Five Nights at Freddy's - Fazbear Frights 2 - Ausverkauft - Scott Cawthon - E-Book

Five Nights at Freddy's - Fazbear Frights 2 - Ausverkauft E-Book

Scott Cawthon

0,0

Beschreibung

Drei weitere makabere Kurzgeschichten aus dem alptraumhaften Universum des Survival-Horrorgames Five Nights at Freddy's. Im zweiten Band der Fazbear Frights Reihe müssen drei recht unterschiedliche Zeitgenossen zu der gemeinsamen Erkenntnis gelangen, dass Kontrolle in der bizarren FNAF-Welt ein höchst fragiles Element ist. Konstant ist in der Regel nur eines – und zwar der blanke Horror!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 311

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



FIVE NIGHTS AT FREDDY’S von Scott Cawthon

Romane

Band 1: Die silbernen Augen

ISBN 978-3-8332-3519-1

Band 2: Durchgeknallt

ISBN 978-3-8332-3616-7

Band 3: Der vierte Schrank

ISBN 978-3-8332-3781-2

Band 4: Fazbear Frights 1 – In die Grube

ISBN 978-3-8332-3948-9

Band 5: Fazbear Frights 2 – Ausverkauft

ISBN 978-3-8332-4020-1

Band 6: Fazbear Frights 3 – 1:35 AM

ISBN 978-3-8332-4021-8

Comics

Graphic Novel 1: Die silbernen Augen

ISBN 978-3-7416-2001-0

Nähere Infos und weitere spannende Romane unter www.paninibooks.de

Von Scott Cawthon, Andrea Waggener und Carly Anne West

Ins Deutsche übertragen von Anke Bondy

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Amerikanische Originalausgabe: „Five Nights at Freddy’s: Fazbear Frights #2 – Fetch“ by Scott Cawthon, Carly Anne West and Andrea Waggener published in the US by Scholastic Inc., New York, 2020.

Copyright © 2021 Scott Cawthon. All rights reserved.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schlossstr. 76, 70176 Stuttgart.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (email: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Anke Bondy

Lektorat: Tom Grimm

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDFIVE005E

ISBN 978-3-7367-9883-0

Gedruckte Ausgabe:

ISBN 978-3-8332-4020-1

1. Auflage, März 2021

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

INHALT

Fetch

Lonely Freddy

Ausverkauft

AUSVERKAUFT

FETCH

Der Wind, der Regen und die Brandung waren in den Krieg gezogen und prügelten so brutal auf das alte Gebäude ein, dass Greg sich fragte, ob die brüchigen Mauern dieser Kraft standhalten konnten. Als die Naturgewalten brüllend gegen das mit Brettern vernagelte Fenster prasselten, sprang Greg zurück, prallte gegen Cyril und trat ihm dabei heftig auf den Fuß.

„Au!“ Cyril stieß Greg zur Seite, wobei der Kegel seiner Taschenlampe geradezu irrwitzig über die Wand vor ihnen tanzte. Dabei zuckte das Licht über mehrere herabhängende Bahnen der blaugestreiften Tapete und über zwei rote Buchstaben: „FR“. Irgendetwas Dunkles war quer über die Streifen gespritzt worden. War das Pizzasoße? Oder etwas anderes?

Hadi lachte über seine beiden unbeholfenen Freunde. Freunde, die sich so leicht ins Bockshorn jagen ließen. „Das ist nur der Wind, Leute. Kommt mal runter.“

Eine weitere Böe traf das Gebäude. Die Wände zitterten und übertönten Hadis Stimme. Der auf das Metalldach prasselnde Regen war zwar ohrenbetäubend, aber irgendwo im Gebäude, ganz in der Nähe, klapperte irgendetwas Metallisches so laut, dass man es trotz Wind und Regen hören konnte.

„Was war das?“ Cyril schwang seine Taschenlampe in einem wilden Bogen herum. Mit knapp dreizehn war Cyril ein Jahr jünger als Greg und Hadi, ging aber trotzdem mit ihnen in dieselbe Klasse. Er war klein und mager mit jungenhaften Gesichtszügen und dünnem Haar. Zudem hatte er das Pech, wie die Maus aus einem Zeichentrickfilm zu klingen. Viele Freunde hatte er nicht.

„Klar, gehen wir zur alten Pizzeria“, äffte Cyril Gregs Vorschlag nach. „Das war eine echt tolle Idee.“

Es war Herbst und die Nacht in der Stadt am Meer, die ein Sturm in Dunkelheit getaucht hatte, war äußerst frisch. Greg und seine Freunde hatten den Samstagabend mit Videospielen und Chips verbringen wollen, doch nachdem der Strom ausgefallen war, hatten Hadis Eltern versucht, sie für ein Brettspiel zu begeistern. Eine Tradition in der Familie, wenn das Stromnetz zusammenbrach. Hadi hatte seine Eltern überredet, dass sie die Jungs mit dem Fahrrad zu Gregs Haus ganz in der Nähe fahren ließen, wo sie sich stattdessen mit einem von seinen neuen Strategiespielen beschäftigen wollten. Doch kaum waren sie dort angekommen, überzeugte Greg sie, zur Pizzeria zu fahren. Seit Tagen wusste er schon, dass er es tun würde. Irgendwie fühlte er sich dort hingezogen.

Aber vielleicht war er auf dem Holzweg. Die Aktion konnte sich auch als vollkommen sinnlos erweisen.

Greg ließ das Licht seiner Taschenlampe durch den Korridor gleiten. Sie hatten sich gerade in der Küche des verlassenen Restaurants umgesehen und verblüfft bemerkt, dass sie immer noch mit Töpfen, Pfannen und Geschirr ausgestattet war. Wer schloss eine Pizzeria und ließ alles zurück?

Nachdem sie die Küche verlassen hatten, fanden sie sich an einem Ende des Hauptspeisesaals neben einer großen Bühne wieder. Ein schwerer schwarzer Vorhang war vor den hinteren Teil gezogen. Keiner der Jungs war freiwillig bereit gewesen nachzusehen, was sich hinter dem Vorhang befand … und keiner von ihnen hatte gesehen, dass sich der Vorhang bewegte, als sie an der Bühne vorbeigingen.

Hadi lachte wieder. „Das ist besser, als bei der Familie rumzu… Hey, was ist das?“

„Was ist was?“ Cyril leuchtete mit seiner Taschenlampe in die Richtung, in die Hadi blickte.

Auch Greg ließ seinen Lichtkegel dorthin gleiten, in die äußerste Ecke des großen Raums voller Tische. Im Strahl der Taschenlampen erschienen eine Reihe nächtlicher Gestalten, die hinter einem schmutzigen Glastresen standen. Helle Augen reflektierten das Licht.

„Cool“, meinte Hadi und stieß mit dem Fuß ein kaputtes Tischbein zur Seite, während er auf den Tresen zuging.

Vielleicht, dachte Greg und musterte die Augen. Ein Paar schien ihn direkt anzustarren. Allmählich begann er sich zu fragen, was er dort eigentlich tat.

Hadi erreichte den Tresen zuerst. „Das ist ja irre!“ Er griff nach irgendwas und musste niesen, als plötzlich eine Staubwolke aufstieg.

Bevor sie aufgebrochen waren, hatte Greg vorgeschlagen, dass sie alle Taschentücher mitnahmen, um Mund und Nase zu bedecken, doch er hatte keine finden können. Er rechnete damit, dass das leer stehende Restaurant voller Staub, Schimmel, Moder und wer weiß noch alles sein würde. Doch überraschenderweise hatten sie trotz des feuchten Küstenklimas lediglich Staub vorgefunden. Allerdings eine Menge Staub.

Greg umrundete einen umgekippten Stuhl und ging an Cyril vorbei, der sich mit dem Rücken an einen schmutzigen Pfeiler in der Mitte des Speisesaals presste, von dem die Farbe abblätterte. Abgesehen von einem kaputten Tisch und zwei umgekippten Stühlen wirkte alles, als müsse nur einmal gründlich sauber gemacht werden, bevor man wieder Gäste empfangen könnte. Was ziemlich seltsam war.

Greg hatte gewusst, dass sich hier irgendetwas befinden würde, aber er hatte nicht erwartet, dass es noch Geschirr und Möbel geben würde und … anderes.

Greg betrachtete, was Hadi in der Hand hielt, und er sog scharf die Luft ein. War er deswegen hergekommen? War das der Grund, warum dieser alte Laden ihn so anzog?

„Was ist das?“, fragte Cyril, ohne näher an den Tresen zu treten.

„Ich denke, es ist eine Katze.“ Hadi drehte das behaarte Bündel um, das er in der Hand hielt. „Oder vielleicht ein Frettchen?“ Mit dem Finger stieß er dagegen … was auch immer es war. „Könnte animatronisch sein.“

Er legte das Ding zurück und ließ das Licht seiner Taschenlampe über die anderen Gestalten am Tresen gleiten. „Ja, genial. Das sind alles Preise, die man gewinnen konnte. Seht ihr?“ Hadi ließ den Lichtkegel über die unbeweglichen Figuren gleiten.

Das erklärte die höhlenartigen Nischen, die in die Wände des Flurs eingelassen waren, durch den Greg und seine Freunde gekommen waren, um den Speisesaal zu erreichen. In den kleinen Räumen mussten einmal Arcade-Games und Videospiele gestanden haben.

„Ich kann es nicht fassen, dass sie immer noch hier sind“, meinte Hadi.

„Ja.“ Greg runzelte die Stirn. Warum sind sie immer noch hier?

Die alte Pizzeria stand nun ewig mit Brettern vernagelt da und trotzte den Stürmen und der salzigen Seeluft. Das Gebäude war eindeutig verlassen, und es wirkte nicht nur alt, sondern geradezu aus der Zeit gefallen, und es schien, als würde es jeden Moment einstürzen. Die grau gewordene, verwitterte Verkleidung war so ausgeblichen, dass man kaum noch erkennen konnte, woraus sie bestand. Auch der Name der Pizzeria war längst verschwunden. Warum sah also im Inneren alles noch so gut aus? Nun ja, nicht wirklich gut. Aber von dort, wo Greg stand, wirkte das Gebäude stabil genug, um noch hundert Jahre zu überdauern.

Greg und seine Eltern waren in die kleine Stadt gezogen, als er noch in die erste Klasse ging, daher kannte er den Laden gut. Aber er verstand das alles nicht. So fand er es seltsam, dass eine mit Brettern vernagelte Pizzeria in einem angeblichen Ferienort nie wieder eröffnet worden war. Auf der anderen Seite war es kein mondäner Urlaubsort. Gregs Mom bezeichnete ihn immer als „Sammelsurium“. Manchmal standen auf der einen Straßenseite große, schicke Häuser, während sich auf der anderen Seite winzige, hässliche Strandhütten duckten, neben denen verdreckte Fischerboote lagen, alte Bretter aufgetürmt waren oder verbogene Gartenmöbel. Vor dem Haus gegenüber von Greg war eine mächtige und ziemlich kastenförmige Limousine aufgebockt. Trotz allem fragte sich Greg, warum man aus einem alten Pizzarestaurant nicht etwas Vernünftiges machen konnte, anstatt es sich selbst zu überlassen, bis es die Kinder im Ort geradezu anschrie, doch endlich dort einzubrechen.

Doch seltsamerweise schien es nicht so, als sei vor Greg und Cyril und Hadi schon einmal jemand hier drin gewesen. Greg war überzeugt gewesen, sie würden Fußspuren, Müll und irgendwelche Graffitis finden, als Beweis, dass andere „Forscher“ schon vor ihnen dort gewesen waren. Aber … nichts. Es schien, als sei der Laden, nachdem man ihn aufgegeben hatte, in Formaldehyd getunkt und konserviert worden, bis Greg auf einmal den Drang verspürt hatte, dort hinzugehen.

„Ich wette, die Preise sind immer noch hier, weil sie wirklich gut sind“, sagte Hadi.

„Die richtig tollen Preise gewinnt nie jemand“, warf Cyril ein. Er hatte sich vorsichtig etwas näher an den Tresen herangeschoben, hielt aber immer noch respektvollen Abstand.

„Da sind keine Clowns, Cyril.“ Greg hatte Cyril versichern müssen, dass es in dem verlassenen Restaurant auf gar keinen Fall Clowns gab, damit Cyril bereit war mitzukommen. Allerdings hatte Greg keine Ahnung, ob das stimmte.

„Was ist das da?“ Cyril deutete auf eine Figur mit einem mächtigen Kopf und einer großen Nase. Sie saß unter einem Schild, auf dem GROSSER PREIS stand.

Greg griff danach, bevor Hadi es konnte. Die Figur war schwer, und ihr Fell fühlte sich verfilzt und rau an. Aus irgendeinem Grund zog das Tier ihn magisch an. Er betrachtete die spitzen Ohren, die geschwungene Stirn, die lange Schnauze und die durchdringenden gelben Augen. Dann bemerkte er das blaue Halsband. Etwas Glänzendes baumelte daran. Eine Hundemarke? Mit den Fingerspitzen hob er sie an.

„Fetch“, las Hadi über Gregs Schulter. „Es ist ein Hund, und er heißt Fetch.“

Greg mochte Hunde eigentlich, aber im wirklichen Leben wollte er niemals einem wie diesem begegnen. Er hielt den Hund in die Höhe und drehte ihn in alle Richtungen.

Selbst die bösartige alte Töle, die in dem Haus neben Greg lebte, war nicht so hässlich. Fetch sah aus, als habe man den bösen Wolf aus dem Märchen mit dem weißen Hai aus dem berühmten Film gekreuzt. Sein Kopf (ganz bestimmt war es ein Er) war wie ein Dreieck geformt. Er lief oben spitz zu und hatte ein viel zu breites Maul. Das Fell, das im Licht ihrer Taschenlampen graubraun erschien, hatte Löcher, und darunter kam angelaufenes Metall zum Vorschein. Aus den großen Ohren ragten ein paar Drähte, und in seinem Bauch war eine Leiterplatte zu erkennen.

„Seht euch das an.“ Überraschenderweise interessierte sich Cyril auf einmal für den Tresen. Er hob ein kleines Büchlein auf, das in einer Plastikhülle steckte. „Ich glaube, das ist die Gebrauchsanleitung.“

„Zeig mal her.“ Greg nahm Cyril das Büchlein aus der Hand.

„Hey“, quietschte Cyril.

Greg ignorierte seinen Protest.

Das konnte es sein.

Er setzte Fetch zurück auf den Tresen, zog das Büchlein aus der Plastikhülle und blätterte es durch. Hadi las über seine Schulter mit. Cyril schob seinen Kopf zwischen Gregs Brust und die Anleitung und zwang Greg so, dass Büchlein weiter von sich weg zu halten, damit alle mitlesen konnten. Fetch, so stand es in der Gebrauchsanweisung, war ein animatronischer Hund, der sich mit einem Handy verbinden und auf diese Weise Informationen und andere Dinge abrufen konnte.

„Das ist ja cool“, meinte Hadi. „Meint ihr, er funktioniert noch?“

„Wie lange steht der Laden hier schon leer?“, fragte Greg. „Fetch sieht aus, als sei er älter als mein Dad, aber Smartphones gibt es noch nicht so lange.“

Hadi zuckte die Schultern. Greg tat es ihm schließlich gleich und drückte an Fetch herum, weil er den Knopf finden wollte, mit dem man ihn einschalten konnte.

Hadi und Cyril verloren schnell das Interesse.

„Es wird nicht funktionieren. Das ist ganz alte Technik. Mit unseren Telefonen ist sie bestimmt nicht kompatibel“, meinte Cyril und zuckte zusammen, als der Wind erneut um das Gebäude pfiff.

Greg spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ob es an dem unheimlichen Heulen des Windes lag oder an etwas anderem, wusste er nicht genau.

Wieder wandte er Fetch seine Aufmerksamkeit zu. Er wollte wissen, ob er dieses komische Hundeding nicht irgendwie in Gang setzen konnte. Er hatte das Gefühl, dass es genau dieses Ding war, das ihn gerufen hatte.

Cyrils Pessimismus, was Fetch anging, überraschte Greg nicht. Er würde auch dann eine spannende Gelegenheit nicht erkennen, wenn sie ihm direkt ins Gesicht sprang.

Hadi dagegen betrachtete die Dinge immer in geradezu unerbittlicher Weise positiv. Er besaß ein sonniges Gemüt und hatte etwas vollbracht, was Greg ernsthaft für einen Zaubertrick hielt: Hadi wurde von allen akzeptiert, obwohl er den größten Teil seiner Zeit mit Greg und Cyril verbrachte, den beiden größten Nerds der Schule. Vielleicht hatte das etwas mit seinem Aussehen zu tun. Wenn Greg Mädchen über Hadi reden hörte, dann war er entweder „toll“, „heiß“, „süß“, „scharf“ oder einfach nur „Mmmmhm“, abhängig von dem Mädchen, das über ihn redete.

Hadi verließ den Tresen, und Cyril ließ sich auf einen Stuhl am nächsten Tisch sinken. „Ich denke, wir sollten verschwinden“, meinte er.

„Nein“, widersprach Hadi. „Hier gibt es immer noch eine Menge zu sehen.“

Greg ignorierte die beiden. Er hatte Fetch hochgenommen und an seinem Bauch ein Bedienfeld gefunden. Während er mit Fetch, seiner Taschenlampe und der Gebrauchsanweiseung jonglierte, nagte er an seiner Unterlippe und konzentrierte sich darauf, die richtigen Knöpfe in der richtigen Reihenfolge zu drücken.

Wind und Regen ließen einen Moment nach, und über das Gebäude senkte sich eine Stille, die fast bedrohlich wirkte.

Greg warf einen Blick zur Decke. Direkt über seinem Kopf entdeckte er einen großen Fleck. War das Wasser? Er ließ den Kegel seiner Taschenlampe über die gesamte Decke gleiten. Weitere Flecken fand er nicht. Überhaupt, warum tropfte es eigentlich nicht im gesamten Restaurant? Er glaubte, sich zu erinnern, dass ein Teil des Daches fehlte. Warum leckte es nicht durch?

Mit einem Achselzucken wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Fetch zu. Inzwischen drückte er nur noch zufällig auf irgendwelche Knöpfe. Keine der Vorgaben der Bedienungsanleitung schien zu funktionieren.

Genauso schlagartig wie der Wind und der Regen verstummt waren, setzten sie wieder ein und prügelten heulend und krachend auf das Gebäude ein.

Und da bewegte sich Fetch.

Mit einem surrenden Geräusch hob Fetch den Kopf. Dann öffnete er das zahnbewehrte Maul. Und er knurrte.

„Ach du Scheiße!“ Greg ließ Fetch auf den Tresen fallen und sprang zurück. Gleichzeitig schoss Cyril von seinem Stuhl hoch.

„Was ist?“, fragte Hadi und kam zu seinen Freunden zurück.

Greg deutete auf Fetch, dessen Kopf und Maul sich eindeutig in einer anderen Position befanden als zu dem Zeitpunkt, als sie ihn entdeckt hatten.

„Krass“, meinte Hadi.

Alle drei starrten sie Fetch an und wichen in stummer Übereinstimmung zurück; sie waren alle der Ansicht, dass es eine gute Idee war, etwas Abstand zwischen sich und Fetch zu bringen, falls der animatronische Hund noch mehr tun würde.

Dann warteten sie.

Und Fetch tat es auch.

Als Erster fing Hadi an, sich zu langweilen. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er in Richtung der Bühne. „Was, meint ihr, ist hinter dem Vorhang?“

„Ich glaube, das will ich gar nicht wissen“, erwiderte Cyril.

Hinter ihnen knallte eine Tür zu … irgendwo im Gebäude.

Wie ein Mann stürmten die Jungs durch den Speisesaal und den Flur entlang zu dem Lagerraum, durch den sie eingebrochen waren. Obwohl Cyril der Kleinste war, erreichte er den Raum zuerst. Dort war es ihnen gelungen, eine verrammelte Außentür einen Spaltbreit aufzudrücken, und Cyril schlüpfte auch schon hindurch. Schnell folgten ihm die anderen beiden.

Draußen, im prasselnden Regen, griffen sie nach ihren Rädern. Greg schätzte, dass der Wind inzwischen mit achtzig Stundenkilometern pfeifen musste. Nach Hause zu radeln, konnten sie vergessen. Er blickte zu Hadi, dessen lockiges schwarzes Haar ihm am Kopf klebte. Hadi brach in schallendes Gelächter aus, und Greg fiel mit ein. Cyril zögerte, doch dann musste auch er lachen.

„Kommt jetzt“, rief Hadi gegen den heulenden Wind. Ohne sich noch einmal nach dem Restaurant umzusehen, senkten sie die Köpfe und schoben ihre Räder durch den Sturm nach Hause.

Während er neben seinen Freunden dahintrottete, überlegte Greg, warum er gewollt hatte, dass sie mit in das verlassene Restaurant kamen. Vieles hatten sie sich gar nicht angesehen … wie den Bereich hinter dem Vorhang. Auch im Flur hatten sich zwei verschlossene Türen befunden. Was befand sich hinter ihnen? Greg fürchtete, nicht gefunden zu haben, weswegen er dorthin gefahren war. Hatte er wirklich getan, was ihm bestimmt war?

Greg war schon fast zu Hause, als eine Frau rief: „Ist das jetzt nass genug für dich?“

Er blieb stehen, wischte sich über die Augen und blinzelte durch den Regen. „Hey, Mrs. Peters“, rief er, als er die ältere Nachbarin entdeckte, die auf der überdachten vorderen Veranda ihres Hauses stand.

Sie warf ihre dünnen Arme in die Höhe. „Ich liebe diese Stürme!“, trällerte sie.

Er lachte und winkte ihr zu. „Dann viel Spaß!“, rief er.

Sie winkte zurück, und er stapfte weiter. Als er sich dem hoch aufragenden modernen Haus seiner Eltern näherte, das direkt am Meer stand, bemerkte Greg überrascht, dass im Wohnzimmer Licht brannte. Eigentlich lag die Stadt immer noch im Dunkeln. Als er sich von Cyril und Hadi getrennt hatte, waren die einzigen Lichter ihre Taschenlampen gewesen, die wie Geisterwesen durch die Nacht hüpften, und ein paar flackernde Kerzen in manchen Häusern. Der Lichtschein bei ihm zu Hause dagegen war hell und beständig.

Als er sein Fahrrad zwischen die Stelzen schob, die das Haus ein ganzes Stockwerk in die Höhe hoben, begriff er, warum er Licht gesehen hatte. Zunächst hatte er das Geräusch des Motors nicht gehört, weil es von Wind und Regen übertönt wurde. Erst als er nähergekommen war, hatte er es bemerkt. Unter dem Haus stand ein glänzender neuer Generator und tuckerte vor sich hin. Ein Stromkabel führte von dort an der Doppelgarage vorbei und die Stufen hinauf zur Vordertür.

Während Greg die Stufen erklomm, schälte er sich aus seiner tropfenden Regenjacke, doch noch bevor er die Eingangstür erreichte, wurde sie geöffnet.

„Da bist du ja, Junge!“ Gregs Onkel Darrin grinste auf ihn herab. Seine mächtige, breitschultrige Gestalt füllte den Türrahmen. „Ich wollte gerade schon einen Suchtrupp losschicken. Du bist nicht ans Telefon gegangen.“

Als Greg die Tür erreichte, begrüßte er seinen Onkel in gewohnter Weise – halb umarmten sie sich und stießen dabei die Fäuste gegeneinander. „Tut mir leid, Dare. Ich hab es nicht gehört.“ Er zog das Telefon aus der Tasche und tippte kurz auf den Bildschirm. Dare hatte ihm geschrieben und ihn mehrfach angerufen. „Wow. Ich schwöre, ich hab es nicht gehört.“

„Wer soll bei dem Wind auch schon was hören? Komm rein.“

„Woher kommt der Generator?“, fragte Greg. Eigentlich war es ihm egal. Er wollte nur nicht länger darüber nachdenken, warum er in dem Pizzarestaurant das Telefon nicht gehört hatte. Besonders laut war es dort nicht gewesen. Lag es vielleicht daran, dass …

„Ich hab ihn in der Stadt gekauft. Dein Vater behauptet seit Jahren, dass man keinen braucht, aber das ist Quatsch. Ich hab ihm vorausgesagt, dass er sich noch wünschen wird, einen zu haben. Es hieß ja, dass die Stürme in diesem Winter noch viel schlimmer werden. Und das wurden sie tatsächlich. Und sie haben auch noch viel eher eingesetzt. Denk nur an den Regen, den wir letzte Woche zu Halloween hatten.“ Dare schüttelte den Kopf. „Aber dein Vater will natürlich wieder nicht hören, und man muss mit ihm streiten.“

Greg wusste nicht, welchen Streit sein Onkel meinte. Aber Dare und Gregs Vater stritten so oft, wie sollte er sich da an eine einzelne Auseinandersetzung erinnern können.

Onkel Darrin war der Bruder von Gregs Mutter. Sie hatte sonst keine Geschwister, und die beiden standen sich nah. Greg und Dare allerdings standen sich noch näher. Aber Gregs Dad hasste Dare aus demselben Grund, weswegen Greg ihn einfach liebte – weil er von seiner Art her so extravagant und lustig war.

„Darrin muss erst noch erwachsen werden“, sagte Gregs Dad immer.

Mit seinem langen, lilagefärbten Haar, das er zum Zopf geflochten trug, und den bunten Anzügen und Krawatten, die er mit geradezu schmerzhaft gemusterten Hemden kombinierte, war Dare schon ein besonderer Anblick. Dass Dare außerdem ein erfolgreicher und wohlhabender Erfinder von Autozubehörteilen war, der auch noch bei allen seinen Investitionen unverschämtes Glück hatte, schien in den Augen von Gregs Vater der letzte Nagel zu seinem Sarg zu sein. „Menschen wie er verdienen es einfach nicht, erfolgreich zu sein“, schimpfte er oft. Gregs Vater war Bauunternehmer, und er arbeitete mehr, als er eigentlich wollte, um sich ihr großes Haus und die teuren Autos leisten zu können, die er so liebte. Die Tatsache, dass Dare auf einem zweieinhalb Hektar großen Anwesen lebte und tonnenweise Geld verdiente, indem er in seiner Werkstatt „herumbastelte“, war einfach zu viel.

Greg liebte Dare auf die Weise, wie er sich wünschte, auch seinen Vater lieben zu können. Dabei hatte Dare nichts anderes getan, als Greg vom ersten Tag an, nachdem sein kleiner zerknautschter Kopf in diese Welt gedrückt worden war, so zu akzeptieren, wie er war. Greg war nie ein niedliches Baby gewesen, und es war auch kein niedliches Kind aus ihm geworden. Sein Gesicht war zu lang, seine Augen standen dicht zusammen, und seine Nase war zu klein. Dafür hatte er langes, gewellltes blondes Haar, ein „tolles Lächeln“ (zumindest hatte das einmal ein Mädchen aus der achten Klasse behauptet), und er war groß genug und besaß ausreichend Muskeln, um nicht denken zu müssen, dass aus ihm nach der Highschool nichts werden würde. Er hatte sich nie für die typischen Jungsthemen wie Autos und Sport interessiert – egal wie sehr sein Dad auch versucht hatte, sie ihm aufzuzwingen. Doch in Dare hatte er einen Verbündeten gefunden, der Gregs Vorlieben oder Abneigungen nie hinterfragte. Er akzeptierte Greg einfach so, wie er war.

„Wo ist Mom?“, erkundigte sich Greg bei Dare.

„Im Buchclub.“

Nach seinem Dad fragte Greg nicht. Zum einen war es ihm egal, und zum anderen wusste er, dass sein Dad mit seinen Freunden Karten spielte. So verbrachte er immer den Samstagabend – selbst jetzt, da sie bei Kerzenlicht spielen mussten.

„Wo seid ihr bei dem Wetter gewesen?“, wollte Dare wissen.

„Äh … kann ich das für mich behalten?“

Dare legte seinen großen Kopf zur Seite und strich sich über seinen allmählich grau werdenden Ziegenbart. „Klar. Ich vertraue dir.“

„Danke.“

„Hast du Lust, Backgammon zu spielen?“, fragte Dare.

„Können wir das verschieben? Ich wollte gern noch was lesen.“

„Sicher. Kein Problem. Ich bin nur vorbeigekommen, um den Generator für euch in Gang zu setzen. Als du nicht hier warst und ich dich nicht erreichen konnte, hab ich mir gedacht, ich bleibe mal, bevor ich es vor Sorge nicht mehr aushalte und die Polizei rufe.“

Greg grinste. „Da bin ich aber froh, dass ich gekommen bin, bevor du die Kavallerie rangepfiffen hast.“

„Ich auch.“ Dare griff nach seinem magentafarbenen Regenmantel, dann zögerte er und schnippte mit den Fingern. „Ach, übrigens, ich habe gehört, dass du deinen ersten Job als Babysitter bekommen hast. Freut mich, dass du deinen alten Herrn überzeugen konntest.“

„Das habe ich wirklich dir zu verdanken. Nachdem du deinen Senf dazu gegeben hattest, stand es drei zu eins. Nächste Woche passe ich auf den Jungen von den McNallys auf – Jake. Sie brauchen jemand, der sich samstags um ihn kümmert.“

„Tatsächlich? Seine Mom und ich kennen uns schon ewig. Vielleicht bringe ich euch irgendwann eine Kleinigkeit vorbei. Oder ich zeige euch meinen neuen Welpen. Ich denke ernsthaft darüber nach, mir einen Hund anzuschaffen.“

„Echt? Cool!“

„Ja, eine Freundin von mir hat einen Shih Tzu, der bald wirft. Ich denke, ich bin jetzt lange genug ohne Hund gewesen. Mir fehlt einfach ein Hund, mit dem ich kuscheln kann.“

Greg lachte. „Pass nur auf, dass es ein freundlicher Shih Tzu ist. Ich glaube, der Hund nebenan ist auch zum Teil Shih Tzu.“

„Dieser bissige Köter? Nein, so wird mein Hund niemals sein. Vergiss nicht“, meinte Dare und hielt seinen rechten Zeigefinger in die Höhe, auf dem er seinen Lieblingsgoldring mit einem Onyx trug, „ich habe …“

„Einen magischen Glücksfinger“, sagten Dare und Greg wie aus einem Mund.

Sie lachten.

Ein Händchen für alles zu haben, den magischen Glücksfinger, war ein geflügelter Satz, seit Greg vier Jahre alt war. Eines Tages hatte Greg geweint, weil er unbedingt den Plüschkraken aus einem Automaten haben wollte, bei dem man sich mit einem mechanischen Greifer die verschiedensten Preise angeln konnte. Seine Mutter hatte zwar Geld in den Automaten gesteckt, aber es war ihm nicht gelungen, den Kraken zu fassen zu bekommen. Dare hatte mit seinem rechten Zeigefinger gegen das Glas des Automaten geklopft und mit tiefer Stimme gesagt: „Ich habe den magischen Glücksfinger. Ich bekomme dich, Krake.“ Und gleich beim ersten Versuch war ihm genau das gelungen. Danach hatte Dare immer den magischen Glücksfinger um Hilfe gebeten, wenn er wollte, dass sich Dinge zu seinen Gunsten entwickelten. Und fast immer hatte das auch geklappt.

Greg dachte erneut an den Nachbarshund und hörte auf zu lachen.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass mich die Töle tatsächlich gebissen hat.“ Erst ein Jahr zuvor war der Nachbar dort eingezogen, und nur zwei Tage später hatte sich ein kleiner und ziemlich bösartiger Mischling mit sehr scharfen Zähnen und einem fehlenden Auge auf Greg gestürzt und ihn in den Knöchel gebissen. Man hatte ihn mit zehn Stichen nähen müssen.

„Okay, ich gehe jetzt, dann kannst du dich deiner Lektüre widmen“, meinte Dare. „Aber bevor ich verschwinde, lass uns noch überprüfen, ob alles funktioniert.“

Fünfzehn Minuten später lümmelte sich Greg auf seinem Doppelbett und las im hellen Licht seiner roten Leselampe. Dare hatte für den Generator ein Kabel besorgt, mit dem man ihn direkt ans Stromnetz des Hauses anschließen konnte. Bevor er ging, sagte Dare: „Habe ich dir extra besorgt, damit du auch problemlos deine Games spielen kannst.“ Dann umarmten sie sich zum Abschied und stießen zweimal die Fäuste gegeneinander.

Obwohl Greg sich wirklich auf seinen Lesestoff freute, nahm er sich die Zeit für seine abendlichen Yogaübungen, bevor er unter die übergroße Häkeldecke schlüpfte, die Dare für ihn gearbeitet hatte. Auch Yoga hatte Dare ihm beigebracht, und Greg gefiel das sehr. Die Übungen beruhigten ihn nicht nur, bevor er schlafen ging, sie halfen ihm auch, einigermaßen in Form zu bleiben. Wenn auch „einigermaßen“ nicht ausreichend war.

Greg stand vor dem Spiegel und betrachtete seine schmalen Schultern und die schmächtige Brust. Obwohl er an Armen und Beinen ein paar Muskeln besaß, war sein Oberkörper immer noch zu dünn. Und sein Gesicht …

Gregs Telefon brummte. Er griff danach und sah, dass Hadi ihm geschrieben hatte.

Wieder erholt?

Greg schnaubte. Als ob er Angst gehabt hätte und sich davon wieder erholen müsse. Wovon?, schrieb er zurück und stellte sich dumm.

Mir kannst du nichts vormachen.

Okay, erwiderte Greg. Ja, mir geht es gut. Ich denke, ich brauche mehr Mut.

Du brauchst das Hirn von Brian Rhineheart. Der fürchtet sich vor gar nichts.

Greg lachte. Das war eine Idee. Brian Rhineheart war der Star des Footballteams. Er schrieb: Seine Beine könnte ich auch gebrauchen. Damit ich schnell weglaufen kann.

LOL. Und wie wäre es mit Steve Thorntons Schultern? Die sind kräftig genug, um es mit allem und jedem aufzunehmen.

Wieder musste Greg lachen. Aber Hadi wollte auf irgendetwas hinaus. Wenn Greg vollbringen wollte, was er sich eigentlich vorgenommen hatte, konnte er sich doch auch einfach aussuchen, was er dafür brauchte.

Okay, tippte er, aber dann möchte ich auch Don Warrings Brust.

Bei dem Gedanken, sich einen Körper aus den Teilen von Footballspielern zusammenzustellen, musste Greg grinsen. Aber er brauchte auch ein gutes Gesicht. Ganz besonders dann, wenn er wollte, dass ein Mädchen auf ihn aufmerksam wurde.

Ich will Ron Fischers Augen, schrieb er.

Roger. Wie wäre es mit Neal Mannings Nase?

Greg lächelte und schrieb: Klar.

Und wessen Mund?

Greg dachte darüber nach. Dann antwortete er:Zachs

G

Wieder lächelte Greg. Er konnte sich Hadis breites Grinsen vorstellen.

Und die Haare?

Da gefallene mir meine eigenen, antwortete Greg.

Dickes Ego?

Greg lachte.

G

GG erwiderte Greg. Dann ließ er sich auf sein Bett fallen.

Er griff nach seinem Tagebuch und dem Buch über das Nullpunktfeld, in dem er etwas nachschlagen wollte. Er warf einen Blick auf seine Pflanzen, bevor er anfing zu lesen. Schließlich waren sie der Schlüssel zu allem. Sie machten das Gespräch, das er gerade mit Hadi geführt hatte, zu mehr als nur einem albernen Geplänkel. Sie waren zumindest der Katalysator. Cleve Backsters Experimente hatten ihn auf den Weg geführt, auf dem er sich nun befand.

Aber heute Abend würden ihm die Pflanzen nicht helfen. Er musste sich noch einmal damit beschäftigen, was er über Zufallsgeneratoren wusste. Er blätterte durch sein Buch. Ja, da war es schon. Maschinen und Bewusstsein. Ursache und Wirkung. Er legte das Buch zur Seite und überflog seinen letzten Tagebucheintrag.

Hatte er seine Entdeckungen falsch interpretiert? Nein. Das glaubte er nicht. Entweder war er auf der richtigen Spur oder eben nicht. Und wenn er es nicht war, wollte er eigentlich auch gar nicht wissen, auf welcher Spur er war. Die Art und Weise, wie er zu diesem Ort hingezogen worden war, konnte einfach kein Zufall sein.

Der Sturm hielt sich noch einen weiteren Tag in der Gegend, aber am späten Sonntagabend löste er sich auf. Auch der Strom kam zurück. Und wie an jedem Montagmorgen begann auch die Schule.

Greg stand die erste Hälfte des Tages durch und war erleichtert, als es schließlich zehn nach eins war und er zum Fortgeschrittenenkurs für Theoretische Wissenschaften gehen konnte. Theoretische Wissenschaften war ein Leistungskurs, an dem nur Erstsemester teilnehmen konnten, die in den vergangenen zwei Jahren Preise für ihre naturwissenschaftliche Arbeit gewonnen hatten. In dem Kurs gab es lediglich zwölf Schüler. Sie wurden von einem Gastlehrer vom Grays Harbor Community College unterrichtet, von Mr. Jacoby.

Wie immer war Greg der Erste im Klassenraum. Er ließ sich ganz vorn nieder. Nur Hadi würde noch in seiner Nähe sitzen.

Mr. Jacoby hüpfte in dem Klassenzimmer mit den gelben Wänden buchstäblich auf und ab, als es klingelte. Groß und schlaksig, aber so voller Energie, dass er Greg an eine lange Spiralfeder erinnerte, war Mr. Jacoby ein ausgesprochen enthusiastischer Lehrer, der sich vom Desinteresse mancher Schüler in keiner Weise den Schneid abkaufen ließ. Greg liebte Wissenschaft, jede Wissenschaft, nicht nur Technik. Und seine Leidenschaft dafür hatte ihm den Ruf eingebracht, der Liebling des Lehrers zu sein.

Während Mr. Jacoby dozierte, sprang er vor der Klasse herum, als habe er Hummeln im Hintern. Manchmal kritzelte er etwas aufs Whiteboard. Meistens jedoch wanderte er nur umher. Aber wovon er sprach, war interessant. Dieser kleine Raum voller hoher, hölzerner Labortische mit hockerartigen Stühlen davor gehörte zu Gregs Lieblingsorten in der Schule. Ihm gefielen die Karte vom Periodensystem und die Poster von den Sternbildern an den Wänden. Er mochte den Geruch des Düngers der hybriden Pflanzen, die an der Rückwand des Raums wuchsen, denn er musste dabei unwillkürlich an Wissenschaft denken und ans Lernen.

Mr. Jacoby fuhr sich mit einer Hand durch sein widerspenstiges rotes Haar. „In der Quantenphysik gibt es ein sogenanntes Nullpunktfeld. Dieses Feld ist der wissenschaftliche Beweis dafür, dass es so etwas wie ein Vakuum, ein Nichts, nicht gibt. Wenn man allen Raum von Materie und Energie befreit, findet man immer noch, in subatomarer Hinsicht, jede Menge Aktivitäten. Diese ständige Aktivität ist ein Energiefeld, das sich immerzu in Bewegung befindet. Subatomare Materie reagiert ununterbrochen mit anderer subatomarer Materie.“ Mr. Jacoby rieb sich die von Sommersprossen übersäte Nase. „Können mir alle folgen?“

Greg nickte eifrig. Hadi, der an dem Labortisch neben ihm saß, stieß ihn an. „Hi, das ist deine Masche.“

Greg ignorierte ihn.

Mr. Jacoby grinste Greg an und nahm an, dass seine Zustimmung auch für die ganze Klasse stand. Das war zwar nicht sonderlich schlau, aber Greg recht.

„Gut“, fuhr Mr. Jacoby fort. „Diese Energie wird deshalb Nullpunktfeld genannt, weil die Fluktuationenen in diesem Feld auch noch bei Temperaturen des absoluten Nullpunktes zu beobachten sind. Der absolute Nullpunkt ist der niedrigste mögliche Energiezustand, bei dem alles entfernt worden ist und sich nichts mehr bewegen kann. Ergibt das Sinn?“

Wieder nickte Greg.

„Großartig. Die Energie sollte also null sein, aber wenn man die Energie misst, mathematisch, erreicht sie niemals null. Aufgrund des weiterhin bestehenden Partikelaustauschs bleibt immer eine gewisse Restschwingung übrig. Könnt ihr mir immer noch folgen?“

Greg nickte begeistert. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Mr. Jacoby heute über dieses Thema sprechen würde. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit? Er grinste. Es gab keine Wahrscheinlichkeit. Es war das Feld.

Er war so aufgeregt, dass die nächsten paar Minuten von Mr. Jacobys Vorlesung an ihm vorbeigingen. Doch das war egal. Er kannte sich mit dem Thema aus.

Als dann allerdings Kimberly Bergstrom den Finger hob, klinkte er sich wieder ein. Jedenfalls in gewisser Weise. Er hörte ihre Frage: „Ist das alles nur eine Theorie?“

Und er hörte auch den Anfang von Mr. Jacobys Antwort. „Nicht alles. Bedenken Sie, in welche Richtung sich Wissenschaft entwickelt. Vor der wissenschaftlichen Revolution …“

Da klinkte Greg sich wieder aus. Er war nun vollständig damit beschäftigt, Kimberly zu beobachten. Wer wäre das nicht? Lange schwarze Haare. Faszinierende grüne Augen. Hübscher als jedes Model, das Greg bisher gesehen hatte.

Greg spürte, wie er rot wurde, und er riss seinen Blick von Kimberly los, bevor noch jemand ihn dabei erwischte, wie er sie anstarrte.

Zu spät.

Hadi stieß ihn erneut an, und als Greg zu ihm hinüberblickte, sah Hadi ihn aus halbgeschlossenen Schlafzimmeraugen an. Greg richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mr. Jacoby.

Als die Stunde vorbei war, verließ Greg wie immer als letzter Schüler den Klassenraum. Mr. Jacoby lächelte ihm zu, während Greg seine Sachen zusammenpackte, und Greg dachte erneut daran, sich an seinen Lehrer zu wenden. Dann spürte er, wie sein Telefon vibrierte. Er winkte Mr. Jacoby zu und zog sein Telefon aus der Tasche, während er hinaus auf den Gang trat. Er warf einen Blick auf den Bildschirm.

Hallo Greg. Wg?

Die Nummer war ihm nicht bekannt. Greg blickte sich um. Wer schrieb ihm da? Er tippte: Alles gut. Wer bist du? Dann starrte er auf den Bildschirm.

Fetch!

„Oh, sehr witzig, Hadi“, murmelte Greg. Und das schrieb er auch.

Mit der Antwort hatte er nicht gerechnet:

?4U

Was willst du wissen?, schrieb Greg.

Warum bist du weg?

Greg verdrehte die Augen und schrieb: Du bist echt saukomisch.

Thx. Deine Antwort?

Greg spürte, wie ihm jemand auf die Schulter tippte. „Du kommst zu spät zu Spanisch, Amigo“, sagte Hadi.

Greg fuhr herum. Hadi hob eine Augenbraue. Und Cyril, der neben ihm stand, stolperte zurück.

„Warum schreibst du mir, wenn du hier bist?“, fragte Greg Hadi.

„Alter, bist du doof? Sehe ich so aus, als würde ich dir gerade schreiben?“

Äh … eigentlich nicht. Hadis Handy war nirgends zu sehen.

Greg blickte wieder auf sein Telefon. Wer immer ihm da gerade schrieb, hatte es gerade wieder getan:

Deine Antwort

Greg sah Hadi an. „Hast du mir geschrieben?“

„Nein. ¿Por qué habría?“

„Keine Ahnung, warum du mir geschrieben hast. Und hör auf, Spanisch zu quatschen“, erwiderte Greg.

Cyril ignorierte ihn. „Venga.“ Er zog an Gregs Ärmel.

„Ich hasse Spanisch“, meinte Greg.

Cyril blickte an Greg vorbei und sagte: „Hola Manuel.“

Greg wandte sich um und sah Manuel Gomez vor sich, der vor ein paar Wochen aus Madrid an die Schule gekommen war.

„Hola Cyril. ¿Como estas?“

„Estoy bien. ¿Et tú?“

„Bueno.“

„Oye, Manuel, ¿conoces a Greg?“, fragte Cyril und deutete auf Greg.

„Nein.“ Manuel lächelte Greg an und streckte die Hand aus.„Encantada de conocerte.“

„Er hat gerade gesagt, dass er sich freut, dich kennenzulernen“, erklärte Cyril Greg.

„Lo sé“, erwiderte Greg. „Ich weiß. Ich bin ja kein Vollpfosten, wenn es um Spanisch geht.“

„Aber kurz davor“, meinte Cyril.

Manuel lachte.

„Greg tiene muchos problemas con el español“, sagte Cyril zu Manuel.

„Ich helfe dir gern bei Spanisch“, bot Manuel an. „Soll ich dir meine Nummer geben?“ Er hielt sein Telefon hoch.

„Klar.“ Greg tauschte mit Manuel das Handy, und die beiden gaben jeweils ihre Nummer ein.

„Hey Mäuschen. Wie geht es deiner Mutter? Ist sie immer noch so ein Freak wie du?“

Greg wandte sich um und stellte sich dem Typ entgegen, der da gerade Cyril mobbte. Er räusperte sich und sagte laut: „Vergiss nie, Trent, drei Dinge sind im Leben wichtig. Erstens, freundlich zu sein. Zweitens, freundlich zu sein. Und drittens sollte man freundlich sein. Henry James hat das gesagt.“

Trent schubste Greg. „Du bist ein Freak.“

Während Trent davonschlenderte, stieß Hadi Greg an. „Du liest zu viel.“

„Du liest nicht genug.“

Dann sagten sie mit übertrieben tiefer Stimme und wie aus einem Mund: „Das Universum hält immer alles in Balance.“ Sie stießen die Fäuste gegeneinander und vollendeten ihr Zitat mit einem inbrünstigen „Cha!“

Ein paar der Kinder im Flur stießen Greg absichtlich an, und eins sagte: „Ihr seid echt komisch.“

„Und stolz darauf“, entgegnete Greg.

Hadi schüttelte den Kopf.

Manuel berührte Gregs Schulter. „Ich mag Henry James auch.“ Er grinste und streckte ihm eine Faust entgegen.