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Deutschland befindet sich im Krankenstand. Noch nie waren so viele Stellen unbesetzt und Mitarbeitende arbeitsunfähig. Manuel Fink weiß, dass Fehlzeiten in Unternehmen durch aktives Management und Führung viel stärker beeinflussbar sind, als die meisten glauben. In seinem Buch beleuchtet er die wichtigsten rechtlichen, statistischen und wirtschaftlichen Aspekte. Dabei stellt er die unterschiedlichen betrieblichen Interessen gegenüber und zeigt an Beispielen, wie man mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz Erfolge erzielt und seine Arbeitgeberattraktivität stärkt. Mit seiner eigens entwickelten Methode R.U.F. (Reduzierung ungeplanter Fehlzeiten) gelingt es Führungskräften und HR-Verantwortlichen, eine bis zu 50 % geringere Fehlzeitenquote als die des jeweiligen Branchendurchschnitts zu erreichen. Inhalte: - Sofort umsetzbare Strategien und Beispiele - Fehlzeitenmythen entlarven und umfassendes Verständis erhalten - Überprüfung: "Der Krankenstand kommt und geht mit der Führungskraft." - Mitarbeitendenführung – der Schlüsselfaktor beim Reduzieren von Fehlzeiten - Betriebliches Gesundheitsmanagement: Schatzgrube mit viel Zukunftspotenzial - Steigerung der Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit - Fehlzeiten aktiv managen: der Weg zu einem gesünderen und profitableren Unternehmen
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Seitenzahl: 321
Veröffentlichungsjahr: 2025
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ISBN 978-3-648-18375-5
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Manuel Fink
Fehlzeiten aktiv managen
1. Auflage, Januar 2025
© 2025 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Bildnachweis (Cover): © tiero, iStock
Produktmanagement: Mirjam Gabler
Lektorat: Juliane Sowah
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Karl-Heinz Hödl, Geschäftsführer der SOLDAN Holding + Bonbonspezialitäten GmbH, ist seit 30 Jahren in diversen Führungspositionen in deren Produktionsstätte tätig. Das Familienunternehmen stellt bereits in der vierten Generation Premiumbonbons im fränkischen Adelsdorf her und ist bekannt für seine Marke Em-eukal – nur echt mit der Fahne.
Es freut mich sehr, dass ich für dieses besondere Buch meine Gedanken als Vorwort einfließen lassen darf. Der Autor, der immer ein offenes Ohr für meine fachlichen Herausforderungen hat, konnte mir bei so manch heiklen Tabuthemen viele positive Impulse geben. Vielen Dank dafür.
Wenn ich auf meine 46 Berufsjahre zurückblicke, hat sich viel verändert: Früher war ein Arbeitsplatz von einer Vielzahl an Bewerber:innen hart umkämpft und uns allen wurde bereits in jungen Jahren eingeschärft, dass das Fernbleiben vom Arbeitsplatz keine gute Option für eine dauerhafte Beschäftigung sei.
Es gab eine andere Verbundenheit zu seinem Unternehmen und zu den Kolleg:innen, die uns Motivation oder auch den Druck gab, selbst mit einem Schnupfen noch sein Bestes zu geben. Der inzwischen viel bemühte Begriff »Work-Life-Balance« war noch nicht geboren und auch das Wort »Fehlzeiten« gab es nicht in unserem Sprachgebrauch – und wenn, dann war es uns sehr unangenehm.
Heute hat sich die Situation drastisch verändert: Der prozentuale Anteil der Fehlzeiten hat sich nahezu verdoppelt. Unsere Führungskräfte sind mit steigenden Fehlzeiten und daher mit reduzierter Produktivität konfrontiert. Darunter leidet auch die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden: Sie ist zunehmend angespannter.
Befeuert durch den anhaltenden Fachkräftemangel ist es heute eine der zentralen Herausforderungen für eine Führungskraft, Fehlzeiten erfolgreich zu managen. Mithilfe einer praktikablen Methodik, Einfühlsamkeit und gleichzeitig klarer Worte können Führungskräfte den bewährten Teamgeist wieder heraufbeschwören.
Mit meinen 60 Jahren bin ich dankbar, dass mit diesem Buch ein Leitfaden zur Verfügung gestellt wird. Praxisnahe Beispiele leisten einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung vorgenannter Herausforderungen und fördern die Teamarbeit. Denn Wissens- und Erfahrungsaustausch sind der Schlüssel für Erfolg und die Reduzierung von Fehlzeiten.
Karl-Heinz Hödl
Adelsdorf im Oktober 2024
Deutschland befindet sich im Krankenstand. Noch nie waren so viele Stühle unbesetzt und Mitarbeitende arbeitsunfähig wie aktuell. Die Einflussfaktoren sind vielfältig: Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, politische und wirtschaftliche Krisen als Nährboden für Angst und Pessimismus, ansteigende psychosomatische Belastungen, ein Generationenwechsel mit einem veränderten Blick auf die Arbeitswelt sowie eine alternde Gesellschaft, aufgrund derer unser Fachkräftemangel und die damit einhergehenden Belastungen weiter zunehmen.
Doch was soll man dagegen tun? »Krank ist doch krank.« Da halte ich dagegen: Denn die betrieblichen Fehlzeiten sind durch aktives Managen und Führungsarbeit stärker beeinflussbar, als die meisten glauben. So sind beispielsweise drei von den fünf zentralen Ursachen für ungeplante Abwesenheiten durch direkte Führung beeinflussbar. Doch in vielen Unternehmen wird der betriebliche Krankenstand tabuisiert und als »Heilige Kuh« nur zaghaft gemanagt. Zumeist sind es Ad-hoc-Maßnahmen, die immer dann erfolgen, wenn Umsatzrückgänge oder ausufernde Kosten die Ergebniserwartung nach unten korrigieren.
»Der Krankenstand kommt und geht mit der Führungskraft.«
»Jede Führungskraft hat die Fehlzeiten, die sie verdient.«
Wir kennen solche Aussagen – und Führungskräfte mit einem hohen Krankenstand in ihrem Verantwortungsbereich meiden sie wie die Pest. Dabei würde es sich so gut anfühlen, wenn man zustimmen könnte.
Aber warum akzeptieren Unternehmenslenkende ungeplante Abwesenheitsquoten, die zum Teil 50 % höher sind als die der Marktbegleiter? Oder dass Abteilung A eine deutlich höhere Krankenquote aufweist als Abteilung B. Woran liegt das?
Für mich gibt es – auf den Punkt gebracht – zwei Antworten:
Mangelndes Bewusstsein und Wissen darüber, dass ungeplante Abwesenheiten beeinflussbar sind.
Mangelnde Konfliktbereitschaft.
Zur ersten Antwort gibt es in diesem Buch Lösungen. Denn wenn eine Führungskraft versteht, wie sie die Abwesenheitsquote positiv beeinflussen kann, liegt es nur noch an der Höhe des Drucks, den sie verspürt, um loszulegen.
Antwort zwei ist eine Frage der persönlichen Haltung, was unter Umständen die größere Herausforderung darstellt. Denn jede ungeplante betriebliche Abwesenheit stellt im Kern einen Konflikt dar. Zunächst kommt der betroffene Mitarbeiter nicht der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung nach. Die Führungskraft muss deshalb den geplanten Arbeitsaufwand anderweitig im Team verteilen, was wiederum zu Mehrarbeit, Stress und Spannungen führt. Des Weiteren drohen Verzögerungen im Herstellungsprozess, Mehrkosten und unzufriedene Kund:innen. Auf der anderen Seite ist es sein gutes Recht, zu Hause zu bleiben. Denn es ist eine ganz wichtige und positive Errungenschaft in unserer Arbeitswelt, dass wir bei einer Erkrankung eben nicht zur Arbeit gehen. In Kapitel 3.1, Unternehmer und Führungskräfte im Porträt, liefere ich Ihnen eine Erklärung zu beiden Aussagen – und warum diese ihre Berechtigung haben.
Alle im Unternehmen kennen diesen Konflikt. Aber warum wird er nicht transparent kommuniziert und gemanagt, wenn sowieso jede:r eine subjektive Meinung dazu hat? Warum wird es häufig verteufelt und mit Disziplinierung in Verbindung gebracht, wenn eine Führungskraft in einem Gespräch den Abwesenheitsgrund herausfinden möchte? Schließlich hat sie zum einen eine gesetzlich definierte Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeitenden. Zum anderen wird sie dafür vergütet, dass sie weiß, was im Betrieb los ist und dieser bestmöglich funktioniert.
Wenn Sie als Führungskraft den Krankenstand in Ihrem Unternehmen nachhaltig verringern möchten, indem Sie ein leistungsstarkes, gesundes und motiviertes Team verantworten, halten Sie das richtige Buch in Händen. Sie werden betriebliche Fehlzeiten im Ganzen verstehen. Das Buch beinhaltet die relevantesten rechtlichen, statistischen und wirtschaftlichen Aspekte. Es stellt alle betrieblichen Interessen und Sichtweisen gegenüber und zeigt auf, wie Mitarbeiterführung, Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit erfolgreich ineinandergreifen. Zudem stellt es wichtige Führungsinstrumente mit konkretem Bezug zu betrieblichen Fehlzeiten dar.
Einzigartig in diesem Buch ist, dass ich Ihnen mit der R.U.F.® -Methode – Reduzierung ungeplanter Fehlzeiten – einen praxisnahen und bewährten Werkzeugkoffer an die Hand gebe, mit dem Sie ungeplante Fehlzeiten garantiert und dauerhaft reduzieren und gleichzeitig die Motivation Ihrer Mitarbeitenden steigern können. Mit der R.U.F.®-Methode gelingt es seit über einem Jahrzehnt, eine um 20–50 % geringere Fehlzeitenquote als die der direkten Wettbewerber zu erreichen. Oftmals konnte die eigene Krankenquote sogar halbiert werden.
Zudem verfolge ich mit diesem Buch eine Herzensangelegenheit und möchte folgenden Irrglauben auflösen: »Ein Fehlzeitenmanagement mit Gesundheitsfördergesprächen zielt nur darauf ab, eine Minderheit von vielleicht 5 bis 10 % der blaumachenden Mitarbeitenden zu kontrollieren und deren Produktivität zu steigern. Die Maßnahmen erwirken mehr Demotivation als Motivation.«
Haben Sie folgende Aussage schon einmal gehört?
»Warum soll ich mich hier kaputtarbeiten, wenn andere permanent fehlen und nichts passiert?«
Nichts befeuert einen Flächenbrand für Demotivation mehr. Und deshalb geht es vielmehr um die große Mehrzahl der 90–95 % Mitarbeitenden, die sich darüber wundern, dass die Führungskraft oder die Geschäftsführung ein zumeist offensichtliches Fehlverhalten einer Minderheit duldet, deshalb Betriebsabläufe gestört werden und sie Mehrarbeit leisten müssen.
Seit 25 Jahren bin ich Führungskraft in der Personaldienstleistung – einer Branche, in der von 100 % Umsatz ca. 80 % Lohnkostenanteil sind. Deshalb ist es existenziell, sich in besonderem Maße um die Motivation und Gesundheit der Belegschaft zu kümmern. In diesen mehr als zwei Jahrzehnten hatte ich die Chance, Hunderte von Kundenunternehmen mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen zum Thema Führung und Fehlzeiten kennenzulernen. Dieses Wissen möchte ich mit Ihnen teilen.
Ich wünsche mir, dass dieses Buch als Offensive und als Weck-RUF für Unternehmen und Führungskräfte dient, um Fehlzeiten proaktiv zu managen! Die Belohnung dafür sind deutliche Kosteneinsparungen, gesteigerte Kundenzufriedenheit sowie ein Hinzugewinn an Mitarbeitermotivation.
Hinweis: Wenn ich im Buch von »wir« oder »uns« schreibe, dann meine ich das Team und mich selbst in den Unternehmen, für die ich in der Vergangenheit verantwortlich war oder die ich aktuell führe.
Viel Freude beim Lesen.
Laut statista belief sich im Jahr 2023 der durchschnittliche Krankenstand in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf rund 6,1 %. Damit ist der Krankenstand im Vergleich zum bereits höchsten Krankenstand seit 25 Jahren im Jahr 2022 (5,8 %) auf einen weiteren Rekordwert gestiegen. Und die Annahme liegt nahe, dass das etwas mit der COVID-19-Pandemie und deren Nachwirkungen zu tun hat. Ja, sicherlich haben Atemwegserkrankungen wie Erkältungen und Bronchitis und eine Grippe maßgeblichen Einfluss. Aber das ist bei Weitem nicht die ganze Geschichte. Zudem zeigen die Zahlen aller Krankenkassen aus dem ersten Halbjahr 2024 einen ungebrochenen Anstieg der Fehlzeitenquoten. Beispielhaft bestätigt die Techniker Krankenkasse (TK) die Entwicklung mit der Aussage, dass die Beschäftigten im Zeitraum der ersten Jahreshälfte noch nie so lange krankgeschrieben waren wie im Jahr 2024. (Techniker Krankenkasse 2024)
»Dieser Rekord-Krankenstand ist alarmierend und sollte ein Weckruf für die Wirtschaft sein«, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit (Nord Wirtschaft 2024). Die hohen Fehlzeiten beeinträchtigten Arbeitsabläufe vieler Betriebe und Behörden, besonders wenn die Personaldecke durch den Fachkräftemangel immer dünner werde. Es brauche eine »Offensive« für das betriebliche Gesundheitsmanagement.
Und leider trägt der zunehmende Fachkräftemangel, der sich längst zu einem flächendeckenden Arbeitskräftemangel entwickelt hat, seinen eigenen Teil zur Situation bei: Ständiger Personalmangel führt zu Leistungsdruck, Überstunden, fehlenden Pausen und oftmals zu körperlichen und psychischen Überforderungen. Emotionale und körperliche Erschöpfung finden vielerorts statt. Laut DAK-Gesundheitsreport 2023 liegt der Krankenstand in Bereichen mit hohem Personalmangel deutlich über dem Durchschnitt. Ganz oben mit dabei: die Jobs in der Gesundheits- und Pflegebranche.
Im Januar 2024 veröffentlichte der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) eine Studie mit der Aussage, dass der erhöhte Krankenstand Deutschlands sogar in eine Rezession drücke. Die Autoren der Studie, Dr. Claus Michelsen und Dr. Simon Junker, schreiben, dass die deutsche Wirtschaft ohne die Rekordfehlzeiten nicht um 0,3 % geschrumpft, sondern um 0,5 % gewachsen wäre. Damit waren wir das Schlusslicht in Europa und weltweit auf den hinteren Plätzen. Aber Vorsicht: Nicht der erhöhte Krankenstand ist für den wirtschaftlichen Abschwung verantwortlich. Die Faktoren für den Anstieg der Fehlzeiten sind vielfältig und wir müssen genauer hinsehen, um diesen zu verstehen. Jedoch belastet er uns gerade in den wirtschaftlich schwachen Jahren besonders stark.
Und hätten wir nicht schon genug zu tun mit den demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, ist das Blaumachen in Deutschland weit verbreitet. Neu ist das nicht. So manche von uns werden eine Person kennen, der wir das unterstellen oder die uns freimütig davon berichtet hat. Einen dokumentierten Hinweis darauf liefert das Ergebnis der repräsentativen Umfrage »Arbeiten 2023« der Pronova BKK unter 1.200 Beschäftigten im November 2023: Die sogenannte BettkantenentscheidungBettkantenentscheidung, bei der die Betroffenen sinnbildlich am Morgen beim Aufstehen entscheiden, ob sie zur Arbeit gehen oder nicht, fällt bei 59 % der Beschäftigten in Deutschland zugunsten der Krankmeldung aus, obwohl sie arbeitsfähig wären. Jeder Zehnte tut dies laut der Befragung häufig, 23 % manchmal und 26 % selten. Mehr zur Bettkantenentscheidung erfahren Sie in Kapitel 6.3.
Doch sind wir in Deutschland mit dieser Situation allein? Wie sieht es in anderen Nationen aus? Mit einem Blick über die Landesgrenze können wir die Situation besser einschätzen.
Im Oktober 2024 ließ Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius verlauten, dass seine deutschen Mitarbeitenden sich im europäischen Vergleich deutlich häufiger krankmelden. Er sieht die Anzahl der Krankentage deutscher Arbeitnehmender als Nachteil für den Wirtschaftsstandort und sagt in einem Spiegel-Interview: »Der hohe Krankenstand in Deutschland ist ein Problem für die Unternehmen.« Mit Blick auf Mercedes-Benz äußert Källenius, »wenn unter gleichen Produktionsbedingungen der Krankenstand in Deutschland teils doppelt so hoch sei wie im europäischen Ausland, habe das wirtschaftliche Folgen.« (Demling 2024)
Neben Källenius prangerte wenige Tage zuvor Allianz-CEO Oliver Bäte im Handelsblatt an, dass die Deutschen weit mehr Krankentage hätten als Beschäftigte in den USA oder der Schweiz. Weiter ist zu lesen, dass die Schweizer Beschäftigten nur 7,6 Tage pro Jahr krankgeschrieben sind, Tendenz sinkend – 2022 waren es noch 9,2 Tage. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland waren laut dem Statistischen Bundesamt 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet. (Handelsblatt 2024)
Laut einer Analyse der Statista Global Consumer Survey (Journal Onkologie 2022), die im Zeitraum von Februar 2020 bis März 2022 unter 19.500 Befragten durchgeführt wurde, sind wir Deutschen im internationalen Vergleich nicht erst seit heute häufiger krank (Abb. 1).
Abb. 1:
Deutsche vergleichsweise häufig krank (Quelle: Statista Global Consumer Survey)
Doch auch wenn in asiatischen Staaten deutlich weniger Krankentage anfallen als in Europa oder in den USA, ist das nicht automatisch gleichbedeutend mit einer gesünderen Belegschaft. Der dortige Leistungsdruck und die asiatische Aufopferungsbereitschaft für ihre Arbeitgeber führen nicht selten zur totalen Erschöpfung bis hin zum Tod. In Japan gibt es dafür sogar ein Wort: »Karoshi« – was »Tod durch Überarbeitung« bedeutet.
Auch wenn sich folgende Statistik nur auf die Baubranche bezieht und einige Jahre zurückliegt, bestätigt sie die Aussagen von Ola Källenius sowie Oliver Bäte und gibt uns einen weiteren Blick auf den europäischen Vergleich (Highways Today 2020). Zudem wird uns erneut vor Augen geführt, dass wir nicht erst seit jüngster Zeit einen hohen Krankenstand aufweisen. Die Statistik der Firma Mitrefinch, nach eigenen Aussagen Englands führender Anbieter für Workforce Management Solutions, stellt die Ausfalltage in europäischen Ländern gegenüber (Abb. 2).
Abb. 2
: Krankenstand in Europa in der Baubranche 2018 (Länderauszug)
Hier belegen die Deutschen mit 18,3 Ausfalltagen pro Jahr den unrühmlichen zweiten Platz von 30 Ländern. Doch woran liegt das? Gibt es vielleicht eine Verbindung zu den Sozialsystemen im Falle einer Erkrankung und der finanziellen Absicherung?
Laut dem europäischen Nachrichtensender Euronews, der sich auf Eurostat, das statistische Amt der EU, bezieht, steht Deutschland im Jahr 2020 mit 11 % seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) an erster Stelle, was die Aufwendungen für die öffentliche medizinische Versorgung betrifft. Frankreich folgt mit 10,2 % und Schlusslicht mit 4,9 % ist Estland. Die COVID-19-Pandemiejahre haben die Ausgaben nach oben steigen lassen, aber auch im Jahr 2022 steht Deutschland mit 12,7 % in Europa an der Spitze, gefolgt von Frankreich mit 12,1 % und Österreich mit 11,4 %. Zudem war Deutschland 2020 das Land, das am meisten für Leistungen im Krankheitsfall ausgab. Wir haben 2,3 % unseres BIP für die Unterstützung kranker Arbeitnehmer aufgewendet. Im Vergleich zum Schlusslicht Griechenland (0,2 %) und dem im Mittelfeld liegenden Frankreich (1,0 %) sind das erhebliche Unterschiede. (Bello 2023)
Auch was die Höhe der Entgeltfortzahlung betrifft, liegt Deutschland vorn. Was unter anderem daran liegt, dass selbst die Länder in der EU mit geringerem Bruttoinlandsprodukt mehr vergüten als wohlhabende Länder außerhalb der EU.
Zum Vergleich und ohne zu sehr auf die Details einzugehen: Arbeitgeber in Deutschland vergüten 100 % des Arbeitnehmerlohns für die Dauer von bis zu sechs Wochen. Danach übernimmt die Krankenkasse ein Krankengeld in Höhe von 70 % des regulären Gehalts. Dies kann über einen Zeitraum von drei Jahren pro Krankheit 78 Wochen der Fall sein. Die Vereinigten Staaten bieten keine garantierten Krankheitstage an. Einzige Ausnahmen gab es während der COVID-19-Pandemie. In Ungarn zahlen die Arbeitgeber in der Regel für die ersten 15 Tage 70 % des Einkommens, die verbleibenden Tage werden bis zu einem Jahr mit 50–60 % des Gehalts von der Krankenkasse bezahlt. In Slowenien erhalten Arbeitnehmende eine Zahlung zwischen 80–100 % ihres Lohns, je nachdem, ob die Krankheit arbeitsbedingt ist oder nicht.
Die Aussage von Prof. Dr. Nicolas Ziebarth, internationaler Experte auf dem Gebiet der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Leiter des Forschungsbereichs »Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen« am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim und Professor an der Universität Mannheim, bestätigt dies:
»Das deutsche System ist sehr großzügig und lässt sich leicht ausnutzen. Und die telefonische Krankschreibung hat dies noch vereinfacht.« Deutschland habe beispielsweise »eine der großzügigsten, wenn nicht die großzügigste Lohnfortzahlung der Welt«. Wer eine Krankmeldung einreicht, erhält für sechs Wochen den vollen Lohn. In Schweden hingegen gilt die Lohnfortzahlung erst nach einem Krankheitstag, gesetzlich ist lediglich ein Mindestniveau von 80 Prozent des Gehalts garantiert. Der Arbeitgeber muss für zwei Wochen zahlen. Die USA haben wiederum nur in einigen Bundesstaaten eine Lohnfortzahlung. Dort müssen Beschäftigte beispielsweise bezahlte Fehltage auf Konten ansparen. Wer 40 Stunden arbeitet, erhält eine Stunde gutgeschrieben. »Die Fehltage liegen dort entsprechend niedriger, aber es ist auch das Problem des krank Arbeitens stärker verbreitet«, sagt Ziebarth. (ZEW 2022)
Im Jahr 2022 schätzte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsvolumen die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle (Lohnkosten) auf insgesamt 118 Milliarden Euro beziehungsweise den Ausfall an Bruttowertschöpfung (Verlust an Arbeitsproduktivität) auf 207 Milliarden Euro. Als Optimist sage ich: ein enormes Potenzial an wirtschaftlicher Leistungskraft, die man sich hier zurückholen kann.
Der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) hält fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 2021 mit insgesamt fast 78 Milliarden Euro rund 40 Milliarden mehr betrug als im Jahr 2010. Die Kosten der Arbeitgeber haben sich seither also mehr als verdoppelt. Es gibt mehrere Gründe für diese Entwicklung, drei sind von Bedeutung:
1. Kontinuierliche Gehaltssteigerungen
Jede Gehaltsanpassung sorgt für höhere Kosten im Krankheitsfall. Natürlich sind die Gehälter in Deutschland seit 2010 flächendeckend gestiegen, was die Krankheitskosten für die Arbeitgeber anhebt.
2. Beschäftigungsentwicklung
Je mehr Beschäftige, desto besser. Und je mehr Menschen arbeiten, desto mehr Krankheitstage kommen bei gleicher Krankenstandsquote zusammen. Seit 2010 hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um etwa ein Fünftel zugelegt. Zudem stieg die Krankenstandsquote seit 2008 kontinuierlich an.
3. Demografie
Viele und vor allem langwierige Erkrankungen treten erst mit zunehmendem Alter auf. Deshalb steigen bei einer alternden Erwerbsbevölkerung wie in Deutschland auch die Krankheitstage und die Kosten dafür pro Kopf. Die Erwerbsquote der 55- bis unter 65-Jährigen ist in den letzten zehn Jahren stärker gestiegen als die der 15- bis unter 65-Jährigen. Im europäischen Vergleich ist sowohl die Erwerbs- als auch die Erwerbstätigenquote Älterer in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Dies liegt an unserer Alterspyramide, sowie an der sukzessiven Anhebung des Renteneintrittsalters. (Bundesagentur für Arbeit 2022)
Diese drei Faktoren sind für Führungskräfte nahezu unbeeinflussbar. Gerade deshalb ist es so wichtig, all das, was wir beeinflussen können, aktiv zu managen.
Die Einflussfaktoren und die Höhe von Fehlzeiten sind vielschichtig und variieren nach Branche, Unternehmensgröße und wirtschaftlicher sowie betrieblicher und außerbetrieblicher Situation. Auf betrieblicher Ebene hängen Fehlzeiten eng mit den Arbeitsbedingungen, der Arbeitsorganisation und der Führungskultur zusammen. Lärm, Hitze oder ergonomische Mängel können physische Beschwerden verursachen. Unklare Aufgabenstellungen, übermäßiger Leistungsdruck oder mangelnde Arbeitsorganisation können Unzufriedenheit, Überlastung und Burn-out fördern. Und eine schlechte Führungskultur, geprägt von autoritärem Verhalten, fehlender Anerkennung und schlechter Kommunikation, führt zu Stress und psychischen Belastungen.
Außerbetriebliche Gründe finden sich bei den Mitarbeitenden selbst: Wie ist die persönliche Belastbarkeit und wie das Freizeitverhalten? Gibt es zusätzliche Verpflichtungen wie Nebentätigkeiten oder Ehrenämter, die an den Kräften zehren? Wie ist die familiäre Situation, wie steht es um die Gesundheit von Angehörigen und vieles mehr. Die Palette der Krankheitsarten ist breit gefächert. Erst durch die COVID-19-Pandemie haben Atemwegserkrankungen die Rückenschmerzen von der Spitzenposition verdrängt – dicht gefolgt von psychischen Erkrankungen, die ebenfalls sehr stark zunehmen. Mehr dazu in Kapitel 4.
Aufgrund dieser vielfältigen Einflussfaktoren sind ein ganzheitlicher Ansatz und das aktive Managen von Fehlzeiten entscheidend.
Was sind die Gründe für den rasanten Anstieg des Krankenstandes?
Oftmals werde ich gefragt, warum der Krankenstand in unserem Land so hoch und zuletzt so massiv gestiegen sei? In einem Satz ist dies nicht zu beantworten, da es zahlreiche Handlungsfelder mit verschiedenen Einflussfaktoren gibt. Für einen ersten und schnellen Überblick gehe ich auf fünf zentrale Faktoren ein. Im Verlauf des Buches werde ich jeden Aspekt mit Zahlen, Daten und Fakten untermauern.
Umgang mit Atemwegserkrankungen
Seit der COVID-19-Pandemie stellen wir ein verändertes Bewusstsein im Umgang mit Atemwegserkrankungen fest. Wer früher vielleicht mit einer Erkältung zur Arbeit ging, bleibt heute eher zu Hause. Hier müssen wir abwarten, wie sich dieses Verhalten entwickelt. Gegenmaßnahmen wie Homeoffice sind nicht überall möglich.
Demografische Aspekte
In einer zunehmend alternden Gesellschaft steigen die Ausfälle aufgrund von Verschleißerscheinungen. Jenseits der 55 dauert die Zeit bis zur Genesung fast doppelt so lange wie bei den unter 25-Jährigen. Hinzu kommt, dass die jüngeren Generationen ein anderes Verständnis von (ihrer) Gesundheit und Loyalität zu ihrem Arbeitgeber haben und sich früher krankschreiben lassen als ältere Mitarbeitende.
Arbeits- und Fachkräftemangel
Der Personalmangel im Gesundheitswesen ist ein sehr plakatives Beispiel, weil wir es am eigenen Leib spüren, wenn wir einen Arzttermin brauchen oder in Behandlung sind. Es herrscht ein notorischer Fachkräftemangel, der zu vielen Überstunden sowie psychischen und körperlichen Mehrbelastungen beim Pflege- und Arztpersonal führt. Aber auch in den Fertigungs- und Dienstleistungsbereichen führen Leistungsdruck, Mehrarbeit und unterschiedliche Krisen zu Stress, Überlastungen und krankheitsbedingten Ausfällen.
Anstieg psychischer Erkrankungen
Laut dem Psychreport der DAK 2023 haben wir im Zehnjahresvergleich einen Anstieg der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen um 48 %. Das Gesundheitswesen liegt auf dem traurigen ersten Platz. Ein besonders großer Anstieg bei Krankschreibungen aufgrund Depressionen oder Ängsten ist bei den jüngeren Generationen festzustellen.
Die wirtschaftliche Situation
Da der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel so hoch ist, überdauert dieser selbst die aktuell schwache Konjunktur. In dieser Situation befinden wir uns bereits seit Jahren und es ist kritisch, dass dies gleich zweimal auf den Anstieg der Fehlzeiten einzahlt. Bei den demografischen Prognosen wird sich das auch nicht ändern. Bereits nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 war das Thema Fachkräftemangel präsent und nahm in den 2010er-Jahren rasant Fahrt auf. Parallel steigt auch der Krankenstand kontinuierlich an. Das ist ein Teufelskreis: Mitarbeitende fühlen sich aufgrund des Fachkräftemangels unersetzbar und melden sich eher krank, da sie davon ausgehen, auf der Arbeit durch eine oder mehrere Krankmeldungen nicht mit Nachteilen rechnen zu müssen.
Ein zusätzlicher Einflussfaktor, für den es aber keine Vergleichszahlen gibt, ist die digitale Erfassung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Seit dem 01.01.2023 erfolgt bei den gesetzlich Krankenversicherten eine automatisierte, elektronische Übermittlung der Krankmeldung vom Arzt zur Krankenkasse. Das Papierformat, was nicht immer zur Krankenkasse getragen wurde, entfiel und führt so zu einer gesteigerten Erfassungsquote.
Fehlzeiten sind ein emotionales Thema
Krankheiten und gesundheitliche Beschwerden beeinflussen das persönliche Wohlbefinden, das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität jedes Betroffenen – und andersherum. Deshalb ist der betriebliche Krankenstand nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit und Produktivität, sondern immer auch eine individuelle.
Wir Menschen sind unterschiedlich stark mit unserer Arbeit, den Kolleg:innen sowie dem Arbeitgeber verbunden. Ein hoher persönlicher Krankenstand kann daher Gefühle von Versagen, Überforderung oder Isolation auslösen. Jedoch zeigt er auch oftmals Gleichgültigkeit und eine Haltung von »Krank ist krank!« bei den Menschen, welche keine Verbundenheit und Identifikation mit ihrer Arbeit haben.
Auf der anderen Seite kommunizieren Unternehmen mit einem hohen Krankenstand ihre Unzufriedenheit darüber deutlich und geben zu verstehen, dass sie diese unbedingt reduzieren müssen. Dies kann zu Unsicherheiten, Ängsten und Spannungen auf beiden Seiten führen.
Im Regelfall prallen zwei unterschiedliche Perspektiven aufeinander, was unweigerlich zu Konflikten führt:
Erkrankte Mitarbeitende wollen ihre Beschwerden bestmöglich auskurieren, um einer Intensivierung vorzubeugen sowie wieder umfänglich ihren gewohnten Lebensstil wahrzunehmen. Eine schnellstmögliche Rückkehr an den Arbeitsplatz steht deshalb nicht unbedingt an erster Stelle. Auch ist allgemein bekannt, dass das Verschleppen einer Krankheit zu wiederholten und längeren Ausfallzeiten führen kann. Gerade letztes Argument bietet Potenzial für einen Bewertungskonflikt.
Arbeitgeber verfolgen von Haus aus das Ziel, die Produktivität so hoch wie möglich zu halten. Dies ist in unseren Köpfen mit der schnellstmöglichen Rückkehr an den Arbeitsplatz verbunden.
Zudem schwingen bei vielen Erkrankungen immer wieder Fragen mit wie »Ist die Person wirklich erkrankt?« oder »Ist es wirklich so schlimm, dass sie zu Hause bleiben muss?«.
Der betriebliche Krankenstand fußt also nicht nur auf Zahlen und Fakten, sondern ist ein komplexes und hoch emotionales Thema. Es beeinflusst maßgeblich das individuelle Wohlbefinden und das kollektive Arbeitsklima.
Falsch gedacht: Warum »Krank ist krank!« nicht stimmt
Mit diesem Satz wird üblicherweise ausgedrückt, dass eine Person, die krankgeschrieben ist, auch wirklich erkrankt ist und somit nicht zur Arbeit gehen kann und muss. Doch ist das wirklich so? Bedingt. Haben Sie schon einmal nach »Krankmachen Arbeit« oder nach »Ausreden für Blaumachen« gegoogelt oder auf YouTube, TikTok oder Amazon eingegeben? Sie vielleicht nicht, aber andere bis zu 1,2 Millionen Mal.
Abb. 3
: Social Media – Krankmelden (Beispiel-Posts)
Abb. 4:
Social Media – Blaumachen (Beispiel-Posts)
Es gibt sogar Bücher, die beschreiben, wie man krankfeiert. Ich frage mich, wie man so etwas verlegen kann.
Abb. 5
: Buchtitel »Arzt Tricks – Lieber krank feiern als gesund schuften!«
Wir reden hier über Sozialversicherungsbetrug. Und es zeigt, dass einige Menschen zu einem gewissen Zeitpunkt entscheiden, nicht zur Arbeit zu gehen. Obwohl sie nicht krank, sondern fit genug wären.
Neben dem Betrug an unserer Sozialversicherung liegt zudem ein Vertragsbruch vor: Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 611a BGB. Im Gegenzug muss der Arbeitgeber die erbrachte Arbeitsleistung in Höhe der Vereinbarung vergüten. Bewusst krankmachen auf Kosten des Unternehmens und der Kollegen spricht gegen den Arbeitsvertrag und darf nicht akzeptiert werden.
Da Krankmachen kein neues Phänomen ist, ist es auch so stark in unseren Annahmen und Denkmustern verankert. Leider schadet dies den wirklich Erkrankten, die unsere Unterstützung benötigen. Ich könnte für entsprechende Beispiele mehrere Jahrzehnte zurückgehen – stelle folgend allerdings vier Studien aus jüngerer Zeit vor, drei aus dem letzten Jahrzehnt und eine aus 2024.
Eine Studie des niederländischen Beratungsunternehmens Aon Consulting von 2010 hat bei einer Befragung von 7.500 europäischen Arbeitnehmern Folgendes ermittelt: 15 % der Befragten gaben an, eine Krankheit vorgeschoben zu haben, als sie sich beim letzten Mal bei der Arbeit krankgemeldet hatten. Zusätzliche 10 % betreuten in ihrer letzten Abwesenheit ein Familienmitglied. Peter Abelskamp, damaliger Direktor für Gesundheit und Leistungen der Region EMEA bei Aon Consulting, kommentierte dies so: »Eine Milliarde Stunden als vorgetäuschte Krankentage in ganz Europa und die damit zusammenhängenden Kosten für Unternehmen sind vermutlich vorsichtige Schätzungen, wenn man die Anzahl der Leute, die nicht zugeben, eine Krankheit vorgetäuscht zu haben, und die Tatsache, dass diese Kosten nur die direkten Lohnkosten betreffen, berücksichtigt. Arbeitgeber wären gut beraten, die Themen Krankheit und Abwesenheit vom Arbeitsplatz in Angriff zu nehmen, da diese ernsthafte Auswirkungen auf die Arbeitsleistung haben und ihre Bilanz drücken.« (OTS 2010)
Unsere österreichischen Nachbarn beschäftigte im Sommer 2012 Ähnliches: »Hand aufs Herz: Schon mal blaugemacht?«, lautete die Frage einer »karriere.at«-Umfrage. Insgesamt jeder dritte Arbeitnehmer (36 %) auch mal blaumachen, die meisten davon (25 %) jedoch nur in Notsituationen. Jeder Neunte (11 %) der 604 Befragten sagt hingegen: »Sicher – andere machen das doch auch.« (Smid o. J.)
Abb. 6
: Umfrage »Hand auf’s Herz: Schon mal blaugemacht?« (Quelle:
karriere.at
)
Im November 2017 wurde eine Umfrage in der Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ) durchgeführt: »Wie beliebt ist im Winter Blaumachen?« Darin ist das Versicherungsvergleichsportal Geld.de zu dem Ergebnis gekommen: »Krankfeiern ist in Deutschland längst Volkssport.« Ebenso ist zu lesen: »Blaumachen statt Arbeiten: Wenn sowieso alle niesen und husten, fällt eine Krankschreibung mehr oder weniger nicht auf. Das denken sich viele Arbeitnehmer in Deutschland und nutzen gerne die Winterzeit für ein paar freie Tage extra – auch wenn die Erkältung nur vorgespielt ist.« (DHZ 2017) Laut der Befragung von 1000 Arbeitnehmenden planten 65 Befragte (6,5 %), im Winter 2017/2018 ihren Arbeitgeber durch eine vorgetäuschte Krankheit zu betrügen.
Abb. 7
: Aktivitäten von Arbeitnehmenden in ihrer »Auszeit« (Quelle: Deutsche Handwerks Zeitung)
Dabei geht es den Beschäftigten allerdings meist nicht um eine lange Auszeit. Mehr als die Hälfte der Befragten lässt sich nur bis zu drei Tage krankschreiben. »Und dabei sind die Simulanten um keine Ausrede verlegen. Beliebt waren diese Antworten auf die Frage nach den Gründen der Krankschreibung:
Sich vorsorglich Krankschreiben lassen, weil man sich ansonsten bei kranken Kollegen anstecken könnte. Das gaben 22 Prozent der Befragten als Grund an.
21 Prozent gaben an, im Winter regelmäßig psychische Probleme zu haben.
17 Prozent sind ganz einfach der Meinung, dass eine Krankschreibung – auch wenn sie grundlos erfolgt – im Winter nicht auffällt.
Und acht Prozent gaben zu, dem Arbeitgeber eins auswischen zu wollen.« (DHZ 2017)
Im Januar 2024 kam die Pronova BKK in ihrer repräsentativen Studie »Arbeiten 2023« (siehe auch Kapitel 1) zu dem Ergebnis, dass sechs von zehn krankgeschriebenen Mitarbeitenden sich trotz Arbeitsfähigkeit entschieden haben, zu Hause zu bleiben.
Abb. 8
: 59 % melden sich krank trotz Arbeitsfähigkeit (Quelle: Pronova BKK)
Halten wir fest: »Krank ist krank!« ist ein widerlegter Glaubenssatz. Umso wichtiger ist es für eine Führungskraft, die wahren Gründe für Fehlzeiten zu kennen. Deshalb müssen wir bei den Menschen, die unsere Hilfe wirklich benötigen, in den Maßnahmen großzügiger sein und bei den Krankmachern konsequenter.
Es gibt fünf sehr gute Gründe, Zeit und Aufwand in das aktive Managen und Reduzieren von Fehlzeiten zu investieren.
Fürsorgepflicht. An oberster Stelle steht die FürsorgepflichtFürsorgepflicht der Arbeitgeber. Und zwar nicht primär, weil es eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag sowie in weiteren Gesetzen und Verordnungen detailliert beschrieben ist. Sondern vor allem, weil wir alle gesund zur Arbeit gehen und auch wieder gesund nach Hause kommen wollen.
Konflikte bei Kund:innen und Mitarbeitenden. Jede Führungskraft kennt die Situation: Wenn sich am Morgen eine Mitarbeiterin krankmeldet und der Arbeitsplatz unbesetzt bleibt, führt dies unweigerlich zu Stress. Wer verrichtet die Arbeit? Muss die Kundschaft informiert werden? Braucht es Ersatzpersonal oder macht das Team Überstunden? Was bedeutet dies für den Herstellungsprozess und die Lieferzeiten? Ungeplante Fehlzeiten führen zu Unzufriedenheit, Qualitätsproblemen, Lieferverzögerungen und oftmals zur Verärgerung der Kundschaft. Jeder, der sich schon einmal als Privatkunde auf das Eintreffen von Handwerkern eingerichtet hat, um dann am Morgen die Absage zu erhalten, weiß, wie sich das anfühlt.
Mehrkosten. In Kapitel 4 werde ich ausführlich auf die Mehrkosten sowie auf die Einsparpotenziale eingehen.
Arbeits- und Fachkräftemangel. Wir alle, Unternehmen, Dienstleistende und Privatpersonen, spüren den Mangel an Personal – ob am eigenen Arbeitsplatz, im Restaurant, am Flughafen oder wenn wir einen Arzttermin benötigen. Angesichts der demografischen Entwicklung ist die Sicherung des Fachkräftebedarfs eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Im November 2023 blieben nach Schätzung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) 1,8 Millionen Stellen in der Gesamtwirtschaft unbesetzt – und das bei einem Allzeithoch an Erwerbstätigen. Da die Babyboomer jetzt in Rente gehen, nimmt laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial ohne Zuwanderung bis 2035 um 7,2 Millionen (-6 %) und bis 2060 sogar um insgesamt 16 Millionen (-20 %) Arbeitskräfte ab. Das wird den Personalmangel deutlich zuspitzen.
Führungsanspruch. Jede Führungsverantwortung geht mit dem Anspruch einher, alle Mitarbeitenden gleichermaßen zu fördern und zu fordern sowie bestmögliche Arbeitsbedingungen für die erfolgreiche Umsetzung der Aufgaben zu schaffen. Bezogen auf den Kontext der Reduzierung von Fehlzeiten ist es elementar, die Mitarbeitenden und ihr Verhalten hinsichtlich AbsentismusAbsentismus und PräsentismusPräsentismus genau zu kennen, um sie situationsgerecht führen und begleiten zu können.
Die loyalen, tatkräftigen und motivierten Mitarbeitenden erwarten und werden zu schätzen wissen, dass das Verhalten der Krankmacher nicht toleriert wird und es zu personellen Konsequenzen führt. Ebenso wird ein proaktives Unterstützen und Hinführen, zum Beispiel in eine Rehabilitationskur für wirklich bedürftige Kolleginnen und Kollegen, von der Belegschaft wahrgenommen und in besonderem Maße wertgeschätzt. Für die Unternehmen wird dies gut finanzierbar sein, wenn durch ein proaktives Fehlzeitenmanagement die Reduzierung von motivationsbedingten Fehlzeiten einhergeht.
In Deutschland steigt seit 2008 der Krankenstand kontinuierlich an.
Im internationalen Vergleich sind deutsche Arbeitnehmer häufig krank, obwohl unser Gesundheitssystem und die Entgeltfortzahlung zwei der großzügigsten weltweit sind.
Der Fachkräftemangel führt zu weiteren Be- und Überlastungen der Mitarbeitenden, was wiederum den Krankenstand erhöht.
Es gibt nachweislich Krankmacher, die auf Kosten von Kolleg:innen und des Unternehmens der Arbeit fernbleiben.
Die Bettkantenentscheidung fällt bei 59 % der Beschäftigten zugunsten der Krankmeldung, obwohl sie arbeitsfähig wären.
Die Bedeutung des betrieblichen Krankenstandes geht weit über die Ermittlung der Fehlzeitenquote und der Bestimmung der Kosten hinaus. Ein proaktiv geführtes Fehlzeitenmanagement wirkt auch positiv auf die Arbeitsfähigkeit und die Mitarbeiterzufriedenheit. Darüber hinaus positioniert sich ein Unternehmen mit einem vorbildlichen Gesundheitsmanagement als attraktiver Arbeitgeber und kann so qualifizierte Fachkräfte leichter anwerben und langfristig binden. Bevor wir an die Maßnahmenumsetzung gehen, gilt es jedoch, die Ursachen zu kennen.
Unter dem Begriff »betriebliche Fehlzeiten« versteht man die in Stunden oder Tagen gemessene Abwesenheit von Mitarbeitenden im Verhältnis zur vertraglich vereinbarten Soll-Arbeitszeit. Man spricht in dem Zusammenhang auch von ungeplanten Abwesenheiten, betrieblichem Krankenstand oder nur von Fehlzeiten.
Generell gibt es folgende Unterscheidungen:
Abb. 9
: Arten von Fehlzeiten
Bei den persönlich bedingten Fehlzeiten wird unterschieden zwischen nicht beeinflussbarer ArbeitsunfähigkeitArbeitsunfähigkeit, nicht beeinflussbare sowie beeinflussbarem Absentismus.
Fehlzeiten, beeinflussbareFehlzeiten, nicht beeinflussbareProf. Dr. Peter Nieder, Experte für Fehlzeiten und von 1995 bis 2002 Professor für Personalführung an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, schreibt in seinem Buch »Fehlzeiten wirksam reduzieren«:
»Jedes Unternehmen muss mit einem bestimmten ›Sockelbetrag‹ an Fehlzeiten leben. Ein wichtiger Aspekt ist das Ausmaß der Beeinflussbarkeit der Fehlzeiten. Dieses Ausmaß liegt vor allem in der Reduzierung der motivationsbedingten Abwesenheiten. Die medizinisch bedingte Arbeitsunfähigkeit beläuft sich auf ca. 3,0 % und der motivationsbedingte Absentismus auf ca. 2,0 %. Das heißt, 2/5 der Fehlzeiten können durch Aktivitäten im Bereich der Arbeitssituation beeinflusst werden.« (Nieder 1998)
Die Academy of Innovation HR (AIHR) aus den Niederlanden geht in ihrem Blogartikel »Absentismus am Arbeitsplatz – Ein umfassender Leitfaden« (van Vuplen o. J.) sogar von einem durchschnittlich nicht beeinflussbaren Sockelbetrag von 1,5 % aus und beruft sich auf eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2012.
Bestimmt beeinflussen seit der COVID-19-Pandemie die Atemwegserkrankungen die Abwesenheit mehr als früher. Dagegen stehen eine bessere Gesundheitsprävention sowie gesündere und sicherere Arbeitsplätze als früher. Selbst wenn wir uns auf einen Wert von 2,0 bis 3,0 % als Sockelbetrag einigen, ist sehr wahrscheinlich das Delta zu Ihren betrieblichen Zahlen und das Potenzial an Optimierungen schnell ersichtlich.
Absentismus
AbsentismusLaut Gabler Wirtschaftslexikon kennzeichnet der Absentismus (im Gegensatz zum Krankenstand) ein Arbeitnehmerverhalten im Zusammenhang mit Fehlzeiten, dem ein motivational bedingter Entschluss zugrunde liegt. Oder einfacher: Mitarbeitende gehen trotz Arbeitsfähigkeit nicht zur Arbeit.
Die Ursachen sind vielfältig und im beruflichen sowie im privaten Umfeld beheimatet. Generell gilt: Je zufriedener eine Person ist, desto weniger Gefahr besteht für Absentismus.
Abb. 10:
Absentismus – berufliche und private Ursachen
Ergänzend schreibt Prof. Dr. Peter Nieder: »Ich behaupte, dass Absentismus, also die motivationsbedingte Abwesenheit, zum größten Teil durch Führungsdefizite verursacht wird.« (Nieder 1998)
Dieser Meinung folge ich zu 100 %. Deshalb werde ich in den Kapiteln 6 und 7 intensiv auf die wichtigsten Führungskompetenzen hinsichtlich der Reduzierung von Fehlzeiten eingehen. Die Erfahrung zeigt, dass Führungskräfte viel mehr Möglichkeiten haben, auf die beruflichen Ursachen Einfluss zu nehmen, als sie sich bewusst sind. Hier möchte ich Unterstützung bieten.
Im Gegensatz zum Absentismus steht der Präsentismus: Mitarbeitende gehen zur Arbeit, obwohl es möglicherweise angebracht wäre, zu Hause zu bleiben.
Präsentismus
PräsentismusLaut der Krankenkasse BARMER geht die Hälfte der Deutschen trotz Erkältungserscheinungen, Migräne oder Depressionen zur Arbeit, statt sich krankschreiben zu lassen. (BARMER 2024) Aber auch dies ist kein neuartiges Phänomen, wie die Studie von Boris Hirsch, Daniel S. Lechmann und Claus Schnabel aus dem Jahr 2017 mit 54,6 % zeigt.
Laut dem Kooperationsprojekt »Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Längsschnittanalyse in deutschen Betrieben« des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, der Universität Köln sowie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) waren es 2016 sogar 69 % der Befragten, die mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit gingen. Tatsächlich sind aktuelle Zahlen hinsichtlich Präsentismus gesamtwirtschaftlich sowie auf betrieblicher Ebene schwer zu ermitteln, da nur die Arbeitsunfähigkeiten mit Nachweis erfasst werden. (IAB 2020)
Bei Präsentismus wissen wir, dass Arbeiten trotz Erkrankung für die Firmen hohe Kosten verursachen kann. Zum einen führen verschleppte Erkrankungen zu weiteren Be- und Überlastungen, womit die Gefahr von chronischen und langfristigen Erkrankungen steigt. Zum anderen führt Präsentismus zu einer niedrigeren Produktivität durch leistungsgeschwächte Mitarbeitende.