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Wer ist der mysteriöse Besucher, der sich nachts in der Wohnung der Protagonisten herumtreibt? Clemens Kaltenbach verdächtigt den Stalker, der seine Lebensgefährtin Maren Petersen verfolgt. Aber könnten von ihm auch die Briefe stammen, die angeblich ein Toter schickt, mit aktuellen Fotos, auf denen dieser sehr lebendig wirkt? Verfolgt Kaltenbach die falschen Schatten? Woher kommt der abgrundtiefe Hass des Gegners, der ein Drehbuch geschrieben hat, das den Protagonisten ein bitteres Ende voraussagt? Pressstimmen zu KALTE SCHREIE, dem ersten Teil der Kaltenbach-Trilogie: [...] seine Geschichte verläuft erheblich perfider und weniger berechenbar. [...] Wenn kurz darauf auch noch vier Leichen in grotesker Weise wieder auftauchen, fühlt man sich an Hitchcock erinnert. [...] Das Finale [...] lässt an eisiger Dramatik nichts zu wünschen übrig. [...] NORDSEEZEITUNG
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Der in Braunschweig geborene Autor Jürgen Warmbold arbeitet als freiberuflicher Fachjournalist in technischen Themenbereichen. Seine Texte werden sowohl in Fachzeitschriften als auch in großen deutschen Tageszeitungen veröffentlicht. ›Falsche Schatten‹ ist der dritte Roman des Autors, der heute im Bremer Umland lebt, und zugleich die letzte Folge der Trilogie um den Protagonisten Clemens Kaltenbach. Darüber hinaus hat Warmbold die Kurzgeschichte ›Mord im Tussitoaster‹ als E-Book veröffentlicht.
Dienstag, 5. Juli
Mittwoch, 06. Juli
Donnerstag, 07. Juli
Freitag, 08. Juli
Montag, 11. Juli
Dienstag, 12. Juli
Mittwoch, 13. Juni
Donnerstag, 14. Juni
Freitag, 15. Juli
Samstag, 16. Juli
Sonntag, 17. Juli
Montag, 18. Juli
Dienstag, 19. Juli
Mittwoch, 20. Juli
Donnerstag, 21. Juli
Freitag, 22. Juli
Samstag, 23. Juli
Sonntag, 24. Juli
Montag, 25. Juli
Dienstag, 26. Juli
Freitag, 29. Juli
Samstag, 30. Juli
Donnerstag, 4. August
Ein Jahr später
Er hätte nie gedacht, dass es so einfach sein würde, ein Krimidrehbuch zu schreiben. Nun ja, er hat die Rollen ausschließlich mit lebenden Personen besetzt. Neue Figuren zu entwickeln, wäre ohnehin nicht zielführend gewesen, schließlich haben ihm die vorhandenen genug Anlass für das Drehbuch gegeben. Da er weiß, wie sie ticken und reagieren, ist es ihm leicht gefallen, ihre Handlungswege vorzuzeichnen. Er muss sie nur noch entsprechend manipulieren. Am meisten freut ihn, dass er schon das bittere Ende der Geschichte kennt. Bitter für die Protagonisten!
Er zieht sich in den Schatten eines Baumes zurück, als eine seiner Hauptfiguren wieder einmal ans Fenster tritt. Sie starrt auf die dunkle Straße, als fände sie dort den Schlüssel zur Lösung ihrer Ängste. Er lacht in sich hinein. Hier liegt kein Schlüssel, sondern der Anfang seines Drehbuches, das von Enttäuschung und Wut handelt und seine Rache beschreibt. Er wird sich Zeit nehmen für seine Rache, wird sie in all ihren Facetten auskosten und in Ruhe dabei zuschauen, wie die Ängste seiner Figuren wachsen, ihre Hoffnungen verwelken und sie daran zerbrechen.
Sie öffnet das Fenster, um besser hinausschauen zu können. Die Elsasser Straße liegt zwei Stockwerke unter ihr im Halbdunkel. Drückende Schwüle lastet auf Bremen. Die Blätter der Bäume bewegen sich keinen Millimeter, als hätte sie jemand mitten im Sommer eingefroren. Auf ihrer Straßenseite führt ein älterer Mann seinen Hund Gassi. Er wohnt im Nebenhaus. Sie kennt ihn, nicht aber seinen Namen. Sonst ist niemand zu sehen. Der Hund bleibt unter ihrem Fenster stehen, hebt ein Bein und pinkelt gegen den Zaun. Altes Schwein, denkt sie, piss in deinen eigenen Vorgarten. Schwanzwedelnd sieht der Hund zu ihr herauf. Sein Herrchen wird ungeduldig. Er blickt ebenfalls nach oben. »Hallo Frau Petersen, noch nicht müde?«
»Geht so.« Woher kennt er ihren Namen? Wahrscheinlich tratschen die Alten den ganzen Tag lang rum.
»Schönen Abend noch, Frau Petersen«, ruft der Mann. »Nessie braucht Bewegung.«
Nessie, denkt Maren verächtlich. Sie sieht, dass der Hund schon nach zwei Schritten wieder stehenbleibt. Auf der anderen Straßenseite hat etwas sein Interesse geweckt, etwas, das Maren nicht sehen kann. Sie reibt ihre Arme, auf denen sich Gänsehaut bildet.
Der Mann zieht den Hund weiter. Nessie schaut beim Gehen immer wieder zur gegenüberliegenden Seite. Im Schatten eines Baumes glaubt Maren eine Bewegung zu sehen. Sie löscht das Licht. Eine Gestalt tritt aus dem Dunkel, stellt sich unter die Straßenlampe und blickt, ihr Gesicht unter einer weit nach vorn gezogenen Kapuze verborgen, zu ihr herauf. Björn Hiller stellt ihr also wieder nach. Eine ganze Zeit lang hat er Ruhe gegeben. Oder hat er sich geschickt verborgen und ist ihr nicht aufgefallen?
Maren mag nicht länger hinschauen. Sie geht in ihr Büro, um zu prüfen, ob E-Mails gekommen sind. Ihr Blick fällt auf eins der Schwarz-Weiß-Fotos mit Blumenmotiven von Robert Mapplethorpe, das schief hängt. Komisch, bevor sie am Nachmittag einkaufen gegangen ist, hat das Bild noch gerade gehangen. Da ist sie sich sicher. Und Clemens ist nicht hier gewesen. Sie zuckt die Schultern und wendet sich ihrem PC zu, der eine neue Nachricht anzeigt. Da kein Betreff und kein Absender angegeben sind, prüft sie die Mail zunächst auf Viren. Die Nachricht enthält ausschließlich ein sehr grobkörniges und leicht unscharfes Foto, das Clemens und Brigitte auf deren Terrasse zeigt. Clemens sitzt am Gartentisch vor einem Notebook, Brigitte Bunk, seine Ex und jetzige Chefin, schaut ihm über die Schulter, auf der ihre Hand ruht, als wolle sie die schwarzen Locken in seinem Nacken kraulen. Na ja, an seiner hohen Stirn und seiner Tonsur gibt es nun mal nichts zu kraulen.
Wie gleich doch Clemens´ Frauengeschmack über die Jahre geblieben ist. Brigitte und sie sind gleich groß, haben beide ein längliches Gesicht und tragen lange Haare. Der Gegensatz besteht in der Farbe der Locken, die bei Brigitte in einem mittleren Blond, bei ihr in einem satten Schwarz erstrahlen. Sie hatten früher auch die gleiche Figur, aber sie ist durch den Stress in den vergangenen zwei Jahren abgemagert. Ein Makel, den sie durch weite Kleidung zu kaschieren versucht, was nie hundertprozentig gelingt.
Muss sie sich wegen der Beziehung zwischen Clemens und Brigitte Gedanken machen? Clemens sagt, da sei nichts dran. Aber was heißt das schon? Vielleicht reicht eine zufällige Berührung und die alte Vertrautheit ist wieder da? Das Verlangen, das die beiden damals jahrelang aneinandergebunden hat? Brigitte hält auf jeden Fall nach wie vor zu Clemens, denn sie hat ihm als Chefredakteurin den Weg zurück in die Redaktion des Bremer Tageskuriers geebnet. Maren versucht, diese Gedanken beiseitezuschieben, aber sie kommt nicht davon los. Obwohl sie sich im Laufe des letzten Jahres selbst mit Brigitte angefreundet hat und ausnahmsweise einmal bereit wäre, an das Gute im Menschen zu glauben.
Um auf andere Gedanken zu kommen, geht sie in die Küche. Als sie einen Joghurt aus dem Kühlschrank nimmt, fällt ihr eine Flasche Weißwein auf. Eine, die gestern noch voll gewesen und jetzt fast leer ist. Wenn Clemens Alkoholiker werden will, dann ohne mich, denkt sie. Ihr ist der Appetit vergangen.
Maren konzentriert sich auf das Foto. Auf dem Gartentisch liegen Dokumente, die nach Arbeit aussehen. Diesen Aufwand kann sich Hiller sparen. Sie wird nicht zulassen, dass er ein weiteres Themenfeld eröffnet, auf dem er sie attackieren kann. Vor ein paar Tagen ist schon ein Foto gekommen, das zeigt, wie Clemens und Brigitte zusammen zu einer Vernissage gehen, über die er für den Tageskurier geschrieben hat. In Erinnerung an das Bild muss Maren doch schmunzeln. Dass Clemens bei offiziellen Anlässen sogar im Sommer einen Hut trägt, zeigt, wie sehr ihm seine hohe Stirn und seine Tonsur zu schaffen machen.
Auf dem Tisch fallen ihr aber auch zwei Weinflaschen auf. Die eine ganz, die andere fast leer. Schon wieder Alkohol. Ärger kocht in ihr hoch. Vor diesem Hintergrund erhalten seine gemeinsamen Abende mit der Ex eine andere Qualität. Und wer weiß, welche Bedenken der Wein beiseiteschiebt? Maren nimmt sich vor, ihn zur Rede zu stellen.
Clemens Kaltenbach hebt beschwichtigend die Hände. »Ich werde doch mit Brigitte noch ein Gläschen Wein trinken dürfen, oder?«
»Ein Gläschen? Ihr habt zwei Flaschen geleert. Und da Brigitte kaum Alkohol trinkt, ist ja wohl klar, wer mal wieder richtig zugelangt hat.«
Kaltenbach gießt sich eine Tasse Kaffee ein. Ihm geht es gegen den Strich, schon beim Frühstück angepflaumt zu werden. Dazu diese Hitze, die sich bereits am frühen Morgen wieder in die Küche schleicht. »Wenn Hiller mich weiterhin beschattet und dir Fotos schickt, hat er ja endlich eine Existenzberechtigung.«
Maren wird laut. »Sei nicht albern, Clemens. Außerdem brauche ich Hiller nicht, um dir auf die Schliche zu kommen. Oder meinst du, mir wäre nicht aufgefallen, dass die Flasche Weißwein, die im Kühlschrank steht, vorletzte Nacht leerer geworden ist. Und in der vergangenen Woche ist einer der beiden schweren Bordeauxweine, den wir im Küchenschrank gelagert haben, verschwunden.« Sie schlägt mit der Faust heftig auf den Tisch und bringt das Service zum Klirren. »Was denkst du, wie die Lösung aussehen könnte? Ist der Wein verdunstet und die Flasche gleich mit oder wirst du zum Alkoholiker?«
Kaltenbach verschränkt seine Arme vor der Brust. »Du bist also sauer, weil ich häufiger mal einen Abend mit Brigitte verbringe. Das zeugt nicht gerade von Vertrauen, zumal du weißt, dass es beruflich ist. Wir haben in der Redaktion viel zu tun, weil Kollegen und Kolleginnen in Urlaub oder krank sind.«
»Und warum arbeitet ihr nicht im Büro?«
»Mensch Maren, es käme nun mal nicht gut an, wenn wir in der Redaktion Alkohol trinken würden. Außerdem ich sehe nicht ein, dass ich bei unbezahlten Überstunden nicht mal einen Wein trinken sollte, den meine Chefin spendiert. Wenn du mir nicht traust, dann setz dich zu uns.«
»Und was ist mit dem Wein, der hier verschwunden ist. Auf was hast du damit angestoßen?«
Er wird rot. »Was willst du, Maren? Ich trinke nicht heimlich und weiß auch nicht, wo unser Wein geblieben ist. Und ich habe auch kein Verhältnis mit Brigitte.«
Maren knallt ihr Messer auf den Tisch. »Vielleicht kein sexuelles, aber ein alkoholisches.«
Kaltenbach steht auf. Angesichts der schlechten Laune von Maren beschließt er, sie nicht in seine Pläne für den Abend einzuweihen.
Brigitte Bunk schaut in den Seitenspiegel. »Ist es immer noch derselbe Verfolger?« Ihre dunkle Stimme löst bei Kaltenbach nach wie vor ein Kribbeln aus.
»Ja, seitdem wir bei dir losgefahren sind. Er hat sich zweimal hinter einen anderen Wagen zurückfallen lassen, um uns zu täuschen. Aber ich habe seine Scheinwerfer ständig im Blick gehabt.«
Kaltenbach mustert Brigitte Bunk von der Seite, lässt seine Augen über ihren Körper gleiten. Sie hat, im Gegensatz zu ihrer Arbeit im Verlag, bei der sie sich eleganter kleidet, zu einer farblich auffallenden Bluse in blauen und orangen Tönen und einer Jeans gegriffen. Keine Andeutung von einem Dekolleté, als ginge es ihr darum, eine Grenze zu verteidigen. Kaltenbach denkt an die Zeit zurück, in der sie ein Paar gewesen sind. Sieben Jahre ist das her. Das Verhältnis ist an ihrer beruflichen Zusammenarbeit zerbrochen. Danach hat ihn Brigitte zeitweise sogar gemobbt. Seit einem Jahr können sie wieder gut miteinander.
Sie schaut mit gespielter Entrüstung zurück. »Überprüfst du, ob ich noch eine Toppfigur habe?«
Kaltenbach fühlt sich ertappt, was ihn aber nicht stört. »Du siehst zum Anbeißen aus, Brigitte, einfach hinreißend.«
»Netter Versuch, mich abzulenken, aber du solltest lieber unseren Verfolger im Auge behalten.« Sie schiebt ihren Sitz zurück, um mehr Beinfreiheit zu haben. »Was ist das eigentlich für ein Wald, in den wir fahren?«
»Das Sellingsloh, es liegt zwischen Bruchhausen-Vilsen und Hoya.«
»Und du glaubst, Hiller wird uns im Dunkeln in einen abgelegenen Wald folgen?«
»So besessen, wie der Typ ist, wird er unbedingt wissen wollen, was wir dort treiben.«
»Wenn du mich fragst, sollten wir die Sache abbrechen. Dein Plan kommt mir unausgegoren vor. Darüber denke ich schon länger nach, wollte dich aber nicht hängenlassen. Was ist, wenn Hiller eine Pistole zieht und uns einfach erledigt?«
»Das wird er nicht tun. Hiller will Maren für sich gewinnen, indem er mir etwas anhängt. Indem er uns ein Verhältnis andichtet und dich mit reinzieht. Er wird uns deshalb beobachten und Maren wieder eine Mail schicken. Brächte er uns um, würde er Maren gegen sich aufbringen und damit das Gegenteil von dem erreichen, was er anstrebt.«
Brigitte Bunk schüttelt den Kopf. »Was sagt Maren überhaupt zu unserem Date?«
»Sie ahnt nichts davon. Sie kann mich nicht mal erreichen, ich habe mein Smartphone ausgeschaltet.«
»Das ist nicht dein Ernst. Falls uns was passiert, weiß niemand, wo man nach uns suchen könnte.«
»Mach bitte keinen Stress, du weißt, dass ich die Sache nur mit dir durchziehen kann. Es sollte auch in deinem Interesse sein, dass es endlich aufhört.«
»Natürlich wäre ich froh darüber. Wer lässt sich schon gern bespannnern? Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl.«
»Gedanklich habe ich alle möglichen Situationen durchgespielt. Abgesehen davon ist Jens Wagner informiert.« Kaltenbach schaut in den Rückspiegel. »Unser Plan scheint aufzugehen. Es ist noch derselbe Wagen.«
Brigitte Bunk dreht sich um und blickt durch das Rückfenster. »Wie kann man so kopfkrank sein, wie dieser Hiller. Er sollte doch irgendwann begreifen, dass er bei Maren nicht landen kann.«
»Ich verstehe das auch nicht. Selbst als mieser kleiner Stalker müsste ihm klar sein, dass er sich nicht normal verhält.«
Sie fahren eine Weile schweigend. Die Lichter des Wagens spiegeln sich in den Scheiben der Häuser, an denen sie vorbeikommen. Das Ortsschild von Bruchhausen-Vilsen taucht im Scheinwerferlicht auf.
Bunks Smartphone klingelt. »Hallo, Brigitte, ist Clemens bei dir? Er hat sein Handy ausgeschaltet.«
»Hallo, Maren, ich geb´ ihn dir.«
Kaltenbach wäre das Smartphone fast aus der Hand gerutscht. Maren hat ihm gerade noch gefehlt.
»Ihr fahrt spazieren«, sagt sie bissig.
»So kann man es auch sehen. Ich erkläre dir alles später, jetzt muss ich mich konzentrieren.«
»Hast du getrunken? Was treibst du hinter meinem Rücken?«
»Bitte Maren, ich erzähle es dir, sobald ich zu Hause bin.«
»Ich will es sofort wissen, auf der Stelle.« Der warnende Unterton in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
»Reg dich nicht auf, Hiller ist wieder hinter Brigitte und mir her. Aber gleich sitzt er in der Falle.«
»Mach keinen Scheiß, wo seid ihr?«
»Gleich da, ich muss Schluss machen.« Er drückt das Gespräch weg und schaltet das Smartphone aus.
Brigitte Bunk sieht ihn an. »Du könntest etwas netter zu Maren sein, sie hätte es verdient.«
»Hiller macht mich wahnsinnig, er ist auf dem besten Weg, unsere Beziehung zu zerstören. Ständig steht er vor unserem Fenster und glotzt zu uns hoch. Er schreibt Maren Briefe und fleht sie an, ihn zu erhören. Er wolle ihr einen Ausweg aus ihrem armseligen Leben bieten und warte nur darauf, dass auch sie begreift, wie wichtig das für sie sei. Außerdem faselt er immer häufiger von Gunnar Neuhaus, versucht uns ein schlechtes Gewissen zu machen, weil wir nach Gunnars Tod gleich zusammengezogen sind.«
Brigitte schaut nach hinten. »Der Wagen ist immer noch da. Wie ist Hiller überhaupt auf die Geschichte mit Gunnar gekommen?«
»Er hat was gesucht und passende Informationen gefunden. Heutzutage steht doch alles jahrelang im Internet. Je mehr man sucht, je mehr findet man.«
Brigitte Bunk räuspert sich. »Ihr habt ihm eine saubere Angriffsfläche geboten. Gunnar war dein bester Freund und Marens Lebensgefährte.«
»Ich war nun mal scharf auf Maren. Ich hätte ihre Beziehung mit Gunnar aber nie zerstört. Weil ich das auf jeden Fall vermeiden wollte, habe ich sogar überlegt, aus Bremen wegzuziehen. Abgesehen davon mussten wir uns ohnehin aus einer Notsituation heraus zusammentun.«
»Ich weiß, das sollte auch kein Vorwurf sein.«
Kaltenbach deutet nach vorn. »Wir sind da, dort vorn biegen wir rechts ab. Mal sehen, wie Hiller reagiert. Mut müsste er schon haben, um uns in den dunklen Wald zu folgen.«
Brigitte Bunk packt Kaltenbachs Unterarm. »Du sagst es, der Wald ist völlig dunkel. Nicht einmal der Mond lässt sich blicken. Auf was habe ich mich da eingelassen?«
»Dir passiert nichts, Brigitte, es ist alles vorbereitet.« Kaltenbach biegt über die Schienen der Museumseisenbahn Bruchhausen-Vilsen in den Wald ab. Die Scheinwerfer erfassen kurz das Stationsschild »Sellingsloh« und leuchten dann den Waldparkplatz aus, von dem zwei Wanderwege abgehen. Kaltenbach fährt seinen Wagen schräg vor die rot-weiß gestreifte Schranke, die den Weg für Autos versperrt, und schaltet den Motor aus. Jetzt hat er den Verfolger seitlich im Blick, sobald er kommt.
Brigitte Bunk rutscht unruhig auf dem Beifahrersitz hin und her. »Wo bleibt er denn, er müsste längst hier sein?«
Kaltenbach lässt sein Seitenfenster herunter. »Es ist nichts zu hören. Vielleicht hat er sein Licht ausgeschaltet und ist unmittelbar nach uns in den Wald eingebogen.«
Die unheimliche Atmosphäre des dunklen Waldes kriecht in das Wageninnere, als wolle sie Bunk und Kaltenbach umarmen. Untermalt von nächtlichen Geräuschen, die in ihnen Ohren übernatürlich laut klingen. Hinzu kommt das Gefühl, von tausend Augen- und Ohrenpaaren beobachtet zu werden.
»Du meinst, er ist hier und eventuell schon ausgestiegen? In dieser pechschwarzen Nacht könnte er direkt neben uns stehen, ohne dass wir ihn bemerken. Mach Licht an.«
Kaltenbach nickt mit dem Kopf Richtung Straße. »Er kommt.«
Ein Geländewagen biegt auf den Parkplatz ein, bleibt kurz hinter den Schienen stehen und blendet voll auf, sodass Kaltenbachs Wagen aus der Finsternis hervorgehoben wird wie ein Sänger vom Strahl eines Bühnenscheinwerfers. Dann schaltet der Fahrer das Licht aus. Wieder versinkt der Schauplatz in Schwärze.
»Was passiert jetzt? Er versperrt uns die Ausfahrt.« Bunks Stimme überschlägt sich. »Ich glaube, der will heute nicht fotografieren. Wie sollte er auch in dieser Finsternis. Er hat einen anderen Plan, sonst wäre er uns nicht in den Wald gefolgt.«
Sie versucht auszusteigen, doch Kaltenbach hält sie am Arm fest. »Verlier bitte nicht die Nerven, Brigitte. Gleich kommt Jens, dann nehmen wir Hiller in die Zange. Guck, da ist Jens schon.«
Jens Wagner betätigt die Lichthupe, weil der Geländewagen den Weg blockiert. Dessen Fahrer schaltet sein Licht wieder ein und fährt langsam auf Kaltenbach und Bunk zu.
Bunk deutet auf den Rammschutz des Fahrzeugs, der im Scheinwerferlicht noch bedrohlicher wirkt. »Clemens, der hält nicht an.«
Doch der Gegner stoppt, als hätte er plötzlich die Lust an dem Spiel verloren. Er wendet und tritt das Gaspedal so stark durch, das die Räder Erde und Steinchen vom Waldboden hochschleudern. Wagners quergestelltes Auto ist kein Hindernis für den Geländewagen. Es wird am Heck getroffen und zur Seite gerammt.
Weil die Fahrertür klemmt, muss Wagner auf der Beifahrerseite aussteigen. Er schenkt seinem Auto, das sowieso nicht durch TÜV-Prüfung gekommen wäre, die in zwei Wochen ansteht, nur einen kurzen Blick, bevor er zu Bunk und Kaltenbach läuft. »Seid ihr okay? Sagt doch was.«
Maren Petersen, außer sich vor Wut, leuchtet Kaltenbach mit ihrer Taschenlampe ins Gesicht. »Wie konntest du nur auf solch eine bescheuerte Idee kommen?« Sie wendet sich an Brigitte Bunk. »Und du unterstützt ihn auch noch bei diesem Schwachsinn. Habt ihr euch zusammen Mut angetrunken?«
»Lass Brigitte in Ruhe. Sie hat auf mich eingeredet, die Aktion abzubrechen.«
»Und warum hast du nicht auf sie gehört?« Sie winkt ab. »Was will man von einem Mann auch erwarten? Männer stehen immer noch mit einem Bein in der Steinzeit und tragen stolz eine Keule auf der Schulter.« Maren sieht sich um. »Wo steckt Jens, hat er den Plan mit ausgeheckt?«
Brigitte Bunk deutet auf den Streifenwagen, den sie gerufen hat. »Er hat die Nummer des Geländewagens notiert und macht seine Aussage. Clemens hat ihn beauftragt, sein Umfeld zu überwachen. Jens hat gegenüber auf der anderen Straßenseite im Wald auf uns und Hiller gewartet. Das habe ich auch erst hinterher erfahren.«
Maren hakt sich in Brigittes linken Arm ein. »Komm, du kannst bei mir schlafen. Die beiden Waldmenschen sind ja schon dort, wo sie hingehören.«
»Der Rat meiner Chefinnen tagt.« Kaltenbach versucht, bei der mitternächtlichen Begrüßung witzig zu klingen, kommt damit aber nicht an. Er steht in der Tür des länglichen Raums, der von einer Sitzecke mit einem Dreiersofa, einem niedrigen Beistelltisch und zwei Besuchersesseln geprägt wird. Brigitte und Maren sitzen auf den Besuchersesseln im Licht des Deckenfluters, der dem Raum Behaglichkeit verleiht. Neben der Sitzecke hat Maren an der schmalen, dem Fenster gegenüberliegenden Wand ein helles Sideboard aufgestellt, auf dem ein Strauß Trockenblumen und eine Lampe mit einem sandfarbenen Porzellansockel stehen. Über dem Möbel hängen drei Radierungen mit Landschaftsmotiven von Günter Grass, die sie letzte Woche gekauft hat. Kaltenbach lehnt sich an das Bücherregal, das die Sitzecke optisch mit dem Essbereich verknüpft, und wartet auf die Strafpredigt, die Maren gleich halten wird.
Brigitte Bunk steht auf. »Ich gehe dann mal. Danke für den Bordeaux, Maren.«
»Willst du etwa alleine zu Hause schlafen? Nach allem, was passiert ist? Hiller hat dich auch auf dem Kieker und er weiß, wo du wohnst. Bleib doch hier, Clemens schläft gern mal wieder auf dem Sofa.«
»Danke für das Angebot, aber ich habe eine gute Alarmanlage.«
»Du musst es wissen. Ich rufe dir ein Taxi.«
Maren bringt Brigitte zur Tür und kommt mit einer leeren Miniflasche zurück. Sie dreht die Flasche auf und riecht daran. »Whisky! Clemens, was ist los mit dir? Die Flasche habe ich in deiner Jackentasche gefunden. Wir haben vor einem Jahr vereinbart, dass du nur noch hin und wieder Alkohol trinkst. Als Gegenleistung habe ich versprochen, nicht mehr zu rauchen. Ich habe mich daran gehalten, aber du trinkst nicht mehr, du säufst. Tut mir leid, aber anders kann ich das nicht nennen. Mach bitte eine Therapie.«
Kaltenbach weicht die Farbe aus dem Gesicht. »Ich habe die Flasche noch nie gesehen. Wie kannst du mir ständig diese haltlosen Vorwürfe machen? Warum vertraust du mir nicht?«
Maren steht auf. »Mach doch was du willst, Clemens Kaltenbach. Ich halte das alles nicht mehr aus. Das mit Hiller wird nie aufhören. Der Druck, den er in Gunnars Namen aufbaut, zerreißt mich. Egal, wohin ich gehe, überall erinnert mich etwas an Gunnar. Und irgendwie hat Hiller ja auch recht. Wir hätten nicht gleich wieder was miteinander anfangen sollen.«
»Sag, dass das nicht dein Ernst ist. Hat dich Hiller endlich da, wo er dich haben will?«
»So ein Quatsch. Dennoch hätten wir warten sollen. Das wir es nicht getan haben, war natürlich auch meine Schuld. Ich wusste nicht mehr weiter, wir waren auf der Flucht und du warst damals mein einziger verbliebener Halt.« Sie wischt sich eine Träne von der Wange. »Das scheint allerdings auch vorbei zu sein.«
»Was willst du damit sagen? Jetzt, wo ich beruflich Tritt gefasst habe und es uns finanziell besser geht, willst du dich von mir trennen?«
»Ich habe nur gesagt, dass du mir immer weniger Halt gibst. Beweise mir, dass du nicht trinkst, damit ich dir wieder vertrauen kann.«
Kaltenbach springt auf, läuft in die Küche und kommt mit einem ungebrauchten Frischhaltebeutel zurück. Damit greift er die Flasche und verschließt den Beutel, ohne den Inhalt mit seinen Fingern zu berühren. »Ich gehe zur Polizei. Markus soll die Flasche auf Fingerabdrücke untersuchen.«
Während des Frühstücks mit Maren, das sehr schweigsam verlaufen ist, hat die Polizei Nienburg angerufen. Der Geländewagen ist gestern Mittag als gestohlen gemeldet worden. Nach dem Frühstück hat Kaltenbach mit Brigitte Bunk telefoniert und sich für heute freigenommen. Dann ist er zu Kriminalhauptkommissar Markus Sandman gefahren. Sein Freund Markus hat ihm versprochen, die Whiskyflasche sofort auf Fingerabdrücke untersuchen zu lassen.
Jetzt klingelt Kaltenbach an Wagners Tür in der Yorckstraße. Er schaut sich um. Für die alten Reihenhäuser, die hier, wie in vielen Straßen der Bremer Neustadt, durch vorgebaute Wintergärteneinen besonderen Charme versprühen, hat er keinen Blick übrig. Nur auf einem Gebäude schräg gegenüber bleiben seine Augen kurz ruhen. Dort hat er mit Franziska Bommer gewohnt. Seine damalige Freundin ist demselben Mörder zum Opfer gefallen wie Gunnar Neuhaus.
Die Tür geht auf. »Wollen wir?« Wagner zieht eine leichte Jacke über. »Hausbesuch?«
Kaltenbach nickt. Ihr Ziel ist Hillers Villa in Bremen-Oberneuland.
Wagner, der sich schon auf Kaltenbachs Seite geschlagen hatte, als er noch als Detektiv auf der Honorarliste von Hiller stand, stößt angesichts der Größe von Hillers Anwesen einen anerkennenden Pfiff aus. »Als Juniorchef einer Maschinenfabrik lebt man nicht schlecht. Ich bin nie hier gewesen, du etwa?«
»Nein, aber Maren hatte das Vergnügen. Wie du weißt, hat sie früher für Hiller die Pressarbeit gemacht.«
Wagner deutet auf die Grundstückstür, die weit offen steht. »Gehen wir einfach rein, ohne zu klingeln?«
Kaltenbach nickt. »Klar, wir schauen uns erst mal auf dem Grundstück um. Ich schlage vor, du gehst rechts um das Haus rum und ich nehme die linke Seite.«
Er versucht gar nicht erst, sich anzuschleichen. In Anbetracht der bodentiefen Fenster im Erdgeschoss des Hauses wäre die Möglichkeit, unbemerkt zu bleiben, ohnehin gering. Soll Hiller ihn doch sehen. Kaltenbach ist erstaunt, wie viel Gespür für die Natur der Stalker in seinem Garten angelegt hat. Staudenbeete durchziehen das Grundstück. Zusammen mit einem großen Teich, in den ein Wasserfall läuft, und zwei alte Eichen ergeben sie ein stimmiges Gesamtbild. Hier sieht man, wo Geld steckt, aber zufrieden ist Hiller dennoch nicht, denkt Kaltenbach. Selbst er kann sich nicht alles kaufen.
Unbewusst tritt Kaltenbach nun doch leise auf, obwohl er auf dem gepflasterten Weg kaum Geräusche verursacht. Am Ende der Hausseite angekommen, lugt er vorsichtig um die Ecke. Der Stalker sitzt in einem Gartenstuhl mit einem Notebook auf dem Schoß und kratzt sich an der rechten Schläfe, als müsse er lange überlegen, was er schreiben soll. Wahrscheinlich entwirft er wieder eine Mail an Maren, denkt Kaltenbach. Er muss sich eingestehen, dass Hiller durch seine schlanke, durchtrainierte Figur, seine modisch lässige Kleidung, die er laut Maren in den teuersten Geschäften kauft, seine kurz geschnittenen Haare und seinen Dreitagebart durchaus Frauen beeindrucken kann. Er ist und bleibt aber eine Mogelpackung.
Hiller sieht Kaltenbach und zuckt zusammen. »Was wollen Sie, Kaltenbach, wie sind Sie hier reingekommen?«
»Sie hätten Ihr Grundstück abschließen sollen, statt sich mit einem Kopf voll wirrer Fantasien in den Garten zu hocken.« Kaltenbach greift sich das Notebook, öffnet die Bilddateien und findet die Fotos von Maren, die Hillers automatische Kamera vor einem Jahr an seinen Swimmingpool aufgenommen hat. Er löscht die Dateien, klappt das Notebook wieder zu und gibt es zurück. »Kommen wir zum Thema. Ich bitte Sie noch einmal, uns in Ruhe zu lassen. Sonst zeige ich Sie an.«
»Das haben Sie doch schon gemacht, hat aber nichts gebracht.«
»Ich zeige sie so oft an, bis es etwas bringt. Es gibt inzwischen genügend Leute, die bereit wären, gegen sie auszusagen. Sie gehören in die Psychiatrie. Das wissen Sie selbst, lassen sich aber nicht behandeln. Uns reicht es. Bei Maren werden Sie nie landen. Darum noch einmal: Wenn Sie Ruhe geben, vergessen wir alles, was sie getan haben.«
Hiller lächelt herablassend. »Verschwinden Sie, sonst zeige ich Sie an.«
»Wir sind doch gar nicht hier, oder Jens?« Kaltenbach blickt Wagner an, der von der anderen Seite herantritt.
»Nö, wir würden doch nicht unsere Zeit mit einem Psychopathen verplempern.«
»Raus.« Hiller schreit.
Kaltenbach setzt sich in einen freien Gartenstuhl und lehnt sich zurück. »Niemand geht. Was haben Sie gestern Abend angestellt, Hiller, wo sind Sie gewesen?«