Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Anton Huber, wohlhabender Landwirt und Besitzer einer Golfanlage im Alpenvorland überlebt den Sturz von einer Autobahnbrücke nicht. An seiner Absicht, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, gab es keine Zweifel. Sechs Jahre später erfährt Hauptkommissar Maximilian Reischl aus dem Umfeld von Anton Huber Details, die Anlass genug sind, Ermittlungen aufzunehmen. Wer hat Anton Huber in den Tod getrieben? Welche Rolle haben seine inzwischen bekannt gewordenen Kontakte zur Mafia gespielt? Oder hatte die Familie Interesse, Anton Huber aus dem Weg zu räumen? Hauptkommissar Reischl steht bei seinen Nachforschungen vor einem Sumpf von Intrigen und kaum vorstellbarer krimineller Energie. Schafft er es, diesen Sumpf trocken zu legen?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 221
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Von Werner Hüper sind außerdem erschienen:
Die junge Frau mit Körbchen C …. und die ganze Welt in Versen
ISBN: 9783734752872
*
Golf – Terrassengespräche Berichte vom 19. Loch
ISBN: 9783734761454
Es ist besser, sich mit zuverlässigen Feinden zu umgeben, als mit unzuverlässigen Freunden.
John Steinbeck
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Luigi di Manta hatte sich mit seinem Freund und Partner Carlo Dolcini in das gemütliche Nebenzimmer des Restaurants ‚Il Cortile’ in Rosenheim zurückgezogen. Das ‚Il Cortile‘, das seit mehr als fünfzehn Jahren für seine hervorragende frische mediterrane Küche weit über Rosenheim hinaus bekannt war, verfügte nicht nur über eine ansehnliche Zahl von Stammgästen italienischer Herkunft, auch die Einheimischen wussten den perfekten Service und das angenehme Ambiente zu schätzen. Der Wirt, Giovanni Bertoni, war mit seinem Team immer ein Garant für einen harmonischen Abend und überraschte häufig mit lukullischen Höhepunkten. Seine gastronomische Karriere hatte er in Bologna begonnen, wo er im ‚Ristorante Pappagallo‘, einem der besten Restaurants in der Region, eine Ausbildung als Koch absolvierte. Wie man weiß, hat die Emilia Romagna von allen italienischen Regionen die weltweite Vorstellung von der italienischen Küche am stärksten beeinflusst. Was man unter italienischer Kochkunst kennt, hat seine Ursprünge in dieser Region. Dies sollten, wie Giovanni Bertoni meinte, beste Voraussetzungen sein, um auch in Oberbayern mit gehobener italienischer Küche zum Erfolg zu kommen. Den konnte Giovanni schon nach kurzer Zeit verbuchen. Mit seinen für die Emilia Romagna typischen Pasta-Gerichten wusste er auch bayerische Gaumen in Verzückung zu versetzen, die wohl eher an rustikale ‚Bayrische Schmankerln‘ gewöhnt waren. Auch wenn die Biere der Schlossbrauerei Maxlrain für Giovannis Geschmack einen zu hohen Anteil an seinem Getränkeumsatz hatten, war er mit seinen Gästen hoch zufrieden. Die Vorliebe für seine exzellenten Weine aus den bevorzugten italienischen Anbaugebieten würde er ihnen schon noch vermitteln. Der Weinkeller, den er im Laufe der Jahre mit über 700 Flaschen der besten Tropfen bestückt hatte, sollte sich schließlich irgendwann bezahlt machen. Die Einrichtung des Restaurants in toskanischem Stil trug das ihre zu der allseits geschätzten Wohlfühlatmosphäre im ‚Il Cortile’ bei. Besonders beliebt war ein gemütliches Nebenzimmer, das für kleinere Feiern und vertrauliche Besprechungen bestens geeignet war. Bei Bedarf konnte man dieses Nebenzimmer auch über einen netten kleinen Innenhof erreichen, der vom Restaurant aus nicht einsehbar war. Im Sommer hatte der Wirt den Innenhof mit einer Reihe von Topfpflanzen, wie z.B. Zypressen, Oleander und Zitronenbäumen, verschönert, so dass man sich an heißen Tagen unter den Sonnenschirmen aus weißem Segeltuch an lauschige Abende während des letzten Italienurlaubs erinnert fühlte. So wunderte es auch nicht, dass an diesen Tagen dem Gavi di Gavi, den Giovanni zu einem reellen Preis als Hauswein anbot, besonders zugesprochen wurde.
Luigi war ein Mann, wie man sich einen Norditaliener vorstellt: Mitte 40, groß, schlank und sehr gepflegt. Seine etwas zu langen schwarzen Haare hatte er straff nach hinten gekämmt und mit Hilfe einer angemessenen Portion Brillantine veranlasst, dort auch zu bleiben. Mit seinem gepflegten Dreitagebart hätte er jedes Werbefoto für Herrenkosmetik aufwerten können. Seine Intention war jedoch nicht, Menschen durch Werbung zu überzeugen, seine Methode, an das Geld von anderen Leuten zu kommen, war aus seiner Sicht subtiler und sehr effektiv. Durch seine ausgefeilten Manieren und sein überzeugendes, höfliches Auftreten hatte er das Image eines erfolgreichen und korrekten Geschäftsmannes begründet. Dass er in allen geschäftlichen Angelegenheiten kompromisslos vorging und seine Forderungen unnachgiebig durchzusetzen wusste, hatten etliche seiner zum größten Teil unfreiwilligen Partner schon auf schmerzhafte Weise erfahren. Die Tatsache, dass sich manche der erfolgreichen Maßnahmen am Rande oder sogar jenseits der Legalität abgespielt hatten, löste bei ihm keinerlei Bedenken aus. Im Gegenteil, jeder ‚Geschäftsvorgang‘, den er auf diese Weise zu einem guten Ende geführt hatte, stärkte sein ohnehin schon sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein.
Luigi war in Mailand aufgewachsen und hatte aus seiner Jugendzeit ein paar gute Freunde, zu denen er über Jahre hinweg immer intensiven Kontakt hielt. So war auch seine Gewohnheit einzuordnen, mindestens alle 6 - 8 Wochen ein paar Tage in Mailand zu verbringen. Seine Freunde waren in den verschiedensten Branchen tätig, allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Er selbst hatte Mailand vor etwa 10 Jahren verlassen, um eine italienische Schmuckfirma in Bayern zu vertreten. Sprachschwierigkeiten gab es nur selten, Luigi hatte leidliche Deutschkenntnisse, die er nach seinem Start in Bayern zielstrebig verbesserte. Von Grammatik hielt er zwar nicht viel, was aber in Bayern angesichts der landestypischen Grammatikschwäche, die fälschlicherweise häufig mit dem Dialekt erklärt wird, nicht weiter ins Gewicht fiel.
Um das makellose Äußere seiner Erscheinung sicherzustellen, bevorzugte Luigi die aktuellste Mode, die er bei seinen regelmäßigen Besuchen in Mailand zu beschaffen pflegte. Seine Anzüge ließ er sich bei Ermengildo Zegna schneidern, wo er in der hauseigenen Maßschneiderei ein geschätzter Kunde geworden war. Normalerweise wählte er edelste Stoffe in dunkelgrau oder nachtblau, jeweils mit Nadelstreifen. Lediglich in den Sommermonaten trug er helle Stoffe, für die er mit Seide veredeltes Leinen verarbeiten ließ. Den Abstecher in die Werkstätten von Zegna nach Trivero im Piemont verband Luigi meistens mit einem umfangreichen Weineinkauf im Weingut Borgogno im kleinen Dorf Barolo, das als Namensgeber für einen der großartigsten Weine der Welt bekannt ist.
Zurück in Mailand versäumte Luigi nicht, die Corso Matteotti Nr.1 aufzusuchen, wo er bei Gravati das bestens zu seinem Outfit passende Schuhwerk anfertigen ließ. Für ihn verstand es sich von selbst, dass zu seinen Maßanzügen ausschließlich handgefertigte Schuhe getragen werden konnten.
In Deutschland fühlte sich Luigi nach einer gewissen Eingewöhnungszeit äußerst wohl. Durch die Nähe zur Schmuckbranche und der dort anzutreffenden Klientel bekam er sehr schnell tiefen Einblick in die Lebensgewohnheiten der Schickimicki-Gesellschaft in Oberbayern. Ebenso schnell wuchs bei ihm der Wunsch, sich vergleichbare Rahmenbedingungen für ein komfortables Leben zu schaffen. Das jedoch mit möglichst geringem Aufwand. München und Oberbayern schienen ihm äußerst geeignet, seine Geschäftsidee umzusetzen. Hier sah er jedenfalls die Chance, genügend fleißige, erfolgreiche Menschen anzutreffen, die für sein Luxusleben sorgen würden. Ein wenig nachhelfen müsste er allerdings schon.
Dieses aus seiner Sicht geniale Konzept hatte er im Laufe der Jahre perfektioniert. Eine wichtige Säule seines Erfolges war Carlo, der inzwischen für die Umsetzung seiner Strategie unverzichtbar geworden war. Es gab nämlich im Laufe der Zeit immer wieder Aufgaben, die erledigt werden mussten, um den einen oder anderen unseriösen Plan zu realisieren. Und für derlei Angelegenheiten war sich Luigi zu schade. In diesen Fällen bediente er sich seines ihm uneingeschränkt ergebenen Helfers.
Wenn das geflügelte Wort ‚Gegensätze ziehen sich an‘ irgendwann zutreffen sollte, dann bei Luigi und Carlo. Carlo, der mit seinen Eltern vor vielen Jahren aus Sizilien nach Deutschland gekommen war, stellte das genaue Gegenteil von Luigi dar. Natürlich litt Carlo unter der in Sizilien häufig anzutreffenden geringen Körpergröße, die besonders ins Gewicht fiel, weil er wegen seiner Vorliebe für italienische Süßspeisen ein nicht zu seiner Körpergröße passendes beachtliches Gewicht auf die Waage brachte. Dieser Neigung, süße Leckereien allzu häufig unbeherrscht auch in größeren Mengen zu verzehren - insbesondere dem mit Amaretto verfeinerten Tiramisu von Giovanni konnte er nicht widerstehen - und seinem Nachnamen Dolcini hatte er den Spitznamen ‚Der Süße‘ zu verdanken. Das störte ihn zwar sehr, es war aber nicht zu ändern.
Hinzu kam, dass er eine relativ hohe Stirn zu beklagen hatte, die ihn im Vergleich zu seinem Partner Luigi wenig dynamisch erscheinen ließ. Wer ihn näher kannte, wusste allerdings, dass er sehr wohl energisch und bestimmt auftreten konnte, jedenfalls wenn er im Namen von Luigi Aufträge erledigte, was für die Betroffenen durchaus sehr unangenehm sein konnte. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben spielte es auch keine Rolle, dass Carlo auf sein Äußeres weniger Wert legte, was ohnehin nur deutlich wurde, wenn er neben seinem Partner Luigi gesehen wurde. Diese Unterschiede in Mentalität und Erscheinung taten der intensiven und erfolgreichen Zusammenarbeit keinen Abbruch.
Zum Wirt des ‚Il Cortile’, Giovanni Bertoni, unterhielten die beiden eine innige und lukrative Geschäftsbeziehung. Durch das regelmäßig im Auftrag der Mafia zu kassierende Schutzgeld war so etwas wie ein Hausrecht entstanden, das insbesondere Luigi di Manta auch deshalb zu schätzen wusste, weil er mit dem ‚Il Cortile’ über ein Etablissement verfügte, in dem er ungestört geschäftliche Besprechungen durchführen konnte, was ein ums andere Mal zur Durchsetzung seiner Interessen von besonderer Bedeutung war.
Giovanni Bertoni wiederum ertrug diese Geschäftsbeziehung, weil ihm keine andere Wahl blieb. Ihm wurde vor gar nicht langer Zeit drastisch vor Augen geführt, dass von der Ablehnung eines derartigen intensiven Kontakts dringend abzuraten ist. Einer seiner engsten Freunde, der sein Auskommen mit einer Pizzeria in Bad Aibling hatte, war so verwegen, das unmissverständliche Angebot, von italienischen Freunden beschützt zu werden, auszuschlagen. Die Pizzeria befand sich kurz danach in einem erbärmlichen Zustand, der eine Totalrenovierung erforderlich gemacht hätte. Auf diese Renovierung verzichtete der Freund aus naheliegenden Gründen. Er war nämlich wegen schwerer körperlicher Gebrechen nicht mehr in der
Lage, sein Restaurant zu führen. Es erübrigt sich der Hinweis, dass seine Gesundheit zufällig genau zu dem Zeitpunkt in Mitleidenschaft gezogen wurde, als auch sein Lokal durch den Besuch relativ aufdringlicher Landsleute demoliert wurde.
Das Treffen von Luigi und Carlo hatte heute einen besonders wichtigen Anlass. Heute erwarteten sie eine Zahlung in Höhe von 100.000 Euro - steuerfrei. Auf diesen Tag hatten sie eine ganze Weile hingearbeitet, und nun sollte sich zeigen, ob ihr Plan aufgehen würde.
Neben der Betreuung von etlichen italienischen Restaurants in der Region, die sich in den zuverlässigen Schutz der Mafia, die natürlich auch in Südbayern repräsentativ vertreten war, begeben hatten, waren die Freunde entschlossen, sich nach einem zweiten Standbein umzusehen, mit dem sie weitere Einnahmen würden generieren können. Nach dem, was man so über die Mafia, deren Führungsstruktur und Methoden wusste, konnte die bisherige Tätigkeit für sie nicht als besonders krisensicher angesehen werden. Da war es schon besser, wenn man sich nach zusätzlichen Ertragsquellen umsah.
Die regelmäßigen Besuche bei den in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Restaurants, Pizzadiensten und Bars bedingten zwar einen erheblichen Zeitaufwand, es blieb aber immerhin genügend Zeit, um mit illegalem Glückspiel ein hübsches Nebeneinkommen zu erzielen. Die Bosse der Mafia hatten das großzügig toleriert, weil die beiden ansonsten als äußerst zuverlässig, belastbar und erfolgreich galten. Von den Glücksspielerträgen mussten sie nur 50% abführen, was sie als sehr anständig empfanden. Bei den Schutzgeldern sah die Sache natürlich anders aus. Da gab es einen Verteilerschlüssel, der Luigi und Carlo zwar einen angemessenen Lebenswandel garantierte, der Anteil am Gesamtaufkommen für die beiden lag jedoch deutlich unter 50%.
Vor ungefähr zwei Jahren hatte Luigi bei einem seiner Besuche in der Spielbank Bad Wiessee einen neuen ‚Spielpartner‘ gewonnen. Die Spielbanken in Bad Wiessee, Bad Reichenhall und Salzburg waren regelmäßige Ziele für Luigi, der den Besuch einer Spielbank für das geeignete Mittel hielt, den einkassierten Schutzgeldern eine legale Existenz zu verschaffen. Den Begriff Geldwäsche vermied er. Zur Tarnung nahm er an den Roulettetischen ebenso gern Platz, wie er sich an den beliebten Pokerrunden beteiligte. So kam es auch vor, dass er den einen oder anderen Spielbankbesucher für ein privates Spielchen interessieren konnte, das in unregelmäßigen Abständen im Séparée des ‚Il Cortile’ anberaumt wurde. Man konnte sich ziemlich sicher sein, dass diese Abende und Nächte, in denen man sich am illegalen Spiel erfreute, vor den Ordnungshütern verborgen blieben. Jedenfalls tat Giovanni alles dafür; wer hätte ihm verdenken können, dass er um keinen Preis seine Konzession verlieren wollte. Außerdem war es sehr empfehlenswert, alles zu vermeiden, was hätte Luigi und Carlo verärgern können.
Der Vorzug des illegalen Spiels im Hinterzimmer - jedenfalls aus der Sicht Luigis - war es, dass man auf das in den öffentlichen Spielbanken übliche Limit verzichten konnte und so in viel kürzerer Zeit ansehnliche Gewinne zu verbuchen waren.
Luigi hatte also Anton Huber, genannt Toni, kennengelernt, der in Waldskofen im Mangfalltal größere Ländereien besaß und auf eigenem Grund und Boden einen herrlichen Golfplatz gebaut hatte. Diese an der Bar des Casinos erlangten Informationen und die unübersehbare Neigung des neuen Bekannten, beim Spiel auch höhere Risiken einzugehen, hielt Luigi für die geeigneten Voraussetzungen, Toni einmal in das Hinterzimmer des ‚Il Cortile’ einzuladen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie dort mit einigen anderen durchaus seriösen Spielpartnern zusammentreffen würden.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus eine regelmäßige Einrichtung. Man traf sich alle zwei Wochen zu einem gepflegten Abendessen bei Giovanni und verschwand danach im Nebenzimmer, wo sich in aller Regel weitere 4-5 Herrschaften einfanden, um ihrem Spieltrieb freien Lauf zu lassen. Die wechselnden Mitspieler wurden meistens als enge Freunde Luigis vorgestellt, offensichtlich waren sie aber eher Geschäftspartner, die ähnlichen Geschäften nachgingen wie Luigi und Carlo. Toni fühlte sich in diesem Kreis sehr wohl. Er hatte häufig eine glückliche Hand, so dass das Pokerspiel nicht nur Spaß, sondern in den ersten Monaten immer wieder auch eine ansehnliche Summe Bargeld einbrachte. Dass das Glück nicht ständig anhalten konnte, war ihm durchaus bewusst. Nicht bewusst war ihm allerdings, dass genau dies Bestandteil der Strategie von Luigi und Carlo war. Dass Tonis Spielleidenschaft mit der Zeit außer Kontrolle zu geraten drohte, kam seinen vermeintlichen Freunden durchaus nicht ungelegen.
Zu Luigi und Carlo hatte sich inzwischen eine halbwegs stabile Freundschaft entwickelt, das war jedenfalls Tonis Eindruck. So waren sie ihm sehr behilflich, wenn es darum ging, gegenüber seiner Familie einen plausiblen Vorwand für die häufige Abwesenheit zu finden, was zum Schluss ziemlich oft vonnöten war. Toni hatte zuletzt auffällig oft mit den unterschiedlichsten Gesprächspartnern geschäftliche Termine in den Abendstunden. Er hatte schließlich sowohl mit der Landwirtschaft als auch mit der Führung der Golfanlage viel zu tun. Da blieb es nicht aus, dass hin und wieder auch die Abendstunden genutzt werden mussten. Die Familie schöpfte jedenfalls keinen Verdacht. Toni genoss mittlerweile als regelmäßiger Gast im Hinterzimmer des ‚Il Cortile’ in Rosenheim gewisse Vorzüge, für deren Erlangen es einer stabilen Vertrauensbasis bedurfte. So verließ er auch schon einmal den Ort des Geschehens, ohne seine Spielschulden, so wie es üblich war, sofort zu begleichen. Bei Bedarf wurde ihm ein ‚Zahlungsziel‘ eingeräumt, das er wegen seiner sich zunehmend schlechter entwickelnden Einnahmen aus Landwirtschaft und Golfanlage schon einige Male in Anspruch nehmen musste. Dass ihm dieses Entgegenkommen nicht aus reiner Freundschaft zuteilwurde, war zu diesem Zeitpunkt für ihn nicht erkennbar.
„Lass man Toni, kein Problem, du kannst später zahlen, wenn du wieder flüssig bist“, erklärte regelmäßig Luigi, der Toni mit hintergründigem Lächeln jeweils ein Papier zur Unterschrift vorlegte. Hierbei handelte es sich um nicht weniger als ein Schuldanerkenntnis, das im Kleingedruckten eine Verzinsung von 10 % - pro Monat versteht sich - vorsah. Toni sah das tatsächlich als fair an, es blieb ihm schließlich auch keine andere Möglichkeit. Zu oft hatte ihm Luigi bedeutet: „Spielschulden sind Ehrenschulden und sofort zur Zahlung in bar fällig.“ Dem war kaum zu widersprechen.
Die freundschaftlichen Gefühle, die Luigi und Carlo für Toni empfanden, hielten sich in engen Grenzen, was sie gut zu verbergen vermochten. Sie gedachten vielmehr, aus dieser Verbindung über kurz oder lang beträchtlichen Vorteil zu ziehen. Zu diesem Zweck musste der Spielpartner aber über einen längeren Zeitraum ‚angefüttert‘ werden, wie sie es nannten. Toni musste ihnen vertrauen und auch bereit sein, größere Risiken einzugehen. Schließlich sollte sich der Plan, an dem sie arbeiteten, auch lohnen. So wie sich die Sache entwickelte, fühlten sie, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Die Zeit arbeitete für sie.
Die Mitspieler bei den regelmäßigen Pokerrunden waren handverlesen. Sie stammten ausnahmslos aus dem Dunstkreis von Luigi, der sich im Laufe der Jahre eine ansehnliche Zahl von Gefolgsleuten herangezogen hatte, deren Unterstützung er auch für die vielfältigen Aufgaben brauchte, die er für die Mafia zu erledigen hatte. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Herrschaften im Allgemeinen nicht dazu neigten, es mit den Gesetzen allzu genau zu nehmen. Eine derartige Eigenschaft hätte bei der Erledigung der ihnen zugedachten Aufgaben nur gehindert. So war auch zu erklären, dass am Spieltisch die Dinge nicht einfach so hingenommen wurden, wie sie sich bei normalem Verlauf von Glückspielen ergeben würden. Alle in der Gunst Luigis stehenden Teilnehmer hatten im Glückspiel große Erfahrung nachzuweisen und waren in der Lage, Glückspiele berechenbar zu gestalten. Was immer das heißen mochte. Diese Fähigkeiten seiner Spielpartner sollten Toni zum Verhängnis werden. Eines Tages lief er nämlich in die geschickt vorbereite Falle.
An diesem Abend hatte Toni mehr als 10.000 Euro verloren. Mit den aufgelaufenen, noch nicht beglichenen Spielschulden von über 40.000 Euro stand er nun mit ca. 50.000 Euro in der Kreide, was seine ‚Freunde‘ angesichts der anhaltenden Pechsträhne Tonis natürlich sehr bedauerten. Da sie um seine prekäre Lage wussten, boten sie ihm einen, wie sie fanden, fairen Deal an.
„Toni, wir wollen dir helfen“, begann Luigi mit seinem hinterhältigen Vorschlag, „du weißt, wir sind deine Freunde und als solche werden wir uns auch verhalten. Wir spielen noch ein letztes Spiel, mit dem du alle deine Probleme lösen kannst. Einsatz sind deine gesamten Spielschulden. Wenn du gewinnst, bist du deine Schulden los, wenn nicht verdoppeln sie sich. Das ist eine 50:50-Chance, die dir sicher selten geboten wird. Aber du weißt ja, wir wollen dir helfen.“
Toni dachte nach, seine Liquidität befand sich in beklagenswertem Zustand. Erst in zwei Wochen würde er vom Club die nächste Rate für die Jahresspielgebühren für die Golfanlage erhalten, was das Konto bei der Deutschen Bank in Rosenheim, jedenfalls vorübergehend, entlasten könnte. Nach Lage der Dinge war nicht mit weiterem Entgegenkommen seiner Pokerfreunde zu rechnen. Er musste die Chance nutzen, um sich von den Spielschulden zu befreien. Und so schlecht war das Angebot ja auch wieder nicht. Warum sollte nicht gerade jetzt das Spielglück zurückkehren, das ihn ja wohl nur für eine kurze Phase verlassen hatte. „Also gut“, antwortete er und begab sich voller Hoffnung in sein Schicksal.
Niemand an diesem Spieltisch hatte ernsthaft in Erwägung gezogen, Toni vielleicht eine reelle Chance zu geben, sich von seinen Schulden zu befreien. Im Gegenteil, die erfahrenen Mitspieler wussten genau, dass Toni sich verzocken würde. Da konnte man ja - wie schon oft praktiziert - etwas nachhelfen.
Und so geschah es.
Toni stand plötzlich vor einem Scherbenhaufen. Er war verzweifelt. Wo sollte er 100.000 Euro hernehmen? Während sich betretenes Schweigen am Tisch breit machte, bedeutete Luigi mittels einer Handbewegung, Toni möge mit ihm vor die Tür, in den kleinen Innenhof kommen. Toni folgte ihm.
„Du weißt ja, dass wir dich gerne unterstützen würden, die Spielschulden müssen wir jedoch außen vor lassen. Wir haben auch unsere Verpflichtungen und haben über derlei Geschäfte Rechenschaft abzulegen. Du unterzeichnest jetzt einen Schuldschein über 100.00 Euro, der in einer Woche fällig wird. Die Zinsen erlassen wir dir“. Bei diesen Worten schlug Luigi Toni aufmunternd auf die Schulter.
„Und was passiert, wenn ich die 100.000 Euro nicht beschaffen kann?“ fragte Toni besorgt.
„Das wird nicht passieren, es hätte nämlich Folgen für dich und deine Familie, die du dir lieber nicht vorstellen möchtest. Du bist heute in einer Woche, also Donnerstag, pünktlich um 20:00 Uhr hier und zahlst. Egal wie. Hast du das verstanden?“
Toni hatte verstanden. Der Ton, mit dem Luigi die Antwort formuliert hatte, ließ weder Zweifel noch Rückfragen zu.
„Du kannst sofort verschwinden, wenn ich deine Unterschrift habe. Deine Zeche übernehmen wir. Und denk dran, nächsten Donnerstag!“ waren die letzten Worte, die Toni von Luigi zu hören bekam.
Nachdem er den ihm unter die Nase gehaltenen Schuldschein unterschrieben hatte, setzte Toni sich in seinen Audi A6 und verließ den Ort, an dem er soeben die Quittung für seine Spielleidenschaft erhalten hatte. Er sah keinen Ausweg, absolut keine Möglichkeit, der Katastrophe zu entgehen, auf die er unweigerlich zusteuerte.
Luigi und Carlo warteten also an diesem besagten Donnerstag im ‚Il Cortile’ auf Anton Huber, dem Luigi unmissverständlich klar gemacht hatte, dass alles andere als pünktliches Erscheinen, und zwar mit 100.000 Euro, unangenehme Folgen nach sich ziehen würde.
Gegen 20:15 Uhr meldete Carlo Bedenken an:
„Luigi, glaubst du wirklich, dass er kommt?“
„Er wird kommen, ich denke, es ist ihm bewusst, dass es sehr ungesund für ihn wäre, uns zu versetzen“. Luigi war es nicht gewohnt, dass Verabredungen mit ihm nicht eingehalten wurden. Er hatte den Ruf, äußerst ungehalten zu reagieren, wenn man mit ihm ‚Spielchen‘ machen wollte, wie er es nannte.
„Vielleicht wurde er aufgehalten, er wird schon noch kommen“. Noch war Luigi fest davon überzeugt, dass Toni in den nächsten Minuten zur Tür hereinkommen würde. Doch die Zeit verging und Toni erschien nicht.
Luigi und Carlo hatten sich inzwischen bei Giovanni etwas zu essen bestellt. Carlo hatte großen Appetit auf Linguine mit Scampi und gedachte, anschließend sein heiß geliebtes Tiramisu zu genießen. Luigi achtete sehr auf seine Figur und bevorzugte deshalb abends eher Kost mit geringem Anteil an Kohlenhydraten. Seine Wahl fiel deshalb auf das Gemüse-Carpaccio mit Jakobsmuscheln. Auf eine Nachspeise hatte er die Absicht zu verzichten.
In der Küche wurde die Bestellung bevorzugt behandelt. Giovanni hatte im Lauf der Jahre erkannt, dass es besser war, Luigi nicht lange warten zu lassen. Das Essen war wie immer äußerst schmackhaft, so wie man es von Giovanni gewohnt war. Gegen 21:30 Uhr, Carlo hatte sich gerade sein Tiramisu einverleibt und von Toni gab es immer noch kein Lebenszeichen, war Luigi eine gewisse Nervosität anzumerken.
Giovanni brachte unaufgefordert zwei Gläser Prosecco-Grappa ‚Libera da Ponte‘, der 18 Jahre in Holzfässern veredelt wurde und zu Recht als einer der besten und rarsten Grappas überhaupt gilt.
„Geht aufs Haus“, bemerkte Giovanni, er war sich schließlich der Bedeutung der Gäste bewusst, ahnte jedoch nicht, warum besonders Luigi heute etwas angespannt wirkte.
„Er kommt bestimmt nicht mehr“, wiederholte Carlo seine Befürchtungen. „Was ist, wenn er das Geld nicht beschaffen konnte?“
„Dann hätte er sich melden müssen!“ fuhr Luigi ihn eine Spur zu aggressiv an. „Außerdem lassen wir ihm das nicht durchgehen, seine Familie hat genug Kohle.“
Da Toni auch telefonisch nicht zu erreichen war - es meldete sich nur die Mailbox - beschloss Luigi, Toni kurzfristig einen Besuch abzustatten, an den der sich noch lange würde erinnern können. So ging man schließlich nicht ungestraft mit ihm um.
Nach Lage der Dinge würden sie wohl heute noch eine Weile im ‚Il Cortile’ bleiben müssen, deshalb bestellte Luigi bei Giovanni eine Flasche Barolo, Jahrgang 98, und zwei Gläser, um mit Carlo in aller Ruhe die weitere Vorgehensweise zu besprechen.
Es ging schließlich darum, an die 100.000 Euro zu kommen und gleichzeitig dem Zockerfreund Anton Huber ein paar Unannehmlichkeiten zu bereiten.
***
Anton Huber war auf dem Hof seiner Eltern in Hallbergmoos aufgewachsen. Den Hof führte sein Vater, Korbinian Huber, bereits in dritter Generation. Der hatte, nachdem ihm der Hof Mitte der 50er Jahre überschrieben wurde, den Betrieb auf reinen Ackerbau umgestellt und auf die von seinem Vater noch betriebene Viehwirtschaft verzichtet.
Antons vier Jahre ältere Schwester Maria hatte nach der Grundschule in Hallbergmoos das Dom-Gymnasium in Freising besucht und mit einem sehr guten Abitur abgeschlossen. Nach ihrem BWL-Studium heiratete sie den Besitzer eines Reit- und Zuchtbetriebes in Bad Füssing, den sie während ihres Studiums in München an der Ludwig-Maximilians-Universität kennengelernt hatte.
Die schulischen Leistungen Antons hielten sich im Vergleich zu denen seiner Schwester durchaus in Grenzen, deshalb bekam er von seinem Vater die Empfehlung: „Toni, du wirst ja einmal den Hof übernehmen, deshalb gehst du zur Mittelschule und machst den Realschulabschluss.“
Das passte Toni gar nicht, warum sollte er mit einer schlechteren Ausbildung zufrieden sein, als sie seiner Schwester ermöglicht wurde? Dass ihm die Voraussetzungen für ein passables Abitur fehlten, was seine Eltern längst erkannt hatten, wollte er nicht wahrhaben.
„Nach der Schule wirst du in einem befreundeten Ausbildungsbetrieb Landwirt lernen. Dazu wird es wohl reichen. Anschließend besteht immer noch die Möglichkeit, an der Fachhochschule in Freising Landwirtschaft zu studieren.“
Dies war kein guter Rat, sondern schon eher eine Entscheidung. Es kam so, wie Antons Vater Korbinian es für richtig hielt.
Nachdem Anton auf einem Hof im Landkreis Erding seine Ausbildung abgeschlossen hatte, studierte er wie geplant ab dem Studienjahr 1982/83 Landwirtschaft an der Fachhochschule Weihenstephan. Während des Studiums wohnte er zunächst auf dem Hof seiner Eltern in Hallbergmoos. Doch dort kündigten sich Veränderungen an, die seit Mitte der 60er Jahre bereits im Gespräch waren. 1969 wurde endgültig beschlossen, den neuen Münchner Flughafen im Erdinger Moos zu bauen, was in der Folge für die Familie Huber die Aufgabe des Hofes bedeutete. Mitte der 80er Jahre wurde endlich trotz einer großen Zahl von Klagen und zeitraubender gerichtlicher Auseinandersetzungen mit dem Bau begonnen. Korbinian Huber hatte dem Entschädigungsangebot zugestimmt und seinen Besitz aufgegeben. Von dem Erlös kaufte er sich in Waldskofen im Mangfalltal ein landwirtschaftliches Gut, das wegen eines fehlenden Erben zu erschwinglichen Konditionen zu haben war. Der Hof bot ausgezeichnete Möglichkeiten für die weitere Entwicklung. Neben einem großzügigen Gutshaus verfügte das Anwesen über ausreichend dimensionierte Wirtschaftsgebäude und mehrere hundert Hektar Ackerland.
Nach dem Umzug von Hallbergmoos nach Waldskofen war die tägliche Fahrt für Anton vom Mangfalltal zur Uni nach Weihenstephan sehr aufwändig, weshalb er sich entschloss, ein Angebot anzunehmen, das abzulehnen äußerst unklug gewesen wäre.
Mit zwei Studienkollegen, Alois Angerbauer und Ignaz Weidinger, hatte sich inzwischen so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Die beiden waren Mieter einer großen Wohnung, in der auch für Anton genug Platz war, was sich schon einige Male als Vorteil erwiesen hatte, als nämlich Toni wegen etwas übertriebenen Alkoholgenusses zu einer Heimfahrt nicht mehr fähig war und den Rest der Nacht im ‚Gästezimmer‘ der neuen Freunde verbrachte.
Alois war ein etwas schüchterner, unbeholfener Typ, dem man seinen bäuerlichen Hintergrund sofort ansah. Immer leicht vornübergebeugt und mit nach unten gerichtetem Blick vermittelte er den Eindruck, als wolle er sich ständig für seine Anwesenheit entschuldigen. Kurz, offensichtlich ein von Minderwertigkeitskomplexen belasteter junger Mann, der sich in seiner Haut nicht wohl fühlte, wenn er in Gesellschaft war.
Ganz anders Ignaz. Klein von Wuchs, aber immer eine Spur zu dynamisch. Er versuchte seinen körperlichen Mangel mit deutlich übertriebener Geschäftigkeit auszugleichen, was ihm nur bedingt gelang. Eine seiner herausragenden Eigenschaften war sein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit. Er musste immer Recht behalten, auch wenn seine Behauptungen abenteuerlichen Lügengeschichten entsprangen.
Als die drei eines Tages nach einer Vorlesung im Weihenstephaner Bräustüberl vor einer frischen Maß Bier saßen, kam Alois auf die neue Wohnsituation Tonis zu sprechen: