Faszien verstehen - Gerd Gradwohl - E-Book

Faszien verstehen E-Book

Gerd Gradwohl

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Beschreibung

Prävention, Regeneration & Heilung durch Faszienbehandlung Rückenprobleme, Nackenschmerzen oder der „Tennisarm“– wer kennt sie nicht. Meistens liegt diesen und vielen anderen Beschwerden eine gestörte Struktur unserer Faszien zugrunde. Faszien umschließen Muskeln, Gefäße, Knochen und Organe und spielen eine wichtige Rolle in unserem Körper. Gerd Gradwohl, Physiotherapeut in eigener Praxis, stellt eine neuartige physiotherapeutische Behandlungsmethode vor – die Myofasziale Integration. Hier werden spezielle manuelle Techniken mit Bewegung kombiniert. Dadurch können akute oder chronische orthopädische Beschwerden, die durch gestörte, vernarbte oder verklebte Faszien verursacht werden, innerhalb kurzer Zeit erfolgreich behandelt werden. Erfahren Sie mehr über: • unser Fasziensystem und seine Bedeutung • den Behandlungsablauf der Myofaszialen Integration und Therapieerfolge • effektive Übungen für das Faszientraining Sie können Faszien gesund und leistungsfähig erhalten und kleine Beschwerden selber therapieren: • mit einfachen Übungen zur Selbstmassage • durch funktionelles Training für ein gut funktionierendes Bewegungssystem • anhand detaillierter Anleitungen für zu Hause

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Gerd Gradwohl mit Ursula Gerard

Faszien verstehen

Mehr Wohlbefinden und Gesundheit durch Faszienbehandlung und Bewegung

Liebe Leserin, Lieber Leser,

Wir möchten Ihnen unsere Inhalte so einfach und flexibel wie möglich anbieten.

Daher verzichten wir auf harten Kopierschutz.

Auch in die elektronische Ausgaben unserer Werke haben wir viel Arbeit investiert.

Wir vertrauen Ihnen und Ihrer Wertschätzung unserer Arbeit gegenüber.

Vielen Dank für Ihren Respekt gegenüber unserer Urheber- und Vervielfältigungsrechte.

Ihre digitale Ausgabe ist mit einem unsichtbaren personalisiertem Wasserzeichen ausgestattet.

 

 

 

Wichtiger Hinweis

Die Inhalte dieses Buches dienen der allgemeinen Information und Aufklärung über gesundheitliche Themen und bieten Anleitungen zur Selbsthilfe. Jede/r Leser/in ist aufgefordert, über die Anwendung der Übungen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Das Buch kann und soll in keinem Fall die Beratung, Diagnose oder Behandlung durch einen Arzt oder Physiotherapeuten ersetzen. Die hier bereitgestellten Inhalte und Informationen sollten niemals als alleinige Quelle für gesundheitsbezogene Entscheidungen verwendet werden und sie dienen auch nicht als Grundlage für eine eigenständige Diagnose und den Beginn, die Änderung oder Beendigung der Behandlung von Krankheiten. Die Diagnosestellung und Beurteilung der Indikation einer medizinischen Behandlung obliegt allein Ihrem Arzt oder einer anderen qualifizierten Fachperson.

Die Inhalte wurden mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt. Die Urheber dieses Buches, der Verlag und seine Beauftragten übernehmen dennoch keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit, Aktualität und Ausgewogenheit der bereitgestellten Inhalte und Informationen. Eine Haftung der Autoren, des Verlags oder seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Geschützte Warennamen sind in diesem Buch in der Regel gekennzeichnet. Fehlt ein solcher Hinweis, berechtigt es nicht zu der Annahme, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

 

 

 

Impressum

ISBN 978-3-943793-57-4 (Druckversion)

ISBN 978-3-943793-58-1 (ePUB-Version)

ISBN 978-3-943793-59-8 (Kindle-Version)

ISBN 978-3-943793-60-4 (ePDF-Version

© 2017 Stadelmann Verlag, Nesso 8, 87487 Wiggensbach, www.stadelmann-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Herstellung: Thomas Stadelmann

Lektorat: Dr. Christina Hardt, Stuttgart

Illustrationen: Bettina Buresch, Schongau

Fotos: Rainer Retzlaff, Waltenhofen

Satz: Markus Keller, Schongau

Druck: Kösel, Krugzell

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Vorwort 1

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Beweglichkeit und die Bewegung unseres Körpers bestimmen unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit.

Bewegung beruht auf der Tätigkeit der Muskeln. Allerdings geht dies nur in Zusammenarbeit mit dem Skelett. Denn Bewegung im Raum heißt letztlich Bewegung in den Gelenken. Zusammenfassend spricht man daher auch vom Bewegungsapparat. Dieser beinhaltet – als drittes System – das Bindegewebe oder die Faszien, welche im Rahmen der Bewegung die Kraft des Muskels auf das Skelett übertragen. Darüber hinaus „speichern“ diese Faszien, ähnlich wie eine gespannte Spiralfeder, mechanische Energie, die eine nachfolgende Bewegung unterstützt. Der dynamische Sprung eines Sportlers wird erst dadurch ermöglicht. Hier lässt sich sofort verstehen, dass eine krankhafte Änderung der faszialen Struktur sich auf die Bewegungsfähigkeit auswirken wird.

Der Faszie kommt noch wesentlich mehr Bedeutung zu als oben beschrieben. Sie ist z.B. mittels eingelagerter Sinneszellen auch an der Eigenwahrnehmung (Propriozeption) beteiligt und kann sich durch spezielle Zellen (Myofibroblasten ) selbst zusammenziehen und verhärten.

Die schlechte Nachricht ist: Chronische Fehl- und Unterbelastungen verändern nachteilig den Bewegungsapparat, sodass letztlich Funktionseinschränkungen und Schmerzen entstehen.

Die gute Nachricht ist: Das Bindegewebe ist eine dynamische und anpassungsfähige Struktur. Dank der medizinischen Forschung verstehen wir heute viel besser, wie sich durch geeignete (therapeutische) Bewegungen und Einwirkung von außen eine veränderte Faszie wieder normalisieren kann.

Kompetenten und praktischen Rat, wie Sie Ihre Faszien wieder in Schwung bringen und halten, bekommen Sie im vorliegenden Buch – ein gelungenes Werk, dem ich eine weite Verbreitung wünsche!

 

Bleiben Sie gesund und in Bewegung!

 

Ihr Stefan Walenta

Privatdozent, Dr. rer. nat. et med. habil., Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Pathophysiologie

Vorwort 2

Liebe Leserin, lieber Leser,

als erstes möchte ich meine große Anerkennung für Gerd Gradwohl aussprechen, dass er die Essenz der Faszientherapie aus der Praxis heraus beschrieben hat – damit wird diese für Sie greifbar und erlebbar. Ein neues Verständnis von Gesundheit erwartet Sie.

Beste Erfahrungen und viele Erkenntnisse konnte ich durch meine jahrzehntelange Betreuung von Leistungssportlern sammeln. Es kam darauf an, so zu behandeln, dass die Leistungsfähigkeit erfolgreich wiederhergestellt wurde. Dies war die Geburtsstunde meines Therapieverständnisses, der „Myofaszialen Integration“.

Hier im Sport lernte ich Gerd Gradwohl kennen, als Mensch und Hochleistungssportler. Er war wissbegierig und wollte begreifen, was in der Therapie mit seinem Körper passierte. Sie können seinen aus der Praxis heraus gewonnenen Erfahrungsschatz für sich auch im Alltag nutzen, um – auch präventiv – für sich selbst und die Leistungsfähigkeit Ihres Körpers aktiv zu sorgen.

Wir Menschen sind vom Ursprung her Läufer auf zwei Beinen. Als solche konnten wir viele Millionen Jahre überleben. Glaubhafte Studien besagen: Wir müssen, um unsere Gelenke (Fuß, Knie, Hütgelenke, Becken, Wirbelsäule) gesund zu erhalten, mindestens 3 Kilometer pro Tag laufen bzw. spazieren gehen und das eben nicht nur geradeaus – ein Auf und Ab, nach links und rechts fordert, fördert und heilt vor allem auch unseren Bewegungsapparat artgerecht.

Nehmen wir uns das zu Herzen: Leben ist Bewegung, diese formt unsere Faszien und ermöglicht es uns, mit einer ungeahnten Leichtigkeit und Freude durch das Leben zu tänzeln und dabei auch noch Unmengen an Glückshormonen zu bilden.

Verlassen Sie sich nicht darauf, dass alles wieder gut wird, wenn Sie sich bei Krankheitssymptomen behandeln lassen. Es ist wichtig zu verstehen, dass jeder für sich und seine eigene Gesundheit die Verantwortung selbst zu tragen hat. Sie benötigen auch keine Geräte und Maschinen, um sich zu bewegen. Unser Körper besitzt die Fähigkeit, sich selbst zu heilen bzw. gesund zu erhalten. Schenken Sie Ihrem Körper wieder mehr Vertrauen!

Schon ab den ersten Zeilen dieses Buches sammeln Sie Ideen und Anregungen und werden Antworten auf vielleicht bislang unbekannte Ursachen vieler Beschwerden finden. Durch die beschriebenen Übungen und Techniken können Sie sich selber helfen oder Ihren Therapeuten gezielt um Hilfe bitten. In diesem Sinne wünsche ich dem Buch eine große Leserschaft!

 

Ihnen viel Freude mit und beim Erleben Ihres Körpers und weiterhin gute Gesundheit!

 

Ihr Benno Geißler

Physiotherapeut, Heilpraktiker, Osteopath, Instruktor für Manuelle Therapie, ständiges Mitglied im Lehrstab des Deutschen Olympischen Sportbundes, Begründer der Myofaszialen Integration

1 Eigene Erfahrungen mit der Myofaszialen Integration

Während meiner Skikarriere machte mir 2003 mein Knie Probleme. Die orthopädischen Untersuchungen ergaben ein „Springerknie“, auch „Jumpers Knee“ bzw. Patellaspitzensyndrom genannt, eine Überlastungserkrankung des Kniescheibenstreckapparates am Knochen- und Sehnenübergang der Kniescheibenspitze. Dieses äußerte sich durch unangenehme Schmerzen an der Spitze der Kniescheibe. In der Magnetresonanztomografie war außer einer Entzündung nichts zu erkennen. 

Musste ich das Knie belasten, wurden die Schmerzen einfach mit Cortison weggespritzt. Es gab keine Vorschläge zu einer weiteren Therapie. Die Belastungsfähigkeit während der Skirennen konnte mit Standard-Physiotherapie und der Gabe eines Schmerzmittels nur mit Not aufrechterhalten werden. Später erklärte mir Benno Geißler, Begründer der Myofaszialen Integration, dass entzündungshemmende Medikamente den Prozess unterdrücken, der für die Regeneration des Körpers zuständig ist. Mit der Entzündung schaltet der Körper quasi den Heilungsturbo ein. Wenn wir aber versuchen, die Entzündung mit Medikamenten zu beeinflussen, dann wird der Heilungsprozess verändert. In der Praxis sah das so aus: Erst sechs Wochen nach der letzten Cortison-Injektion konnte die Belastbarkeit der Kniescheibensehne (Patellarsehne) nur langsam wieder aufgebaut werden, da Cortison das Gewebe weicher macht und die Gefahr eines Sehnenabrisses entsteht. 

Die Beschwerden traten nach ca. einem Jahr (2004) mit vermehrter Heftigkeit erneut auf. Eine weitere Spritze führte zu keinem Ergebnis. Die Schulmedizin versagte, so empfand ich das. Sollte ich von nun an mit Schmerzen weiterleben und meine Sportkarriere abrupt abbrechen müssen? Zum Glück wurde ich mit der Myofaszialen Integration konfrontiert. Die ersten Behandlungen erfuhr ich durch Lutz Scheurer, dem damaligen Chef-Physiotherapeuten des DPS-Skiteams Alpin.

Faszial denken

Die fasziale Betrachtung meines diagnostizierten Syndroms war eine ganz neue Sichtweise für mich: Den Körper gedanklich nicht in Einzelteile, auch nicht in einzelne Muskeln zerlegen, nicht Symptome behandeln und ausmerzen – sondern ganzheitlich, faszial denken! Scheurers Befundung ergab: Schuld wäre ein verklebter Hüftbeuger. Hauptursache dafür wäre meine alte Narbe nach einer Blinddarmoperation 1969. Beim Verschließen der Operationswunde wurde ein Teil des Bindegewebes, das den Hüftbeuger begleitet, mit Teilen des Bauchdeckengewebes untrennbar vernäht. Die eingeschränkte Beweglichkeit des betroffenen Gewebes führte zu einer Störung der Beweglichkeit der Hüfte. Durch die intensive Kraftübertragung wurde das Knie mit der Kompensationsarbeit überfordert. Ein daraus resultierendes Ungleichgewicht, vor allem innerhalb der Anteile des großen Oberschenkelmuskels, führte zu einem ungünstigen Zug auf die Kniescheibe und damit auf die große Patellarsehne, die die Kniescheibe mit dem Schienbein verbindet. Die andauernden Schmerzen waren die Botschaft meines Körpers und ein Hinweis auf dieses Ungleichgewicht. Die chronische Entzündung war Ausdruck des Heilungsversuchs meines Körpers. 

Ich hatte schon immer so ein Bauchgefühl, dass mein Körper nicht im Gleichgewicht war und spürte kleine Unterschiede zwischen meiner linken und rechten Körperhälfte. Mir war bereits vorher immer aufgefallen, dass die Dehnfähigkeit der Hüftbeuger im Seitenvergleich unterschiedlich war. Das Bewegungsausmaß rechts war eingeschränkter. Die wirkliche Ursache hatte ich selbst jedoch nicht erkennen können, da mir das Denken in faszialen Zusammenhängen damals noch fremd war. 

Im weiteren Verlauf meiner Skisport-Karriere wurden Lutz Scheurer und Benno Geißler meine Therapeuten, die in mehreren Behandlungen die Blinddarmnarbe und die das Knie umgebende Muskulatur mobilisierten und mir halfen, die Funktionsfähigkeit der Hüte und des Oberschenkels wiederherzustellen.

Skiunfälle und Myofasziale Integration

Bei der World Championship 2009 zog ich mir bei einem Sturz im Riesenslalom einen „Skidaumen“ (Bänderriss/Ruptur des inneren Seitenbandes des Daumengrundgelenks) und bei einen zweiten schweren Sturz im Super G eine Kniegelenksdistorsion zu. Ein Skidaumen gehört zum Standardinventar eines jeden alpinen Skiläufers und fand zunächst entsprechend wenig Beachtung; allerdings sollte ich in Bezug auf die Daumensattelgelenksarthrose, die sich daraus entwickelte, wieder auf ihn zurückkommen. 

Der harte Sturz im Super G war für mich selbst sehr beunruhigend. Ich konnte zwar wieder aufstehen, aber nach ca. einer Stunde war es mir unmöglich zu gehen und das rechte Knie zu belasten. Die Untersuchung durch Mannschaftsarzt Dr. Hartmut Stinus und Physiotherapeut Benno Geißler ergab, dass die wichtigsten Strukturen unverletzt geblieben waren. Jedoch war das Bindegewebe, das sich auf der Innenseite des Knies aus dem Gelenksspalt nach unten zieht (die Befestigungsbänder des Innenminiskus haben fasziale Verbindungen nach außen) und die Faszien an der Schienbeinaußenseite vorne bis zum Sprunggelenk hinunter stark verdreht („getwistet“). Benno Geißler behandelte mich ungefähr eine Stunde lang mit speziellen Bindegewebstechniken aus der Myofaszialen Integration. Sein Ziel war, mich wieder zu einem ungestörten Ablauf meiner motorischen Fähigkeiten und in einen belastbaren Zustand zu bringen, was ihm auch gelang. Lediglich in der tiefen Kniebeuge blieb ein Restschmerz bei Belastung übrig. Die Alltagstauglichkeit war innerhalb kürzester Zeit wiederhergestellt! 

Drei Tage später gewann ich mit einem Hundertstel Vorsprung die Goldmedaille in der WM-Abfahrt. Es folgten eine Ruhephase von knapp einer Woche und eine Rennwoche in Whistler, nach der das Knie noch etwas gereizt war, ich aber nicht mehr in der Rennsituation Medikamente einnehmen musste. Mit voller Belastungsfähigkeit errang ich in dieser Saison einen weiteren Sieg in der Abfahrt und gewann die Gesamtwertung in dieser Disziplin. Nach drei Wochen war das Knie wieder vollkommen symptomfrei und ausgeheilt. 

Im weiteren Verlauf des Jahres 2009 erlitt ich bei einem Trainingsunfall eine Fraktur des rechten Unterschenkels. Dieser spiralige Etagenbruch sollte sich als mein therapeutischer Intensivkurs entpuppen. Alle Erfahrungen, die ich im Zusammenhang mit dieser schweren Verletzung machte sowie den komplexen Ablauf der Myofaszialen Integration als Therapie selbst zu erleben, haben mein Verständnis der körperlichen Prozesse und der Faszien enorm erweitert.

Zwei Wochen nach der Operation des Schienbeinbruchs gab mir Benno Geißler mit einer myofaszialen Behandlung die „Orientierungsfähigkeit“ meines Gewebes im Unterschenkel zurück. Der Heilungsfortschritt innerhalb von 24 Stunden war, wie immer nach solchen Behandlungen, groß. Und da ich die Schmerzmittel nur wenige Tage nach der Operation wieder abgesetzt hatte, konnte ich ohne Einschränkungen empfinden, was mein Körper zur Gesundwerdung alles unternahm. Diese Wahrnehmung meiner körpereigenen Heilungs- und Regenerationsfähigkeit ist für mich eines der eindrucksvollsten Erlebnisse, die ich je erfahren habe.

Trotz der unglaublichen Intensität des körperlichen Heilungsprozesses dauert der Vorgang, je nach Schwere der Verletzung, von einem Tag bis zu mehreren Monaten. Interessant ist, dass immer eine deutliche Verstärkung der Regenerationsfähigkeit festzustellen ist, wenn eine Myofasziale Integrationsbehandlung stattgefunden hat. 

Wir setzten die Behandlung im Intervall von zwei Wochen fort. Nur gut zwei Monate später stand ich Ende Oktober das erste Mal wieder auf den Skiern. Die Belastbarkeit beim Skifahren reichte für zwei der drei Schwünge. Meine Trainer versuchten, die Belastbarkeit meines verletzten Beins bis zum Januar 2010 aufzubauen, was uns auch gelang. Das letzte Rennen war ein Super G, gleichzeitig mein letztes Weltcuprennen und ich schaffte es als Drittplatzierter aufs Treppchen.

Bei meinem letzten Rennen 2010 in Kanada war ich 50 Jahre alt und trotz der schweren Verletzungen bereits nach einen halben Jahr, mit Einschränkungen, wieder fit. Ohne Myofasziale Integration dauert die Regeneration einer solchen Verletzung mindestens doppelt so lange, auch bei jüngeren Menschen. Und ganz wichtig: In dieser Zeit habe ich mich nicht ruhig verhalten oder gar geschont, nein, ich habe mich bewegt und ständig „überschwellige“ (die volle Reaktion herausfordernde) Reize gesetzt.

 

Fazit: Ich würde keinen unfallchirurgischen Eingriff irgendeiner Art an meinem Körper mehr vornehmen lassen ohne eine begleitende Faszientherapie.

3 Myofasziale Integration: Behandlungsablauf

Immer mehr Physiotherapeuten schenken den Faszien bei ihren Behandlungen mittlerweile Beachtung. Sie denken nicht mehr nur an einzelne Körperteile oder einzelne Muskeln, sondern an Muskelketten und fasziale Stränge, die den ganzen Körper durchziehen und alles miteinander verbinden (auch die Organe, Knochen, Sehnen und Muskeln). 

Die Myofasziale Integration ist eine besondere Faszientherapie, in Deutschland von Benno Geißler begründet, bei der zahlreiche Techniken der tiefen Bindegewebsmassage zum Einsatz kommen. 

Zunehmend lassen sich bundesweit Therapeuten in diesen Techniken weiterbilden. Damit Sie sich eine Vorstellung von solch einer Behandlung machen können, stelle ich Ihnen den Ablauf exemplarisch vor, wie ich ihn in meiner Praxis durchführe.

Zunächst fragen Sie sich bestimmt, welche Beschwerden und Krankheiten mit der Myofaszialen Integration behandelt werden können und Aussicht auf Besserung haben? Diese werde ich Ihnen im Kapitel „Beschwerden und Fallbeispiele“ genauer vorstellen. Generell kann gesagt werden, dass alle orthopädischen Verletzungen und Erkrankungen, Beschwerden und Symptome behandelt werden können, angefangen beim Hals, über Schultern, Rücken, Becken, Hüfte, Beine, Knie bis hin zu den Sprunggelenken – und das bei jungen und älteren Menschen, bei akuten und chronischen Erkrankungen. Auch Leistungssportler profitieren von diesen Faszienbehandlungen als regelmäßige Begleitung, sodass sie möglichst verletzungsfrei trainieren und an Wettbewerben teilnehmen können. Darüber hinaus sind die Erfolge als begleitende Therapie bei orthopädischen und chirurgischen Eingriffen deutlich.

Bei der Myofaszialen Integration geht es prinzipiell darum, Spannungen im myofaszialen System in die Entspannung zu bringen. Schwingen die Faszien wieder relativ störungsfrei und elastisch, dann kann der Körper seine Funktionen erneut aufnehmen und Regeneration bzw. Heilung bewirken.

Durch meine Seh-Einschränkung habe ich Glück im Unglück, denn dadurch ist meine Wahrnehmung über meine Hände sehr ausgeprägt. Mit meinem mir verbleibenden Sehvermögen kann ich schemenhaft erkennen, ob eine Störung im Gangbild vorliegt – ein wichtiges Kriterium. Bereits bei der Begrüßung fallen mir aufgrund meiner Erfahrung die Bewegungsabläufe des Patienten auf. Humpelt der Patient, ist der Bewegungsablauf beim Gehen nicht homogen oder sein Gang irgendwie auffällig? Ist er das, so kann dies z. B. auf eine Hüftproblematik hinweisen. Zusätzlich sammle ich weitere Informationen über funktionelle Tests, bei denen der Patient aktiv Übungen ausführt. Dabei lasse ich ihn z. B. erst auf dem einen, dann auf dem anderen Bein stehen. Gelingt dem Patienten das auf einfache Weise, wackelt das Knie, bewegt er sich dabei viel hin und her oder muss er sogar seinen Fuß absetzen? Die Qualität, mit der er die Übungen ausführt, und der Seitenvergleich beider Körperhälften geben mir wertvolle Informationen über die individuelle Beweglichkeit, die bei jedem Menschen auf einzigartige Weise ausgeprägt ist. Danach erfolgen passive Tests auf der Massageliege, bei denen der Patient eben nicht aktiv mithilft, sondern ich z. B. die Beine anwinkle, sie in verschiedene Richtungen drehe und dabei die Bewegungsqualität, das Bewegungsausmaß und eventuelle Schmerzreaktionen prüfe.

Hinzu kommen Gelenkspieltests und Kriterien der Differenzialdiagnostik aus der Manualtherapie, um Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen voneinander abgrenzen zu können. Bei den Gelenken fühle ich, wie weit die Innen- und Außenrotation, die Beugung und Streckung möglich ist. Dazu bewege ich die Beine oder Arme, beuge sie und drehe sie leicht nach innen und außen oder provoziere eine Reaktion mit einem festeren Druck. Ich fühle, ob das Bewegungsausmaß vollkommen ausgeschöpft ist oder ob und wann Blockaden zu spüren sind. Gleichzeitig bekomme ich dadurch Informationen über die Elastizität der Faszien. Ich erkenne zusätzlich externe Wirkungsfaktoren, die den Prozess nachhaltig beeinflussen (z. B. ein stressbedingtes Überlastungsmuster am Rücken, das häufig Burnout-Symptome begleitet). Je nach Bedarf setze ich außerdem neurologisch orientierte Tests ein. Einer ist der „Straight Leg Raise“ (SLR), bei dem ich ein Bein anhebe und teste, ob der Ischias-Nerv reagiert, wenn er in die Länge gezogen wird. Der Nerv muss beinahe 2 cm Dehnstrecke aushalten können, ohne mit Schmerz zu reagieren. In diesem Fall kann ich darauf schließen, ob der Ischias-Nerv in Mitleidenschaft gezogen wurde oder nicht. 

 

Ich betrachte den gesamten, komplexen menschlichen Organismus unter dem Aspekt der Faszien. Dr. Stephen Typaldos, Begründer des Fasziendistorsionsmodells (FDM, 1991) und Wegbereiter dieser neuen, faszial-orientierenden Diagnose- und Behandlungsmethode appelliert mit folgendem, von ihm geprägten Slogan an den Therapeuten, ein übergeordnetes, verbindendes Denken zu entwickeln, um den Patienten optimal helfen zu können:

Think fascial – not in muscles! Denke faszial – nicht in Muskeln!

Das nehme ich mir immer wieder zu Herzen. Meinem Empfinden nach ist das fasziale Denken der Schlüssel zum Verständnis des menschlichen Organismus. Mithilfe meiner Hände, meiner Erfahrung und meines umfangreichen Wissens über die Komplexität der Faszien und der anatomischen Strukturen sowie deren Funktionen kann ich nach diesen verschiedenen Tests einen Befund erstellen.

3.1 Untersuchungsmethoden

Diese manuelle Untersuchung ist das, was der Orthopäde heutzutage selten oder deutlich zu wenig nutzt und was deshalb von unserem Berufsstand, den Physiotherapeuten, immer wieder gefordert wird. Mit den bildgebenden Verfahren können ot nur einzelne Körperstrukturen sichtbar gemacht werden, beim Röntgen z. B. sind das die Knochen. Da sie eine hohe Dichte haben, erscheinen sie im Röntgenbild und können eingehend betrachtet werden, dabei können aber keine Aussagen über das Gewebe und die Gewebsqualität gemacht werden. Entzündungsherde sind nicht unbedingt erkennbar. Beim MRT, der Magnetresonanztomografie, ist der Weichteilkontrast besser, d. h. es werden Strukturen wie ein Kreuzband sichtbar, Entzündungen werden in hellem Weiß dargestellt. Der Nachteil ist die Feindarstellung von Gewebsstrukturen. Zum einen ist die Auflösung selten größer als 1 mm, d. h. kleinere Probleme sind nicht erkennbar, und zum anderen entstehen falsche Informationen durch Bildstörungen (Artefakte). Ein MRT-Bild kann also nicht mit einem Foto vom Inneren des Menschen verglichen werden, es zeigt lediglich unter einem bestimmten grafischen Aspekt eine zu interpretierende Aussage vom Gewebe. Der darauf spezialisierte Facharzt ist für die möglichst korrekte Interpretation zuständig. 

Um fasziale Strukturen sichtbar zu machen, benötigt man einen hochauflösenden Ultraschall. Der ist inzwischen zwar verfügbar, jedoch aufgrund mangelnder Kenntnisse über die Bedeutung des zu untersuchenden Körperteils so gut wie nicht verbreitet. Aufgrund meiner Erfahrung und meiner Hände, die spüren, wie sich gesunde Bewegungen und elastisches Bindegewebe anfühlen, bin ich in der Lage, fasziale Strukturen zu interpretieren.

Jeder gute Faszientherapeut muss sich anatomisch und neurologisch gut auskennen und sollte dazu die funktionellen und motorischen Eigenschaften des menschlichen Körpers verinnerlicht haben. Hinzu kommen noch Erfahrung und Rücklauf. Rücklauf bedeutet: Je häufiger ich auf Patienten mit meiner Therapie eingewirkt habe und je mehr ich wiederholte Einwirkungen auf diese Patienten erfahren habe, umso höher wird meine Effizienz. Effizienz bedeutet in diesem Fall: Eine einzige oder wenige Behandlungen führen zum Ziel und sind nachhaltig wirkungsvoll.

Mir fällt immer wieder auf, dass meine Patienten ihren Körper in Einzelteile zerlegen und wissen wollen, welches Teil denn nun die Ursache für ihre Beschwerden ist. Das ist der Wunsch nach dem Rumpelstilzchen-Effekt. Sobald etwas mit Namen zu benennen ist, verliert es für uns seinen Schrecken. Aber so einfach ist das nicht. Unser Organismus ist ein unglaublich komplexes, durch Faszien vernetztes, interagierendes Gefüge, eine Symbiose von ca. 100 Billionen Zellen. Wenn uns das klar wird, dann wird es wieder einfach. Wie bei einem Baum – den nehmen wir als Ganzes wahr und nicht jedes einzelne Blatt. Diese Selektivität der Wahrnehmung hilft mir, die Komplexität des Körpers als Funktionseinheit zu sehen.

 

In der Therapie bearbeite ich ausgewählte Gewebsstrukturen mit gezieltem Druck, der sich im Körper als messbarer Reiz zur Anregung der Regeneration äußert. Selbstheilungsvorgänge werden initiiert, das komplexe System tut das, was es am besten kann: Regenerieren, optimal arbeiten und sich selbst unterhalten.

So ist es dann auch möglich, einen Kreuzbandriss