, das ihre Kinder zur Kommunion geschenkt bekommen haben, in zwei Tablets investiert.

Exzellenz verwirklicht sich also nicht nur im Großen. Wir kommen ihr auch im Kleinen nahe oder wenn wir »nur« in einzelnen Bereichen unseres Lebens oder in besonderen Situationen über unser persönliches Normalmaß hinauswachsen. Ohnehin sollten wir von Exzellenz nicht erwarten, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid, dass sie »in allen Dingen im gleichen Maße zu erreichen ist«19. Um Exzellenz zu beweisen, muss uns also nicht alles herausragend gelingen, von der preiswürdigen Forschungsarbeit bis zu den streifenfreien Fensterscheiben. Beispielsweise können Sie im Job auf höchstem Niveau agieren, als Mutter oder Vater aber mit Ihrer Geduld an Grenzen stoßen. Oder: Sie sind ein exzellenter Analytiker, aber ein mittelmäßiger Taktiker. Oder: Sie leben vorbildlich nachhaltig, haben aber Ihre persönlichen Finanzen nur unzureichend im Griff. In diesem Fall ist es gut zu wissen:

»Excellence in anything increases your potential in everything.«

Das sagt Joe Rogan, der erfolgreichste Podcast-Moderator der Welt, der Menschen wie Elon Musk und Bernie Sanders interviewt und Millionen Fans erreicht. Exzellenz in etwas erhöht Ihr Potenzial in allem. Warum das so ist? Wer auf einem Gebiet exzellent ist, im Job, im Sport, in der Elternrolle, im Ehrenamt, weiß, wie Exzellenz geht, und legt unwillkürlich auch in anderen Bereichen die Messlatte höher. In diesem Streben zeigt sich eine große Sehnsucht und Möglichkeit unserer Zeit: Nie zuvor hatten so viele Menschen, Frauen wie Männer, die Bildung, Sicherheit und Freiheit, ihr Bedürfnis nach Bedeutung, Wachstum und Sinn zu erfüllen. Nie zuvor wurden die damit verbundenen Leistungs- und Persönlichkeitssprünge aber auch in so breitem Rahmen benötigt.

Warum Exzellenz plötzlich zum Thema für viele wird

Von der Lyrikerin Nora Gomringer stammt der wunderbare Satz: »Das Digitale schenkt uns eine ganze Welt.«20 Genauso empfinde ich es auch. Die Digitalisierung und der damit verbundene gesellschaftliche Wandel machen beruflich wie privat einen weiten Horizont auf. Zwar ging der Corona-Einbruch an niemandem spurlos vorüber. Trotzdem gilt: Wann, wenn nicht jetzt, hat ein so großer Prozentsatz von Menschen so selbstbestimmt, so umfassend informiert, so weltweit vernetzt, so erstklassig unterhalten gelebt? Wann in der Geschichte der Menschheit waren so viele von uns so überall dabei, so frei, unsere Ideen zu verwirklichen und unsere Anliegen in die Welt zu tragen? Mit einem Mausklick erfüllen wir uns Wünsche, mit einem Wischen treten wir in Kontakt, in Sekunden holen wir uns komplexes Wissen und kreative Impulse. Big Data ermöglichen eine personalisierte Onkologie, Fahrassistenten senken die Zahl der Unfälle, Videokonferenzen sparen im doppelten Sinn Energie, zu Hause im Smart Home richtet sich die Beschattung je nach Sonnenstand automatisch ein und über die Videofunktion von WhatsApp treffen wir uns mit Mama zu Kaffee und Bienenstich.

Stimmt, das alles ist auch mit Gefahren erkauft. Die Vielzahl der visuellen und akustischen Signale überflutet unsere Wahrnehmung, wir geben unbewusst sensible Daten preis, das Lebenstempo beschleunigt sich, die Instagram-Bilder vom perfekten Leben lösen Selbstzweifel aus, von der Freiheit im Homeoffice haben am meisten die, die ohnehin schon privilegiert sind, und die Angst, wir werden digital überwacht, ist nicht paranoid. Wir fallen auf Clickbaiting, Pop-up-Werbung und Fake News herein. Statt uns Hals über Kopf zu verlieben, gieren wir nach dem noch besseren Match. Das Gefühl, mit Trends nicht Schritt halten zu können, verunsichert und stresst. Und während frühere Generationen nur damit zurechtkommen mussten, dass das Wissen veraltet, spüren wir: Auch das Denken und die Art, miteinander umzugehen, überlebt sich in rasanten Zyklen.

Aus genau diesem Grund arbeiten Topkonzerne wie Apple, Google oder BMW seit langem daran, neben der fachlichen auch die emotionale Intelligenz ihrer Mitarbeiter zu steigern. Dahinter steht das Verstehen: Die Veränderungen der VUKA-Welt stellen höchste Anforderungen an die Persönlichkeit. Herausragende Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle entstehen nur, wenn Mitarbeiter sich zuversichtlich auf die Veränderungen in der Arbeitswelt einlassen. Die menschlichen Fähigkeiten haben daher die fachlichen Kompetenzen als Erfolgstreiber überholt. Die gleiche Erkenntnis existiert zwar auch in weniger prominenten Firmen. Es hapert jedoch an der Umsetzung. In den 2019 von Capgemini befragten Unternehmen erhalten 50 Prozent der Topmanager Impulse zur Entwicklung der Persönlichkeit, aber nur 30 Prozent der Mittelmanager und 20 Prozent der Mitarbeiter.21

Wie macht man das, Exzellenz?

Natürlich ist es ideal, wenn Ihr Unternehmen Ihnen beim Umgang mit den emotionalen Herausforderungen der VUKA-Welt zur Seite steht. Doch in letzter Konsequenz entfalten Sie Ihre persönliche Exzellenz in Eigenregie. Denn Exzellenz ist eine Form der Aktivität. Es gibt kein Exzellenz-Gen, und niemand kommt exzellent auf die Welt, bei allen Talenten und etwaigen Vorzügen eines Elternhauses nicht. Wie setzt man also am besten an? In der Digitalisierungs-VUKA-nach-Corona-Ära haben sich die Strategien dafür nicht völlig verändert. Aber zum Teil verschiebt sich die Bedeutung emotionaler Kompetenzen. Zeitlose Werte wie Empathie und Willenskraft bleiben, neue Prioritäten wie Offenheit, Agilität oder Leadership schieben sich nach vorn. Neun dieser alten und neuen Treiber für persönliche Exzellenz habe ich für Sie in diesem Buch herausgearbeitet. Jede für sich und alle zusammen liefern Ihnen die mentale Ausrüstung, größer zu denken, mehr zu wagen und neue Wege zu probieren.

Offenheit. Die wenigsten Menschen sind Abenteurer. Die meisten haben es gerne so wie immer. Doch Digitalisierung bedeutet einen Aufbruch ins Ungewisse. Sie gibt uns das Zeug dazu, Dinge völlig anders anzugehen und zu organisieren als gewohnt. Dafür brauchen wir einen offenen Geist.

Selbstreflexion. Doch, auch in der Digitalära bleiben Macher gefragt. Vieles wird sogar noch schneller angepackt und umgesetzt als in der alten Arbeitswelt. Das geht nur, wenn wir uns und unsere Aufgaben gut verstehen. Phasen der Reflexion gehören deshalb genauso zum Geschäft wie Phasen des Tuns. Alles andere wäre Aktionismus.

Willenskraft. Wir sehen den Glamour, die Ehrungen, den Karrieresprung. Die Anstrengung dahinter sehen wir nicht. Die Musikerin, die noch im Urlaub übt. Der Lebensretter, der seine Kenntnisse über Reanimation regelmäßig auffrischt. Die Vorständin, die seit der Schulzeit ihr Äußerstes gibt … Exzellenzsucher wissen: Ohne Ausdauer und kontinuierliche Arbeit bleibt die größte Begabung im Mittelmaß stecken.

Wohlbefinden. Höchstleistung braucht Energie. Je besser wir körperlich und mental für uns sorgen, desto mehr können wir privat und beruflich auf die Beine stellen. Wohlbefinden ist deshalb nicht die Belohnung für exzellente Leistungen. Es ist ihre Vorbedingung.

Souveränität. Emotionen stehen hoch im Kurs. Allerdings nicht alle. Stress, Ungeduld und zu viel Ego bringen uns in keinem Lebensbereich voran. Wollen wir Menschen mitnehmen und befähigen, müssen wir die eigenen Gefühle kontrollieren. Und bevorzugt die auszuleben, die der Zusammenarbeit und dem Zusammenleben förderlich sind: Wohlwollen, Großzügigkeit, Freude, Mitgefühl.

Empathie. Nie war es so wichtig wie heute: Auf andere eingehen. Gedanken des Gegenübers erkennen. Abschätzen können, wie jemand reagieren wird. Nur wer die Bedürfnisse und Themen anderer wahrnimmt, kann produktive Beziehungen aufbauen, personalisierte Lösungen finden und Follower überzeugen.

Agilität. Das erfordert die neue Welt: In unbekannten Gewässern navigieren. Sich schnell orientieren. Einen kühlen Kopf bewahren, wenn sich Anforderungen oder Verhältnisse ändern. Dinge ohne Perfektionsanspruch auf die Beine stellen. Dazu lernen, sich anpassen, verfeinern. Von allen Exzellenzkompetenzen ist Agilität diejenige, in der wir noch am wenigsten geübt sind.

Resonanz. Intensive, inspirierende Begegnungen potenzieren die Kreativität und Innovationskraft. Ob Fußballmannschaft oder Kammerorchester, Familie oder Projektteam – es verleiht Menschen Schwingen, Impulse zu geben und aufzunehmen, sie zu wandeln und weiterzuentwickeln. Am meisten bewegt Resonanz, wenn die anderen im Raum ganz andere Fähigkeiten und Erfahrungen an den Tisch bringen als man selbst.

Leadership. »Bevor du ein Leader bist, bedeutet Erfolg, dass du über dich selbst hinauswächst«, sagte Management-Legende Jack Welch. »Wenn du ein Leader wirst, bedeutet Erfolg, dass du andere zum Wachsen bringst.« Exzellenzsucher kreisen nicht um die eigene Person. Sie regen mit ihren Themen und Werten auch andere an. Mehr als auf einer Machtposition beruht ihre Autorität auf Visionskraft, positiver Kommunikation und persönlicher Integrität.

Sie können den nachfolgenden Wertekatalog systematisch durcharbeiten oder nach Lust und Laune querlesen und dort beginnen, wo es für Sie am meisten bringt. In jedem Fall werden Ihnen die neun Exzellenzkompetenzen eine spannende Welt voller Strategien und Möglichkeiten erschließen. Denn das Zeug für Exzellenz trägt jeder in sich. Jedes Mal, wenn wir die Extrameile gehen, uns übertreffen oder eine beste Version unserer selbst zum Vorschein bringen, erleben wir: Das Leben kann so außergewöhnlich sein. Wir müssen dafür nicht CEO, Top-100-Unternehmer, Fin-Tech-Gründer oder Managerin des Jahres sein.

Kapitel 2 Offenheit

Weil die Lust auf Neues Superkräfte freisetzt

Du möchtest etwas bewegen, bist ›open minded‹ und möchtest die Transformation eines der größten IT-Konzerne vorantreiben.« Wer bei Microsoft durchstarten will, muss die Scheuklappen abwerfen. Das größte Softwareunternehmen der Welt wünscht sich von Bewerberinnen und Bewerbern die Erfolgskompetenz, die Psychologen als die Nummer 1 für die digitale Transformation bezeichnen: Aufgeschlossenheit für neue Denkweisen und Technologien. Ein wacher Blick für das, was anderen verborgen bleibt. Die intellektuelle Bescheidenheit, die eigene Meinung nicht für die einzig wahre zu halten.

Wenn Unternehmen Offenheit zum Must-have für den Karriereeinstieg erheben, ist dies von der Erkenntnis getragen: Fortschritt lebt von Neugier. Neues entsteht dort, wo Menschen aus der Weiter-so-Denke ausscheren. Innovationskraft und Kreativität keimen auf der Freude, sich an ungelösten Rätseln die Zähne auszubeißen. Die Zeit ist reif für den homo curiositas.1 So nennt das Zukunftsinstitut Menschen, die es wissen wollen und für unverhoffte Entdeckungen empfänglich sind. Für die meisten Erwachsenen ist so viel Offenheit leichter gesagt als getan. Häufig erschöpft sich unser Hunger nach Neuem in der Lust auf das neueste iPhone-Modell, den jüngsten Promi-Klatsch oder auf die Wildlife-Safari mit Sichtungsgarantie. Wer sich auf die Suche nach Exzellenz begibt, muss sich deshalb als Erstes von eingefahrenen Glaubenssätzen und Routinen verabschieden. An ihre Stelle tritt das Interesse am Neuen und Komplexen, die Lust auf Entdeckungen und das elektrisierende Gefühl, die Welt neu zu denken.

OK, Boomer

Drehen wir die Zeit um 25 Jahre zurück. Kurz vor der Jahrtausendwende teilten Wissenschaftler in einem Experiment eine Gruppe von Ärzten in drei Teams auf. Jedes Team bekam je zwei Videos über einen Patienten zu sehen.2 Das erste Video wurde allen drei Gruppen zur Verfügung gestellt. Vom zweiten Video gab es drei Varianten. Ohne es zu wissen, erhielt jedes Ärzteteam andere, aber einander ergänzende Informationen. Anschließend sollten die Mediziner eine gemeinsame Therapieempfehlung abgeben. Das Experiment floppte. Jedes Team hütete sein Spezialwissen so eifersüchtig wie der Zwerg Alberich den Nibelungenschatz. Die Folge: Weder allein noch zusammen stellten die Teams die richtige Diagnose.

Die Ärzte von damals befinden sich heute deutlich in der zweiten Lebenshälfte. Wie ich sind sie ohne Smartphone, Streaming, Skype und soziale Medien groß geworden. In vielen Jobs zählte Pünktlichkeit mehr als Kreativität, und Anwesenheit brachte ein höheres Ansehen ein als eine erfolgreiche Performance. Das Berufs- und Privatleben funktionierte nach Gesetzmäßigkeiten, die uns nicht immer gefielen. Wir fanden Hierarchien normal und stiegen nicht ungern darin auf. Kunden standen öfter im Weg als im Mittelpunkt, Veränderungen verliefen langsam und inkrementell, und ja, wir dachten in Silos. Statt Wissen im Sinne des bestmöglichen Ergebnisses zu teilen, behielten wir es für uns. Diese Erfahrung hat unser Denken geprägt, und ich bin sicher: Spuren davon haften uns bis heute an.

Wenn Sie einer der deutlich jüngeren Generationen angehören, fühlen Sie sich jetzt vermutlich ziemlich bestätigt und denken augenrollend: OK, Boomer! Mit diesen Worten stoppte die neuseeländische Parlamentarierin Chlöe Swarbrick den Zwischenruf eines älteren Kollegen. Der Spruch verbreitete sich rasant im Netz, schließlich kann man den Protest gegen überholte Denkweisen und starre Strukturen kaum zugespitzter zum Ausdruck bringen. Er hat nur einen Fehler: Nicht nur die älteste der vier im Arbeitsleben stehenden Generationen (Baby Boomer, Generation X, Generation Y, Generation Z) schätzt das Bewährte ein bisschen zu sehr. Auch die Offenheitswerte der jüngsten Generation lassen Luft nach oben.

Sorry, you too, zoomer

Die ab 1985 Geborenen gelten als so exzellent ausgebildet, international aufgestellt und aufgeschlossen für neue Lebens- und Arbeitsformen wie keine Generation davor. Die größte Offenheit für neue Apps und Technologien, so das Gottfried Duttweiler Institut, besitzen sie obendrein.3 Das war es dann aber schon. Geht es nämlich um Neugier und Innovationsgeist, weisen Zoomer ähnlich große Defizite auf wie Boomer. Dieses Ergebnis erbrachte die Neugier-Studie, die der Merck-Konzern in Zusammenarbeit mit einer multidisziplinären Forschungsgruppe durchgeführt hat. Von allen vier aktuellen Arbeitnehmergenerationen belegen die neu ins Berufsleben nachrückenden Zoomer beim Neugier-Gesamtwert den letzten Platz und schneiden damit schlechter ab als die ergrauenden Boomer. Noch düsterer ist es um ihre Offenheit für die Ideen anderer bestellt. Auch in dieser Wertung landen die jüngsten Arbeitnehmer auf dem letzten Platz. Boomer zeigen ein deutlich offeneres Ohr für die Vorschläge anderer und übertreffen in diesem Punkt sogar alle anderen Generationen.4

Mit einem solchen Ergebnis hatte ich nicht gerechnet. Es widerlegte alle meine vorgefassten Meinungen über alt und jung. Neugierig geworden ging ich der Sache nach und wurde schneller fündig als gedacht. Die jüngste Generation hat viele Vorzüge. Ihre Offenheit wird aber durch eine Reihe von Gründen ausgebremst:

Erstens: Die jüngste Generation hat genaue Vorstellungen vom guten Leben. Die Personalexpertin Prof. Dr. Susanne Böhlich von der IUBH Internationalen Hochschule bringt sie auf einen Nenner: Jobsicherheit, Geborgenheit, eine klare Trennung von Arbeits- und Privatleben, feste Strukturen und möglichst keine direkte Konfrontation.5 Damit lässt sich gut leben. Doch Offenheit klingt anders.

Zweitens: Millennials und Zoomer denken deutlich pessimistischer als die breite Masse der Bevölkerung. Das geht aus dem Deloitte Millennial Survey 2019 hervor.6 Mehr als alle anderen Generationen sorgt sich die jüngste um Klimawandel und Terrorismus, kämpft mit psychischen Problemen7 und fürchtet, von KIs und Robotern ersetzt zu werden.

Drittens: In Deutschland knüpft die Generation Z an die Lebensziele ihrer Eltern an. Der große Traum sind Familiengründung und Reisen. Ambitionen wie Wohlstand, Immobilienerwerb und positive Einflussnahme auf die Gesellschaft spielen im Vergleich mit Altersgenossen in anderen Ländern eine nachrangige Rolle.8

Und viertens: Zoomer schätzen den moralischen Konsens. Zur Selbstdarstellung gehört es, medialen und sozialen Erwartungen zu entsprechen. Auch selbst will man sich keinen paternalistischen, sexistischen oder rassistischen Denkmustern mehr ausgesetzt sehen. In anderen Worten:

Alte-weiße-Männer-Ansichten passen so wenig ins Zoomer-Weltbild wie Zigarrenwolken ins vegane Restaurant.

Mit ihrer »wokeness«, ihrem wachen Bewusstsein dafür, was akzeptabel ist und was nicht, schieben Zoomer eine Entwicklung an, von der ich finde: Sie ist seit langem überfällig. Die Frage ist nur: Wo zieht man die Grenze? Empfindet man andere Denk- und Verhaltensweisen als die eigenen als unzumutbar, fördert dies eher die geistige Enge als den weiten Horizont.9 Innovation braucht das Interesse am Fremden und Befremdlichen. Erst recht, wenn sich die Zukunft nicht mehr aus der Vergangenheit hochrechnen lässt. Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson bringt es auf den Punkt: »Die Reibung zur Welt ist das, was Kreativität ausmacht.«

Offenheit: Eine mentale Aufgabe, die es in sich hat

Seit Uber-Fahrer den Taxi-Unternehmern den Umsatz verhageln und Airbnb-Gastgeber den Hoteliers das Wasser abgraben, zeichnet sich ab: In der VUKA-Welt verändert der Wandel seine Wucht. Er verläuft seltener Schritt für Schritt. Stattdessen regiert das Prinzip: »The winner takes it all«. Längst vor der Corona-Krise überschlugen sich die Geschäftsmodelle und Technologien. Subtil oder rasant, je nach Umfeld, stellten sie die Art, wie Menschen arbeiten, leben, lernen und kommunizieren, auf den Kopf. Hippe Unternehmen auf Wachstumskurs fordern etablierte Player nicht nur mit dreisten, verblüffenden Lösungen heraus. Sie lassen sie selbst in ihrem angestammten Habitat alt aussehen: dem DAX. Und auch wenn der eigene Arbeitgeber vielleicht erst an der Oberfläche der Transformation kratzt, ahnen wir: Elektrisierende Innovationen wie das Bezahlen per Handbewegung oder das Google Driverless Car entstehen nicht von ungefähr. Sie werden von Menschen ersonnen, die um die Ecke denken und ausprobieren, was bisher im Bereich der Science-Fiction lag.

Vor diesem Hintergrund begreifen immer mehr Unternehmen: Die exzellentesten Manager und Mitarbeiter bringen neben technischem Gespür oder Marketing-Know-how vor allem Offenheit für neue Perspektiven und unorthodoxe Ansätze mit. Genau in diesem Punkt aber können wir alle, ältere, mittlere und auch die ganz junge Generation deutlich zulegen. Den meisten Menschen fällt es schwer, umzudenken und ihr Verhalten von heute auf morgen zu justieren.

Beispiel

Die Schulen und Unis blieben geschlossen. Umso voller waren die Parks und Cafés. Zwei Meter Abstand halten? Nicht so wichtig. Plötzlich war Frühling, und den wollten wir auskosten. Die ersten Tage der Corona-Krise führten uns vor Augen: Menschen zum Umsteuern zu bringen, ist so schwer, wie die Kursrichtung eines Tankers zu ändern. Selbst im Angesicht einer ernsten Bedrohung liefen Appelle an die Vernunft bei vielen ins Leere. Erst Ausgangsbeschränkungen schafften es, dass wir Abstand hielten, zu Hause blieben und möglichst wenige Menschen trafen.

Der Mangel an Offenheit bleibt uns häufig verborgen. Das zeigt sich daran, dass 95 Prozent aller Menschen sich für überdurchschnittlich aufgeschlossen halten.10 Man muss kein Mathematikgenie sein, um auszurechnen: Hier stimmt was nicht. Wir überschätzen uns. Und zwar in großem Stil. Wenn sich fast jeder für extra zukunftsorientiert hält, bedeutet das: Mindestens die Hälfte der Menschheit klebt mehr an traditionellen Denkweisen, als sie wahrhaben möchte. Diese Engstirnigkeit liegt in der menschlichen Natur. Wir sind auf Kontinuität eingestellt. Am effizientesten verarbeiten wir Informationen, die das ergänzen oder erweitern, was wir schon immer zu wissen glaubten.

Deshalb verstehen wir zwar kognitiv, warum in Corona-Zeiten die Hochzeitsfeier mit neunzig Gästen ein Wahnsinn ist. Doch wenn man das Fest seit einem Jahr geplant hat, greift das Ökonomieprinzip des Gehirns. Ein Rückzieher erscheint dann unvorstellbar, und mag er noch so notwendig sein. Dieses Energiesparprogramm des Gehirns leistet im Normalfall durchaus gute Dienste. Wie ein Stadtführer lotst es uns durch eine komplexe Welt. Das hat den Vorteil, dass wir uns nicht verlieren und verzetteln. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Statt selbstständig neue Wege zu erkunden, folgen wir lieber den ausgetretenen Pfaden.

Beispiel

Selbst sehr kreative Menschen fallen in ein Loch, wenn eine Veränderung den gewohnten Rahmen sprengt. Diese Erfahrung machte der Theaterintendant Christian Stückl, als die von ihm geleiteten Passionsspiele in Oberammergau 2020 zum ersten Mal in ihrer Geschichte um zwei Jahre verschoben werden mussten: »Das Verrückte ist, ich hab’s realisiert und nicht realisiert. Plötzlich sitzt man da und fragt sich: Was mach ich denn eigentlich jetzt?«11

Sprengt man unsere vorhandenen Bezugssysteme, verstehen wir die Welt nicht mehr. Bei aller geistigen Aufgeschlossenheit haben wir eine unwillkürliche Sperre gegen neuartige Gedanken, Vorschläge und Ansinnen eingebaut. Schon der Kauf einer anderen Joghurtsorte löst Irritation aus. Der Umstieg auf eine inklusive Ansprache der Leser*innen schleift die Vorstellungen von Sprachästhetik. Im Alter von 33 Jahren hören wir in der Regel auf, neue Musik zu entdecken.12Und wenn wir mit der dritten Staffel von This Is Us