Verloren im Paradies - Patricia Vandenberg - E-Book

Verloren im Paradies E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Das Ehepaar Dr. Daniel Norden und Fee sehen den Beruf nicht als Job, sondern als wirkliche Berufung an. Aber ihr wahres Glück finden sie in der Familie. Fünf Kinder erblicken das Licht der Welt. Die Familie bleibt für Daniel Norden der wichtige Hintergrund, aus dem er Kraft schöpft für seinen verantwortungsvollen Beruf und der ihm immer Halt gibt. So ist es ihm möglich, Nöte, Sorgen und Ängste der Patienten zu erkennen und darauf einfühlsam einzugehen. Familie Dr. Norden ist der Schlüssel dieser erfolgreichsten Arztserie Deutschlands und Europas. Miriam lag wach im Bett und lauschte in die Nacht, die brennenden Augen weit geöffnet. Sie war todmüde, und der Wecker würde in wenigen Stunden erbarmungslos klingeln. Doch der rasselnde Atem ihrer Tochter Steffi, der durch die dünnen Wände der kleinen Wohnung ins Schlafzimmer drang, ließ sie keinen Schlaf finden. Als das schwere Schnaufen in einen quälenden Husten überging, hielt sie nichts mehr im Bett. Seufzend schlug Miriam die Bettdecke zurück und stand fröstelnd auf. Nachts konnte sie nicht auf Eric, ihren Freund und Vater von Steffi, zählen. Der lag seelenruhig auf seiner Seite der Matratze und schlief tief und fest. Barfuß tappte Miriam über den kühlen Parkettboden. In der Dunkelheit stieß sie sich den Fuß an einer herumstehenden Schachtel und unterdrückte einen Schmerzensschrei. »Irgendwann krieg' ich zu viel hier«, schimpfte sie leise, während sie sich den schmerzenden Zeh rieb. »Warum kann dieser Mann nicht wenigstens ein bisschen aufräumen, wenn er schon so oft zu Hause ist?« Ohne weitere Zwischenfälle humpelte sie hinüber ins peinlich aufgeräumte Kinderzimmer ihrer achtjährigen Tochter Steffi. Das Mondlicht fiel durch den dünnen Vorhang ins Zimmer, und trotz des schlimmen Hustens musste Miriam lächeln. Steffi hatte ihren Sinn für Ordnung geerbt. Alle Spielsachen waren fein säuberlich in den Regalen und Schränken aufgereiht und sortiert. Nur Eric fiel in der kleinen Familie deutlich aus dem Rahmen. Wieder erschütterte ein Hustenanfall die nächtliche Stille und riss Miriam aus ihren Betrachtungen. Leise schlich sie sich ans Bett und setzte sich auf die Kante. »Steffilein, hörst du mich?«

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Familie Dr. Norden – 765 –

Verloren im Paradies

Wenn alle Träume Wahrheit werden

Patricia Vandenberg

Miriam lag wach im Bett und lauschte in die Nacht, die brennenden Augen weit geöffnet. Sie war todmüde, und der Wecker würde in wenigen Stunden erbarmungslos klingeln. Doch der rasselnde Atem ihrer Tochter Steffi, der durch die dünnen Wände der kleinen Wohnung ins Schlafzimmer drang, ließ sie keinen Schlaf finden. Als das schwere Schnaufen in einen quälenden Husten überging, hielt sie nichts mehr im Bett. Seufzend schlug Miriam die Bettdecke zurück und stand fröstelnd auf. Nachts konnte sie nicht auf Eric, ihren Freund und Vater von Steffi, zählen. Der lag seelenruhig auf seiner Seite der Matratze und schlief tief und fest. Barfuß tappte Miriam über den kühlen Parkettboden. In der Dunkelheit stieß sie sich den Fuß an einer herumstehenden Schachtel und unterdrückte einen Schmerzensschrei.

»Irgendwann krieg’ ich zu viel hier«, schimpfte sie leise, während sie sich den schmerzenden Zeh rieb. »Warum kann dieser Mann nicht wenigstens ein bisschen aufräumen, wenn er schon so oft zu Hause ist?«

Ohne weitere Zwischenfälle humpelte sie hinüber ins peinlich aufgeräumte Kinderzimmer ihrer achtjährigen Tochter Steffi. Das Mondlicht fiel durch den dünnen Vorhang ins Zimmer, und trotz des schlimmen Hustens musste Miriam lächeln. Steffi hatte ihren Sinn für Ordnung geerbt. Alle Spielsachen waren fein säuberlich in den Regalen und Schränken aufgereiht und sortiert. Nur Eric fiel in der kleinen Familie deutlich aus dem Rahmen. Wieder erschütterte ein Hustenanfall die nächtliche Stille und riss Miriam aus ihren Betrachtungen. Leise schlich sie sich ans Bett und setzte sich auf die Kante.

»Steffilein, hörst du mich?« flüsterte sie, und das Kind stöhnte leise. »Steffi, wach auf.« Sanft streichelte sie über die verschwitzte Stirn, auf der ein paar feuchte Haarsträhnen klebten.

»Mama? Was ist denn?«

»Ich kann nicht schlafen, weil du so husten musst. Soll ich dir einen Tee kochen?«

»Mein Hals tut so weh«, krächzte Steffi und richtete sich mühsam im Bett auf. »Und heiß ist mir auch.«

»Kein Wunder. Du hast bestimmt Fieber, du kleines Glühwürmchen. Das kommt davon, wenn man zum Schlittschuhlaufen keinen Schal anzieht.«

»Haben wir nicht gefunden«, murmelte Steffi schuldbewusst und schlüpfte ganz tief unter die Decke. »Und die Mütze auch nicht.«

»Soll das heißen, du warst gestern mit Papa ohne Schal und Mütze auf dem See?« Empört schnappte Miriam nach Luft.

»Papa hat wirklich wie verrückt gesucht, aber die Heinzelmännchen haben die Sachen zu gut versteckt.«

»Die Heinzelmännchen, soso.« Ärgerlich schüttelte Miriam den Kopf und stand auf, um in der kleinen Küche Wasser für Steffis Tee aufzusetzen. Auf dem Tisch stand noch das Geschirr vom Abendbrot. Miriam war zu müde gewesen, es abzuräumen. Eric hatte versprochen, das zu erledigen, ehe er sie mit einem liebevollen Kuss ins Bett geschickt hatte. Offenbar war ihm wieder etwas dazwischen gekommen.

»Dieser Mann ist einfach unverbesserlich«, murmelte sie vor sich hin, während sie Kräuter in eine Teekanne füllte und kochendes Wasser darübergoss. Zusammen mit zwei Tassen, einem Glas Honig und zwei Löffeln stellte sie sie auf ein Tablett und balancierte es vorsichtig durch den Flur, hinüber ins Kinderzimmer. Dort hatte es sich Steffi inzwischen im Bett gemütlich gemacht und wartete auf ihre Mutter. »Hm, das riecht gut.« Genüsslich schnupperte sie an der Kanne, aus der Kräuterduft ins Zimmer stieg.

»Na, Schnupfen scheinst du ja glücklicherweise noch nicht zu haben.«

»Kommt bestimmt noch. Glaubst du, ich kann morgen in die Schule gehen?«

»Ganz bestimmt nicht. Zuerst einmal muss Papa morgen früh mit dir zu Dr. Norden. Du weißt, wie empfindlich du bist. Eine Bronchitis ist das letzte, was wir jetzt gebrauchen können.«

»Ach, Mann, dabei haben wir grad so ein cooles Kelten-Projekt. Heute haben wir Stoffe selbst gefärbt, morgen wollten wir uns solche Kleider nähen, wie die Kelten sie hatten. Das will ich nicht verpassen.«

»Da kannst du dich bei deinem Vater bedanken. Aber wenn Dr. Norden nichts dagegen hat, kann Papa dich ja später noch hinbringen. Und jetzt trink deinen Tee, damit du wieder schlafen kannst. Bald ist die Nacht vorbei.«

Folgsam leerte Steffi ihre Tasse. Die wohltuenden Kräuter und der süße Honig verfehlten ihre beruhigende Wirkung nicht. Bald ließen die Halsschmerzen nach, das Atmen ging spürbar leichter. »Mir gehts schon viel besser«, beteuerte sie ernsthaft und ließ sich willig von Miriam zudecken.

»Das ist schön. Um einen Arztbesuch kommst du trotzdem nicht herum.«

»Macht nichts. Dr. Norden ist nett, da krieg ich immer was geschenkt.« Zufrieden kuschelte sich Steffi in ihr weiches Kissen und war wenige Augenblicke später eingeschlafen. Lächelnd betrachtete Miriam das weiche Kindergesicht, lauschte auf den viel ruhigeren Atem, ehe sie das Tablett in die Küche zurückbrachte. Ein Blick auf die leise tickende Wanduhr verriet ihr, dass sie jetzt nicht mehr ins Bett gehen musste. In etwas mehr als zwei Stunden begann ihr Frühdienst in einem großen Münchner Hotel. Sie überlegte kurz, was sie tun sollte und beschloss, Eric zu wecken, um mit ihm über Steffi und einen Besuch bei Dr. Norden zu reden. Schließlich trug er die Schuld an Steffis Erkrankung, leichtsinnig wie er war. Da war es nur eine gerechte Strafe, wenn er mal früher aufwachen und sich ihre Beschwerden anhören musste.

*

Eine halbe Stunde später saß Miriam fix und fertig angezogen am kleinen Tisch in der Küche, ihr gegenüber ein sichtlich schlecht gelaunter, verschlafener Eric. Missmutig strich er sich mit der Hand über das stoppelige Kinn, während er die Standpauke seiner Lebensgefährtin über sich ergehen ließ.

»Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?« funkelte Miriam ihn ärgerlich an. »Du weißt genau, wie empfindlich Steffi ist. Man muss das Schicksal nicht auch noch herausfordern.«

»Wenn du sie ständig in Watte packst, wird sich das niemals ändern. Ein bisschen frische Luft hat noch keinem Kind geschadet.«

»Das sage ich ja gar nicht. Aber ohne Mütze und Schal, das ist unverantwortlich bei diesem Wetter. Du siehst ja, was wir nun davon haben.«

»Was denn? Die Prinzessin schläft wie ein Engel«, murmelte Eric verständnislos, und Miriam seufzte tief und verdrehte die Augen.

»Typisch Mann. Du würdest es noch nicht mal merken, wenn neben deinem Bett eine Bombe explodieren würde. Auf jeden Fall musst du mit Steffi gleich nachher zu Dr. Norden. Ich will sicher sein, dass keine Bronchitis im Anmarsch ist.«

»Wie stellst du dir das vor? Der ganze Laden steht voll mit der Lieferung, die gestern am späten Nachmittag gekommen ist. Das Zeug muss weg sein, bis ich aufschließe.« »Dein Problem.« Miriam warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte die ewigen Diskussionen mit Eric gründlich satt und sehnte sich nach ihrer heilen Welt im Hotel, wo sie ihren Träumen von einem sorglosen Leben nachhängen konnte, während sie Betten frisch bezog, Bäder putzte und teure Teppiche saugte. »Ich geh dann jetzt.«

»Jetzt schon? Wollen wir nicht noch einen Kaffee miteinander trinken?« fragte Eric versöhnlich. Aber an diesem Morgen biss er bei Miriam auf Granit.

»Keine Lust. Bevor ich noch länger mit dir rumstreite, frühstücke ich lieber im Hotel.« Sie stand auf und bedachte ihren Lebensgefährten mit einem langen fragenden Blick. Was war nur geschehen mit ihnen? Wohin hatte sich die große, ewige Liebe geflüchtet, die sie sich vor mehr als zehn Jahren immer wieder flüsternd und lachend und weinend geschworen hatten? An diesem Morgen sah sie nichts weiter als einen verschlafenen unrasierten Mann mit verwuschelten Haaren, in einer ausgebeulten Schlafanzughose und mit nacktem Oberkörper. »Außerdem machst du einen reichlich ungepflegten Eindruck. Die Zeit, die du jetzt hast, kannst du gut dazu nutzen zu duschen und hier ein bisschen Ordnung zu machen.«

»Was erwartest du eigentlich von mir? Es ist noch nicht mal sechs Uhr morgens.« Eric verstand die Welt nicht mehr. Sichtlich irritiert beobachtete er Miriam, wie sie in die Winterstiefel schlüpfte und den dicken Mantel bis oben hin zuknöpfte. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, ohne dass sie ihn eines weiteren Blickes gewürdigt hatte, ahnte er, dass dieser Tag alles andere als erfreulich werden würde.

Wenn Daniel Norden erwartet hatte, den Arbeitstag in seiner Praxis in aller Ruhe beginnen zu können, so musste er schon bei seiner Ankunft einsehen, dass daraus nichts werden würde. Die kalte Winterluft umwehte ihn noch, als er bereits mit einem freundlichen »Gut, dass Sie schon da sind« von seiner treuen Helferin Anna-Lisa Wendel begrüßt wurde.

»Guten Morgen, Wendy. Das klingt ja ganz danach, als ob sie mich schon sehnsüchtig erwarten«, scherzte er dennoch gut gelaunt, während er die dicke Winterjacke an die Garderobe in dem kleinen Zimmer hängte, das gleichzeitig als Kaffeeküche diente.

»Wie immer. Aber heute ist es besonders dringend. Im Wartezimmer sitzen schon zwei Patienten. Einmal ein gewisser Herr Kleber. Ich weiß nicht, ob Sie sich an ihn erinnern. Er war lange nicht mehr hier und wollte mir auch nicht sagen, was los ist. Sehr merkwürdig.« Wendy hielt inne und dachte an den Mann, der in die Praxis gekommen war, kurz nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte. Eigenartig hatte er sich benommen und ihr ein ungutes Gefühl in der Magengrube beschert. Da war ihr die zweite Patientin des Tages schon lieber, die kleine, aufgeweckte Steffi Bloch, die es kaum erwarten konnte, behandelt zu werden. »Und dann wartet noch eine ungeduldige junge Dame auf Sie, die unbedingt pünktlich in der Schule sein will.«

»Nanu, gibts so was heutzutage noch?«

»Ehrlich gesagt hab’ ich mich auch gewundert. Aber Steffi Bloch hat mich sofort darüber aufgeklärt, dass sie die Montessori-Schule besucht und den Tag heute auf gar keinen Fall verpassen will.« »Dann wollen wir mal sehen, ob ich ihr diesen Wunsch erfüllen kann.« Daniel rieb sich lächelnd die kalten Hände, ehe er selbst ins Wartezimmer ging, um sich um seine kleine Patientin zu kümmern. »Guten Morgen, die Herrschaften«, grüßte er allgemein in den gemütlich eingerichteten Raum. Steffi und Eric grüßten freundlich zurück. Andreas Kleber hingegen hob rasch den Kopf, seine unruhigen Augen streiften Daniel, als er kurz nickte, aber nichts sagte. Dr. Norden überlegte einen Augenblick.

»Ich weiß, dass Sie zuerst da waren, Herr Kleber. Hätten Sie was dagegen, wenn ich zuerst die junge Dame hier untersuche? Sie muss zur Schule.«

Wieder sagte Andreas nichts, nickte nur kaum merklich. Daniel seufzte innerlich. Schon am frühen Morgen sah er erhebliche Probleme auf sich zukommen. Schnell wandte er sich Steffi und ihrem Vater zu.

»Guten Morgen, Steffi, hallo, Herr Merz. Bitte, kommen Sie doch mit rüber ins Behandlungszimmer. Wie mir Wendy gerade erzählt hat, haben wir keine Zeit zu verlieren.«

Steffi sprang von ihrem Stuhl auf, wo sie ungeduldig gesessen und mit den Beinen gezappelt hatte, und lief auf Dr. Norden zu.

»Ich hab’s ganz eilig heute«, krächzte sie und Eric schüttelte missbilligend den Kopf.

»Zuerst mal sagt man doch guten Morgen, oder?«

»Guten Morgen, Herr Doktor. Können Sie mich ganz schnell untersuchen? Ich muss nämlich dringend in die Schule.«

»Was gibts denn so Besonderes heute?« erkundigte sich Daniel sichtlich amüsiert, während er Steffi die Tür zum Behandlungszimmer aufhielt. »Wir haben diese Woche Kelten-Projekt und sooo viel zu tun.«

»Aha.« Mehr konnte Daniel dazu nicht sagen und warf Eric, der ihnen schweigend gefolgt war, einen fragenden Blick zu. »Steffi besucht die Montessori-Schule hier ganz in der Nähe. Da wird ein anderer Unterricht gemacht als an einer staatlichen Regelschule. Unter anderem gibt es Projektwochen, in denen die Kin-der an einem bestimmten Thema arbeiten«, gab Eric bereitwillig Auskunft.

»Genau. Das ist viel lustiger als an einer normalen Schule, und wir lernen viel mehr«, posaunte Steffi stolz heraus und hüpfte auf die Behandlungsliege. Aus langjähriger Erfahrung wusste sie schon, was jetzt folgte. Ein Blick von Dr. Norden in den Rachen, das Abhören der Brust mit dem Stethoskop, die Untersuchung der Ohren mithilfe des Otoskops. Alles Dinge, die sie wegen ihrer labilen Gesundheit schon unzählige Male über sich hatte ergehen lassen müssen.

»Na ja, viel mehr würde ich nicht sagen«, erklärte ihr Vater unterdessen zurückhaltend. »Aber auf eine andere Art und Weise.« Er kannte die Skepsis seiner Mitmenschen in Bezug auf alternative Schulsysteme und hatte sich angewöhnt, seine persönliche Überzeugung nicht zu euphorisch an den Mann zu bringen. Aber Daniel Norden war schon aufgrund seiner fünf Kinder ein modern denkender, aufgeschlossener Zeitgenosse, der sich für alles interessierte, was junge Menschen begeisterte. Und dass Steffi Feuer und Flamme für ihre Schule war, war unverkennbar. »Dann erklär mir doch mal genauer, was es mit dem Kelten-Projekt auf sich hat, wenn du es schon unter gar keinen Umständen versäumen willst«, hakte er lächelnd nach, nachdem er sich über ihre Beschwerden erkundigt hatte und mit der Untersuchung begann.

»Also, die Projekte dauern immer eine Woche. Da kommt die Regina zu uns. Die arbeitet normalerweise im Völkerkundemuseum in München und bringt immer ganz viele Sachen und Geschichten mit. Wir haben schon ein Bayern-Projekt gehabt und ein Indianer-Projekt und ein Mittelalter-Projekt. Die Regina erzählt uns, wo die Menschen gelebt haben und wie. Was sie gegessen und angezogen haben und so. Wir Kinder teilen uns dann in Gruppen auf und dürfen das dann ausprobieren. Eine Gruppe mahlt Getreide mit Steinen zu Mehl und backt Brot daraus, andere basteln Schmuck. Meine Gruppe hat gestern Stoffe gefärbt, wie die Kelten das früher gemacht haben. Und heute nähen wir Kleider draus. Deswegen muss ich auch unbedingt in die Schule.«

»Das würde meinen Kindern auch Spaß machen«, gab Daniel unumwunden zu. »Besonders meinen Zwillingen. Die sind ein bisschen jünger als du und gehen nicht ganz so gern in die Schule.«

»Keine Sorge, Steffi ist nicht immer so begeistert. Rechnen, Lesen und Schreiben lernen muss sie in der Montessori-Schule genauso wie woanders auch«, warf Eric lächelnd ein.

»Da bin ich ja beruhigt. Und Sie können auch unbesorgt sein, was die Gesundheit Ihrer Tochter angeht. Eine leichte Erkältung, nichts weiter. Salbeitee mit Honig und viel Wärme sollten das schnell wieder in Ordnung bringen. Und gegen die Halsschmerzen verschreibe ich ein paar Lutschtabletten. Also, kleines Fräulein, denk dran, nicht ohne Schal und Mütze draußen spielen, auch wenn’s noch so verführerisch ist. Dann kannst du heute auch unbesorgt in die Schule gehen.«

Steffi warf ihrem Vater einen komplizenhaften Blick zu, verriet ihn aber nicht. Sie nickte nur eifrig und sprang quietschvergnügt von der Behandlungsliege. Ihr Tag war gerettet, und sofort war sie bester Dinge. Sie griff nach Erics Hand.

»Komm schon, Papa, wir müssen uns beeilen.«

»Himmel, hast du denn deine ganze gute Erziehung vergessen, die dir deine Mutter beigebracht hat?« seufzte der resigniert. Vor Schreck schlug sich Steffi mit der Hand auf den Mund.

»Entschuldigung. Vielen Dank, auf Wiedersehen, Herr Doktor. Das nächste Mal hab’ ich mehr Zeit für Sie, ich versprech’s!« Schnell reichte sie Daniel die Hand, dann war kein Halten mehr. Eric hatte nur noch Gelegenheit für einen raschen Gruß, ehe er seiner temperamentvollen Tochter an Wendy vorbei nach draußen folgte.

»Nanu, die beiden haben es aber eilig«, schüttelte die Arzthelferin hinter ihrem Schreibtisch nur den Kopf. Daniel blickte den beiden lächelnd nach.

»Das möchte ich auch mal erleben, dass meine Kinder so unbedingt in die Schule wollen. Diese Montessori-Schule muss ja was ganz Besonderes sein.«

»Dazu kann ich leider gar nichts sagen.« Bedauernd schüttelte Wendy den Kopf. »Wenn man keine Kinder hat, beschäftigt man sich nicht mit solchen Sachen.«

»Ist ja auch verständlich. Das verlangt wirklich keiner von Ihnen.«

»Trotzdem finde ich es schön, so ein freundliches, aufgewecktes Kind zu sehen. Das erlebte man ja leider nicht mehr so häufig. Die Kleinen scheinen oft schon in den ersten Klassen unter einem gehörigen Druck zu leiden.«