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Durch die Knappheit kritischer Kompetenzen werden Mitarbeitende zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen. In der Realität scheitern viele Organisationen daran, die wirtschaftliche Bedeutung der Fluktuation und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden in Einklang zu bringen. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich daher mit der Bedeutung von Fluktuation für das Unternehmen und der Rolle der Mitarbeitenden als Ressource in der Wertschöpfungskette. Fluktuation ist ein natürlicher und damit unvermeidbarer Bestandteil des unternehmerischen Arbeitens. Daraus folgt, dass Fluktuation nicht verhindert werden kann, sondern gestaltet werden muss. Mehr noch, unter den richtigen Bedingungen kann Fluktuation einen durchaus positiven Effekt auf die Funktionalität von Unternehmen haben. Im zweiten Teil werden entsprechende Werkzeuge und Verfahren vorgestellt, mit deren Hilfe der Leser die Fluktuation im eigenen Unternehmen analysieren und Zusammenhänge verstehen kann. Der dritte Teil zeigt, wie daraus praktische Interventionen abgeleitet werden können. Im Weiteren geht es darum, die ausgewählten Maßnahmen umzusetzen, deren Wirksamkeit zu bewerten und Anpassungen vorzunehmen.
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Seitenzahl: 417
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
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ISBN 978-3-7910-5192-5
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Finn Rischke/Jörg Rischke
Fluktuationsmanagement
1. Auflage, Juli 2021
© 2021 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
www.schaeffer-poeschel.de
Bildnachweis (Cover): © ilyast, gettyimages
Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner
Lektorat: Heike Münzenmaier
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Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
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Dieses Buch ist eine Einführung für den Umgang mit der Fluktuation von Mitarbeitern. Es ist für Verantwortungsträger und Entscheider im Unternehmen geschrieben, die das Gefühl haben, dass sich die Art und Frequenz, wie Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und ersetzt werden müssen, negativ auf das Unternehmen auswirkt. Es geht darum, dem Leser ein praktisches Handbuch zum besseren Verständnis und zur Gestaltung der Fluktuation an die Hand zu geben. Das Ziel ist es, durch informierte und bewusste Maßnahmen die Fluktuation so zu steuern, dass die Funktionalität des Unternehmens steigt.
Durch die Knappheit kritischer Kompetenzen (besser bekannt unter dem Begriff »Fachkräftemangel«) wird der Mitarbeiter zu dem entscheidenden Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen in der Wissensgesellschaft. In vielen Unternehmen ist die quantitative Verfügbarkeit und die qualitative Kompetenz der Mitarbeiter bereits heute der limitierende Faktor für den Unternehmenserfolg. Der fortschreitende demographische Wandel wird die Bedeutung des Themas weiter steigern. So kommt zum Beispiel die aktuelle CEO-Studie der KMPG zum Ergebnis, dass mittlerweile das Werben und Halten qualifizierter Mitarbeiter zur wichtigsten Herausforderung für Unternehmen geworden ist (noch vor Themen wie Klimawandel oder Globalisierung).
Bisherige Ansätze reduzieren Fluktuation auf die Maximierung der Mitarbeiterbindung oder das Recruiting neuer Mitarbeiter. Besonders in der deutschsprachigen Literatur fehlt eine ganzheitliche Betrachtung, die wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Herangehensweisen in Einklang bringt. Dieses Buch besteht aus drei Teilen, in denen die spezifischen Fragestellungen rund um das Thema Fluktuation behandelt werden und diese Lücke geschlossen wird. Der interessierte Leser kann sequenziell alle Inhalte lesen, oder für die praktische Anwendung direkt zu den relevanten Kapiteln springen. Die drei Abschnitte des Buches behandeln das Verständnis der Fluktuation, die Analyse der spezifischen Situation im Unternehmen und die Auswahl von Interventionen.
Teil 1
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Bedeutung von Fluktuation für das wirtschaftlich arbeitende Unternehmen. In diesem, eher wirtschaftswissenschaftlichen Teil, betrachten wir den Mitarbeiter als Teil der Wertschöpfungskette, als Ressource im Wirtschaftssystem und seine Bedeutung in Abhängigkeit von Position, Industriezweig und Unternehmensstrategie. Je nach Ausgangssituation kann Fluktuation für ein Unternehmen enorme Kosten verursachen, die Produktivität verringern, aber auch die Innovativität und Leistung steigern. Ziel in diesem Teil ist es, ein differenziertes Bild der Fluktuation zu erarbeiten und daraus eine Vision für die Zukunft abzuleiten.
[6]Teil 2
Im zweiten Teil des Buches werden verschiedene Modelle und Kennwerte vorgestellt, mit deren Hilfe die Fluktuation analysiert werden kann. Eine gute Analyse ist sowohl Grundlage der Auswahl von Interventionen als auch Bewertungsmaßstab für die spätere Erfolgsmessung. Der Leser kann für sein Unternehmen eine Auswahl objektiver Kennwerte erarbeiten, die eine rationale Festlegung der Maßnahmen ermöglicht und zur späteren Bewertung genutzt werden kann. Es hängt von der Struktur und Vision des Unternehmens ab, welche Informationen relevant sind und welche Kennwerte eine akkurate Bewertung der Gesamtsituation ermöglichen.
Teil 3
Im letzten Teil dieses Buches werden aus den gesammelten Informationen praktische Maßnahmen abgeleitet. Mithilfe der in Teil 2 vorgestellten Methoden wird die Wirksamkeit der Maßnahmen erklärt und es werden Möglichkeiten zur Optimierung aufgezeigt. Schließlich geht es darum, die ausgewählten Maßnahmen umzusetzen, deren Wirtschaftlichkeit zu bewerten und eventuelle Anpassungen vorzunehmen. Sie werden Hinweise finden, wie Sie bereits bekannte Maßnahmen effektiver einsetzen können, aber auch neue Einsatzbereiche und Ideen entdecken können.
Obwohl der Fokus eindeutig auf der praktischen Umsetzung liegt, kommen wir nicht umhin, einige wissenschaftliche Theorien vorzustellen. Zu viele Ansätze im Umgang mit Fluktuation haben keinen Bezug zu den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder nehmen unzulässige Verallgemeinerungen einzelner Studien vor. Wir verstehen, dass eine differenzierte Diskussion der wissenschaftlichen Fachliteratur im direkten Gegensatz zu unserem Anspruch steht, möglichst direkt praktische Informationen zur Verfügung zu stellen. Wir sind daher bewusst den Kompromiss eingegangen, Forschungsergebnisse nur in aller Kürze zu präsentieren und dem Leser alle nötigen Quellen zur Verfügung zu stellen. Trotzdem sehen wir es als unsere Verantwortung, Annahmen kritisch zu hinterfragen, was bedeutet, die Themen differenziert zu betrachten und Verallgemeinerungen zu vermeiden. Wie ein oft genutztes Zitat von Einstein schon sagt: »Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher.« Sie werden in diesem Buch also nicht die fertige Lösung für alle Probleme der Fluktuation finden, sondern die Werkzeuge, um daran zu arbeiten.
Auf komplexe Fragen wie die zur Fluktuation gibt es meist keine einfachen Antworten. Fluktuation ist so vielseitig wie die Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Wenn Sie bereit sind, freuen wir uns, mit Ihnen gemeinsam die Bedeutung und die Zusammenhänge in Ihrem Unternehmen zu erkunden. Jede Situation ist einzigartig und wir wissen nicht, was Sie finden werden. Aber wir können Ihnen zeigen, wo Sie suchen müssen, worauf Sie achten sollten und was Sie tun können.
Uns Autoren vereint dabei eine Begeisterung für das Thema, trennt jedoch eine Generation an Lebensjahren und -erfahrungen. Es entsteht so eine Kombination von aktuellem Theoriewissen mit langjähriger Praxiserfahrung, umsetzungsorientierten Methoden mit wissenschaft[7]lichen Ansätzen und, nicht zuletzt, verschiedenen generationenspezifischen Sichten auf die Arbeitswelt. Mit dieser Kompetenz stehen wir unseren Kunden im Rahmen der von uns gegründeten Beratung AEffekt mit Rat und Tat zur Seite. Wie für unsere Kunden hoffen wir auch für Sie, lieber Leser, durch dieses Buch einen Mehrwert zu kreieren. Wir freuen uns, von Ihren Erfahrungen mit der Gestaltung von Fluktuation zu hören. Für Anregungen und Fragen sind wir jederzeit unter [email protected] für Sie zu erreichen.
Finn Rischke, Jörg Rischke
[19]Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Bedeutung von Fluktuation für das wirtschaftlich arbeitende Unternehmen. Ziel in diesem Teil ist es, ein differenziertes Verständnis der Fluktuation zu erarbeiten und daraus eine Vision für die Zukunft abzuleiten. Dazu werden wir die Bedeutung des Mitarbeiters als Teil der Wertschöpfungskette und als Ressource im Wirtschaftssystem betrachten. Im Anschluss diskutieren wir die Abhängigkeit zwischen Fluktuation, Marktposition, Industriezweig und Unternehmensstrategie. Nachdem wir die grundlegenden Zusammenhänge geklärt und einige Mythen hinterfragt haben, leiten wir die fünf Prinzipien des Fluktuationsmanagements ab. Dieses Verständnis ist die Basis für die Analyse der Fluktuation in Ihrem Unternehmen und die Festlegung einer unternehmensspezifischen Strategie. Je nach Ausgangssituation kann Fluktuation für ein Unternehmen dabei enorme Kosten verursachen, die Produktivität verringern, aber auch die Innovativität und Leistung steigern.
To begin with the end in mind means to start with a clear understanding of your destination. It means to know where you are going so that you better understand where you are now and so that the steps you take are always in the right direction.
Stephen Covey
Warum lesen Sie ein Buch über Fluktuation? Das ist eine ernst gemeinte Frage an Sie. Was erhoffen Sie sich von diesem Buch und welche Veränderung wünschen Sie sich für Ihr Unternehmen? Diese Frage wollen wir gemeinsam mit Ihnen beantworten. Mit Ihnen gemeinsam bedeutet, dass wir die Antwort nicht kennen und Sie, lieber Leser, die Antworten selbst finden müssen. Das, was dieses Buch leisten kann und möchte, ist Sie bei der Suche zu unterstützen. Diese Aufgabenverteilung mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Traditionell übernimmt es der Autor, ein paar gute Gründe zu präsentieren, warum das aktuelle Thema relevant ist, um anschließend die passenden Ratschläge und Lösungen zu liefern. Dieser Ablauf wäre für das Thema Fluktuation so angenehm wie ineffizient. Natürlich wäre es möglich, Ihnen die klassischen Auslöser und negativen Auswirkungen von Fluktuation zu präsentieren, um im Anschluss auf wundersame Weise die passgenaue Lösung für das eigens definierte Problem vorzustellen. Auf diese Weise hätten Sie etwas gelernt, mehr noch, Sie hätten gelernt, warum es wichtig war, das Gelernte gelernt zu haben. Und ganz nebenbei hätten wir uns einiges an Arbeit gespart. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach würden wir auf diese Weise Lösungen für ein Problem generieren, das Sie, der Leser, überhaupt nicht haben. Wir würden Ratschläge geben, die in Ihrer Situation wirkungslos oder sogar schädlich sind. Dieses Buch ist anders. Es muss anders sein, denn obwohl wir Ihre Situation nicht kennen, möchten wir Sie dabei unterstützen, die richtige Lösung zu finden.
Der Grund, warum es so wichtig ist, die richtige Herangehensweise zu finden, ist, dass Fluktuation kein Problem ist, das gelöst werden kann. Fluktuation ist ein natürlicher Prozess, auf [20]wirtschaftlicher wie auch auf biologischer Ebene. Als solches kann Fluktuation weder grundsätzlich vermieden noch »gelöst« werden. Es gilt daher die Fluktuation so zu gestalten, dass sie die Unternehmensstrategie unterstützt, die Wirtschaftlichkeit erhöht und die Marktposition verbessert. Doch da die Auswirkungen von Fluktuation für jedes Unternehmen andere sind, ist folglich auch der anzustrebende Idealzustand ein anderer. Was dieses Buch dazu beitragen kann, ist die richtigen Fragen zu stellen, Zusammenhänge zu erklären und im späteren Verlauf Werkzeuge zur Einflussnahme vorzustellen. Dieses Buch hilft Ihnen zu verstehen, warum Sie an Punkt A stehen, welche Konsequenzen es hat, an Punkt A zu bleiben, und zeigt Ihnen, wie Sie von A nach B kommen. Doch welches Ergebnis B Sie in Ihrer Situation anstreben, dass können nur Sie selbst entscheiden.
Doch bevor wir uns mit den Auswirkungen der Fluktuation beschäftigen, müssen wir zwei zentrale Begriffe klären. Wenn wir dieses Thema nicht mit einer gemeinsamen Basis beginnen, wird es im späteren Verlauf des Buches zu Missverständnissen kommen. Die Definition und Abgrenzung von Fachbegriffen mag vielleicht ein wenig akademisch und steif wirken, aber der Teufel steckt, unter anderem, im Detail. Gerade ein Themenfeld wie die Fluktuation ist äußerst anfällig für unsaubere Definitionen, weil es einen Berührungspunkt von wissenschaftlichem Denken und praktischen Konzepten darstellt. Es ist daher notwendig, in aller Kürze, die für dieses Buch relevanten Begriffe einzuordnen. Und wo könnte man besser beginnen als beim Thema selbst?
Was bedeutet eigentlich Fluktuation?
Fluktuation (aus dem lateinischen fluctuare) bedeutet in der direkten Übersetzung »hin- und her schwanken«. In Bezug auf den Mitarbeiter im Unternehmen beschreibt die Fluktuation den durch Ein- und Austritt charakterisierten Personalaustausch eines Unternehmens. Aber schon in Bezug auf diese grundlegende Definition gibt es im praktischen Sprachgebrauch Uneinigkeit. Denn auch der im angloamerikanischen Sprachraum oft verwendete Begriff des »Turnovers« wird, mangels besserer Alternativen, im Deutschen mit Fluktuation übersetzt. Dabei beziehen sich die Begriffe Fluktuation, im klassischen Sinne von fluctuare, und Fluktuation, im Sinne von Turnover, auf unterschiedliche Konzepte und können nicht synonym verwendet werden. Während Turnover ausschließlich die Mitarbeiter beschreibt, die das Unternehmenssystem verlassen, beinhaltet Fluktuation im wörtlichen Sinne auch die eintretenden Mitarbeiter. Grund für die engere Definition des Begriffs Turnover ist die in der Wissenschaft notwendige Komplexitätsreduktion. Der Versuch einer wissenschaftlichen Aussage über ein Gesamtsystem der Fluktuation wäre nicht erfolgsversprechend und hätte zudem eine sehr begrenzte Gültigkeit. Zu viele Faktoren und Störvariablen würden die Übertragbarkeit der Ergebnisse zunichtemachen. Eine Einschränkung des Themengebietes ist also für die Forschung gut und richtig. Doch in der Praxis ist diese Reduktion der Komplexität keine Option. Wir müssen die vielfältigen Einflüsse der unternehmerischen Realität akzeptieren und einen Weg finden, um das Gesamtsystem zu optimieren, anstatt begrenzte Teilsysteme zu betrachten. Aus diesem Grund werden wir den Begriff der Fluktuation im Sinne eines ganzheitlichen Prozesses verwenden, der Ein- und Aus[21]tritt der Mitarbeiter einschließt, sowie die sich daraus ergebenen Auswirkungen auf die Abläufe im Unternehmen.
Fluktuation als ganzheitlichen Prozess zu begreifen, hat einige konkrete Auswirkungen für den Versuch, selbigen zu steuern. Es reicht nicht, zu verstehen, wie Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, sondern auch die Art und Weise wie Vakanzen neu besetzt werden und welche Folgen der Personalaustausch auf die Abläufe hat, muss untersucht werden. Eine identische Austrittsrate kann, je nach Industrie und Position des Unternehmens, ganz unterschiedliche Folgen haben.
Unternehmen A ist in einer Branche mit leicht verfügbarer Arbeitskraft und kurzer Einarbeitungszeit tätig. Jeder Mitarbeiter, der das Unternehmen verlässt, kann zeitnah ersetzt werden. Da außerdem der Aufwand neue Mitarbeiter einzuarbeiten überschaubar ist, sieht das Unternehmen keine Notwendigkeit die Fluktuation zu reduzieren.
Unternehmen B agiert ebenfalls in einer Branche mit ausreichend verfügbarer Arbeitskraft. Durch Automatisierung und Restrukturierung ändern sich die internen Anforderungen und die bestehende Belegschaft hat Schwierigkeiten, sich anzupassen. Das Unternehmen würde sich temporär eine höhere Austrittsrate wünschen, um Mitarbeiter einstellen zu können, die der neuen Situation gewachsen sind.
Unternehmen C verfügt nicht über ausreichend Bewerber, um die durch Fluktuation entstehenden Lücken zu schließen. Außerdem ist die Einarbeitungsphase äußerst aufwendig und teuer. Für das Unternehmen wäre es wirtschaftlich sinnvoll, die Fluktuation zu reduzieren.
Selbst wenn alle drei Unternehmen die gleiche Austrittsrate haben (Turnover), ist ihre Fluktuation vollkommen unterschiedlich. Es ist offensichtlich, dass jedes dieser Unternehmen ein anderes Ziel für die zukünftige Fluktuation braucht, sowie entsprechende Interventionen. Womit wir zum zentralen Konzept dieses Buches kommen, dem Fluktuationsmanagement.
Fluktuationsmanagement bedeutet den Prozess des Personalaustausches so zu gestalten, dass er den Anforderungen des Geschäftsmodells und der Unternehmensstrategie entspricht. Fluktuationsmanagement ist also ein Konzept der Gestaltung, wobei sich das angestrebte Ziel erst in Abhängigkeit von der Situation ergibt. Im ersten Teil des Buches werden wir dazu die fünf grundlegenden Prinzipien definieren, aus denen sich das Konzept im Einzelfall ableiten lässt. Im zweiten Teil werden wir Modelle vorstellen, mit deren Hilfe Sie Ihre Konstellation analysieren und Fluktuation in Ihrem Unternehmen verstehen können. Im letzten Teil werden wir schließlich darauf eingehen, wie praktische Maßnahmen abgeleitet, umgesetzt und bewertet werden. An dieser Stelle möchten wir die ersten beiden Prinzipien des Fluktuationsmanagements vorstellen, die uns im Laufe des Buches immer wieder begegnen werden.
Oft wird die Fluktuation von Entscheidern wie eine Naturkatastrophe hingenommen und gehofft, sie möge keinen allzu großen Schaden anrichten. Die Realität ist jedoch, dass Unternehmen einen großen Einfluss darauf haben, wer, wann und warum das Unternehmen verlässt. Fluktuation ist nicht willkürlich und ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen muss die Verantwortung für die aktive Gestaltung dieses Prozesses übernehmen. Verantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass das Unternehmen schuld ist, wenn ein Mitarbeiter sich entscheidet zu gehen. Die Konkurrenz auf dem Markt, Ereignisse im Privatleben des Mitarbeiters oder wirtschaftliche Sachzwänge haben einen großen Einfluss auf die Fluktuation und limitieren den Handlungsspielraum. Doch dies sind die Spielregeln des Fluktuationsmanagements und keine Ausrede, passiv abzuwarten. Es ist nicht fair, aber Schuld und Verantwortung sind im Fluktuationsmanagement zwei unterschiedliche Dinge. Auch wenn das Unternehmen nicht schuldig an einer schwierigen Lage ist, so trägt es doch die Verantwortung, einen Lösungsweg zu finden. Fluktuation ist keine Gegebenheit und Fluktuationsmanagement ist der Weg, Verantwortung für die eigene Situation zu übernehmen. Die in diesem Buch vorgestellten Methoden werden zeigen, dass Fluktuation weitestgehend bewusst gestaltet werden kann.
Fluktuation hat keinen Eigenwert, allein die Konsequenz hat Bedeutung für das Unternehmen. Jeder Aufwand, der die Gestaltung der Fluktuation als Selbstzweck hat, ist eine Verschwendung von Ressourcen und hat, wenn überhaupt, nur aus Zufall einen funktionalen Effekt. Fluktuationsmanagement braucht immer ein konkretes Ziel (Produktivität steigern, Kosten senken, Innovation beschleunigen usw.). Dieses Ziel liefert gleichzeitig einen Maßstab zur objektiven Bewertung. Wenn eine Maßnahme also nicht den angedachten Zweck erfüllt, der Aufwand größer ist als der generierte Mehrwert oder eine Alternative bessere Ergebnisse verspricht (Opportunitätskosten), ist die Maßnahme unökonomisch und sollte eingestellt werden. Fluktuationsmanagement ist ein Konzept, um die Fluktuation so zu gestalten, dass die Funktionalität des Unternehmens gesichert und maximiert wird.
Mit den Begriffen Fluktuation und Fluktuationsmanagement haben wir zwei zentrale Begriffe dieses Buches diskutiert. Bevor wir uns im nächsten Schritt der Frage widmen, welche Rolle die Fluktuation für ein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen spielt, schauen wir uns kurz einige Mythen an, die eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema blockieren könnten.
[23]Mit Fluktuation müssen wir in unserer Industrie leben.
Das mag stimmen, aber es bedeutet nicht, dass man nicht gestalten könnte. Denn Fluktuation ist ein natürlicher Prozess und als solches grundsätzlich unvermeidbar. Und ja, manche Industrien stehen vor besonderen Herausforderungen in Bezug auf die Fluktuation. Aber unvermeidbar bedeutet nicht unkontrollierbar. Es ist immer möglich, die eigene Situation aktiv zu gestalten, was zu extremen Unterschieden zwischen Unternehmen führt, auch innerhalb der gleichen Industrie. Fluktuation ist nicht vermeidbar, aber gestaltbar.
2. Fluktuation ist gar nicht so teuer.
Wenn Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung oder gar Gehaltanpassungen zur Diskussion stehen, wird der potenzielle Aufwand mit den weniger transparenten Kosten der Fluktuation verglichen. Oft werden dabei die negativen Folgen der Fluktuation und die dadurch entstehenden Kosten dramatisch unterschätzt und notwendige Investitionen unterlassen. Doch Fluktuation kann für ein Unternehmen die Wertschöpfung nachhaltig negativ beeinflussen und zur existenziellen Bedrohung werden. Die richtigen Maßnahmen können dies verhindern und haben einen nachweislichen Mehrwert für das Unternehmen. Leistet eine Maßnahme keinen absehbaren und nachweisbaren Mehrwert, sollte sie nicht implementiert, bzw. eingestellt werden.
3. Fluktuation ist eine Aufgabe des Personalbereichs …
… und der Personalbereich wird primär in dem Bereich aktiv, den er kontrollieren kann: der Einstellung neuer Mitarbeiter. Es werden Recruitment-Abteilungen aufgebaut und Personalvermittler engagiert, um den negativen Folgen der Fluktuation entgegenzuwirken. Das ist der wahrscheinlich teuerste Ansatz, um Fluktuation zu gestalten, stellt aber in vielen Unternehmen einen stark wachsenden Bereich dar. Wirtschaftliches Fluktuationsmanagement braucht dagegen bereichsübergreifende Konzepte, Einsatz der Führungskräfte und Autorität, auch vonseiten der Unternehmensleitung.
Verabschieden Sie sich von diesen Mythen, denn sonst werden Sie keine Fortschritte beim Management der Fluktuation machen. Fluktuation als solches ist unvermeidbar. Sie können jedoch entscheiden, ob Sie die Situation bewusst gestalten oder passiv auf die Konsequenzen warten wollen. Lassen Sie uns in den nächsten Kapiteln gemeinsam die Ursachen und Auswirkungen von Fluktuation anschauen.
Wenn wir die Frage stellen, welche Bedeutung Fluktuation für das Unternehmen hat, dann stellen wir im Grunde die Frage nach der Ersetzbarkeit des Mitarbeiters. Kann ein Mitarbeiter ohne weiteren Aufwand oder Einschränkungen ausgetauscht werden, hat Fluktuation für das Unternehmen keinerlei Bedeutung. Doch die Realität sieht meist anders aus. Der Mitarbeiter spielt eine wichtige Rolle in der Wertschöpfungskette des Unternehmens und sein Austausch hat meist unerwünschte Nebeneffekte. Wenn er fehlt, hinterlässt er eine Lücke, was wiederum Konsequenzen für den Gesamtprozess haben kann. Also ist der Mitarbeiter nun ersetzbar? Diese Frage kann nicht kategorisch mit ja oder nein beantwortet werden. Je nachdem wie die Wertschöpfungskette des Unternehmens aufgebaut ist, und an welcher Stelle der gehende Mitarbeiter eine Lücke reißt, verändert sich die Bedeutung der Fluktuation.
Das Verständnis des Mitarbeiters als Teil der Wertschöpfungskette führt auf direktem Weg zu Begriffen wie Human-Kapital und Human-Ressource. Das Bild des Menschen als Zahnrädchen im Unternehmenssystem ist äußerst umstritten, denn der Mensch im Unternehmen verkörpert eine Dualität. Er ist die Schnittmenge von zwei traditionell antagonistischen Konzepten. Auf der einen Seite steht der Mitarbeiter als funktionale Produktionseinheit, deren einziger Zweck es ist, spezifische Aufgaben im Unternehmen möglichst effizient auszuführen. In dieser Sichtweise ist der Mitarbeiter Human-Kapital, ein Rädchen im System, das bei Bedarf ersetzt oder automatisiert werden kann. Auf der anderen Seite ist der Mitarbeiter ein Mensch. Er ist kein Rädchen, sondern ein Individuum mit einem freien Willen. Jeden Tag trifft er aufs Neue die Entscheidung, wie viel Motivation, Energie und Kreativität er für seine Arbeit aufbringt oder ob er das Unternehmen sogar verlassen möchte. Eine einseitige Betrachtung des Mitarbeiters, ob als Ressource oder als Individuum, ist eine reduktionistische Konzeptualisierung und führt zu fehlerhaften Schlussfolgerungen. Wer seine Mitarbeiter im Sinne des traditionellen Taylorismus wie Maschinen behandelt, wird unmotivierte Mitarbeiter, geringe Innovation und hohe Fluktuation beobachten.
Diese Perspektive auf den Mitarbeiter war noch nie richtig, aber besonders in einer Wissensgesellschaft ist sie im höchsten Maße dysfunktional. Doch auch der Gegenentwurf, den Menschen als einzigartiges und wunderbares Individuum zu verstehen, ist für das Unternehmen nicht zielführend. Denn ein Unternehmen muss wirtschaftlich arbeiten und den Mitarbeiter daher ökonomisch bewerten und entsprechend einsetzen. Wird der Mitarbeiter im Bewertungssystem der Wirtschaftlichkeit aus ideellen Gründen ausgelassen, kann sein Beitrag zum Unternehmenserfolg nicht gemessen werden. Die Folge dieser humanistisch gut gemeinten Anerkennung der menschlichen Qualitäten führt in der Praxis meist zu einer mangelnden Wertschätzung. Stehen einmal die Bedürfnisse des Mitarbeiters im Konflikt mit den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens, wird das Unternehmen immer den objektiv gemessenen Mehrwert bevorzugen. Niemand würde behaupten, dass die Gefühle und Bedürfnisse des Mitarbeiters irrelevant sind, doch solange ihr Wert nicht quantifiziert ist, werden sie im Vergleich mit anderen Sachzwängen [26]den Kürzeren ziehen. Wenn wir in diesem Buch also über den Mitarbeiter als Human-Kapital (oder Ressource) sprechen, dann nicht um ihm damit die menschlichen Qualitäten abzusprechen, sondern um seinen wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen anzuerkennen. Der Mitarbeiter als Ressource bedeutet nicht »Entmenschlichung«, sondern ihn als einen für den Wertschöpfungsprozess des Unternehmens wichtigen Bestandteil ernst zu nehmen.
Um bei wirtschaftlichen Entscheidungen den Wert des Mitarbeiters berücksichtigen zu können, müssen wir verstehen, welche Rolle er in der Wertschöpfungskette des Unternehmens spielt. Die Wertschöpfungskette ist dabei der wirtschaftliche Kreislauf, den alle Unternehmen durchlaufen, um einen Mehrwert zu schaffen. Er besteht aus vier Faktoren, die in ihrer Synthese einen Mehrwert generieren und das unternehmerische Arbeiten ermöglichen. Die vier Faktoren sind das materielle Kapital, das immaterielle Kapital, das Human-Kapital und das finanzielle Kapital. Sowohl Gewichtung als auch Ausprägung der Faktoren variiert zwischen den Unternehmen und repräsentiert die Vielfalt der Wirtschaft. Durch die Kombination der verschiedenen Kapitalsorten generiert das Unternehmen ein Produkt oder eine Dienstleistung, die mit einem Mehrwert weiterverkauft werden kann. Ohne diesen Mehrwert verliert das Unternehmen über die Zeit sein finanzielles Kapital und kann die Wertschöpfungskette nicht länger aufrechterhalten. Doch die Notwendigkeit einen Mehrwert zu generieren (meist in Form von finanziellem Kapital) bedeutet nicht, dass das Streben nach Profit die einzige oder dominierende Maxime im Unternehmen sein muss. Es ist lediglich eine notwendige Voraussetzung für die langfristige Existenz der Wertschöpfungskette.
Abbildung 1: Wertschöpfungskette des Unternehmens
Als Teil des Human-Kapitals trägt der Mitarbeiter zu dieser Wertschöpfungskette bei. Um zu verstehen, welche Rolle der Mitarbeiter in diesem Prozess spielt, müssen wir den gesamten Kreislauf betrachten (siehe Abbildung 1).
[27]Materielles Kapital
Das materielle Kapital umfasst das Anlagevermögen und damit alle Werkstoffe und Betriebsmittel, die zur Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung notwendig sind. Dazu zählen sowohl Maschinen und Werkzeuge jeder Art, aber auch Computer, Server und Büroräume.
Immaterielles Kapital
Das immaterielle Kapital ist das nicht-personengebundene Wissen des Unternehmens: Abläufe und Prozesse, Patente, Netzwerke und Markenwerte sowie die dispositiven Faktoren von Planung, Koordination und Strategie. Immaterielles Kapital wird zwar von Mitarbeitern erzeugt, ist aber von ihnen unabhängig und bleibt bestehen, selbst wenn der Mitarbeiter geht.
Finanzielles Kapital
Das finanzielle Kapital umfasst die monetären Mittel eines Unternehmens, also seine Aktiva, insbesondere die flüssigen Mittel und das Barvermögen. Der durch die Wertschöpfungskette generierte Mehrwert hat meist die Form von finanziellem Kapital. Dieses kann gegen andere Kapitalformen eingetauscht werden, um so die Wertschöpfungskette zu optimieren, bzw. am Laufen zu halten (Maschinen, Fachwissen, Mitarbeiter), oder über Dividenden dem Unternehmenssystem entzogen werden. Durch seine hohe Tauschbarkeit ist die primäre Aufgabe des finanziellen Kapitals die Verfügbarkeit der anderen Kapitalformen sicherzustellen.
Human-Kapital
Das Human-Kapital umfasst die Arbeitskraft, sowie das personengebundene Wissen der Mitarbeiter. Als einzig proaktiver Faktor im Unternehmenssystem ist es die Aufgabe des Human-Kapitals, materielle und immaterielle Kapitalformen zu kombinieren, neues immaterielles Kapital zu generieren und über die Allokation von finanziellem Kapital zu entscheiden.
Jedes Unternehmen kann auf die Kombination der eben vorgestellten Kapitalsorten reduziert werden. Die Maxime der Wirtschaftlichkeit verlangt nun, dass diese Kapitalformen in rationaler Weise verwaltet werden, um die Existenzgrundlage des Unternehmens zu schützen. Wer eine begrenzte Ressource im Exzess verbraucht, verringert in unnötiger Weise seinen Handlungsspielraum und riskiert, die Wertschöpfungskette zu unterbrechen. Das betrifft sowohl die quantitative Verfügbarkeit als auch die Qualität der einzelnen Kapitalsorten.
Nehmen wir einmal an, das einzige Ziel des Unternehmens wäre seinen Profit zu maximieren. Daraus folgt, dass jederzeit eine der Kapitalsorten den limitierenden Faktor für weiteres Wachstum und die damit verbundene Zielerreichung darstellt. Dieses Phänomen wird deutlich, wenn wir uns ein konkretes Unternehmen anschauen, z. B. eines, das Kugelschreiber produziert. Das materielle Kapital sind Werkstoffe und Maschinen, das immaterielle Kapital die Produktionsprozesse und Netzwerke zu Abnehmern, das Human-Kapital sind die Mitarbeiter in der Produktion, Entwicklung und Management und das finanzielle Kapital sind die Mittel, um Mitarbeiter und Produktionsmittel zu bezahlen. In dieser Wertschöpfungskette kann jede Kapitalsorte zum limitierenden Faktor werden. Wenn die Nachfrage da ist, aber wichtige Werkstoffe [28]fehlen, dann ist das materielle Kapital der limitierende Faktor. Das bedeutet im Rückschluss, dass die hohe Nachfrage und die gut durchdachten Arbeitsprozesse irrelevant werden, weil der limitierende Faktor, das materielle Kapital, die Verwertung blockiert. Umgekehrt wäre ein Überfluss an Rohstoffen wertlos, wenn die Nachfrage der Kunden oder die Mitarbeiter zur Weiterverarbeitung fehlen. In jedem Unternehmenssystem gibt es also einen limitierenden Faktor, der die Maximierung des Unternehmenserfolges blockiert.
Damit kommen wir zu den entscheidenden Fragen, die wir in diesem Kapitel beantworten wollen:
Erstens: Welche Bedeutung hat Fluktuation, wenn das Human-Kapital der limitierende Faktor in der Wertschöpfungskette ist?Zweitens: Welche Bedeutung hat Fluktuation, wenn das Human-Kapital nicht der limitierende Faktor in der Wertschöpfungskette ist?Die Antwort auf die erste Frage ist intuitiv. Wenn der Mitarbeiter die limitierende Ressource darstellt, bedeutet jeder weitere Abgang eine zusätzliche Einschränkung für den Wertschöpfungsprozess. Je nachdem, wie direkt die Auswirkungen der Fluktuation auf den Wertschöpfungsprozess sind, lässt sich die finanzielle Bedeutung der Fluktuation sehr konkret berechnen (siehe Kapitel 9).
Um die Anforderungen an das Fluktuationsmanagement zu verstehen, möchten wir auf zwei unterschiedliche Formen der Knappheit von Human-Kapital eingehen.
Quantitative Knappheit: Der limitierende Faktor im Wertschöpfungsprozess ist die quantitative Verfügbarkeit von Human-Kapital als generische Arbeitskraft. Der Mitarbeiter wird benötigt, um als ausführendes Organ die bestehenden Prozesse umzusetzen.Qualitative Knappheit: Der limitierende Faktor im Wertschöpfungsprozess ist der Mangel von kritischem Fachwissen und Fähigkeiten. Das Problem ist nicht der Mangel von Arbeitskraft, sondern das Fehlen spezifischer Kompetenzen.In ihrer Reinform treten diese Szenarien nur selten auf, doch in den meisten Unternehmen lassen sich negative Auswirkungen von Fluktuation auf eine der Formen zurückführen. Daraus ergeben sich, je nach Situation unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltung von Interventionen. Egal, ob quantitative Knappheit oder qualitative Fähigkeiten, es sollte offensichtlich sein, wie unkontrollierte Fluktuation die Wertschöpfungskette destabilisieren kann, wenn das Human-Kapital der limitierende Faktor im Unternehmen ist. Mit diesem Thema werden wir uns im zweiten Teil des Buches noch genauer beschäftigen.
Doch, wenn das Human-Kapital nicht der limitierende Faktor ist, hat Fluktuationsmanagement dann überhaupt eine Bedeutung? Die kurze Antwort ist ja, aber eine andere. Fluktuationsmanagement hat das Ziel einer wirtschaftlichen Verwendung von Human-Kapital sowie der vom Human-Kapital abhängigen Ressourcen. Wenn Human-Kapital nicht der limitierende Faktor ist, [29]haben wir es mit einer gewissen Form von Überfluss oder zumindest mit einer leichteren Verfügbarkeit zu tun. Anstatt den Mangel zu vermeiden, ist es in dieser Situation die Aufgabe des Fluktuationsmanagements, die verfügbaren Ressourcen möglichst effizient zu nutzen. Nur weil ein Rohstoff leicht verfügbar ist, würde kein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen die Bedeutung von Verschnitt oder Qualität der Materialien vernachlässigen. Im Gegenteil, mit der hohen Verfügbarkeit einer Ressource sollte der Anspruch steigen. Wenn also Human-Kapital im »Überfluss« verfügbar ist, sollte durch eine gute Auswahl und selektive Fluktuation die Qualität der Belegschaft maximiert werden. Folglich hat das Fluktuationsmanagement auch dann eine wichtige Aufgabe, wenn kein akuter Mangel an Human-Kapital besteht. Selbst wenn Arbeitskraft leicht verfügbar ist, muss dafür gesorgt werden, dass Leistungsträger und Schlüsselpersonen im Unternehmen bleiben und nicht ständig wechseln. Zu hohe Fluktuation in bestimmten Zielgruppen hat auch in diesem Szenario negative Auswirkungen auf Arbeitsprozesse, Unternehmenskultur und Produktivität. Auf der anderen Seite sollte auch bei einer Knappheit an Personal der einzelne Mitarbeiter nicht um jeden Preis gehalten werden (oder jeder Bewerber eingestellt werden). Manche Mitarbeiter schaden der Unternehmenskultur, andere blockieren wichtige Veränderungen und manchmal kostet es mehr, einen Mitarbeiter zu halten, als es für das Unternehmen wert ist. Wir werden im zweiten Teil des Buches detaillierter darauf eingehen, welche Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und wie die Auswirkungen auf den Wertschöpfungsprozess sind. An dieser Stelle jedoch wollen wir aus der Rolle des Human-Kapitals in der Wertschöpfungskette unser drittes grundlegendes Prinzip für ein modernes Fluktuationsmanagement ableiten.
Das dritte Prinzip ist ein Grundelement des wirtschaftlichen Arbeitens, das auch für das Fluktuationsmanagement Gültigkeit hat. Wenn wir versuchen, durch externe Maßnahmen den Zustand der Fluktuation zu verändern, verbrauchen wir knappe Ressourcen (meist Zeit, Geld und Aufmerksamkeit). Entschließen wir uns dazu, in eine Veränderung der Fluktuation zu investieren, brauchen wir eine klare Idee, welchen Vorteil diese Veränderung erbringen soll und müssen dies im Nachhinein auch belegen. Wir müssen uns auch stets den Opportunitätskosten unserer Entscheidungen stellen und fragen, ob es nicht einen effizienteren Weg gibt, den gewünschten Zustand zu erreichen. Entscheidend ist dabei das Zusammenwirken der verschiedenen Kapitalformen für die Zielerreichung. Die Bedeutung des Human-Kapitals zu kennen, diese weder zu überschätzen noch zu unterschätzen, ist wie ein Kompass für alle Entscheidungen, die das Management der Fluktuation betreffen.
Ein erstes Indiz für die Bedeutung der verschiedenen Kapitalformen ist der jeweilige Industriebereich, in dem das Unternehmen tätig ist. Theoretisch kann in einem Unternehmen jede Kapitalform zum limitierenden Faktor im Wertschöpfungsprozess werden. Doch in der Praxis [30]zeigt sich, dass die Relevanz der verschiedenen Kapitalformen zwischen den Industrien systematisch variiert. Betrachten wir dazu die klassischen Wirtschaftssektoren.
Der Primärsektor
Der primäre Wirtschaftssektor besteht aus land- und forstwirtschaftlicher Produktion sowie der Rohstoffförderung. Das Endprodukt dieser Unternehmen ist immer ein anfassbarer Rohstoff, wodurch das materielle Kapital für Unternehmen in diesem Sektor, von Natur aus, eine große Bedeutung hat. Sowohl die Urform des Endproduktes (der Wald bei der Forstwirtschaft, das Feld bei der Landwirtschaft und das Ölvorkommen bei der Bohrinsel), als auch Maschinen und Werkzeuge sind von entscheidender Bedeutung. Immaterielles Kapital spielt in diesem Sektor in Form von standardisierten Prozessen und logistischer Koordination auch eine wichtige Rolle. Der Mitarbeiter ist in diesen Unternehmen überwiegend ausführende Arbeitskraft und als solche besonders stark von der Automatisierung betroffen. Wenn man eine Prognose wagen möchte, wird die Menge der benötigten Mitarbeiter in diesem Industriesektor weiterhin abnehmen (wie schon über die letzten 100 Jahre). Finanzielles Kapital ist im primären Sektor eng mit der Wertschöpfung verbunden. Da das Endprodukt immer gleichbleibt, werden Investitionen nur getätigt, wenn sie einen direkten Mehrwert nachweisen können. Innovation und Forschung spielen eine untergeordnete Rolle.
Der Sekundärsektor
Der zweite Sektor umfasst alle Formen der industriellen Produktion. Da auch hier ein anfassbares Endprodukt geschaffen wird, spielt das materielle Kapital eine wichtige Rolle. Anders als im Primärsektor findet vom Werkstoff zum Endprodukt jedoch eine stärkere Transformation statt. Das bedeutet, die Relevanz von verarbeitenden Maschinen und Prozessen (immateriellem Kapital) ist deutlich höher. Dabei gilt: Je komplexer das Endprodukt, desto wichtiger die immateriellen Faktoren wie Verarbeitungspläne, Arbeitsabläufe, Lieferketten und Verkaufskanäle.
Eine besondere Rolle spielen hier auch die Innovationen. Während das Endprodukt im Primärsektor stabil bleibt, muss sich der Sekundärsektor nach der Nachfrage von Kunden und der Konkurrenz am Markt richten. Dadurch geraten Unternehmen in das sogenannte »Explore-Exploit Dilemma«. Entscheiden sie sich, mit dem aktuellen Produkt den Profit zu maximieren (Exploit), kann der Mitarbeiter auf einen ausführenden Produktionsfaktor reduziert oder durch automatisierte Prozesse ersetzt und dadurch die Mitarbeiterkosten stark verringert werden. Möchte das Unternehmen aber sein Produkt verbessern, neue Produkte entwickeln oder andere Marktbereiche erschließen, muss das immaterielle Kapital weiterentwickelt werden (Explore). Mitarbeiter müssen neue Strategien umsetzen, wissenschaftliche Erkenntnisse sammeln oder innovative Ideen entwickeln. Diese Arbeit verlangt die Verfügbarkeit von ausgebildetem Human-Kapital.
Der Tertiärsektor
Der dritte Sektor umfasst Dienstleistungen, also Produkte, die physisch nicht greifbar sind. Von allen Sektoren ist dieser in den letzten Jahrzehnten am stärksten gewachsen und ver[31]ändert sich auch weiterhin am schnellsten. In diesem Sektor ist der Erfolg von gestern nur noch eine blasse Erinnerung, während morgen schon eine unsichere Zukunft wartet. Da das Endprodukt nicht anfassbar ist, ist die Bedeutung des materiellen Kapitals in diesem Sektor gering. Trotzdem brauchen auch diese Unternehmen eine materielle Grundlage, meistens in Form von Büros, Computern oder Veranstaltungsflächen. Der Schwerpunkt im tertiären Sektor liegt jedoch auf dem immateriellen und humanen Kapital. Das immaterielle Kapital besteht aus Programmen, Netzwerken, Informationen und Patenten. Das humane Kapital besteht aus der Arbeitskraft, die das immaterielle Kapital anwendet und weiterentwickelt. Je schneller dabei die Innovationszyklen, desto stärker liegt der Fokus auf der Weiterentwicklung durch qualifiziertes Human-Kapital.
Das Human-Kapital an sich ist ein notwendiger Bestandteil im Wertschöpfungsprozess und als Faktor an sich nicht ersetzbar. Die Lücke in der Wertschöpfungskette kann aber sehr wohl durch neue Mitarbeiter, Automatisierung oder Outsourcing geschlossen werden. Entscheidend ist daher zu verstehen, welchen Aufwand es bedeutet, das durch Fluktuation verlorene Human-Kapital zu ersetzen, und welche Kosten es hat, wenn eine Lücke nicht geschlossen werden kann. Um schließlich zur eingangs gestellten Frage zurückzukehren, wie steht es nun um die Ersetzbarkeit des Mitarbeiters in Ihrem Unternehmen? Die Antwort darauf wird für jedes Unternehmen anders ausfallen und ist die Basis für ein gutes Fluktuationsmanagement.
Bevor wir uns im nächsten Kapitel mit der Sicht des Mitarbeiters beschäftigen, stellen Sie sich zum Abschluss für Ihr Unternehmen die folgenden Fragen:
Welche Rolle spielt der Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette?Wie leicht lässt sich der Mitarbeiter austauschen?Ist das Human-Kapital eine knappe Ressource?Geht es um die quantitative Verfügbarkeit oder die qualitativen Fähigkeiten?Welche Form der Fluktuation würde zu Ihrem Geschäftsmodell passen?Bisher haben wir die Bedeutung der Fluktuation auf das Unternehmen und die Wertschöpfungskette innerhalb einer Organisation besprochen. Diese Perspektive ist wichtig, aber sie vernachlässigt zugunsten einer besseren Verständlichkeit die externen Einflüsse und Sachzwänge des Wirtschaftssystems. Wer ausschließlich die internen Prozesse des Unternehmens betrachtet, könnte zu dem Schluss kommen, die richtige Maßnahme sei schlicht eine logische Ableitung der internen Gegebenheiten. Ein Unternehmen, das Schwierigkeiten damit hat, adäquates Human-Kapital zu halten, wäre demnach entweder unfähig die richtige Strategie zu entwickeln oder diese umzusetzen. In Wirklichkeit ist das Unternehmen jedoch keine isolierte Einheit, sondern wird von externen Faktoren beeinflusst, über die es nur begrenzt Kontrolle hat. In diesem Kapitel wollen wir daher unseren Blick erweitern und die Fluktuation im Kontext eines größeren Wirtschaftssystems betrachten. Dazu werden wir im ersten Teil diskutieren, welche Bedeutung das wirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage für das Human-Kapital hat. Anschließend geht es um die Rolle der Konkurrenz auf dem freien Markt und am Ende besprechen wir, wie sich die Bedeutung des Mitarbeiters über die Zeit verändert hat.
Bevor wir über den Mitarbeiter als Ressource im Wirtschaftssystem sprechen, beginnen wir mit dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Auf einem freien Markt treffen Angebot und Nachfrage, Käufer und Verkäufer aufeinander. In einer Verhandlung einigen sich die beiden Parteien auf einen Preis, zu dem die Ressource, meist gegen finanzielles Kapital getauscht werden soll. Da es für die meisten Ressourcen mehrere Käufer und mehrere Verkäufer gibt, suchen die Käufer das günstigste Angebot und die Verkäufer den höchsten Bieter. Auf diese Weise etabliert sich ein Marktgleichgewicht für den Preis einer Ressource.
Wie für jede andere Ressource gibt es auch für die Human-Ressource einen Markt, den Arbeitsmarkt. Auf dem Arbeitsmarkt ist der Mitarbeiter der Verkäufer seiner Arbeitskraft und das Unternehmen der Käufer. Wie bei jeder anderen Ressource bestimmt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage den Preis, der für eine spezifische Human-Ressource am Arbeitsmarkt gezahlt wird. Auf diese Weise ist es möglich, den Mitarbeiter wie jeden anderen Produktionsfaktor zu handeln. Doch diese Perspektive auf die Arbeitskraft ist nur so lange nützlich, wie wir uns der künstlichen Komplexitätsreduktion bewusst sind. Die Konzeptualisierung des Mitarbeiters als Ressource ist ein hilfreiches Werkzeug der Entscheidungsfindung, sie vernachlässigt jedoch die wahre Natur des Menschen. Neben seiner funktionellen Rolle als Produktionsfaktor bleibt der Mitarbeiter immer ein Mensch. Wer diese Dualität vernachlässigt und die vorgenommene Komplexitätsreduktion mit der Realität verwechselt, wird zu scheinbar rationalen aber tatsächlich dysfunktionalen Ableitungen für die Arbeitspraxis kommen. Die Entmenschlichung des Mitarbeiters, auch wenn sie nicht bösartig gemeint ist, führt zu einer systematischen Nichtbeachtung folgender Eigenschaften:
[34]Das Bewusstsein des Mitarbeiters
Der Mensch verfügt über ein Bewusstsein der eigenen Erlebniswelt. Diese Eigenschaft unterscheidet ihn von allen anderen Ressourcen, die im Produktionsprozess eines Unternehmens verwendet werden. Das Erleben der eigenen mentalen Zustände ist für ein wirtschaftliches Unternehmen relevant, da es zu einer Neubewertung dessen führen kann, was der Mitarbeiter als einen angemessenen Preis für seine Arbeitskraft akzeptiert. Der Preis jeder anderen Ressource, wie z. B. Wasser, ist unabhängig von seiner Verwendung. Ob Sie es trinken, damit duschen oder es zum sauber machen verwenden, ist für die Preisfindung unerheblich. Der Mitarbeiter muss jedoch die eigene Verwertungskette bewusst miterleben und wird seinen Preis dementsprechend anpassen. Wenn ein wirtschaftliches Unternehmen den Mitarbeiter ausschließlich als Ressource versteht, wird es die Verwertungskette so effizient wie möglich gestalten und, bei Bedarf, ohne zu zögern am Arbeitserlebnis der Mitarbeiter sparen. In Reaktion auf subjektiv schlechtere Arbeitsbedingungen wird der Mitarbeiter jedoch seinen Einsatz verringern, den Preis für seine Arbeitskraft anheben oder das Unternehmen zugunsten eines besseren Arbeitserlebnisses verlassen. Die so ausgelöste Fluktuation und Personalhaltungskosten übersteigen nicht selten den am Arbeitserlebnis eingesparten Mehrwert und sind so auf lange Sicht unwirtschaftlich. Wer den Mitarbeiter jedoch auch als menschliches Wesen begreift, der wird in das Arbeitserlebnis investieren, um in der Preisverhandlung günstigere Konditionen zu erhalten und als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Natürlich darf über das Arbeitserlebnis die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen werden, denn eine Investition in das Arbeitserlebnis, die keinen wirtschaftlichen Mehrwert generiert, gefährdet das Unternehmen.
Die Freiheit des Mitarbeiters
Die Freiheit des Mitarbeiters ist ein einzigartiges Privileg, welches ihn von allen anderen Produktionsfaktoren unterscheidet und (mit wenigen traurigen Ausnahmen) für jeden Arbeitsmarkt gültig ist. Aufgrund dieser unantastbaren Freiheit kann der Mitarbeiter nicht gekauft werden, sondern lediglich seine Arbeitskraft für einen definierten Zeitraum »gemietet« werden. Die Auswirkungen dieser Freiheit sind jedoch tiefgreifender als ein Kauf auf Raten. Der Mitarbeiter hat jederzeit die Option, das Arbeitsverhältnis proaktiv und unilateral zu beenden und kann seinen Einsatz bis zu einem gewissen Maß frei bestimmen. Die Freiheit, das Unternehmen zu verlassen oder die eigene Leistung zu verringern, führt die rein objektive Bewertung der Arbeitskraft ad absurdum. Wie sinnvoll ist es, den Mitarbeiter als Ressource bewerten zu wollen, wenn dieser die Freiheit hat, das Unternehmen zu verlassen und seinen »Wert« für das Unternehmen damit zu vernichten? Im Einzelfall gibt es keine Möglichkeit den Wert des Mitarbeiters zu benennen. Selbst wenn er heute ein wichtiger Teil des Unternehmens ist und Umsatz generiert, kann er morgen kündigen und im schlimmsten Fall zum Konkurrenten wechseln. Doch auch wenn das Verhalten des Individuums nicht vorhersehbar ist, können wir mit einer größeren Stichprobe zunehmend präzisere Aussagen machen.
Jeder Produktionsfaktor (Maschinen, Werkzeuge, Büros usw.) hat eine Haltbarkeit und muss mit der Zeit abgeschrieben werden. Man weiß nie genau, wann ein Werkzeug wirklich kaputt gehen wird, aber bei guter Behandlung wird es länger halten, soviel ist sicher. Gleiches gilt für [35]den Mitarbeiter. Wie jeder andere Teil des Unternehmens könnte er über die durchschnittliche Beschäftigungsdauer mit der durchschnittlichen Wertschöpfung abgeschrieben werden. In einem Unternehmen mit hoher Fluktuation, ergo geringer Beschäftigungsdauer, muss man damit rechnen, jedes Jahr einen großen Teil der Belegschaft und den damit verbundenen Mehrwert zu verlieren.
Der Wert des Mitarbeiters
Der letzte Fehler, der durch die Konzeptualisierung des Mitarbeiters als wirtschaftliche Ressource häufig auftritt, ist die fehlende Differenzierung von Preis und Wert. Der Preis eines Mitarbeiters (also seine Vergütung im weiteren Sinne) ergibt sich aus dem Marktgleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sowie der Verfügbarkeit von Alternativen. Je nach Profil der Arbeitskraft kann das Marktgleichgewicht variieren und folglich zu großen Unterschieden in der Bezahlung führen. Doch ein so definierter Preis darf nicht mit dem Wert der Arbeit verwechselt werden. Preis und Wert sind zwei unabhängige Variablen und das gilt nicht nur für den Mitarbeiter, sondern für jede Ressource. Nehmen wir zwei alltägliche Ressourcen wie Wasser und Gold. Ohne Frage ist der Preis, den wir für eine Einheit Gold bezahlen würden, wesentlich höher als für Wasser. Dabei ist Wasser lebensnotwendig, es ist zentraler Bestandteil des Lebens und in seiner Funktion unersetzlich. Gold auf der anderen Seite ist ein Luxusgut, das unser Leben weder verlängert noch vereinfacht. Wenn es morgen kein Gold mehr geben würde, würden es die meisten Menschen nicht einmal bemerken. Es wäre also legitim zu behaupten, dass Wasser für uns Menschen einen höheren Wert hat als Gold. Warum also sind wir bereit für Gold einen höheren Preis zu zahlen? Die Antwort ist der Grenznutzen und sein Einfluss auf das Marktgleichgewicht. Der Grenznutzen beschreibt das von Hermann Heinrich Gosse definierte Prinzip, nachdem »die Größe eines und desselben Genusses bei ununterbrochenem Konsum fortwährend abnimmt, bis zuletzt Sättigung eintritt«. Mit anderen Worten, der Wert von Wasser (sowie Gold) nimmt mit zunehmender Menge ab. Kurz vor dem Verdursten ist ein Liter Wasser wertvoller als alles Gold der Welt. Doch wenn ich jederzeit Zugriff auf unbegrenzte Mengen Wasser habe, sinkt der Grenznutzen stark gegen null. Da es in den meisten Ländern einen Überfluss an Wasser gibt, können wir unseren Bedarf befriedigen und der Grenznutzen einer weiteren Einheit Wasser ist praktisch gleich null. Anders ist das mit Gold. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit ist der Bedarf nicht gedeckt, weshalb der Grenznutzen positiv ist, und deswegen sind wir bereit einen entsprechenden Preis dafür zu bezahlen.
Was hat das alles nun mit der Arbeitskraft des Menschen zu tun? Sehr viel, denn viele Berufe werden vergleichsweise niedrig bezahlt, obwohl sie objektiv gesehen einen wichtigen Beitrag für das Unternehmen oder die Gesellschaft leisten. Wie beim Wasser ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei diesen Berufen derart, dass Unternehmen ihren Bedarf schon für einen geringen Preis decken können. Doch wenn Unternehmen keinen Unterschied zwischen Wert und Preis ihrer Mitarbeiter machen, tendieren sie dazu, niedrig bezahlten Mitarbeitern nicht die notwendige Wertschätzung entgegenzubringen. Wasser ist geduldig und kann mit mangelnder Anerkennung gut umgehen, Mitarbeiter nicht. Niedrige Bezahlung ist das objektive Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage und kann als solches akzeptiert werden (bzw. der Mitarbeiter hat kei[36]