Fachtagung Bedrohungsmanagement – Herausforderungen unserer Zeit - Reinhard Brunner - E-Book

Fachtagung Bedrohungsmanagement – Herausforderungen unserer Zeit E-Book

Reinhard Brunner

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Beschreibung

Bedrohungsmanagement im Fokus – Praxis. Forschung. Strategie. Expertinnen und Experten aus Polizei, Justiz und Psychiatrie präsentieren evidenzbasierte Konzepte zur Identifikation, Bewertung und Entschärfung von Gefährdungslagen. Die folgenden Themen werden behandelt: • Frühwarnindikatoren häuslicher Gewalt und Kindeswohlgefährdung • Psychologische Faktoren der Jugenddelinquenz und wirksame Interventionsmodelle • Reaktionsmöglichkeiten auf Radikalisierungsanzeichen in Schulen • Neutralisierung von Verschwörungsnarrative durch strategisches Fakten-Monitoring • Ressortübergreifende Kooperation von behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein klar strukturierter Leitfaden für Entscheidungsträger, Fachkräfte und Multiplikatoren, die Verantwortung für Sicherheit und Zusammenhalt übernehmen. Ein kompaktes Nachschlagewerk und ein Impulsgeber für eine resilientere Gesellschaft.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Fachtagung Bedrohungsmanagement – Herausforderungen unserer Zeit Copyright © by Christian Schwarzenegger und Reinhard Brunner is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.

© 2025 – CC BY-NC-ND

Verlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch), Hirschengraben 56, 8001 Zürich, [email protected]: Christian Schwarzenegger, Reinhard BrunnerISBN:978-3-03994-005-9 (Print – Softcover)978-3-03994-006-6 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/68R3-2C9HVersion: 1.00 – 20250526

Dieses Werk ist als gedrucktes Buch sowie als E-Book (open access) in verschiedenen Formaten verfügbar. Weitere Informationen finden Sie unter der URL: https://eizpublishing.ch/publikationen/fachtagung-bedrohungsmanagement-herausforderungen-unserer-zeit/.

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Vorwort

Die Fachtagung «Bedrohungsmanagement – Herausforderungen unserer Zeit» widmet sich den aktuellen Spannungsfeldern unserer Gesellschaft, die von globalen Krisen, der fortschreitenden Digitalisierung und veränderten Bedrohungslagen geprägt sind. Nach den Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie und dem Krieg in Europa bringt insbesondere die allgegenwärtige Vernetzung neue Risiken, aber auch Chancen für Polizei, Justiz und zivilgesellschaftliche Partner mit sich. Ziel dieses Tagungsbandes ist es, praxisnahe Erkenntnisse und wissenschaftliche Analysen zu vereinen, um einen interdisziplinären Dialog über Methoden, Instrumente und Strategien des Bedrohungsmanagements zu fördern.

Beiträge dieses Bandes fügen sich zu einem praxisorientierten wie theoretisch fundierten Gesamtbild zusammen, das von der Früherkennung und gezielten Prävention bis hin zu rechtlichen und strukturellen Anpassungen reicht:

Reinhard Brunner skizziert in seinem einleitenden Beitrag, wie ein effektives Bedrohungsmanagement durch die systematische Gewichtung von Themenfeldern – von häuslicher Gewalt über Radikalisierung bis hin zu Verschwörungstheorien – sowie durch klare Qualitätsstandards und einen koordinierten Kantonsansatz aufgebaut werden kann. Zentral sind dabei die vier Phasen Erkennen, Einschätzen, Entschärfen und Evaluieren, die es erlauben, potenzielle Gefährdungslagen frühzeitig zu identifizieren und gewalttätige Eskalationen zu verhindern. Er betont, dass nur durch enge interinstitutionelle Zusammenarbeit und abgestimmte Prioritäten der gemeinsame Auftrag, Schutz und Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt werden kann.

Leonardo Vertone und Anna Gottwald liefern eine umfassende forensische Bestandsaufnahme der Jugenddelinquenz in der Schweiz. Sie zeigen auf, dass überdauernde Belastungsfaktoren (Adverse Childhood Experiences) wesentlich prägender sind als kurzfristige Phänomene wie Social Media oder aktuelle Krisen. Ihre Schlussfolgerung lautet, dass eine wirksame Prävention nur durch eine integrative, mehrdimensionale Vorgehensweise zu erreichen ist, die von differenzierten psychotherapeutischen Abklärungen bis hin zu individuell zugeschnittenen Interventionsplänen reicht.

Regina Carstensen und Karin Fehlmann präsentieren die Ergebnisse einer Studie zu Schutzmassnahmen für Kinder in Fällen häuslicher Gewalt sowie die darauf aufbauende Gesetzesänderung im Kanton Zürich. Sie belegen, dass die Einführung einer verbindlichen Regelung zur sofortigen Kontaktaufnahme und psychosozialen Beratung durch spezialisierte Stellen nicht nur rechtlich notwendig war, sondern bereits erste Praxiserfahrungen eine hohe Inanspruchnahme und damit einen effektiven Mehrschutz für Minderjährige zeigen.

Milena Brüni und Katharina Girsberger vertiefen diesen Ansatz, indem sie ein Modell der zeitnahen, altersgerechten Beratung für betroffene Kinder und Jugendliche darlegen. Sie unterstreichen, dass durch frühzeitiges «Darüber Reden», altersgerechte Visualisierungen und das Einbinden des familiären Umfelds nachhaltige Unterstützung entsteht, die Traumatisierungen lindert und Selbstwirksamkeit fördert.

Vivian Frei nimmt das Thema Radikalisierungs-Anzeichen in den Blick und zeigt, wie Schulen durch eine Kultur der «Neuen Autorität», Basiswissen zu sogenannten Brückennarrativen und definierte Alarm- und Meldeprozesse eine Verbundaufgabe von Bildungsdirektion, Polizei und Zivilgesellschaft gestalten können.

David Frei analysiert die Verbreitung und Auswirkungen von Verschwörungstheorien in der Schweiz. Er macht deutlich, dass sie dort nicht nur Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen schüren, sondern auch als Nährboden für extremistische Ideologien fungieren. Seine Empfehlung: abgestimmte Präventions- und Aufklärungsarbeit samt Monitoring und Gegenstrategien in digitalen Räumen (z. B. Faktenchecks, Debunking).

Thomas Gerber schliesslich thematisiert «Selbstverwalter und Staatsverweigerer» als spezifische Bedrohungsgruppe. Er plädiert für klare rechtliche Rahmen, differenzierte Risiko- und Gefährderbeurteilungen sowie für abgestimmte Interventionskonzepte zwischen Polizei, Justiz und sozialen Diensten, um sowohl auf individuelle wie strukturelle Faktoren wirksam reagieren zu können.

Für das gute Gelingen der Tagung und die sorgfältige Erstellung dieses Bandes danken wir dem Europa Institut der Universität Zürich, ebenso Organisationsteam unter der Leitung von Tiziana Rigamonti-Ammann.

Zürich, im Mai 2025 Christian Schwarzenegger / Reinhard Brunner

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Inhaltsübersicht

Herausforderungen unserer Zeit – Schlaglichter beim Bedrohungsmanagement

Major Reinhard Brunner, Chef Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich

Jugenddelinquenz – Erklärungsansätze, Charakteristika, Einflussfaktoren aus forensischer Sicht

Leonardo Vertone, Chefpsychologe, Co-Leitung Zentrum für Kinder- und Jugendforensik, Psychiatrische Universitätsklinik ZürichAnna Gottwald, MSc Psychologin, Zentrum für Kinder- und Jugendforensik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Besserer Schutz für Minderjährige bei Häuslicher Gewalt; Ergebnisse einer Studie; Gesetzesänderung im Kanton Zürich

Regina Carstensen, Rechtsanwältin, Co-Fachverantwortliche Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Präventionsabteilung, Kantonspolizei ZürichKarin Fehlmann, lic.iur., Co-Fachverantwortliche Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich

Mehr Schutz für Minderjährige, die von elterlicher Partnerschaftsgewalt betroffen sind

Milena Brüni, Sozialarbeiterin FH, Fachberaterin Psychotraumatologie, Co-Leitung, OKey Fachstelle für Opferhilfeberatung und Kinderschutz, WinterthurKatharina Girsberger, Dipl. Sozialpädagogin HF, Systemische Beratung, Fachberaterin, Beratungsstelle kokon für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Zürich

Radikalisierungs-Anzeichen erkennen – eine Verbundaufgabe

Vivian Frei, Beauftragter für Gewaltprävention im schulischen Umfeld, Bildungsdirektion des Kantons Zürich

Verschwörungstheorien – Situation in der Schweiz

David Frei, Bereichsleiter Stv., Bundessicherheitsdienst, Abteilung Sicherheit Personen und Objekte, Bereich Gefährdungslage GELA, Bern

Selbstverwalter und Staatsverweigerer – Worum geht es? Wie gehen wir damit um?

Thomas Gerber, Fachverantwortlicher Interventionsstelle gegen Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus, Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich

Herausforderungen unserer Zeit – Schlaglichter beim Bedrohungsmanagement

Reinhard Brunner

Inhalt
EinleitungHerausforderungen annehmenSchwerpunkte bilden und Prioritäten setzenHäusliche GewaltJugendgewaltRadikalisierung und ExtremismusVerschwörungstheorien / Staatsverweigerer und SelbstverwalterOrganisatorische und strukturelle Voraussetzungen schaffenKantonales BedrohungsmanagementQualitätsstandards Kantonales BedrohungsmanagementStand der Entwicklungen in den KantonenEinfluss nehmen; Gewalttaten verhindernErkennen, Einschätzen, Entschärfen, EvaluierenHandlungsfelder nutzen – Ansatzmöglichkeiten für MassnahmenSchlussbemerkungen / Take Home MessagesLiteraturverzeichnis

Einleitung

Globale Ereignisse beeinflussen unser gesellschaftliches Zusammenleben stark. Die zurückliegende Covid-19-Pandemie (2019 – 2022)[1] spaltete unsere Gesellschaft, Freundschaften, ja sogar Familien zwischen Massnahmen-/​Impf-Befürwortern und -gegnern. Die Auswirkungen sind bis heute nicht vollends überwunden.

Am 24. Februar 2022 veränderte sich mit dem Überfall Russlands auf die die Ukraine das Weltgeschehen mit einem Schlag. Europa und die ganze Welt musste konsterniert zur Kenntnis nehmen, dass der russische Präsident den Angriffskrieg – durch ihn als «militärische Operation» bezeichnet – befohlen hatte. Die Angst vor einer Eskalation in ganz Europa oder gar vor dem Beginn des 3. Weltkrieges machte sich breit und hält an.

Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf ein Open-Air-Festival und gleichzeitig mehreren Angriffen gegen Kibbuzim im Süden Israels forderte rund 1200 Todesopfer. Mehr als 250 jüdische Geiseln wurden nach Gaza verschleppt. Die Welt war schockiert. Das verheerende Massaker löste den Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas aus. Der Gazastreifen wurde in Schutt und Asche gelegt. In vielen Ländern finden seither Kundgebungen pro und contra Israel bzw. Palästina statt. Antisemitisch[2] motivierte Straftaten haben zugenommen.

Die rasante Digitalisierung und vor allem die moderne Informationstechnologie lässt die Menschen auf der ganzen Welt die geschilderten Ereignisse – und noch viele mehr – zeitnah oder sogar in Echtzeit miterleben. Die Auswirkungen sind erheblich. Die Behörden sehen sich mit verstärkter Polarisierung[3] und erhöhtem Gewaltpotenzial in der Gesellschaft konfrontiert. Besonders die heranwachsenden, vulnerablen Kinder und Jugendlichen sind diesen prägenden Einflüssen stark ausgesetzt. In vielen Fällen sind sie auch von häuslicher Gewalt betroffen, die seit Jahren unvermindert in den Familien stattfindet.

Radikalisierte Szenen propagieren in professioneller Aufmachung ihre Ideologien. Sie ziehen vor allem jüngere Menschen in ihren Bann bis hin zum gewalttätigen Extremismus oder gar Terrorismus. Zeiten wie diese sind der Nährboden für Verschwörungstheorien. Verunsicherte Menschen sind empfänglich für deren «Schwarz-Weiss»-Erklärungen und Narrative. Feindbilder werden geschaffen und Gewaltpotenzial geschürt.

Diese Entwicklungen erfordern eine verstärkte Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden im Verbund des Bedrohungsmanagements mit allen relevanten Partnerorganisationen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt sowie der Schutz von gefährdeten Personen und potenziellen Opfern ist eine gemeinsame Verpflichtung.

Herausforderungen annehmen

Schwerpunkte bilden und Prioritäten setzen

Die geschilderten Ereignisse erzeugen ein grosses Spektrum von verschiedenen sicherheitsrelevanten Herausforderungen. Den Sicherheitsbehörden und Partnerorganisationen stehen jedoch beschränkte personelle und finanzielle Ressourcen für deren Aufgabenerfüllung zur Verfügung. Es gilt somit, Schwerpunkte zu bilden und Prioritäten zu setzen, damit die zur Verfügung stehenden Mittel dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden, um die angestrebte Wirkung zu erzielen. Der Regierungsrat im Kanton Zürich legt vor diesem Hintergrund für jede Legislaturperiode Schwerpunkte in der Strafverfolgung fest. Nähere Angaben dazu finden sich unter Ziff. 3. a) Kantonales Bedrohungsmanagement.

Die Kantonspolizei orientiert sich für ihre Aufgabenerfüllung an ihrem Leitbild[4], in welchem der Leitsatz (Für Sicherheit verlässlich, angemessen, vernetzt), die Werte und die Strategie festgelegt sind. Thematische Schwergewichte und Zielvorgaben des Polizei-Kommandos münden in einem Aktionsplan, welcher die Grundlage für die Priorisierung des Mitteleinsatzes – vor allem auch im Bereich des Bedrohungsmanagements – bildet.

Abbildung: Schwerpunkte bilden, Prioritäten für das Bedrohungsmanagement setzen

Als sicherheitsrelevante Schwerpunkte beschäftigen uns aktuell die nachstehenden Themen stark.

Häusliche Gewalt

Es ist eine traurige Tatsache, dass trotz der grossen Anstrengungen vieler Sicherheitsbehörden und zivilen Akteuren und Akteurinnen die Häusliche Gewalt in der Schweiz unvermindert stattfindet. So wurden schweizweit 2023 in diesem Kontext 25 vollendete Tötungsdelikte registriert; gleich viele wie 2022. Das sind rund 47% aller polizeilich registrierten Tötungsdelikte (total 53). Von den 25 Opfern wurden 16 innerhalb einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft getötet (14 Frauen und 2 Männer). Innerhalb einer Familien- oder anderen Verwandtschaftsbeziehung wurden 4 Mädchen sowie 5 erwachsene Personen (2 Frauen, 3 Männer) getötet.[5]

Im Kanton Zürich haben die Zahlen der polizeilichen Ausrückfälle und die Anordnungen von sogenannten GSG-Massnahmen (Schutzmassnahmen)[6] gestützt auf das Gewaltschutzgesetz im Verlauf der letzten Jahre kontinuierlich zugenommen. Die Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt (IST)[7] führt in Ergänzung zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)[8] für den Kanton Zürich eine separate «GSG-Statistik». Diese zählt die Ausrückfälle und GSG-Anordnungen. Sie gibt keine Auskunft über begangene Straftaten; diese Angaben liefert die PKS.

Abbildung: Häusliche Gewalt; Ausrückfälle ganzer Kanton Zürich; Quelle IST

2023 rückte die Frontpolizei im Kanton Zürich jeden Tag rund 20mal an ein Ereignis im Kontext von häuslicher Gewalt aus. Über 1300 GSG-Massnahmen mussten zum Schutz von gefährdeten Personen angeordnet werden. Das bedeutet, dass in jedem sechsten Ausrückfall eine solche Massnahme notwendig war.

Dieser Anstieg der Fallzahlen lässt spontan vermuten, dass unsere Präventionsbemühungen ins Leere gehen. Die Crux bei der Prävention liegt bekanntlich darin, dass nicht gemessen werden kann, was nicht passiert. Bei unserer täglichen Aufgabenerfüllung stellen wir jedoch fest, dass die Anzeige- und Meldebereitschaft von Betroffenen, aber auch von Drittpersonen gestiegen ist. Wir gehen davon aus bzw. beanspruchen, dass unsere Bemühungen durch Information und Sensibilisierung im Verbund mit den Partnerorganisationen dies bewirkt haben. Wirksame Prävention verringert das sogenannte Dunkelfeld, was zwangsläufig einen Anstieg bei den Fallzahlen zur Folge haben muss. Für eine längerfristig solide Aussage dazu bräuchte es eine konstante Gesellschaft, was gemäss der zuvor geschilderten Herausforderungen keinesfalls gegeben ist.

Wichtig erscheint mir, dass wir nicht nachlassen dürfen, uns um Betroffene – potenzielle Opfer – zu kümmern und sie zu schützen. Jeder Einzelfall ist mit grossen Auswirkungen innerhalb der Partnerschaft und/oder Familie, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes behaftet.

Jugendgewalt

Jugendgewalt ist ein äusserst vielfältiges Phänomen. Sie umfasst Straftatbestände gegen Leib und Leben wie Tätlichkeiten, Raubdelikte bis hin zu bewaffneten Raubüberfällen und schweren Körperverletzungen bei tätlichen Auseinandersetzungen. Im öffentlichen Diskurs wird nur begrenzt zwischen den von Minderjährigen (bis zum 18. Lebensjahr) und den von jungen Erwachsenen (18. bis 25. Lebensjahr) begangenen Gewalttaten unterschieden. Dies kann zu einer Verzerrung der Wahrnehmung führen.

Von Minderjährigen begangene Gewalttaten finden zunehmend und mehrheitlich im öffentlichen Raum statt. Sie richten sich primär gegen andere Jugendliche. Während bei den Jüngeren die Tat in der Schule, auf dem Schulareal oder dem Heimweg stattfindet, verlagert sich der Tatort mit zunehmendem Alter auf sogenannte Hotspots (Partyszene, Bahnhöfe) zu späteren Abendstunden und in der Nacht. Dabei nimmt die Schwere der Gewalttaten vielfach in Verbindung mit Alkohol und anderen Betäubungsmitteln merklich zu. Statistisch gesehen handelt es sich bei der Jugendgewalt um ein primär männliches Phänomen.

Seit 2016 stieg die polizeilich bekannte Jugendgewalt im Kanton Zürich wieder an. Insbesondere 2019 war ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Nach leichtem Rückgang im Jahr 2022 stieg die Anzahl Straftaten 2023 wieder an. Für 2024 dürfte gemäss aktuellen Erkenntnissen ein leichter Rückgang zu erwarten sein. Die Zahlen der PKS werden es im Frühling 2024 aufzeigen.

Abbildung: Beschuldigte Minderjährige (Straftaten gegen Leib/Leben)Quelle: Medienkonferenz vom 25.04.2024 zur PKS 2023 (Kt. Zürich)

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist weiterhin ein Trend zum Mitführen von Messern/Stichwaffen zu beobachten, welche bei Provokationen und Schlägereien häufig eingesetzt werden.

Abbildung: Gewaltdelikte mittels Schneid- und StichwaffenQuelle: Medienkonferenz vom 25.04.2024 zur PKS 2023 (Kt. Zürich)

2023 war die höchste Anzahl Gewaltdelikte mit Schneid- und Stichwaffen zu verzeichnen. Vor allem ausländische Jugendliche treten in der Abbildung markant hervor. Eine Zunahme war aber auch bei Jugendlichen mit schweizerischer Staatsangehörigkeit zu registrieren. Für 2024 zeichnet sich gemäss aktuellem Kenntnisstand auch in diesem Bereich die Tendenz eines Rückgangs ab.

Um dem Phänomen der Jugendkriminalität – und vor allem auch der Jugendgewalt – entgegenzuwirken, wurden die Massnahmen der Prävention und Repression markant verstärkt. Ich erlaube mir, an dieser Stelle auf die Anfrage des Kantonsrates betreffend Strategien im Umgang mit Jugendgewalt[9] und die Antwort des Regierungsrates[10] zu den umfangreichen Massnahmen zu verweisen.

Radikalisierung und Extremismus

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) veröffentlich jährlich seinen Lagebericht. Zum Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2024»[11] führt er auf seiner Webseite Folgendes aus (Zitat):

Terrorismus: Die Bedrohung hat sich akzentuiert

Die Terrorbedrohung in der Schweiz bleibt erhöht; sie hat sich 2024 sogar zusätzlich akzentuiert. Sie wird weiterhin massgeblich von dschihadistisch inspirierten einzelnen Personen geprägt. Seit Jahresbeginn 2024 registriert der NDB eine intensivierte internationale Dynamik bei dschihadistischen Akteuren. Dies widerspiegelt sich etwa in einer Häufung polizeilicher Interventionen in Europa wegen Terrorverdachts. Jüdische und israelische Interessen bleiben exponiert, auch in der Schweiz. […]

Insbesondere im Bereich Dschihadismus, aber auch im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus ist in der Schweiz eine Zunahme der Radikalisierung Minderjähriger festzustellen. Diese erfolgt online, in kurzer Zeit und kann bis zur Verübung eines Terroranschlags führen.

Die Erwähnung, wonach eine Zunahme der Radikalisierung Minderjähriger festzustellen ist, hat sich in tragischer Weise Anfang März 2024 in Zürich bestätigt. Ein 15-jähriger Jugendlicher stach einen orthodoxen Juden nieder und verletzte ihn schwer, beinahe tödlich. Die Erkenntnisse des NDB weisen darauf hin, dass sich vermehrt Minderjährige in kurzer Zeit und für sich allein im Internet radikalisieren. Sie sind der fesselnden Anziehungskraft der professionellen Propaganda u.a. infolge ihrer noch vulnerablen Phase der Pubertät – mit erhöhter Gefahr zur Entwicklung einer psychischen Störung – ausgesetzt. Die Gefahr für dschihadistisch inspirierte Einzeltaten ist deshalb gemäss Einschätzung des NDB erhöht und real.

Abbildung: Lageradar des NDB

Die Kantonspolizei Zürich hat zur Unterstützung von Betroffenen – Jugendliche, Erziehungsberechtigte, Lehrpersonen etc. – die Interventionsstelle gegen Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus (IRE) eingerichtet. Die Fachstelle bietet persönliche, vertrauliche und kostenlose Beratungen an und vermittelt nach Bedarf an weitere Fachstellen. Sie stellt Hilfsmittel und Erklärvideos zur Verfügung.[12]

Verschwörungstheorien / Staatsverweigerer und Selbstverwalter

Seit der Covid-19-Pandemie sehen sich verschiedene Behörden und Ämter verstärkt mit dem Phänomen der Staatsverweigerer und Selbstverwalter konfrontiert. Das Verhalten dieser Menschen bzw. dieser Gruppierung resultiert aus einer Ideologie, die durch Verschwörungsnarrative legitimiert wird. Sie vertreten vor allem die Haltung, wonach staatliche Organe heimlich und illegal in private Firmen überführt worden seien, um letztlich einer Weltelite die Unterdrückung der Menschheit zu ermöglichen. Selbstredend resultieren daraus Verweigerungen bei staatlichen Anordnungen. Querulatorisches Verhalten tritt zutage. Ämter werden mit einer Vielzahl von Schreiben eingedeckt und Amtshandlungen teilweise gefilmt/aufgezeichnet und via der Sozialen Kanäle verbreitet.[13]

Der Umgang mit diesen Menschen stellt für Vertreterinnen und Vertreter von Behörden und Ämtern eine grosse Herausforderung dar. Oftmals sehen sie sich furchteinflössendem oder diffus drohendem Verhalten gegenübergestellt. Auch für die Polizei wird die Aufgabenerfüllung durch dieses Verhalten erschwert. Das Risiko für eine mögliche Gewalteskalation ist nicht einfach einzuschätzen. Das Potenzial für eine Radikalisierung mit wachsender Gewaltbereitbereitschaft ist vorhanden.

Im Weiteren erlaube ich mir auf die ausführlichen Erläuterungen von Thomas Gerber, Fachverantwortlicher der IRE, im hinteren Teil dieses Seminarbandes zu verweisen.[14]

Organisatorische und strukturelle Voraussetzungen schaffen

Damit die Priorisierung für eine erfolgreiche Bewältigung der herausfordernden Aufgaben überhaupt erfolgen kann, sind organisatorische und strukturelle Voraussetzungen notwendig. Dabei gilt zu beachten, dass mit der Einführung von erarbeiteten Konzepten und der Aufnahme des operativen Betriebs von spezialisierten Fachstellen die Arbeiten nicht getan sind. Die Praxis zeigt, dass mit diesem Zeitpunkt die Weiterentwicklungsarbeiten nahtlos anschliessen müssen, um das ganze System «am Leben» zu erhalten.

Kantonales Bedrohungsmanagement

Im Kanton Zürich hat bekanntlich der Doppelmord in Pfäffikon ZH am 15. August 2011 den Regierungsrat dazu veranlasst, für die Legislaturperiode 2012 – 1215 u.a. «Gewaltschutz und Gewaltbekämpfung» als Schwerpunktthema[15] festzulegen. Gestützt auf die Zielsetzungen in diesem Beschluss wurde unter der Projektleitung der Kantonspolizei Zürich das Kantonale Bedrohungsmanagement aufgebaut und auf Anfang 2015 eingesetzt.[16]

Mit diesem Zeitpunkt starteten die erwähnten Weiterentwicklungsarbeiten. Um vor allem ein nachhaltig gemeinsames Verständnis zum Bedrohungsmanagement bei allen beteiligten Stakeholdern zu schaffen, braucht es einen «Motor» im Zentrum der Organisationsstruktur, welcher alle Beteiligten regelmässig mit Informationen versorgt und Aus-/Weiterbildungen gewährleistet. Im Kanton Zürich übernimmt die Präventionsabteilung der Kantonspolizei diese Rolle zusammen mit anderen Partnerorganisationen. Sie wird dabei durch das «Interdisziplinäre Fachgremium (IFG)»[17] unterstützt. Eine zentrale Rolle kommt auch der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt (IST) zu, die innerhalb der Präventionsabteilung der Kantonspolizei angesiedelt ist. Deren Aufgaben sind im Gewaltschutzgesetz des Kantons Zürich verankert.[18] Die IST arbeitet eng mit der Kantonalen Opferhilfestelle[19] und den Beratungsstellen zusammen, die allesamt wesentliche Partnerorganisationen im Verbund des Bedrohungsmanagements sind.

Das System des Bedrohungsmanagements «am Leben» zu erhalten, bedeutet ein Generationenprojekt. Die Unterstützung der Politik ist dazu unerlässlich. Im Kanton Zürich misst der Regierungsrat seit dem erwähnten Doppelmord der Verhinderung von Gewaltdelikten (Prävention) höchste Priorität bei. Ab 2015 legte er deshalb für die folgenden Legislaturperioden u.a. nachstehende Scherpunktthemen fest:

Gewaltprävention (2015 – 2018)[20]Gefährdung durch psychisch auffällige Personen undGewalt gegen Frauen (2019 – 2022)[21]Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (2023 – 2026)[22]

Die Verhinderung von Gewalt ist eine ausgesprochene Verbundaufgabe im Rahmen des Kantonalen Bedrohungsmanagements. Sie muss Verankerung in der gesamten Kette der Strafverfolgung unter Einbezug des Gesundheitswesens und der Opferhilfe/-beratung finden.

Qualitätsstandards Kantonales Bedrohungsmanagement

An der letztjährigen Fachtagung Bedrohungsmanagement (2023) habe ich über die Definition und Einführung von Qualitätsstandards für ein Kantonales Bedrohungsmanagement auf der Basis eines entsprechenden Grundlagenpapiers[23] berichtet. Die detaillierten Ausführungen dazu sind im Seminarband[24] dieser Fachtagung festgehalten. Der Seminarband ist für den elektronischen und kostenlosen Download auf der Webseite des Europa Instituts der Universität Zürich (EIZ) eingestellt.[25]