Fernsucht - Rolf Wilhelm Stärk - E-Book

Fernsucht E-Book

Rolf Wilhelm Stärk

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Beschreibung

Rolf Stärk ist ein Globetrotter, wie er im Buche steht. Ob Sansibar, Syrien oder Spitzbergen: kein Weg war zu weit, kein Ziel zu ausgefallen, keine Herausforderung zu groß. Dutzende Länder rund um den Globus hat der Kölner in den vergangenen Jahrzehnten bereist, viele davon mit seiner Frau Ulrike und seinen beiden Hunden Vasco und Balou. Die zahlreichen Abenteuer, die der Weltenbummler unterwegs erlebt hat, hat er nun in einem ebenso packenden wie authentischen Werk verewigt. Eine Hommage an die Liebe zum Reisen, gespickt mit kurzweiligen Anek­doten, die mal skurril, mal dramatisch, mal nachdenklich ausfallen und garantiert für Fernweh sorgen!

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Seitenzahl: 383

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In der Abenteuer REISEN-Reihe bisher erschienen:

Band 1: „Geliebtes Australien“ von Barbara Barkhausen (978-3-95503-012-4)

Band 2: „Verrücktes Australien“ von Daniel Kramer (978-3-95503-032-2)

Band 3: „Geliebtes Kanada“ von Marc Lautenbacher (978-3-95503-051-3)

Band 4: „Geliebtes Griechenland“ von Kurt Schreiner (978-3-95503-054-4)

Band 5: „Geliebtes Brasilien“ von Klaus D. Günther (987-3-95503-064-3)

Band 6: „Fremdes Japan“ von Thomas Bauer (978-3-95503-095-7)

Band 7: „Fremdes Neuseeland“ von Ann Kathrin Saul (978-3-95503-098-8)

Band 8: „Fremder Iran“ von Iris Lemanczyk (978-3-95503-107-7)

Band 9: „Fremde Mongolei“ von Bernhard Wulff (978-3-95503-110-7)

Band 10: „Wild Road Trip“ von Mathias Vatterodt (978-3-95503-119-0)

Band 12: „Walk It Off“ von Ann Kathrin Saul (978-3-95503-174-9)

Alle Bücher sind auch als E-Book erhältlich.

Inhalt

Einleitung

Teil 1: Flucht um die halbe Welt

Thailand – fleilei en weiwei

Neuseeland – let’s abseil

Bizarr – Von Sydney nach Melbourne

Fidschi – Singende Riesen

Hongkong – 19 Köstlichkeiten

Indonesien – Kota von Kuta

Indien – 007 im Maharadschapalast

Fadenwunder

Khajuraho

Wüstentravestie

Ostafrika – Dreimal summen bedeutet Nashorn

Sansibar – Seeräuber-Jenny

Fragen über Fragen

Omanischer Stierkampf

Abu Dhabi, Dubai – Brüchige Zukunftsplanung

China – Kaijass Nummer Null

Tibet – Hand-Stoßgebetsmühle

Kathmandu – Heilige Manneskraft

Grönland – Mückenpicknick

Spitzbergen – Besuch im Außerirdischen

Teil 2: Rund um die Ostsee

Das Reisemobil-Gespann

Schweden, Norwegen – „Tomgangskörning“

Finnland: „YII – II“

Litauen – „Rukymas“

Antanas

Linksmiau

Teil 3: Rund ums Mittelmeer

Feliz Navidad

Marokko – Einreise

Parkplatzgeburtstag

Die Wüste lebt

Sand

Zuständigkeitswirrwarr

Portugiesische Wirtschaft

Zwischendeck

Italien – Die Braut, der Müll und das Behindertenklo

Libyen – Gaddafis Land

Jordanien – Flohzirkus

Prima Klima

König und Jordanland

Jamal

Syrien – Deutscher Pfeffer

Valentinstag

Türkei – Auftrag ist Auftrag

Überraschungsbesuch

Radetzkymarsch

Ulrikes Korrektur

Auf dem Rückweg – Marco Polo

Sardinien – Der Fabio-Effekt

Das Haus und der Überleger

Silvio, Salvatore und der Brillenkauf

Schneewittchen und die 32 Riesen

Und zum Schluss auch das noch: Businessbreakfast

Abgesang

„Die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sind fließend. Irgendwo dazwischen findet man die Anekdote. ... Sie siedelt nicht nur zwischen Fakten und Fiktion, sondern auch zwischen Öffentlichkeit und Privatleben, zwischen wichtig und unwichtig, oben und unten, zwischen Witz und Verwunderung, Lachen und Kopfschütteln.“

(Peter Köhler in: „Donnerwetter! Da hab’ ich mich umsonst besoffen“)

Für Lotta und Reentje – die wissen schon, warum.

Einleitung

Ich könnte heulen: die Weltkarte kennt keine weißen Flecken mehr. Alle Geografie ist nicht nur längst erforscht, genau kartografiert und übers Internet digital zu bereisen, sondern jeder Ort der Welt einschließlich der Pole ist auch touristisch erschlossen (und sei das Ziel auch noch so exklusiv statt All inclusive). Wie es aussieht, werden wir demnächst Earth Watching auf der ISS oder dem Mond buchen können. Reiseführer beschreiben jeden Winkel der Erde und bereiten eine Reise wie das Menü von Burgerketten auf: die zehn wichtigsten Highlights auf einen Blick. Was danach kommt, sind Details zum Rauspicken, Appetithäppchen sozusagen. Das individuelle Reisen bringt hier und da noch zu meisternde Problemchen und Gefahren, die sich leicht vermeiden lassen. So kommt es, dass Menschen, die beim Reisen noch wirkliche oder vermeintliche Abenteuer erleben wollen, sich mutwillig in Gefahren begeben, die die Abenteurer und Entdecker vergangener Jahrhunderte ohne Not und übergeordnete Ziele nie auf sich genommen hätten. Derlei künstlicher Nervenkitzel ist für mich so unattraktiv wie Extrem-Alpinismus oder Bungeespringen. Das wahre Reisen findet in unseren Köpfen statt, da hilft kein Reiseführer und kein GPS mehr, keine Agentur und kein Satellitentelefon. Und wie erfrischend unausgetreten sind die Pfade des längst Entdeckten, wenn man sie in den Sandalen der eigenen Subjektivität erwandert!

Für Reiseplanungen habe ich nicht viel übrig: sie sind mir schlicht zu anstrengend. Natürlich sind sie nicht gänzlich verzichtbar, wenn man nicht gerade in der Monsunzeit in den Tropen unterwegs sein möchte, im Winter in der Mongolei oder ohne Unterkunft nächtens in irgendeiner gottverdammt unbekannten Weltecke herumstehen will. Blöd ist es auch, herumzureisen und später lesen zu müssen, dass man an einem weltweit einzigartigen Ort vorbeigefahren ist, ohne diesen wahrzunehmen. Ein mitgeführter Reiseführer kann da hilfreich sein. Aber je besser der Reiseführer, desto langweiliger fand ich seine Lektüre, denn Reiseführer sind Nachschlagewerke; sie wie ein Buch durchzulesen, erscheint mir quälend. Wohlgemerkt: Hier ist nicht die Rede von einigen wirklich guten Reiseschriftstellern wie Paul Theroux, Bill Bryson oder auch Roger Willemsen, um nur drei zu nennen, aber deren Beschreibungen sind alles andere als Reiseführer. Zudem liegen viele der hier geschilderten Begebenheiten oft Jahre zurück und sind schon deshalb als Reiseorientierung untauglich.

Wer hier jetzt eingehende Beschreibungen der bereisten Orte erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Was ich im Folgenden wiedergebe, sind Begebenheiten, die ich so beim Reisen nicht erwartet habe. Erhabenes würde man vergeblich suchen. Wem erschiene es nicht als Traum, irgendwann im Leben – in der Jugend, im Ruhestand oder dazwischen – die Welt zu bereisen? Muss es nicht ganz und gar wunderbar sein, Schönheit und Rätseln unserer Erde, ihrer Völker und mannigfaltigen Kulturen auf den Grund zu gehen? Gar, in den Fußabdrücken eines Alexander von Humboldt zu wandeln? Unfug! Ist denn nicht einer unter all den Verfassern von Reiselektüre dazu bereit, mit diesem Märchen aufzuräumen? Mal abgesehen davon, dass Humboldts Reisen entsetzlich beschwerlich und nur von wissenschaftlichem Ehrgeiz angetrieben waren, ist er in all den Jahrzehnten gar nicht durch die ganze Welt gekommen. Dem Normalsterblichen bleibt, wollte er wirklich durch alle Kontinente, gar keine Zeit zu gründlicher Erkundung. Vieles bleibt oberflächlich, nur in Ausnahmefällen lernt er Menschen wirklich kennen. Das Erinnern an Reiseerlebnisse beleuchtet das Schöne und Spannende, die unzähligen Unerfreulichkeiten und Enttäuschungen werden vergessen, Langweiliges und Banales ausgespart. So ähnlich ist es auch mit den Reisefotos. Frust fällt der Verdrängung anheim.

Meist habe ich mir ein Ziel ausgesucht und bin dann los nach dem Grundsatz, dass jede gute Fernreise zu Fuß und mit der Straßen- oder Eisenbahn beginnen muss, und sei es, dass die erste Etappe nur zum Flughafen führt. Daraus waren zuvor Reisen durch Amerika, Sri Lanka, Jordanien, Jemen, Indien usw. geworden. Aber immerhin hatte ich mir vorher ein paar Gedanken über das Reiseziel und die Jahreszeit gemacht und mir ein möglichst günstiges Ticket besorgt, mit anderen Worten, ich hatte eine rudimentäre Planung aufgestellt. Das war aber noch immer nicht spontan genug, fand ich. Da fehlte noch der gewisse Kick. Das war ein Luxus, den ich mir heute so nicht mehr leisten könnte. Denn heute wachsen zu meiner Bestürzung und großen Trauer wieder neue weiße Flecken auf der Weltkarte. Der Grund findet sich in politischen und vor allem sozialen Katastrophen, die immer mehr Länder in immer mehr Kontinenten nahezu unbereisbar machen. Jedenfalls dann, wenn man um seine Unversehrtheit oder Freiheit besorgt ist. Die zunehmende Auflösung staatlicher Ordnung, der Terror korrupter Regimes und deren unterbezahlter Büttel, der Hass zwischen um Pfründen konkurrierender Stämme und Religionsgruppen und das wachsende soziale Elend der ums Überleben Kämpfenden errichten Barrieren, die es vor Jahren in dieser Zahl nicht gab.

In einer Welt, in der entfesselte Finanzmarkt-Tsunamis ungehindert um den Globus jagen, stößt der Reisende paradoxerweise auf immer mehr Schranken. Die Ausbeutung unseres Planeten macht ihn kleiner.

So offenbart sich mir das am wenigsten Erwartete meiner Reisen erst jetzt: wie kurz kann die Zeit sein, in der sich Welten radikal verändern! Die Reisen durch die hier beschriebenen Länder sind noch nicht lange vorbei, aber Landstriche, die zu der Zeit fast nur Einzelreisende kannten, sind inzwischen vom Massentourismus gründlich verändert und wer die täglichen Meldungen über Libyen oder gar Syrien vor Augen hat, muss bei der Lektüre der folgenden Seiten glauben, in eine Traumwelt entführt zu werden.

Teil 1:
Flucht um die halbe Welt

Thailand – fleilei en weiwei

Anfang 1996 fuhren Ulrike und ich mit zwei winzigen Rollkoffern (sie sollten, um nicht verloren zu gehen, als Handgepäck durchgehen) mit der Bahn zum Flughafen Frankfurt, um ein halbes Jahr herumzubummeln. Ulrike ist heute meine angetraute Ehefrau, damals aber war sie meine Gefährtin, mit der ich durchgebrannt war. Und das kam so:

Ich lebte seit 26 Jahren in einer Viererbeziehung, die ursprünglich einmal von den Ideen der Kommunarden vom Schlage der Berliner „Kommune 1“ beflügelt war. Diese Ideen liefen im Großen und Ganzen darauf hinaus, die starren Regeln der „bürgerlichen“ Zweierbeziehungen zu unterlaufen und den Beweis zu führen, dass Eifersucht nichts anderes sei als das Streben, einen anderen Menschen zu „besitzen“. Natürlich stimmt das, aber der Versuch, sich daraus zu befreien, erwies sich jäh als schrecklich kompliziert: Er war eingebettet in leidenschaftliche und leidvolle Beziehungs-, Eifersuchts- und Liebesdramen, die in endlosen Gemeinschaftssitzungen zu besprechen, aber kaum zu lösen waren. Das Ganze steuerte mehr als einmal fiebrig auf eine Katastrophe zu. Um Ruhe und Stabilität herzustellen, wurden also Regeln aufgestellt, die mindestens so starr waren, wie die „bürgerlichen“, die abzuschaffen wir angetreten waren. Wenn dann noch Kinder ins Spiel kommen, wird die Sache keinesfalls einfacher. Es war eine aufregende Zeit und ich erinnere mich mit Wehmut auch an zahlreiche glückbringende Wochen und Monate. Dabei drängt sich nagend die Frage auf, ob nicht zu einem Teil auch das Bedauern über den Verlust der eigenen Jugend die Erinnerungen beeinflusst. Oberflächlich war es jedenfalls nie und immerhin hat diese Viererbeziehung länger gehalten als viele bürgerliche Zweisamkeiten.

In der langen Zeit hatten wir selbst und unsere Beziehungen sich natürlich verändert, wir waren nicht mehr Dieselben. Es gab Narben, die zumindest bei mir nie ganz verheilten, und in mir bohrte der Wunsch, zumindest unser überholtes Regelwerk zu ändern. Genau das aber erschien mir absolut unmöglich, ich fühlte mich von Zwängen umstellt wie ein Affe von den Gitterstäben seines Käfigs. Da ich seit jeher gerne reiste, lag der Gedanke an eine gründliche Flucht nicht fern, und so machte ich mich einfach davon, und zwar mit Ulrike, die ich schon früher während meiner Arbeit in Köln kennengelernt hatte und der ebenfalls der Sinn nach Veränderung stand. Ich erlag der süßen Illusion, die Wirklichkeit für begrenzte Zeit gegen eine andere Wirklichkeit eintauschen zu können und damit die erstere zu verändern. Nach sechsmonatiger Abwesenheit kehrte ich zurück mit der vagen Hoffnung, wir könnten gemeinsam doch noch was an unseren Kommuneregeln ändern. Ich spürte immer noch den Wunsch, weiter in der Gemeinschaft zu leben, aber daraus wurde nichts. Ich halte mich nicht für sonderlich ängstlich oder harmoniesüchtig, aber rückblickend erscheint mir mein Handeln nicht gerade als Sternstunde von Heldenmut und Konfliktfreude. Immerhin entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn jemand aufbricht, die bürgerliche Ehe radikal zu verändern, um dann nach Jahrzehnten wieder am Ausgangspunkt zu landen und zu heiraten.

Aber zurück zum Frankfurter Flughafen. Der legt übrigens Wert darauf, als „Fraport Rhein/Main“ bezeichnet zu werden, eine Abkürzung, die mir phonetisch nicht sonderlich geglückt erscheint: „Haport“ für Hamburg z.B. ginge ja noch, aber was wäre mit „Düport“, „Müport“ oder „Köport“ für Düsseldorf, München, Köln?

In der Abflughalle studierten wir mit Was-kostet-die-Welt-Mienen die große Abfluganzeige. Also, was hatte der Fraport da zu bieten? Hm, Bangkok, Thai-Air, in einer Stunde, nicht übel. In der Abflughalle wimmelt es von Reisebürovertretungen, wir betraten die nächstbeste und verlangten Tickets für die 14-Uhr-Maschine nach Bangkok. Es gab noch ein paar freie Plätze. Die Reisebürofrau schaute in ihren Computer, und während ihre Augen über den Bildschirm flirrten, überlegte ich, warum alle Reisebürofrauen so attraktiv wie in einem Casting für eine amerikanische Vorabendserie aussehen.

„Haben Sie ein Visum?“ – „Nein.“ – „Tja, dann geht Einfachflug nicht. Sie brauchen ein Rückflugticket. Kostet 2800 Mark.“ Verdammt. Wir gaben ihr unser Ehrenwort, uns die Sache ganz bestimmt zu überlegen und verschwanden in das nächste Reisebüro. Dort richteten wir dieselbe Frage an die gleiche Castingfrau, deren Augen ebenso entzückend über den Bildschirm mäanderten. Sie hatte kürzere Haare als die vorige. „Einfachticket geht, aber erst übermorgen, kostet 1800 Mark.“ Drittes Büro, grasgrüne Fingernägel und ein Hauch von Brille über intensivem Augen-Makeup. Langsam wurde die Zeit knapp. „Wie wäre es mit einem Einfachflug nach Neuseeland mit Zwischenstopp in Bangkok? Kostet 1500 Mark, Thai-Air um 14 Uhr, wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es noch.“

Morgens um sieben landeten wir, und meine Eitelkeit befahl mir, meiner Begleiterin Weltläufigkeit vorzuführen. Wehe, man ließ sich an einem solchen Ort in irgendein Taxi fallen! Man wendet sich an eine autorisierte Taxistelle, die sorgfältig Fahrtziel und Autonummer notiert und den offiziell festgelegten Fahrpreis im Voraus kassiert, um den Touristen unangenehme Erfahrungen zu ersparen. Mir war das selbstverständlich bekannt. Aber wo war die offizielle Taxistelle? 250 Meter rauf, 250 Meter runter – ein Kilometer mit Rollköfferchen also. Keine Taxistelle, aber hunderte von Taxifahrern, die uns laut schreiend ihre Dienste anboten. Ulrikes Bewunderung meiner Weltläufigkeit drohte Schaden zu nehmen, also ließen wir uns in irgendein Taxi fallen. Korrekt wurden wir wunschgemäß an einem mitten im Zentrum gelegenen Hotel an der Sukhumvit Road abgeliefert. Es hieß „Ruamchitt Travelodge“ (jawohl: mit nur einem l) und wurde von einem Dänen geführt, der seltsamerweise auf den Namen „Pawana Techavimol“ hörte. Mit Dänen kenne ich mich aus, die heißen normalerweise anders, aber der hier sprach eindeutig dänisch und sah wie ein Wikinger aus.

Bangkok erschien mir mäßig attraktiv. Es stinkt, es ist lauter als sonst irgendwo auf der Welt und wir schafften es nicht, die Hauptstraße zu überqueren. Man konnte eigentlich nur immer um den Block laufen, wenn man nicht überfahren werden wollte. Fand man eine Fußgängerbrücke hinüber in einen benachbarten Block, wurde es auch nicht schöner. Hungrig schlichen wir an Schmuddelrestaurants vorbei, grellrote „Massage-Parlor“-Leuchtreklamen blendeten, Touristen schleppten Thaimädchen ab. Downtown Bangkok schien nicht die beste Gegend zu sein. War es aber, denn weiter draußen wurde es noch schlimmer. Entmutigt gingen wir zum Hotel zurück, wollten essen, duschen und schlafen.

Das Restaurant des „Ruamchitt“ war hell und freundlich und durchaus passabel. Wir studierten die thailändisch beschriftete Karte mit abenteuerlichen englischen Übersetzungen und waren ratlos. Mit einem Nasi Goreng fühlte ich mich auf der sicheren Seite und da mich nach Gehaltvollem dürstete, fragte ich die elfenhafte kleine Kellnerin, ob es Wein gäbe. Geschwind wurde mir eine Getränkekarte vorgelegt, die überwiegend Cocktails anbot und wir entschieden uns für einen Sauvignon Blanc, weil der überall auf der Welt in etwa gleich gut schmeckt. „Fleilei en Weiwei!“ fasste die Kellnerin unsere Bestellung zusammen. Korrekt, denn das heißt nichts anderes als fried rice and white wine, gebratener Reis und Weißwein also. Ein wenig pikiert schauten wir dann auf die Schnapsgläschen, die uns serviert wurden. Offenbar hält man hier Sauvignon Blanc für einen hochprozentigen Fusel. Ich sprach den dänischen Chef Pawana Techavimol auf die Sache an und der grinste. „Det er sikkert, fordi hun har prøvet den!“, meinte er (Das hat sie sicher gemacht, weil sie ihn vorher probiert hat“) und sorgte für anständig gefüllte Weingläser.

Duschen war ein Problem: Der Duschkopf war fest in die Wand zementiert, was ich ohnehin hasse, denn ich liebe es, mich mit der Handbrause von allen Seiten und von unten abzubrausen. Das „Ruamchitt“ jedoch war perfekt auf das Gardemaß der Einheimischen geeicht, die Duschköpfe waren demnach auf einer Höhe von knapp 1,50 Meter in der Wand befestigt. Das zwang mich, kniend zu duschen und meine Intimitäten in kamasutrawürdigen Haltungen dem Duschkopf entgegen zu recken.

Am folgenden Tag bestiegen wir einen Sightseeing-Bus und schauten uns all das an, was man laut Reiseprospekten an Schönheiten der thailändischen Hauptstadt erwarten darf, einschließlich einer ausgiebigen Fahrt mit einem der seltsamen Flachwasserboote, die wie Jets über die Kanäle schießen. Wir bewunderten den berühmten schwimmenden Markt, der seine enormen Abfälle dem Wasser des Klongs schenkt und erfuhren, dass ein riesiger Buddha aus purem Gold einen Wert von ca. 125 Millionen US-Dollar hat. Wer will sowas wissen? Bangkok muss irgendwann mal eine sehr schöne Stadt gewesen sein. Was wir gesehen hatten, reichte uns. Im Stillen schämte ich mich ein wenig: Müsste ich denn nicht wenigstens ein bisschen begeistert sein? Dankbar war ich zwar und jedenfalls fasziniert, aber was sollte mich hier begeistern? Sicher gab es die Möglichkeit, in die zweifellos vorhandenen tieferen Schichten der Stadt einzutauchen, etwa das kulturelle und gesellschaftliche Leben und die Besonderheiten einzelner Viertel zu erkunden, aber dazu hätten wir in diesem Moloch Monate gebraucht, die wir nicht opfern wollten, schließlich war nicht Bangkok, sondern Neuseeland unser erstes Ziel.

Da wir von einer thailändischen Trauminsel gelesen hatten, die zwischen Thailand, Kambodscha und Vietnam liegt und Koh Samui heißt, beschlossen wir, dahin zu fliegen. Ein kleines ziemlich schwankendes Propellerflugzeug, das bedeutend älter aussah, als ich es mir gewünscht hätte, beförderte uns.

So eine Trauminsel hat Palmen, Strand, 45 Grad im Schatten, 95 Prozent Luftfeuchtigkeit, palmgeflochtene Strandbars mit Becksbier, deutsche Ruheständler und mörderische Wellen zu bieten, und immer wieder sturzbachartigen Regen, der wenigstens schön warm ist und schlammige Pfützen hinterlässt, die ähnlich einfach zu überqueren sind wie die Hauptstraßen in Bangkok. Immerhin hatten wir eine passable Pfahlhütte am Strand und genossen die Zeit, so gut das mit der Hintergrundakustik einer nahegelegenen Kickboxarena und einer benachbarten Karaokebar möglich war. Trauminsel? Allenfalls auf den betrügerischen Fotos der Reiseprospekte. Schönheit? Verbaut. Liebenswürdige Menschen? Vielleicht, aber die, die wir kennenlernten, waren mit Geschäftemachen beschäftigt. Der Tourismus hatte der Insel ein groteskes Gesicht gegeben und wir begriffen: Wir waren Teil des Problems. Überhaupt ist das mit Trauminseln so eine Sache, wie wir bald auf Fidschi lernen würden. Von Trauminseln sollte träumen und sie im Übrigen links liegen lassen, wem es nicht gerade darum geht, seine Zeit mit am Strand oder Pool servierten Cocktails zu verbringen oder mit Gleichgesinnten anzubändeln.

Neuseeland – let’s abseil

Nach endlosem Nichtraucherflug (damals gab es noch Flugzeuge mit Raucherzone, aber nicht nach Neuseeland via Sydney) Landung in Auckland. Ich hatte mir die Entzugserscheinungen schlimmer vorgestellt: Zittern, Schweißausbrüche, Herzrasen, Erektionen, Durchfall. Stattdessen: Halluzinationen, Kicheranfälle, weise Gedanken. Dennoch freute ich mich nach zwölf Stunden auf eine Zigarette, aus der aber nichts wurde. Die Immigrationsbeamten kündigten uns nämlich an, uns mit der nächsten Maschine nach Bangkok zurückzuschicken. Donnerwetter, was für ein Empfang, dachte ich, fehlen nur der rote Teppich und eine Blaskapelle.

Die Abflugkontrolle der Thai-Air in Bangkok hatte versäumt, uns auf die Notwendigkeit eines „on-going tickets“ hinzuweisen. Neuseeland will die Garantie, dass ansonsten durchaus geschätzte Reisende irgendwann dieses Land wieder verlassen und dazu müssen sie ein Ticket vorweisen, das aus dem Land wieder raus führt. Das hatten wir nicht. Blöd, dachte ich, noch mal zwölf Stunden, das macht 24 Stunden ohne eine einzige Zigarette. „Wann ist denn dieser Rückflug?“, wollte ich wissen. Der Beamte betrachtete mich schläfrig, aber nicht unfreundlich. „In eineinhalb Stunden. Qantas. Sie dürfen den Transitbereich nicht verlassen.“ Das war der Tipp, der uns gefehlt hatte. Zwischen uns und dem Abflugbereich lagen nur eine Rolltreppe, die in Gegenrichtung fuhr und ein Behindertenaufzug, und der fuhr in beide Richtungen. Im Abflugbereich gab es ein Büro von British Airways. Dort kauften wir zwei Linientickets nach London, die wir im Verlauf der weiteren Reise immer wieder umschreiben lassen würden, das Geld erhielt ich später in Köln zurück; damit war das Problem gelöst.

Erster Eindruck von Auckland: ziemlich provinziell trotz einiger nicht durch besondere Architektur auffallender Hochhäuser, aber freundlich. Zweiter Eindruck: verdammt provinziell, aber durchaus einladend. Unten am Hafen gibt es eine Terrasse mit guten Meeresfrüchten und einem ganz hervorragenden neuseeländischen Weißwein mit dem Namen „Marlborough“.

Wir mieteten natürlich ein Wohnmobil, das ist die eindeutig beste Weise, die beiden Inseln zu bereisen. Es handelte sich um einen kleinen Toyota mit spartanischem Campingausbau. Ich musste mich erst mal an den Linksverkehr gewöhnen und daran, dass Handbrems- und Schalthebel vertauscht sind. Aber es gab so wenig Autoverkehr außerhalb der Städte, dass es eigentlich egal war, auf welcher Straßenseite gefahren wurde.

Am nächsten Morgen hatten wir einen platten Reifen und bei näherer Betrachtung sah ich, dass auch die übrigen Reifen in jämmerlichstem Zustand waren. Nach der Reserveradmontage fuhren wir wutschnaubend zur Verleihfirma zurück und erfuhren, dass laut Vertrag für Verschleißteile, wie zum Beispiel Reifen, der Mieter zuständig sei. Nach einem ordentlichen Krach konnten wir mit neuen Reifen unsere Reise fortsetzen.

Neuseeland macht es einem Spötter nicht eben leicht, denn das Land (erdgeschichtlich eigentlich ein eigener Kontinent wie Australien) lässt einen Neuankömmling zwar staunen, aber es bietet nur wenig zu meckern und sonderlich Komisches findet sich auch nicht. Die urzeitlichen riesigen Farnbäume sind erhaben, die vielen Klima- und Vegetationszonen verblüffend, die Steaks gargantuesk, die Sounds (Fjorde) so wundervoll wie die Vulkangegend von Rotorua oder die Gletscher des Mount Cook. Die Kriegstänze der die Zunge ausstreckenden Maori (die Engländer glaubten lange, die furchtbarste Nahkampfwaffe sei ihr Bajonett, bis sie die Kampfhölzer der Maori kennenlernten) sind ebenso furchterregend wie die neuseeländischen Witze. Komisch ist allenfalls, dass es ausgerechnet eine französische Ortschaft namens Akaroa – eine der schönsten im Land, auf einem Kap gelegen – gibt, die von keinem der gängigen Reiseführer auch nur erwähnt wird.

Na ja, bei genauerem Hinsehen darf man getrost auch Karamea empfehlen, dort sind die hinterwäldlerischsten Hinterwäldler im Alter von fünf bis 95 Jahren zu besichtigen. Der Ort kam uns wie ein Freilichtmuseum einer längst vergangenen Zeit vor, in der es weder Telefone noch Radios oder Zeitungen gab und die Siedlungen so weit auseinander lagen, dass man kaum Kontakt untereinander hatte. An einer Scheunenwand an der Wiese, die uns ein Schild als Übernachtungsplatz zuwies, waren eine Reihe rätselhafter Gerätschaften angeordnet, die im Wesentlichen aus dicken stählernen Schraubenfedern mit aufmontierten ledergepolsterten Platten bestanden. Mir ließ die Sache keine Ruhe und so fragte ich am nächsten Morgen einen bärtigen Einheimischen. Wortfaul, aber freundlich verzichtete er auf lange Erklärungen, die ich sowieso kaum verstanden hätte (der hiesige Dialekt steht bei mir im Verdacht, ebenfalls aus der Zeit der Kolonisierung durch die Engländer zu stammen), schniefte durch die Nase, entfernte sich einige Meter von der Scheunenwand, nahm eigenartig geduckt Aufstellung, rannte mit einem Knurrlaut los und knallte tosend zuerst mit einer Schulter und dann nochmals krachend mit dem Kopf gegen das Polsterbrett. Ich war entsetzt. Nach der Zahl der Geräte musste sich ein erheblicher Teil der Dorfbewohner gruppenweise dieser selbstmörderischen Lustbarkeit hingeben. Mit Anerkennung heischender Miene entfernte sich unser Mann, nicht ohne uns bedeutet zu haben, dass all das der Ertüchtigung für das Rugbyspiel dienen sollte.

Um ehrlich zu sein: Auch die Natur treibt ihre Scherze. Es ist nämlich absolut lohnend, den berühmten und atemberaubenden Panoramastrecken zu folgen (keineswegs ungefährlich), besonders an der Westseite der Nordinsel. Bei unserer ersten Fahrt dort entlang herrschte so dichter Nebel, dass wir nur die Scheibenwischer des Campers sahen. Also befuhren wir noch ein zweites Mal dieselbe Straße. Wieder Nebel, und diesmal auch noch Regen. Wir fragten uns jetzt, welcher Witzbold sich die Panoramalüge hatte einfallen lassen. Kein Zweifel: das Panorama findet nur auf Touristikplakaten statt. Auf denen sieht man niedliche kleine Pinguine, See-Elefanten, große Robben, Wale, steile Felsküsten und Sonnenschein.

Verblüffend fanden wir die dünne Besiedelung der beiden Inseln. Man stelle sich Mitteleuropa nahezu menschenleer vor: Die wunderbaren Jahreszeiten mit ihrem stetigen Wechsel von Farben, Gerüchen und unterschiedlichen Gesichtern ein und derselben Landschaften. Die Berge, Seen, Schluchten und Ebenen. Bei uns wird jeder größere Baggersee mit einem Café oder wenigstens mit einer Erfrischungsbude bestückt, von Windsurfern und Booten befahren und von Badenden bevölkert. Die Berge tragen Dörfer, Berghütten, Almen und erdulden Bergbahnen aller Art. Schluchten sind mit Aussichtsplattformen entlang wohlgepflegter Wanderwege versorgt. Die Ebenen sind verstädtert. Hier aber gibt es all das nicht. So wirkt das kleine Neuseeland mit seinen vielfältigen Klimazonen und der aufregenden Topografie einerseits wie eine Miniaturnachbildung des großen Europa, andererseits aber angesichts seiner relativen Unberührtheit und oft genug auch eingeschränkten Zugänglichkeit nahezu endlos.

Ach, fast hätte ich das aktuelle neuseeländische Englisch vergessen. Die erstaunlichen Höhlen von Waitomo haben zwei Zugänge: der eine ist ein behindertengerechter Seniorengang (von uns bevorzugt), der andere besteht in der Möglichkeit, sich aus großer Höhe abzuseilen, was auf Neuseeländisch „to abseil“ heißt. Also: I abseil, you abseil, he abseils. We would have abseiled, if we’d have been in the mood to abseil, but we were not. Da sich dort aber niemand wieder aufseilt, muss ich die entsprechende neuseeländische Vokabel schuldig bleiben. Yes, mate.

Bizarr – Von Sydney nach Melbourne

Außer dem Flughafen in Sydney bei einer Zwischenlandung hatten wir von Australien nichts gesehen Das wollten wir später nachholen. Wegen der geografischen und kulturellen Nähe zu Neuseeland also hier ein kleiner Einschub über einen Teil einer Reise in Australien, die erst 2013 stattfand. Ich betrachte ihn als repräsentativ für einen großen Teil dieses Kontinents.

Wir hatten ein wirklich gutes Hotel gebucht: das Sydney Sheraton mit Hafenblick, für uns Raucher sogar mit Balkon. Ergriffen standen wir nun darauf, verbrannten uns am Handlauf des Geländers die Finger und bewunderten das, was Australier unter Hafen zu verstehen scheinen: ein nicht sonderlich großes Wasserbecken mit ein paar Anlegern für jetartige kleine Katamaran-Ausflugsboote und einem Steg für kleine Yachten, der nur von einer kleinen Yacht belegt war und von allen anderen kleinen Yachten verschmäht wurde. Die Ausflugsboote waren allesamt im Besitz von „Captain Cook“, der sich und die Boote rätselhafter Weise mit der norwegischen Flagge schmückt. Kleine grellgelbe Wassertaxis sausen hin und her. Gesäumt wird das Becken von einer geschlossenen, hochmodernen Bebauung mit schön geschwungenen Dächern, die Hotels, Banken, zahllose Restaurants und Bars sowie einen „Wildlife-Park“, ein Aquarium und ein nautisches Museum behüten. Davor dümpeln ein Zerstörer und ein U-Boot im Wasser. Quer über das Wasserbecken spannt sich eine historische Drehbrücke, die den Tausenden von Spaziergängern vorbehalten ist, und um das Becken herum führt eine Flaniermeile, die in etwa so belebt ist wie eine deutsche Einkaufsmeile kurz vor Heiligabend. Über und um das Becken herum kriecht wie eine gläserne Made eine Einschienenbahn, „Disneyland!“, konstatierte Ulrike, „und das soll Sydney sein?“

Weit gefehlt, aber das sollten wir erst in den folgenden Tagen lernen. Es war erst Mittag und der Tag war noch lang. Einerseits. Andererseits war es so heiß, dass ein vernünftiger Mensch sich am besten in den Schutz einer Hochleistungsklimaanlage verkrochen hätte. Da schien uns der Wildlife-Park genau das Richtige zu sein, denn der ist von einer klimatisierten Halle überdacht und auf dem Weg zu und von dieser famosen Einrichtung konnten wir in irgendeiner verborgenen Ecke verstohlen eine Zigarette rauchen, eine Haltlosigkeit, die hier allenthalben auf mitleidvolle Missbilligung trifft. Selbst im Freien ist das Rauchen längst nicht überall gestattet und wir fühlten uns ein wenig, als hätten wir die Vertreibung aus dem Paradies verdient. Tatsächlich rauchten wir hier weniger als sonst, aber das war weniger der sozialen Ächtung als vielmehr den unfassbar hohen Tabakpreisen geschuldet. Überhaupt schien mir angesichts der Preise hier der Euro krass unterbewertet zu sein: Der Wildlife-Park verlangte 39,50 Dollar von uns, pro Person! Immerhin war der Laden sein Geld wert. Es wurden wirklich absonderliche Tiere gezeigt und ausführlich erklärt, die meisten allerdings hatten sich in der Mittagszeit unter irgendwelche Blätter, Wurzeln oder gleich ganz in die Erde zurückgezogen, aber das machte nichts, es gab Fotos von ihnen. Am interessantesten fand ich die giftigsten Tiere der Welt, von denen viele zweifellos auch zu den unsichtbarsten gehören. Aber natürlich gab es auch das weltweit größte Krokodil, und damit dieses sich am Ende nicht auch noch verdrücken konnte, gönnte man ihm nur ein winzig kleines Becken. Es wurden auch flauschige Kängurus jeglicher Größenordnung gezeigt, was etwa so anmutete, als müsse man in Deutschland für den Anblick von Kühen, Katzen oder Hunden bezahlen, denn Kängurus sieht man allenthalben, wenn man einfach durch die Landschaft fährt und zwar lebendige und totgefahrene. Das wussten wir aber am ersten Tag noch nicht. Schon Tage später würde Ulrike in Alice Springs im Outback wilde Zwergkängurus (Wallabys) aus der Hand füttern. Der Wildlife-Park weist auf all seinen vielen Geschossen mit großen Tafeln auf besondere Vorkommnisse hin, die mit Uhrzeiten und Ortsangaben versehen sind. Die Tierfütterung wollten wir uns nicht entgehen lassen. Wir hetzten also zur richtigen Zeit an eine entlegene Stelle und richtig: Da hatte sich eine große Menschenansammlung um eine junge Frau in Rangerkleidung gebildet. Als nächstes ereignete sich etwas typisch Angelsächsisches: Die Rangerin fragte, welche der Anwesenden nicht Australier seien. „Aufzeigen!“ Zaghaft erhoben sich einige Hände. Nun sollte ein jeder sich – unter dem Beifall der Menge – zu seinem Land bekennen. Natürlich waren wir dankbar, nicht auch noch das Deutschlandlied singen zu müssen. Dann folgten schnell vorgetragene Erklärungen in einem Englisch, von dem wir nicht sonderlich viel verstanden. Keine Spur von Tierfütterung.

Am frühen Nachmittag ließen wir den Wildlife-Park hinter uns. Ulrike suchte das kühle Zimmer auf, ich zog eine Besichtigung des maritimen Museums vor. Eintritt 40 Australische Dollar. Egal, das war es mir wert. In unserem Reiseführer wurden mir Einblicke in die Seefahrt der Ureinwohner und den Walfang der frühen Siedler in Aussicht gestellt, und in der Tat waren im Foyer noch vor der Kasse ein bemalter Einbaum und ein kleines offenes Walfangboot ausgestellt. Im Inneren fanden sich Zeugnisse der frühen Einwanderungswellen sowie zahllose Modelle von Segel- und Dampfschiffen aller Art, und merkwürdigerweise auch ein an der Decke aufgehängter Hubschrauber. Etwa zu 90 Prozent handelte es sich jedoch um ein Seekriegsmuseum, und ich war begeistert. Ich liebe einfach Kanonen jeden Kalibers, und wenn solche der neueren Bauart gar mehr als 70 Granaten in der Minute verfeuern können, dann verneige ich mich in Ehrfurcht und Bewunderung vor dieser Leistung. Ich könnte so was nicht. Interessant fand ich auch Seefunkanlagen, die unsichtbar hinter wandschrankgroßen grünen Blechen montiert sind, und auch die Schirmmützen der Marineoffiziere waren mir durchaus wichtig. Ich lernte eine Menge Neues, so überraschte mich der Umstand, dass auf den Erläuterungen der Museumstafeln die königlich australische Marine nicht nur den Ersten, sondern auch den Zweiten Weltkrieg gewonnen hatte. Später dann noch den Korea- und den Vietnamkrieg. Die verheerende Niederlage der Königlich Australischen Streitkräfte an den Dardanellen gegen den jungen Atatürk lässt sich kaum in einen heldenhaften Sieg ummünzen, also wird dieser Krieg einfach nicht erwähnt. Begriffsstutzig überlegte ich sogar einen Augenblick, wer denn wohl der König von Australien sein mochte. In den richtigen Glücksstrudel riss mich jedoch der Besuch der Kriegsschiffe. Die stählernen Deckplatten des Zerstörers waren so heiß, dass ich meine Schuhsohlen brutzeln zu hören glaubte. Unter Deck war es nicht minder heiß, aber schattig, denn es gab keine Fenster, sondern viele, viele Rohrleitungen mit Schlafpritschen für die Mannschaft, mit Funkräumen, Kombüsen und Feuerleitstellen dazwischen. Mir schwante, wie schrecklich der Dienst auf so einem Schiff sein musste. Schon der Anblick der türlosen Blechtoiletten ließ mich schaudern. Und erst das U-Boot! Den Film „Das Boot“ hatte ich mir zweimal angeschaut und dazu noch das Buch von Buchheim gelesen. Seitdem hatte ich mich nach einer Besichtigung eines echten U-Bootes gesehnt. Und jetzt war ich drin. Und war entsetzt. Im Film ging es ja schon eng zu, aber das sah nicht halb so schlimm aus wie das hier. Weit davon entfernt, ein Klaustrophobiker zu sein, konnte ich die Vorstellung nicht länger ertragen, dass so viele Menschen in einer derart engen Röhre tief unten im Meer ihr Leben aufs Spiel setzten. Zudem stößt man überall mit dem Kopf an.

In den folgenden Tagen unternahmen wir noch eine Bootsfahrt und eine Stadtbesichtigung und stellten fest: Sydney ist eine außergewöhnlich schöne und attraktive Stadt und hat auch richtig große Häfen und Traumstrände obendrein. Verblüffend ist die Geschicklichkeit, mit der die Australier moderne Wolkenkratzer in den Bestand alter Kolonialbauten integrieren, an denen wir uns nicht satt sehen konnten. Die Schönheit des berühmten Opernhauses bedarf keiner Detailschilderung, selbst aus engster Nähe wirkt es leicht und elegant und ich war von dem Umstand überrascht, dass es sich in Wahrheit nicht um ein einziges, sondern um drei Gebäude handelt. Wir waren begeistert von dem Prunk der Einkaufspassagen, -galerien und -arkaden aus viktorianischer Zeit. Etwas Ähnliches hatten wir bisher nur in Brüssel und Mexiko-Stadt gesehen. Während Ulrike zu einem Einkaufsbummel aufbrach, machte ich mich auf den Weg zu einem Technikmuseum. Dieses ließ zumindest eine funktionierende Klimaanlage erwarten, denn die Hitze war mittlerweile nahezu unerträglich geworden. Am Ziel musste ich feststellen, dass das Museum bereits geschlossen war und dass die Einschienenbahn, die mich zurückbringen sollte, eine Panne hatte. Am Abend erfuhren wir aus dem Fernseher, dass wir zwei Stunden durch die größte Hitze gewandert waren, die jemals in Sydney registriert wurde: 47 Grad Celsius im Schatten. Das war ganz schön viel, soviel kann ich verraten.

Ein Flugzeug brachte uns nach Alice Springs ins Outback. Fast in der Mitte des Kontinents gelegen, gilt diese wüstenartige Gegend im Sommer als der Glutofen Australiens und als Zentrum der Aborigine-Kultur. Mit einem gemieteten Geländewagen ging es über eine breite Piste zum Kings Canyon. Wir residierten in einem luxuriös angelegten Bungalow-Resort, die Zimmer waren geräumig und besaßen eine Terrasse sowie eine Jacuzzi-Wanne vor einer großen Schaufensterscheibe, die weite Blicke in die Gegend erlaubte. Den Wagen hatten wir von Deutschland aus gemietet und die Übergabe überraschte uns: „Wünschen Sie, auch auf ungeteerten Straßen zu fahren?“ Was für eine Frage! Wozu sonst hatten wir denn einen Allradwagen gemietet? „Dann kostet das 17 Dollar pro Tag extra!“ Eine Unverschämtheit. Das ist so, als hätte ich ein Boot gemietet und im Voraus bezahlt und sollte nun noch mal zahlen, falls ich den Hafen damit verließe.

Nach dem quirligen Sydney hatten wir uns auf die Stille und Einsamkeit des Outbacks gefreut. Und in der Tat, uns umgab Stille: Todesstille. Ein Buschfeuer hatte in der vergangenen Woche auch hier gebrannt und allerhand Zerstörungen angerichtet. Soweit wir von der Terrasse aus blicken konnten, waren alle Büsche, Sträucher und Bäume zu schwarzen Stümpfen verkohlt, die roten Felsen waren mit schwarzen Brandflecken bemalt. Das Feuer hatte es ersichtlich bis mitten hinein in die Anlage geschafft, und Gott weiß, wie die Leute es fertiggebracht hatten, die Bungalows vor Schaden zu bewahren. Die Luft flimmerte vor Hitze und selbst die abrupten Windstöße, die sehr kräftig sein konnten, brachten keine Erleichterung, denn die Hitze des Windes ließ die Augen brennen. Der Wind ist ein Wüstling, der das Feuer anfacht und weiter trägt. Und auch jetzt sahen wir nicht weit von uns wieder eine Rauchfahne. Kein Vogel flog, kein Tier war zu sehen. Hinter uns gab es eine Fläche, die verschont geblieben war, dort zwitscherten Sittiche und viele andere Vögel und ein hungriger Dingo schlich herum. Am späten Abend saßen wir auf der Terrasse und es war noch immer heiß. Mit solchen Abenden verbindet man die Erinnerung an das überlaute Zirpen von Zikaden. Die Stille hier dagegen war fast unheimlich. Und dennoch, wenn man genau hinschaute, entdeckte man winzige grüne Blättchen, die schon wieder durch die verbrannte Erde brachen. In diesem Gluttopf lässt sich die Natur vom Feuer nicht unterkriegen.

Wir hatten zwei Tage für zwei Wanderungen eingeplant, die man hier unternehmen konnte. Die eine sollte ziemlich anstrengend sein, etwa vier Stunden dauern und führte über die Ränder hoch hinauf um eine Schlucht herum, eine heilige Zeremonialstätte der Aborigines. Sie durfte wegen der extremen Hitze nicht nach acht Uhr morgens begonnen werden. Die andere war recht kurz und einfach, aber nicht weniger interessant und führte auf dem Grund der Schlucht entlang eines ausgetrockneten Bachlaufs bis zu deren Ende. Auch diese durfte zwischen zehn und 16 Uhr nicht mehr unternommen werden. Am Morgen waren wir um sieben zur letzteren aufgebrochen und betraten quasi eine andere Welt: Paradiesisch dichte Vegetation mit kühlendem Schatten erinnerte an eine Oase, die nicht palmenbestanden, sondern voller eigenartiger, uns meist fremder Pflanzen war. Auf dem Rückweg entdeckte ich am Ausgang ein Schild mit ausführlichen Sicherheitswarnungen und Notfallhinweisen. Da hieß es unter anderem, dass Wanderungen ab einer Temperatur von 30 Grad aufwärts lebensgefährlich sein können. Das kam mir ein bisschen übertrieben vor, denn selbst in der Nacht fiel die Temperatur kaum darunter. Die andere Wanderung wollten Ulrike und ich ausfallen lassen, uns stand nicht der Sinn danach, bei dieser mörderischen Hitze erst 170 Meter steil hinauf zu klettern und dann stundenlang dem Verlauf des Abgrundes zu folgen. Wir wollten stattdessen am Pool herumlümmeln und uns von dessen 28 Grad kühlem Nass erfrischen lassen.

Der Uluru oder Ayers Rock ist, wie fast alle irgendwie interessanten topografischen Besonderheiten, ein großes Aborigine-Heiligtum und mit Respekt zu behandeln, was nicht allen Besuchern einzuleuchten schien. Er soll keinesfalls bestiegen werden und steht im Eigentum der Ureinwohner. Ein Handlauf, der den lebensgefährlichen Aufstieg ermöglichte, wurde lange Zeit geduldet; dieser wird jedoch ab Oktober 2019 verboten. Von Ferne und im grellen Tageslicht erscheint der Monolith wie eine Abraumhalde eines Braunkohletagebaus oder irgendeiner Zeche. Aber nähert man sich ihm am späten Nachmittag oder gar bei Sonnenuntergang, dann leuchtet er rot wie ein Rubin und der Anblick ist ehrfurchtgebietend. Aus dem weithin ebenen Buschland ragt dieser Klotz, der sich noch volle zwei Kilometer unterirdisch fortsetzt, wie ein außerirdisches Wurfgeschoss hervor. Kein Wunder, dass er religiöse Empfindungen hervorruft. Religiös ist nicht ganz der richtige Ausdruck, denn es geht um Ahnenkult, Frauen- und Männergesetze und Traumzeitereignisse.

In Alice Springs begegneten uns Aborigines auf Schritt und Tritt und ihr Anblick war mitleiderregend. In farbloser, vernachlässigter Kleidung hockten sie in schweigenden Gruppen zusammen im Schatten eines Baums oder schlurften, ohne ihre Umgebung oder andere Menschen eines Blickes zu würdigen, durch die Stadt. Fast nie sah man sie bei einer Arbeit oder Dienstleistung. Wir kannten die Gründe nicht, Armut konnte jedenfalls kaum ausschlaggebend sein. Auch andere Völker wurden fast ausgerottet und ihrer Kultur beraubt und verhielten sich dennoch anders. Umso bedrückender wirkte auf uns, dass wir nie auch nur einen oder eine von ihnen hatten lächeln oder gar lachen sehen.

Zurück in Sydney brachen wir mit einem Reisemobil an der Küste entlang nach Süden auf, es war nicht mehr so heiß, wir ließen uns von der aggressiven australischen Sonne verwöhnen und von den freundlichen und höflichen Australiern grüßen. Alle unsere Nachbarn auf dem Campingplatz grüßten ständig. „How are you?“, murmelten sie zerstreut zu uns rüber und wir antworteten artig: „Fine, how are you?“, was meist eine merkwürdige Antwort auslöste: „Yeah, good day!“ So wechselte ich mit dem Nachbarn, der seine Gehhilfe trug, statt sie zu benutzen, sechs- bis siebenmal täglich Grüße und erfuhr auf diese Weise von seinem beständigen Wohlergehen. Statt „goodbye“ sagten sie „see you later“, was in der Regel einem vorsätzlichen Wortbruch gleichkam. Ihre Pluralbildung war ungewöhnlich gründlich: „Chickens“, „Childrens“, „Womens“ und „Mens“ las ich und war manchmal froh, überhaupt zu verstehen, was sie mir sagten. Eines ihrer Gesetze hatten wir auch schon kennengelernt: Es war verboten, in einem Abstand von weniger als vier Metern vom Eingang eines Cafés oder Restaurants auf dessen Terrasse zu rauchen. Das führte dazu, dass wir nur noch Etablissements mit einer Frontbreite von mehr als acht Metern aufsuchten, egal, was sie sonst noch zu bieten hatten. Zigaretten sind –wie bereits berichtet – nicht nur sehr teuer, sondern ihre Verpackung soll möglichst abschreckend wirken. Es handelt sich demnach um Einheitspackungen, die sich nur durch unterschiedliche, grässliche Fotos mit dazu gehörenden Belehrungen und Ermahnungen voneinander unterscheiden. Die Darstellungen sind so grauenerregend, dass sie schon wieder unglaubwürdig und abstumpfend erscheinen. Da gibt es unter anderem Fotodokumentationen von so erstaunlichen Diagnosen wie zum Beispiel Fußkrebs und Augenkrebs. Das Foto der kahlköpfigen elenden Leiche eines an Lungenkrebs Verschiedenen wird mit seinem angeblich erst vor vier Wochen aufgenommenen Foto konfrontiert. Es zeigt eine blühende Sportskanone Anfang dreißig mit wallender Mähne, die mich an Wolfgang Petry erinnert. In so kurzer Zeit konnte ihn keinesfalls der Krebs derart zugerichtet haben, ich vermute eine skandalös überdosierte Chemotherapie dahinter. Immerhin halfen uns diese Monströsitäten dabei, unsere Zigarettenschachteln auseinander zu halten. Ich wusste: Der Fußkrebs war Ulrikes, die Lungenleiche die meine.

Wie schon angedeutet: Es gibt hier Kängurus, Koalas, Wombats und allerlei anderes Getier, das uns fremd war. Wombats übrigens sind gemütliche Felltiere mit dem Aussehen von Meerschweinchen, allerdings so groß wie Hunde. Tagsüber schlafen sie in ihren Erdhöhlen. Wer sie betrachten möchte, kriegt meist nur einen behaarten Hintern zu sehen. Ähnlich verhält es sich mit den putzigen Koalas, die schlafen sogar 18 bis 20 Stunden am Tag. Nur die Kängurus sind ein wenig lebhafter. Da sie auf ihren Hinterbeinen balancieren müssen, machen sie ab und zu einen kleinen Hüpfer irgendwo hin. Alles in allem ist damit das Tempo der australischen Vitalfrequenz hinreichend beschrieben. Das trifft sogar auf etliche Vogelarten zu. Die Pelikane sind ausgesprochen phlegmatisch, behalten alles im Auge, bewegen sich aber nur selten, um mal einen Happen Fisch zu naschen. Dem Froschmaulvogel ist selbst das zu viel: er sperrt einfach seinen riesig breiten Schnabel sperrangelweit auf und tut sonst nichts. Früher oder später fliegt oder krabbelt irgendetwas hinein, dann lässt er die Klappe fallen und schluckt ab. Das war’s. An den Vögeln konnten wir uns nicht satt sehen. Es gab sie in allen Farben des Regenbogens.

Viele laufen lieber als zu fliegen, daher waren sie gut zu beobachten. Die meisten ließen sich zu Ulrikes Entzücken gerne füttern und waren recht zutraulich. Nicht nur ihre prächtigen Farben sind faszinierend, ihr Verhalten ist es nicht minder: ein großer schwarzweiß befrackter rabenähnlicher Vogel mit klugen Augen und furchterregendem Schnabel krächzt nicht etwa, sondern macht ein Geräusch wie der Anwahl- und Rufton des früheren Kölner Taxifunks; ein anderer – der „lachende Hans“ – bricht in das haltlose Gelächter einer Kneipenwirtin aus. Der „Fanbird“ schließlich richtet seine Schwanzfedern steil zu einem vollendeten andalusischen Fächer auf und wedelt damit so schnell und elegant wie Doňa Maria Victoria de Aragon y Navarra. Die Papageien sind keine besonders guten Flieger, sie fliegen selten weiter als bis zum nächsten Baum, bemühen sich aber, ihrem Ruf als Clowns gerecht zu werden. Vor jedem Abflug schwingen sie die Flügel, als ginge es auf eine lange Reise und die Krummschnäbel machen ein Mordsgetöse, das alles andere als melodisch ist. Da sie mühelos die Stimmen anderer Tiere imitieren können, haben sie es einfach nicht nötig, eigene Melodien zu kreieren. Die großen schwarzen oder weißen Kakadus mit ihren farbenprächtigen Hauben sind eindeutig auf Bewunderung aus. Der erstaunlichste Vogel indes ist der gemeine Homo australicus. An Gelassenheit lässt er sich von nichts und niemandem übertreffen. Australier haben einfach die Ruhe weg.

In einem Land mit Ortsnamen wie Wagga Wagga und Heidelberg wohl auch kein Wunder. Selbst in Großstädten wie Sydney oder Melbourne gibt es trotz voller Straßen, Restaurants und Straßenbahnen von Hektik keine Spur. Bisher habe ich nicht einen einzigen aufgeregten Menschen hier getroffen. Man hat Zeit. Wer einen der wirklich köstlichen flat whites (ein Zwischending von Café Latte und Cappuccino) trinken möchte, geht zur Kasse und wartet brav, bis er an der Reihe ist, das kann dauern. Ist er dran, darf er bestellen und erst mal bezahlen. Dann wird ihm eine Nummer auf einem an einer langen Stange angebrachten Schild überreicht, mit dem er zu seinem Tisch gehen und warten soll. Nach frühestens 15 Minuten erscheint jemand mit der Tasse für die Begleiterin, sie wird mit beiden Händen getragen, dennoch ist einiges in die Untertasse geschwappt. Anschließend wird auf dieselbe Weise die zweite Tasse heran geschleppt. Natürlich wird sich die Bedienung für das Malheur entschuldigen und zwei neue flat whites anbieten, was man jedoch angesichts der verflossenen Zeit mit der Versicherung seiner Wertschätzung für absaufende Untertassen ablehnt.

Die australische Antwort auf den hysterischen amerikanischen Dreiwortsatz „Oh my god!!“ besteht aus nur zwei geknurrten Worten und lautet „No worries“. Der Satz hat eine enorme Bedeutungsbreite und deckt von „nur zu!“ über „kein Problem, ist nix passiert“, „ja, mir gefällt’s auch“, „mach nur!“ und „immer mit der Ruhe!“ bis zu „oh, bitte, gern geschehen!“ alles ab, was dazwischen liegt. „No worries“ passt immer und vermindert –besonders auf dem Land – Verständigungsprobleme. Englischkenntnisse allein helfen oft nicht weiter. Ein langsam gesprochenes „Yeena peewah?“ wurde auch bei der dritten Wiederholung nicht unbedingt als „Do you need power?“ erkennbar.

Alles kam uns ziemlich überdimensioniert vor und vieles erinnerte an die USA. Die Entfernungen waren so gewaltig wie der Kontinent, man hat einfach enorm viel Platz. Die Essensportionen bäumten sich dem Gast entgegen, die Autos protzten mit ihren Muskeln und ihren Geländefähigkeiten, die Lastwagen waren wahre Monster, die sich eitel mit chromblitzenden Rammblechen, bunten Lämpchen und Airbrushbildern brüsteten. Autos und Lastwagen waren immer auf Hochglanz gewienert, schmutzige Fahrzeuge seltene Ausnahmen. Die Markise an unserem Camper war imponierend und die Konstruktion zwar sehr umständlich zu bedienen, aber mit mächtigen Stützen wie für die Ewigkeit gebaut. Die hätte auch dann noch gehalten, wenn das Auto längst verschrottet gewesen wäre. Ähnlich verhielt es sich mit den klappbaren Campingstühlen. Im Vergleich zu unseren filigranen europäischen Produkten waren sie solide wie Clubsessel und wie geschaffen für übergewichtige Aussie-Camper, die in unsere heimischen Klappstühlchen gar nicht erst hineingepasst hätten. Dafür waren sie schwer zusammenzuklappen, und dass mir die Markise ab und zu einen Stromstoß verpasste, nahm ich ihr nicht krumm. No worries.

Die kleinen Ortschaften in der Provinz erinnerten genauso an die USA. Sie waren einfach entzückend: Eine Straßenkreuzung, auf der einen Ecke ein „General Store“, in dem man selbstverständlich auch allerlei Essbares bekam, auf der anderen Seite ein zweigeschossiges Hotel mit uriger Kneipe und „Bottleshop“, die dritte Ecke wurde von einer Tankstelle mit Landmaschinenhandel und Reifendienst beansprucht, in der das gleiche Essen wie in den beiden anderen Etablissements feilgeboten wurde, und – glaubt es oder nicht – die vierte schließlich beherbergte den unvermeidlichen Immobilienmakler. Und gerade in solchen Dörfern gilt: Wer bisher glaubte, die kontaktfreudigsten Menschen seien in Kölner Eckkneipen anzutreffen, der kennt eben die Australier nicht.

Fidschi – Singende Riesen

Zurück ins Jahr 1996 und nach Neuseeland: In Christchurch (eine Stadt, die mir in etwa so metropolitan wie – sagen wir – Bergheim an der Erft erschien), studierten wir wieder die Flughafen-Abflugtafel. Die Neuseeländer sind unsere Antipoden, d.h., dass man von unserer Heimat einfach nicht weiter wegreisen kann. Wohin man sich auch wendet, wie weit auch immer, es führt einen immer nur näher an Zuhause heran. Wohin also jetzt?

Um 14:50 Uhr hatte eine Maschine Plätze nach Suva auf Fidschi frei. Gute Idee, wir sind schließlich Kölner und da weiß man, dass eine der populärsten (und fülligsten) Kölner Volksschauspielerinnen und Sängerinnen, Trude Herr (die übrigens zu den intimsten Kennerinnen der Sahara gehörte), auf Fidschi mit einem dicken Häuptling ihre letzten Jahre verbracht hat. Also nichts wie hin.