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In Zeiten von Gender Pay Gap, Fachkräftemangel und Generation Z benötigen wir faire, transparente und diskriminierungsfreie Entgeltsysteme. Bisherige Vergütungssysteme sind längst nicht mehr zeitgemäß, in denen soziale Kompetenzen und Belastungen vernachlässigt wurden. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis Juni 2026 geschlechterneutrale Entgeltsystem vorschreibt, setzt dafür neue Standards. Dr. Stefan Waschmann ist selbstständiger Berater für Entgeltsysteme und Vorkämpfer für "Fair Pay". Sein Buch hilft dabei, Schwächen in Vergütungssystemen zu erkennen, analysiert die durch die Entgelttransparenzrichtlinie erforderlichen Veränderungen und skizziert ein diskriminierungsfreies Fair-Pay-Gehaltssystem. Er versteht dabei die von der EU vorgegebenen Kriterien zur Funktionsbewertung als Chance. Diese bilden die Grundlage für eine Equal-Pay-Stellenbewertung, die heutigen Anforderungen wie Innovation, Anpassungsfähigkeit, psychosozialen Belastungen und sozialer Verantwortung gerecht wird. Inhalte: - Der hartnäckige Gender Pay Gap - Bestandsaufnahme: die zerklüfteten Gehaltssysteme Mitteleuropas - Paradigmenwechsel Entgelttransparenz-/Lohntransparenzrichtlinie (ETRL) - Fair-Pay-Stellenbewertung: Grundsätze, Struktur und Kriterien - Die optimale Lohnkurve - Abgeltung atypischer ArbeitszeitenDie digitale und kostenfreie Ergänzung zu Ihrem Buch auf myBook+: - Zugriff auf ergänzende Materialien und Inhalte - E-Book direkt online lesen im BrowserJetzt nutzen auf mybookplus.de.
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Seitenzahl: 433
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Stefan Waschmann
Fair Pay
1. Auflage, September 2024
© 2024 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Bildnachweis (Cover): KI-generiert mit Midjourney
Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer
Lektorat: Maria Ronniger
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Die Frage nach dem »richtigen« oder »fairen« Gehalt ist so alt wie unselbstständige Arbeitsverhältnisse selbst. Gehalt ist Hygiene, Schmerzensgeld, Lebensnotwendigkeit, Selbstbestätigung und vieles mehr, auch wenn es formal nur ein Haufen Zahlen auf einem Bildschirm ist. Aus diesem Grund ist es Beschäftigten ein zentrales Bedürfnis, fair entlohnt zu werden. Dieses Buch versucht daher, die Frage, was denn eigentlich »fair« ist, zu beantworten – und zu zeigen, wie Organisationen Fair Pay umsetzen können.
Ein wesentlicher Antrieb der neuen Gehaltsfairness ist der mitteleuropäische Gender Pay Gap. Trotz des etablierten Prinzips »Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit« scheiterte Equal Pay bisher an Umsetzungsschärfe und einer verbindlichen Antwort auf die Frage: Wie bestimmt man »gleichwertige Arbeit«? Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (synonym: Lohntransparenzrichtlinie, abgekürzt: ETRL oder Richtlinie 2023/970) gibt eine Antwort in Form von Eckpfeilern, die insbesondere klären, nach welchen Kriterien Funktionsgehälter zukünftig bestimmt werden müssen.
Bis Juni 2026 muss die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Lohntransparenzrichtlinie) in nationales Recht umgesetzt sein. Dieses Buch soll dir dabei helfen, rechtzeitig Schwächen im eigenen Gehaltssystem zu erkennen und diesen mit einem Fair-Pay-Gehaltssystem zu begegnen. Ich zeige die typischen Schiefstände aktueller Gehaltssysteme auf, analysiere die Änderungsnotwendigkeiten durch den »Katalysator Lohntransparenzrichtlinie« und skizziere ein diskriminierungsfreies Fair-Pay-Gehaltssystem als zukunftsfitte Lösungsvariante. Die von der EU vorgegebenen Kriterien der Funktionsbewertung werden als Chance verstanden und als Basis für die Fair-Pay-Stellenbewertung verwendet. Daraus entsteht ein verständliches Bewertungssystem, das nicht mehr »Macho-Kriterien« wie Muskelkraft belohnt, sondern Anforderungen des 21. Jahrhunderts wie Innovations- und Adaptionsnotwendigkeit, psychosoziale Belastungen oder soziale Verantwortung berücksichtigt.
Denn nicht nur rechtliche Vorgaben machen transparente, diskriminierungsfreie und faire Gehaltssysteme notwendig: Der Arbeitskräftemangel sorgt dafür, dass sich Unternehmen zunehmend um Personal bewerben müssen. Die besten Karten in diesem »Beauty Contest« hat, wer mit Fair-Pay-Kriterien die zukunftsnotwendigen Jobs konkurrenzfähig bewertet hat – und mit einem fairen Gehaltssystem transparent darlegen kann, wer warum wie viel im Unternehmen verdient.
Das beinhaltet auch eine Antwort auf die Frage, wie eine faire Lohnkurve aussehen sollte und was gruselige Arbeitszeiten wert sind – die Generation Z will weder anfangs für einen Hungerlohn arbeiten noch die Work-Life-Balance der Arbeit opfern. Wer zukünftig am Arbeitsmarkt erfolgreich sein möchte, wird Fair Pay als Basis für jegliche Total-Rewards-Strategie benötigen. Sehen wir also die EU-Lohntransparenzrichtlinie als Chance, faire, transparente und diskriminierungsfreie Gehaltssysteme sachlich auf den Boden zu bekommen. Die Zeit ist jedenfalls reif dafür.
Hinweis
Dieses Buch wurde nach bestem Wissen und nach sorgfältiger Recherche erstellt. Aufgrund der Volatilität und Komplexität der Materie (die Umsetzungsfrist der Lohntransparenzrichtlinie liegt zum Zeitpunkt der Bucherstellung noch über zwei Jahre in der Zukunft) sind aber Fehler oder Abweichungen nicht auszuschließen.
In dieser Publikation wird eine geschlechtergerechte Sprache verwendet. Dort, wo das nicht möglich ist oder die Lesbarkeit stark einschränken würde, gelten die gewählten personenbezogenen Bezeichnungen für alle Geschlechter.
Gender Pay GapDie Frage nach »fairem Gehalt« oder »dem richtigen Gehalt« ist an der sensiblen Schnittstelle von Gehaltspolitik und Gesellschaftspolitik zu Hause. Bevor wir also sagen können, was ein faires Gehaltssystem ausmacht, müssen wir uns den »Problembären« widmen, die eine Beschäftigung mit der Materie erst notwendig machen: Es geht zuallererst um die unangenehme Fragen nach dem (hartnäckigen) Gender Pay Gap, dann um die Frage, wieso sich im reichen Mitteleuropa Menschen vom Vollzeitgehalt das Leben nicht leisten können, und schließlich um die Frage: Was ist eigentlich fair?
DiskriminierungDiskriminierung, Gender Pay GapGender Pay GapMänner verdienen in Europa noch immer signifikant mehr als Frauen. Die notwendige Bekämpfung dieses Gender Pay Gaps war die Hauptursache für die Entstehung der Entgelttransparenzrichtlinie (synonym: Lohntransparenzrichtlinie, abgekürzt: ETRL), da vorhergehende Maßnahmen nicht die gewünschten Erfolge lieferten. Und die letzten Jahre stagnierte die Reduktion des Gender Pay Gap im DACH-Raum weitgehend (Eurostat, 2024a):
Österreich und Deutschland waren lange Zeit in einer Aufholjagd zu Equal Pay und haben ihren Gender Pay Gap jeweils von über 22 % auf 18–19 % reduziert. Seit zwei Jahren verharren die Werte beider Länder nun in diesem Bereich. Und damit weit über EU-Schnitt.
Die Schweiz, mit einer stellenweisen Durchdringung von Stellenbewertungen (v. a. in Produktionsbereichen und der – hier irrelevanten – öffentlichen Hand) und frühen Maßnahmen zu Equal Pay, wurde damit von Österreich und Deutschland eingeholt. Der Gipfelstürmer Schweiz wurde zum Durchschnitt.
In der Realität liegt der Gender Pay Gap wohl noch höher als öffentlich wahrgenommen: Eurostat1 inkludiert nur Organisationen mit zehn oder mehr Angestellten, was positiv verzerren kann. In nationalen Statistiken werden oft Beamtinnen und Beamte sowie andere öffentlich Bedienstete in den Gender Pay Gap miteingerechnet. Dieser fällt dann meist niedriger aus, da öffentliche Arbeitsstellen in der Regel diskriminierungsfreier entlohnen als private Arbeitsstellen.2 In Österreich beispielsweise liegt der Gender Pay Gap 2022 bei Angestellten bei knapp 30 % (Arbeiter:innen: 26 %), bei Vertragsbediensteten (einer Vertragsart ähnlich zu einem öffentlichen Tarifvertrag) bei nur rund 5 % (Statistik Austria, 2023a).
Abb. 1:
»Unbereinigter«
3
Gender Pay Gap auf Stundenbasis (TZ-bereinigt), Wirtschaftsunternehmen mit zehn oder mehr Beschäftigten
Diskriminierung, Gender Pay GapGender Pay Gap, UrsachenIm Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht neben der (empirisch unbestrittenen) Existenz des Gender Pay Gap die Frage nach den Ursachen für dieses Gehaltsgefälle. In Deutschland kann der »bereinigte« Gender Pay Gap nur etwa die Hälfte4 des Lohnunterschieds durch Faktoren wie Bildung, Alter etc. erklären (Klammer et al., 2018, S. 66). Österreich kommt gar auf 68,4 % unerklärbaren Gender Pay Gap (Geisberger & Glaser, 2021, S. 443). Dieser restliche Anteil des Gender Pay Gap wird in aktueller Literatur (Klammer et al., 2018, S. 12) insbesondere durch den »BewertungseffektGender Pay Gap, Bewertungseffekt«5 – also die ungleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit – erklärt. Der unerklärbare Anteil des Gender Pay Gap ist alsdann eigentlich erklärbar – allerdings durch diskriminierende Faktoren bzw. schief stehende Bewertungen aller Art (Klammer et al., 2018, S. 59).
Das heißt also: Wenn die üblichen erwartbaren unabhängigen Variablen (Alter, Ausbildung etc.) den Gender Pay Gap nur zu einem Drittel bis zwei Drittel erklären können – dann muss der Hund irgendwo in der Bewertung und/oder der Einreihung begraben liegen. Denn wenn Einreihungen nicht stimmen (oder die Überzahlungen), dann liegen zwei Ursachen auf der Hand:
Einerseits werden wir direkte toxische Diskriminierungen durch die Vertragserstellenden – wie geringere Überzahlungen oder Ähnliches – in einem Ursachengemisch aus Frauenfeindlichkeit, Geringschätzung oder Teilzeit-Diskriminierungen vorfinden. Diese Aspekte sind Anwendungsprobleme, die durch strengere Entgeltberichte (wie in der Lohntransparenzrichtlinie vorgesehen) aufgedeckt werden können. Denn selbst wenn ein komplett faires Bewertungssystem dahinterliegt, kann eine diskriminierende Behandlung von Frauen durch die Anwendenden (z. B. durch niedrigere Prämien bei gleicher Zielerreichung für Frauen) zu erheblichen Schiefständen führen.
Andererseits kommen wir zu des Pudels Kern: Ein Gutteil des Gender Pay Gap sollte ausräumbar sein, wenn Bewertungssysteme geschlechtsneutral werden und die Dominanz der Macho-Kriterien (physische Stärke, Verantwortungen etc.) gekappt wird. Sarah Kutzner (2016, S. 143) berichtet zu einem Vortrag von Sarah Lillemeier6, die den Bogen vom Gender Pay Gap zu den Schwächen aktueller Grading-Systeme gekonnt spannt:
»Bei der systematischen Unterbewertung der Arbeit von Frauen handele es sich demnach um evaluative Diskriminierungen als Folge vergeschlechtlichter Arbeitsbewertungen. Schon die Verfahren der Arbeitsbewertung bärgen solche evaluativen Diskriminierungspotenziale in sich. Das drücke sich u. a. darin aus, dass psychosoziale Belastungen, die häufiger im Rahmen frauendominierter Arbeitsplätze relevant seien, nicht bei der Bewertung berücksichtigt würden.«
Empirisch wurde diese Aussage 2018 durch den »Paarvergleich« (Klammer et al., 2018) eindrucksvoll belegt. Der auf den ersten Blick irreführende Begriff »Paarvergleich« bezieht sich im Übrigen darauf, dass über eine Abakaba-basierte Bewertung (siehe auch Kapitel 1.4.3) ermittelte gleichwertige Jobs mit jeweils besonders hohem und besonders niedrigem Frauenanteil finanziell verglichen wurden. Somit wurde ein Vergleich gleichwertiger Jobs vorgenommen. Das Ergebnis: Trotz Gleichwertigkeit sind typische Frauenberufe strukturell schlechter bezahlt.
Macho-KriterienBewertungskriterien, typische, Macho-KriterienDie zugrunde liegenden Bewertungssysteme sind also mit männerbegünstigenden Kriterienmännerbegünstigende Bewertungskriterien (wenn ein Tarifvertrag beispielsweise zwar Anforderungen an die Muskelkraft hoch bepunktet, aber psychosoziale Belastungen gar nicht honoriert) ausgestattet oder anderweitig diskriminierend – sofern überhaupt strukturierte Bewertungssysteme bestehen. In zahlreichen Tarif- und Kollektivverträgen wird mangels strukturierter Jobbewertung die Einreihung anhand von Prosa-Zweizeilern mehr gewürfelt als analytisch vorgenommen.
Genau dieses Problem wollen wir in diesem Buch angehen: Am Ende steht die Blaupause für ein faires System zur Jobbewertung und Gehaltsermittlung. Denn bisher sind männerfördernde Arbeitsbewertungen eine Hauptursache des Gender Pay Gap.
ArbeitszufriedenheitArbeitszufriedenheit, faires GehaltIn den vergangenen Jahren erlebten wir – ebenfalls angetrieben durch den bereits beginnenden Arbeitskräftemangel – eine Vielzahl an mehr oder weniger weit hergeholten Konzepten zur Verbesserung der gelebten oder wahrgenommenen Fairness im Job. Davon kommen einige aus der Nähe des Gehaltsbereichs (z. B. Maßnahmen zu einer besser mit der Familie verträglichen Arbeitszeit für Verkaufs- oder Schichtpersonal), andere hatten beinahe Selbsthilfe-Charakter: Von intrinsischer Motivation über sinnvolle Arbeit bis zu Typologien zur »natürlichen« Rollenfindung erstreckte sich das Buzzword-Bingo. Der Esoterik-Bauchladen feierte fröhliche Urständ. Francis Green (2006, S. 111) fasst diese teilweise irritierenden Ansätze als eine Anlass zur Sorge gebende Vision zusammen, in der das Bedürfnis nach erfüllender und kreativer Arbeit materielle Bedürfnisse – vermeintlich – in den Hintergrund drängt.
Dabei ist Arbeit, die aufs Karma einzahlt, aber nicht für die Miete reicht (mangels ausreichenden Gehalts), ungesund für alle Beteiligten, insbesondere aber die Beschäftigten. Alle Maßnahmen auf motivatorischer und kultureller Ebene benötigen als Fundament zuallererst harte Fakten – und das ist vor allem ein faires Gehalt.
Daher treten wir zunächst einen Schritt zurück und stellen uns die Frage: Was ist Fairnessfaires Gehalt eigentlich? Einig ist sich die Literatur – z. B. Green (2006, S. 111), der wiederum Adams (1965) und Akerlof (1982) zitiert –, dass ein Gehalt dann als fair empfunden wird, wenn sich die Gehaltshöhe am Beitrag der einzelnen Beschäftigten zum Unternehmenserfolg orientiert. Der Teufel liegt hier allerdings im Detail – nämlich bei der Frage: Wie hoch schätzen die einzelnen Beteiligten – von den Callcenteragents bis zum CEO – ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg ein?
Abgehobene ManagementgehälterManagementgehälter können sonst grundsätzlich faire Gehaltssysteme in der Wahrnehmung der Arbeitskräfte übertünchen (Green, 2006, S. 112). Auch wenn das eigene Gehalt in einem solchen Fall fair hergeleitet wird, wird es nie als fair empfunden werden, wenn das Management trotz mittelmäßiger Unternehmenszahlen Boni in Millionenhöhe erhält. Erklärungsversuche werden kläglich scheitern, wenn diese Boni weder aus der Perspektive der Leistungsgerechtigkeit (Welche Leistung rechtfertigt ein 30-fach höheres Gehalt?) noch der Bedarfsgerechtigkeit (Welchen Bedarf hat das Management, der ein 30-fach höheres Gehalt erfordert?) erklärbar sind (Lesch & Bennett, 2010, S. 23 ff.) – siehe dazu auch Kapitel 1.1.3.
Die Wahrnehmungen, welche Jobanforderungen wie hoch oder wie wichtig zu bewerten sind, ändern sich. War früher z. B. manuelle Kraft oder Genauigkeit ein anerkanntes, wesentliches Anforderungskriterium, gilt dieses heute als hoffnungslos veraltet.
Als problematisch empfunden (Green, 2006, S. 112) wird auch eine zunehmende Streuung der Löhne im Allgemeinen. Hiermit ist vor allem gemeint, dass bestimmte Tätigkeiten oder Branchen strukturiert unterentlohnt werden. Dieses Problem ist in diesem Buch nur indirekt von Belang (nämlich insbesondere hinsichtlich des Mindestlohns und der Lohnspreizung). Die Dimension des Problems ist generell in den USA (Stichwort »Working Poor«) größer als in Europa.
Diese beinahe schon philosophische Frage nach realer und empfundener Fairness in einem grundsätzlich freien Markt – und damit auch freien Arbeitsmarkt – bringt uns zur Notwendigkeit, kurz auch theoretisch im folgenden Kapitel einzuordnen, warum einige sozialwissenschaftliche Grundregeln bei der Erstellung von Gehaltssystemen der Gesellschaft und der Zufriedenheit der Beschäftigten zuträglich sind.
Ein Arbeitsmarkt ist am Ende dennoch ein Markt. Man könnte, marktwirtschaftlichen Prinzipien folgend, davon ausgehen, dass Angebot und Nachfrage zu einem entsprechenden ausgehandelten Preis führen, der den Marktwert der Arbeit darstellt. Allerdings: Der Arbeitsmarkt ist kein Ort für maximal liberale Marktmodelle. Denn er muss – jedenfalls in Europa – neben einer reinen Ausgleichsfunktion von Angebot und Nachfrage auch eine gewisse soziale Funktion übernehmen. Ganz konkret im Fall des Gehalts bedeutet das: Alle müssen von ihren Gehältern leben können – also nicht nur von der Hand in den Mund, sondern auch inklusive gesellschaftlicher Teilhabe (siehe dazu insbesondere Kapitel 2.3.1).
Zur Orientierung – und bevor hier jemand »Lohntheorie« ruft – ein kurzer Zoom aus dem Weltall auf jenen wirtschaftswissenschaftlichen Kleingarten, in dem wir uns hier tummeln: Gehaltsfragen können – nach Külp (1980, S. 73), zitiert von Lesch & Bennett (2010, S. 20) – in drei Zusammenhängen diskutiert werden:
Welche ökonomischen Faktoren beeinflussen das Lohnniveau? Diese Frage ist Gegenstand der Lohntheorie.Lohntheorie
Welche Auswirkungen haben Änderungen des Lohnniveaus auf andere wirtschaftliche Größen wie das Beschäftigungs- und Preisniveau? Dieser Aspekt wird in der Makroökonomie abgedeckt.
Bei welcher Lohnhöhe kann man von einem gerechten Lohn sprechen? Diese Frage – und das ist jene Frage, die in diesem Buch das Zentrum der Schwerkraft sein wird – ist nicht rein empirisch zu beantworten. Denn hier spielen auch normative Faktoren mit. Die Frage, was »gerecht« ist und wie »Gerechtigkeit« zu operationalisieren ist, ist eng mit gesellschafts- und sozialtheoretischen Ansätzen verwoben.
faires GehaltZerteilt man, wie Lesch & Bennett (2010, S. 21), die Frage nach der gerechten Lohnhöhe in die Aspekte der Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit, so findet man schnell einen Bezug weg von abstrakter Theorie hin zum Objekt der Begierde in diesem Buch: den Gehaltssystemen.
Der Faktor der LeistungsgerechtigkeitLeistungsgerechtigkeitfaires Gehalt, Leistungsgerechtigkeit geht – sehr vereinfacht gesprochen – davon aus, dass Angebot und Nachfrage auf einem freien Arbeitsmarkt einen leistungsgerechten Lohn ergeben. Es besteht somit eine relative Gleichheit und keine absolute Gleichheit. In einer sozialen Marktwirtschaft (wie in Europa üblich) ist dieser Aspekt allerdings nur in einem regulierten Rahmen relevant: Im Falle von Tarif- und Kollektivverträgen geben diese zumindest eine Unterkante der Entlohnung vor, genauso wie Verwendungs- und Gehaltsgruppen sowie Erfahrungsstufen, die dafür sorgen sollen, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt wird (darüber kann man trefflich streiten, siehe dazu auch Kapitel 2).
Der Gerechtigkeitsmaßstab der relativen Gleichheit wäre (wenn wir den Überzahlungswildwuchs erst mal ignorieren) demnach in der Welt der Leistungstheorie mit einem Tarif- oder Kollektivvertrag am Papier bereits erfüllt. Lesch und Bennett (2010) führen in diesem Zusammenhang an, dass neben höheren Qualifikationsanforderungen auch unangenehme Arbeitsbedingungen gemäß Leistungsgerechtigkeit zu einem höheren Lohn führen müssten. Genau dieser Konjunktiv ist es, der uns nahelegt, die Leistungsgerechtigkeit immer mit Vorsicht zu genießen. Lesch und Bennett (2010, S. 25) sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass »gegebenenfalls auftretende marktinduzierte Fehlbewertungen von Leistung zu korrigieren« sind. Damit ist gemeint, dass der Markt nicht immer korrekte Bewertungen von Anforderungen und Leistungen (Lesch & Bennett, 2010, S. 28) vornimmt (»Marktversagen«). Eine solche Asymmetrie entsteht vorwiegend, wenn eine Seite des Marktes (in der Vergangenheit häufig die Unternehmensseite, insbesondere wenn diese in wenigen großen Unternehmen organisiert ist) zu viel Marktmacht hat oder eine Sparte »traditionell« unterentlohnt wird (z. B. Care-Berufe). Solche Schiefstände sollen von einer analytischen Stellenbewertung nach der EU-Lohntransparenzrichtlinie korrigiert werden. Denn die EU-Lohntransparenzrichtlinie versucht gerade, bisher unterbewertete oder ignorierte Faktoren der Arbeitsbewertung (z. B. die weitgehende Unterbewertung sozialer Kompetenzen, was bisher zu einer strukturierten Unterbewertung von Care-Berufen geführt hat) mit in den Warenkorb der Bewertungskriterien zu holen.
Die BedarfsgerechtigkeitBedarfsgerechtigkeit von Gehälternfaires Gehalt, Bedarfsgerechtigkeit hingegen stellt das Bedürfnis nach einem halbwegs würdevollen Leben bzw. Auskommen mit dem eigenen Lohn in das Zentrum ihrer Betrachtung. Da die Vorstellungen, was für ein würdevolles Leben notwendig ist, mitunter weit auseinander gehen (manche sollen ja sogar Privatjets zu einem üblichen Konsumgegenstand erklärt haben), ergibt eine relativierende Definition wie nach Lesch & Bennett (2010, S. 23) Sinn:
»Da Bedarf grenzenlos sein kann und schwer objektivierbar ist, muss sich das Ziel der Bedarfsgerechtigkeit bei begrenzten Ressourcen letztlich auf die Sicherung einer minimalen oder einer von der Gesellschaft als angemessen empfundenen Deckung von Grundbedürfnissen beschränken.«
Diese Bedarfsgerechtigkeit findet sich ebenfalls in unseren Gehaltssystemen wieder: Insbesondere Mindestlöhne, aber auch (in den letzten Jahren) zu beobachtende stärkere Indexierungen der untersten Gehaltsgruppen entsprechen eher dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit als der Leistungsgerechtigkeit.
Managementgehälter
ManagementgehälterSehr anschaulich werden die zwei Perspektiven der Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit anhand der häufig als überbordend betrachteten Managementgehälter: Während sich aus dem Blickwinkel der Leistungsgerechtigkeit die Frage stellt, ob die Leistung des Managements wirklich zehnmal so hoch ist wie die der Buchhalterinnen und Buchhalter (wenn das Gehalt um diesen Faktor höher ist), so ist aus dem Bedarfsblickwinkel zu fragen: Welche Bedürfnisse in Sachen Lebensstil hat das Topmanagement, für die man 500.000 Euro Jahresgehalt oder mehr benötigt?
So plastisch das Managementbeispiel ist, so selten wird es im Mittelpunkt stehen – nur wenige Personen sind davon betroffen. Das Spannungsfeld von Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit zeigt sich aber auch ganz bodenständig am anderen Ende der Fahnenstange. Im untersten Zehntel zeigen sich seit einigen Jahren erste Erosionserscheinungen des Leistungsprinzips von Gehaltstabellen: Verlängert man den aktuellen Trend, die unterste Gehaltsgruppe bei der jährlichen Gehaltsrunde stärker zu indexieren als die darauffolgenden Gehaltsgruppen, so verdienen irgendwann die untersten drei Gehaltsgruppen gleich viel. Gut in Sachen Mindestlohnhöhe, aber gleichzeitig entsteht so ein Problem für die Leistungsgerechtigkeit.
Die Aspekte der Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit werden uns in diesem Buch immer wieder begegnen. Zur Erreichung von Lohngerechtigkeit müssen schlussendlich beide Gerechtigkeitsdimensionen implementiert werden (Lesch & Bennett, 2010, S. 25). Ich würde allerdings gern zwei Aspekte hinzufügen, ohne die eine Operationalisierung von Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit nicht gelingen kann:
faires Gehalt, DiskriminierungsfreiheitDiskriminierungsfreiheit: Neben der Leistungsgerechtigkeit aus Sicht des Marktes müssen Kriterien auch gesellschaftlich adäquat und somit insbesondere auch diskriminierungsfrei sein.7
TransparenzEntgelttransparenz: Dieser Faktor zielt auf die (immer) inkomplette Informationslage für Entscheidungen ab und versucht, diese zu verbessern. Oder ein wenig bodenständiger: Ohne Kontrolle keine Veränderung und ohne Transparenz keine Kontrolle. Transparenz ist im Fair-Pay-Gefüge der Bewegungsfaktor oder Effizienzaspekt, der Treibstoff, mit dem diskriminierungsfreie Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit überhaupt erst möglich wird.
Weitere Prinzipien zur Beurteilung der Lohngerechtigkeit
faires Gehalt, Prinzipien zur Beurteilung der LohngerechtigkeitNeben der Anforderungs- und Leistungsgerechtigkeit (zu denen auch leicht abweichende Definitionen existieren) kommen in der Literatur (Kößler, 2001, zitiert durch NPO Institut, 2020, S. 4) noch weitere »Prinzipien« zur Beurteilung von »Lohngerechtigkeit« vor, die von geringerer Relevanz für das gegenständliche Buch sind: Marktgerechtigkeit (das Gehalt berücksichtigt die Marktnachfrage), Erfolgsgerechtigkeit (Berücksichtigung des wirtschaftlichen Erfolgs der Organisation im Gehalt) oder Qualifikationsgerechtigkeit (wenn das Gehalt die Qualifikation des Mitarbeitenden berücksichtigt).
Die Anforderungsgerechtigkeit (das Gehalt bemisst sich nach den Anforderungen der Stelle8) hingegen ist omnipräsent in diesem Buch: Denn die Anforderungsgerechtigkeit ist ein zentraler Antrieb, ein faires Arbeitsbewertungssystem zu entwickeln.
1 Eurostat verwendet den Mittelwert, andere Statistiken hingegen teilweise den Median. Der Median ist grundsätzlich robuster gegenüber Ausreißern. In der Eurostat-Gender-Pay-Gap-Statistik werden immerhin »öffentliche« Jobs exkludiert (Eurostat, 2024a).
2 Öffentliche Arbeitsstellen verwenden heute bereits häufig analytische Jobbewertungen, Überzahlungen sind Mangelware, eindeutige Anrechnungsregelungen liegen vor etc.
3 Der »unbereinigte Gender Pay Gap« ist i. d. R. Teilzeit-bereinigt (klingt seltsam, ist aber so). Im Wesentlichen existieren zwei Varianten, um eine Vergleichbarkeit zu schaffen: Entweder es werden nur VZ-Arbeitsverhältnisse verglichen oder die Entlohnung je Arbeitsstunde wird verglichen.
4 Die Studienlage hierbei ist nicht eindeutig, der bereinigte Gender Pay Gap variiert teilweise erheblich, die Bezifferung des bereinigten Gender Pay Gap in der Höhe von 10 % (somit etwa der Hälfte des gesamten Gender Pay Gap von 18 %) bezieht sich auf die umfassenden Erhebungen von Klammer et al., 2018, S. 66.
5 »die geschlechterdifferente Entlohnung gleicher verdienstrelevanter Merkmale« (Klammer et al., 2018).
6 »Blinde Flecken in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps« auf der Konferenz »Entgeltgleichheit auf dem Prüfstand. Perspektiven auf den Gender Pay Gap« am 08.04.2016 an der Universität Duisburg-Essen.
7 Klingt selbstverständlich, man sollte aber die Progressivität des Marktes nicht überschätzen: in den 1950er-Jahren wurden von vornherein niedrigere Gehaltskurven für Frauen noch als normal und damit leistungsgerecht empfunden, siehe z. B. Fischer (1951). Erst 1955 wurden abgesenkte Frauen-Gehaltskurven vom Bundesarbeitsgericht als gleichheitswidrig gekippt.
8 Aufgrund der mangelnden Trennschärfe werden in diesem Buch die Begriffe »Stelle« und »Rolle« pragmatischerweise synonym verwendet.
ArbeitsbewertungsverfahrenBevor wir uns der analytischen Arbeitsbewertung nähern, müssen wir kurz einen Blick auf die existenten Verfahren zur Lohnbestimmung werfen. Dies ist vor allem auch geboten, um einordnen zu können, wo die große Masse der Systeme zu Hause ist (Spoiler: im Lohngruppenverfahren) und welche Systeme am besten mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Lohntransparenzrichtlinie) kompatibel sind (punktebasiertes, analytisches Stufenwertverfahren, eventuell auch das Rangreihenverfahren).
Im Wesentlichen ist sich die Literatur (und Praxis) darüber einig, dass wir es grosso modo in der Vergangenheit mit vier Arten von (Funktions-)Bewertungsverfahren zu tun haben. Die folgende Einteilung ist beispielsweise an das Organisationshandbuch des BMI Deutschland (2023) oder Heinz Kappel (1990) angelehnt. In diesem Kapitel soll ein grundlegender Überblick über die Möglichkeiten und Risiken der vier Systemarten gegeben werden, eine Art Orientierung.
Abb. 2:
Überblick
Arbeitsbewertungsverfahren, Überblick Bewertungsverfahren
Funktionsbewertungsverfahren
Mischsysteme sind grundsätzlich möglich, auch aufgrund des massiven Digitalisierungsfortschritts der letzten 30 Jahre. Im öffentlichen Bereich häufiger anzutreffen ist eine grundlegende Bewertung von allen wesentlich unterschiedlichen Stellen durch ein analytisches StufenwertverfahrenStufenwertverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Stufenwertverfahren, das durch »SlottingSlotting« jener Stellen, die ähnlich zu den »Ankerstellen« sind, ergänzt wird. Auch die Verwendung zweier Verfahren zur Herstellung besserer Akzeptanz ist möglich: Beispielsweise ist eine zentrale Grundbewertung im Stufenwertverfahren denkbar, die dann durch gegenseitige Einschätzung von Stelleninhaberinnen und Stelleninhabern im Katalogverfahren verifiziert und abgeglichen wird.
Achtung
Der englische Begriff »Grading« wird sowohl für Katalogverfahren als auch für punktebasierte Jobbewertungen verwendet! Soll es englisch sein, so ist der Begriff »Point Factor Method« für punktebasierte Jobbewertungen (Arbeitsbewertungen, Funktionsbewertungen) zu bevorzugen – er ist zwar ein wenig einfältig, aber eindeutiger.
RangfolgeverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, RangfolgeverfahrenSummarische Systeme bewerten den Arbeitsplatz als Ganzes, sie »schätzen« den Arbeitsplatz global ein, ohne diese Bewertung über darunterliegende Kriterien zu operationalisieren.
»Bei summarischen Verfahren (Rangfolge- und Lohngruppenverfahren) werden die mit einem Dienstposten verbundenen Anforderungen in ihrer Gesamtheit betrachtet und bewertet. Beim Rangfolgeverfahren werden die Dienstposten hinsichtlich der Anforderungen miteinander verglichen und in eine Reihen- (Rang-)folge gebracht.«
(Bundesministerium für Inneres, Verwaltungsamt, 2023)
Das reihende, globale Rangfolgeverfahren drückt also überhaupt nur aus, welche Stelle schwieriger ist als eine andere Stelle. Es handelt sich um ein rein ordinales System. Ist Stelle A insgesamt als »komplexer« angesehen als Stelle B, dann ist Stelle A höher zu entlohnen. Der »Abstand« zwischen zwei Stellen ist nicht ausdrückbar. Dass »Stelle A höherwertiger als Stelle B« ist, kann festgestellt werden – nicht aber, ob Stelle A um 10 oder 60 % »komplexer« ist.
Das Rangfolgeverfahren ergibt nur Sinn, wenn im Wesentlichen nur ein Kriterium die einzelnen Jobs unterscheidet. Wer also nur Lagerkräfte beschäftigt, die alle das Gleiche tun, aber manche benötigen einen Staplerschein – dann ist die Reihenfolge der Entlohnung wohl klar.
Freilich ist eine globale Schätzung, dass die Hausmeister:innen geringere Anforderungen im Job haben als das Immobiliencontrolling, zulässig. Diese Aussage schafft sogar das Rangfolgeverfahren. Nur wissen wir dann trotzdem nicht, in welche Gehaltsgruppen wir die beiden einordnen sollen – das Rangfolgeverfahren sagt uns nur etwas zur Reihenfolge, nicht zum Abstand zwischen den Bewertungen (und somit gebotenen Abstand zwischen den jeweiligen Gehältern).
Man merkt schon: Das Rangfolgeverfahren ist für Unternehmen des 21. Jahrhunderts mit ihren komplexen Strukturen kaum mehr geeignet. Am ehesten ist eine sinnvolle Anwendbarkeit in kleinen Unternehmen mit lediglich ein bis zwei Beschäftigtengruppen vorstellbar, bei denen innerhalb der Beschäftigtengruppe eine strenge Hierarchie herrscht. Klassische Unternehmensberatungen könnten eventuell mit einem solchen Rangfolgeverfahren ein Auslangen finden.
Im Katalog-KatalogverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Katalogverfahren oder LohngruppenverfahrenLohngruppenverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Lohngruppenverfahren erfolgt – ähnlich wie beim Rangfolgeverfahren – eine Stufung, die sich aber einem Schulnotensystem annähert: Die Stelle wird ebenfalls global beurteilt und danach anhand der vergebenen »Gesamtbeurteilung« der Verwendungsgruppe zugeordnet. Dieses Verfahren wird auch als »umgekehrtes« Rangfolgeverfahren bezeichnet, da regelmäßig zuerst die gewünschte Anzahl und Abstufung an Lohngruppen entwickelt wird, zu der dann die Beschreibungen und Rollen der »Reihe nach« aufgetragen werden. Häufig werden die Beschreibungen durch Richtbeispiele für Einreihungen ergänzt, um die Anwendbarkeit zu erleichtern.
Das Lohngruppenverfahren wird häufig in Kollektivverträgen verwendet. Gehaltsgruppen werden in der Regel in ein bis drei Sätzen beschrieben, die typischerweise einige wenige klassische Anforderungsmerkmale beinhalten (Dulisch, 2015, S. 3):
die notwendige formale Ausbildung, um in eine Gruppe eingereiht zu werden (als altertümlich operationalisierte Wissens- bzw. Skill-Anforderung)
den (selbstständigen) Handlungsspielraum
die Tätigkeiten (abstrakt und evtl. beispielhaft)
notwendige Erfahrungen
Beispiele
Ein typisches Beispiel aus dem Metallbereich (Saarland) gemäß Dulisch (2015, S. 3):
Gehaltsgruppe E5: Sachbearbeitende Aufgaben und/oder Facharbeiten, deren Erledigung weitgehend festgelegt ist. Erforderlich sind Kenntnisse und Fertigkeiten, wie sie in der Regel durch eine abgeschlossene mindestens dreijährige fachspezifische Berufsausbildung erworben werden.
Gehaltsgruppe E6: Schwierige sachbearbeitende Aufgaben und/oder schwierige Facharbeiten, deren Erledigung überwiegend festgelegt ist. Erforderlich sind Kenntnisse und Fertigkeiten, wie sie in der Regel durch eine abgeschlossene mindestens dreijährige fachspezifische Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung erworben werden.
In Österreich reduziert der Kollektivvertrag für Angestellte des Güterbeförderungsgewerbes (2023) die Lohngruppen auf (abstrakteste) Tätigkeiten und den Handlungsspielraum:
Beschäftigungsgruppe 3: Angestellte, die nach allgemeinen Richtlinien oder Weisungen schwierige Arbeiten selbstständig erledigen
Beschäftigungsgruppe 4: Angestellte mit schwieriger, selbstständiger Tätigkeit
Anhand der gezeigten Beispiele werden zentrale Problemebenen des summarischen LohngruppenverfahrensLohngruppenverfahren, NachteileKatalogverfahren, Nachteile sichtbar:
Interpretations- und Abgrenzungsprobleme innerhalb des bestehenden Systems: Wo liegt der Unterschied zwischen sachbearbeitenden Aufgaben und schwierigen sachbearbeitenden Aufgaben? Jede:r wird »schwierig« unterschiedlich interpretieren.
Dieser Interpretationsspielraum öffnet auch Raum für Manipulationen – in der Vergangenheit wurden Aufgaben mit hohem Frauenanteil oftmals als wenig schwierig eingeordnet.9
Die Beschreibungen decken einen »Mainstream« an Jobs ab, aber nicht die diverse Joblandschaft des 21. Jahrhunderts. Was machen wir aber z. B. mit Stellen, die schwierigste Aufgaben abdecken, aber keinerlei Ausbildung benötigen? Oder umgekehrt: Ich benötige ein Studium, mache aber immer die gleichen monotonen Arbeitsschritte (z. B. Prüfung von Materialsicherheit) – werde ich dennoch anhand des Studienabschlusses in eine besonders hohe Gehaltsgruppe eingereiht?
Die Ursache dafür liegt im »Gleichschritt« der Kriterien beim Katalogverfahren: Mit jeder Gehaltsgruppe im Katalog steigen die Anforderungen an alle Kriterien Hand in Hand ein wenig an. Jobs, die kaum Wissen und Handlungsspielraum erfordern, aber psychisch und physisch höchst belastend sind, können mit dieser Logik nicht abgebildet werden.
Daraus ergeben sich ein Haufen Probleme und eine Überzahlungsorgie: Wie bringt man Rollen unter, die psychosoziale Belastungen aufweisen? Welche Verantwortungen sind in diesen Beschreibungen inkludiert und welche nicht? Wenn diese Kriterien zusätzlich erfüllt werden – wo reiht man eine solche Rolle dann ein? Die Antwort darauf sind meist individuelle Überzahlungen, die das Gehaltssystem noch intransparenter machen.
Typische Anforderungsmerkmale des summarischen Verfahrens inkludieren nicht alle von der EU geforderten Kriterienkategorien: Verantwortungen, Belastungen und Arbeitsbedingungen kommen selten bis gar nicht vor, ebenso wenig wie psychosoziale Aspekte.
Das Katalog- oder Lohngruppenverfahren hat einen Vorteil: Es ist einfach, aus einem Katalog von Zwei-Satz-Beschreibungen die passendste für eine Stelle auszuwählen. Der größte Nachteil des Katalog- und Lohngruppenverfahrens: Die Welt ist nicht so simpel, dass alle Stellen anhand von zweizeiligen Beschreibungen eingeordnet werden können – die Komplexität von Stellen im 21. Jahrhunderts ist nicht mehr mit 20 Worten bewältigbar. Der Effekt: Interpretationsschwierigkeiten, Missbrauchsmöglichkeiten und diskriminierende Kriterien entstehen genauso wie die Notwendigkeit individueller Überzahlungen. All dies führt zu Intransparenz, mangelnder Fairness und somit erheblichen Diskriminierungspotenzialen.
RangreihenverfahrenRangreihenverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Rangreihenverfahren sind zwar bereits analytisch und kriterienbasiert, aber noch nicht punktebasiert im engeren Sinn. Anstatt absoluter Punkte werden Ränge innerhalb einzelner Kriterien ermittelt und danach »summiert«. Das Organisationshandbuch des Verwaltungsamtes des BMI Deutschland (2023) beschreibt das Rangreihenverfahren wie folgt:
»Das analytische Rangreihenverfahren beinhaltet zunächst eine Festlegung von Teilanforderungen an alle Dienstposten (z. B. Fachkenntnisse und Informationsverarbeitung, Verantwortung, Erfahrung). Darüber hinaus ist eine Gewichtung der einzelnen Anforderungsarten zur Gesamtanforderung erforderlich. Bei der Bewertung werden alle Dienstposten hinsichtlich ihrer Arbeitsschwierigkeit in Bezug auf die jeweiligen Teilanforderungen betrachtet, untereinander verglichen und in eine Rangreihenfolge gebracht. So entstehen mehrere Dienstpostenreihen mit Rangplätzen. Die jeweilige Position innerhalb der Rangreihen ergibt für jeden Dienstposten verschiedene Teilwerte, die im Anschluss zu einem Gesamtwert zusammengeführt werden.«
Das Rangreihenverfahren nimmt also eine Auswahl relevanter Faktoren (also Kriterien) und »Reihung« anhand derselben vor. Infolge dieses Verfahrens ist – analog zum Rangfolgeverfahren (s. o.) – lediglich eine Aussage sinnvoll möglich: »Stelle A ist höherwertig als Stelle B«. Ob aber Stelle A um 10 oder 30 % »komplexer« ist, lässt sich nicht sagen. Dieses ordinale Verfahren wird bei größeren Unternehmen rasch reichlich unübersichtlich.
Insbesondere bei einer geringen Anzahl an Kriterien zeigt sich rasch, dass ohne Gewichtung Rangreihenfolgen entstehen, die kreativ anmuten und eine gewisse Marktkonformität vermissen lassen. Reihen wir die Merkmale geistige Anforderung, körperliche Anforderung, Verantwortung und Umgebungseinflüsse (die vier grundlegenden Kategorien des Genfer Schemas, siehe auch Kapitel 1.3.1) jeweils für fünf fiktive Jobs in unserem etwas einfältigen Beispielunternehmen, so entstünde die folgende Reihung:
Abb. 3:
Beispiel Bewertung Rangreihenfolge ungewichtet
Die Lagerkräfte würden uns angesichts der Reihenfolge die Bude einrennen, die Buchhaltung hätte hingegen nur mäßige Freude daran, am unteren Ende der Gehaltsskala aufzutauchen. Nicht nur dass wir alle ein wenig zusammenzucken beim Anblick der Reihung, weil unser subjektives Gehaltswertigkeitsempfinden damit aus dem Gleichgewicht gerät: Die Reihung der Wertigkeiten passt hier ganz und gar nicht mit dem Markt zusammen.
Insofern ist die ungewichtete Rangreihenfolge für soziale Experimente tauglich, für wirtschaftliche Realitäten des 21. Jahrhunderts allerdings nicht. Denn bei aller Progressivität sind Gewichtungen auch Ausdruck von Bewertungsrealitäten der letzten Jahrzehnte. Diese müssen wir in gewissen Maßen berücksichtigen, denn »die gesellschaftlich akzeptierten Kriterien für die Lohnfindung sind Ausdruck von Wertmaßstäben, die sich nicht wissenschaftlich begründen lassen« (Katz & Baitsch, 1996, S. 15).
Die egalitäre Aufgabe all jener Gewichtungen erscheint daher spannend, aber utopisch. Etwas diplomatischer drückte sich Kappel (1990, S. 27) nach Wille et al. (1966, S. 179) aus, der in Bezug auf ein ungewichtetes Rangreihenverfahren (Hagner/Weng-System) ausführt: »Deshalb scheint die Zuverlässigkeit der Bewertung bei Arbeitsplätzen, die nicht gleichmäßig alle Anforderungsarten aufweisen, problematisch.« Um diese offensichtliche Problematik zu beheben, behilft man sich also mit dem Klassiker der statistischen Steuerung: mit Gewichtungen.
Abb. 4:
Beispiel Bewertung Rangreihenfolge gewichtet
Der Vorteil der Gewichtungen ist zugleich ihr großer Nachteil: Gewichtungen ermöglichen es, Rollen in die gewünschte Reihenfolge zu bekommen. Und was »richtig« ist, ist schlussendlich wiederum subjektiv und meist schwer nachvollziehbar. Gewichtungen helfen, Ungleichgewichte im System auszugleichen. Gleichzeitig ermöglichen sie aber auch Manipulationen im großen Stil. Problem beim Rangreihenfolgensystem: Ohne Gewichtung ist es unbrauchbar. Damit sind die Manipulationsmöglichkeiten beim Design der Logik bereits systemimmanent. Gewichtungen sind allerdings im Allgemeinen ein notwendiges Übel von analytischen Bewertungssystemen, schlagen aber bei differenzierteren Stufenwertverfahren weniger stark durch.
9 Bis in die 1980er-Jahre hinein wurde diese Diskriminierung sogar auf Tarifvertragsebene festgeschrieben: So gut wie alle Jobs mit hohem Frauenanteil wurden in die »Leichtlohngruppe« geschoben, die geringer entlohnt war.
Die besten Voraussetzungen für differenzierte und transparente Systematiken bietet das Stufenwertverfahren,StufenwertverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Stufenwertverfahren heute meist »analytisches, punktebasiertes Verfahren«, manchmal auch »WertzahlverfahrenWertzahlverfahrenArbeitsbewertungsverfahren, Wertzahlverfahren« (Zander, 1991) genannt. Einzelne Faktoren/Kriterien werden nach einem zuvor festgelegten Schema (gewichtet) bewertet. Innerhalb der einzelnen Faktoren (= Kriterien) erfolgt eine abgestufte Bewertung in ebenfalls zuvor festgelegten Schritten (den einzelnen Stufen sind Einzelwerte wie 0,1 oder 23 o. Ä. zugeordnet). Das Stufenwertverfahren ermöglicht somit – da es sich damit um ein metrisches Verfahren handelt – auch die Aussage: »Stelle A ist um 50 % höher zu bewerten als Stelle B«. Dies erlaubt auch eine treffsichere Übersetzung von erreichten Punktewerten in Gehaltstabellen.
Was umfasst eine Stellenbewertung?
Arbeits- oder Stellenbewertung umfasst grundsätzlich die »Erfassung und Messung der feststellbaren Unterschiede in der Arbeitsschwierigkeit, die durch die verschiedenen Anforderungen an einzelnen Arbeitsplätzen bzw. bei einzelnen Arbeitsvorgängen entstehen« – Bartscher (2018) zitiert von Klammer et al. (2018, S. 8).
Bevor wir allerdings auf die Systematiken und Stellrädchen von analytischen Bewertungssystemen eingehen, gibt es eine kleine Geschichtsstunde.
Job Evaluation (auch Grading, Arbeitsbewertung oder Funktionsbewertung genannt) Arbeitsbewertungsverfahren, Historie der Entwicklungist seit bald 100 Jahren ein Ansatz, der es ermöglicht, Stellen im Unternehmen möglichst sachlich und nachvollziehbar zu bewerten (ungeachtet der teilweise bislang verwendeten Macho-Kriterien). Die Verbindungen zum 19. Jahrhundert und zur Arbeitsanalyse im Dunstkreis des Taylorismus werden wir nicht beleuchten – wirklich spannend wird es aus europäischer Sicht in den 1930er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt kommt mit dem Punktebewertungsverfahren von Bedaux bereits ein Gruß aus der Zukunft in Mitteleuropa an – Ausbildung, Erfahrung, Geschicklichkeit, »psychophysische Beanspruchung«, Berufsrisiken, Verantwortung sowie geistige und moralische Eigenschaften werden bewertet (Fischer, 1951, S. 38). Das Bedaux-SystemBedaux-SystemArbeitsbewertungssysteme, Bedaux-System wird verbreitet als Urmutter der analytischen Arbeitsbewertung gesehen – »Bedaux ist nachweislich der Urheber der analytischen Arbeitsbewertung«, schreibt beispielsweise Fischer (1951, S. 36).
1950 wird auf der Genfer Konferenz das Genfer SchemaGenfer Schema der ArbeitsbewertungArbeitsbewertungsverfahren, Genfer Schema als grundlegende Funktionsbewertungslogik vorgestellt. In den 1950er- und 60er-Jahren haben Arbeitsbewertungssysteme ihre Blütezeit – gut ablesbar an den Mengengerüsten: In der Arbeiterkammer Bibliothek Wien finden sich zum Themenkomplex Arbeitsbewertung10 im Zeitraum von 1950 bis 1969 beinahe dreimal so viele Werke wie aus dem Zeitraum von 2004 bis 2023.
Ab den 60er-Jahren erfolgt auch zunehmend eine Durchdringung in Manteltarifverträgen (Deutschland) sowie eine Anwendung in öffentlicher Verwaltung und Industrie in der Schweiz (Kappel, 1990, S. 19). Oftmals lag der Fokus auf Führungskräften und Produktionskräften. Ab den 70er-Jahren erfolgt schrittweise eine Ausweitung von Arbeitsbewertungslogiken auf weitere Industrien und weitere Funktionsbereiche (Kappel, 1990, S. 19).
In den 80er- und 90er-Jahren schlagen Gewinnoptimierungen, Yuppie-Welt sowie der Hire-and-Fire-Modus durch: Der Fokus verlagert sich von interner Fairness zur externen Herleitung: Marktvergleiche bestimmen die Gehälter, ungeachtet der Bepunktung des Jobs. Die inputorientierten mitteleuropäischen Bewertungssysteme leiden, die US-amerikanisch geprägten großen Beratungsfirmen hingegen reüssierten mit ihren auf Outputorientierung (»ein wertvoller Job ist jener, der viel Gewinn abwirft«) sowie auf Leistungsabgeltung und Marktwert gepolten Gehaltssystemen.
Mit zunehmendem gesellschaftlichem Druck hin zu Equal PayEqual Pay erleben analytische, punktebasierte Jobbewertungen ab den 2000er-/2010er-Jahren ein Revival. Antonis Christidis von Mercer (2013) sieht einen Fokus auf externe Marktvergleiche in den 80er- und 90er-Jahren (sprich: Was verdient eine Rolle am Markt – das ist dann auch das, was diese Rolle im Unternehmen verdient, ungeachtet einer Bewertung). In den 2010er-Jahren konstatiert er ein wieder erstarkendes Interesse an Lösungen, die sowohl interne Fairness (daher objektiv bewertete Jobs) als auch Marktgehälter unter einen Hut bekommen. Diese Entwicklung wird durch die Entgelttransparenzrichtlinie weiter forciert werden, wobei zu bedenken ist, dass Mitteleuropa generell eine stärkere Tradition von strukturierten Lohnsystemen (die – wenn auch bisher unzureichend – versuchen, interne Fairness herzustellen und nur bedingt auf den Markt Rücksicht nehmen) hat als das internationale Umfeld.
Wirtschaftswunder: Direkte oder indirekte Arbeitsbewertung?
Genfer Schema der ArbeitsbewertungArbeitsbewertungssysteme, Genfer SchemaAb der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt in die Durchdringung von Funktionsbewertungssystemen etwas Schwung (Kappel, 1990, S. 19), häufig basierend auf dem Genfer Schema. Diese Ausbreitung lässt sich allerdings auch auf lieblose Umsetzungen zurückführen. Genauer gesagt kranken zahlreiche Systeme aus dem späten 20. Jahrhundert an ihrer Anwendungstiefe und/oder Anwendungsbreite. Bei der Anwendungstiefe geht es um das Bewertungssubjekt. Denn grundsätzlich können wir eine analytische Stellenbewertung hernehmen, um einzelne Stellen zu bewerten – oder um lediglich Blaupausen zu bepunkten:
Die analytische Arbeitsbewertung stellt an sich auf jeden einzelnen Arbeitsplatz ab – unabhängig davon, ob es bereits eine ähnliche Stelle gibt. Betreibe ich also eine Produktionshalle mit 15 Jobs und es kommt eine Nr. 16 hinzu, so wird diese Stelle auch neu bewertet, selbst wenn bereits ähnliche Stellen vorhanden sind. Quervergleiche nach der Bewertung stellen sicher, dass die Bewertungen auch gleichartig durchgeführt werden (»Gleiches wird gleich und Ungleiches ungleich bewertet«).
Via SlottingSlotting können Funktionsbewertungen auch »lediglich« zur Bewertung typischer Jobs (»Ankerstellen«) verwendet werden. Die Ergebnisse solcher Ankerstellen-Bewertungen werden in einen Katalog verpackt. Zieht man diesen Stellenkatalog bei der Bewertung einer neuen Stelle zurate, so können keine abweichenden Bewertungen von zwei identisch bezeichneten Jobs – z. B. zwei Maschineneinrichtungskräften – passieren. Es bleibt aber die Gefahr, dass unterschiedliche Anforderungen von zwei Rollen (eine Maschineneinrichterin betreut eine singuläre mechanische Verpackungsmaschine, die andere eine Maschine an einer komplexen Produktionsstraße) trotz gleichem Titel eigentlich zu unterschiedlichen Bewertungen führen müssen.
Die zweite Einschränkung der scheinbar weitgehenden Durchdringung von Funktionsbewertungssystemen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts – die Anwendungsbreite – bezieht sich auf die Frage, ob eine Stellenbewertung nur auf einen abgegrenzten Bereich des Unternehmens oder auf alle Jobs angewendet wird.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierten noch sowohl in der Anwendungstiefe als auch in der -breite eingeschränkten Anwendungsfälle von Funktionsbewertungen: Oft ging es um standardisierte Jobs im Produktionsbereich, die vorab bewertet und im Alltag über einen Katalog angewendet wurden. Aus dieser Zeit heraus sind auch Relikte in Funktionsbewertungssystemen erklärbar, die bspw. in Produktionsbereichen andere Bewertungskriterien verwenden als in kaufmännischen Bereichen.
Heute gilt weitgehend der Grundsatz, dass ein Bewertungssystem alle Jobs im Unternehmen abbilden soll. Noch immer verwenden allerdings manche Funktionsbewertungssysteme je nach Jobfamilie (also grundlegender Aufgabe der Stellencluster) im gleichen Unternehmen variierende Kriterien. Zu (Un-)Sinn und Zweck siehe Kapitel 1.3.4.
In den 2020er-Jahren wirken produktionslastige Bewertungssysteme mit Fokus auf Massenprofessionen zunehmend weltfremd: In Großstädten wie Wien befinden sich annähernd 90 % der Jobs im Dienstleistungssektor inklusive Handel (Statistik Austria, 2023b, S. 38), Produktionsjobs nehmen nur noch eine Nebenrolle ein. Gerade in Sachen Dienstleistungen sprießen jede Woche neue Jobs aus dem Boden, technologischen Entwicklungen sei Dank. In einer solchen Umgebung wird eine zeitnahe, analytische Bewertung von Stellen immer wichtiger, von den gestiegenen Fairness-Anforderungen und Transparenznotwendigkeiten ganz zu schweigen.
Die Zukunft ist jetzt: Von der komplizierten Abofalle zu Fair Pay
Aktuelle Grading- bzw. Funktionsbewertungssysteme (der weitgehend synonyme Begriff der »Arbeitsbewertung« scheint gerade nicht en vogue zu sein) sind heute ein globales Beratungsgeschäft. Gerade US-amerikanischArbeitsbewertungssysteme, US-amerikanische Bewertungssysteme geprägte Systeme sind daher oft von einem Prinzip der Intransparenz geprägt: Nur wenige Informationen zu den Bewertungssystemen sind öffentlich (teilweise werden selbst Gewichtungsdetails zu den Kriterien nicht herausgegeben und bleiben als Geheimnis im Algorithmus versteckt), Anpassungen auf lokaler Ebene oder Unternehmensebene sind möglich. Das führt am Ende dazu, dass wiederum Übersetzungslogiken (»Matching«) gebaut werden, um die (ebenfalls von den großen Beratungsunternehmen angebotenen) Gehaltsvergleiche nutzen zu können. Ein wunderbarer Ansatz aus Anbietersicht, da somit ein konstanter Dienstleistungsbedarf geschaffen wird: Die Abofalle hat auch im Beratungsbereich gerade Hochkonjunktur.
Mitteleuropäische SystemeArbeitsbewertungssysteme, mitteleuropäische Bewertungssysteme (allen voran die hier prägenden Schweizer Systeme) sind transparenter und universeller, aber in ihrem Umfang überfordernd. Der Abakaba-Formularteil ist 13 Seiten lang und bei zahlreichen Merkmalsausprägungen sind detailliertere Erläuterungen nützlich. Immerhin: Hier ist davon auszugehen, dass ein Unternehmen das Bewertungssystem nach einer Aufsetzphase mit ein bis zwei engagierten Compensation-&-Benefits-Fachkräften unabhängig beherrschen kann. In Sachen externer Vergleichbarkeit wären alle Voraussetzungen vorhanden11, aber es gibt keine mir bekannten Gehaltsdatenbanken für Gehaltsvergleiche auf Basis des Systems.
Agile Strukturen
AgilitätDiese Gemengelage trifft zunehmend auf agile – oder zumindest rascher veränderliche – Strukturen. Stellenbewertungen sind damit nicht mehr für die Ewigkeit gedacht – und sogar unpraktisch, wenn sie erst wieder mithilfe eines größeren Analyseprojekts umgebaut und dann umformuliert werden müssen. »Die klassische Funktionsbewertung wurde entwickelt und erstmals auf breiter Front für Tarif- und AT-Funktionen angewendet, als die in umfangreichen Beschreibungen dokumentierten Aufgabeninhalte für die meisten Stellen noch über einen längeren Zeitraum stabil waren. Es war einmal … Heute verändern sich Organisationen und Aufgaben vielfach in kurzen Zyklen, sodass es kaum möglich und zu aufwendig erscheint, umfangreiche Stellenbeschreibungen aktuell zu halten und permanent Nachbewertungen durchzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine traditionelle oder agile Organisation handelt.« (Schlichting & Vandervelt, 2022, S. 48)
Die Welt wird also zu schnelllebig für die Komplexität der trägen Stellenbewertungsdinosaurier, sagen Schlichting und Vandervelt (2022, S. 48) sinngemäß. Als Lösungsansatz kommen für Schlichting und Vandervelt (2022, S. 48) Arbeitsbewertungssysteme, vereinfachte Bewertungssystemevereinfachte Bewertungssysteme (kann man aus Fair-Pay-Sicht unterschreiben) und Slotting (sollte man mit Vorsicht genießen) infrage12:
»Eine vereinfachte Bewertung kann bedeuten, mit einem simpleren Verfahren zu arbeiten, das weniger und eher gleichgewichtige Kriterien enthält und nicht nur Experten anwenden können. Es kann auch heißen, nur wenige sogenannte Ankerstellen analytisch zu bewerten und die übrigen zu diesen zuzuordnen (slotten), eine Vorgehensweise, die sich unter dem Begriff summalytisch durchgesetzt hat.«
Daraus ergeben sich drei zentrale Möglichkeiten zur Vereinfachung am Bewertungssystem:
weniger Kriterien (was zu blinden Flecken hinsichtlich mancher Stellen führen kann)
Kriterien bzw. Formulierungen, die selbstsprechend sind und ein wenig neutrale Abstraktheit zugunsten gut greifbarer Verständlichkeit verlieren
eine Kombination aus einer analytisch-punktebasierten Vorgehensweise mit Ankerstellen-Slotting – wenn die jeweilige Situation dies zulässt
Aus dieser Gemengelage ergibt sich, dass der bisherige Fokus auf überbordende, komplizierte Macho- oder Yuppie-Kriterien genauso wenig haltbar ist wie die schwammigen Zwei-Zeilen-Einreihungen vieler Tarif- und Kollektivverträge. Das Vehikel der Stellenbewertung ist also weiterhin die richtige Logik, die richtige Hülle – aber der Antrieb, die innere Logik, muss ersetzt werden. Es drängt sich der Vergleich zum aktuellen Umbruch in der Automobilindustrie auf: Das Auto wird nicht aussterben – aber der Elektromotor wird die Verbrennungsmaschine ersetzen. Auf Stellenbewertungen gemünzt heißt das: Wir werden uns von Macho-Kriterien verabschieden. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels wandelt sich die Perspektive von der Frage »Welche Leistung des Menschen brauchen wir im Wertschöpfungsprozess?« hin zu »Welche Belastungen und Anforderungen bedeutet eine Rolle in einer Organisation für die Stelleninhaberinnen und Stelleninhaber?«. All jene verdrängten Eigenschaften des menschlichen Daseins – allen voran psychosoziale Belastungen – sind nicht mehr Tabu, sondern sollen zukünftig in die Stellenbewertung einfließen. Die Inputfaktoren gewinnen damit gegenüber den Outputfaktoren an Bedeutung.
All dies bedeutet einen Umbruch, der manchen wehtut und von anderen begrüßt wird: Wir werden die Wertigkeit von Arbeit verändern. Das betrifft zuallererst – aber bei Weitem nicht nur – endlich die adäquate Höherbewertung von Rollen mit psychosozialen Aspekten: allen voran Rollen der historisch un- bzw. unterbezahlten Care-Arbeit.
Arbeitsbewertungssysteme, diskriminierungsfreie BewertungssystemeDiskriminierung, diskriminierungsfreie BewertungssystemeDiskriminierungsfreie Stellenbewertungssysteme mit geschlechtergerechten Kriterien sind dabei der Dreh- und Angelpunkt zur Schaffung fairer Entgeltlogiken – inhaltlich genauso wie formal:
Nachvollziehbarkeit der Gehaltsbildung im Unternehmen
Fairness der Gehälter im Unternehmen untereinander
Erfüllung der geschlechtsspezifischen Gleichbehandlungspflicht
Equal Pay und Lohntransparenz nach EU-Regelungen
Am Ende müssen allerdings reale Nutzerinnen und Nutzer (also Beschäftigte eines Unternehmens) eines Einreihungsplans und strukturierten Entgeltsystems mit dem gewählten Arbeitsbewertungssystem zurechtkommen. Wir haben es also mit einem klassischen Zielkonflikt zu tun: Die Stellenbewertung muss anhand absoluter, vergleichbarer Kriterien und Einstufungen so objektiv wie möglich passieren, aber gleichzeitig soll das Ergebnis bis hin zur Reinigungskraft verständlich und nachvollziehbar sein. Ziel einer analytischen Stellenbewertung ist schlussendlich ein transparentes Gehaltssystem. Transparenz bedeutet aber nicht nur, jede Stelle objektiv zu bewerten, sondern auch allen Beschäftigten niedrigschwellig darzulegen, wo (und aufgrund welcher Faktoren) ihre eigene Stelle – auch im Vergleich zu anderen Stellen – eingeordnet ist.
Der Gedanke, dass ein Verständnis des Gehaltssystems auf einen Blick für alle Beschäftigten möglich ist, gibt den Leitstrahl zu gelebter Transparenz vor. Nützlich bei der Verwirklichung dieses Ansatzes ist der Hang der Menschen, Setzkästen als Inbegriff der Ordnung anzusehen. Die Lösung des Komplexitäts-Transparenz-Dilemmas passiert im Nachgang: Die zuerst analytisch durch Punktebewertung aller Kriterien entstandenen Ergebnisse werden in ein Schubladensystem eingeordnet, das für alle Beschäftigten gut nachvollziehbar ist und möglichst viel Transparenz zur Einordnung aller Beschäftigten des Unternehmens schafft.
Noch ambitionierter als die Schaffung von Transparenz und Verständlichkeit durch nachvollziehbare Instrumente ist der Anspruch, auch die Bewertung selbst von den betroffenen Beschäftigten mit durchzuführen zu lassen. Hier begeben wir uns auf dünnes Eis und müssen uns auf zahlreiche »Aber« und Weltuntergangsszenarien einstellen. Aber auch wenn die Selbst- und Peerbewertung klassische Unternehmensberatungen die Hände über den Kopf zusammenschlagen lässt: Wir können diese Frage nicht mehr als hypothetisch oder gar weltfremd abtun, insbesondere in agilen Organisationen und im New-Pay-Umfeld.
Futurismus für Mutige: New Pay
New PayIm Kosmos der Arbeitswelttrends des letzten Jahrzehnts hält sich der New-WorkNew Work-Begriff konstant in der Spitzengruppe. Mit ein Grund dafür ist, dass unter »New Work« zahlreiche kleine und große Trends oder Re-Labelings subsumiert werden, ohne dass immer ein Zusammenhang erkennbar ist. Um diese Bandbreite kurz zu illustrieren, empfiehlt sich ein Blick zurück auf den ursprünglichen Gedanken von New Work nach Frithjof Bergmann (Czaja, 2018): »das tun, was man wirklich, wirklich will«. Dieser grundlegende Ansatz klingt einfach, beinhaltet aber bereits einige Aspekte, die später ebenfalls unter New Work eingeordnet wurden: Selbstbestimmung im Zusammenhang mit Eigenverantwortlichkeit oder flexibles Arbeiten gehen mit dem (hehren) Ziel, so zu arbeiten, wie man wirklich will, einher.
»New Work« in der Realität
Reichlich ernüchternd ist hingegen, was Unternehmen inzwischen unter »New Work« verstehen. Schölmerich, Koch und Schermuly (2023, S. 220) haben hierzu über das New Work-Barometer abgefragt, welche New-Work-Praktiken in Unternehmen im Einsatz sind. Die Top 3 Praktiken waren Arbeitsortautonomie (Mobile/Homeoffice) = 87,55 %, Ausgabe von mobilen Technologien (Mobile Devices) = 65,85 % und Arbeitszeitautonomie = 64,53 %.
Beinahe genauso breit wie die Betrachtungsweisen zu New Work zeigen sich auch die verschiedenen Gehaltsansätze, die unter »New Pay« subsumiert werden. Dazu zählten zuletzt unter anderem (Franke et al., 2019, S. 85 ff.):
Einheitsgehalt: gleiches Gehalt für alle Beschäftigten im Unternehmen – von der Putzkraft bis zur Geschäftsführung
reduzierte Arbeitszeiten bei gleichbleibendem Gehalt oder Wahlmodelle (Wahl zwischen mehr Freizeit oder mehr Gehalt)
partizipativ mitbestimmte Gehälter – von strukturierten Gruppenprozessen bis hin zum individuellen Wunschgehalt
Zu New PayNew PayFair Pay können wir immerhin auf eine – am New-Work-Konzept orientierte, im deutschsprachigen Raum weithin verwendete – Definition von Franke, Hornung und Nobile (2019, S. 82) zurückgreifen:
»Demnach könnte New Pay folgende Aspekte beinhalten:
Fairness: mehr gefühlte Gerechtigkeit durch nachvollziehbare, angemessene und verlässliche Prozesse
Transparenz: offene Prozesse und/oder Gehaltssummen (nach innen oder außen)
Selbstverantwortung: das eigene Gehalt lässt sich selbst mitbestimmen, Gehalt berücksichtigt neue Verteilung von Führung
Partizipation: Mitarbeiter gestalten das Modell der Gehaltsfindung mit
Flexibilität: Zeit ist Geld, Freizeit, Flexibilität und Wahlfreiheit gehören zum Entgelt
Wir-Denken: alternative Anreize, die auf [den] Unternehmenszweck einzahlen, ersetzen starre Boni; sinnhafte Arbeit wird Teil der Entlohnung
Permanent Beta: Gehaltsmodell ist immer im Übergang und offen für Veränderung«
Bei Fairness und Transparenz sind New Pay und Fair Pay beste Freunde – die anderen fünf Kriterien sind differenzierter zu betrachten. Fair Pay kann sowohl nur die Grundlagen von Fairness und Transparenz hochhalten als auch einzelne Aspekte von New Pay berücksichtigen (vgl. Tab. 1).
Aspekt
New Pay: mögliche Aspekte
Fair Pay
Fairness
×
×
Transparenz
×
×
Selbstverantwortung
×
Partizipation
×
als Add-on tlw. möglich
Flexibilität
×
als Add-on tlw. möglich
Wir-Denken
×
als Add-on tlw. möglich
Permanent Beta
×
Tab. 1: Fair Pay vs. New Pay
New Pay setzt eine gewisse Reife und Aufgeschlossenheit der Organisation voraus, um sich – neben dem drögen Gehaltssystem an sich – auch vorab und rundherum mit Themen wie Anerkennung, Wertschätzung, gemeinsamen Werten oder auch Selbstverständnis der Organisation auseinanderzusetzen. Man kann diesem Ansatz nur zustimmen – Gehaltsfindung passiert nie im luftleeren Raum, sondern in komplexen organisatorischen und menschlichen Strukturen. Ein Gehaltssystem, das somit mit den Beteiligten unter Berücksichtigung der Organisationskultur und Ziele im kulturellen und wirtschaftlichen Koordinatensystem des Unternehmens verankert ist, wird nachhaltig für alle Beteiligten am besten funktionieren.
Das Problem dabei: Nicht jedes Unternehmen ist bereit für New Pay. Aber für alle, die noch nicht für New Pay bereit sind (egal ob sie zu groß sind, die Kostensituation nicht viel hergibt, die Unternehmenskultur ein wenig traditioneller ist oder man sich auf Fairness und Transparenz fokussieren will), gibt es eine gute Nachricht: für all diese Unternehmen gibt es die etwas langweiligere Schwester von New Pay – nämlich Fair Pay.
Arbeitsplatzbewertung, Grundprinzipien der analytischen, punktebasierten StellenbewertungNach der Annäherung an Stellenbewertungssysteme aus ihrem Entstehungskontext heraus wollen wir Aufbau, Logiken und Knackpunkten analytischer Stellenbewertungen auf den Grund gehen. Hier dreht sich nun also alles um die Grundprinzipien und die zentralen »Stellhebel« von analytischen, punktebasierten Stellenbewertungen.
Funktionsbewertung, Arbeitsbewertung, Arbeitsplatzbewertung, Stellenbewertung, Rollenbewertung und Grading oder Job Evaluation (Job-Evaluierung) – all diese Begriffe bezeichnen eine Bewertung von Stellen (synonym Rollen, Jobs, tlw. Funktionen). Einzelne Stellenbewertungssysteme versuchen mit kreativen Begriffen, Buzzword-Bingo oder Anglizismen neuartig zu wirken. In Wirklichkeit sind aber die Grundregeln (vermeintlich) objektiver Jobbewertung immer gleich:
Es werden die Anforderungen an eine Stelle (Rolle) oder einen Arbeitsplatz bewertet, aber nicht die Beschäftigten, die auf der jeweiligen Stelle sitzen. Eine Stelle hat eine Funktion im Unternehmen, und genau die Anforderungen dieser Funktion gilt es zu ermitteln. Wer dann auf der Stelle sitzt, ist für die Funktionsbewertung unerheblich.
Objektivität und ein analytischer Ansatz stehen im Vordergrund: Es werden mehrere KriterienpaketeArbeitsplatzbewertung, KriterienpaketeKriterienpakete zur Arbeitsplatzbewertung verwendet, die wiederum in einzelne Kriterien und Merkmale mit eindeutigen »Auswahlstufen« (Stufenwerten) unterteilt werden.
Mindest-Kriterienpakete seit der Einführung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie sind: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen (daneben sind weitere Kriterienpakete zulässig), die in einzelne Kriterien untergliederbar sind. Unterhalb des sperrigen Begriffs der VerantwortungVerantwortung könnte man z. B. Kriterien wie Führungsverantwortung, Umsatzverantwortung oder Betreuungsverantwortung differenzieren.
Die verwendeten Kriterien sind selbst bereits operationalisierbar oder werden nochmals in (operationalisierbare) Merkmale gegliedert. Das Kriterium Betreuungsverantwortung kann beispielsweise in die Merkmale »Lehrverantwortung« und »Care-Verantwortung« untergliedert werden. Sie sind objektiv und besitzen eindeutig zuordenbare Werte/Ausprägungen, die absolut zu bewerten sind. Im Klartext: Die Auswahloptionen sind nicht relativ formuliert (»B ist größer als Option A« sondern eindeutig: »Verantwortung für das physische und psychische Wohlergehen einer Kindergartengruppe von 6 bis 10 Kindern = 0,75 Punkte«).