Fipp, Vanessa und die Koofmichs - Burkhard Spinnen - E-Book

Fipp, Vanessa und die Koofmichs E-Book

Burkhard Spinnen

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Beschreibung

Ein Ufo landet vor dem Kanzleramt, mitten in Berlin. Was wird jetzt passieren? Krieg der Sterne oder intergalaktischer Frieden? Die ganze Welt wartet gespannt. Da steigen drei Aliens aus. Sie sehen aus wie du und ich, und – sie gehen einkaufen! Den Bundeskanzler beachten sie so wenig wie alle anderen. Zuerst kaufen sie im Kaufhaus, dann im Internet. Sie kaufen und kaufen und kaufen. Einerseits ist das ganz nett, immerhin tun sie niemandem was. Andererseits ist das auch sehr merkwürdig! Warum reden sie mit niemandem, interessieren sich nicht für die Menschen? Ganz harmlos ist ihre Einkauferei auch nicht. Im Gegenteil: Mit einer einzigen Kreditkarte ruinieren die Aliens im Handumdrehen die Weltwirtschaft. Währenddessen behalten Vanessa, Tochter des Hausmeisters im Kanzleramt, und ihr Freund Fipp das Ufo im Auge. Und mischen sich schließlich ein. Burkhard Spinnens drittes Buch für Kinder schildert schräg und gewitzt eine Begegnung mit außerirdischem Leben, und handelt davon, wie ein bisschen Einkaufen zu totalem Chaos führt.

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Seitenzahl: 328

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Inhalt

[Cover]

Titel

Ein unbekanntes Flugobjekt landet vor dem Reichstag

Wie man auf Ufos reagiert

Der Hausmeister Patzek macht Meldung

Fipp West sendet eine Botschaft in die Welt

Vanessa Patzek begibt sich in Gefahr

Der Kanzler erfährt von der Landung des Ufos

Der Krisenstab Triple X

Die Kontrolle über die Bilder

Die Sternstunde der Ufologen

Der Krisenstab macht seine Arbeit

Kontakt!

Die Gäste aus den Tiefen des Alls

Die Aliens shoppen

Die Aliens bekommen Kredit

Die Aliens bekommen ihren Namen

Die Bürgschaft (kein Gedicht von Schiller)

Einige Informationen über den Kanzler

Fipp hat einen Plan

Fipp macht Ernst

Die Aliens engagieren Hilfspersonal

Vieles passiert gleichzeitig

Eine Kaffeemaschine rettet den Weltfrieden

Glück und Überforderung

Walter und Sophies weiteres Schicksal

Im Krisenstab herrscht Ratlosigkeit

Eine Postbotin rückt ins Licht der Öffentlichkeit

Fipp und Vanessa halten Kontakt

Das größte TV-Event aller Zeiten

Der Kanzler sucht ein bisschen Trost

Eine blonde Puppe sorgt für einen Themenwechsel

Wir lernen einen Semiotiker kennen

In Amerika sorgt der Turnschuhkauf für Verzweiflung

Die Aliens hassen Fragebögen

Noch ein kurzer Blick nach Amerika

Ein Blick ins Innere des Ufos

Die Aliens machen Ernst mit dem Shoppen

Eskalation!

Das große Rätselraten

Ein alter Bekannter mit neuem Job

Etwas Romantisches und gleichzeitig Mysteriöses

Am Ende geht es immer um Geld

Die zweite Botschaft

Eine aberwitzige Spekulation

Bloß weg mit diesen Typen

Der Kanzler zieht die Notbremse

Schönheit, Einzigartigkeit und Liebe

Vanessa sieht sich selbst

Der Gesang der Koofmichs

Abflug

Nachspiel

Abspann

Autorenporträt

Kurzbeschreibung

Impressum

Fipp, Vanessa und die Koofmichs

Ein unbekanntes Flugobjekt landet vor dem Reichstag

Es begann an einem Freitagnachmittag im Mai.

Der Mai ist bekanntlich der schönste Monat im Jahr, weil es warm und grün wird. Und der Freitagnachmittag ist die schönste Zeit in der Woche. Da freuen sich die meisten Menschen auf das Wochenende, an dem sie nicht arbeiten oder in die Schule müssen. Ausgenommen ein paar Arbeitssüchtige und Nerds, die gerne zur Schule gehen. Die Hunde freuen sich, weil man am Wochenende mehr mit ihnen spazieren geht. Sogar die Arbeitslosen freuen sich aufs Wochenende, denn am Wochenende haben fast alle Menschen nichts zu tun.

Aber warum sage ich, dass der Freitagnachmittag die schönste Zeit in der Woche ist – und nicht das Wochenende selbst?

Ganz einfach. Am Freitagnachmittag kann man sich auf das Wochenende freuen, ohne dass man schon weiß, wie viele Enttäuschungen einen am Samstag und am Sonntag erwarten. Vielleicht verregnet der Besuch im Strandbad, der Grill brennt nicht so richtig, und der legendäre Freizeitpark erweist sich als der reinste Nepp. Oft genug fängt man dann schon am Sonntagnachmittag an, sich auf den Montag zu freuen.

Und warum philosophiere ich hier über den Freitagnachmittag? In der Überschrift war immerhin von der Landung eines Flugobjekts die Rede.

Stimmt. Kommt noch. Aber ich lasse es gerne ein bisschen langsam angehen. Und deshalb beschreibe ich zuerst die Stimmung, die an jenem Freitagnachmittag herrschte, als das Unerhörte geschah. Stimmungen sind ausgesprochen wichtig. Manchmal sogar wichtiger als die sogenannte Action. Aber nun zur Sache.

Das Unerhörte geschah mitten in der Hauptstadt, in Berlin, und zwar in der Mitte von Mitte. In Berlin gibt es tatsächlich einen Stadtteil, der »Mitte« heißt. Am linken Rand von Mitte stehen zwei Gebäude einander gegenüber, ein altes und ein neues, die beide so wichtig sind, dass man durchaus sagen kann: Der Platz zwischen ihnen ist die absolute Mitte von Berlin. Und außerdem die Mitte von ganz Deutschland.

Das eine Gebäude, das alte, heißt Reichstag. Ein ziemlich pompöser grauer Klotz, auf den man vor ein paar Jahren eine neue und durchsichtige Kuppel gebaut hat. Der Reichstag ist so etwas gewöhnt. Er ist schon mehrmals abgebrannt, wieder aufgebaut, renoviert und umgebaut worden, und zuletzt hat er diese Kuppel bekommen, in der man sogar herumspazieren kann. Vorausgesetzt, man steht eine halbe Ewigkeit Schlange, bis man hineindarf.

Im Reichstag drin ist der Bundestag. Das klingt kompliziert, und leider ist es das auch. Politik und alles, was damit zusammenhängt, ist in jedem Land eine schwierige Angelegenheit. Und bei uns in Deutschland ist sie besonders schwierig, vor allem, wenn es um die Vergangenheit geht. Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Jedenfalls ist im Reichstag der Bundestag, und wie jeder weiß oder wissen sollte, ist das unser Parlament, das wir alle vier Jahre wählen und in dem Gesetze beschlossen werden.

Das Gebäude gegenüber vom Reichstag ist überhaupt nicht alt, und es ist auch kein pompöser grauer Klotz. Es sieht im Gegenteil sehr modern und ein bisschen verwegen aus, mit lauter Ecken und Kanten und Bögen und vielen verschiedenen Fenstern. Das ist das Kanzleramt. Darin arbeiten der Kanzler und seine Mitarbeiter. Oder natürlich die Kanzlerin, wenn gerade eine Frau den Posten hat.

Der Kanzler ist bekanntlich der mächtigste Politiker in unserem Staat. Allerdings ist er nicht so mächtig, dass er alles alleine beschließen könnte. Nein, die Politiker im Bundestag gegenüber schauen ihm ständig auf die Finger, und wenn er nicht eine Mehrheit von ihnen überzeugen kann, dann wird nicht gemacht, was er will. Basta!

Weil das zum Glück so ist, muss der Kanzler sehr oft, manchmal mehrmals am Tag, von seinem Kanzleramt hinüber zum Reichstag und wieder zurück gehen. Wenn man sich also mit einem Butterbrot und einer Flasche Limo auf den Platz zwischen Reichstag und Kanzleramt ins Gras setzt, dann kann man womöglich mit eigenen Augen verfolgen, wie bei uns Politik gemacht wird. Wenigstens kann man dem Kanzler zuwinken, wenn er von einem Gebäude ins andere geht. Vorausgesetzt, dass man ihn mag. Wer ihn nicht mag, der kann weggucken und hoffen, dass der Kanzler sieht, wie man wegguckt, weil man ihn nicht mag.

Zurück zu besagtem Freitagnachmittag. Da liefen also etliche Hundert Menschen mit einem breiten Demnächst-ist-Wochenende-Grinsen auf dem Gesicht über den Platz vor dem Reichstag oder saßen darauf im Gras. Es waren viele Touristen darunter, und die grinsten auch, denn sie waren alle sehr beschäftigt damit, sich mit ihren Smartphones zu fotografieren und die Bilder nach Hause zu schicken, am besten mit der gläsernen Kuppel des Reichstags wie ein Heiligenschein hinter ihren grinsenden Gesichtern.

Tja, und dann passierte es. In wenigen Sekunden erstarrten all die grinsenden Münder zu dünnen Strichen oder zu runden Os, dazu wurden die Augen auf Maximalgröße aufgerissen. Wahrscheinlich schickten ein paar Dutzend Touristen in diesen Sekunden Selfies in die Welt, auf denen sie aussahen wie staunende Smileys.

Der Grund dafür: Um 16 Uhr 45 erschien ein ziemlich großes Flugobjekt. Es kam, wie man so sagt, aus heiterem Himmel, was gut zum Wetter passte. Kaum war es sichtbar geworden, da schwebte es schon so nahe über dem Boden, dass man es gut erkennen konnte.

Vor allem konnte man erkennen, dass es landen wollte oder musste, genau auf der Mitte des Platzes. Denn niemand, der nicht landen will oder muss, fliegt so niedrig. Blitzschnell sprangen alle Leute auf, ließen ihre Butterbrotpapiere und ihre Limoflaschen stehen und liegen und rannten weg von der Mitte des Platzes zu dessen Rand. Doch statt gleich weiter wegzulaufen, irgendwohin, bloß weg, blieben sie dort stehen, drehten sich wieder um und drückten sich zitternd aneinander.

Auf drei Metern Höhe hielt das Flugobjekt kurz an, womöglich, weil es beim Aufsetzen auf dem Boden keinen Schaden anrichten und erst einmal die Lage peilen wollte. Während es dann weiter zu Boden sank, machte es die typischen Wiep-, Wiiep-, Wiiiiep-Geräusche, die Autos beim Einparken von sich geben. Und man mochte es kaum glauben: Bei all dem spuckte es weder Feuer noch Qualm aus seinen Düsen, weil es nämlich überhaupt keine Düsen hatte. Jedenfalls war nichts dergleichen zu sehen. Endlich ging das Wiiiiep-Geräusch in ein Wuuup-Geräusch über, dann war es ganz still, und das Flugobjekt stand mit seinen sieben hohen, dünnen und in der Mitte eingeknickten Beinen auf dem Platz vor dem Reichstag. Das Gras hatte unter dieser Landung kaum gelitten, nicht einmal die Butterbrotpapiere hatte es zur Seite geweht.

Und was für ein Flugobjekt war das? Wo kam es her? War es eine XXL-Drohne, das superteure Spielzeug eines verwöhnten Millionärssohnes? Oder testete ein Internet-Versandhandel gerade eine neue Methode, den Kunden ihre Pakete direkt vor die Tür zu legen? Hatte womöglich der Bundestag neue abhörsichere Diensthandys in den Landesfarben Schwarz-Rot-Gold bestellt?

Schluss mit dem Unsinn! Dieses Flugobjekt sah absolut nicht so aus, als käme es von der Erde und als würde es von Menschen gesteuert. Da gab es nämlich nicht nur keine Düsen, sondern auch keine kleinen oder großen Propeller, es war überhaupt nichts zu erkennen, das nach einem Antrieb oder einer Steuerung aussah. Da war nur diese vollkommen runde, etwas grünlich schimmernde Kugel, die jetzt ein paar Meter über dem Boden von ihren dünnen Beinen gestützt wurde.

Und diese Kugel war nicht eben klein! Sie maß sicher dreißig, wenn nicht fünfunddreißig Meter im Durchmesser. Wenn man sich drei dreistöckige Häuser nebeneinander vorstellt, kommt das als Vergleich gut hin. Allerdings hatte die Kugel keinerlei Fenster oder Türen oder Bullaugen. Es saß nur oben auf ihr eine viel kleinere Kugel, die wie ein Köpfchen auf einem Spinnenkörper aussah und zwei lange Fühler hatte, die aber wahrscheinlich keine Fühler waren, sondern Antennen.

Doch Vorsicht bei einem Wort wie Antennen! Wer ohne Düsen und Propeller durch die Luft fliegt, der braucht vermutlich auch keine Antennen. Ganz oben auf diesen, ich sage jetzt trotzdem: Antennen brannten zwei rote Lichter, so hell, dass man sie auch bei Tageslicht sehen konnte. Alles in allem war dieses Flugobjekt also eine imposante Erscheinung.

Was eine totale Untertreibung ist. Das Teil war einfach der Hammer!

Wie man auf Ufos reagiert

Da stand es nun, dieses unbekannte Flugobjekt, das ich ab sofort aus Zeitersparnis genauso nennen werde, wie man dergleichen für gewöhnlich nennt, nämlich Ufo. Drumherum standen die Leute mit dem eingefrorenen Grinsen und den o-förmigen Mündern. Es waren ein paar Politiker darunter, die aus dem Reichstag gekommen waren und sich beeilt hatten, um noch schnell ihren Zug nach Stuttgart zu kriegen. Aber jetzt hatten sie die ganze Politik und sogar ihr gemütliches schwäbisches Zuhause vollkommen vergessen. Gleich neben ihnen rückten die Mitglieder einer chinesischen Reisegruppe eng zusammen und fassten sich bei den Händen. Eben hatten sie noch die gläserne Kuppel des Reichstags besichtigt und sie ziemlich »jíhǎo« gefunden. Jetzt aber wären sie gerne wieder zu Hause in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens gewesen, wo schon alles Mögliche passiert ist, aber so etwas wie das hier noch nie.

Vereinzelt standen auch Polizisten in der Menschenmenge. Sie taten allerdings genau dasselbe wie alle anderen, nämlich: nichts. Nur grinsen oder den Mund aufreißen. Übrigens machte niemand mehr Fotos von sich selbst, und es machte auch niemand Fotos vom Ufo. Dabei wäre das nun wirklich ein lohnendes Motiv gewesen, verglichen mit dem ewig gleichen Grinsen auf dem ewig gleichen eigenen Gesicht.

Warum machte niemand ein Foto vom Ufo?

Die Antwort ist sehr einfach und besteht aus fünf Buchstaben: A, N, G, S, T. Die Leute hatten Angst, sehr große Angst.

Eigentlich komisch, oder? Es gibt Tausende von Filmen und Büchern, in denen irgendwelche Ufos aus den unendlichen Tiefen des Weltalls auf der Erde landen, Science-Fiction eben. Es dürfte ziemlich schwer sein, jemanden zu finden, der so etwas noch nie gelesen oder gesehen hat. Die Landung von Ufos ist eine Art Schulfach außerhalb der Schule, in dem jeder schon mindestens ein paar Unterrichtsstunden bekommen hat, die allermeisten davon sogar freiwillig.

Und weil wir alle in diesem Fach gebildet sind, wissen wir auch alle, was man tun muss, um einen möglichst angenehmen Kontakt zu den Außerirdischen herzustellen. Vereinfacht gesagt: Man tut am besten, was man tut, wenn man großen Hunden begegnet, die man nicht kennt. Das Wichtigste dabei ist: Bloß keine A.N.G.S.T. zeigen! Tut man es nämlich, dann denkt der große Hund: »Aha. Dieser Typ hat Angst vor mir. Das rieche ich. Also wird er womöglich gleich aus Angst etwas unternehmen. Vielleicht läuft er weg. Das wäre cool. Dann könnte ich hinter ihm herlaufen und ihm noch mehr Angst machen. Aber vielleicht besorgt er sich auch einen Knüppel und verprügelt mich.«

Und weiter denkt sich der Hund: »Nee, auf Prügel lasse ich es nicht erst ankommen. Heute ist kein guter Tag, um verprügelt zu werden. Ich beiße diesem Menschen kräftig in den Arm, dann kann er die Sache mit dem Knüppel für die nächsten drei Wochen vergessen.«

Und genau das, so lehren uns alle Science-Fiction-Filme und -Bücher, kann leicht passieren, wenn man Außerirdischen begegnet. Man hat Angst vor ihnen, deshalb kreischt und fuchtelt man herum und ruft nach der Feuerwehr oder einem Sondereinsatzkommando. Prompt denken die Außerirdischen: »Hoppla, man ist uns hier nicht wohlgesonnen, da feuern wir doch vorsichtshalber mit unseren Laserkanonen auf diese kreischenden Erdlinge. Und diese Blechdosen mit dem Rohr vorne dran, die hier herumstehen, die blasen wir gleich mit in die Luft, damit es in unserer Landezone ordentlicher aussieht.« – Peng! Schon bricht ein Krieg der Sterne aus.

Also muss man es ganz anders machen. Das Wichtigste bei jeder Begegnung mit Außerirdischen ist: nicht aufregen, freundlich sein – und bloß keine Angst zeigen. Wenn ein Ufo im eigenen Garten landet und man gewissermaßen der Held in seinem eigenen Science-Fiction-Film wird, dann muss man vollkommen cool bleiben, lässig »Hallo« sagen und den Außerirdischen kalte Getränke anbieten. Anschließend kann man ihnen die besten Geschäfte in der Stadt zeigen und die beliebtesten Lokale. So, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, Kontakt zu unbekannten Lebensformen aufzunehmen. Und vor allem: bloß keine Angst zeigen!

Wahrscheinlich wussten das die meisten der Leute, die jetzt eng gedrängt um den Platz vor dem Reichstag standen. Aber leider ist das Wissen die eine Sache, und die andere Sache ist das Tun. Denn was die Leute kräftig taten, das war: Angst haben. Man konnte ihre Angst sehen und riechen, sie schlotterten und schwitzen. Manche riefen nach der Polizei, die meisten aber nach ihren Müttern, darunter auch Leute, die selbst schon Großväter oder Großmütter waren. Wäre jetzt ein außerirdischer Hund aus dem Ufo gekommen, dann hätte er wahrscheinlich keine Sekunde gezögert und allen Leuten kräftig in die Arme gebissen.

Zum Glück kam kein Hund aus dem Ufo. Allerdings auch kein anderes Lebewesen. Es ging nur eins der beiden roten Lichter an den Spitzen der Antennenfühler aus. Und dann – passierte überhaupt nichts mehr. Niemand tat irgendetwas. Außer Angst zu haben, zu schlottern und zu schwitzen. Bald verstummten auch die Mama-Rufe.

Der Hausmeister Patzek macht Meldung

Der Erste, der etwas tat, war Wilfried Patzek, der Hausmeister des Kanzleramts. Er war ein tatkräftiger Mann im besten Alter. Allerdings war er, wie fast alle Hausmeister, ein bisschen griesgrämig. Das lag an seinem Beruf, Hausmeister wünschen sich nun einmal sehnlichst, dass die Hausbewohner sich an alle Regeln halten und nichts kaputt machen. Die Hausbewohner hingegen wollen wohnen oder feiern oder arbeiten. Deshalb können sie sich nicht an alle Regeln halten. Und wenn der Haupthausbewohner sogar der Kanzler ist, dann können die Regeln oft genug sehen, wo sie bleiben. Der Kanzler muss nämlich zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten, dauernd hat er politischen Besuch, und dieser Besuch bleibt meistens länger als vereinbart. In den Spätnachrichten heißt es dann, die politischen Gespräche des Kanzlers seien besonders intensiv gewesen.

Für den Hausmeister Patzek bedeutete das allerdings, dass er noch länger aufbleiben musste und erst in den frühen Morgenstunden alles abschließen und das Licht ausmachen konnte. Kein Wunder also, dass Patzek manchmal etwas griesgrämig war und nur ganz wenig lächelte, wenn der Kanzler ihn morgens auf seinem Weg zum Reichstag freundlich grüßte.

Patzek hatte gerade die Straße vor dem Kanzleramt gefegt, als das Ufo landete. Das heißt, er hatte das Reinigungskommando beaufsichtigt, das die Straße fegte. Als das Ufo landete, ließen alle Reinigungsleute ihre Besen fallen, um in Richtung Ufo zu glotzen und vor Angst zu schlottern und zu schwitzen. Alle, außer Patzek. Der zog sein Diensthandy aus der Kitteltasche und rief, in dieser Reihenfolge, die Polizei, den Kanzler und einen Berliner Radiosender an.

Auf seinen ersten Anruf hin kam die Polizei. Eigentlich war sie sogar schon da, denn in der Gegend gehen immer Polizisten Streife. Die betreffenden Beamten waren allerdings momentan mit dem Angsthaben vollauf beschäftigt. Die beiden Polizisten, die statt ihrer in einem Streifenwagen vorfuhren, hatten die Landung des Ufos nicht gesehen und waren offenbar einsatzbereit. Sie stellten mit einem Blick fest, dass das Ufo im absoluten Halteverbot gelandet war. Allerdings konnten sie ihm kein Strafmandat verpassen, weil es keinen Scheibenwischer hatte, hinter den sie den Zettel hätten klemmen können.

Das war ein Scherz! Die neu angekommenen Polizisten stellten vielmehr fest, dass sie nicht zuständig waren. Das hier, sagten sie, sei eindeutig ein Fall für höhere Dienststellen. Ganz schnell stiegen sie wieder in ihren Streifenwagen und brausten davon. Sogar das Polizeiauto sah aus, als hätte es Angst.

Patzek reagierte unbeirrt und rief den Kanzler an. Natürlich nicht direkt und persönlich, aber in seinem Diensthandy war eine Geheimnummer gespeichert, unter der er bei Notfällen einen gewissen Roman Blamberger erreichen konnte, den persönlichen Assistenten des Kanzlers. Etwa, um ihm mitzuteilen, dass das Kanzleramt brennt oder von der Spree, die gleich nebenan vorbeifließt, überflutet wird. Hausmeister bemerken dergleichen oft als Erste.

Blamberger nahm den Anruf an, doch als Patzek ihm mit leicht zitternder Stimme mitteilte, dass in sehr geringer Entfernung vom Kanzleramt ein nicht zu identifizierendes Flugobjekt gelandet sei, wollte der Assistent gar nicht darüber reden. Stattdessen zischte er ins Telefon, dass Hausmeister, die im Dienst Alkohol trinken, blitzschnell gefeuert werden. Daraufhin brach Patzek das Telefongespräch ab. Er tat es nicht aus Sorge um seinen Arbeitsplatz, sondern aus Wut. Er hasste nämlich alle Assistenten des Kanzlers. In seinen Augen waren es lauter junge Schnösel, die sich für wesentlich wichtiger hielten, als sie tatsächlich waren. Und dieser Blamberger machte für ihn keine Ausnahme.

Sein dritter Anruf, der bei einem Berliner Radiosender, wurde allerdings der größte Reinfall. Beim Sender wollte ihn zuerst niemand ausreden lassen, er wurde mehrfach verbunden und musste sich Dudelmusik anhören, bis er endlich den Satz sagen durfte, den er sich mittlerweile überlegt hatte. Der Satz lautete: »Vor dem Reichstag ist ein Ufo gelandet, und ich schwöre, das ist die Wahrheit.«

»Tut mir leid, Herr Planschek«, sagte daraufhin die Moderatorin der Nachmittagssendung. »Aber das ist leider die falsche Lösung für unser Wochenendrätsel. Vielleicht versuchen Sie es am nächsten Freitag noch einmal. Tschü-hüss.«

Daraufhin beendete Wilfried Patzek verständlicherweise seine Bemühungen, die Menschheit über die Ankunft eines Ufos in Berlin zu informieren. Sollte doch jemand anders diesen Job übernehmen.

Fipp West sendet eine Botschaft in die Welt

Dieser andere war Fipp West, dreizehn Jahre alt, ein bisschen klein geraten für sein Alter, dafür so leuchtend rothaarig, dass man ihn auf größere Entfernungen leicht erkennen konnte. Fipp hieß eigentlich Philipp Franziskus Ferdinand Maria von Westen und zu Beuthen. Sein Ururgroßvater war noch ein richtiger Graf gewesen mit einem eigenen Schloss und ein paar eigenen Dörfern und Bauern. Aber in den letzten hundert Jahren war die Familie von Westen und zu Beuthen von ihrem hohen Ross heruntergestiegen zu den anderen Leuten ohne von und zu. Fipps Vater arbeitete in der Computerbranche, und seine Mutter war Sachbearbeiterin in der Stadtverwaltung von Berlin.

Vom alten gräflichen Besitz waren Fipps Vater zwei Dinge geblieben. Erstens: eine Wohnung mitten in Berlin, gleich gegenüber einem Ministerium in der Wilhelmstraße, gar nicht weit vom Brandenburger Tor. Das war allerbeste Lage, und normalerweise wäre die Wohnung ein Vermögen wert gewesen. Doch leider lag sie oben im vierten Stock eines vollkommen heruntergekommenen Altbaus. Das Haus sollte längst schon abgerissen werden, um Platz zu machen für einen schönen Neubau mit superteuren Büros. Aber die achtzehn Wohnungen in dem Haus gehörten insgesamt siebenundvierzig Besitzern, die über die ganze Welt verstreut lebten. Und bevor die sich darüber einig würden, an wen sie das Haus verkaufen sollten, würde es wahrscheinlich aus Altersschwäche krachend in sich zusammensinken.

Alle Wohnungen in dem Haus standen schon seit Jahren leer und gammelten vor sich hin. Alle, bis auf die Wohnung der von Westens und zu Beuthens. Dort allerdings waren die Fenster undicht, es tropfte durchs Dach, gelegentlich brach man mit dem Fuß durch eine morsche Bodendiele, und wenn man mehr als zwei elektrische Geräte gleichzeitig anschaltete, fiel der Strom aus. Fipps Eltern hatten kein Geld für die fälligen Reparaturen, aber zum Glück war die Wohnung riesengroß, und wenn es in einem Zimmer zu schlimm wurde, dann gab man es auf, verschloss es und zog ein Zimmer weiter.

Neben dieser Bruchbude war Fipps Vater von seinen Vorfahren nur der schöne lange Nachname geblieben, und als sein Sohn geboren wurde, gab er ihm, wie das bei Grafens üblich ist, ein ganzes Pfund wohlklingender Vornamen. Doch als er ihn ein paar Jahre später in der Schule anmeldete, tat er es unter dem Namen Philipp von Westen, denn aus eigener Erfahrung wusste er nur zu gut, wie es einem auf dem Schulhof ergeht, wenn man von Westen und zu Beuthen heißt und ein ganzes Pfund Vornamen hat. Philipps Mitschüler knapsten dann noch mehr an seinem Namen herum, bis schließlich Fipp West daraus wurde.

Dieser Fipp war nun gerade unterwegs, um seine Mitschülerin Vanessa zu besuchen. Kaum war er durch das Brandenburger Tor gelaufen, sah er das Ufo auf dem Platz vor dem Reichstag landen. Doch als er näher heranging, verstellten ihm die dichten Reihen der schlotternden Zuschauer den Blick. Mehr als die beiden Antennenfühler oben auf dem Ufo konnte er nicht erkennen. Er versuchte, sich nach vorne zu drängen. Das war schwierig, denn die Leute drückten sich fest aneinander, auch wenn sie gar nicht miteinander verwandt oder ineinander verliebt waren. Natürlich vor Angst.

Fipp hatte allerdings überhaupt keine Angst. Null Angst! Null Komma null Angst. Das heißt, im wirklichen Leben, in der Schule, im Bus und auf der Straße hatte er ziemlich viel Angst. Denn wenn man klein für sein Alter ist und leuchtend rote Haare hat, wird man gern ein bisschen geschubst und veräppelt, besonders von denen, die ein bisschen groß für ihr Alter sind. Bei Fipp kam noch hinzu, dass er gute Noten in der Schule bekam, ohne sich dafür anzustrengen. Außer im Sport, wo er schlechte Noten bekam, obwohl er sich wahnsinnig anstrengte. So etwas wird von Mitschülern nicht gerne gesehen. Und zu allem Übel hatte er Hobbys, die auf der großen Hitparade des Uncoolen sehr weit oben stehen. Ich will sie nicht alle aufzählen; nur so viel sei gesagt: Fipp interessierte sich für Schmetterlinge. Ungelogen! Auch eine Art, um Prügel zu betteln.

Um nun einen Ausgleich zu seiner uncoolen Existenz als Nerd zu schaffen, tat Fipp einiges, das ihn abhärten sollte. Täglich schaute er mindestens einen Film, in dem außerirdische Invasoren oder aggressive Viren die gesamte Weltbevölkerung auslöschen. Oder einen Film, in dem gigantische Roboter sich gegenseitig verprügeln und dabei ganze Städte zerstampfen. Hatte er dann noch Zeit, schaute er sich auf YouTube Videos von vermutlich Hirnamputierten an, die berühmt werden wollten, indem sie aus dem zweiten Stock in einen Swimmingpool mit fünf Zentimeter Wassertiefe sprangen. Oder einfach ungebremst gegen die Wand liefen.

So versuchte Fipp, seine Nerven zu stärken. Und wenn er auch nichts gegen die größeren Jungs unternehmen konnte, so würde er zum Ausgleich dafür womöglich als Einziger ruhig und gelassen bleiben, wenn die ganz große Katastrophe über die Menschheit hereinbrechen würde.

Man ahnt, worauf es hinausläuft. Fipp West, der ängstliche Nachfahre von Leuten, die einstmals über ganze Dörfer herrschten und gerne mal Prügel austeilten, wenn ein Bauer nicht parierte, genau dieser Fipp war, als er das Ufo sah, der festen Überzeugung, jetzt habe endlich seine große Stunde geschlagen. Dreizehn lange Jahre Wegducken und Wegrennen würden genau jetzt zu Ende gehen. Denn er, genau er würde der ganzen Welt zeigen, wie sich Männer benehmen, die wirklich eiserne Nerven haben.

Doch dazu musste er endlich in die erste Reihe kommen, um einen besseren Ausblick auf das Ufo zu haben. Er schaffte es schließlich, indem er auf allen vieren durch die schlanken Beine der chinesischen Touristengruppe kroch. Am Ende seiner Krabbeltour war Fipp neben einer der Ufo-Stelzen angekommen. Jetzt hieß es, ein Beweisfoto zu machen, natürlich ein Selfie von Fipp West mit dem Ufo und der Kuppel vom Reichstag im Hintergrund, ein doppelter Heiligenschein über seinen leuchtend roten Haaren. Zum Glück war ihm sein Smartphone gerade mal nicht von den großen Jungs geklaut worden.

Und jetzt noch der ultimative Supertrick. Wie bekam man dieses heißeste Foto des 21. Jahrhunderts am schnellsten über die ganze Welt verbreitet? Fipp kannte die Antwort: ein Klick auf die Instagram-Seite des Popstars Madilla Zirrus, die momentan die meisten Freunde auf der ganzen Welt hatte, Hunderte von Millionen. Die bekam jetzt Post von ihrem Follower Fipp aus Berlin, Germany.

»Hallo, Madilla«, schrieb Fipp, »ich wollte, du wärest jetzt hier in Berlin vor dem Reichstag. Da ist nämlich gerade ein Ufo gelandet. Ich vermute mal, das sind intergalaktische Fans von dir, die zu deinem nächsten Konzert wollen.« Das alles natürlich auf Englisch. Noch einen Zwinkersmiley drangehängt und – abgeschickt.

Ab jetzt tat Fipp nur noch eines: glotzen. Mit einem Auge auf das Ufo über ihm, aber da tat sich rein gar nichts. Mit dem anderen Auge auf sein Smartphone, und dabei zählte er die Sekunden. Bei dreizehn kamen die ersten Antworten:

What the hell ist this?

¡¿Quépasa?!

Qu’est-ce que c’est ?

Чт́о это?

Gànmá?

Und so weiter. In praktisch allen Sprachen der Welt.

Aktion gelungen! Sofort wurde das Bild von Mandillas Followern auf sämtlichen Social-Media-Kanälen geteilt. Bevor Fipp bis fünfzig gezählt hatte, war es hunderttausendfach um die Welt gereist, und jetzt sah man es überall: das sensationelle außerirdische Flugobjekt sowie das vollkommen angstfreie Grinsen im Gesicht eines rothaarigen Dreizehnjährigen namens #fippforever.

Vanessa Patzek begibt sich in Gefahr

Inzwischen hatte der Hausmeister Patzek beschlossen, sich nicht weiter um das Ufo zu kümmern. Er hatte seine Pflicht erfüllt, jetzt würde er Dienstschluss machen und ein wohlverdientes Feierabendbier trinken. Die Hausmeisterwohnung lag praktischerweise hinten rechts im Kanzleramt, aus ihren Fenstern hatte man einen sehr schönen Blick auf die Spree. So eine Wohnung hätte anderswo in Berlin ein Vermögen gekostet, und man hätte sie sowieso nicht gekriegt.

Allerdings war es manchmal eine Zumutung, in dieser Wohnung zu leben. Das Kanzleramt war das am besten gesicherte Gebäude im ganzen Land, und man machte keine fünf Schritte darin, ohne seinen Spezialausweis vorzeigen zu müssen. Überall standen Sicherheitsleute, die einen scharf anschauten, um zu sehen, ob man irgendetwas bei sich hatte, womit man dem Kanzler gefährlich werden könnte. Zum Beispiel einen Besen. Das verschlimmerte gelegentlich Patzeks Griesgrämigkeit. Seine Frau hingegen fand es angenehm, dass man so gut auf sie aufpasste.

Das galt auch für Vanessa, die Tochter der Patzeks. Sie war dreizehn Jahre alt, ziemlich groß für ihr Alter und hatte lange blonde Haare, die sie meistens zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Sie störte sich überhaupt nicht an dem Security-Getue im Kanzleramt. Sie wohnte gerne dort. Sie trug ihren Spezialausweis an einem Leuchtband um den Hals wie einen Backstagepass für ein angesagtes Konzert. Den Sicherheitsleuten warf sie Kusshändchen zu, als wäre sie ein Superstar wie Madilla Zirrus. In der Schule erzählte sie Geschichten von den Präsidentinnen und Königen, die beim Kanzler zu Besuch kamen und denen sie die Hand geben durfte. Wenn es Königinnen seien, mache sie dazu sogar einen Hofknicks.

Das war allerdings gelogen. Wenn Staatsbesuch kam, mussten die Patzeks manchmal stundenlang in ihrer Wohnung bleiben oder durften gar nicht ins Kanzleramt zurück. Tatsächlich sah Vanessa nicht einmal den Kanzler besonders oft. Aber sie wusste, dass niemand von ihren Mitschülern beweisen konnte, dass sie log. Außerdem mochten die Mitschüler ihre Geschichten, denn die waren gut erzählt, mit vielen komischen Einzelheiten.

Als ihr Vater jetzt in die Küche kam, saß sie gerade mit ihrer Mutter beim Abendbrot. Patzek holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und sagte dabei ein Schimpfwort, das hier verschwiegen werden muss.

»Wen meinst du damit?«, sagte Frau Patzek, aber es hörte sich nicht besonders interessiert an. Ihr Mann war öfters auf irgendwelche Leute nicht gut zu sprechen, daher hatte sie das Interesse an den Opfern seiner Griesgram-Attacken verloren.

»Blamberger«, sagte Patzek. Ihn wurmte noch, dass der Assistent ihn am Telefon so unfreundlich abgefertigt hatte. »Aber der wird sich noch umsehen. Demnächst ist sein Chef nämlich arbeitslos, und dann kann auch diese Flitzpiepe sehen, wo sie bleibt.«

Jetzt war Frau Patzek ein wenig interessierter. »Was ist denn los?«, sagte sie. »Hat jemand den Kanzler gestürzt? Heute Mittag hab ich ihn noch im Radio gehört, da klang er sehr zuversichtlich.«

»Papperlapapp«, sagte Patzek »Gegenüber auf der Wiese sind Außerirdische gelandet. In einem Ufo. Die werden den Laden übernehmen und alle Kanzler und Präsidenten in die Wüste schicken.«

»Echt jetzt?«, sagte Frau Patzek. Sie war nun doch alarmiert. Ihr Mann trank zwar gerne ein Bier, manchmal auch zwei, aber dass er grüne Männchen vom Mars auf der Straße sah, war bislang noch nicht vorgekommen.

»Genau«, sagte Patzek. »Und du kannst auch schon mal packen. Ich denke nämlich nicht daran, für irgendeinen Alien und seine Combo den Hüter der galaktischen Besenkammer zu spielen. Lass uns sehen, dass wir hier wegkommen. Etwas Besseres finden wir überall.«

»Oje«, sagte Frau Patzek. Dabei überlegte sie, was für eine Art von Arzt sie jetzt anrufen musste.

In diesem Moment ertönte ein Geräusch, das in der patzekschen Wohnung häufig für schlechte Stimmung sorgte. Es war das Geräusch von Vanessas Smartphone, das überaus wichtige Nachrichten ankündigte. Das Geräusch ertönte des Öfteren bei den Mahlzeiten der Familie, und wenn Vanessas Hand dann nach dem Gerät zuckte, gab es höchst unerfreuliche Diskussionen darüber, wann und zu welcher Gelegenheit man chatten, twittern, simsen oder WhatsApp benutzen darf.

Auch jetzt sah es kurz so aus, als würden Vater Patzek sein Ufo-Gerede und Mutter Patzek die Sorge um den Gesundheitszustand ihres Mannes vergessen, um sich wieder einmal gemeinsam ihrem Lieblingsthema »Telefonregeln« zu widmen. Doch da stieß Vanessa schon einen spitzen Schrei aus und hielt ihr Smartphone so in die Küche, wie es Schiedsrichter tun, wenn sie einem Fußballspieler die rote Karte zeigen.

Die Eltern Patzek schauten auf das Foto im Smartphone. Den Typ mit den roten Haaren am unteren Bildrand kannten sie, das war Philipp, ein Klassenkamerad von Vanessa. Ein eher komischer Typ, allerdings irgendwie nett, zumal er Vanessa bei den Hausaufgaben und beim Lernen für Klassenarbeiten half. Oben rechts im Bild, das war unverkennbar die Kuppel des Reichstags. Aber das Ding da oben links. Donnerwetter! Sah das nicht aus wie ein Ufo, das aus den Tiefen des Weltalls gekommen war?

»Meine Rede«, sagte der Hausmeister Patzek. »Das isses. Aber mir will natürlich keiner glauben.« Er öffnete die Bierflasche, und vielleicht sagte er noch etwas, aber das hörten Vanessa und ihre Mutter nicht mehr, denn sie waren schon raus aus der Wohnung. Auf den Fluren im Kanzleramt kamen sie ausnahmsweise schnell voran, denn kaum sahen sie einen von den Sicherheitsleuten, griff der auch schon zu seinem Smartphone, guckte drauf, sagte »krass« und rannte Richtung Ausgang.

Draußen auf der Straße gab es auch ein mächtiges Gerenne. Von überallher kamen Leute, wie zu einem Flashmob. Allerdings taten sie sich nicht zusammen, um nach irgendeinem Oldie zu tanzen. Stattdessen liefen sie Richtung Ufo und drängten sich dort hinter den Leuten zusammen, die seine Landung beobachtet hatten und immer noch vor sich hin schlotterten und schwitzten.

Die neu hinzukommenden Menschen hatten offenbar gar keine Angst. Vielleicht lag es daran, dass ihnen das Ufo zuerst in ihren Smartphones erschienen war. Ich schätze, vor Dingen im Smartphone hat man viel weniger Angst als vor Dingen in der Wirklichkeit. Was manchmal schlimme Folgen hat.

Jedenfalls dauerte es nicht lange, und rund um das Ufo stand eine gewaltige Menschenmenge, ein Ring von Menschen, der von außen her immer breiter wurde, sodass schon bald die Straßen neben dem Platz vorm Reichstag voller Menschen waren und niemand von den Neuankömmlingen die geringste Chance hatte, mehr von dem Ufo zu sehen als seine beiden Antennenfühler. Vielleicht wogte die Menschenmenge gerade deshalb hin und her, jedenfalls bildeten sich Wirbel und Strudel aus menschlichen Körpern, so wie sie sich im Wasser bilden, wenn es um Steine fließt.

Eine höchst gefährliche Situation! Kaum standen Vanessa und ihre Mutter auf dem Bürgersteig, wurden sie von der wogenden Menschenmenge erfasst. Die Mutter schaffte es gerade noch zurück hinter den Zaun des Kanzleramtes, aber Vanessa war viel zu neugierig, um sich wieder in die Wohnung zurückzukämpfen. Außerdem war sie eine gute Sportlerin und verfügte nach eigener Aussage über eine »perfekte Körperbeherrschung«. Tatsächlich wuselte sie sich so in die Menschenmenge hinein, dass deren Strömungen sie zu den Denkmälern trugen, die im Park gleich gegenüber standen.

Dieser Park ist der »Tiergarten«. Früher war dort wirklich mal ein Zoo. Tiere gibt es da auch heute noch, aber die sitzen nicht in Käfigen, um sich von Menschen beobachten zu lassen. Sie laufen vielmehr frei herum und beobachten die Menschen beim Chillen und beim Grillen, und wenn die Menschen spätabends verschwunden sind, kommen diese Tiere aus ihren Verstecken und fressen den liegen gebliebenen Müll.

Vanessa erreichte das Denkmal, das eine der früheren Kanzlerinnen darstellte. Sie kletterte rasch auf seinen Sockel und befreite sich damit aus der strömenden und wogenden Menschenmasse. Aber das Ergebnis war enttäuschend, denn allzu viel sah sie von hier oben nicht, der Sockel war dafür nicht hoch genug. Die frühere Kanzlerin hatte das übrigens so gewollt. Sie sei immer eine volksnahe Politikerin gewesen, hatte sie gesagt, und deswegen wolle sie auch als Denkmal nahe bei den Leuten bleiben. Überdies standen zwischen Vanessa und dem Ufo nicht nur die vielen Menschen, sondern auch ein paar Laster, die in der Menge stecken geblieben waren und jetzt die Sicht versperrten.

In den letzten Minuten hatte Vanessas Smartphone pausenlos Alarm gezwitschert, gegongt und gesungen. Doch weil es immer um das Foto von dem Ufo über Fipps Kopf gegangen war, hatte sie es nicht mehr beachtet. Jetzt aber gab es ein altmodisches Telefongeklingel von sich. Dieser Ton war für Fipp reserviert, und der rief offenbar gerade an, ganz oldschool, typisch für ihn.

»Hey«, sagte Vanessa. »Biste noch da? Kannste was sehen?«

»Ja und ja«, sagte Fipp. »Was momentan allerdings wichtiger ist: Ich werde in fünf Minuten totgetrampelt. Die Leute in der ersten Reihe stehen noch wie die Parkuhren. Aber von hinten wird schwer gedrängelt. Demnächst knicken die Parkuhren um, und dann bin ich Matsche. Ganz ehrlich, ich will hier raus!«

»Hm«, sagte Vanessa. Sie kannte Fipps Trainingsprogramm, mit dem er sich zu einem eiskalten Typen machen wollte, der im entscheidenden Moment die Nerven behält und die Welt rettet.

»Du bist echt in der ersten Reihe?«, sagte sie.

»Ja, leider.« Fipps Stimme klang gestresst.

»Und du willst da raus?«

Was Fipp genau antwortete, war nicht deutlich zu verstehen, aber es klang nach einem Ja.

»Okay«, sagte Vanessa. »Du willst da raus. Ich verstehe das. Aber dich kennen jetzt ein paar Millionen Menschen. Das ist die Chance deines Lebens. Du musst auf deinem Posten bleiben. Die Community erwartet das von dir. Niemand ist so nah dran wie du! Mach weiter Fotos und poste die. Wenn sie dich dann tottrampeln, bist du nicht umsonst gestorben.«

In diesem Moment wogte eine neue Menschenwelle gegen das Denkmal, und Vanessa verkroch sich sicherheitshalber auf die Rückseite der Kanzlerin. Zum Glück hatte die hinten eine Blazerfalte aus Bronze, an der Vanessa sich festhalten konnte. Käme es noch schlimmer und sie müsste weiter hochklettern, war dafür auch gesorgt, denn auf der Vorderseite machte die ehemalige Kanzlerin etwas mit ihren Händen, das man als Räuberleiter nutzen könnte.

»Scheiß drauf!«, sagte Fipp, dessen Stimme aus dem Smartphone kaum noch zu verstehen war. »Ich will kein Held sein. Ich will hier raus.«

Vanessas Versuch, Fipp Mut zu machen, war offenbar gescheitert. Sie selbst wollte jetzt auch nach Hause. Aber die Leute standen so eng um das Denkmal herum, dass sie ihnen auf die Schultern hätte steigen müssen. Oder sie hätte sich wie die Rockstars mit einem Hechtsprung in die Menge werfen müssen, in der Hoffnung, man würde sie dann über alle Köpfe hinweg bis zum Kanzleramt durchreichen. Die Chancen dafür standen allerdings schlecht. Zwar sahen die Leute genauso fanatisch und verzückt aus wie die Besucher eines Rockkonzerts, aber höchstwahrscheinlich hatten sie nicht die geringste Lust, bei einem Crowdsurfing mitzumachen. Allmählich wurde Vanessa mulmig.

Und dann knallte es auch noch irgendwo. Nicht sehr laut, eher mittellaut, wie ein Fahrradreifen, der platzt. Aber der Knall reichte aus, dass die Leute zu schreien und zu kreischen anfingen, und das Wogen und Drängen wurde noch schlimmer. Das waren keine guten Zeichen! Um den Horror komplett zu machen, stieg auch noch ein ziemlich kräftiger Mann zu Vanessa auf den Denkmalsockel. Er zog eine Frau zu sich hinauf und dann noch eine. Der Sockel war jetzt definitiv überfüllt. Vanessa musste sehr an sich halten, um nicht laut »Hilfe« zu rufen.

Was ihr allerdings nur kurz gelang. Dann schrie sie: »Hilfe!«

Es dauerte ein paar ziemlich lange Minuten, bis tatsächlich Hilfe kam. Vor dem Brandenburger Tor, von wo mehr und mehr Leute Richtung Reichstag und Ufo strömten, erschienen Polizisten auf Pferden. Ganz langsam bewegten sie sich vorwärts, also die Pferde, Schritt für Schritt, um niemanden umzustoßen. Gelegentlich warf ein Pferd den Kopf zurück und legte die Ohren an, ein Zeichen dafür, dass es ziemlich nervös war. Aber Polizeipferde sind Profis, die verlieren nicht so schnell die Nerven. Allmählich kamen sie näher, und eines von ihnen ging genau in Richtung Denkmal, von wo Vanessa ihm mit dem rechten Arm winkte, während sie sich mit dem linken am Blazerzipfel der Kanzlerin festhielt. Schritt für Schritt schob sich das Pferd durch die Menschenmenge, die sich vor seiner Brust gerade so weit teilte, dass es vorankam.

»Geht’s dir gut?«, sagte der Polizist auf dem Pferd, als er das Denkmal erreichte.

»Nein!«, sagte Vanessa. »Ich will nach Hause.« Ihre Stimme klang weinerlich, ohne dass sie das gewollt hatte.

»Das geht jetzt nicht«, sagte der Polizist. »Bleib hier oben und halt dich gut fest. In ein paar Stunden haben wir den Platz geräumt. Dann kommst du sicher zu deinen Eltern.«

Vanessa dachte kurz nach, soweit von Nachdenken in dieser panischen Situation die Rede sein konnte. Ein paar Stunden am Blazerzipfel der Altkanzlerin? Bitte nicht! Also spielte sie ihren Joker aus, den einzigen, den sie hatte. Gerne tat sie es nicht, aber hier ging es ums Überleben.

»Mein Vater arbeitet für den Kanzler«, sagte sie. »Er ist jetzt da drüben.« Und sie zeigte in Richtung Kanzleramt.

»Ach ja?«, sagte der Polizist. Es klang nach Zweifel. »Was macht dein Vater denn für den Kanzler?«

»Praktisch alles«, sagte Vanessa, aber sie wusste sofort, das würde nicht reichen. Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Schließlich sagte sie: »Er koordiniert die Bedarfsfristen für den Stab der persönlichen Assistenten.« Das war nicht einmal gelogen, dafür war es viel zu bekloppt. Aber siehe da, der VIP-Bonus funktionierte.

»Steig auf«, sagte der Polizist. Womöglich hatte er Angst, einen Fehler zu machen. Er reichte ihr seine Hand, und kurz darauf saß Vanessa Patzek zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Pferd, dazu noch vor einem Mann in Uniform, so als wäre sie eine Prinzessin in einem altmodischen Kinderbuch. Die sitzen gerne mal vor einem Prinzen in Uniform auf einem weißen Pferd und lassen sich so zu ihrer Hochzeit tragen. Was noch fehlte, waren ein weißes Kleid und ein Diadem mit Diamanten im Haar.