Folge dem blauen Vogel – Die Twitter-Story - Biz Stone - E-Book

Folge dem blauen Vogel – Die Twitter-Story E-Book

Biz Stone

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Beschreibung

Vom Internet-Nerd zum Twitter-Gründer

Es gab eine Zeit, da wusste Biz Stone nicht, ob sich sein Social- Media-Start-up jemals einen Namen machen würde. Heute lautet die Frage eher, wer den Namen Twitter nicht kennt. Glaubwürdig, unterhaltsam und informativ beschreibt der Autor den unerwarteten Erfolg seines Unternehmens, aber auch seinen eigenen, und erzählt die bemerkenswerte Geschichte seines Lebens und seiner Karriere – wie er von einem unbekannten, hoch verschuldeten Internet-Nerd zum Gründer und Sprachrohr eines der bekanntesten Kommunikationsmedien der Welt wurde. Biz Stone zeigt überzeugend auf, wie man mit Selbstvertrauen und einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst eigene Grenzen, Ängste und Selbstzweifel überwinden und dabei das kreative Potenzial ausschöpfen kann, das in jedem von uns steckt. Das perfekte Buch für alle, die mehr aus sich und ihrem Leben machen möchten – von einem der erfolgreichsten Unternehmer des 21. Jahrhunderts!

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Seitenzahl: 299

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Biz Stone

Folge

dem blauen

Vogel

Die Twitter-Story

Bekenntnisse eines Kreativen

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schmalen

Über den Autor

Aus einfachen Verhältnissen kommend zählt Biz Stone heute zu den einflussreichsten Unternehmerpersönlichkeiten unserer Zeit. Den gewünschten Erfolg brachten ihm sein Selbstvertrauen, seine Kreativität und sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst.

Gemeinsam mit einem Kollegen entwickelte er in einem internen Betriebswettbewerb die Idee für einen Kurznachrichtendienst: Im März 2006 war Twitter geboren und wurde in den darauffolgenden Jahren zu einem weltweit genutzten Kommunikationsmedium.

Twitter war immer geprägt von den Vorstellungen, die Stone von einem Unternehmen hat: Für alle Mitarbeiter galt eine Reihe von Regeln, die – anders als bei rein gewinnorientierten Firmen – darauf abzielten, was für alle Beteiligten am besten ist. Jegliche Änderungen und Anpassungen waren auf ihre Interessen ausgerichtet, ein gutes Betriebsklima war ein Muss.

Biz Stone lässt den Leser an seinen Erfahrungen, seinen Erfolgen, aber auch Misserfolgen teilhaben und vermittelt die Botschaft, dass es sich immer lohnt, für seine Träume zu kämpfen.

Ein sehr persönliches Buch mit einem exklusiven Blick hinter die Kulissen von Twitter.

Biz Stone arbeitete zuerst bei Google und half dort unter anderem bei der Entwicklung von Blogs und Podcasts. Im Anschluss daran gründete er mit zwei Freunden Twitter. Er ist gefragter Gastdozent an Universitäten und Keynote-Speaker auf Konferenzen und Firmenveranstaltungen. Zuletzt gründete Biz das Unternehmen Jelly, dessen Geschäftsführer er zugleich ist. Mit seiner Frau und seinem Sohn lebt er in der Nähe von San Francisco.

Die Originalausgabe dieses Buches erschien 2014 unter dem Titel Things a little bird told me. Confessions of the Creative Mind bei Grand Central Publishing, einem Mitglied der Hachette Book Group, Inc.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schmalen

© Biz Stone, 2014

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.

© der deutschsprachigen Ausgabe 2015 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie, Zürich, unter Verwendung eines Motivs von Paige Green und dem Coverdesign von Christopher Silas Neal

Illustrationen: Patrick Barth

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-15443-1V002

Für Livia

Inhalt

Über den Autor

Einleitung – Auftritt: Das Genie

1 Wie schwer kann es schon sein?

2 Jeder Tag bringt etwas Neues

3 Die Könige des Podcastings danken ab

4 Eine kurze Lektion darin, sich kurz zu fassen

5 Wie die Menschheit lernte, Schwärme zu bilden

6 Glücklich bis ans Lebensende

7 Ein Hoch auf den Fehler-Wal

8 Der Lichtblick

9 Viele kleine Schritte führen zum Ziel

10 500 Millionen Dollar

11 Die Weisheit der Masse

12 Eine Frage der Wahrheit

13 Das Keine-Hausaufgaben-Prinzip

14 Die neuen Regeln

15 25 Dollar können viel ausrichten

16 Eine neue Definition von Kapitalismus

17 Etwas Neues

18 Die wahre Verheißung einer vernetzten Gesellschaft

Schluss

Dank

Einleitung

Auftritt: Das Genie

Am 7. Oktober 2003 ließ ein »Bostoner Blogunternehmen« namens Genius Labs verlauten, es sei von Google aufgekauft worden. Die Presseerklärung wurde von mehreren Nachrichtenmedien aufgegriffen, und schon bald tauchte Genius Labs in der »Liste der Fusionen und Akquisitionen von Google« bei Wikipedia auf. Sobald etwas bei Wikipedia steht, gilt es oft als Tatsache. Und in gewisser Weise stimmte das auch. Genius Labs war ein Unternehmen. Dieses Unternehmen war ich. Die Geschichte, wie ich von Google übernommen – das heißt: eingestellt – wurde, sagt eine ganze Menge über meinen Werdegang aus.

Ein Jahr zuvor hatte es für mich als Unternehmer nicht allzu gut ausgesehen. Mein erstes Start-up, eine Webseite namens Xanga, hervorgegangen aus der nicht ganz ausgereiften Idee von ein paar Freunden und mir, »eine Webfirma zu gründen«, war nicht das, was ich mir erhofft hatte. Da ich es satthatte, ewig pleite in New York zu leben – von allen Orten auf der Welt ist New York wirklich einer der schlimmsten, um pleite zu sein –, kündigte ich. Meine Freundin Livia und ich zogen zurück in meine Heimatstadt Wellesley, Massachusetts, mit Zehntausenden Dollar Kreditkartenschulden im Gepäck. Wir wohnten bei meiner Mutter im Keller. Ich hatte keine Arbeit. Ich versuchte, eine alte Version von Photoshop auf eBay zu verkaufen (was vermutlich illegal ist), aber keiner wollte sie haben. Irgendwann fragte ich sogar, ob ich meinen alten Job im Start-up wiederbekommen könnte – doch meine früheren Kollegen lehnten ab.

Der einzige Lichtblick in meinem sogenannten Berufsleben war das Bloggen. Im Start-up hatten wir die Software eines Unternehmens namens Pyra verwendet, und die Arbeit eines Mitgründers von Pyra, Evan Williams, interessierte mich sehr. Ich fing an, meinen eigenen Blog zu schreiben, und folgte Evans. 1999 gehörte ich zu den Ersten, die ein neues Produkt von Pyra testen durften: einen Bloghosting-Dienst mit dem Namen Blogger. Für mich, wie für viele andere auch, bedeutete das Bloggen eine Offenbarung, sogar eine Revolution – eine ganz neue Dimension der Demokratisierung von Informationen.

Xanga war eine Blogger-Community, doch seit meiner Kündigung bekam ich – der pleite und ohne Ziel vor Augen bei seiner Mutter im Keller festsaß – diese Revolution nur noch am Rande mit. In meinem Blog sah das allerdings ganz anders aus. Mein Blog war mein Alter Ego. Es war eine Fiktion, durchdrungen von absoluter, fast wahnhafter Zuversicht. Das fing schon beim Namen an, der von einem alten Bugs Bunny-Cartoon inspiriert war, in dem Wile E. Coyote einen Gastauftritt hat. In einer Szene sagt der Kojote in untadeliger Manier: »Darf ich mich vorstellen?«, und überreicht Bugs mit einer schwungvollen Geste eine Visitenkarte. Darauf steht: WILE E. COYOTE, GENIE. Indem er sich auf seiner Visitenkarte als Genie bezeichnet, verkörpert Wile E. Coyote genau das, was einen Unternehmer aus dem Silicon Valley ausmacht. Wenn man ein Unternehmen gründet, existiert manchmal nicht mehr als nur eine Idee. Und manchmal hat man noch nicht einmal eine Idee – nur die unerschütterliche Zuversicht, dass man eines Tages eine Idee haben wird. Und da man irgendwo beginnen muss, erklärt man sich selbst zum Unternehmer, so wie Wile E. sich zum Genie erklärt. Dann lässt man eine Visitenkarte drucken und nennt sich selbst Gründer und CEO.

Ich hatte kein Unternehmen … noch nicht. Doch ganz im Geiste von Wile E. taufte ich meinen Blog Biz Stone, Genie. Ich erstellte auch Visitenkarten mit diesem Wortlaut. Und in meinen Beiträgen gab ich mir alle Mühe, diese Rolle zu verkörpern. Biz, das Genie, behauptete, mit unerschöpflichen Ressourcen und einem Team von Weltklassewissenschaftlern an Erfindungen zu arbeiten, in einem Hauptquartier, das natürlich »Genius Labs«, Genielabor, hieß.

In einem meiner Posts im Juli 2002 war zu lesen: »Das maßstabsgetreue Modell eines japanischen Superjets, der doppelt so schnell wie die Concorde fliegen soll, ist beim Testflug abgestürzt … Eventuell muss ich mit ein paar Unterschriften dafür sorgen, dass weitere Millionen in die Weiterentwicklung von Hybridmotoren für den Luftverkehr fließen können.«

Der echte Biz investierte nicht in Hybridmotoren für den Luftverkehr. Doch ich schaffte es immerhin, eine Stelle als »Webspezialist« am Wellesley College zu ergattern, und auch Livia fand einen Job. Wir mieteten eine Wohnung in der Nähe des Campus, damit ich zu Fuß zur Arbeit gehen konnte. Es war zwar eher ein Dachboden als ein Apartment, aber immerhin nicht der Keller meiner Mutter.

Mein Alter Ego Biz, das Genie, verbreitete in der Zeit weiter Zuversicht und gewann immer mehr Anhänger. Er war Buddy Love, ich Professor Kelp. Doch während ich dieses Spielchen immer weiter trieb, veränderte sich etwas. Meine Beiträge waren nicht mehr einfach nur skurril. Einige der Ideen waren nicht länger die eines durchgeknallten Forschers, sondern meine eigenen. Während ich darüber schrieb, wie sich das Internet weiterentwickeln könnte, kamen mir ein paar Ideen, die später in meine Arbeit einfließen würden. Im September 2003 postete ich:

Mein RSS-Reader [ein Newsfeed-Format] ist auf 255 Zeichen begrenzt. Könnte 255 ein neuer Blog-Standard sein? … Erscheint zwar sehr wenig, aber wenn man täglich viele Blogs auf iPods und Handys liest, ist es vielleicht ein guter Standard.

Ich hatte keine Ahnung, dass Ideen wie diese, die zu der Zeit nebensächlich erschienen, eines Tages die Welt verändern sollten. Und das sage ich mit der ganzen bescheidenen Zurückhaltung eines selbst ernannten Genies.

Google kaufte Evan Williams’ Unternehmen Blogger Anfang 2003 auf. In den vier Jahren, die es gedauert hatte, bis Bloggen von der Freizeitbeschäftigung einiger Nerds zu einem Alltagsbegriff geworden war, hatten Ev und ich uns nie getroffen oder auch nur miteinander telefoniert. Aber ich hatte ihn für ein Onlinemagazin namens Web Review interviewt und hatte noch seine E-Mail-Adresse. Jetzt nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und kontaktierte ihn. Ich gratulierte ihm per Mail zur Übernahme und schrieb: »Ich habe mich immer als das fehlende siebte Mitglied deines Teams betrachtet. Wenn du je mit dem Gedanken spielst, mehr Leute einzustellen, gib mir Bescheid.«

Es stellte sich heraus, dass Ev meinem Blog ebenfalls folgte, ohne dass ich davon wusste. Das machte uns in der Computerwelt praktisch zu Blutsbrüdern. Obwohl er von den besten Entwicklern der Welt umgeben war, brauchte er jemanden, der sich wirklich mit sozialen Medien auskannte – jemanden, der verstand, dass es um die Menschen ging, nicht nur um Technologie – und er meinte, ich sei der Richtige dafür.

Er schrieb mir sofort zurück und fragte: »Willst du hier arbeiten?«

Ich antwortete: »Klar«, und dachte, damit sei alles geritzt. Ich hatte einen neuen Job an der Westküste. Total einfach.

Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Evan hinter den Kulissen einige Hebel in Bewegung setzen musste, um mich einzustellen. Ziemlich große Hebel. Solche, mit denen man extreme Lasten bewegen kann. Google war bekannt dafür, nur Leute mit einem Studienabschluss in Informatik einzustellen, vorzugsweise mit Doktortitel; niemand dort interessierte sich für Studienabbrecher wie mich. Doch letzten Endes ließen sich die Mächtigen bei Google widerstrebend darauf ein, dass Wayne Rosing, damals bei Google für die technische Entwicklung zuständig, mit mir telefonieren sollte.

Am Tag des Anrufs saß ich in meiner Dachwohnung und starrte auf das rechteckige, weiße RadioShack-Telefon, das ich schon seit meiner Kindheit besaß. Es war noch eins mit Schnur und im Grunde ein Sammlerstück. Ich hatte noch nie zuvor ein Bewerbungsgespräch gehabt; keiner hatte mich auf so etwas vorbereitet. Obwohl ich, naiv, wie ich war, davon ausging, dass ich den Job ohnehin schon hatte, verstand ich, dass dieses Telefonat mit Wayne Rosing für jemanden in meiner Position ein ziemlich großes Ding war. Ich hatte Angst, dass ich es versauen könnte, und das mit gutem Grund. Ein paar Tage zuvor hatte mich eine Frau aus der Personalabteilung angerufen und ich hatte mit ihr herumgeflachst. Als sie mich fragte, ob ich einen Studienabschluss hätte, antwortete ich: Nein, aber ich hätte im Fernsehen Werbung dafür gesehen, wo man einen bekommen könnte. Sie lachte nicht. In diesem Bereich war auf meine Instinkte offenbar kein Verlass. Der echte Biz war von Selbstzweifeln geplagt.

Das Telefon klingelte, und während ich den Arm danach ausstreckte, geschah etwas mit mir. In dem Augenblick entschied ich, all meine Misserfolge und die Hoffnungslosigkeit hinter mir zu lassen. Stattdessen würde ich ganz zu meinem Alter Ego werden: dem Typen, der Genius Labs leitete. Biz, das Genie, stand parat.

Wayne erkundigte sich als Erstes nach meiner Erfahrung. Er hatte wohl mit der Frau aus der Personalabteilung gesprochen, denn seine erste Frage lautete, warum ich mein Studium nicht abgeschlossen hätte. Selbstbewusst erklärte ich, dass mir ein Job als Buchumschlaggestalter angeboten worden war, bei dem ich direkt mit einem Artdirector zusammenarbeiten konnte. Ich betrachtete diese Arbeit als eine Art Ausbildung. Im weiteren Verlauf des Gesprächs gab ich zu, dass mein Start-up ein Fehlschlag gewesen war – zumindest für mich –, doch ich machte deutlich, dass ich gekündigt hatte, weil die Firmenkultur dort nicht meiner Persönlichkeit entsprach. Im Silicon Valley war die Erfahrung, mit einem Start-up gescheitert zu sein, durchaus etwas wert. Ich erzählte ihm, dass ich ein Buch über das Bloggen geschrieben hatte.

Dann, zwischen zwei Fragen, meinte ich: »Hey, Wayne, wo wohnen Sie eigentlich?« Das überraschte ihn. Die Frage war ihm wohl nicht ganz geheuer.

»Warum wollen Sie wissen, wo ich wohne?«, fragte er.

»Wenn ich mich dafür entscheide, die Stelle anzunehmen, muss ich mir ja eine gute Gegend aussuchen«, gab ich zurück.

Wenn ich mich dafür entscheide, die Stelle anzunehmen. Mir war nicht einmal klar, wie dreist ich war. Aber irgendwie klappte es. Ich bekam den Job. Ich würde bei Google anfangen. Evan lud mich nach Kalifornien ein, damit ich das Team kennenlernen konnte. Mit den scheinbar grenzenlosen Ressourcen, den unzähligen Forschern und Geheimprojekten war Google der Ort auf der Welt, der am ehesten meinem imaginären Genielabor ähnelte.

Ein paar Jahre später verließen Ev und ich Google, um unser eigenes Unternehmen zu gründen. Ich hatte vor dem Börsengang bei Google angefangen, daher gab ich viele wertvolle Aktien auf. Doch bei meinem Umzug ins Silicon Valley ging es nicht um einen bequemen Job – es ging darum, ein Risiko einzugehen, meine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und mich neu zu erfinden. Mein erstes Start-up war gescheitert. Mein nächstes war Twitter.

Dieses Buch ist mehr als die Geschichte eines Tellerwäschers, der zum Millionär wurde. Es erzählt, wie man etwas aus dem Nichts erschafft, wie man seine Fähigkeiten und seine Ziele miteinander in Einklang bringt und was man lernt, wenn man die Welt als einen Ort der unerschöpflichen Möglichkeiten betrachtet. Einfache, harte Arbeit ist gut und wichtig, doch es sind die Ideen, die uns antreiben, sowohl als Individuen als auch als Unternehmen, Nationen und als globale Gemeinschaft. Was uns einzigartig macht, uns inspiriert und erfüllt, ist Kreativität. Dieses Buch handelt davon, wie man sich die Kreativität in und um uns herum erschließen und wie man sie nutzen kann.

Ich bin kein Genie, doch ich habe immer an mich selbst und – noch wichtiger – an die Menschheit geglaubt. Die bedeutendste Fähigkeit, über die ich verfüge und die ich im Lauf der Jahre ausgebaut habe, besteht darin, Leuten zuhören zu können: den Nerds bei Google, den unzufriedenen Nutzern von Twitter, meinen geschätzten Kollegen und – zu jeder Zeit – meiner wunderbaren Frau. Das lehrte mich in den fünf Jahren, die ich mit der Gründung und Leitung von Twitter verbrachte, und während meiner Zeit bei Start-ups zuvor, dass die Technologie, die unser Leben zu verändern scheint, im Grunde gar kein Wunderwerk der Entwicklung oder Technik ist. Egal, um wie viele Geräte wir das System erweiterten oder wie ausgefeilt die Algorithmen wurden – das, was ich bei Twitter erarbeitete und miterlebte, war und ist kein Triumph der Technologie, sondern der Menschlichkeit. Ich sah, dass es überall gute Menschen gibt. Ich erkannte, dass ein Unternehmen ein Geschäft aufbauen, etwas Gutes für die Gesellschaft tun und Spaß dabei haben kann. Diese drei Ziele können nebeneinander bestehen, ohne dass es nur um die Zahlen unter dem Strich geht. Wenn man Menschen die richtigen Werkzeuge gibt, können sie Erstaunliches leisten. Wir können unser Leben verändern. Wir können die Welt verändern.

Die persönlichen Geschichten in diesem Buch – aus meiner Kindheit, meiner beruflichen Laufbahn und meinem Leben – handeln von Chancen, Kreativität, Scheitern, Mitgefühl, Selbstlosigkeit, Verletzlichkeit, Ehrgeiz, Unwissenheit, Wissen, Beziehungen, Respekt, dem, was ich in der Zwischenzeit gelernt habe, und von meiner heutigen Sicht auf die Menschheit. Die Einsichten, zu denen ich durch diese Erfahrungen gelangt bin, ermöglichen mir einen einzigartigen Blick auf die Branche und auf die Frage, wie man im 21. Jahrhundert Erfolg definiert, auf das Glück und auf das menschliche Dasein. Das mag ziemlich gewagt klingen, doch wenn wir nicht gerade Hybridmotoren für den Luftverkehr entwickeln, streben wir hier bei Genius Labs nach Großem. Ich tue nicht so, als wüsste ich alle Antworten. Nein, streichen Sie das: Genauso gut kann ich so tun, als wüsste ich alle Antworten. Gibt es einen besseren Weg, sich Fragen zu nähern?

1

Wie schwer kann es schon sein?

Biz, das Genie, hatte also mit nur einem Telefonat eine Stelle bei Google ergattert. Dachte es zumindest.

Nach meinem Gespräch mit Wayne Rosing ging ich davon aus, dass ich einfach nach Kalifornien fahren und mein neues Leben beginnen könnte. Bevor es so weit war, wollten meine zukünftigen Arbeitgeber jedoch, dass ich mich ins Flugzeug setzte und in die Google-Zentrale nach Mountain View kam, um sie persönlich kennenzulernen und die letzten Details zu klären.

Evan Williams war mittlerweile mein Held. Ohne mich je gesehen zu haben, hatte er Google dazu gebracht, mich einzustellen, und jetzt holte er mich am Flughafen ab, um mich zu meinem neuen Arbeitsplatz zu bringen. Ich hatte keine Ahnung, welch eine große Rolle Evan in meinem Leben spielen sollte und dass er und ich eines Tages zusammen Twitter gründen würden. Damals war ich einfach nur dankbar, dass er mich fuhr.

Ich kam früh auf dem Flughafen in San Francisco an, und als ich in Evans gelben Subaru stieg, saß Jason Goldman, seine rechte Hand bei Blogger, auf dem Beifahrersitz. Ich ließ mich auf die Rückbank fallen und gab auf dem Weg zu Google sofort ein paar lustige Erlebnisse aus dem Flugzeug zum Besten. Vermutlich machte ich – wie üblich – ein paar unangemessene Kommentare, denn ich erinnere mich daran, dass Evan und Jason lachten und meinten: »Wir haben diesen Typen erst vor fünf Minuten kennengelernt und er macht jetzt schon solche Witze?« Ich neige dazu, etwas überschwänglich zu sein, aber ich merkte, dass die beiden echt nett und locker drauf waren und gut miteinander klarkamen. Das überraschte mich nicht. Ich hatte Evans Blog so viele Jahre lang gelesen, dass ich wusste: In ihm steckte ein umsichtiger Kerl. Er trug Jeans, ein T-Shirt und eine Sonnenbrille. Sein Körper war schmächtig, sein Lächeln breit und er fuhr wie ein Wahnsinniger. Goldman hat ein prägnantes Lachen. Es endet meistens auf einem hohen Ton.

Da Google noch nicht an die Börse gegangen war, wurde es noch als Start-up betrachtet, doch das Unternehmen existierte schon ein paar Jahre und galt als Erfolg. Es gab noch kein Googleplex (der heutige Sitz des Unternehmens), nur ein paar Leute, die in angemieteten Putzbauten arbeiteten.

Evan führte mich herum und stellte mich dem Blogger-Team vor. Nach der Runde durch das Büro gingen wir kurz auf eine Party in Mountain View und fuhren dann nach San Francisco, um in einem italienischen Restaurant im Marina District essen zu gehen, zusammen mit Evans Mutter, die gerade in der Stadt war, und seiner Freundin. Nach dem Essen und einer Menge Wein wollte ich eigentlich ins Hotel – am nächsten Tag standen mir weitere Gespräche bei Google bevor und ich hatte mich noch nicht an die Zeitverschiebung an der Westküste gewöhnt –, doch Evan hatte andere Pläne für uns.

»Komm, wir gehen noch nach Mission! Ich zeig dir ein paar von meinen Lieblingsbars.«

Evan, seine Freundin und ich zogen also weiter in eine Bar namens Doc’s Clock. Ich bestellte einen Whiskey ohne alles, und der Barkeeper schenkte mir ein ganzes Saftglas voll ein.

»Wow«, sagte ich, erstaunt über die Menge.

»Sie sind nicht gerade geizig hier«, meinte Ev.

Als die letzte Runde ausgerufen wurde, um 20 vor zwei, hatten wir alle eine ganze Menge intus. Ev lehnte sich in seinem Stuhl zurück, breitete die Arme aus und sagte: »Biz, all das könnte dir gehören.« Wir hatten einen Tisch im hinteren Bereich und ich saß mit dem Rücken zur Wand. Von meinem Platz aus konnte ich die ganze Bar überblicken, eine spärlich beleuchtete, Hipster-freundliche Spelunke, mehr nicht.

»Wirklich?«, fragte ich sarkastisch. »Das hier?«

Evan ließ seinen Kopf auf den Tisch sinken. Und das war’s.

Am nächsten Tag hatte ich zwölf Termine mit verschiedenen Führungskräften von Google. Mir wurde schnell klar, dass diese »Termine« in Wahrheit Vorstellungsgespräche waren. Anscheinend hatte ich diesen Job, den ich schon für sicher gehalten hatte, doch noch nicht. Ich befand mich mitten im berüchtigten harten Einstellungsverfahren von Google.

Ich bin mir sicher, ich kam nur durch, weil ich so überzeugt davon war, die Stelle sei schon meine. Die Genius-Labs-Persönlichkeit in mir zum Vorschein zu bringen war nicht die einzige Taktik, die ich auf Lager hatte.

Vor meinem Telefongespräch mit Wayne Rosing hatte ich mich noch nie auf eine richtige Stelle beworben. Ich hatte keine Ahnung, wie ein Vorstellungsgespräch abzulaufen hatte, sei es per Telefon oder persönlich. Doch wie gesagt, über einen Trumpf verfügte ich: das bewährte Selbstvertrauen und die Dreistigkeit von Biz Stone, dem Genie.

Doch das kann man sich zwar auf eine Visitenkarte drucken lassen oder es auf eine Webseite schreiben, aber aus dem Nichts hervorzaubern lässt sich diese Einstellung nicht. Also fand ich vor dem Telefongespräch einen Weg, Biz, das Genie, heraufzubeschwören, und zwar so: In den Tagen vor dem Telefonat stellte ich mir immer wieder vor, im Blogger-Team bei Google zu arbeiten. Damals joggte ich gern langsam von meiner Wohnung, die sich quasi auf dem Wellesley-Campus befand, zum Lake Waban und dann auf dem gut drei Kilometer langen Pfad einmal rund um den See. Während ich lief, stellte ich mir vor, wie ich selbst in einem fremden Büro irgendwo in der Nähe von San Francisco saß, mit ein paar Leuten, die ich noch nie gesehen hatte, und mich mit einer Arbeit beschäftigte, die mir gefiel.

Die Mitarbeiter von Google waren größtenteils Informatiker mit Doktortitel. Sie waren sehr gut darin, Software zu erstellen. Für mich selbst schwebte mir eher vor, Blogger menschlicher zu machen. Ich würde die Homepage übernehmen – den offiziellen Blog des Unternehmens –, den Hilfe-Bereich in etwas umwandeln, das sich »Blogger-Wissen« nannte, und dort die Funktionen des Dienstes hervorheben. Ich würde Blogger zu einer Marke machen und ihm eine Stimme verleihen. (Obwohl ich es damals noch nicht wusste, war das genau die Rolle, die mir später bei allen Unternehmen, denen ich mich anschloss, zufiel: den Geist dessen, was wir erschufen, zu verkörpern und zu vermitteln.)

Diese Übung eignet sich für jedes Problem und jede Idee. Führen Sie sich vor Augen, was Sie sich in den nächsten zwei Jahren für sich selbst erhoffen. Was sehen Sie? Ich will mein eigenes Designstudio besitzen. Ich will Teil eines Start-ups werden. Ich will ein Katzenvideo drehen, das ein Riesenerfolg auf YouTube wird. (Es kann nicht schaden, sich hohe Ziele zu stecken.) Lassen Sie sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen, während Sie im Fitnessstudio sind oder spazieren gehen. Kümmern Sie sich nicht um die Details. Es geht nicht darum, Lösungen zu finden. Wenn Sie eine Idee einfach nur im Kopf behalten, gehen Sie die Dinge unbewusst so an, dass Sie sich auf dieses Ziel hinbewegen. Das funktioniert tatsächlich. Bei mir hat es geklappt.

Ich befand mich nun also an diesem Ort, den ich mir erträumt hatte. Er war ein bisschen anders als in meiner Vorstellung, erwartet hätte ich eigentlich … ich weiß nicht, ein Googleplex vielleicht, aber stattdessen gab es nur eine Reihe unscheinbarer Gebäude. Blogger saß in Gebäude Nummer π. In meinem Kopf arbeitete ich ja bekanntlich schon seit mindestens einer Woche hier. Außerdem war es schwer, eingeschüchtert zu sein, denn anscheinend wusste niemand, um was für eine Stelle es im Bewerbungsgespräch eigentlich ging. Evan und mir erschien das völlig logisch, aber für die Personalabteilung bei Google stellte meine Jobbeschreibung eher ein Rätsel dar. Meine Erklärung, dass ich dem Produkt Menschlichkeit verleihen würde, brachte sie nur noch mehr aus dem Konzept. Die Mitarbeiter von Google waren dafür bekannt, Softwareentwickler in Vorstellungsgesprächen komplexe Programmierprobleme auf einem Whiteboard lösen zu lassen. Sie hatten keinen blassen Schimmer, wonach sie mich fragen sollten. Nach meinen Hobbys? Dass Evan und ich bis drei oder vier Uhr nachts unterwegs gewesen waren, machte die Gespräche nicht unbedingt fokussierter.

Beim ersten Termin meinte eine Frau: »Danke, dass Sie gekommen sind. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, und ich antwortete: »Ja, haben Sie eine Aspirin?« Ich bin mir ziemlich sicher: Auf der Liste der Dinge, die man als Kandidat in einem Bewerbungsgespräch vermeiden sollte, steht das Eingeständnis, einen Kater zu haben, sehr weit oben. Einer der Männer, die mich befragten, erkundigte sich: »Wissen Sie, warum Google Blogger übernommen hat?« Er war wirklich neugierig. Zu dem Zeitpunkt hatte Google schon die Usenet-Diskussionsarchive von Deja.com gekauft, doch dies war die erste richtige Übernahme einer Firma mit Mitarbeitern. Meine Antwort war einfach, wenn auch nicht unbedingt korrekt. Ich sagte: »Es ist eben die andere Hälfte der Suche. Google durchsucht Webseiten. Blogger produziert Webseiten. So haben Sie mehr zum Durchsuchen.«

Im fünften Gespräch fragte ich einen Typen: »Wissen Sie, warum Sie mit mir sprechen?« Er antwortete: »Nein. Ich habe hier erst vor zwei Tagen angefangen.« Ich bin mir ziemlich sicher, dass das auf der Liste der Dinge, die man als Fragensteller in einem Bewerbungsgespräch vermeiden sollte, auch sehr weit oben steht. Vielleicht bedeutete es, dass wir gut zusammenpassten.

Dennoch: Am Ende war der Job, der mir bis dahin absolut nicht sicher gewesen war, endlich meiner.

Mit viel Unterstützung von Evan hatte ich mir diese Chance erarbeitet, ohne Studium, geschweige denn einem höheren Abschluss, ohne mühsames Erklimmen einer Karriereleiter und obendrein noch mit ein oder zwei Fehlschlägen im Gepäck. Ich war kein sicherer Kandidat gewesen, ganz und gar nicht. Doch in einem Bereich hatte ich viel Erfahrung: darin, mir meine eigenen Chancen zu verschaffen.

Ich stellte schon früh fest, dass es besser war, wenn ich mein Schicksal selbst in die Hand nahm. Als Kind verbrachte ich eine Menge Zeit damit, allein im Hof zu spielen, aber zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, in den Keller zu gehen und »Dinge zu erfinden«, wofür unser Keller hervorragend ausgestattet war: Mein Großvater hatte von 1925 bis 1965 Telefone für American Telephone and Telegraph in Boston zusammengebaut. Er starb, bevor ich geboren wurde, doch meine Mutter warf die Arbeitsutensilien ihres Vaters niemals weg. Unser Keller beherbergte seine Werkbank, alle seine Werkzeuge und ein umfangreiches Sortiment an Federn, Zahnrädern, Draht und Ähnlichem – allem, was mein Großvater für das Bauen und Reparieren von Wählscheibentelefonen benötigt hatte. Ich ging oft hinunter und spielte, dass ich in meinem geheimen, unterirdischen Labor wundersame Apparate erfinden würde.

Die beste Freundin meiner Mutter, Kathy, hatte einen Mann, Bob, der Elektriker war. Sein Keller war für mich ein weiteres Labor. Ein echtes. Immer wenn wir sie besuchten, lief ich schnurstracks ins Haus und sagte: »Komm, Bob, wir erfinden was im Labor. Ich hab da ein paar Ideen.« Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich die Eingebung hatte, aus zwei Limonadendosen und ein paar Schläuchen ein Gerät zu bauen, mit dem ich unter Wasser atmen könnte.

Als ich Bob davon erzählte, gab er zurück: »Du meinst ein SCUBA-Gerät?«

Ich teilte ihm mit, dass wir über den Namen noch mal nachdenken müssten, und bestand darauf, dass wir uns an die Arbeit machten. Er meinte diplomatisch, dass wir dafür einen Druckluftkompressor und ein paar andere Dinge bräuchten, die er nicht dahatte, und schlug stattdessen vor, eine batteriebetriebene Lampe auf einer auf den Kopf gestellten Kaffeedose zu bauen. Damit konnte ich zwar nicht unter Wasser atmen, aber sobald Batterien und Drähte ins Spiel kamen, war ich sofort Feuer und Flamme. Ein anderes Mal wollte ich ein Fluggerät erfinden. Stattdessen verbanden wir einen Lautsprecher mit einer Batterie. Wir steckten kleine Kupferstreifen in ein flaches Stück Kunststoff und verbanden sie so mit einem Lautsprecher, dass er aktiviert wurde und er, wenn man auf das Kunststoffstück trat, ein entsetzliches Brummen von sich gab. Ich nahm die Vorrichtung mit nach Hause und schob sie unter den Teppich vor meinem Bett. An dem Abend kroch ich ins Bett und rief: »Mama, du hast mir noch keinen Gutenachtkuss gegeben!«

»Wie süß du bist!«, sagte sie. Sie kam in mein Zimmer, trat auf den Teppich, löste den Alarm aus und bekam fast einen Herzinfarkt.

»Meine Erfindung hat funktioniert!«, triumphierte ich.

Vielleicht, um genau diese Energie in andere Bahnen zu lenken, meldete mich meine Mutter bei den Boy Rangers an. Nicht bei den cooleren Boy Scouts oder den Cub Scouts, sondern bei diesen obskuren Boy Rangers. Sie waren so etwas wie die Betamax-Version unter den Pfadfinderprogrammen. Abgesehen davon, dass ich gar nicht bei den Boy Rangers mitmachen wollte, musste ich auch noch jede Woche ein »Wampum« mitbringen – ich musste bezahlen. Hinzu kam, dass sich meine Eltern hatten scheiden lassen, als ich ein Kleinkind war, und mein Vater ein paar Städte weiter wohnte, doch genauso gut hätte er in Istanbul leben können. Meine Eltern kamen absolut nicht miteinander aus, daher sahen wir meinen Vater fast nie. Aber bei den Boy Rangers handelte es sich um so ein Vater-Sohn-Ding. Jede Woche brachten die anderen Jungs ihre Väter mit, nur ich kam allein. Wenn es ein Ehrenabzeichen für »Drauf-herum-Reiten« gäbe, hätten sie es alle ohne Weiteres verdient gehabt.

Die Boy Rangers waren wie ein Indianerstamm organisiert. Um vom Bleichgesicht zum Indianerbaby, zum Jäger, zum Krieger und irgendwann zum Hi-Pa-Nac aufzusteigen (was wie ein cholesterinsenkendes Mittel klingt, aber eine Art Häuptling ist), mussten wir unseren eigenen Federschmuck basteln, Knoten lernen und verschiedene Stammesparolen auswendig können. So cooles Zeug eben. Ich musste mein sechstes bis zehntes Lebensjahr bei den Boy Rangers verbringen, die entscheidenden Jahre, in denen die meisten Jungen zum Kindertraining im Baseball, Football oder in anderen Sportarten gehen. Ich verspürte kein besonderes Bedürfnis, die Boy-Rangers-Fähigkeiten zu erlernen, aber die Leiter gaben ohnehin jedem ein Abzeichen. Die anderen Kinder bekamen ihre Abzeichen auf die kakifarbenen T-Shirts genäht, doch meine Mutter befestigte meine immer mit Sicherheitsnadeln.

Das Wichtigste, was meine Mutter als hart kämpfende Alleinerziehende für mich, meine Schwester Mandy und meine zwei Halbschwestern Sofia und Samantha tat, war, mit uns in Wellesley zu bleiben, wo sie aufgewachsen war. Die Stadt war ziemlich wohlhabend geworden und die öffentlichen Schulen gehörten zu den besten im Land. Meine Mutter hatte dort ihre Schulbildung erhalten und war begeistert davon. Und wir sollten unbedingt ähnlich gute Erfahrungen machen.

Alle meine Freunde kamen mir reich vor. Sie gingen anscheinend davon aus, dass meine Familie ebenfalls Geld hatte, dabei lebten wir immer mal wieder von Sozialhilfe. Ich erinnere mich an die riesigen Stücke Käse, die der Staat an Bedürftige verteilte. Ich konnte das Schulmittagessenprogramm für Familien mit geringem Einkommen nutzen, was einerseits gut war, weil es bedeutete, dass ich kein Essensgeld brauchte, aber gleichzeitig auch schlecht wegen der Art und Weise, wie es geregelt war: Für das Mittagessen kauften sich die meisten Schüler Essensscheine. Diese Scheine waren grün. Ich konnte mir meine Scheine einmal pro Woche in einem speziellen Büro abholen: fünf graue Essensscheine. Wenn andere Kinder mich fragten, warum meine Scheine grau waren, machte ich Witze über ihre grünen. Damals entwickelte ich wohl einen gewissen Humor und eine bestimmte Art des Umgangs mit den offensichtlichen Unterschieden zwischen unseren Lebensweisen. Ich durchwühlte sogar die Fundsachenkiste, um ein Ralph-Lauren-Polohemd zu finden – irgendetwas anderes als die ewig gleiche Jeanshose und das T-Shirt, das ich sonst praktisch immer trug. Die meisten von meinen Socken und Unterhosen waren mit dem Hinweis »Fabrikationsfehler« versehen. Meine Mutter tat ihr Bestes, und es gelang ihr, uns in Wellesley zu halten, in einem Schulsystem, das meiner besonderen Form der Kreativität entgegenkam.

Als ich auf die Highschool kam, waren alle meine Freunde Außenseiter. Aber aus dem Fernsehen und aus Filmen wusste ich, dass ich eine gute Chance hatte, mein soziales Umfeld zu erweitern, wenn ich Mitglied einer Sportmannschaft wurde. Ich war athletisch veranlagt und konnte nach all den Jahren bei den Boy Rangers ausgezeichnete Halbschläge und Trompetenknoten knüpfen, doch ich hatte noch nie eine Mannschaftssportart ausprobiert. Auf dem Basketballfeld waren so viele seltsame Linien eingezeichnet. Alle anderen Kinder schienen zu wissen, wo man wie lange stehen durfte. Ich hingegen stand einfach nur herum. Bei den Football-Auswahlspielen gab es eine Unmenge von Regeln. Wie ging das Spiel? Wie viele Versuche hatte man? Und woher sollte ich wissen, wann ich mich auf der falschen Seite des Feldes befand? Ich war verwirrt und nervös, was mich noch mehr verwirrte. Bevor ich zu den Baseball-Auswahlspielen ging, hatte ich dazugelernt und recherchierte ein bisschen. Aber es war völlig unmöglich, die verlorene Zeit aufzuholen. In dieser Situation hätte die Vergegenwärtigungsstrategie, mit der ich den Job bei Blogger bekam, nicht funktioniert. Selbst wenn mir diese Taktik damals schon vertraut gewesen wäre, hätte ich mir ausgemalt, wie ich 1000 Home-Runs erzielte, und dann nur am Rand gestanden und zugeschaut, wie den anderen Kindern das gelang. Wie zu erwarten war, schaffte ich es in keine der Mannschaften. Da beschloss ich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Ein paar Nachforschungen zeigten, dass es eine Sportart gab, die meine Highschool zu der Zeit nicht anbot: Lacrosse. Wenn die anderen Kinder auch alle keine Erfahrung im Lacrossespielen hatten, wären sie genauso verwirrt wie ich. Dann würden für alle die gleichen Bedingungen gelten. Also fragte ich die Schulleitung, ob wir eine Lacrosse-Mannschaft gründen könnten, falls ich einen Trainer und genügend Spieler fände. Die Antwort war Ja. Also tat ich es. Und nachdem ich so oft für untauglich befunden worden war, stellte ich mich nun als ordentlicher Lacrosse-Spieler heraus. Ich wurde zum Kapitän gewählt und wir waren eine ziemlich gute Mannschaft (obwohl ich mich weiterhin lieber unter Außenseitern aufhielt als unter Sportlern).

Diese Entschlossenheit, die mich dazu brachte, eine neue Mannschaft ins Leben zu rufen, führte mich zu einer wichtigen Erkenntnis: Chancen schafft man sich selbst.

In meinem Wörterbuch wird »Chance« definiert als eine Konstellation von Umständen, die es ermöglicht, etwas zu tun. Die Welt hat uns beigebracht, auf Chancen zu warten, klug genug zu sein, sie zu entdecken, und darauf zu hoffen, zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen. Doch wenn eine Chance nur eine Konstellation von Umständen ist, warum sitzen wir dann herum und warten darauf, dass die Sterne günstig stehen? Statt abzuwarten und im richtigen Augenblick loszuhechten, was mit vielen Fehlversuchen verbunden ist, kann man sich die passenden Umstände besser einfach selbst schaffen. Wer sich die Chance selbst eröffnet, kann sie auch als Erster nutzen.

Erst sehr viel später erkannte ich, dass dies die Quintessenz des Unternehmergeists ist – nämlich jemand zu sein, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Aber es gilt ebenso für alle anderen Arten des Erfolgs, in allen denkbaren Lebenslagen. Gemeinhin heißt es, Erfolg sei eine Kombination aus Arbeit und Glück, und in dieser Gleichung sei das Glück das Element, das man nicht kontrollieren könne. Doch wenn man sich selbst Chancen schafft, dann steigt die Gewinnwahrscheinlichkeit in dieser Lotterie ganz erheblich.

In der Highschool hatte ich gelernt, wie erfüllend es war, mir meine eigenen Chancen zu schaffen, und ich ging davon aus, dass mir das Gleiche auch auf dem College gelingen würde. Ich machte 1992 meinen Highschool-Abschluss und stückelte mir das Geld für mein erstes Jahr an der Northeastern University über eine Reihe regionaler Förderprogramme zusammen. In dem Wissen, dass diese Finanzierung irgendwann auslaufen würde, gelang es mir, ein Exzellenzstipendium für Geisteswissenschaftler zu ergattern, das mir kostenlos den Besuch der University of Massachusetts (UMass) in Boston erlaubte.

Doch das Studium war nicht das, was ich mir ausgemalt hatte. Ich pendelte jeden Tag eine Stunde vom Haus meiner Mutter zum Campus der UMass, einem Betonlabyrinth, das angeblich auf Gefängnisse spezialisierte Bauunternehmer entworfen hatten. Zu meinen ersten Aktivitäten dort gehörte es, die Weiße Rose inszenieren zu wollen, ein Stück über die deutsche Widerstandsgruppe. Doch die Frau, die die Theatergruppe leitete, teilte mir mit, dass sie mir nur anbieten könne, an ihrem Kurs teilzunehmen und eine Rolle in dem Stück zu übernehmen, das sie ausgewählt hatte. Hm. Das hatte ich mir anders vorgestellt.