Fleischfabrik Deutschland - Anton Hofreiter - E-Book
SONDERANGEBOT

Fleischfabrik Deutschland E-Book

Anton Hofreiter

4,3
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein zynisches Geschäft

Die industrielle Massentierhaltung nimmt trotz des Biotrends immer gewaltigere Ausmaße an. Das schädigt massiv unsere Gesundheit, zerstört die Umwelt und quält Tiere. In diesem System nimmt Deutschland als einer der größten Fleischproduzenten Europas eine skandalöse Schlüsselposition ein und trägt eine besondere Verantwortung zur Veränderung. Dennoch marschiert die deutsche Agrarpolitik mit milliardenschweren EU-Subventionen in die falsche Richtung und verschlimmert die Situation zusehends. Dr. Anton Hofreiter deckt die verheerende Funktionsweise der Fleischfabrik Deutschland auf und zeigt, welche realistischen Stellschrauben betätigt werden müssen, um Tierschutz und Wasserqualität zu verbessern, die Artenvielfalt zu erhalten und gutes Essen für alle produzieren zu können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 251

Bewertungen
4,3 (18 Bewertungen)
9
6
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anton Hofreiter

Fleischfabrik Deutschland

Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Originalausgabe

© Verlagsgruppe Random House

Copyright © 2016 Riemann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Johannes Bucej

Redaktionelle Mitarbeit: Jonas Pohlmann, Claudia Reshöft

Umschlaggestaltung: Martina Baldauf, herzblut02, München

Grafiken: Martina Baldauf und Björn Wallbaum

Satz: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-18478-0V001

www.riemann-verlag.de

Inhalt

Vorwort: Wann, wenn nicht jetzt?

Vom Kükenschreddern, von Güllefluten und dem weltweiten Artensterben

Das Schweinesystem

Schluss mit Bullerbü?

Die Fleischfabrik Deutschland

Was für ein Sauleben

Das Schweinesystem

Das Sauleben der Anderen

Zwischenruf: Ethische Grundsätze statt industrieller Maßstäbe

Töten am Fließband

Ausbeutung im Schlachthof

Zwischenruf: Die V-Frage

Gefahren aus dem Stall

Angst vorm Essen

Auf dem Weg ins postantibiotische Zeitalter

Woher gefährliche Keime kommen

Die Gesundheit von Mensch und Tier zusammendenken

Unser Wasser wird schlecht

Ohne Netz und doppelten Boden

Das sechste Massenaussterben

Das Verstummen der Natur in Deutschland

Wozu braucht die Welt Spatzen und Wildbienen?

»Pflanzenschutz« tötet

Krebsgefahr vom Acker

Unser Klima

Unsere Landwirtschaft vor dem Klimawandel schützen

Vom Winde verweht

Eine Frage der Gerechtigkeit

Über den Tellerrand hinaus

Modernes Raubrittertum

Lebensgefährlicher Widerstand

Gensoja, Glyphosat & Großgrundbesitz – Eindrücke meiner Reise nach Brasilien

Auf dem Rückweg

Zur Flucht gezwungen

Wie werden wir alle satt?

Konzerne als »Entwicklungshelfer«

Das Geschäft mit dem Hunger

Das Saatgut-Monopoly

Globale Spieler – Lokale Verlierer

Die Schuldfrage

Getriebene eines falschen Systems

Aus dem Alltag eines Bauern

Wachse oder weiche

Die Profiteure sitzen woanders

Die Bundesregierung schaut zu

Löchrige Gesetze

Der Agrarminister und die Nebelkerzen

Tierschutz als Staatsziel

Das Kükenschreddern und andere Missstände

Schutz unseres Wassers

Falsches Geld

Ein Blick zurück

Wer hat, dem wird gegeben

Die Legitimität der Milliardensubventionen schwindet

Europas mächtigste Lobby

Ein ungleicher Kampf

Wie Lobbyorganisationen arbeiten

Der lange Arm der Agroindustrie in die Politik

Wen der Bauernverband eigentlich vertritt

TTIP und CETA

Es geht um die Wurst

Landwirtschaft und Verbraucherschutz dürfen keine Verhandlungsmasse sein

Fairer Handel statt Hinterzimmerdeals

Aufbruch in die Agrarwende – hin zu einer grünen Landwirtschaft

Mut zur Veränderung

Der Widerstand wächst

Eine Bewegung für gutes Essen

Es grünt

Die grüne Landwirtschaft sprießt bundesweit

Rückenwind aus der Wissenschaft

Zwischenruf: Nachhaltiger Konsum statt Politik?

Die Grundsteine für eine grüne Agrarwende

Sechs Schritte für eine grüne Agrarwende

Ausstieg aus der Massentierhaltung und Einstieg in eine faire Tierhaltung

Den Bauern die Zukunft

Vom Umweltzerstörer zum Umweltschützer

Transparenz und Verbraucherschutz

Fairer Handel statt TTIP und CETA

Global und sozial gerechte Landwirtschaft

Was wir davon haben

Anhang

Dieses Buch widme ich allen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit in ihrem Kampf gegen die Agroindustrie.

Vorwort: Wann, wenn nicht jetzt?

Während ich dieses Buch schreibe, kommen in Deutschland über eine Million Geflüchtete an. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, aus Eritrea, aus dem Irak. Man spricht von der Flüchtlingskrise, doch in Wahrheit ist es eine Krise Europas. Unser Kontinent droht seine ureigenen Werte Freiheit, Menschlichkeit und Solidarität aus Angst zu opfern. Deutschland hat im Jahr 2015 viel geleistet, viele Menschen aufgenommen und viel Engagement gezeigt. Doch gegen Ende des Jahres wird die Stimmung in einem Teil unserer Bevölkerung sehr hässlich. Während im Mittelmeer immer mehr Kinder und Frauen ertrinken, streiten sich die Populisten von CDU/CSU, SPD und AfD darüber, wer die inhumaneren Abschottungsvorschläge hat.

Es scheint fast kein anderes politisches Thema mehr zu geben. Müssen wir in solchen Zeiten über Landwirtschaft reden? Ist das der richtige Zeitpunkt, um über die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel produzieren, zu reden? Der richtige Zeitpunkt eine Agrarwende zu fordern?

Die Frage, wie wir heute und in Zukunft Landwirtschaft betreiben, ist eine der zentralen Menschheitsfragen. Denn es geht darum, unsere elementaren Lebensgrundlagen zu erhalten: Unser Klima, unsere Tier- und Pflanzenarten, unsere fruchtbaren Böden, unser Trinkwasser. Wenn wir so weitermachen wie bisher, zerstören wir diese Lebensgrundlagen. Wasser wird immer knapper, Böden werden unfruchtbar, immer mehr Regionen leiden unter Dürre. Auch als Folge der industriellen Landwirtschaft von heute. Das wird in Zukunft noch viel mehr Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.

Es geht auch um grundlegende ethische Fragen: Wir halten Tiere millionenfach unter unzumutbaren Bedingungen lebenslangen Leids. Wollen wir das wirklich weiterhin so machen? Es geht um Fragen von Gerechtigkeit: Welche internationalen Auswirkungen unserer Produktion und unseres Konsums sind wir bereit in Kauf zu nehmen? Und wie werden wir in Zukunft alle satt, 8, 9 oder 10 Milliarden Menschen? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Und Fragen, die wir nicht aufschieben dürfen.

Manch einer denkt, Landwirtschaft, Nahrung und gutes Essen seien Luxusprobleme für gutsituierte Ökobürger. In schwierigen Zeiten müsse man sich in der Politik um Wichtigeres kümmern. Aber bei der Agrarwende geht es nicht um Gourmet-Food und Lifestyle-Fragen. Es geht um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen unseres Planeten. »Feed the World«, darum geht es, um die Zukunft der Nahrung, der Lebens-Mittel – im buchstäblichen Sinne.

Krisen entstehen nicht von selbst. Krisen entstehen, weil man Warnungen ignoriert, kurzsichtig handelt und Probleme aussitzt. Meistens ist das Wissen um die Probleme da. Das gilt auch für die Probleme der industriellen Landwirtschaft. Wir kennen sie, wir können handeln und eine Agrarwende einleiten. Wann, wenn nicht jetzt?

Es gibt in Deutschland viele Leute, die meinen, ökologisch seien wir schon auf einem guten Weg. Und ja, es stimmt, es wurde Wichtiges erreicht. Wir haben das große Waldsterben aufgehalten. Und wir steigen aus der Atomkraft aus. Dieses Thema hat mich und viele andere Grüne stark politisiert, gegen viel Widerstand der Atomlobby haben wir das durchgekämpft. Die Klimaverhandlungen von Paris am Ende des Jahres 2015 waren ein Erfolg, auch wenn vieles davon nun erst noch umgesetzt werden muss. Heute zweifelt in Deutschland kaum jemand mehr daran, dass der Atomausstieg richtig war, dass wir Klimaschutz betreiben müssen und dass die Energiewende richtig und wichtig ist. Zumindest traut sich kaum mehr jemand laut daran zu zweifeln.

Aber von einer ökologisch nachhaltigen und gerechten Entwicklung sind wir weit entfernt – auch in Deutschland. Wir Menschen verursachen zurzeit die größte Aussterbekatastrophe seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Bei uns in Deutschland – hier vor unserer eigenen Haustür – ist jede dritte Art gefährdet. Hauptursache für das Artensterben ist die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden, Monokulturen und ihrer Überdüngung.

Und auch bei der Klimakrise sind wir national ebenso wie international meilenweit davon entfernt, diese riesige Bedrohung für uns Menschen wirklich abzuwenden. Die Landwirtschaft spielt beim Kampf gegen den Klimawandel eine Schlüsselrolle. Fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgase stammen aus diesem Sektor. Besonders klimaschädlich ist die industrielle Massentierhaltung. Der ökologische Fußabdruck von industriell produziertem Fleisch ist um ein Vielfaches größer als der von anderen Lebensmitteln.

Anders als zum Beispiel bei der Energiepolitik gibt es bei der Landwirtschaft im Gros keinen Trend zum Besseren. Unsere Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Besonders die Tierhaltung. In Deutschland werden immer mehr Tiere in immer größeren Ställen gehalten. Und ständig werden neue Megaställe gebaut. Dabei wird die industrielle Massentierhaltung von den allermeisten Menschen abgelehnt. Die Fleischfabrik Deutschland verursacht millionenfaches Tierleid. Das ist nicht anständig. Und es ist nicht zukunftsfähig.

Die Fleischfabrik Deutschland führt auch international zu Verwerfungen. Als Student Anfang 20 hatte ich das Privileg, Regionen auf unserem Planeten zu besuchen, in denen die Natur noch völlig unberührt war. Ich bin damals unter anderem durch die Regenwälder und Savannen Brasiliens gereist, auch in den südlichen Bundesstaat Mato Grosso. Mato Grosso, das bedeutet übersetzt dichter Wald (eigentlich dichter Busch). Doch davon ist heute nicht mehr viel übrig. Als ich letztes Jahr noch einmal dort war, war vom ursprünglichen Regenwald nichts mehr zu sehen. Stattdessen Agrarwüsten und Sojaplantagen, soweit das Auge reicht. Wo einst dichte Wälder standen, werden heute Futtermittel für die Massentierhaltung angebaut. Exportiert wird auch nach Deutschland. Die wachsende Fleischproduktion der Tierfabrik Deutschland hängt am Tropf der Sojaimporte aus Südamerika.

Die hochsubventionierte und durchindustrialisierte Fleischproduktion führt dazu, dass Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben. Dumpingfleischexporte aus der Fleischfabrik Deutschland zerstören die Märkte des globalen Südens und nehmen vielen Menschen Job und Einkommen.

Das System versagt. Und es kann nur politisch verändert werden. Wir brauchen eine Agrarwende. Leider ist das bei der derzeitigen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD noch nicht angekommen. Sie unternimmt nichts gegen die Missstände. Seit die CSU das Landwirtschaftsministerium besetzt, treten unfähige Politiker und Lobbyisten der Agroindustrie bei drängenden Fragen immer wieder auf die Bremse und verhindern Verbesserungen. Stattdessen setzen sie auf ein weiteres Wachsen der Fleischfabrik Deutschland. Gleichzeitig opfern sie über die internationalen Handelsabkommen TTIP und CETA den Verbraucherschutz und bäuerliche Existenzen auf dem Freihandelsaltar.

Ist dieses Systemversagen alternativlos? Nein. Eine Agrarwende hin zu einer grünen Landwirtschaft ist nötig und möglich. Wir brauchen einen neuen Wertekompass für unsere Lebensmittelproduktion. Ich stelle in diesem Buch sechs pragmatische Schritte für eine Agrarwende vor, von der Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie Bäuerinnen und Bauern profitieren. Sie sind nötig, damit es den Tieren besser geht, damit unsere Landwirtschaft ökologischer und gerechter wird und Lebensmittel dabei bezahlbar bleiben.

Eines ist mir besonders wichtig, denn es wird oft missverstanden: Dieses Buch richtet sich nicht gegen unsere Bäuerinnen und Bauern! Ich komme selbst vom Land, aus einem kleinen Dorf in Oberbayern, und kenne das Landleben. Ich habe in den letzten Jahren viele Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen besucht. Viele stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Immer mehr kleine und mittelständische Betriebe müssen aufgeben. Ich will die Bäuerinnen und Bauern zu Partnern der Agrarwende machen. Denn nicht sie sind die Profiteure der zunehmenden Fleischproduktion. Davon profitieren nur die großen Fleischkonzerne.

Ich will einen Aufbruch zu einer zukunftsfähigen und gerechten, einer grünen Landwirtschaft. Hier in Deutschland können wir zeigen, wie es geht.

Anton Hofreiter

Vom Kükenschreddern, von Güllefluten und dem weltweiten Artensterben

© tbob j. affelwolf

Das Schweinesystem

Schluss mit Bullerbü?

Bäuerin und Bauer – das war in den frühen Nachkriegsjahren, als die Menschen erfahren mussten, was es heißt, nicht genug zu essen zu haben, ein höchst angesehener Beruf. Immerhin waren die Bäuerinnen und Bauern diejenigen, die uns Menschen ernährten.

Das tun sie auch heute noch, doch ihr guter Ruf ist gefährdet. Die Auswüchse der industriellen Massentierhaltung, Lebensmittel- und Futtermittelskandale in der Agroindustrie, Umweltbelastungen und der Verlust bäuerlicher Betriebe prägen unser Bild der heutigen Landwirtschaft.

Vor einigen Jahren kam ein Bekannter aus Costa Rica zu Besuch. Auch in Costa Rica werden viele Tiere gehalten. Rund um die Hauptstadt San José sieht man große Weiden, auf denen Kühe und Pferde zusammen grasen. Nachdem er eine Zeit lang im Land war und umhergereist ist, fragte er, wo denn hier in Deutschland all die Tiere wären. Dafür, dass in jedem Restaurant zehn verschiedene Fleischgerichte angeboten würden, würde man draußen erstaunlich wenige Tiere sehen. Dass die meisten Tiere nie aus dem Stall auf die Weide kommen, konnte er sich kaum vorstellen.

Eier von freilaufenden Hühnern, Milch von Kühen auf der Weide, Fleisch von suhlenden Schweinen – was vielen Menschen eigentlich selbstverständlich erscheint, ist heute zur Ausnahme geworden. Die meisten der Tiere, die in den Schlachthöfen der Republik ihr Leben lassen, wachsen schon längst nicht mehr auf den Weiden bäuerlicher Betriebe heran, sondern sie werden in kürzester Zeit in hochindustrialisierten Großställen gemästet – ohne je das Tageslicht oder auch nur einen grünen Halm gesehen zu haben.

Doch so muss es nicht sein. Dieses Bild ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten Agrar- und Ernährungspolitik, die es geschafft hat, Teile der Landwirtschaft, insbesondere der Tierhaltung, weit von der Gesellschaft zu entfremden.

Die Agroindustrie und die Bundesregierung schieben als Legitimation für die Fehlentwicklungen stets ökonomische Behauptungen vor. Die Landwirtschaft müsse noch effizienter werden, weiter wachsen und auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein. Doch das System versagt.

Es steht außer Frage, dass die Landwirtin und der Landwirt mit ihrer Arbeit Geld verdienen müssen. Doch das Maß geht verloren, wenn der Rentabilitätsdruck aufgrund niedriger Preise nur zulasten der Umwelt und der Gesundheit von Mensch und Tier aufgefangen werden kann.

Auch für bäuerliche Betriebe ist die Entwicklung ruinös. Im letzten Jahr führte der Dumpingwettbewerb zu Einkommensverlusten von bis zu 35 Prozent. Viele können ihre Kosten nicht mehr decken. Das System macht es für sie unmöglich, in Tierschutz und Umweltschutz zu investieren. Von den über 6 Milliarden Euro öffentliches Geld pro Jahr, das jährlich in die deutsche Landwirtschaft fließt, profitieren vor allem die großen industriellen Betriebe, die den Kostenwettbewerb weiter befeuern. Bäuerliche Betriebe werden von Agrarfabriken verdrängt. Es stimmt etwas grundsätzlich nicht mehr. Wie konnten sich die Verhältnisse derart dramatisch verändern?

Über die Jahrtausende entwickelten sich Tierhaltung und Ackerbau Schritt für Schritt weiter. Zur bäuerlichen Landwirtschaft gehörte klassischerweise beides, weil in Wirtschaftskreisläufen gedacht wurde. Die Tiere lieferten wertvollen Dünger für die Felder, auf denen die Feldfrüchte reiften, welche wiederum die Menschen und Tiere ernährten.

Im 17. und 18. Jahrhundert revolutionierte eine Reihe von Neuerungen den Agrarsektor. Die Zucht spezieller Tierrassen wurde vorangetrieben, weiteres Ackerland durch Trockenlegung von Mooren und Rodungen von Wäldern erschlossen. Im 19. Jahrhundert wurde die Landwirtschaft produktiver. Die Fruchtfolge nach Albrecht Thaer wurde entwickelt. Erste Durchbrüche in der Agrochemie aufgrund der wissenschaftlichen Arbeit von Justus Liebig, und hier insbesondere die Veröffentlichung seines Werks Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie 1840, veränderten die Landwirtschaft grundsätzlich.

Um 1900 setzte der internationale, grenzüberschreitende Handel mit Tieren und Fleisch ein. Fleisch und zum Schlachten bestimmte Tiere wurden europaweit verschifft. Langsam lösten sich Strukturen, die bis dahin weitgehend regional waren, auf. Eine Ursache für diesen tiefgreifenden Umbruch war die Etablierung der Eisenbahn und damit die Möglichkeit, große Mengen von Waren relativ schnell über weite Strecken zu transportieren, eine weitere die Einführung moderner Kühlhäuser, welche durch die technischen Errungenschaften Carl von Lindes in den 1870er-Jahren möglich wurden. Es entstanden große Schlachthöfe in den Zentren der Tiermast, die auch für den Export arbeiteten. Diese waren in der Lage, auf Abruf Wurstfabriken mit ausreichend großen Fleischpartien von einheitlicher Qualität zu beliefern. Durch den sich anbahnenden Strukturwandel in der Landwirtschaft nach 1945 mussten immer mehr städtische und kleine private Schlachthöfe aufgeben.

Die Geschäfte wurden immer weniger auf regionaler Ebene in persönlichem Kontakt abgewickelt. Viehmärkte wurden seltener, Transportwege länger, örtliche Metzger unwichtiger und Bauern verloren zunehmend die Kontrolle darüber, was mit ihren Tieren passierte.

Auch der Ackerbau veränderte sich stark. Durch die Konzentration auf wenige gewinnbringende Kulturen wie Weizen, Mais und Raps hat sich unser Landschaftsbild deutlich gewandelt. Vieles, was angebaut wird, landet nicht auf dem Teller sondern im Trog – in der EU rund 60 Prozent des angebauten Getreides.

Steigende Kosten und sinkende Preise drängen viele Bäuerinnen und Bauern weg von Gemischtbetrieben mit Tieren und Äckern hin zu einer immer stärkeren Spezialisierung, vor allem in der Geflügelhaltung, der Rinder- und Schweinemast. Heute liegen Zucht, Aufzucht und Nutzung von Tieren nicht mehr in einer Hand. Stattdessen gibt es zentrale Zuchtstationen oder Mastbetriebe, die in der Branche als Veredelungsbetriebe bezeichnet werden. Küken werden auf dem Fließband sortiert. Schweine in engen Boxen gemästet. Vom Leben von und mit Tieren ist in vielen Fällen nur noch eine industrielle Fleischproduktion am Fließband übrig geblieben. Aus vielen Ställen sind mittlerweile Tierfabriken geworden.

Während immer mehr bäuerliche Betriebe aufgeben müssen, wächst die Zahl der Industrieställe. Diese Entwicklung radikalisierte sich noch einmal, als 2006 der damalige Landwirtschaftsminister Horst Seehofer die Flächenbindung der Tierhaltung auflöste. Bis dahin musste man einen Hektar pro 2 Großvieheinheiten nachweisen (eine Großvieheinheit entspricht etwa einem ausgewachsenen Rind, 7 bis 8 Mastschweinen oder 320 Legehennen), um öffentliche Förderungen zu erhalten.

Mittlerweile haben uns diese Entwicklungen eine weitgehend energiefressende, von fossilen Rohstoffen abhängige Landwirtschaft beschert, die das Klima, die Artenvielfalt und unsere Umwelt schädigt. Es wird oft vergessen, dass in der Landwirtschaft mit begrenzten und auch nicht erneuerbaren Rohstoffen gearbeitet wird. Chemische Düngemittel und Pestizide konnten zwar die Erträge steigern. Aber durch den großen Einsatz von Mineraldünger werden Ressourcen wie die natürlichen Phosphat- und Kali-Vorkommen ausgebeutet. Der jährliche Einsatz von mehr als 100.000 Tonnen Pestiziden in Deutschland gefährdet unsere Umwelt. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sind vom Aussterben bedroht.

Auch unser Boden – die wahrscheinlich wertvollste Ressource der Landwirtschaft – ist ein begrenzter Rohstoff. Der Boden ist nach den Ozeanen der größte natürliche Kohlenstoffspeicher. Durch den hohen Einsatz von Kunstdünger, insbesondere von Stickstoffdünger, nimmt jedoch der Humusanteil der Böden ab. Ebenso verringert sich langfristig die Fruchtbarkeit der Böden, was einen negativen Einfluss aufs Klima hat, denn wenn sich Humus zersetzt, wird das Treibhausgas CO2 frei.

Wer jetzt meint, Menschen, die eine umweltfreundlichere Landwirtschaft und den Tieren ein artgerechteres Leben wünschen, Bullerbü-Romantik vorwerfen zu müssen, verkennt, dass die gesellschaftliche Debatte schon ein gutes Stück weiter ist. Und dass wir gegen etwas ganz anderes kämpfen müssen – gegen ein System, das Rückschritt statt Fortschritt bedeutet. Denn aus dem Land der Bäuerinnen und Bauern ist eine Fleischfabrik geworden, in der Tiere zunehmend »produziert« werden, als handele es sich um Autoersatzteile und nicht um Lebewesen.

Die bisherige Agrarpolitik befeuert diesen Trend, der langfristig nicht in die Zukunft führt, sondern in die Sackgasse. Ein Trend, der genau deshalb seine Legitimation verliert. Einer, den viele Agrarexperten als nicht zukunftsfähig erachten. Einer, dem auch viele Landwirte nicht mehr folgen wollen, denn die allermeisten wollen ihre Tiere gut halten, sehen sich aber in Systemzwängen und Preisdruck gefangen.

Die Fleischfabrik Deutschland

2015 war erneut ein Rekordjahr für die deutschen Fleischfabriken. Laut Statistischem Bundesamt wurde eine enorm hohe Anzahl von Tieren geschlachtet. Die Dimensionen sind nur noch schwer begreifbar: 59,3 Millionen Schweine, 3,5 Millionen Rinder und 716 Millionen Hühner, Puten und Enten landeten in den deutschen Schlachthöfen. Insgesamt werden in Deutschland jährlich fast 830 Millionen Tiere gemästet und geschlachtet – größtenteils in industriell wirtschaftenden Tierhaltungsbetrieben und Schlachtfabriken.

Das sind fast zehnmal so viel Lebewesen, wie es Menschen in diesem Land gibt. Und die Zahlen steigen weiter: Allein zwischen 2009 und 2012 wurden noch einmal 38 Millionen Mastplätze für Geflügel beantragt und genehmigt.

Es finden enorme Konzentrationsprozesse statt. Über 70 Prozent aller deutschen Masthühner sind in Betrieben mit mehr als 50.000 Tieren zu finden, Tendenz steigend. Immer mehr Tiere werden auf immer weniger Raum gehalten. Bäuerliche Betriebe gehen dagegen verloren. Seit die CSU den Landwirtschaftsminister stellt, mussten 30 Prozent aller Betriebe schließen. Schweinehalter trifft es besonders hart. Hier haben in den letzten zehn Jahren 70 Prozent der Betriebe aufgegeben. Das Höfesterben setzte sich auch letztes Jahr ungebremst fort.

Anzahl der geschlachteten Tiere in Deutschland im Jahr 2015 (in Millionen pro Symbol)

© tbob j. affelwolf

Und was sagt die Agrolobby dazu? Joachim Rukwied, Präsident des sogenannten Bauernverbandes, meint allen Ernstes: »Massentierhaltung gibt es in Deutschland nicht.« Stattdessen spricht er lieber von »Intensivtierhaltung«. Das ist Schönfärberei, auf gut Bayerisch Verarschung. Ich bin ein Freund deutlicher Worte. Das kann für alle Beteiligten anstrengend sein, aber wenn man Veränderungen zum Besseren erreichen will, müssen die Dinge beim Namen genannt werden. Ein Stall mit 40.000 Masthühnchen, was keine Seltenheit ist, oder mit 10.000 Schweinen ist Massentierhaltung und nichts anderes.

Warum leugnet der oberste Repräsentant der Bauern das? Wer so spricht, untergräbt die Legitimation der Landwirtschaft.

Mit jährlich mehr als 5,5 Millionen Tonnen sind wir nach China und den USA der drittgrößte Schweinefleischproduzent der Welt – und damit gewissermaßen Europameister im Schweineschlachten. Ganz ehrlich: Ich kann mir schönere Auszeichnungen vorstellen.

Deutschland produziert längst nicht mehr nur für den eigenen Markt. 2015 wurden 8,2 Millionen Tonnen Fleisch in den Schlachthöfen produziert. Viel wird exportiert. War Deutschland vor zehn Jahren noch Nettoimporteur von Fleisch, wird mittlerweile so viel produziert, dass die Fleischfabrik Deutschland mit einer Überproduktion von 20 Prozent ein bedeutender Nettoexporteur geworden ist.

Unser Selbstversorgungsgrad lag 2014 für Hühnerfleisch bei 125,1 Prozent und für Schweinefleisch bei 117 Prozent. Das heißt, wir produzieren längst viel mehr, als wir hier eigentlich verbrauchen. Anscheinend hat sich die Agroindustrie zum Ziel gesetzt, auch beim Fleisch Exportweltmeister zu werden. Unterstützung bekommt sie dabei von der Bundesregierung. Der Agrarminister setzt sich dafür ein, dass nun auch Chinas Fleischmarkt weiter erschlossen werden soll. Und im Iran soll in Zukunft deutsche Milch getrunken werden. Durch Hermesbürgschaften für Megaställe treibt die Bundesregierung sogar den Export des Modells Massentierhaltung an.

Es gibt zahlreiche Technologien und Produkte, bei denen es volkswirtschaftlich sinnvoll ist und in unserem Interesse liegt, sie zu exportieren, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien. Oder auch bei Qualitätsprodukten im Lebensmittelbereich. Aber warum sollten wir ausländische Märkte ausgerechnet mit Dumpingfleisch überschwemmen? Qualität made in Germany sieht jedenfalls anders aus.

Was für ein Sauleben

Die Tür zum Stall öffnet sich. Brütend warme Luft, getränkt von einem undefinierbaren Gestank, wabert den Besuchern entgegen. Rechts und links des Ganges sind Schweine in drangvoller Enge in viel zu kleinen Boxen untergebracht. Neugierig recken sie ihre Schnauzen unter dem Metallgatter hindurch. Die Tiere sind gerade einmal drei Monate alt. Mit deutlichen Schrammen auf dem rosa Rücken irren sie durcheinander. Hinten, in der Ecke, sucht ein Schwein nach Beschäftigung und rüttelt und beißt an einer Metallkette herum.

Allen Tieren fehlt etwas – der Ringelschwanz. Damit sie sich nicht gegenseitig vor lauter Langeweile anbeißen, wurde den Tieren nach der Geburt routinemäßig der Ringelschwanz amputiert. Das sei so besser für das Wohl der Tiere, erklärt der Landwirt. Diese Praxis ist nicht ungewöhnlich in der Schweinemast. Man will vermeiden, dass die Tiere sich gegenseitig anfressen, denn es kann sonst zu erheblichen und gefährlichen Verletzungen kommen. Unter diesen Haltungsbedingungen hat er damit auch recht. Doch statt die Haltungsbedingungen so zu verbessern, dass das gar nicht vorkommt, passt man die Tiere den Ställen an. Ob die Tiere mit oder ohne Ringelschwanz gehalten werden können, ist deshalb ein guter Indikator dafür, wie es den Tieren geht.

Dieser Schweinemastbetrieb, den ich besucht habe, ist ein ganz normaler Betrieb, wie es sie tausendfach in Deutschland gibt. Die Haltungsbedingungen sind deutscher Standard. Und der Mäster ist sicher kein Adriaan Straathof, der für seine systematischen Tierschutzverstöße bekannt ist. Der Betrieb dieses Mannes ist in einem der Ballungszentren der deutschen Tiermast auf einem schönen, alten Hof beheimatet. Die Größe eines bäuerlichen Familienbetriebs aber hat er längst gesprengt. Früher wurden hier ein paar hundert Tiere gehalten, heute sind es 3500. Bald sollen noch einmal mehr als 1000 Tiere dazukommen. Wie viele andere Schweinehalter expandiert auch dieser Mäster. Er ist im jetzigen System nahezu dazu gezwungen, denn die Schweinemäster verdienen nur wenige Euro pro Schwein, und so versucht er, die niedrigen Preise pro Tier durch mehr Masse auszugleichen. Er sagt, man müsse an die Zukunft denken.

Bodenfläche für ein Schwein mit 110 kg

Bodenfläche für ein Masthuhn mit 1,6 kg

Kaum Platz: In typischen Massenställen lebt ein Huhn auf der Fläche eines Taschentuchs, ein Schwein hat weniger Platz als in einer Telefonzelle.

© tbob j. affelwolf

Er ist stolz auf das, was er uns bei einem Rundgang über seinen Hof zeigt. Sein Hof gilt sogar als »Vorzeigebetrieb« in der »konventionellen«, das heißt nicht ökologischen Landwirtschaft. Er hat einen Teil seiner Tierhaltungsboxen gerade nach den Kriterien einer Brancheninitiative des Handels, der Fleisch- und Landwirtschaft etwas umgebaut. Man will so auf die zunehmende Kritik aus der Bevölkerung reagieren, die sich nicht mehr damit abfinden will, dass Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht leben müssen. Aber weit geht das nicht. Mehr Platz als in einer Telefonzelle hat ein ausgewachsenes Schwein auch in diesem Betrieb nicht.

ENDE DER LESEPROBE