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Lukas und das Spiegelportal: Gibt es ein Entkommen aus der Spiegelwelt? Lukas steckt in einer ausweglosen Situation: Er ist er auf der Spiegelseite gefangen, während sein böser Zwilling zusammen mit Ella die magische Akademie besucht. Immerhin kann Lukas jenseits der Spiegelpfade ein paar Nachforschungen anstellen – und findet Erschreckendes heraus: Der Spiegelzwilling möchte das Portal der Spiegelwelt dauerhaft öffnen, um die Zauberschule zu unterwerfen. Währenddessen bemerkt Ella immer mehr Ungereimtheiten im Verhalten des falschen Lukas ... »Gefangen auf der Spiegelseite« ist die rasante Fortsetzung der Flüsterwald-Reihe. Dank kurzer Kapitel, ungeahnter Wendungen und viel Witz können Mädchen und Jungs in die Abenteuer rund um die Zauberschule im magischen Wald abtauchen. - Der 3. Band der 3. Flüsterwald-Staffel von Andreas Suchanek, fantastisch illustriert von Timo Grubing - Die Buchreihe mit Suchtfaktor: Einstieg mit jeder Staffel möglich! - Lesefutter für junge Fantasy-Fans ab 9 Jahren: große Schrift und kurze Kapitel - Mit spannender Story-Game-App zur Leseförderung: Nach dem Lesen geht das Abenteuer weiter! - Das Flüsterwald-Universum: Kinderbücher voller Magie und Freundschaft mit großartigen Charakteren! Der Kampf gegen die dunklen Zwillinge und die böse Version der magischen Akademie Ella ahnt recht bald, dass mit Lukas etwas nicht stimmt. Seit ihrem letzten Abenteuer in Venedig hat er sich sehr verändert: Er ist distanziert, spricht nur selten mit ihr und scheint ihr regelrecht aus dem Weg zu gehen. Als er sich dann ausgerechnet mit Leon anfreundet, beginnt Ella selbst Nachforschungen anzustellen. Ob sie den echten Lukas retten kann? Ein rundum spannendes Flüsterwald-Abenteuer, in dem es um Freundschaft, magische Kräfte und den Kampf Gut gegen Böse geht!
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2025
Lukas‘ Situation scheint ausweglos: Er wurde unfreiwillig gegen seinen bösen Spiegelzwilling ausgetauscht. Nun ist er auf der Spiegelseite gefangen, während sein böser Zwilling mit Ella zusammen die magische Akademie besucht. Immerhin kann Lukas auf der Spiegelseite ein paar Nachforschungen anstellen – und findet Erschreckendes heraus: Der böse Zwilling möchte das Portal zur Spiegelseite dauerhaft öffnen. Doch dann würden die Spiegelzwillinge die magische Akademie einnehmen …
Band 3 – die atemlose Fortsetzung der dritten Staffel!
Lukas (Mensch)
*Leseratte und Abenteurer
*muss sich in einer neuen Stadt zurechtfinden
*seine Familie hat keine Ahnung vom Flüsterwald oder von Magie
Ella (Mensch)
*Lässt sich von niemandem aufhalten
*Liebt ihren Großvater über alles
*hat viel in der Theater-AG gelernt
Felicitas (Elfe)
*zaubert gerne (was nicht immer klappt wie geplant)
*fühlt sich im Internat einsam und unternimmt deshalb öfter (verbotenerweise) Streifzüge
Punchy (Katze)
*heißt mit vollem Namen: Pedora Ulinde Naftet von Chibalka
*Aufpasserin von Felicitas
*hat Nerven aus Stahl
Rani (Menok)
*Nachwuchsautor, forscht über Menschen
*spielt für sein Leben gerne und ist schokoladensüchtig
Prolog
Wo ist Lukas
Die andere Seite
Flucht in den Flüsterwald
Der Wahrheit auf der Spur
Jetzt reicht es!
Gute Nachrichten?
Auf dem Putzemobil
Die Menok-Attacke
Die Anführerin
Der Auraleser
In der Feuerschlucht
Die Bewahrerin des Wissens
Ein Freund könnte helfen
Die dunkle Festung
Feindliches Gebiet
Ausflug nach Down Under
Entdeckt
Böse Ella
Das Memorum
Die Suche
Plausch mit dem Direktor
Plausch mit Ella
Zwischenspiel
Flucht
Der dunkle Elfenstaub
Elfenstaub und Putzemobil
Sie kommen
Durch Raum und Zeit
Vereint
Kampf unter der Akademie
Vor dem Ende
Angriff
Rötliches Licht schimmerte in einem Flakon. Er hatte soeben erneut den Zaubertrank fertiggestellt, den er so dringend benötigte, um hier unten weiterhin verborgen zu bleiben. Verborgen vor den suchenden Augen des Direktors, der sich oberhalb von ihm in der magischen Akademie befand. Im gleichen Moment bewegten sich die Sandkörner in der Kommunikationsschale und nahmen die vertraute, unterarmlange Sandfigur einer Frau an.
»Halte Lukas Lamprecht unter Kontrolle!«, verlangte er.
Hätte er seine alte magische Kraft besessen, hätte seine Stimme einen ganz anderen Klang aufgewiesen: hart und befehlend. Leider gehörte diese Freiheit aktuell der Vergangenheit an. Er musste sich gegenüber seiner Verbündeten, die sich auf der Spiegelseite befand, kooperativ verhalten.
»Mach dir um Lukas mal keine Sorgen«, erwiderte die Sandfigur schmallippig. »Ich weiß genau, was ich tue. Immerhin ist er dank meines Plans, den wir von langer Hand vorbereitet haben, überhaupt erst auf der Spiegelseite gelandet. Und ebenfalls dank meines Plans befindet sich sein Spiegel-Doppelgänger nun direkt in der Akademie. Das ist die Chance, auf die wir gewartet haben. Schnapp dir Leon und das Buch!«
»Seit wann gibst du mir Befehle?«, fragte er gefährlich leise. »Wenn ich aus dem, was uns überhaupt erst in diese Lage gebracht hat, eines gelernt habe, dann dass Geduld sich auszahlt.«
»Zu viel Geduld kann uns alles kosten«, erwiderte sie. »Ich sitze hier seit vielen Jahren fest und will endlich wieder nach Hause. Es gibt Dinge, die dort auf mich warten. Pläne, die ruhen mussten.«
»Dein Gefängnis ist meine Welt«, sagte er. »Und deine Welt ist mein Gefängnis. In Kürze korrigieren wir alles.« Mit einer herrischen Geste beendete er die Verbindung. Nicht, dass er noch zu viel verriet.
Seine Komplizin ging davon aus, dass sie seine Pläne kannte. Dem war nicht so. Er wollte weitaus mehr.
Mit einem zufriedenen Lächeln führte er den Flakon mit dem Zaubertrank zum Mund.
»Bald sehen wir uns wieder, Direktor.«
Er blickte versonnen in die rötlich schimmernde Flüssigkeit und trank.
»Hast du Lukas gesehen?«, erklang es hinter ihr.
Ella fuhr herum, die unter ihrer Mütze hervorlugenden Haare wurden vom Wind auf dem Pausenhof zerzaust. Sie aß ihr belegtes Brot, obgleich es ihr nicht richtig schmecken wollte. »Er ist bestimmt hier irgendwo.«
Lukas’ Vater runzelte die Stirn, hatte seine Hände tief in den Jackentaschen vergraben. »Habt ihr euch gestritten?«
Tja, wenn Ella das nur wüsste. Seit letzter Woche, nachdem sie von ihrem Abenteuer aus Venedig zurückgekehrt waren, bei dem sie sich nur knapp aus einem einstürzenden Palazzo hatten retten können, hatte Lukas sich verändert. Er war distanziert, sprach nur noch selten mit ihr und wollte die Pause lieber allein mit seinem Smartphone verbringen. Einmal hatte sie einen Blick auf Lukas’ Handy erhascht. Er studierte Online-Artikel über Länder und Städte. Auf Nachfrage hatte er sie nur angepatzt. Ella registrierte, dass Herr Lamprecht noch auf eine Antwort wartete. »Eigentlich nicht.«
»Weißt du, wir haben alle mal schlechte Tage«, sagte er, als wolle er sich für Lukas’ Verhalten entschuldigen.
Ella runzelte die Stirn. »Es ist Ihnen auch aufgefallen, stimmt’s? Deshalb sprechen Sie mit mir.«
Zuerst wirkte Herr Lamprecht überrascht, dann schmunzelte er. »Meine Frau und ich haben bemerkt, dass er oft abwesend ist. Und manchmal … Herr Rechbit hat mir erzählt, dass Lukas im Informatikunterricht nicht mehr wusste, wo er sitzt. Und nachdem der Rechner angeschaltet wurde, kam er nicht mehr weiter. Das ergibt keinen Sinn, das ist Lukas’ Lieblingsfach.«
Das war tatsächlich seltsam. Da Lukas aber immer wieder vor Ella davonlief, konnte sie ihn nicht einfach mal fragen, was mit ihm los war. Zumindest bisher nicht. Denn heute Nacht ging es zurück in die magische Akademie, dort würde er ihr nicht mehr entkommen.
»Ich dachte, ich frage einfach mal«, sagte Herr Lamprecht jetzt geradezu kleinlaut. »Normalerweise mische ich mich nicht in Lukas’ Freundschaften ein, er soll ja seinen Freiraum haben.«
Die Worte rührten Ella zutiefst, auch wenn sie es nicht zeigte. Nachdem ihr eigener Vater sie und ihre Familie verlassen hatte, war alles eine Zeit lang sehr verwirrend gewesen. Und einsam. Obendrein war ihr Großvater dann verschwunden. Doch die Suche nach ihm hatte sie zu Lukas, Rani, Punchy und Felicitas geführt. Ihre besten Freunde! Sie hätte nur niemals gedacht, dass ausgerechnet Lukas sich von ihr abwenden würde.
»Ich bin sicher, alles wird wieder gut.« Herr Lamprecht schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das seine Augen aber nicht so ganz erreichen wollte.
Dann ging er davon.
Ella packte ihr Brot wieder in das Papier und verstaute es in der Jackentasche. Als die Schulglocke klingelte, lief sie mit den anderen Kindern zurück ins Gebäude. Die letzten Stunden zogen sich dahin, was nicht nur daran lag, dass es Freitag war. Auch drehten sich ihre Gedanken immer mehr um Lukas. Immerhin musste er heute Abend zu ihr kommen, wenn es Zeit war, in die Akademie zurückzukehren. Der magische Speicher befand sich nämlich nach wie vor über ihrem Zimmer. Damit konnte er einem Gespräch nicht länger ausweichen. Am besten stellte sie ihn direkt auf dem Speicher zur Rede, gemeinsam mit Rani, Punchy und Felicitas. Vielleicht konnten die anderen herausfinden, was mit Lukas nicht stimmte.
Endlich war die letzte Unterrichtsstunde vorbei.
Als Ella das Schulgebäude verließ, sah sie von Weitem Herrn Lamprecht, der stirnrunzelnd mit Konrektorin Abeni sprach. Sie schloss sich einer Traube anderer Kinder an und näherte sich auf diese Weise langsam Herrn Lamprecht.
»Ich kann da nicht viel machen«, sagte Frau Abeni gerade. »Wenn er noch mal schwänzt, müssen wir uns unterhalten. Lukas ist sonst ein zuverlässiger Junge, den jeder im Kollegium mag.«
»Das passt so gar nicht zu ihm«, sagte Herr Lamprecht. »In Deutsch hat er normalerweise keine Probleme. Er ist eine Leseratte, stürzt sich auf jedes neue Buch, das er in die Finger bekommt. Und plötzlich das …«
Seine Stimme wurde leiser, während Ella im Strom der anderen Schüler weiterlief und sich langsam entfernte. Sie machte sich auf den Weg nach Hause, wobei sich ihre Gedanken immer noch um das Gespräch drehten. Seit wann schwänzte Lukas den Unterricht? Deshalb hatte sie ihn heute auf dem Pausenhof also nicht gesehen. Sie zog ihr Smartphone hervor und tippte eine Nachricht an ihn.
Wieso warst du nicht in der Schule? Das gibt Ärger. Quatschen?
Sie konnte sehen, dass er die Nachricht las, eine Antwort kam jedoch nicht.
Zu Hause schloss sie die Tür auf und betrat die Wohnung, die jedoch leer war. Ihre Mutter war noch im Café zugange und würde erst in einigen Stunden hier auftauchen, vermutlich gerade dann, wenn der Vergessenszauber der Akademie aktiv wurde. Nur mit diesem Zauber war es möglich, dass die Beschützerinnen und Beschützer sich einfach von zu Hause wegstehlen konnten und niemand es bemerkte. Erst am Sonntagabend würde ihre Mutter sich wieder daran erinnern, dass sie eine Tochter hatte.
In der Küche nahm sich Ella eine Glasschüssel aus dem Kühlschrank, in der sich noch Pasta und Gemüse vom Vortag befand. Sie gab alles mit ein wenig Wasser in einen Topf, erwärmte es und nahm sich einen Teil zum Essen. Zweimal schaute sie dabei auf ihr Smartphone, doch von Lukas kam keine Antwort.
Nachdem sie fertig gegessen hatte, erwärmte sie den verbliebenen Rest erneut, gab alles auf einen Teller und stieg nach oben in ihr Zimmer.
Ihre Mutter wusste nichts davon, dass es einen weiteren Bewohner im Haus gab. Leon lebte unter der Woche auf dem geheimen Speicher, wo er sich mit Decken, einer Luftmatratze und Schlafsack eingerichtet hatte. Langsam gewöhnte er sich an das Leben unter Menschen, war jedoch noch immer erpicht darauf, seine verlorenen Erinnerungen zurückzubekommen. Ellas Mutter hingegen vermutete einfach, dass Ella einen gehörigen Appetit entwickelt hatte und deshalb zurzeit für zwei aß.
Ella stellte den Teller in ihrem Zimmer ab und trat an das Regal. Sie öffnete das Glas mit den Keksen, das sich immer wieder von selbst auffüllte, und nahm einen der violetten heraus. Die violetten Kekse schmeckten jedes Mal anders. Zudem öffnete sich bei der Entnahme eines Kekses mit dieser Farbe die geheime Regaltür.
Die Geheimtür klappte nach außen auf, während Ella kaute. Dieses Mal schmeckte der Keks nach Hafer mit einer großen Portion Säuselspuck – nicht schlecht. Sie schluckte den Rest herunter, nahm den Teller und stieg die Treppe zum Dachboden hinauf. »Leon?«
Stille.
Ellas Blick erfasste zuerst die Regale, angefüllt mit Büchern, Zaubertränken und Tiegeln. Auf dem Schreibtisch lagen Schreibunterlagen, daneben stapelten sich Bücher. Leon studierte seit Tagen Werke über Vergessenszauber und Amnesiekurieren, hatte mit krakeliger Schrift Notizen aufgeschrieben.
»›Erinnern im Traum‹?«, las Ella einen der Titel laut vor.
War das möglich?
Sie schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken. Jetzt gab es Wichtigeres. Sie musste …
Verwirrt starrte Ella auf die Tür zur magischen Akademie, die sich in einer Wand des Speichers befand.
Die Tür stand offen. Von Leon keine Spur.
Was ging hier vor?
Vor dem Fenster fiel der Schnee in dicken Flocken herab und legte sich wie ein Tuch auf die Dächer der Palazzi von Venedig. Die Lagunenstraßen waren vereist, Boote konnten hier nicht mehr fahren. Dieser Ort war eine Kopie der echten italienischen Stadt und gleichzeitig das komplette Gegenteil.
Es fiel Lukas noch immer schwer, das Geschehene zu verarbeiten, obgleich es bereits fünf Tage zurücklag, dass er durch das Spiegelportal gefallen war. Er und Ella hatten gewusst, dass der geheime Orden aus Wissenschaftlern, in dem auch der Professor einst ein Mitglied gewesen war, vor vielen Jahren im Flüsterwald experimentiert hatte. Auch dass es Spiegelpfade gab, wussten sie seit Kurzem. Sie verbanden ein Portal mit einem anderen; die Portale wiederum, auch genannt Spiegelportal, befanden sich hinter besonderen Spiegeln. Über einen solchen Spiegelpfad war er hierhergelangt, obgleich er noch nicht ganz verstand, was »hier« eigentlich war.
Und wie kam diese eisige Kopie von Venedig überhaupt zustande? Eine ganze Welt auf der anderen Seite des Spiegels.
Auf der Flucht vor den wild gewordenen Flederbeißis im Palazzo hatte Lukas versucht, das Siegel über dem Spiegelportal zu öffnen. Er erinnerte sich genau. Unter seiner Hand hatte es pulsiert, während die andere auf dem großen Buch gelegen hatte, das wiederum Leon gehalten hatte. Plötzlich hatte die Welt einen Satz gemacht, Glas war gesplittert. Einen Moment stand er in einem Palazzo, der dem sehr ähnelte, in dem er gerade noch mit seinen Freunden auf der Flucht vor den Flederbeißis gewesen war.
Und als wäre das nicht genug, hatte er in den Scherben des zerbrochenen Spiegels gesehen, dass ein anderer Lukas nun auf der anderen Seite zwischen seinen Freunden stand. Er hatte ihm böse zugezwinkert und damit deutlich gemacht, dass er keine guten Absichten hegte.
Ab diesem Punkt hatte Lukas machtlos mitansehen müssen, wie seine Freunde den Palazzo auf der anderen Seite ohne ihn verließen. Kurz darauf war das Gebäude hinter ihnen eingestürzt.
Auf Lukas’ Seite war eine unbekannte Frau aufgetaucht, dick vermummt mit Jacke, Handschuhen und Hoodie. Sie hatte ihn zu einem anderen Palazzo gebracht, der nicht ganz so leer und verstaubt war wie der, wo er angekommen war. Dort gab es ein Bett sowie ein wärmendes Kaminfeuer.
Die unbekannte Frau stellte sich als Gundi vor und sprach von der »Spiegelseite«, wenn sie von dem eiseskalten Venedig erzählte. Sie saß bereits länger hier fest und suchte nach einer Möglichkeit, zurückzukehren. Offenbar war sie bei einer Gondelfahrt in Venedig ins Wasser gefallen und durch einen Unterwasserspalt hier gelandet. Sie war Ende zwanzig, Anfang dreißig. Über den Tag verschwand sie oft, weigerte sich aber, Lukas mitzunehmen. Es sei zu gefährlich dort draußen.
Die vergangenen Tage war Lukas dank ihrer Hilfe nicht verhungert, weshalb er sich gefügt hatte. Ewig konnte es jedoch nicht so weitergehen. Er hatte sich vorgenommen, heute mehr über Gundis Ausflüge in Erfahrung zu bringen.
Mittlerweile war Freitag und auf der anderen Seite des Spiegels würden Ella, Felicitas, Punchy, Rani und Leon zusammen mit dem falschen Lukas an die Akademie zurückkehren. Der Gedanke ließ ihn unruhig auf und ab gehen. Je länger Lukas über die Ereignisse nachdachte, desto mehr Fragen taten sich auf.
Woher hatte sein Spiegelzwilling gewusst, dass sie zu diesem Zeitpunkt im Palazzo sein würden, um den Spiegel zu öffnen? Er hatte dort wohl kaum wochenlang gewartet. War es reiner Zufall gewesen? Nein, dahinter steckte mehr. Lukas runzelte grimmig die Stirn. Er musste aktiv werden.
Da!
Vor dem Fenster zeichnete sich eine Gestalt ab, die sich vom Palazzo entfernte. Gundi war endlich aufgebrochen. Lukas trug bereits seine Jacke und einen alten Mantel darüber, den er in einem der Schränke entdeckt hatte. Das musste reichen.
Lukas stürmte die Treppen hinunter und folgte Gundi hinaus in den Schnee. Ihre Kapuzenjacke war blau, was zwischen den Schneeverwehungen leicht auszumachen war. Es knirschte unter seinen Sohlen, als er hinter ihr herrannte.
Wohin mochte sie jeden Tag verschwinden?
Lukas überquerte eine gewölbte Brücke, obgleich er ebenso gut direkt über die zugefrorene Lagunenstraße hätte laufen können.
Es ging durch verwinkelte Gassen, kreuz und quer durch Venedig. Inzwischen hatte er komplett die Orientierung verloren und würde den Rückweg allein nicht mehr finden. Seine Muskeln fühlten sich total verkrampft an, so sehr zitterte er vor Kälte.
Lukas lugte um die nächste Ecke.
Gerade rechtzeitig, denn Gundi öffnete die geschwungene Flügeltür eines gewaltigen Palazzos. Er schlich sich näher, wartete noch ein paar Minuten und folgte ihr. Die Tür war nicht verschlossen und Lukas atmete erleichtert auf. Viel länger hätte er es in der Kälte nicht mehr ausgehalten. Hier im Palazzo herrschte Stille.
Er lauschte.
Die Stimme von Gundi drang von unten aus dem Keller zu ihm herauf.
Lukas folgte der Stimme und kam nicht umhin, diesen Palazzo zu bewundern. Alles glänzte sauber, nirgendwo gab es auch nur ein Staubkorn. In der Luft lag Blütenduft und eine angenehme Wärme zog durch die Eingangshalle und den angrenzenden Raum. Dieser entpuppte sich als Wohnzimmer mit dickem Teppich und Gemälden an der Wand. Zwischen den Gemälden war eine Tür verbaut, die offen stand. Eine Treppe führte dahinter in die Tiefe.
Lukas betrat sie lautlos und schlich die Stufen hinab.
»… beschleunigen?«, fragte Gundi gerade.
»So einfach ist das nicht«, erwiderte eine tiefe Stimme. »Unser Lukas konnte Leon dazu überreden, früher in die Akademie zurückzukehren. Aber diese Ella wird langsam zu einem Problem. Sie stellt Fragen. Und nicht alle davon kann unser Lukas beantworten, hier ist ihm alles noch zu fremd.«
»Ich dachte, ich hätte ihn ausreichend vorbereitet«, erwiderte Gundi mit herrischer Stimme. »Deine Krieger mögen ja etwas vom Kämpfen verstehen, aber ihre Auffassungsgabe lässt zu wünschen übrig.«
»Ein Grund mehr, Gundula, dass du …«
Lukas erreichte das untere Ende und blickte in den Raum. Dieser glich dem Arbeitszimmer von Professor Archibald von Thun. Er war von oben bis unten mit magischen Tinkturen und Artefakten vollgestopft.
Mit verschränkten Armen stand Gundi – oder Gundula, wie der Mann sie genannt hatte – vor einer Schale, in der eine unterarmlange Sandfigur stand: das Abbild ihres Gesprächspartners. Die Konturen waren jedoch zu glatt, als dass Lukas hätte Details ausmachen können, die Stimme der Sandfigur wiederum klang kratzig und heiser.
»Ja, ja, ich soll mich gedulden«, sagte Gundula gerade.
»Du harrst bereits seit vielen Jahren auf der Spiegelseite aus«, kam es von der Sandfigur. »Reiß dich zusammen!«
»Zusammenreißen«, rief Gundi. »Du kannst von Glück reden, dass unsereins auf eurer Seite nicht altert. Andernfalls hätte ich eine Menge Falten und Runzeln, würde gebeugt an einem Stock gehen und womöglich käme ich gar nicht mehr nach Hause.«
»Sei dankbar«, kam es trocken zurück. »Dir wird damit das Geschenk von ewiger Jugend zuteil. Bist du sicher, dass du wieder auf deine Seite möchtest, Gundula?«
»Und du?«
Er lachte auf und wechselte das Thema. »Ich kümmere mich darum, dass das Spiegelportal sich öffnet. Wir haben alles, was wir dafür brauchen. Sorge du nur dafür, dass der Lukas von der realen Seite bei dir im Palazzo bleibt. Er darf auf keinen Fall die Flüsterwälder aufsuchen.«
»Vielleicht sollte ich ihn zur Akademie der Spiegelseite schicken«, sagte Gundula abfällig. »Oder wie du sie nennst: die dunkle Festung. Dann wäre ich das Gör los und deine Krieger könnten sich um ihn kümmern.«
Lukas hatte genug gehört.
Leise schlich er die Treppe hinauf, öffnete die Tür des Palazzos und rannte hinaus in den Schnee.
Er musste den Weg zurück in den Flüsterwald finden und irgendwie seine Freunde auf der anderen Seite des Spiegels warnen.
Die Kälte brannte eisig auf seiner Haut.
Lukas sah sich in den Straßen um und versuchte, sich zu orientieren. Venedig war ihm fremd, wenngleich er gemeinsam mit Ella, Rani und Felicitas sowie den beiden Beschützern des italienischen Flüsterwaldes, Sofia und Francesco, bereits hier gewesen war. Somit wusste er auch, dass es in dieser Stadt einen Palazzo gab, in dem eine magische Tür direkt in die Akademie führte – zumindest gab es diesen Durchgang auf der realen Seite. Doch einfach in die magische Akademie konnte er nicht gehen, denn wenn er die Worte von Gundula und der Sandfigur richtig deutete, warteten dort auf dieser Seite irgendwelche Krieger. Es wäre viel zu gefährlich.
Damit blieb der Flüsterwald.
Bevor er auch nur an den heimischen Wald bei Winterstein denken konnte, musste er den italienischen erreichen. Dieser lag auf einer Laguneninsel vor der Stadt. Auch wenn es in Gundis Palazzo keine Dusche gab, hatte er sich mittlerweile immerhin ein paarmal waschen können. Er hatte jedoch seine Haare ausgespart, damit das Flüsterpulver darin haften blieb. Mit etwas Glück wirkte es also noch.
Seit einer guten Stunde irrte er bereits durch die Straßen, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Gebäude. Die Stadt war ein einziges Labyrinth und die Sonne ging langsam unter. Falls er nicht bald einen warmen Unterschlupf fand, bekam er ein Problem.
Die Sonne!
Lukas schlug sich gegen die Stirn. Sie ging im Westen unter. Die Lagune vor Venedig lag südöstlich. Damit konnte er endlich die richtige Richtung bestimmen.
Seine Hoffnung, dass irgendwo weitere Menschen auftauchten, erwies sich jedoch als trügerisch. Die gesamte Stadt schien unbewohnt.
Er benötigte eine weitere halbe Stunde, bis die Palazzi sich vor ihm zur Lagune – und damit zum Meer hin – öffneten. Von hier aus war es ein Leichtes, den magisch verborgenen Anlegesteg zu finden, von dem aus man in den italienischen Flüsterwald gelangte. Es war ein steinernes Häuschen, in dem zahlreiche Gondeln vertäut lagen.
Lukas sprang in eine davon und löste das Tau. Er erinnerte sich noch sehr genau an die Fahrt mit Sofia und Francesco. Es gab praktisch kein schnelleres Fortbewegungsmittel, sah man von der Blinzelbahn im deutschen Flüsterwald ab.
Lukas sagte: »Avanti, avanti.«
Die Gondel schoss davon. Eis knirschte und splitterte, das kleine Boot raste hinaus. In diesem Augenblick wurde Lukas klar, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte: das Eis. Ihm blieb kaum Zeit, die Umgebung wahrzunehmen, da zersplitterte die Gondel bereits, da das Wasser außerhalb des Anlege-Häuschens von einer dichten Eisschicht bedeckt war.
Lukas flog durch die Luft, krachte seitlich auf die Eisfläche und blieb stöhnend liegen. Diese Fahrt war eindeutig anders verlaufen als erhofft. Er rappelte sich auf. Finger und Zehen konnte Lukas problemlos bewegen, der Mantel war allerdings aufgerissen, ebenso wie die Haut an seinen Händen an einigen Stellen. Mit schmerzenden Gliedern schleppte er sich weiter.
In Sichtweite erblickte er die Ausläufer der Flüsterwald-Insel, in der Dunkelheit blau leuchtend. Ein Gefühl der Hoffnung stieg in ihm auf. Dort musste er hin. Schritt für Schritt durch beißende Kälte, seine Schmerzen ignorierend, kämpfte Lukas sich vorwärts.
Und erreichte schließlich den Flüsterwald.