12,99 €
Drei weitere gruselige Geschichten aus der bizarren Welt des unheimlichen Five Nights at Freddy's-Universums. Steve räumt von einer Karriere in der Gaming-Industrie; Aiden und Jace erschrecken gerne Kinder in Freddy Fazbear's Mega Pizzaplex; und Billy möchte einfach nur das Ideal dessen erden, war er wirklich ist – ein Animatronic! Aber in der Welt von Five Nights at Freddy's sollte man vorsichtig sein, mit dem, was man sich wünscht, denn manche Wünsche gehen auch in Erfüllung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2024
FIVE NIGHTS AT FREDDY’S von Scott Cawthon
Romane
Band 1: Die silbernen Augen
ISBN 978-3-8332-3519-1
Band 2: Durchgeknallt
ISBN 978-3-8332-3616-7
Band 3: Der vierte Schrank
ISBN 978-3-8332-3781-2
Band 4: Fazbear Frights 1 – In die Grube
ISBN 978-3-8332-3948-9
Band 5: Fazbear Frights 2 – Fass!
ISBN 978-3-8332-4020-1
Band 6: Fazbear Frights 3 – 1:35 AM
ISBN 978-3-8332-4021-8
Band 7: Fazbear Frights 4 – Noch ein Schritt
ISBN 978-3-8332-4087-4
Band 8: Fazbear Frights 5 – Wenn das Kaninchen zweimal klopft
ISBN 978-3-8332-4191-8
Band 9: Fazbear Frights 6 – Der schwarze Vogel
ISBN 978-3-8332-4267-0
Band 10: Tales from the Pizzaplex 1 – Lallys Spiel
ISBN 978-3-8332-4403-2
Comics
Graphic Novel 1: Die silbernen Augen
ISBN 978-3-7416-2001-0
Graphic Novel 2: Durchgeknallt
ISBN 978-3-7416-3556-4
Graphic Novel 3: Der vierte Schrank
ISBN 978-3-7416-3805-3
Nähere Infos und weitere spannende Romane unter www.panini.de
Von Scott Cawthon, Elley Cooper & Andrea Waggener
Ins Deutsche übertragen von Andreas Kasprzak
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Amerikanische Originalausgabe: „Five Nights at Freddy’s: Tales from the Pizzaplex #2 – Happs“ by Scott Cawthon, Elley Cooper, and Andrea Waggener published in the US by Scholastic Inc., New York, September 2022.
Copyright © 2024 Scott Cawthon. All rights reserved.
Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schloßstr. 76, 70176 Stuttgart.
Geschäftsführer: Hermann Paul
Head of Editorial: Jo Löffler
Head of Marketing: Holger Wiest (email: [email protected])
Presse & PR: Steffen Volkmer
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Lektorat: Karin Weidlich
Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart
Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln
YDFIVE011E
ISBN 978-3-7569-9967-5
Gedruckte Ausgabe:
ISBN 978-3-8332-4492-6
1. Auflage, April 2024
Findet uns im Netz:
www.paninicomics.de
PaniniComicsDE
INHALT
Mitarbeiter gesucht
HAPPS
B-7
Über die Autorinnen und den Autor
MITARBEITER GESUCHT
Warum ist die Herrentoilette immer der reinste Albtraum? Steve sprühte die Klobrille und die Wände mit Desinfektionsmittel ein. Schon seltsam. In der Damentoilette musste man nie mehr tun, als einmal mit dem Mopp durchzugehen, die Oberflächen abzuwischen und Handwaschseife und Klopapier nachzufüllen. Doch wenn’s darum ging, sich um das Herren-WC zu kümmern, hatte er immer das Gefühl, als könnte er genauso gut das Affenhaus im Zoo putzen.
Steve hätte nie gedacht, dass er mal für ein mehr als bescheidenes Gehalt Tankstellenklos sauber machen würde. Dank seiner kreativen Fähigkeiten in puncto digitale Kunst und Design hatte er stets angenommen, später mal für eins der vielen Technikunternehmen zu arbeiten, die in der Stadt wie Pilze aus dem Boden schossen, vorzugsweise, um für gutes Geld Videospiele zu entwerfen. Dafür hatte er eine Milliarde Ideen, viele davon besser als Titel, die bereits auf dem Markt waren. Jedenfalls redete er sich das selbst ein.
Und trotzdem war er jetzt hier, mit einer Klobürste in der einen Hand und einer Flasche Sprühreiniger in der anderen.
In den letzten paar Jahren hatte er sich bei den örtlichen Tech-Firmen so ziemlich für jeden Job beworben, für den er auch nur im Entferntesten qualifiziert war. Doch der Wettbewerb war gnadenlos. Er musste mit all diesen Kids mit teuren Elitehochschulabschlüssen konkurrieren, die bereits irgendwo Praktika absolviert oder für die angesehensten Unternehmen des Landes gearbeitet hatten. Steve hingegen hatte seinen Abschluss an einem öffentlichen College gemacht und die Schule damit finanziert, dass er sich in irgendwelchen beschissenen Jobs die Nächte um die Ohren geschlagen hatte. Und als er seinen Abschluss dann in der Tasche hatte, waren die einzigen Anstellungen, die man ihm anbot, genauso bescheiden gewesen wie die, die er vorher hatte. Er ging rüber zur zweiten Kabine des Herrenklos. In diesem Fall war der Begriff „Scheißjob“ tatsächlich wörtlich zu verstehen.
Steves winzige Wohnung lag im Stockwerk über einem Schnellimbiss namens Käpt’n Ernies Fischkutter. Der Fettgeruch, der von unten nach oben waberte, sorgte dafür, dass der Teppich, die Möbel und das Bettzeug in dem Apartment immer nach frittiertem Fisch rochen. Sogar Steves Klamotten im Kleiderschrank hatten den Mief angenommen. Manchmal liefen ihm auf der Straße streunende Katzen hinterher, angelockt von dem Fischgeruch, den er hinter sich herzog.
Sobald Steve von der Arbeit heimkam, brauchte er dringend eine Dusche. Manchmal würde er sich am liebsten mit dem Desinfektionsmittel einsprühen, mit dem er die Toiletten der Tankstelle reinigte. Hatte er sich schließlich geduscht und war in saubere, bequeme – und ein bisschen fischig riechende – Klamotten geschlüpft, war er bereit, einen Happen zu essen und sich seiner richtigen Arbeit zuzuwenden. Er legte einen gefrorenen Burrito in die Mikrowelle, schnappte sich eine Limo aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Computer.
Das Projekt, an dem er gerade arbeitete – DerApfelfälltnichtweitvomStamm –, war ein familienfreundliches, missionsbasiertes Spiel mit Zeichentrick-Backenhörnchen. Er war mit dem Design zur Hälfte fertig und hoffte, dass sich eine Firma dafür interessieren würde. Und falls nicht, überlegte er, würde er vielleicht versuchen, es einfach auf eigene Faust rauszubringen. Er war es leid, Toiletten zu putzen und darauf zu warten, dass irgendwas Besonderes passierte.
Das erinnerte ihn an etwas. Er musste Amanda noch eine Nachricht schicken, bevor sie ins Bett ging.
Vor Kurzem hatte Steves Ungeduld darüber, dass in seinem Leben nichts passierte, ihn dazu gebracht, sich bei einer Dating-App anzumelden. So lange er denken konnte, träumte er schon davon, eine kluge, gütige, schöne Frau zu heiraten. Sie würden in einem gemütlichen Haus wohnen und zwei bezaubernde Kinder haben, einen Jungen und ein Mädchen. Doch Träume waren das eine und die Wirklichkeit das andere.
Bedauerlicherweise lernte man keine hübschen Frauen kennen, wenn man im Mini-Markt einer Tankstelle die Toiletten putzte und die Böden schrubbte. Hin und wieder kam zwar eine interessante Frau in den Shop, um ihr Benzin oder eine Flasche Milch zu bezahlen, aber mit einem Wischmopp in der Hand war es ziemlich schwierig, charmant und weltmännisch zu wirken.
Eine Zeit lang hatte er auch nicht das Gefühl gehabt, dass die App ihm dabei helfen würde, jemanden kennenzulernen. Doch dann war er auf Amandas Profil gestoßen und hatte ihr zögerlich eine Nachricht geschickt, in der nur stand: „Hi.“ Sie hatte darauf nahezu augenblicklich mit einem „Hi“ geantwortet. Anschließend hatten sie dann schnell Fortschritte gemacht und eine richtige Unterhaltung geführt. Nun, jedenfalls so nah dran an einer richtigen Unterhaltung, wie es mit Texten geht.
Steve hatte sich nicht bloß deshalb von Amandas Profilbild angezogen gefühlt, weil sie im klassischen Sinne schön war, sondern vor allem, weil sie ungeheuer freundlich wirkte. Sie hatte schulterlanges braunes Haar und ein einnehmendes Lächeln. Sie arbeitete als Vorschullehrerin, und da sie so gütig und geduldig war und einen tollen Sinn für Humor hatte, nahm Steve an, dass sie ihren Job großartig machte. Das Seltsame an ihrer „Beziehung“ war allerdings, dass sie zwar schon seit über einem Monat miteinander chatteten, bislang jedoch bloß zweimal miteinander ausgegangen waren. Steve arbeitete von 15 Uhr bis 22 Uhr an der Tankstelle und Amanda unterrichtete von 7 Uhr 30 bis 15 Uhr 30 in der Vorschule. Sie hatten es bis jetzt beim besten Willen nicht geschafft, mehr Zeit miteinander zu verbringen.
Steve schnappte sich sein Smartphone und textete ihr: Ich hoffe, du hattest einen guten Tag.
Sie schrieb zurück: Als Erstes heute Morgen hat ein Kind auf meine Schuhe gekotzt, aber ab da konnte mein Tag ja nur besser werden! LOL.
Steve gluckste amüsiert. Schien ganz so, als hätten sie beide in ihren Jobs mit jeder Menge Widerlichkeiten zu kämpfen. Er tippte: LOL. Wenn’s danach noch weiter bergab gegangen wäre, wär’s auch zu übel geworden. Ich lass dich jetzt schlafen. Gute Nacht.
Sie sandte ihm ein Gute Nacht zurück, zusammen mit einem Emoji von einem verschlafenen Gesicht.
Steve lächelte, legte sein Handy beiseite und machte sich wieder daran, an seinem Spiel zu arbeiten, bis er schließlich zu müde war, um seine Augen noch länger offen zu halten.
Sobald Steve die Tür des Mini-Markts öffnete, schaute sein Chef, ein humorloser Mann in mittleren Jahren mit dem bedauernswerten Namen Gilbert Hurlbutt, von seinem Handy auf und sagte: „Irgend so ’n Gör hat hinten bei der linken Kühltruhe ’n halbes Fass blauen Slushi verschüttet. Mach das sauber!“
„Kein Problem“, entgegnete Steve. Das war das, was er Mr. Hurlbutt immer antwortete. Das war der Weg des geringsten Widerstands.
Er ging rüber zur Abstellkammer und stellte den Eimer unter den Wasserhahn des Waschbeckens. Hätte sich Mr. Hurlbutt einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er Hallo gesagt hätte, bevor er anfing, Anweisungen zu brüllen? Steve goss etwas Reinigungsmittel in den Eimer und grübelte – nicht zum ersten Mal – darüber nach, wie bizarr Mr. Hurlbutts Name war. Mr. Hurlbutts Eltern, vermutlich Mr. Hurlbutt senior und Mrs. Hurlbutt, wussten, dass ihr Kind die Bürde ihres lächerlichen Nachnamens tragen musste. Das war doch schon schlimm genug. Warum hatten sie ihrem Sohn dann nicht wenigstens einen normalen Vornamen gegeben, wie Matthew oder David oder so was, anstatt ihm einen genauso sperrigen Vornamen zu verpassen? Natürlich hätte Mr. Hurlbutt sich Gil oder Bert nennen können. Doch stattdessen war der Name „Gilbert“ dick und fett auf die Brusttasche seines Arbeitshemds gestickt.
Steve war so in seine Grübeleien vertieft, dass der Wischeimer überlief. Er kippte den Eimer zur Seite und goss etwas von dem überschüssigen Wasser weg. Dann schleppte er den Eimer und den Mopp in den hinteren Teil des Ladens, um den klebrigen Schlamassel zu beseitigen.
Während Steve den Boden wischte, beschäftigte er sich in Gedanken mit seinem Spiel und damit, woran er arbeiten würde, sobald er diesen bedeutungslosen Job für heute beendet hatte und wieder zu Hause war.
„Ich sagte: Hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit für mich?“
Steve war so in Gedanken vertieft, dass er nicht einmal bemerkt hatte, dass ein Mann, der direkt neben ihm stand, versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Mann hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Kunden, die es normalerweise in den Laden verschlug – müde Leute in billigen Klamotten, die gerade von der Nachtschicht kamen oder auf dem Weg dahin waren. Obwohl Steve sich mit Kleidung nicht sonderlich gut auskannte, war unschwer zu erkennen, dass der dunkle Anzug, den der Mann trug, einiges gekostet hatte. Der Anzug war makellos, faltenfrei und schien maßgeschneidert zu sein, denn er saß perfekt und betonte die sportliche Figur des Mannes. „Tut mir leid“, sagte Steve. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Gut möglich, dass Sie das können“, entgegnete der Mann. Er hatte ausdrucksstarke Gesichtszüge, die dem Inbegriff der Redewendung „wie gemeißelt“ mehr als gerecht wurden, und einen Haarschnitt, der genauso teuer aussah wie sein Anzug. „Jedenfalls, sofern Sie Steve Snodgrass sind.“
„Der bin ich“, sagte Steve. Er deutete auf sein Namensschild und kam sich schlagartig vor wie ein Schwachkopf.
„Könnten wir vielleicht für einen Moment nach draußen gehen?“, fragte der Mann.
Das Ganze wurde seltsamer und seltsamer. Eigentlich hatte Steve gedacht, der Mann brauche einfach nur Hilfe, weil er irgendwas Bestimmtes im Laden suchte, doch jetzt schien es eher, als wollte dieser Typ etwas von ihm persönlich. Steve spürte, wie er nervös wurde. War der Kerl ein Cop? Ein Serienkiller?
„Ich weiß nicht recht, Sir“, sagte Steve. „Ich hab gerade erst mit meiner Schicht angefangen, darum darf ich eigentlich jetzt noch keine Pause machen. Ich will keinen Ärger mit meinem Boss kriegen.“
„Nun, wenn Sie mich nach draußen begleiten, besteht die Möglichkeit, dass Sie schon in Kürze für einen anderen Boss arbeiten – und das für wesentlich mehr Geld.“ Er lächelte. Er hatte perfekte Zähne.
Steves Verwirrung nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Gehörte dieser Mann etwa zur Mafia? „Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.“
„Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge“, sagte der Mann und reichte Steve eine Visitenkarte.
Steve blickte auf die Karte hinab und las:
Brock Edwards
Personalanwerbung
Fazbear Entertainment
Es dauerte einen Moment, bis der Name Fazbearbei Steve eine Glocke zum Läuten brachte. Er erinnerte sich an diese speziell auf Kids zugeschnittenen Pizzerien, die vor ein paar Jahren ziemlich beliebt gewesen waren, ehe es mit dieser Fast-Food-Kette nach einer Reihe strafrechtlich relevanter Anschuldigungen rasant bergab gegangen war. Gerüchte über Morde machten die Runde, auch wenn er sich nicht mehr entsinnen konnte, von wie vielen die Rede gewesen war. Außerdem gab’s noch schrägeres Zeug … Geschichten über übernatürliche Vorkommnisse und solchen Unsinn. Und obwohl Steve immer noch verwirrt war, musste er zugeben, dass seine Neugierde geweckt war. „Vielleicht könnte ich ’ne Minute mit rauskommen“, sagte er.
„Sehr schön, Mr. Snodgrass“, sagte Mr. Edwards und folgte Steve zur Hintertür hinaus.
Unweit des Müllcontainers hinter der Tankstelle blieben sie stehen. Abfallgeruch hing in der Luft.
„Sind Sie mit Fazbear Entertainment vertraut?“, fragte Mr. Edwards.
„Schon, irgendwie“, sagte Steve. „Ich meine, als Kind war ich ein paarmal in dieser Pizzeria. Bei Geburtstagsfeiern und so was. Außerdem weiß ich ein bisschen über die … Skandale.“
„Bedauerlicherweise ist das genau das, was die meisten Leute mit Fazbear Entertainment in Verbindung bringen“, sagte Mr. Edwards. „In den letzten paar Jahren gab es einige Individuen, die entschlossen waren, den Namen unserer Firma in den Dreck zu ziehen, indem sie grässliche Gerüchte über uns in Umlauf brachten. Und natürlich stürzen sich Presse und Öffentlichkeit wie die Geier auf solchen Schmutz.“ Er rückte seine ohnehin schon gerade Krawatte zurecht. „Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Fazbear Entertainment bestrebt, sich nach außen hin neu zu postieren.“
„Okay. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit mir zu tun hat.“
Mr. Edwards musterte Steve von oben bis unten. „Sie sind doch Game-Designer, oder nicht?“
„Ein aufstrebender, könnte man vielleicht sagen.“ Woher wusste dieser Typ, dass er Spiele machte?
„Sie verkaufen sich unter Wert, Mr. Snodgrass. Sie haben zwei Spiele ins Internet gestellt, und beide sind ziemlich gut.“
„Danke“, sagte Steve, auch wenn er sich noch immer nicht sicher war, woher dieser Kerl das mit seinen Spielen wusste. Unwillkürlich fragte er sich, was Brock Edwards noch alles über ihn wusste.
„Tja, und da kommen Sie ins Spiel“, sagte Mr. Edwards. „In dem Bemühen, unsere Kritiker in die Schranken zu weisen, beabsichtigt Fazbear Entertainment, eine Reihe von Videospielen rauszubringen, basierend auf den Lügen, die über unser Unternehmen die Runde machen. Horrorspiele.“
„Sie meinen Horrorspiele, die auf dem basieren, was die Leute darüber sagen, was in den alten Pizza-Lokalen passiert ist?“, fragte Steve. Die Idee kam ihm im besten Fall geschmacklos, im schlimmsten herzlos, gefühllos und grausam vor.
„Ganz genau“, entgegnete Mr. Edwards. „Sie sollen gruselig sein und sich gleichzeitig über all diese verleumderischen Gerüchte und Anschuldigungen lustig machen, die über uns im Umlauf sind.“ Er ließ ein berechnendes Lächeln sehen. „Wir möchten, dass Sie vier Spiele für uns entwickeln, Mr. Snodgrass. Ich bin sicher, Sie werden feststellen, dass die Bezahlung mehr als großzügig ist, verglichen mit dem, was man Ihnen gegenwärtig fürs, ähm, Bodenfeudeln zahlt.“
Ein Jobangebot in der Videospielbranche. Davon träumte Steve schon sein ganzes Leben. Aber warum kam ihm das Ganze dann so seltsam vor – und so falsch?
„Natürlich wäre es uns am liebsten, wenn Sie unverzüglich anfangen. Wir würden Sie zu einem abgelegenen Ort fliegen, wo Sie alles hätten, um an dem Spiel zu arbeiten, und auch alles, um ein angenehmes Leben zu führen: eine geräumige Unterkunft, einen Privatkoch, Personal, das sich um Ihre persönlichen Besorgungen und um Ihre Wäsche kümmert. Ein eigener Fitnessraum … Falls Sie für so was Verwendung haben.“ Bei diesen Worten beäugte er Steve von oben bis unten, auch wenn ein einziger Blick genügt hätte, um zu erkennen, dass Steve Fitnessstudios allenfalls von außen kannte. „Wir würden Ihnen bis Freitag Zeit geben, um Ihre Angelegenheiten entsprechend zu regeln. Das ist, mit Verlaub, eine einmalige Gelegenheit, Mr. Snodgrass. Was sagen Sie dazu?“
„Horrorspiele, hm?“, sagte Steve zögerlich. Wären es Horrorspiele gewesen, in denen es um Geister und Kobolde und andere rein fiktive Kreaturen ging, hätte er damit kein Problem gehabt. Doch der Gedanke daran, dass die Spiele auf angeblichen, echten Morden basieren sollten, erfüllte ihn mit Unbehagen. Natürlich behauptete Fazbear Entertainment, diese Morde habe es nie gegeben, aber was sollten sie auch anderes sagen?
„Das ist richtig“, sagte Mr. Edwards. „Sie müssen im Universum von Fazbear Entertainment angesiedelt sein, aber innerhalb der Grenzen dieses Universums hätten Sie jede Menge kreative Freiheit.“
„Und warum kann ich nicht hier daran arbeiten?“ Irgendwas an dieser ganzen Situation, von dem er selbst nicht so richtig zu sagen vermochte, was genau, machte ihn nervös.
„Ich bedaure, aber das ist leider nicht möglich“, sagte Mr. Edwards. „Diesbezüglich war die Chefetage sehr bestimmt. Sie wollen nicht riskieren, dass irgendwas davon durchsickert. Leaks und dergleichen, Sie wissen schon.“
Für längere Zeit die Stadt zu verlassen, war ein weiterer Knackpunkt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Arbeitszeiten war es jetzt schon schwierig, die Zeit zu finden, Amanda zu sehen. Bislang kannten sie sich einfach noch nicht gut genug, als dass eine Fernbeziehung zwischen ihnen funktioniert hätte. Allmählich begann er ernsthaft in Erwägung zu ziehen, dass er sie wirklich mochte. War es die Sache wert, sich auf das Risiko mit Fazbear Entertainment einzulassen, einer Firma von bestenfalls zweifelhaftem Ruf, wenn er damit womöglich seine Chancen bei Amanda verspielte?
„Ich weiß Ihr Angebot ehrlich zu schätzen, Mr. Edwards, aber irgendwie kommt es mir nicht richtig vor, den Job anzunehmen“, sagte Steve schließlich. „Die Welt ist auch so schon furchterregend genug, ohne dass wir sie noch um weitere Schrecken bereichern. Ich würde mich lieber gern darauf konzentrieren, familienfreundliche Spiele zu produzieren.“ Abgesehen davon hatte er auch noch andere, persönlichere Gründe, abzusagen, aber das war der Punkt, der ihm am meisten zu denken gab. Gab es in der heutigen Welt nicht schon genug Dinge, vor denen die Kids Angst haben mussten?
Mr. Edwards lachte länger, als angebracht war – so lange, dass Steve sich unbehaglich fühlte. „Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie diese einmalige Gelegenheit sausen lassen, um wieder zurück in den Laden zu gehen und sich Ihren Wischmopp zu schnappen?“
„Ja, ich denke schon“, entgegnete Steve. „Aber vielen Dank für das Angebot.“
Um ehrlich zu sein, freute er sich nicht sonderlich darauf, wieder reinzugehen, um sich von Mr. Hurlbutt anbrüllen zu lassen und die Böden und die Klos zu putzen. Doch gleichzeitig fühlte es sich auf seltsame Weise gut an, sich so entschieden zu haben, wie er sich entschieden hatte.
Noch immer in seinem Pyjama tapste Steve in die Küche hinüber, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Eine Kleinigkeit zu essen und eine ordentliche Ladung Koffein, dann war er bereit, sich ans Werk zu machen und noch einige Stunden an Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm zu arbeiten, bis es Zeit wurde, sich auf den Weg zur Tankstelle zu machen. Er schob zwei Scheiben Toast in den Toaster und nahm zwei Eier aus dem Kühlschrank.
Sein Handy piepte.
In der Annahme, dass es sich um eine Nachricht von Amanda handelte, nahm er das Telefon zur Hand. Jemand hatte ihm über die Dating-App geschrieben. Seltsam. Das war definitiv nicht Amanda, denn die hätte ihm eine ganz normale SMS geschickt. Seine Neugierde war geweckt. Er öffnete die App und las: Eine Nachricht von Victoria.
Wer zum Geier war Victoria?
Er klickte auf die Nachricht und las: Hi. Hättest du irgendwann mal Lust zu chatten?
Er tippte ihr Foto an, um es zu vergrößern. Dann rang er nach Luft. Hätte jemand ihn gebeten, zu beschreiben, wie er sich die perfekte Frau vorstellte, wäre dabei genau die rausgekommen, die er auf dem Bild sah. Victoria hatte langes, gewelltes, glänzend schwarzes Haar, in dem sich das Licht fing. Sie hatte große braune Rehaugen und sonnengebräunte Haut. Sie hatte hohe Wangenknochen und volle Lippen. Sie hatte gerade genug Make-up aufgelegt, um ihre natürliche Schönheit noch mehr zu betonen.
Natürlich, ermahnte er sich, waren die Menschen im Internet grundsätzlich unehrlich. Gut möglich, dass das Bild gar nicht die Person zeigte, die hinter diesem Profil steckte; vielleicht hatte sich jemand, der optisch nicht allzu viel hermachte, einfach ein Foto aus dem Netz besorgt und gab es für das eigene aus. Ebenso gut konnte es sich um ein Bild handeln, das zwar tatsächlich die Frau zeigte, die ihm geschrieben hatte, aber schon zwanzig Jahre alt war.
Aber was, falls nicht? Was, wenn dieser Inbegriff von Anmut und Liebreiz tatsächlich real war und aus irgendeinem Steve völlig unbegreiflichen Grund beschlossen hatte, Interesse an ihm zu bekunden?
Moment, ermahnte er sich. Was ist mit Amanda?
Amanda war eine nette, liebenswürdige Frau, und soweit es ihn betraf, schien es zwischen ihnen eine echte Verbindung zu geben. Doch andererseits waren sie in einer noch so ganz frühen Phase ihrer Beziehung, dass er sich nicht einmal sicher war, dass man das Ganze überhaupt schon als Beziehung bezeichnen konnte. Außerdem hatte sie noch nicht gesagt, dass die Sache exklusiv war. Ebenso gut konnte Amanda ein halbes Dutzend Typen daten. Woher sollte er das wissen?
Darum tippte er auf ANTWORTEN und erwiderte auf Victorias Nachricht ein einziges Wort: Klar.
Im selben Moment, in dem er auf SENDEN drückte, roch Steve etwas Angebranntes. Ihm war, als hätte er einige Minuten lang vollkommen vergessen, wo er sich befand und was er gerade machte. Zu Hause. In der Küche. Beim Frühstück, rief er sich ins Gedächtnis. Er warf einen Blick auf die Küchenzeile und sah schwarzen Rauch vom Toaster aufsteigen.
Nachdem er den verbrannten Toast weggeworfen und ein Fenster aufgemacht hatte, um durchzulüften, goss er sich einen Becher Kaffee ein. Dann setzte Steve sich wieder an den Computer, um an seinem Spiel zu arbeiten. Die geheimnisvolle Nachricht von Victoria – wer immer sie auch sein mochte – hatte ihn zu sehr aufgewühlt, als dass er in diesem Moment imstande gewesen wäre, auch nur einen einzigen Bissen hinunterzubekommen.
Wieder piepte sein Handy.
Victoria: Hi. Ich bin’s. Schön, dass du Lust hast zu chatten. Hast du gerade Zeit?
Klar, tippte Steve. Für dich hab ich immer Zeit! Im selben Moment, in dem die Worte auf dem Display erschienen, hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. So viel dazu, nicht zu interessiert zu klingen.
Victoria: Ich bin das erste Mal bei einer Dating-App. Eigentlich mag ich’s lieber von Angesicht zu Angesicht. Hättest du Lust, dich bald mal mit mir zu treffen? Vielleicht dieses Wochenende?
Steve: Klar.
Victoria: Wenn du willst, kannst du zu mir nach Hause kommen. Ich wohne etwas außerhalb, draußen auf dem Land. Hier ist es echt ruhig. Wir wären total ungestört, könnten in Ruhe über alles quatschen und uns besser kennenlernen.
Steve: Bist du sicher, dass du willst, dass ich dich bei unserem ersten Date gleich zu Hause besuche? Sollten wir uns nicht lieber an einem öffentlichen Ort treffen, für den Fall, dass ich ein Psycho bin oder so?
Victoria: LOL! Ich vertrau dir. Wie wär’s Samstagmittag? Ich mach uns Essen.
Steve: Klingt super.
Praktisch im selben Moment, als sie mit dem Chatten fertig waren, fiel Steve ein, dass er am Samstag eigentlich schon mit Amanda verabredet war. Allerdings war sie jemand, der für so ziemlich alles Verständnis hatte. Es würde ihr nichts ausmachen, wenn sie sich ein andermal trafen. Er schrieb ihr: Tut mir leid wegen Samstag, aber mir ist was dazwischengekommen. Fast augenblicklich textete sie zurück: Schade, aber okay, und dahinter ein Traurig-Emoji.
Steve hatte Schuldgefühle, aber er sagte sich, dass er es wiedergutmachen würde.
Matt tunkte einen Donut in seinen Kaffee; er trug noch immer die Uniform des Computerladens, von dem er Geschäftsführer war. „Aber ich dachte, mit Amanda läuft alles super“, sagte er.
„Tut’s auch.“ Steve hatte Matt angerufen und ihn gefragt, ob sie sich nach der Arbeit in dem rund um die Uhr geöffneten Donut-Laden treffen konnten, in dem sie öfter rumhingen. Mit einem Schlag war in seinem Leben viel zu viel los, und Matt, sein bester Freund seit seinem ersten Jahr am College, war der Einzige, bei dem er das Gefühl hatte, mit ihm über die Sache reden zu können. Matt war gnadenlos ehrlich und hatte noch nie gezögert, Steve klar zu sagen, wenn er dabei war, einen schrecklichen Fehler zu machen. (Außerdem besaß Matt die frustrierende Gabe, praktisch immer richtig zu liegen.) „Aber diese Nachricht“, sagte Steve, „kam praktisch aus heiterem Himmel. Und diese Frau …“ Mit einem Mal fehlten ihm die Worte.
„Diese Frau sagte, sie würde dir ’ne Horde Schläger auf den Hals hetzen, die die Scheiße aus dir rausprügeln, wenn du nicht mit ihr ausgehst?“
Steve lachte. „Nein.“
„Diese Frau sagte, wenn du nicht mit ihr ausgehst, sorgt sie dafür, dass deine dunkelsten Geheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen?“
„Nee“, sagte Steve, noch immer lachend. „Doch um ehrlich zu sein, war mein bisheriges Leben entschieden zu langweilig, als dass ich viele dunkle Geheimnisse hätte.“ Er atmete tief durch und suchte nach den richtigen Worten, um auszudrücken, wie es in ihm aussah. „Diese Frau …“ Er nahm sein Smartphone. „Hier, ich zeig’s dir.“ Er öffnete die Dating-App, fand das Bild von Victoria und hielt es Matt hin.
Matts Unterkiefer fiel genauso herunter wie sein Donut. „Wow“, sagte er. „Schon kapiert. Aber so was von.“
Steve reichte ihm einen frischen Donut. Er war erleichtert, dass Matt ihn verstand.
Obwohl er allmählich anfing, an seinem Navi zu zweifeln, bog Steve von der schmalen, gewundenen Landstraße auf eine andere schmale, gewundene Landstraße ab. Hier draußen war es wunderschön, mit sanften Hügeln und Bäumen und gelegentlich einer Weide voller Kühe. Doch Steve konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, an einem so abgeschiedenen Ort zu wohnen. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass eine so schöne und glamouröse Frau wie Victoria den Wunsch verspürte, in einer so ländlichen Gegend zu leben. Eigentlich hätte er gedacht, dass jemand, der so liebreizend und charmant war wie sie, lieber irgendwo wohnen würde, wo mehr los war. Sehen und gesehen werden und so.
„Jetzt links abbiegen in die Brushy Pine Road“, forderte ihn das Navi auf. „Ihr Ziel befindet sich auf der linken Seite.“
Besagtes Ziel schien eine lange Schotterauffahrt zu sein, die in ein dicht bewaldetes Gebiet führte. Steve hatte so seine Zweifel, dass er hier wirklich richtig war, doch er fuhr weiter, denn bislang hatte das Navi ihn noch nie fehlgeleitet.
Schließlich endete die Auffahrt bei einem Gebäude. Es war klein und bescheiden, ein hübsches kleines weißes Häuschen mit grünen Jalousien und einer grünen Eingangstür. Um ehrlich zu sein, wirkte das Gebäude eher wie das Zuhause einer Großmutter als wie das Heim einer attraktiven, jungen Singlefrau. Er parkte, schnappte sich den Strauß Blumen, den er im Supermarkt für sie besorgt hatte, und ging zum Haus hinüber, um an die Tür zu klopfen.
Niemand öffnete. Steve seufzte. Hatte ihm jemand einen Streich gespielt?
Er probierte den Knauf und stellte überrascht fest, dass die Tür unverschlossen war. „Hallo?“, rief er. „Jemand zu Hause?“ Als darauf keine Antwort kam, trat er ein. Normalerweise wäre er nicht ohne Erlaubnis ins Haus von jemand Fremden gegangen, doch er sagte sich, dass er schließlich eingeladen worden war, und das genügte ihm als Rechtfertigung vor sich selbst.
Drinnen erwartete Steve die nächste Überraschung, als er sich in einem leeren Raum wiederfand. Die weißen Wände waren leer, vor den Fenstern hingen keine Gardinen und es gab kein einziges Möbelstück. Er fragte sich, ob er hier tatsächlich richtig war. Oder ob Victoria in Wahrheit als Immobilienmaklerin arbeitete und sich hier mit ihm treffen wollte, um ihm ein Haus anzudrehen, anstatt ihn zu daten.
Das Haus mochte leer sein, doch still war es nicht. Er vernahm ein zwar leises, aber stetes mechanisches Surren, und dann – so plötzlich, dass Steve erschrak – ein lautes, schrilles Dröhnen, das nicht bloß seinen Ohren wehtat, sondern auch seinem Hirn. Was geht hier vor? Was ist das für ein seltsamer Ort? Plötzlich fühlte er sich unsicher auf den Beinen. Er musste sich an der Wand abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
„Steve!“ Das grässliche Dröhnen verstummte und machte einer Frauenstimme Platz, so weich und geschmeidig wie Seide. „Tut mir so leid! Ich hab dich gar nicht klopfen hören.“ Ihr Aussehen enttäuschte ihn nicht. Als sie so vor ihm stand, sah sie genauso aus wie auf dem Bild, das er online gesehen hatte, nur noch besser. Sie trug ein eng anliegendes grünes Kleid, das zu den grünen Sprenkeln in ihren braunen Augen passte. Sie hatte eine sportliche, straffe Figur, als würde sie regelmäßig Sport treiben, war an den richtigen Stellen aber auch wunderbar kurvig.
Steve war schockverliebt. „Hi“, sagte er und wünschte, er hätte sich für diesen besonderen Moment, in dem sie einander das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, einen cleveren Spruch einfallen lassen. Da dem nicht so war, hielt er ihr stattdessen hastig den Blumenstrauß hin.
Sie nahm die Blumen entgegen und lächelte. Sie hatte wundervolle Lippen und strahlend weiße Zähne. „Wie schön … und so aufmerksam von dir! Vielen Dank.“ Sie schaute sich im Zimmer um, als würde sie versuchen, sich auszumalen, welchen Eindruck das alles auf ihn machen musste. „Ich weiß, ich hab hier bislang noch nicht viel gemacht, aber ich glaube, wenn alles fertig ist, kann’s hier echt gemütlich werden. Und wegen des Abendessens: Ich dachte mir, wir machen so was wie ein Picknick auf dem Boden. Wir können eine Decke hinlegen. Ich habe Brot und Käse und Obst und richtig tolle Schokolade.“
„Klingt super.“ Doch bevor Steve noch mehr dazu sagen konnte, ertönte ein weiterer grässlicher, schriller, elektronischer Schrei. Er schaute in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah das rote Lämpchen am Rauchmelder blinken. Sonderbar. Er konnte weder Rauch sehen noch riechen. Er hob den Arm, um das Gerät auszuschalten, doch dann wurde ihm plötzlich schwindelig, als sich der Raum um ihn herum immer schneller und schneller zu drehen begann, wie ein außer Kontrolle geratenes Karussell. Und dann … war da nichts mehr.
Steve schlug die Augen auf. Er lag auf einer Couch. Aber wo? Der Grundriss des kleinen Zimmers kam ihm zwar bekannt vor, doch als er es zuletzt gesehen hatte, war es leer gewesen. Jetzt standen hier das schokoladenbraune Sofa, auf dem er lag, und ein dazu passender Sessel. Auf einem Beistelltischchen stapelten sich Modezeitschriften und Technikmagazine und es gab eine große Schrankwand mit einem Flachbildfernseher und mehreren verschiedenen Videospielkonsolen. An den Wänden, die zuvor nackt gewesen waren, hingen jetzt Bilder von Victoria. Victoria beim Wandern in den Bergen, ihr glänzendes Haar vom Wind zerzaust und wunderschön. Victoria auf einer Sonnenliege am Strand, sonnengebräunt und atemberaubend in einem smaragdgrünen Bikini. Victoria, die auf einer Parkbank saß und ein Waffeleis aß und mit dem kleinen Klecks Eiscreme auf ihrer perfekten Stupsnase einfach bezaubernd aussah.
Dann kam Victoria selbst barfuß ins Zimmer getapst. Sie trug Jeans und ein schwarzes, hautenges T-Shirt. Hatte sie vorhin nicht ein Kleid an? Doch andererseits war der Raum da ja auch leer gewesen. Steve war vollkommen verwirrt und desorientiert.
„Hey, Schatz“, sagte Victoria. „Du hattest einen schlimmen Schwindelanfall und bist auf dem Sofa ohnmächtig geworden. Ich hab dir ein Glas Wasser geholt. Warum versuchst du nicht, dich aufzusetzen und einen Schluck zu trinken?“
Steve hatte noch nie zuvor einen Schwindelanfall, aber als er jetzt darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er wegen der Verabredung mit Victoria so aufgeregt gewesen war, dass er ganz vergessen hatte, heute Morgen zu frühstücken. Er richtete sich langsam auf. „Weißt du, ich glaube, ich sollte einfach mal was essen.“ Er nahm das Wasserglas entgegen und überraschte sich selbst damit, dass er es mit wenigen großen Schlucken leerte. „Wollten wir nicht ein Picknick auf dem Boden machen?“
Jetzt war es an Victoria, verwirrt dreinzuschauen. „Ein Picknick auf dem Fußboden? Du meinst wie bei unserem ersten Date?“
„Bei unserem ersten Date? Aber das hier ist …“ Steve ließ seinen Blick durch den eingerichteten Raum schweifen. „Tut mir leid. Ich bin gerade echt durcheinander.“
Victoria ließ sich neben ihn sinken und nahm seine Hand. Ob nun durcheinander oder nicht, Steve mochte es, wenn sie ihm so nah war. Ihn berührte.
„So was kommt vor, Liebling“, sagte sie. „So was kommt vor.“ Sie drückte seine Hand. „Manchmal vergisst du einfach Dinge. Seit diesem Autounfall vor ein paar Jahren hast du immer wieder Gedächtnisverlust.“
„Ich erinnere mich nicht an irgendeinen Autounfall“, sagte Steve. Er war ein sehr umsichtiger Fahrer.
„Ganz genau.“ Victoria drückte liebevoll sein Knie. „Du bist damals übel mit dem Kopf angestoßen. Dabei hast du dir eine Hirnverletzung zugezogen. Die meiste Zeit über ist mit dir alles okay, aber manchmal setzt vorübergehend deine Erinnerung aus. Dann ist es, als würdest du neu hochfahren, wie ein Computer nach einem Stromausfall, und nach einer Weile ist wieder alles in Ordnung.“
Das waren beunruhigende Neuigkeiten. Er fragte sich, wie oft Victoria ihm das wohl schon erklärt hatte. „Aber irgendwann erinnere ich mich wieder an alles?“
Victoria lächelte. „Immer.“
Steve nickte. Diese Erläuterung war zwar schräg, ergab aber trotzdem irgendwie Sinn. Sein Zeitgefühl war im Eimer. Das erklärte alles. „Also sind du und ich … Wir sind zusammen?“
Victoria lachte. „Wir sind aber so was von zusammen! Warte.“ Sie erhob sich von der Couch, schnappte sich eins der gerahmten Fotos von der Wand und reichte es ihm.
Das Foto war draußen aufgenommen worden, unter einem Blumenbogen. Victoria trug ein Spitzenkleid mit Schleier und hielt einen Strauß Blumen in den Händen, die zu denen passten, mit denen der Bogen geschmückt war. Steve stand neben ihr. Er trug einen Smoking, doch vor allem lächelte er so breit, dass es schon fast albern wirkte.
Kein Wunder, dachte Steve. Sein Hochzeitstag musste der glücklichste Tag seines Lebens gewesen sein. Zu schade, dass er sich nicht im Mindesten daran erinnerte. „Du bist wunderschön“, sagte er.
„Es war ja auch ein wunderschönes Kleid“, sagte Victoria.
„Nicht bloß auf dem Foto“, sagte Steve. „Immer. Du bist immer wunderschön.“
„Ach, wie süß von dir!“ Victoria strahlte. Sie beugte sich vor und presste ihre Lippen auf die seinen.
Es war großartig. Es fühlte sich an wie ihr allererster Kuss.
„Daddy! Aufwachen! Es ist Zeit für Pancakes!“
Steve machte die Augen auf. Zwei Kinder standen neben dem Bett. Sie trugen Schlafanzüge mit irgendwelchen Zeichentrickfiguren darauf, hüpften auf und ab und brüllten: „Pancakes! Pancakes!“ Das Mädchen schien ungefähr vier zu sein, der Junge vielleicht zwei. Beide hatten dichtes schwarzes Haar und große, braune, grüngesprenkelte Augen. Es waren bildhübsche Kinder. Der Junge, den er sich immer gewünscht hatte. Das Mädchen, das er sich immer gewünscht hatte. Doch er erinnerte sich nicht an Schwangerschaften, an Geburten oder daran, Kinder aufwachsen gesehen zu haben. Er wusste nicht mal, wie die Kinder hießen. Waren das überhaupt seine?
„Pancakes, hm?“ Steve setzte sich im Bett auf und versuchte vergebens, sich zu orientieren. Ihm fiel auf, dass die Wände mit Fotos der Bilder bedeckt waren, vom Säuglingsalter bis heute. Auf einigen der Fotos war Steve sogar mit ihnen zusammen zu sehen.
„Heute ist Samstag, und samstags macht Mami immer Pancakes“, sagte das kleine Mädchen, als würde sie ihn belehren.
„Okay, klingt gut“, sagte Steve und stand auf. „Geht vor.“
Das kleine Mädchen nahm seine eine Hand und der kleine Junge die andere. Es war ein schönes, unvertrautes Gefühl, zu spüren, wie diese winzigen Hände die seinen festhielten.
Victoria war in der Küche. Selbst in ihrem rosa Morgenmantel, ohne Make-up und mit unfrisierten Haaren sah sie bezaubernd aus. Sie stand am Herd und wendete fachmännisch Pancakes in einer Pfanne.
„Gelobt sei die Pancake-Königin“, sagte Steve und küsste sie auf die Wange.
„Wohl eher die Pancake-Sklavin“, entgegnete sie lachend. „Ich vergesse immer, wie aufwendig das Ganze ist, bis ich schon mittendrin bin!“
„Nun, wir wissen deine Bemühungen jedenfalls sehr zu schätzen, nicht wahr, Kinder?“, sagte Steve. Er beschloss, die beiden einfach „Kinder“ zu nennen, bis er einen Hinweis darauf bekam, wie sie hießen.
„Danke, Mami!“, sagten die Kinder und umarmten sie.
„Gern geschehen“, sagte Victoria. „Also, Abigail und Avery, setzt euch schon mal an den Tisch. Eure Pancakes sind in einer Minute fertig.“ Sie wandte sich an Steve. „Und, Schatz? Der Kaffee ist fertig. Wie wär’s, wenn du uns welchen eingießt?“
„Sicher“, sagte Steve, obgleich er in Gedanken immer wieder wiederholte: Abigail und Avery, Abigail und Avery. Er hatte keine Ahnung, wo die Kaffeebecher waren, und machte als Erstes den falschen Schrank auf, doch beim zweiten Versuch fand er, was er suchte. Er goss ihnen beiden einen Becher ein.
„Für mich mit einem Schuss Milch“, sagte Victoria. „Wie immer.“
Genau wie an alles andere konnte er sich auch daran nicht erinnern. Doch er sagte: „Natürlich.“ Und holte die Milch aus dem Kühlschrank.
Es war ein fröhliches Frühstück. Die Pancakes waren ausgezeichnet und der Speck knusprig, genauso, wie er es am liebsten mochte. Doch das Schönste war, als Familie am Tisch sitzen zu können, während die Kinder plapperten und lachten und er und Victoria einander innig anlächelten. Das hier … Das hatte er sich immer gewünscht. War es wichtig, dass er sich nicht daran erinnerte, wie es zu alledem gekommen war? Vermutlich nicht. Die Leute sagten doch immer, man solle den Augenblick leben, und genau das tat Steve gerade. Wenn man sich nicht an seine Vergangenheit erinnern konnte, konnte man davon auch nicht runtergezogen werden.
„Und, hast du immer noch vor, heute den tropfenden Wasserhahn im Bad zu reparieren?“, fragte Victoria.
Steve konnte sich nicht entsinnen, dass das sein Plan gewesen war, doch sein Dad hatte ihm einiges übers Klempnern beigebracht, darum fiel es ihm nicht schwer, zustimmend zu nicken. „Ich werd’s jedenfalls versuchen“, sagte er.
Als Steve ein paar Minuten später, nachdem er den Wasserhahn repariert hatte, ins Wohnzimmer kam, saß Victoria auf dem Sofa und sagte: „Wir müssen reden.“ Sie wirkte bekümmert.
Gedächtnisprobleme hin oder her, Steve wusste trotzdem nur zu gut, dass dieser spezielle Satz nie Gutes verhieß. „Okay“, sagte er und ließ sich neben sie sinken.
Sie nahm einen Briefumschlag vom Beistelltisch. „Das war heute in der Post.“ Sie gab ihm den Umschlag.
Er holte den Brief heraus und las: Ankündigung zur Zwangsversteigerung. „Moment … Was? Unser Haus soll zwangsversteigert werden?“
„Sieht ganz so aus“, sagte Victoria. „Uns steht das Wasser schon eine ganze Weile bis zum Hals. Eigentlich wollte ich unbedingt so lange zu Hause bleiben, bis die Kids in den Kindergarten kommen, aber wenn’s nicht anders geht, gehe ich eben wieder arbeiten.“
„Nicht so hastig“, sagte Steve. Er wusste schon im Voraus, dass er sich wegen dem, was er gleich sagen würde, wie ein Schwachkopf vorkommen würde, aber er musste ihr diese Frage stellen. „Habe ich … einen Job?“
„Klar“, sagte Victoria. „Du arbeitest bei der Tankstelle.“
„Oh“, sagte er. Wie man Toiletten putzt, hatte er offenbar nicht vergessen.
„Aber selbst, wenn du Überstunden machst, reicht das Geld nicht, um unsere Lebenshaltungskosten zu decken“, sagte Victoria. „Vor allem, seit die Kinder da sind.“
„Nun, ich schätze, dann suche ich mir eben einen besser bezahlten Job.“
Victoria schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Wirklich? Das wäre großartig!“
„Hier kommt das Kitzelmonster!“ Steve streckte seine Hände aus und wackelte mit den Fingern. Abigail und Avery rannten kichernd durchs Wohnzimmer.
„Fang mich, Daddy!“, rief Avery. „Fang mich!“
Jedes Mal, wenn eins der Kinder ihn „Daddy“ nannte, machte sein Herz vor Freude einen Satz. Drohende Zwangsversteigerung hin oder her, er war noch nie im Leben so glücklich gewesen wie in diesem Moment.
Er hörte den Wagen bereits, bevor er ihn sah. Das lag an ihrer langen Schotterauffahrt. Wenn ein Auto kam, vernahm man das Geräusch der Reifen auf dem Kies immer schon ein paar Sekunden, bevor das Fahrzeug selbst in Sicht kam. Als er aus dem Fenster schaute, stellte er fest, dass der Wagen in diesem Fall glänzend schwarz war, und offensichtlich ziemlich teuer.
Sofern er das nicht auch vergessen hatte (was angesichts seiner Gedächtnisprobleme sehr wahrscheinlich war), erwarteten sie keinen Besuch. Er fragte sich, ob das wohl jemand war, der wegen der Zwangsversteigerung mit ihm reden wollte, der vielleicht verlangte, dass er irgendwelche Papiere unterschrieb, um damit offiziell zu besiegeln, dass seine Familie ihr Zuhause verlor. Steve machte sich auf das Schlimmste gefasst.
„Kinder“, sagte er. „Ab ins Bad, Hände waschen! Es gibt gleich Essen. Eure Mom macht Spaghetti mit Fleischbällchen.“
„Pasketti und Fleischbällchen!“, trällerte Abigail und nahm ihren Bruder bei der Hand.
„Ich mag Fleischbällchen“, sagte Avery.
Sie eilte davon, um sich die Hände zu waschen, und überließ es Steve, sich seinem Schicksal zu stellen.
Steve trat auf die Veranda hinaus. Der schwarze Wagen stoppte. Einen Moment später stieg ein Mann aus.
Sonderbar. Steve hatte so vieles vergessen, doch an diesen Mann erinnerte er sich. Das perfekt frisierte Haar. Der teure Anzug. Steve erinnerte sich sogar noch genau daran, was auf seiner feschen Visitenkarte stand: Brock Edwards. Personalanwerbung. Fazbear Entertainment.
Der Mann kam lächelnd näher. Seine Zähne waren strahlend weiß. „Mr. Snodgrass“, sagte er. „Wir sind uns schon einmal begegnet.“
„Brock Edwards. Fazbear Entertainment“, sagte Steve und streckte seine Hand aus, um die des Mannes zu schütteln.
„Sie haben ein gutes Gedächtnis“, sagte Mr. Edwards und ergriff Steves dargebotene Hand.
„Nur bei gewissen Dingen“, sagte Steve. „Wären Sie einverstanden, hier draußen auf der Veranda zu sitzen? Wir könnten natürlich auch reingehen, aber ich habe zwei Kinder, vier und zwei Jahre alt, daher könnte ich nicht garantieren, dass wir dann sonderlich viel Ruhe hätten.“
„Die Veranda ist vollkommen in Ordnung“, sagte Mr. Edwards.
Sobald sie in den beiden Schaukelstühlen auf der Veranda Platz genommen hatten, fragte Steve: „Möchte Sie vielleicht etwas trinken? Eistee? Limonade?“
„Nein, vielen Dank“, entgegnete Mr. Edwards. „Steve, da Ihr Gedächtnis so ausgezeichnet funktioniert, erinnern Sie sich bestimmt noch an das Angebot, das ich Ihnen gemacht habe, als wir uns das letzte Mal sahen.“
Seltsamerweise konnte Steve sich tatsächlich an jede Einzelheit davon entsinnen. Die Horrorspiele, basierend auf den „Mythen“ rings um Fazbear Entertainment. Angesichts der drohenden Zwangsvollstreckung kam die Grundidee für die Games Steve auf einmal gar nicht mehr so fragwürdig vor. „Das tue ich“, sagte er.
Mr. Edwards nickte. „Nun, wir von Fazbear Entertainment möchten, dass Sie wissen, dass dieses Angebot nach wie vor gilt.“
„Kann ich hier bei meiner Familie bleiben, während ich an dem Projekt arbeite?“ Soweit er sich erinnerte, gehörte letztes Mal zu den Bedingungen des Deals, dass er für eine ganze Weile an einem abgeschiedenen Ort leben sollte.
„Ja, das können Sie“, sagte Mr. Edwards. „Wir wollen, dass Sie dort arbeiten, wo Sie sich am wohlsten fühlen.“
Steve konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr Haus war gerettet! Er zögerte keine Sekunde. „Ich bin dabei“, sagte er.
Als sie an diesem Abend nebeneinander im Bett lagen, legte Victoria ihren Kopf an seine Schulter. „Ich kann kaum glauben, dass du es wirklich geschafft hast, uns zu retten“, sagte sie.
„Fazbear Entertainment hat uns gerettet“, sagte Steve, auch wenn er zugeben musste, dass ihre Worte ihm ein gutes Gefühl verschafften.
„Na ja, hättest du nicht das Talent und die Fähigkeiten, die Fazbear Entertainment braucht, dann hätten sie uns nicht gerettet. Dementsprechend hast du uns gerettet.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist mein Held!“
„Ach, Blödsinn“, sagte Steve. Obwohl er nicht abstreiten konnte, dass er ganz zufrieden mit sich war.
Sie hielten einander ganz fest, bis Steve irgendwann in einem tiefen Schlummer versank.
Das Geräusch kam aus dem Wohnzimmer. Ein Stampfen und Poltern. Ein Einbrecher? Ihr Haus lag so weit draußen auf dem Land, dass Steve überrascht war, dass jemand, der die Absicht hatte, sie auszurauben, es überhaupt gefunden hatte. Er stieg aus dem Bett und steckte sein Handy in die Tasche seines Morgenmantels, bereit, die Polizei anzurufen.
Nein, Moment. Wann hatte er sein Telefon das letzte Mal benutzt? Soweit er sich erinnern konnte, hatte sein Handy beim letzten Mal, als er es benutzen wollte, nicht funktioniert.