Feenglut - Sandra Bäumler - E-Book

Feenglut E-Book

Sandra Bäumler

0,0

Beschreibung

Die Schwertkämpferin Kayla führt ein entbehrungsreiches, aber freies Leben. Zusammen mit ihrer Schwester Naias zieht sie von Arena zu Arena, um ihrer beider Lebensunterhalt zu bestreiten. Während die eine Schwester eine außergewöhnliche Kriegerin ist, vermag die andere durch Magie zu heilen. Naias Gabe muss jedoch ein Geheimnis bleiben. Als Kayla in der Arena von Ro´an zu ihrem bisher schwersten Kampf antritt, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Naias gerät in Gefahr und Kayla verliert ihre Freiheit. Doch welche Rolle spielt der geheimnisvolle Krieger, dem sie während der Kämpfe in Ro´an immer wieder begegnet?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 464

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Prolog

Ich treibe in der schwarzen Unendlichkeit und blicke auf die herab, die ich liebe. Mein Licht strahlt heller als das meiner Brüder und Schwestern, damit die Drachen stets wissen, dass ich bei ihnen bin und über sie wache. Die vertraute Stille trägt eine Legende zu mir, die mir einst der Mann erzählte, den ich Vater genannt habe.

Vor vielen Äonen umwarb der Feuergott Ignis die Sonnengöttin Sol, die seine Gefühle aber nicht erwiderte. Voll des Zornes und vom Wein berauscht nahm er die Göttin in der Gestalt eines Drachen mit Gewalt. Als eine Sonnenfinsternis die Erde in Dunkelheit hüllte, gebar Sol hundert Kinder – sie alle waren Drachen.

Weil aber diese die Frucht ihrer Schande verkörperten, verbannte sie die ungewollten Kinder auf die Erde. Trotzdem gefiel Sol der Gedanke, Nachkommen zu haben. Daher formte sie aus Sonnenglut Körper, die sie durch ihr Blut zum Leben erweckte.

Die Solfeen waren geboren. Wunderschöne, elfenhafte Wesen, die Sol von Herzen liebte.

Ihre verschmähten Kinder, die Drachen, waren außer sich vor Wut und Schmerz, denn ihnen blieb Sols Liebe verwehrt. Sie verabscheuten die Feen. Weil diese aber bei der Göttin lebten und die Drachen auf Erden, konnten sie nichts gegen die verhassten Geschöpfe ausrichten.

Jahrtausende vergingen. Die Drachen zogen sich zurück und warteten im Verborgenen, bis eine neue Spezies die Erde eroberte – die Menschen. Da Sol sehr eitel war, wollte sie von den Sterblichen angebetet werden und schickte die Solfeen, um die Menschen zu bekehren.

Die Drachen nutzten ihre Chance. Zwischen ihnen und den Feen entbrannte ein Krieg, der Generationen überdauerte.

Eines Tages stellten die Drachen fest, dass sie durch die Energie der Feen einen Teil von Sols Macht und Liebe erhielten. So wurden sie süchtig nach deren Magie.

Doch dann verliebte sich ein weißer Drache in eine Fee, die seine Zuneigung erwiderte. Das starke Band zwischen beiden brachte nach Jahrtausenden des Tötens Frieden. Aber der Bruder des weißen Drachen, ein schwarzer Drache, fühlte sich ebenfalls zu der Fee hingezogen. Er beanspruchte sie für sich, und es kam zum Kampf, in dessen Verlauf sich die Brüder gegenseitig schwer verletzten. Der schwarze Drache erlag seinen Verwundungen.

Ignis war außer sich vor Zorn, denn die Drachen hatten einander wegen einer Solfee getötet. So verbannte er zur Strafe den weißen Drachen in den Mond und die Fee in die Sonne. Auf diese Weise konnten die beiden sich bis zum Ende der Zeit sehen, aber nie wieder berühren.

Seine Grausamkeit erzürnte Sol so sehr, dass sie die Dunklen anrief, die Ignis holten. Bevor der Feuergott in die Unterwelt gezogen wurde, sprach er eine Prophezeiung aus: »Wenn ein Drache einen anderen wegen der letzten Solfee tötet, kehre ich aus der Finsternis zurück. Die Energie der Letzten macht mich zum Mächtigsten aller, und meine Rache wird grenzenlos sein. Wenn die Götter vernichtet sind, forme ich mit meinen Nachkommen die Welten nach meinem Willen.« Sols Tat führte dazu, dass die Drachen gegen die Feen erneut in den Krieg zogen. Auf beiden Seiten fielen Tausende. Drachen wie Solfeen waren zum Aussterben verdammt, doch die Drachen vereinigten sich mit den noch jungen Menschen. Dieser Verbindung entstammten die Draconigena. Vom Volk der Solfeen blieben nur wenige übrig, die sich über die Welten verstreuten.

Nachdem die letzten Drachen vom Antlitz der Erde verschwunden waren, setzten die Draconigena die Jagd auf die Solfeen fort, nährten sich von deren Energie und rotteten sie erbarmungslos aus.

Sol wollte ihre Geschöpfe retten, sie bat Auctorius, das Oberhaupt aller Götter, um Hilfe. Er sollte die Draconigena aufhalten.

Dieser, überheblich, wie es den Göttern zu eigen war, maß Ignis’ Prophezeiung keine Bedeutung zu. Zudem war es seiner Meinung zufolge Sols eigenes Verschulden, dass die Nachkommen ihrer Drachenkinder die Solfeen jagten. Daher verbot er ihr, sich in deren Geschicke einzumischen. Sol musste tatenlos zusehen, wie ihre wunderschönen Geschöpfe zu Staub zerfielen. Mit jeder gefallenen Fee verstärkte sich die Magie der Verbleibenden. Da wusste Sol, dass Ignis’ Prophezeiung sich eines Tages erfüllen würde. Voller Verzweiflung wandte sie sich an Sapientia, die Göttin der Weisheit. Obwohl Auctorius den anderen Göttern eine Einmischung verboten hatte, half Sapientia ihr. Sie wob einen Gegenzauber, dem zufolge die bedingungslose Liebe der letzten der Solfeen Ignis für immer ins Reich der Dunklen verbannen und die gefallenen Feen erlösen würde.

Kapitel 1

»Lauf weiter, Kayla. Ich kann das Wasser schon spüren. Ganz in der Nähe gibt es einen Fluss.« Naias zerrte an meinem Arm. Ich lehnte mich gegen einen Baum und rang nach Atem. Jetzt, da die Kampfeslust nicht mehr durch meine Adern rauschte, nahmen die verdammten Schmerzen zu.

»Nur einen Augenblick ausruhen.« Ich biss die Zähne zusammen und untersuchte meine Schulter. Blut quoll aus der offenen Wunde und rann über meine Finger. Das Pochen wurde heftiger, jeder Herzschlag pumpte mehr meines roten Lebenssafts aus der Verletzung. Kalter Schweiß perlte von meiner Stirn. Ich lauschte in den Wald – es waren keine Verfolger auszumachen.

Als Naias meinen anderen Arm um ihre Schultern legte, entfuhr mir ein leises Zischen. Ich hatte das Gefühl, meine Schulter würde erneut von einer Klinge durchbohrt.

»Tut mir leid, aber ich kann dich nur heilen, wenn ich Wasser habe«, sagte Naias mit bedrückter Stimme.

»Ist schon gut. Das sieht schlimmer aus, als ist«, erwiderte ich rau. Als meine Schwester mich weiterzog, hielt ich den Atem an und versuchte, mich so leicht möglich wie zu machen, was das schmerzhafte Pochen in der Schulter zu einem Trommeln anschwellen ließ. Aber mein ganzes Gewicht auf Naias zu stützen, kam nicht infrage. Sie würde mich kaum tragen können, da ich gut einen Kopf größer und durch meine trainierte Muskulatur auch um einiges schwerer war als sie. Bei jeder Bewegung durchzuckten mich Schmerzen, ich presste die Lippen aufeinander, damit ich nicht aufschrie.

»Es ist nicht mehr weit, und mach mir nichts vor, deine Verletzung ist so schlimm, wie sie aussieht. Außerdem stütze dich endlich richtig auf, ich bin nicht aus Glas.« Naias klang ärgerlich, und ich musste trotz der Qualen lächeln. Sie kannte mich besser, als ich dachte.

»Ja, Kleines, du kannst Bäume ausreißen.«

»Wir sind gleich am Fluss.« Bei diesen Worten beschleunigte Naias, und trotz meines festen Willens, es nicht zu tun, stöhnte ich auf. Wir kämpften uns durch das dichte Unterholz. Augenblikke später erklang ein Plätschern, das von dem ersehnten Wasser kündete. Dann war der Fluss zu sehen, in dessen sanften Wellen das Sonnenlicht glitzerte, als wären die Kiesel auf dem Grund aus Gold. Im ersten Moment brannte die Helligkeit in meinen an das Dämmerlicht des Waldes gewöhnten Augen und ich senkte die Lider. Kies knirschte unter meinen Stiefeln.

»Setz dich auf den großen Stein«, befahl Naias.

Blinzelnd öffnete ich die Augen und ließ mich auf den zugewiesenen Platz niedersinken, während meine Schwester mir Halt gab. Ich sah auf den Ärmel meines Hemdes herab: Das Blut hatte ihn rot gefärbt. Naias half mir dabei, den Umhängebeutel abzunehmen, dessen Gurte ebenfalls blutdurchtränkt waren. Jede Bewegung der verletzten Schulter wurde mit verfluchten Schmerzen quittiert. Meine Schwester nahm die Armschienen sowie die dicken Binden darunter ab, löste die Schnürung meines ledernen Oberkörperschutzes und zog mir das Hemd aus. Mehr als einmal war ich kurz davor zu schreien. Der Stoff klebte am angetrockneten Blut fest, und ich keuchte unwillkürlich auf. Sogleich hielt sie inne.

»Schmerzt es sehr?«

»Mach«, zischte ich. Meine Schwester nickte und riss mit einer schnellen Bewegung den Stoff weg. Obwohl ich es unterdrücken wollte, schrie ich auf. Das Hemd landete auf dem Boden. Anschließend legte Naias ihren eigenen Beutel ab, aus dem sie Tücher holte, um mit dem Säubern der Wunde zu beginnen.

»Jetzt halt doch mal still«, schnaubte sie, als sie sich um die angeschlagene Schulter kümmerte.

»Es tut weh.« Ich versuchte, mich umzudrehen. In diesem Moment durchfuhr ein Stich meinen Körper, der mich eines Besseren belehrte. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem und betrachtete eingehend die Stämme der Bäume vor mir.

»Sei froh, dass noch was wehtut. Eine Handbreit weiter und das Schwert dieses Barbaren hätte lebenswichtige Organe verletzt.« Naias wrang das Tuch über der Wunde aus, das kühle Nass linderte den Schmerz. Es kribbelte, als würden Hunderte Mäusefüße darüber klettern und es wurde warm, der magische Heilungsprozess setzte ein.

»Na, hat er aber nicht. Diese Kerle machen stets denselben Fehler: Sie unterschätzen mich.« Ich musste grinsen. Es war wie immer gewesen. Trotz seiner beachtlichen Größe hatte der Krieger im Staub der Arena geendet. Nachdem sein Schwert meine Schulter durchbohrt und er mich damit entwaffnet hatte, dachte er offensichtlich, dass er den Kampf bereits für sich entschieden hätte. Er wurde unaufmerksam und das kostete ihm sein Leben.

Ich rammte mein Knie in dessen Männlichkeit, und als er zusammensackte, den Dolch aus dem Stiefelschaft in den Hals. Die Veranstalter der Arenakämpfe erlaubten alle Mittel, auch versteckte Waffen. Hauptsache, die Zuschauer kamen auf ihre Kosten.

»Trotzdem hattest du heute mehr Glück als Verstand gehabt.

Wenn dieser eitle Kerl nicht der jubelnden Menge mehr Beachtung geschenkt hätte als dir, könnte ich dich jetzt irgendwo begraben. So, zieh dich wieder an.« Ich tastete nach meinem Oberteil und musste feststellen, dass es meiner Schulter wirklich viel besser ging. Naias tauchte ihre Hände in den Bach, während ich meinen Oberkörperschutz anlegte und ihn an den Seiten zusammenschnürte. Der lederne Brustpanzer bot mehr Bewegungsfreiheit als einer aus Metall, obwohl ich wusste, dass meine Schwester mich lieber in einem Schutz aus Eisen sah. Ich hob das blutige Hemd hoch: Das war bei bestem Willen nicht mehr zu gebrauchen.

Neben mir tauchte Naias die nackten Füße mit einem leisen Quietschen ins Wasser. Sie saß auf einem Stein und ihre Schuhe lagen dahinter. Das war eine wirklich gute Idee. Ich entledigte mich meiner kniehohen Stiefel und stülpte die ledernen Hosenbeine hoch. Um es bequemer zu haben, löste ich die Bänder, die die Schwertscheide am Gürtel hielten, und legte sie mitsamt Inhalt griffbereit neben mich. Als meine Füße in das kühle Nass glitten, entfuhr mir ein wohliges Seufzen. Mir ging der Kampf durch den Kopf. Auch wenn ich das meiner Schwester gegenüber niemals zugegeben würde, hatte ich wahrlich verdammtes Glück gehabt.

Um Haaresbreite wäre ich nicht lebend aus der Arena herausgekommen. Der Gedanke sorgte dafür, dass ich den Geschmack von Galle auf der Zunge spürte und mein Magen sich verkrampfte.

Naias zog ihre Beine aus dem Wasser, umfasste mit beiden Armen ihre Knie und beobachtete nachdenklich die Wasseroberfläche, die plätschernd um steinerne Hindernisse herum quirlte.

»Immer wenn du kämpfst, habe ich schrecklich Angst um dich«, flüsterte sie.

Sanft strich ich über ihr blondes Haar, dessen bläulicher Schimmer in der Nähe von Gewässern intensiver wurde.

»Ich kämpfe solange, bis wir das Geld für die Heilerschule zusammenhaben. Ich möchte, dass du es einmal guthast, eine angesehene Heilerin wirst und nie wieder heimatlos durch die Gegend ziehen musst.« Tröstend umfasste ich Naias’ schmale Schultern und zog sie zu mir. Sofort kuschelte sie sich an mich, wie sie es schon als kleines Kind gemacht hatte.

»Aber wir haben etwas Geld zusammen. Wir könnten uns einen Hof kaufen und Tiere züchten.« Ich schüttelte den Kopf. »Und dein Talent vergeuden? Auf das Wohlwollen von Großgrundbesitzern oder Adligen angewiesen sein, die dir dann aus einer Laune heraus dein Land wieder abnehmen?« Ich schaute auf Naias herab, die mich mit ihren grünblauen Augen betrachtete. Tränen kullerten über ihre zarten Wangen und brachen mir fast das Herz. Ich wollte nicht, dass meine Kleine Angst um mich hatte, denn ich war die Ältere. Es war meine Aufgabe, für meine Schwester zu sorgen, nicht umgekehrt.

»Denkst du manchmal an Vater?«, fragte Naias.

Ich wandte mich von ihr ab. Mein Rücken versteifte sich. Über dieses Thema sprach ich nicht gerne.

»Warum sollte ich mich um ihn scheren, er hat uns damals alleingelassen und wir haben seither nie wieder etwas von ihm gehört. Wahrscheinlich haben ihn seine Gaunereien in Schwierigkeiten gebracht. Ich weine ihm keine Träne nach.« Das war eine Lüge. Jedes Mal, wenn ich Naias ansah, erinnerte sie mich an unseren Vater. Sie ähnelte ihm im Gegensatz zu mir so unglaublich.

Meine Hände begannen zu zittern und ich verschränkte die Arme.

Der Mann war weggegangen und hatte uns alleingelassen. Allein auf den Straßen von Tigres. Ich lernte verdammt schnell, mit jeder mir zur Verfügung stehenden Waffe zu kämpfen, denn dort hieß es: fressen oder gefressen werden. Mehr als einmal war ich nur knapp dem Tod entgangen. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken. Ich schluckte. Meine Kehle fühlte sich an, als wäre ich Stunden ohne Wasser durch eine Wüste gewandert. Nie wieder sollte meine Schwester so leben müssen, dafür wollte ich sorgen.

Nach ihrer Heilerausbildung in einem Land, das Magie akzeptierte, würde Naias ein Leben im Wohlstand führen. Aber hier durfte niemand von ihrer Gabe erfahren, denn im gesamten ro’anischen Reich war Magie verboten, auch wenn dieses Verbot in den Provinzen nicht immer allzu ernst genommen wurde, da man dort häufig im Geheimen die alten Bräuche pflegte. Die Arenabesitzer drückten mit Sicherheit ein Auge zu, wenn sie eine magische Heilerin in ihre schmierigen Finger bekamen. Nicht auszudenken, was sie Naias antun würden – mit größter Wahrscheinlichkeit versklaven und sie zwingen, sich um die Kämpfer zu kümmern.

Denn eine kostenlos arbeitende magische Heilerin machte das lukrative Kampfgeschäft noch lukrativer.

Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern gewesen, an den entsetzten Gesichtsausdruck unseres Vaters, nachdem sie eine kleine Wunde an ihrem Knie geheilt hatte. Er wurde bleich wie eine gekalkte Wand, stammelte, dass dies doch gar nicht möglich sei, weil ihre Kräfte nicht funktionieren dürften. Vater ging vor mir in die Hocke, umfasste mit beiden Händen meine Schultern und sah mich ernst an. »Kayla, mein Kind, ich muss euch für eine Weile verlassen. Naias wird versuchen, ihre Fähigkeiten zu nutzen und zu erweitern. Du musst auf sie aufpassen. Sie darf ihre Magie, wenn sie aus irgendwelchen Gründen dazu gezwungen ist, sie zu gebrauchen, unter keinen Umständen in der Gegenwart anderer anwenden. Das wird ihr Verderben sein. Was auch geschieht, bleibt zusammen und schütze deine Schwester. Versprich mir dies.« Seine Stimme klang eindringlich, und ich versprach es. Da lächelte er und tätschelte meinen Kopf. »Du bist mein gutes Mädchen. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Wenig später ging er und kam nie wieder zurück.

Seither schleppte ich mich, egal, wie schwer meine Verwundung war, lieber in nahegelegene Wälder oder ähnliche Verstecke, als zu riskieren, dass Naias aufflog. Niemand durfte etwas von ihrer Gabe erfahren, da würde ich eher sterben.

»Du weinst ja.« Ich spürte Naias’ Finger auf meinen Wangen.

Schnell wischte ich mit dem Handrücken über mein Gesicht. Tatsächlich ich fühlte warme Feuchte.

»Mir ist etwas ins Auge geflogen.« Ich legte die Hände aneinander und ließ Wasser aus dem Bach über mein Gesicht laufen. Die Kühle tat meiner erhitzten Haut gut. Dann wusch ich das Blut von meinem Arm.

»Also, wo wollen wir als Nächstes hin?«, erkundigte sich Naias.

»In N’ola soll eine weitere Arena sein, sagte einer der Kämpfer.

Dort winkt ein Preisgeld von hundert Lay. Außerdem sind die Wettquoten nicht schlecht.«

»Hundert Lay?« Naias kaute auf ihrer Unterlippe. »Wenn wir die Kosten für Übernachtung und Essen abziehen, bleiben vielleicht noch sechzig übrig. Das bisschen ist es nicht wert, dass du dein Leben dafür riskierst.« Ich streichelte über ihr Gesicht. »Besser als nichts. Außerdem müssen wir auch essen, und wenn wir unsere Wetten richtig platzieren, dann könnten wir eine Menge gewinnen. Ich muss nur die Gegner sehen, dann weiß ich, ob ich es bis zum Endkampf schaffe. Vielleicht machen wir schon durch die Einsätze die Verluste wett, die wir aufgrund unserer überstürzten Flucht aus der letzten Stadt hinnehmen mussten.« Damit zog ich meine Beine aus dem Wasser, erhob mich und suchte mir einen Sitzplatz zwischen den Wurzeln eines Baumes. Ich lehnte mich gegen den Stamm und schloss die Augen. »Wir ruhen uns noch ein klein wenig aus, dann ziehen wir weiter«, murmelte ich. So ein Kampf, bei dem man verwundet wurde und anschließend fliehen musste, war wirklich ermüdend. Die sanfte Brise, die meine Haut berührte, ließ das Blätterdach rauschen. Ein Platschen erregte meine Aufmerksamkeit. Träge beobachtete ich Naias, die mit gerafftem Kleid in die Mitte des Baches watete. Das Nass schien zu bemerken, dass sie zur Hälfte ein Wasserwesen war. Es bildete um ihre Knöchel kleine Wirbel, die sie zärtlich liebkosten. Naias senkte ihre Lider und hob das Gesicht der Sonne entgegen. Dass in ihr große Kräfte schlummerten, war für mich so sicher wie die Tatsache, dass auf die Nacht der Morgen folgte. Dies war ein Grund mehr, ihr eine gute Ausbildung zu ermöglichen. In mir hingegen schlummerte nicht einmal der geringste Hauch von Magie. Ich konnte lediglich kämpfen. Meine mir unbekannte Mutter war im Gegensatz zu Naias Nixenmutter wohl ein normaler Mensch gewesen, und Vater hatte nur ein besonderes Talent gehabt: Er konnte jede Frau um den Finger wickeln. Das erklärte auch, wie es ihm gelungen war, sich eine Nixe zu angeln. Wenn ich mir meine Schwester so ansah, musste sie wohl sehr schön gewesen sein. Kennengelernt hatte ich Naias’ Mutter ebenso wenig wie meine eigene.

Ich musterte Naias, deren Stupsnase sich kräuselte, als ein Schmetterling darauf landete. Sie kicherte und das Insekt flog davon. In meinen Augen war sie das hübscheste Mädchen weit und breit. Ich dagegen war eher durchschnittlich. Mein Haar hatte nicht diesen bläulichen Schimmer, sondern die Farbe von Kupfer.

Meist flocht ich es zu einem straffen Zopf, damit es nicht beim Kämpfen störte. Die Frisur verlieh meinem Gesicht, in Kombination mit meiner geraden Nase, eine gewisse Strenge. Das war auch gut so, denn ich wollte auf meine Gegner nicht wie ein kleines Mädchen wirken. Sie sollten mich als die starke Kämpferin sehen, die ich war. Das einzig Außergewöhnliche an mir waren meine amethystfarbenen Iriden, die ich wahrscheinlich meiner Mutter verdankte, denn die meines Vaters schimmerten im selben Grünblau wie Naias’.

Meine Lider wurden schwerer, als hingen Gewichte daran. Ich sah Naias nur noch verschwommen, dann gar nicht mehr. Das beruhigende Plätschern des Baches wiegte mich in den Schlaf und die laue Sommerluft, die sanft über meinen Körper strich, tat ihr Übriges. Auch wenn ich mir es eigentlich nicht eingestehen wollte: Die Kämpfe saßen mir mächtig in den Knochen. Es waren in letzter Zeit so viele gewesen, und nach Abzug der Unkosten war uns nur wenig zum Leben übriggeblieben. Auch konnten wir nicht immer unsere Wettgewinne einfordern, sondern mussten uns aus dem Staub machen, da es nicht gerne gesehen war, wenn Kämpfer – je nachdem, wie die Chancen standen – auf sich selbst oder gegen sich wetteten. Das verringerte die Einnahmen. Wenn man gegen sich wettete, bestand immer die Möglichkeit, auch bei guten Chancen den Kampf zu gewinnen, ihn absichtlich zu verlieren oder aufzugeben. Das sahen die Besitzer der Arenen natürlich nicht gerne und machten mit solchen Kämpfern meist kurzen Prozess. Es sei denn, die Kämpfer verloren mit Absicht zu ihren Gunsten. Aber das war alles im Moment sehr weit weg und ich genoss die Augenblicke des Friedens, während ich immer tiefer in Somniums Arme sank. In meinem Traum lebten wir in einem Palast und aßen die köstlichsten Speisen von goldenen Tellern.

Geäst knackte und ich stutzte. Dieses Geräusch passte nicht in einen Palast. Mit einem Ruck war ich wach. Mein Blick fiel auf Naias, die nach wie vor im Bach stand. Sie konnte es also nicht gewesen sein. Ich spähte in die Richtung, aus der das Knacken gekommen war, doch ich vermochte den Verursacher des Geräusches nicht entdecken. Vielleicht war das nur Einbildung gewesen, versuchte ich mich zu beruhigen. Aber mein ansteigender Puls und das Kribbeln in den Adern waren anderer Meinung. Da, ein Rascheln! Vorsichtig krabbelte ich zu meinem Schwert und hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt, dass meine Waffe nicht in Reichweite lag. Ich musste mich strecken, damit ich den Griff erreichte. Ein Knurren erklang, mir sträubten sich die Nackenhaare, das Herz verdoppelte seinen Schlag. Da schlich ein verdammtes Raubtier durch das Gebüsch. Nach dem Knurren zu urteilen, schien es sich nicht in unmittelbarer Nähe aufzuhalten. Wenn ich still verharrte, würde das Ding mich vielleicht nicht bemerken und seinen Weg fortsetzen. Meine Schwester war weit genug entfernt. Was immer auch durch die Büsche schlich, würde sie nicht wahrnehmen.

Mittlerweile schlug mir das Herz bis zum Hals und martialisch pumpte das Blut durch meinen Körper. Es fiel mir zunehmend schwerer, flach am Boden liegen zu bleiben. Daher zog ich langsam mein Schwert aus der Scheide. Unter mir knirschte der Kies.

Ich hatte meine Waffe keinen Augenblick zu früh zum Kampf bereit. Begleitet vom Geräusch knackenden Geästs sah ich aus den Augenwinkeln einen Schatten auf mich zufliegen. Ich drehte mich auf den Rücken und riss mein Schwert hoch, das in einen Körper eindrang. Meine Füße trafen auf etwas Weiches und katapultierten das Tier gegen einen Baum. Dort blieb es leblos liegen. Ich kam auf die Beine. Es dauerte zwei tiefe Atemzüge, bis ich mich wieder gefangen hatte und mein Herz einigermaßen normal schlug. Mit erhobener Waffe schlich ich zu dem Fellhaufen. Wenn er sich bewegte, war ich bereit, ihm den Rest zu geben. Das Vieh würde den Stahl meiner Waffe in den Eingeweiden spüren.

Das Tier ähnelte in Größe und Fellfarbe einem Höhlenlöwen.

Doch um was es sich genau handelte, konnte ich nicht sagen. Mit der Spitze des Schwertes stocherte ich in dem sandfarbenen Fell herum und entdeckte noch eine Verletzung zwischen den Schulterblättern. Die Tatzen zitterten, ich wich zurück, festigte den Griff um meine Waffe.

»Was ist passiert?«, erklang Naias aufgeregte Stimme hinter mir.

»Bleib weg!« Jeder Muskel meines Körpers war in Alarmbereitschaft. Wenn das Ding jetzt nur mit der Wimper zuckte, würde ich ihm mein Schwert direkt ins Herz rammen. Eine todsichere Sache, um einen Gegner vom Leben direkt in die Unterwelt zu befördern.

Der Leib des Tiers zuckte, als wäre es von irgendwas besessen. Jetzt reichte es. Ich holte aus, doch Naias hielt meinen Arm fest.

»Nein! Sieh doch, das sind Finger.«

Wirklich – die Tatze verwandelte sich zu einer menschlichen Hand, dann erkannte man einen Arm und eine Brust.

»Ein Feles, das hat uns noch gefehlt«, zischte ich und trat einen Schritt zurück. Aus dem sandfarbenen Fellhaufen wurde ein muskulöser Männerkörper, der zusammengekrümmt auf dem Boden liegen blieb. Ich hatte viele Geschichten über diese Wesen gehört, aber noch nie eines gesehen. Sie lebten tief in den Wäldern, weit weg von jeglicher Zivilisation. Dass sich einer so nah bei einer menschlichen Siedlung herumtrieb, war sehr ungewöhnlich.

»Bei den Göttern, er ist verletzt.« Naias versuchte, sich an mir vorbei zu drängen. Ich packte ihren Arm und hielt sie fest.

»Still!« Ich lauschte, denn die Geschichten besagten auch, dass die Biester meist in Gruppen unterwegs waren. Doch ich hörte nur das Plätschern des Baches, gepaart mit dem Rauschen von Blättern – nichts, was auf die Anwesenheit weiterer Feles hindeutete.

»Verflucht, er braucht meine Hilfe.« Energisch schüttelte Naias meine Hand ab und kniete sich neben den nackten Mann. Sie begutachtete die Wunde an seinem Bauch, die von meinem Schwert stammte.

»Du hast ihn ganz schön erwischt«, kommentierte sie, dann krabbelte sie um den Körper herum. »Diese alte Verletzung am Rücken allein ist ja schon lebensgefährlich. Sie hat sich entzündet.« Sie sah zu mir auf. »Er scheint ziemlich geschwächt zu sein.

Wahrscheinlich wollte er dich nicht angreifen, sondern nur unsere Vorräte erbeuten.« Naias erhob sich. »Hilf mir, wir müssen ihn in den Bach legen.«

Ich kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe, und dabei umklammerte ich den Griff meines Schwertes so fest, dass ich fast kein Gefühl mehr in der Hand hatte. Wenn das Blut die anderen Feles herlockte? Der Druck in meiner Magengegend sagte mir, dass es besser wäre, den Kerl hier liegen zu lassen und das Weite zu suchen.

»Jetzt komm endlich.« Naias zerrte den Körper zum Bach.

Seufzend rammte ich mein Schwert in den Kies. Das würde ich bestimmt bitter bereuen, doch beim Schleppen des Männerleibes störte es nur. Gemeinsam schafften wir es, den leblosen Körper in den Bach zu ziehen. Dieser verdammte Kerl wog mehr, als es den Anschein hatte. Wenn er sich aufrichtete, überragte er mich bestimmt um einen halben Kopf. Jeder Muskel seines schlanken Leibes war austrainiert.

Naias sank neben ihm auf die Knie und tauchte die Hände in das Wasser. Als sie langsam die Arme hob, hüllte das kühle Nass den nackten Körper ein. Ihr Rock sog sich voll, doch das störte sie offensichtlich nicht. Sie schloss die Lider und summte. Ich kehrte, ohne den Blick von Naias abzuwenden, zu meiner Waffe zurück, die aus dem Boden zog. Sollte der Katzenmann zur Gefahr für meine Schwester werden, so würde ich, ohne zu zögern, handeln. Naias verschmolz regelrecht mit dem Bachlauf. Für mich war es immer ein Wunder, wenn sie heilte. So eine Gabe durfte wahrlich nicht vergeudet werden. Die Bauchwunde des Mannes blutete nicht mehr, Muskeln wuchsen zusammen und frische Haut bildete sich.

Das zurückweichende Wasser gab das Gesicht des Feles frei, der seine Augen aufschlug und verwirrt zu Naias blickte.

»Na, wieder unter den Lebenden?«, fragte sie, stand auf und watete zum Ufer. Bei mir angekommen, wrang sie ihren Rock aus.

»Damit wäre der Waschtag erledigt«, meinte sie lächelnd.

Der Mann erhob sich, wie ich feststellen musste, trotz der gerade erst geheilten Verletzungen mit der eleganten Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Er wankte einige Augenblicke, bevor er ans Ufer kam. Mein Blick fiel auf seine Männlichkeit, die unbedeckt vor mir prangte. Obwohl ich mich stoisch geben wollte, reagierte mein Körper und meine Wangen glühten. Ich drehte mich weg, um meine Schamesröte, die dem Bild einer harten Kriegerin gehörige Risse zufügte, zu verbergen, und entdeckte das Gepäck.

Darin ertastete ich zuerst meinen Umhang, den ich aber nicht hergeben wollte, dann erwischte ich ein Leinentuch. Das warf ich dem Mann zu. »Ich würde es begrüßen, wenn Ihr Euch bedecken könntet«, sagte ich hörbar gereizt, worauf mein Gegenüber grinste.

Er schlang sich das Tuch um die schmalen Hüften. Sein Blick fiel auf Naias, die noch immer mit ihrem Rock beschäftigt war.

»Du hast mir das Leben gerettet, ich stehe tief in deiner Schuld.« Die weiche Stimme des Feles strich wie Balsam über meine Haut und meine Härchen stellen sich auf. Naias ließ unterdessen ihren Rock los. Sichtlich verzückt betrachtete sie den Mann.

»Oh, keine Ursache«, hauchte sie.

Der Feles strich sich eine lange sandfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht, die an seiner Wange klebte.

»Hast du Hunger? Ach, was für eine dumme Frage, sicherlich hast du Hunger.« Naias eilte zum Gepäck, aus dem sie das in ein Tuch eingewickelte Brot holte. Sie brach ein Stück ab und hielt es dem Mann hin. »Essen Feles Brot?«

»Manchmal. Danke.« Breit grinsend nahm der Mann die dargebotene Speise entgegen. Er setzte sich auf einen Felsbrocken und Naias ließ sich ihm gegenüber nieder. Ihre Wangen waren röter als ein Hahnenkamm.

»Wie heißt du?« Sie sah den Feles mit einem Blick an, der Männerherzen zum Schmelzen hätte bringen können.

»Fenn«, antwortete der Mann mit verführerischer Stimme, die sogar in meinem Magen vibrierte, obwohl ich im Allgemeinen gegen jegliche männliche Charmeattacke immun war. Was sollte das zwischen den beiden? Umgarnte dieser Kater gerade meine kleine Schwester? Und was mich noch mehr nervte, war, dass sein Verhalten ganz offensichtlich auf fruchtbaren Boden fiel. Meine kleine unschuldige Naias machte einem Kerl schöne Augen.

»Ich heiße Naias und die bewaffnete Statue ist meine ältere Schwester Kayla«, entgegnete Naias und klimperte mit ihren Wimpern wie eine Straßendirne auf Freiersuche. Das war zu viel für mich. Die vertraute Hitze der Wut strömte durch meine Adern, ich festigte den Griff um meine Waffe und stapfte zu den beiden.

Dabei straffte ich meine Schultern, um größer zu wirken.

»Soll er alle unsere Vorräte wegfressen? Du hast ihn geheilt, nun gehen wir alle wieder unserer Wege.« Ich umfasste Naias’ Arm, doch sie schob meine Hand weg.

»Er braucht mich noch, seine Verletzungen waren sehr schwer.«

Mein Gesicht glühte erneut, doch dieses Mal war es nicht aus Scham. »Hör mal zu, junge Dame …«

»Ich will nicht der Grund eines Streites sein«, unterbrach der Feles meine gerade angestimmte Standpauke und erhob sich.

»Nein, sie ist nur überfürsorglich. Will mich vor allem und jedem beschützen, aber du würdest mir doch nichts tun?« Naias nahm die Hand des Katzenmannes, der sie einen Augenblick betrachtete, bevor er antwortete. »Du hast mein Leben gerettet.« Der Feles neigte seinen Kopf, dann sah er zu mir. »Ich verstehe, dass du deine Sippe schützen möchtest. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, denn nach dem Brauch meines Volkes gehört mein Leben jetzt Naias. Wenn du dennoch willst, dass ich weiterziehe, dann werde ich deinem Wunsch nachkommen.«

»Nein, das will sie nicht.« Naias betrachtete mich mit einem Blick, der zum Steinerweichen war. Wie konnte ich da nein sagen? Ihre Augen wurden immer größer, glitzerten, als würden gleich dicke Tränen hervorschießen. So verhielt es sich immer zwischen uns beiden, sie setzte ihren Verlorenes-Mädchen-Blick auf, ich sagte ja. Nur ihr gelang es, mich auf diese Weise zu manipulieren. Jeden anderen konnte ich mitleidslos töten, falls die Umstände dies erforderten, auch wenn er noch so sehr um sein Leben winselte.

Nur sie durchdrang den Panzer, der mein Herz umschloss und der für die Kämpfe in den Arenen überlebensnotwendig war. Ich schaute von ihr zu dem Feles und zurück. Seufzend nickte ich.

»Na gut. Bis er wieder ganz genesen ist, kann er mit uns ziehen.« Zornig auf mich selbst, dass ich mich wieder von Naias hatte breitschlagen lassen, griff ich mir meine Stiefel und zog sie an.

Anschließend suchte ich mein Zeug zusammen.

»Das ist ja wundervoll«, trällerte sie und sammelte ebenfalls ihre Sachen auf, die sie in ihren Beutel packte.

Ich wandte mich an Fenn, während meine Schwester in die Schuhe schlüpfte.

»Ich werde dich im Auge behalten, und sei gewarnt, ich kann damit umgehen.« Bei diesen Worten hob ich mein Schwert hoch, dann schob ich es energisch in die Scheide und befestigte es an meinem Gürtel.

»Das habe ich gemerkt.« Der Katzenmann fasste an seine Brust.

Von der klaffenden Wunde war nicht einmal mehr eine Narbe übriggeblieben. Der Feles hatte die Warnung verstanden und ich kümmerte mich wieder um meine Angelegenheiten. Das blutverschmierte Hemd knüllte ich zusammen und stopfte es in den Beutel, den ich über meine Schulter warf. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich es verbrennen. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, möglichst keine Hinweise zu hinterlassen, die zu mir führen konnten – wie beispielsweise ein blutiges Hemd, das eine Hundeschnauze oder jegliche andere feine Nase leicht Witterung aufnehmen ließ.

»Wir sind auf dem Weg nach N’ola«, informierte ich den Katzenmann, der sich das Tuch fester um die Hüften geschlungen hatte, sodass es wie ein Rock aussah. Ich wandte mich ab und schritt zielstrebig flussaufwärts das Ufer entlang.

»Du sagtest, du willst nach N’ola«, hörte ich den Feles hinter mir. Klasse, der Mann war nicht gerade von der schnellsten Sorte. Man hätte es auch ›begriffsstutzig‹ nennen können. Ich drehte mich zu ihm und stemmte die Hände in die Hüften. »Was dagegen?«, fragte ich mit hochgezogenen Brauen.

»Nein, aber wenn du nach N’ola willst, sollten wir flussabwärts gehen.« Er verzog seinen Mund zu einem unverschämten Grinsen, das in mir den Reflex auslöste, ihm meine Faust ins Gesicht zu rammen. Ich ballte die Hände.

»Ich weiß schon, wo’s langgeht. Komm, Naias«, antwortete ich, statt meinem Impuls nachzugeben, und setzte den Weg fort.

»Wie du meinst, aber das wird ein gigantischer Umweg werden«, entgegnete der Katzenmann mit überheblichem Unterton.

Das Jucken in meinen Fingern wurde stärker.

»Er kennt sich im Wald aus. Vielleicht sollten wir auf ihn hören«, wisperte Naias neben mir.

»Nein, nein, deine große Schwester hat alles im Griff. Warum sollte sie auf den Rat eines Mannes hören, der sein ganzes Leben in diesen Wäldern zugebracht hat?«

Ich hielt inne, Zorn brannte heiß wie Lava in meinen Venen, trotzdem gelang es mir, die Fassade der stoischen Kriegerin aufrecht zu halten. Der Kerl hatte Glück, dass ich die personifizierte Selbstbeherrschung war, auch wenn Naias das anders sah und mich für so leicht entzündlich wie Zunder hielt. Ha, ich und leicht entzündlich. Der Katzenmann lebte noch, oder?

»Gut, dann flussabwärts«, fauchte ich und stapfte mit erhobenem Kinn an dem Feles vorbei.

»Na bitte, geht doch.« Die Schadenfreude in dessen Stimme war nur schwer zu überhören. Meine Hand umklammerte den Griff des Schwertes, damit sie nicht etwas anderes umklammerte, wie zum Beispiel die Kehle des Katzenmannes. Ich werde ihm nichts tun, wiederholte ich mantraartig in meinen Kopf. So viel stand fest: Mit diesem Besserwisser im Schlepptau würde die Reise heiter werden. Ich war von meiner unglaublichen Selbstbeherrschung im höchsten Maße beeindruckt.

Kapitel 2

Die Sonne verschwand langsam hinter den Baumwipfeln, als sich nach tagelangem Marsch vor uns das Grün lichtete, durch das wir die letzten Tage gewandert waren, und sich ein Dorf aus der Wildnis schälte. Obwohl es immer eine Gefahr in sich barg, fremdes Terrain zu betreten, schritt ich zielstrebig auf die kleine Siedlung zu. Ich hoffte, dass wir dort die Nacht verbringen und unsere Vorräte auffüllen konnten. Es gab ja jetzt noch ein weiteres Maul zu stopfen, und das fraß nicht gerade wenig. Wenn der Katzenmann gestern nicht auf der Jagd gewesen wäre, dann hätten wir mit knurrenden Mägen einschlafen müssen. Ich kickte einen Zapfen weg. Dem verfluchten Kerl ging es besser, als er zugeben wollte, doch Naias bestand weiterhin darauf, dass sie ihn aufgrund der schweren Verletzungen überwachen müsste. Ja, wer es glaubte. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Wenn meine Waffe bei unserer ersten Begegnung seinen Körper nur zwei Handbreit höher durchbohrt hätte, hätte ich weiter mit Naias allein und friedlich durch die Lande ziehen können. Wutschnaubend trat ich den nächsten Zapfen gegen einen Baum, von dem er abprallte und mich am Kopf traf. Gereizt rieb ich die schmerzende Stelle. Ich drehte mich um, Naias und ihr neuer bester Freund hatten natürlich nichts davon mitbekommen. Wie auch? Die beiden flüsterten und kicherten ständig miteinander. Kurzum, sie turtelten wie paarungsbereite Grautauben. Das ging mir gehörig auf die Nerven, sodass ich es vorzog, mindestens fünf Schritte Abstand zu halten. Am liebsten hätte ich dem räudigen Kater das Fell abgezogen, doch stattdessen ließ ich meine Wut an einem weiteren Zapfen aus, der durch die Luft segelte und in einem Busch landete. Ein Vogel flatterte mit aufgeregtem Gezwitscher in die Höhe.

Wir hatten die ersten Hütten erreicht und ich steuerte auf den Dorfplatz zu. Dort sah ich mich um, versuchte, mögliche Bedrohungen auszumachen. Die Siedlung war nicht groß. Sie bestand aus neun strohgedeckten Hütten, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten. Verschiedenerlei Geflügel suchte zwischen den Gebäuden nach Fressbarem, und ich hörte das Grunzen von Schweinen. Hier lebten mit Sicherheit keine Krieger, sondern Bauern. Damit war die Lage auch schon sondiert.

Ein greiser Mann mit schlohweißem Haar trat aus der Hütte direkt mir gegenüber. Der Alte fuhr sich über den Bart, der ihm bis zur Brust reichte.

»Was wollt ihr hier?«, fragte er und klang dabei wenig einladend, um nicht frostig zu sagen.

»Wir suchen einen Platz zum Übernachten«, erwiderte ich ebenso kalt und hielt seinem stechenden Blick stand. Kein Muskel meines Gesichtes, ja, nicht einmal meine Wimpern zuckten. Nun war ich die Kriegerin, die in Arenen kämpfte, die nichts und niemand einzuschüchtern vermochte. Zumindest nicht der Alte vor mir oder seine Bauernnachbarn, die inzwischen ebenfalls zu uns gestoßen waren und mich mit abweisenden Blicken musterten.

Ich behielt die Menschen im Auge. Auch wenn mich ihr Auftreten wenig beeindruckte, machte es mich nervös, von offensichtlich wenig gastfreundlichen Leuten umzingelt zu sein. Aus einem Impuls heraus wollte ich zur Waffe greifen, doch ich verschränkte stattdessen die Arme, um so den Dorfbewohnern zu signalisieren, dass von mir nicht die geringste Gefahr ausging.

»Wir beherbergen Fremde nur in Ausnahmefällen, aber niemals Krieger«, beendete der Alte unser Blickduell.

Ich reckte ihm das Kinn entgegen. »Ich bin keine Kriegerin.

Die Waffen, die ich mit mir führe, dienen nur zu unserem Schutz.

Ihr wisst, in den Wäldern gibt es für Reisende viele Gefahren. Außerdem können wir zahlen.« Bevor der Alte etwas erwidern konnte, stürzte eine greise Frau hinter ihm aus dem Haus. Fast hätte ich mein Schwert gezogen. Ich atmete tief durch, um meinen aufwallenden Puls zu beruhigen.

»Tonte, es geht zu Ende mit ihr«, schluchzte die Frau. Tränen liefen ungehemmt über ihre eingefallenen Wangen. Der Alte mit Namen Tonte wurde kreidebleich. Ein Raunen ging durch die Reihen der Dorfbewohner. In den Augen, die mich noch vor wenigen Wimpernschlägen kalt angestarrt hatten, entdeckte ich nun tiefes Mitgefühl und Trauer.

»Ist jemand krank?«, mischte sich Naias ein und trat vor mich.

»Das geht uns nichts an«, zischte ich und packte sie an der Schulter.

»Unsere Enkelin wurde von einem Bären angefallen. Ihre Wunden haben sich entzündet. Die Kleine hat hohes Fieber.« Die Frau schluchzte so sehr, dass ihr Körper erbebte. »Nichts half, es zu senken.«

»Lasst mich nach ihr sehen«, bot meine Schwester an. Meine Finger krallten sich regelrecht in ihrer Schulter fest, während meine zweite Hand zum Schwert ging.

»Hör auf. Du tust mir weh.« Naias drehte sich zu mir, ich ließ zähneknirschend los.

Ihre Augen funkelten. »Ich werde diesem Mädchen helfen, ob es dir passt oder nicht.«

»Könntet Ihr meiner kleinen Ria helfen?« Zaghafte Hoffnung lag in der Stimme der Alten.

»Ich bin Heilerin«, entgegnete Naias, und ich hätte am liebsten laut aufgeschrien. Wie konnte sie nur! Ich wollte sie packen, aus dem Dorf zerren, doch ich hielt mich zurück. Ich wusste, dass ich Naias nur mit roher Gewalt von ihrem Vorhaben hätte abbringen können. Auch wenn ich es nicht gerne zugeben wollte, aber sie war meine Schwachstelle. Ich könnte sie niemals absichtlich verletzen. Genau das würde ich aber in Kauf nehmen müssen, wenn ich sie gegen ihren Willen aus dem Dorf schleppte, also fügte ich mich seufzend.

»Mara, du wirst doch nicht auf diese Scharlatane hereinfallen, die sich auf diese Weise eine kostenlose Unterkunft erschleichen wollen«, stoppte Tonte seine Frau, als sie Naias entgegeneilte.

Das war genug. Meine Schwester riskierte für diese Einfaltspinsel Kopf und Kragen und dann so was. Glühende Wut fraß sich durch meine Eingeweide wie Maden durch Speck. Mit wenigen Schritten hatte ich Naias eingeholt und packte ihr Handgelenk.

»Wir gehen«, schnaubte ich.

»Nein, mein Mann meint es nicht so. Bitte helft meiner Enkelin«, flehte uns die Frau an, was mich jedoch nicht im Mindesten berührte. Diese Leute waren mir egal, ganz im Gegensatz zu meiner Schwester. Das Mädchen hatte einfach zu viel Mitgefühl, und dafür liebte ich sie.

»Bring mich zu ihr«, sagte Naias sanft und befreite sich aus meinem Griff. Ich ließ es zu. Die Alte nahm ihre Hand, um sie zur Hütte zu führen, und ich blieb zurück.

»Schweig!«, fuhr die Frau ihren Mann an, als sie ihn passierten.

»Weiber sind ja so stur. Ich könnte dir Geschichten von Felesfrauen erzählen …«, seufzte der Katzenmann neben mir. Den hatte ich ganz vergessen.

»Klappe«, fauchte ich, ohne die Augen von Tonte zu nehmen, der mit verschränkten Armen wie ein Wachmann vor dem Eingang der Hütte stand, in der Naias soeben verschwunden war.

In meinem Magen kribbelte es, als würden Tausende von Blutameisen eine Versammlung darin abhalten. Jeder meiner Sinne war aktiviert, denn es beunruhigte mich über die Maßen, dass sich Naias außer Sichtweite befand. In meinen Fingern, die nach wie vor den Schwertgriff umklammerten, hatte ich fast kein Gefühl mehr.

»Tonte, mach dich nützlich. Wir brauchen einen Zuber und Wasser, viel Wasser«, schrie Mara aus der Hütte. Damit kam Bewegung in Tonte und die Dorfgemeinschaft. Die Menschen holten Eimer aus ihren Hütten, mit denen sie zum nahegelegenen Fluss eilten. Alle wollten helfen: Frauen und Kinder, alte und junge Männer. Tonte und drei weitere Dörfler schleppten einen Zuber herbei, den sie in die Hütte trugen. Das geschäftige Treiben der Menschen, die mich scheinbar ganz und gar vergessen hatten, löste meine Anspannung. Ich ließ mein Schwert los, schüttelte meine verkrampfte Waffenhand, in der es prickelte.

»Bitte kommt in die Hütte.« Tonte stand winkend in der Tür.

Ich folgte seiner Aufforderung und betrat einen durch das Feuer einer Kochstelle beleuchteten Raum. Im Kessel brodelte etwas, das wie Eintopf aussah und auch so roch. Es gab keinen Kamin, der Rauch zog durch das Strohdach ab, was den Raum in einen leichten Nebel hüllte, der in den Augen brannte.

»Gemütlich«, stellte Fenn fest. Aus dem Nebenzimmer drang Naias’ Stimme zu mir. Ich durchquerte die Küche, dann schob ich die angelehnte Tür einen Spalt breit auf. Ein nacktes Mädchen von etwa zehn Wintern saß in dem mit Wasser gefüllten Zuber. Naias tauchte ihre Hände in das Nass, das brodelte, als würde es sieden.

Ich wusste natürlich, dass es nicht kochte, sondern Naias’ Kräfte dieses Sprudeln verursachten und dass es zur Heilung gehörte. Die Großmutter der Kleinen hockte auf dem Bett, hielt deren Hand und presste angespannt die Lippen zusammen. Leise schloss ich die Tür, um mich zu dem Feles zu gesellen, der an dem großen Esstisch der Familie Platz genommen hatte. Meinen Beutel stellte ich neben mir auf der Bank ab. Außer uns beiden befand sich nur noch Tonte in der Stube. Die restlichen Dorfbewohner hatten sich zurückgezogen. Höchstwahrscheinlich nur ungern, da ihnen an der Nasenspitze abzulesen gewesen war, dass sie wissen wollten, ob die Heilerin auch das halten konnte, was sie versprochen hatte.

»Ich denke, sie hat es im Griff«, sagte ich. Unterdessen schob Tonte zwei Krüge über den Tisch zu uns. »Bier.«

»Ich danke Euch, aber ich würde Wasser vorziehen.« Damit schob ich den Krug zu Tonte zurück, während der Feles nach seinem griff. Ich blickte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Du trinkst Bier?«

»Wieso denn nicht?« Er zuckte mit den Schultern, nahm einen kräftigen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund.

»Wasser.« Tonte reichte mir einen Becher, an dem ich kurz roch.

Da ich nichts Ungewöhnliches feststellte, ließ ich das wohltuende Nass meine, wie ich jetzt erst bemerkte, völlig ausgetrocknete Kehle herunterrinnen.

»Woher kommt Ihr?«, erkundigte sich Tonte und trank das Bier, das eigentlich für mich gedacht gewesen war.

»Von überall und nirgendwo«, entgegnete ich, dabei sah ich mein Gegenüber über den Rand meines Bechers hinweg an.

»Ihr wollt es nicht sagen«, brummte Tonte.

»Ihr seid scharfsinnig«, erwiderte ich und setzte erneut den Krug an die Lippen. Eine unangenehme Stille trat ein, nur unterbrochen von den Geräuschen und Stimmen aus dem Nebenzimmer.

»Rias Mutter starb bei der Geburt, ihr Vater, unser Sohn, letzten Winter«, begann Tonte. »Sie ist das Wertvollste, was wir haben.«

»Das tut mir leid.« Ich stellte den Becher auf den Tisch. Zu meiner Verwunderung tat es mir wirklich leid. Das Wesen meiner Schwester färbte scheinbar so langsam auf mich ab. Ich schaute in Tontes graue Augen, unendlicher Schmerz lag darin, als hätten sie zu viel Schlechtes gesehen, und irgendwie wollte ich, dass es ihm besser ging. »Keine Sorge, meine Schwester wird Eure Enkelin retten«, meinte ich zuversichtlich. In diesem Moment ging die Tür auf, Mara steckte den Kopf heraus und strahlte über das ganze Gesicht.

»Ria kommt zu sich. Die Wunden sind gänzlich verheilt. Es ist ein Wunder.« Der Blick der Frau war voller Dankbarkeit, die mir unangenehm war. Ich hatte nichts getan. »Ihr wurdet von den Göttern geschickt.«

Tonte stellte polternd seinen Krug auf den Tisch und eilte in das Nebenzimmer.

»Großvater«, sagte eine schwache Stimme, worauf der Mann zugleich lachte und schluchzte. Währenddessen trat Naias in die Küche, sie trocknete sich die Hände an einem Leinentuch ab. Ihr Kleid hatte einiges an Wasser abbekommen.

»Was verstehst du nicht an den Worten, du sollst niemanden deine Kräfte zeigen? Zuerst dem Kater. Hier dann einem ganzen Dorf. Was kommt noch? Stellst du dich in der nächsten Stadt auf den Marktplatz und heilst Menschen?« Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.

»Ich konnte das Mädchen auf keinen Fall sterben lassen«, gab Naias schulterzuckend zurück, während sie sich neben den Feles setzte. »Und ihn ebenso wenig.« Sie strich über dessen Handrükken, worauf der Katzenmann erschauderte. Nur ganz leicht. Aber ich bemerkte es und es gefiel mir nicht.

»Ein Hoch auf die Heilerin.« Mit diesen Worten prostete der Feles Naias zu. Ihre Wangen nahmen die Farbe von reifen Äpfeln an. Das gefiel mir ebenfalls nicht.

Kaum war am nächsten Tag die Sonne aufgegangen, drängte ich meine Schwester, weiterzureisen. Ich wollte so viel Abstand wie möglich zwischen Naias und das Dorf bringen. Zwar versprachen die Bewohner, ihr Geheimnis zu bewahren, aber es gab einfach zu viele Mitwisser und damit Variable.

»Hier ist noch ein frischer Laib Brot.« Mara wickelte es in ein Leinentuch, anschließend legte sie eine Hartwurst daneben, sowie Obst und kleine Gebäckstücke. Das alles packte sie in einen Beutel, den sie Naias reichte, dazu gab sie ihr drei gut gefüllte Wasserschläuche.

»Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit«, sagte ich, worauf die Frau zu mir sah.

»Das ist noch viel zu wenig für das, was Eure Schwester für uns getan hat.«

»Ich fürchte, mehr können wir nicht tragen.« Ich nahm Naias den Beutel und die Wasserschläuche ab und reichte die Sachen an den Feles weiter, der natürlich immer noch Naias’ Hilfe bedurfte.

Wenn er schon mitkam, konnte er sich ebenso gut nützlich machen. Ohne Widerworte warf er sich das Gepäck über die Schultern, die jetzt von einer Weste bedeckt waren. Die Dörfler hatten ihn eingekleidet und ich hatte damit mein Leinentuch zurück, das ich bei nächster Gelegenheit gründlich auswaschen würde. Eines musste ich zugeben: Mit den Stiefeln und der Hose aus grobem Leinen sah er wie ein richtiger Mensch aus, nicht wie ein Wilder aus dem Wald.

»Ihr seid bei uns stets willkommen.« Tonte drückte Naias an sich, dann kam er zu mir. Um seinem Umarmungsdrang gleich vorzubeugen, streckte ich ihm die Hand entgegen, die er ergriff und überschwänglich schüttelte. Anschließend umarmte er den Feles, dem dieser enge Körperkontakt offensichtlich nichts ausmachte. Er schlug dem Alten lächelnd auf den Rücken. Ria kam, gestützt von ihrer Großmutter, aus dem Nebenraum. »Hier möchte sich noch jemand verabschieden.«

Naias ging vor dem Mädchen in die Hocke. Zart strich sie ihr über das dunkle Haar. »Pass auf dich auf und halte dich von Bären fern.« Sie küsste sanft die Stirn der Kleinen.

»Das werde ich«, versprach Ria, warf ihre Arme um Naias und presste ihren zierlichen Leib an sie. In meiner Kehle bildete sich ein hühnereigroßer Klumpen. Meine Schwester würde einmal eine gute Mutter werden. Ich sah zu dem Feles, der Naias mit einem versonnenen Ausdruck im Gesicht beobachtete, und schluckte. Der Klumpen bewegte sich nicht von der Stelle. Eines Tages würde meine Schwester einen Mann finden, das war eine Tatsache.

Ich hingegen würde eher sterben, als mit einem Kerl Heim und … ich keuchte, der Klumpen saß in meinem Hals fest, meine Hände zitterten … Bett zu teilen, brachte ich den Gedanken zu Ende.

Ein bitterer Geschmack lag auf meine Zunge, ich stand kurz davor, mich zu übergeben, daher eilte, oder vielmehr floh, ich aus dem Haus. Für die Erinnerungen, die an die Oberfläche drängten, war hier weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Genaugenommen wollte ich, dass diese Erinnerungen für immer da blieben, wo sie waren, eingesperrt im hintersten Winkel meines Inneren.

Loslassen konnte ich sie nicht, denn sie waren ein Grund dafür, warum mir das Töten insbesondere von Männern so leichtfiel.

Während ich die Siedlung in Richtung Wald durchquerte, flankierten Dörfler meinen Weg und klopften mir anerkennend auf den Rücken. Ich hasste es, berührt zu werden, also senkte ich mein Haupt und beschleunigte meine Schritte. Warum mir die Leute ihren Respekt zollten, war mir schleierhaft. Naias hatte das Mädchen gerettet, sie heilte Menschen, ich beendete Leben.

Am Waldrand angekommen, atmete ich tief durch, das Übelkeitsgefühl verschwand. Augenblicke später holten meine Schwester und der Feles mich ein.

»Wieso hattest du es so eilig?«, erkundigte sich Naias.

»Ich mag keine Abschiede«, antwortete ich knapp und stapfte davon.

Kapitel 3

Es dauerte fast noch einen Mondzyklus, bis wir N’ola erreichten.

Zu meinem Leidwesen reiste der Feles noch immer mit uns und machte auch keine Anstalten, seiner Wege zu gehen. Er schlich um Naias herum wie ein Kater auf Freiersfüßen, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Meine Schwester genoss sichtlich die Aufmerksamkeit eines Mannes, der, dies hätte ich allerdings nur unter schwerster Folter laut ausgesprochen, äußerst attraktiv war.

Ich hoffte bis zuletzt, dass er uns nicht bis nach N’ola folgen würde, da ich gehört hatte, dass Feles Städte mieden. Doch wie so oft überraschte der Katzenmann mich. Das zum Thema scheue Waldbewohner. Ich zweifelte langsam am Wahrheitsgehalt dieser Legenden. Gereizt blies ich mir eine Strähne aus der Stirn, während ich die Geschehnisse auf der Brücke vor dem großen Holztor beobachtete, dem einzigen Weg in die Stadt. Der Rest von N’ola wurde von einem geschätzt fünfzehn Fuß hohen Steinwall umschlossen. Ich überlegte, wie ich möglichst unbemerkt an den Wachmännern vorbeikam, die jeden kontrollierten, der hineinwollte. Wenn man in eine fremde Stadt einreiste, bestand immer das Risiko, von übereifrigen Wachleuten als gefährlich eingestuft zu werden und die Waffen konfisziert zu bekommen. Sie behielten diese dann als Pfand, da sie wussten, dass Schwerter teuer waren und die Besitzer alles tun würden, um sie wiederzuerhalten. Doch ohne meine Waffen war nicht gut kämpfen. Kurzum, ich hätte das Schwert nur ungern bis zu meiner Abreise bei den Wachleuten gelassen.

»Es ist hier ziemlich viel los«, stellte Fenn fest und sah den mit allerlei Tand beladenen Fuhrwerken hinterher, die durch das Tor rollten.

»In den meisten Städten sind die Tage, an denen die Arenakämpfe stattfinden, Volksfeste. Nicht selten gibt es auch Gaukler«, erklärte ich, schloss die Vorderseite meines Umhangs und reihte mich hinter einem von Ochsen gezogenen Karren ein. In diesem Moment begann weiter vorne eine lautstarke Diskussion, was dazu führte, dass sich die Wagen dahinter stauten. Ich streckte mich und erkannte, dass sich einer der Wachmänner mit einem Fuhrmann stritt. Während die anderen Wachleute die erzürnten Lenker der nachfolgenden Gespanne zu beruhigen versuchten.

Daher schenkten sie den Passanten, die zu Fuß unterwegs waren, keine große Beachtung, und wir nutzten die Gunst der Stunde.

»Drin sind wir. Was jetzt?«, fragte der Feles, dessen Blick unruhig hin und her glitt. Das Gewühl in den engen Gassen schien ihn doch etwas nervös zu machen.

»Wir suchen uns eine Unterkunft«, erwiderte ich und zwängte mich durch die Menschen.

Häuser drängten sich dicht an dicht, als würden sie ohne den Halt der anderen umfallen. Einige wenige waren höher als zwei Stockwerke. Die Mauern der meisten Erdgeschosse hatte man aus rotem Sandstein erbaut, die darüber liegenden Etagen bestanden aus lehmverputzten Strohmatten, die die Räume zwischen massivem Fachwerkgebälk ausfüllten. Die Straße, auf der wir uns in Richtung Stadtkern bewegten, war gerade so breit, dass ein Wagen bequem hindurchfahren konnte, vorausgesetzt, die Passanten traten zur Seite, was jedoch selten der Fall war. Lautes Gezeter der Wagenlenker und Pferdegewieher übertönte das Gewirr aus unzähligen Stimmen. Gestank nach Unrat, der sich mit Essensdüften mischte, stieg mir in die Nase und reizte meinen Magen. Nach der langen Reise durch die Wälder hatte ich das Gefühl, gegen eine Wand aus Gerüchen und Geräuschen zu laufen. Dem Feles schien es auch nicht besser zu ergehen, denn sein Gesicht hatte einen leicht grünlichen Ton angenommen.

»Geht es dir gut?«, erkundigte ich mich mit hörbarer Schadenfreude in der Stimme, während ich den tiefen Fahrrinnen auswich, die Wagenräder in den morastigen Boden gegraben hatten.

»Nicht wirklich«, entgegnete der Katzenmann und unterdrückte sichtlich ein Würgen. »Wie können Menschen nur so leben?«

»Du musst nicht bei uns bleiben, Kater. Ich kann verstehen, wenn du in die Wälder zurück möchtest.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und hoffte, dass dies einen mitfühlenden Eindruck machte, damit der Feles nicht merkte, wie mich der Gedanke, ihn endlich los zu sein, aufheiterte.

»Du willst uns verlassen?«, fragte Naias mit großen Augen.

»Natürlich nicht. Ich muss mich nur an den Trubel gewöhnen«, gab der Katzenmann zurück. Sichtlich erleichtert hakte sich Naias bei ihm ein. »Wenn wir eine Unterkunft gefunden haben, können wir gemeinsam die Stadt erkunden«, schlug sie vor. Dass sie dabei ihre Aufmerksamkeit nur auf den Kater richtete, ärgerte mich.

»Verdammte Katze«, murmelte ich, worauf der Feles zu mir sah. Seine Mundwinkel zuckten nach oben. Offensichtlich hatte er meine Worte trotz des Lärms gehört.

Am Ende der Straße, kurz vor dem Marktplatz – man konnte bereits die ersten Stände sehen – fanden wir eine Schenke. Dort vermietete man auch Zimmer, wie einem Schild über dem Eingang zu entnehmen war. Zimmer frei waren zwei der wenigen Wörter, die ich lesen konnte. Gefolgt von Naias und dem Kater trat ich ein.

Sogleich steuerte ich den Tresen auf der gegenüberliegenden Seite an. Ich kämpfte mich durch einen übelriechenden Nebel aus Pfeifenqualm und menschlichen Ausdünstungen, vorbei an Tischen mit Gestalten, denen ich nicht im Dunkeln begegnen wollte. Zumindest nicht unbewaffnet. Am Tresen angekommen, schlug ich meinen Umhang zurück und stützte die Arme auf die raue Holzplatte. Der Kater stellte sich neben mich.

»Habt Ihr noch Zimmer?«, fragte ich den Kahlköpfigen hinter der Theke, der aus einem Fass Bier in Krüge füllte.

»Wenn Ihr zahlen könnt«, antwortete er, ohne das Einschenken zu unterbrechen. Nachdem fünf Krüge gefüllt waren, wuchtete er sie auf den Tresen. Ein Mädchen mit dicken Zöpfen eilte herbei, um sie zu den Gästen zu bringen. Statt zu antworten, nahm ich meinen Beutel vom Rücken, holte meine Geldbörse heraus und legte sechs Münzen auf die Theke. »Reicht das fürs Erste?«

Der Mann wischte die Finger an der Schürze ab, die sich um den runden Bauch spannte, dann nahm er die Münzen.

»Es ist allerhand los. Ich habe noch ein freies Zimmer. Und das auch nur, weil ein Händler früher abgereist ist.« Der Mann zupfte an seinem dunklen Bart.

Naias und der Kater in einem Zimmer, nur über meine Leiche.

»Gebt mir meine Münzen wieder, wir werden uns nach einer anderen Unterkunft umsehen«, sagte ich.

»Na, dann viel Glück. In der ganzen Stadt dürfte kein weiteres Zimmer frei sein.« Scheppernd knallte der Mann die Geldstücke auf den Tresen.

»Du hast den Mann gehört, Kayla. Wir hatten verdammtes Glück, gleich in der ersten Schenke ein freies Zimmer zu finden.

Willst du wirklich den ganzen Tag mit Suchen zubringen?«, mischte sich Naias ein.

»Hört auf die hübsche Kleine«, pflichtete der Kahlköpfige bei.

»Ich nehme es«, knurrte ich.

»Sehr schön, Lina wird es Euch zeigen.« Damit nahm der Wirt die Münzen erneut an sich. Das Mädchen mit den haselnussbraunen Zöpfen war an den Tresen zurückgekehrt, um die nächste Ladung Bier zu holen. »Wo ist das Bier?«, wollte sie wissen.

»Die Gäste warten!«

»Zeig den Leuten hier das freie Zimmer«, befahl der Kahlköpfige, worauf das Mädchen nickte. »Kommt, werte Herrschaften, folgt mir.« Lina schlängelte sich elegant zwischen den feiernden Gästen hindurch. Die Treppe, die wir anschließend nahmen, führte zu einer Galerie. Hier oben war der Rauch noch dichter und der Feles begann zu husten. Besorgt wandte sich Lina ihm zu. »Ist alles in Ordnung mit Euch, Herr?«

Sofort war Naias an des Katers Seite, umfasste besitzergreifend seinen Arm. »Ist nicht so schlimm. Zeig uns das Zimmer.«

»Sehr wohl«, gab das Mädchen erschrocken zurück und setzte seinen Weg fort.

»Sie war nur höflich«, raunte ich meiner Schwester zu.

»Die soll sich um ihren Kram kümmern«, fauchte Naias, worauf der Kater unverschämt grinste und es wieder einmal in meinen Fingern juckte.