Football Leaks 2 - Rafael Buschmann - E-Book

Football Leaks 2 E-Book

Rafael Buschmann

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Beschreibung

Geld, Lügen und geheime Deals – die Enthüllungen gehen weiter! Mit umfangreichen Recherchen zur Entstehung der Super League

Ob es um die dubiosen Geschäftspraktiken von internationalen Spitzenklubs wie dem FC Barcelona, Manchester City oder Paris Saint-Germain geht, um die Ausbeutung von Jugendspielern oder die Vertuschung von Straftaten: Die Gier im Fußball kennt kaum noch Grenzen. Die SPIEGEL-Journalisten Rafael Buschmann und Michael Wulzinger geben neue, exklusive Einblicke in die zunehmend mafiösen Strukturen im Spitzenfußball und erzählen dabei auch die Geschichte des Mannes, der durch seinen Mut die spektakulären Enthüllungen erst möglich gemacht hat – und dafür nun im Gefängnis sitzt. Das Schicksal von Whistleblower »John« zeigt, wie gnadenlos die Branche gegen jeden vorgeht, der ihr gefährlich werden kann…

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Seitenzahl: 849

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Zum Buch:

Ob es um die dubiosen Geschäftspraktiken von internationalen Spitzenklubs wie dem FC Barcelona, Manchester City oder Paris Saint-Germain geht, um die Ausbeutung von Jugendspielern oder die Vertuschung von Straftaten: Die Gier im Fußball kennt kaum noch Grenzen. Die SPIEGEL-Journalisten Rafael Buschmann und Michael Wulzinger geben neue, exklusive Einblicke in die zunehmend mafiösen Strukturen im Spitzenfußball und erzählen dabei auch die Geschichte des Mannes, der durch seinen Mut die spektakulären Enthüllungen erst möglich gemacht hat – und dafür nun im Gefängnis sitzt. Das Schicksal von Whistleblower »John« zeigt, wie gnadenlos die Branche gegen jeden vorgeht, der ihr gefährlich werden kann…

Zu den Autoren:

Rafael Buschmann, geboren 1982, arbeitet seit 2010 für den SPIEGEL, zunächst im Sportressort und nun als Reporter für investigative Themen. Für die Enthüllungsgeschichte über die mutmaßlich gekaufte Weltmeisterschaft 2006 gewann er mit seinen Kollegen 2016 den Henri-Nannen-Preis. Michael Wulzinger, geboren 1965, kam 1997 ins Sportressort des SPIEGEL. Von 2009 bis 2016 war er Ressortleiter der Sportredaktion, bis Sommer 2019 arbeitete er ausschließlich an dem Football-Leaks-Projekt. Für ihre Football-Leaks-Veröffentlichungen wurden Rafael Buschmann und Michael Wulzinger 2018 als »Wirtschaftsjournalisten des Jahres« ausgezeichnet. Ihr Buch Football Leaks (2017) stand monatelang auf der Bestsellerliste, wurde für das Fußballbuch des Jahres nominiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt.

RAFAEL BUSCHMANN MICHAEL WULZINGER

FOOTBALLLEAKS 2

Neue Enthüllungen aus der Welt des Profifußballs

Deutsche Verlags-Anstalt

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Copyright © 2019 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28,81673 München, und SPIEGEL-Verlag, Hamburg, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München Umschlagmotiv: © Tom and Steve/Photographer’s Choice/Getty Images Gestaltung und Satz: DVA / Andrea Mogwitz Gesetzt aus der Minion E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-23252-8V001www.dva.de

INHALT

Prolog

Nervös

Hamburger Recht

Mit der Rasierklinge

Der Schatten

Wut

Der Brief

Zerrissen

Maos Handpuppen

Kein Vorbild

Mogelpackung

Düstere Prognose

Wien, zweiter Bezirk

Schleichwege in den Westen

Umdenken

Das Kategorie-A-Prinzip

Ukrainische Bruderschaft

Bauchgefühl

Leer

Schmerzen

Der Entschluss

Lionel, der Stifter

Nichts als die Wahrheit

Goldener Handschlag

Error

Ein Konto in Köln

Kreative Ideen

Miau

Freiheit

Grenzwertig

Vermummt

Enttarnt

Panik

Es geht los

Der Geheimbund

Manchesterkapitalismus

Pakt mit den Scheichs

Die Regeln der Superreichen

Reden

Das Protokoll

Der Weg

Aus

Erschüttert

Gefangen

Unsicher

Der Konflikt

Herr Papa

Ausgeliefert

Epilog

Danksagung

Quellenverzeichnis

Register

PROLOG

»Der Fußball ist längst nicht nur ein Spiel. Es geht um so viel mehr.Das müssen die Menschen da draußen endlich verstehen. Wir werden ihnen dabei helfen.«

Es war Anfang 2016, als uns John – den man heute unter seinem Geburtsnamen Rui Pinto kennt – diese Sätze schrieb. Damals klangen sie etwas großspurig. Aus heutiger Sicht lesen sie sich wie eine Vorahnung. Denn in den folgenden dreieinhalb Jahren, die so turbulent, so anstrengend und faszinierend werden sollten, hat dieser junge Mann der Öffentlichkeit Einblicke in die Schattenwelt der Fußballbranche ermöglicht, wie es sie zuvor noch nicht gegeben hat.

Wir hatten John, der unser exklusiver Informant wurde, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht persönlich kennengelernt. Erst seit wenigen Wochen tauschten wir uns mit ihm über eine Mailadresse aus. John lebte in der Anonymität und wollte uns noch nicht verraten, wer er ist oder wo genau er sich gerade aufhielt. Aber John erklärte uns, was die Football Leaks sein würden: ein Datenleck von ungeahntem Ausmaß, ein ständig anschwellender Strom hoch vertraulicher und sensibler Informationen, die aus seiner Sicht an die Oberfläche gehörten. Er erklärte uns, warum dieses Projekt für ihn so wichtig sei, was ihn antreibe, und warum er immer weiter daran arbeiten müsse – ungeachtet der Tatsache, dass der Druck auf ihn mit der Zeit fast ins Unermessliche ansteigen würde.

John ist ein junger Portugiese, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Hochglanzfassade der milliardenschweren Fußballbranche zu zertrümmern. Er sagt, es gehe ihm um Transparenz. Seine Waffe sind seine Dokumente: Mails, Kontoauszüge, Verträge, Nebenabsprachen, Gründungsurkunden, Chats und viele weitere, teilweise sehr brenzlige Papiere. Sie gewähren Inneneinsichten in eine Welt, die sich für unangreifbar hielt und die sich fast jeder Kontrolle entzog – und die sich nun, nach Hunderten von Enthüllungsgeschichten, nicht nur herausgefordert, sondern bedroht fühlt. Die Dokumente von Football Leaks sind für viele Kriminelle, Betrüger, Steuerhinterzieher oder Kleinganoven, die sich im Profifußball eingenistet haben, so brandgefährlich, weil sie authentisch und belastbar sind. Johns Daten erlauben es uns Journalisten, Vorgänge, die für immer geheim bleiben sollten, gerichtsfest zu rekonstruieren und zu beschreiben. Und sie machen auch vor den Weltstars dieses Sports nicht halt.

John übergab dem SPIEGEL und dem Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) weit über 70 Millionen Dokumente, mehr als 3,4 Terabyte, eine Größenordnung, die uns im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar schien. Die Arbeit an und mit diesem Material hat uns Reporter und Rechercheure in den vergangenen Jahren immer wieder an unsere Grenzen gebracht.

Wir beschreiben in diesem Buch die Geschichte dieses Datensatzes. Es ist zugleich die Geschichte von John, dem Whistleblower hinter den Football Leaks, der ein Leben zwischen den Extremen führt, geprägt von Mut wie von Angst, angetrieben von einer tiefen Überzeugung, durchsetzt von Zweifeln. John ist ein schillernder Charakter. Sein Kampf gegen die Mächtigen des Fußballs wird auch zu einem Kampf gegen die Justiz und gegen die Einflussnahme der Politik.

Wir stellen diese inneren Auseinandersetzungen unseres Whistleblowers genauso dar wie seinen Wunsch, einfach auszusteigen und ein normales Familienleben führen zu wollen. Seine persönliche Geschichte wird uns auch tief in die großen Fragestellungen einer digitalen Welt führen, in der die Möglichkeiten der freien Rede und manche moralische Grenze neu justiert werden müssen. Dabei liefert uns Johns Fall am Ende dieser langen Recherche mehr Fragen als Antworten. Diese Erkenntnis ist nicht einfach zu formulieren, weil sie dem Aufklärungsgedanken des Journalismus widerspricht. Und trotzdem halten wir sie für wichtig. Denn manchmal sind richtige Fragen der wertvollere Debattenbeitrag als scheinbar klare Erkenntnisse, weil die Zeit noch nicht reif ist für abschließende Antworten. So werden wir im gesamten Buch immer wieder zwei Punkte aufgreifen, die uns bis heute nicht loslassen: Darf ein Whistleblower auch ein Hacker sein? Und wie müssen Whistleblower, die als Aufklärer einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag geleistet haben, geschützt werden?

John, der immer bestritten hat, ein Hacker zu sein, aber gleichzeitig nicht verraten will, woher seine Dokumente stammen, ist aus unserer Sicht ein Whistleblower. Für uns erfüllt er das wichtigste Kriterium für diesen besonderen Typus des Informanten: Er ist ein Mensch, der unter hohen persönlichen Risiken entscheidend daran mitwirkte, Missstände und Fehlverhalten zu enthüllen. Ohne seine Dokumente hätten wir zahlreiche Beiträge nicht publizieren können, die nicht nur von überragendem öffentlichen Interesse gewesen sind, sondern die weltweit Debatten über die Entwicklung des Fußballs angestoßen haben – und die bis heute sport- oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Wir diskutieren in diesem Buch aber auch die andere Sichtweise auf John. Seine Gegner und Kritiker werfen ihm Datendiebstahl vor, sie sagen, er sei ein Hacker, der sich an den Football Leaks bereichern wolle. John bestreitet das.

Wir beschreiben unseren Umgang mit unserem Informanten so transparent, wie es uns unter der Prämisse des Quellenschutzes nur möglich ist. Manche der Dialoge, die wir mit John geführt haben und die wir hier wiedergeben, haben wir im Anschluss an unsere Treffen nach bestem Wissen und Gewissen rekonstruiert. Andere stammen aus unseren verschlüsselten Chats und Mails. Johns Regel bei seiner wörtlichen Wiedergabe war immer recht simpel und für uns jederzeit tragbar: »Schreibt das, was ich gesagt habe. Außer, ich sage vorher, dass es vertraulich ist.«

Normalerweise nehmen Journalisten die Gespräche mit ihren Protagonisten auf Tonband auf und legen ihnen die anschließend verwendeten Zitate vor Drucklegung noch einmal zur Autorisierung vor – mit der Bitte, diese zu prüfen. Dies war in unserem Fall nicht möglich. John wurde im Januar 2019 verhaftet, seit März sitzt er in Untersuchungshaft in Lissabon. Wir haben zahlreiche Anfragen an die portugiesische Justiz gestellt und darum gebeten, mit John sprechen zu können. Dies wurde ohne Begründung abgelehnt, obwohl John sich für ein solches Treffen ausgesprochen hat. Dabei haben natürlich auch Häftlinge ein Recht auf Meinungsäußerung.

John hat sich bislang nie gegen Passagen oder Zitate gewandt, die wir unter Berücksichtigung seiner oben genannten Regel in unseren SPIEGEL-Artikeln und in unserem ersten Football-Leaks-Buch beschrieben haben. Im Gegenteil: John war mit seiner Darstellung durchweg einverstanden, das meldete er uns mehrfach zurück. Wir hoffen nun, dass wir ihn und seine Worte auch diesmal so wiedergeben, dass er sich darin wiederfinden kann.

Die langen Gespräche mit ihm, die wir in diesem Buch wiedergeben, sind oft verkürzte, geraffte Versionen unserer zahlreichen Treffen. Wir präsentieren sie zum Zweck der besseren Lesbarkeit in Dialogform und versuchen sie jeweils auf den Gesprächskern zu reduzieren – diese Stilform wählten wir durchweg in den erzählenden Passagen dieses Buches.

Dabei standen wir insbesondere im Umgang mit John vor zwei zentralen Problemen journalistischer Arbeit: Wir konnten in den vergangenen dreieinhalb Jahren kaum Audiomitschnitte von Gesprächen mit John anfertigen, er selbst hat das abgelehnt. John lebte in der Anonymität, und jedes aufgezeichnete Wort hätte diese – und dadurch ihn – gefährden können. Wir rekonstruieren seine Dialoge also mithilfe unserer Protokolle, Aufzeichnungen und Erinnerungen. Wir sind uns dabei der Gefahr bewusst, dass John möglicherweise während seines Prozesses erklären könnte, dass er manche Dinge, die in diesem Buch stehen, nie gesagt hat. Niemand muss sich in einem Rechtsstaat selbst belasten, das gilt selbstverständlich auch für Whistleblower. Aus journalistischer Überzeugung bewerten wir es trotzdem als wichtig, unseren Blick auf ihn und das Football-Leaks-Projekt so wiederzugeben, wie wir es hier und seit dreieinhalb Jahren tun. Aber es ist eben unser Blick, möglicherweise hat John einen anderen – auch, weil sich seine Lebenssituation mittlerweile verändert hat.

Eine Autorisierung seiner Zitate war auch über seine Anwälte nicht möglich. Sie werden von einer Stiftung finanziert, eine Autorisierung eines über 500 Seiten starken Buchs war in den vergangenen Monaten verständlicherweise nicht ihre oberste Priorität. Zumal auch sie vor dem Problem standen, dass es für Beschuldigte im Vorfeld eines Prozesses nur selten klug ist, sich öffentlich zu äußern. Dieses Buch ist nicht Johns Autobiografie, sondern unsere Beschreibung eines dreieinhalb Jahre andauernden Projekts.

Für den Umgang mit den Football-Leaks-Dokumenten waren die Regeln eindeutiger. John erklärte uns immer wieder, dass er die Papiere – woher und wie auch immer er sie erhalten hat – unbearbeitet und nicht vorsortiert an uns weitergegeben habe. Wir sind in den mehr als drei Jahren bei den tausendfachen Prüfungen und Gegenprüfungen nicht auf ein einziges Dokument gestoßen, das gefälscht oder manipuliert war. Vielmehr bilden die Daten die Fußballwelt so ab, wie sie ist. Dieses Bild kann entlarvend sein, erklärend, verstörend. Es ist der Gegenentwurf zu dem heroischen Bild, das die Fußballbranche von sich zeichnet.

Wir haben in den Football-Leaks-Daten eine breit gefächerte Auswahl an Belegen gefunden, die es uns erlaubt, Fehlentwicklungen dieser milliardenschweren Unterhaltungsindustrie in sehr unterschiedlichen Facetten zu beschreiben. In diesem Buch stehen Kapitel, in denen es um Wett- und Spielmanipulation geht, um auffällige Werte bei internen medizinischen Bluttests und den fragwürdigen Umgang mit Dopingkontrolleuren, um dubiose Stiftungen und Briefkastenfirmen, um Millionen von Euro, die in Steueroasen fließen. Wir beschreiben den gnadenlosen Handel mit Nachwuchsfußballern und die zahlreichen Regelbrüche, die Spitzenklubs in Kauf nehmen, um begehrte Talente zu verpflichten.

Dabei spielen auch einige der neuen Schlüsselfiguren im Weltfußball eine entscheidende Rolle: Investorenklubs wie Manchester City, hinter denen ganze Staaten stehen und für die kaum noch Regeln zu gelten scheinen. Außer einer: Wer zahlt, bestimmt. Die Football-Leaks-Dokumente lassen uns nachzeichnen, wie hilflos die großen Verbände gegen diese neuen Kräfte im Fußball sind und wie sehr sich Spitzenfunktionäre wie der heutige Fifa-Präsident Gianni Infantino in deren Machtspiele einspannen lassen.

Eine sprudelnde Geldquelle für den Fußball ist weiterhin das Fernsehen. Die Milliarden der TV-Sender haben dafür gesorgt, dass der einstige Volkssport seit etwa 30 Jahren eine fast ununterbrochene Boomphase erlebt. Doch das Fernsehen verbreitert auch die Kluft zwischen den Spitzenklubs und dem großen Rest der Ligen und beschneidet dadurch den Wettbewerb. Zudem offenbaren sich in den Football-Leaks-Daten wahre Abgründe beim Handel mit TV-Rechten. Manche der Millionendeals, auf die wir stießen, könnten in juristischen Seminaren als Fallbeispiele für die Korruptionsanfälligkeit einer ganzen Branche dienen.

Die juristischen Probleme von Cristiano Ronaldo haben wir bereits in unserem ersten Football-Leaks-Band beschrieben. Damals erklärten wir, wie der portugiesische Superstar mit einer Geldrutsche auf die British Virgin Islands Werbeeinahmen von rund 150 Millionen Euro am spanischen Fiskus vorbeischleusen ließ. Die Veröffentlichungen führten zur Verurteilung des Weltfußballers wegen Steuerhinterziehung. In diesem Buch schildern wir nun die Vergewaltigungsvorwürfe, die die US-Amerikanerin Kathryn Mayorga gegen Ronaldo erhebt. Der fünffache Weltfußballer bestreitet die Anschuldigungen und schickt ein Anwaltsteam vor, um auf die Vorwürfe zu reagieren.

Wir greifen in diesem Buch einige Enthüllungen auf, die wir bereits Ende des Jahres 2018 im SPIEGEL oder auf SPIEGELONLINE veröffentlicht haben. Nun haben wir sie aktualisiert oder mit neuen Recherchen angereichert. Andere Kapitel wiederum sind exklusiver Stoff, wir haben die Grundlagen dafür in den vergangenen Monaten ebenfalls in unserer Football-Leaks-Datenbank gefunden.

Die Football Leaks sind ein umfangreiches Rechercheprojekt, das niemals ohne ein hart arbeitendes und engagiertes Team möglich gewesen wäre. Wir möchten uns bei den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus dem SPIEGEL und dem EIC bedanken, auch für die tatkräftige Unterstützung bei der Erarbeitung der einzelnen Kapitel in diesem Buch.

Unser besonderer Dank gilt John. Dem Mann, ohne den es all diese Enthüllungen nie gegeben hätte. Der mutig genug war, sein eigenes Wohl, seine Sicherheit und sein persönliches Glück zugunsten der gesellschaftlichen Aufklärung zurückstellen. Und der nun womöglich den höchsten Preis dafür zahlen muss.

Hamburg, im Juli 2019

Rafael Buschmann und Michael Wulzinger

NERVÖS

»Ehrlich, ich scheiß’ mir ganz schön in die Hose«, sagt John. Er hat in den vergangenen Minuten sechs Zigaretten geraucht, sein Gesicht wirkt grau, sein sonst vor Energie sprühender Körper hängt ziemlich nach vorn. John, der seit über drei Jahren voller Sturheit und Selbstvertrauen die gesamte Fußballwelt ein ums andere Mal erschütterte, wirkt wie ein Häufchen Elend. Heute, im November 2018, stammelt er leise: »Morgen wird sich mein ganzes Leben verändern.«

John blickt in seine Zigarettenschachtel, als ob dort die Lösungen für seine Probleme zu finden seien. Er schüttelt die wenigen Glimmstängel, die übriggeblieben sind, von der einen zur anderen Seite, schaut noch einmal zur großen Kirchenuhr, nimmt eine weitere Zigarette heraus und zündet sie an.

»Rafael, was mache ich denn, wenn die mich direkt festnehmen?«, fragt John.

»William wird das doch mit denen besprochen haben, oder etwa nicht?«, sage ich.

»Meine letzte Hoffnung ist also ein Anwalt? Ich bin wirklich im Arsch.« Er schaut wieder zur Kirchenuhr. Noch fünf Minuten bis zum verabredeten Termin. Normalerweise ist John der unpünktlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Bei unserem ersten Treffen im Februar 2016 hatte er mich stundenlang warten lassen. Heute war er dreißig Minuten vor der verabredeten Zeit da.

Wir stehen mitten im Zentrum von Paris. Der Louvre ist in Sichtweite, die Seine liegt unter einer grauen Nebeldecke, die wunderschönen Tuilerien sind menschenleer, die Kälte hat alle vertrieben. Auf dem Weg zu unserem Termin sind wir an all diesen Sehenswürdigkeiten vorbeigeschlendert, aber John hat sie nicht beachtet. Er schaute nur auf seine Füße, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.

Nun stehen wir hinter der Mauer einer kleinen Einfahrt, einsehbar nur von der Hauptstraße. John hat seine dünne braue Lederjacke an, die er auch schon bei unserem ersten Treffen trug. Ihm ist eigentlich nie kalt. Auch im osteuropäischen Winter tänzelte er oft nur mit dieser Lederjacke bekleidet über die Straßen. Er sagt oft, dass Portugiesen eben ein heißes Feuer in sich tragen würden, das sie von innen wärme.

John ist in Portugal geboren und dort aufgewachsen. Seit über drei Jahren lebt er allerdings ohne festen Wohnsitz. John versteckt sich vor seinen Verfolgern, er versucht, ein anonymes Leben zu führen. Es ist der Preis, den er zu zahlen bereit ist für all die Veröffentlichungen und Enthüllungen, die er in den letzten Jahren mit seinen Football Leaks angestoßen hat.

»Lass uns hochgehen. Ich muss das jetzt durchziehen«, sagt John. Er wirft die halb gerauchte Zigarette weg, streicht sich noch einmal durch die gegelten Haare, beißt ein kleines Stück Haut von seinem Daumen. Hölle, ist der Bursche nervös. Wir gehen über die Straße, an Souvenirläden vorbei, durch ein nummerngesichertes Tor, hinein in einen kleinen, aber unübersichtlichen Hinterhof. Es gibt mehrere Türen, wir suchen nach Klingelschildern.

»Hier ist es«, ruft John. Wir betreten das Gebäude, der Geruch von feuchten Wänden durchzieht den Hausflur. Wir laufen die Treppe hinauf, Stockwerk für Stockwerk, es ist anstrengend, uns bleibt die Luft weg.

»Warte, warte«, stöhnt John.

»Super Kondition. Willst du vielleicht noch eine Zigarette?«, frage ich, ebenfalls japsend.

»Bitte, keine Witze«, sagt John. Bitterernst. Normalerweise wird er unter Druck zu einem regelrechten Entertainer. Dann schäkert er mit jeder und jedem, flirtet, ist charmant, kann mit seinem Lachen einen ganzen Raum anstecken. Heute ist davon noch nichts zu sehen.

Die Tür geht auf.

»Salut! Ich bin Marie«, sagt die junge Frau.

John bleibt wie erstarrt stehen, er guckt Marie einen zu langen Moment ziemlich verdutzt an. Sie streicht verlegen über ihren Arm.

»Puh, du siehst nicht aus wie ein weißer, grauhaariger Kerl Anfang 60.« Marie lacht. Sie ist Ende 20, trägt einen schwarzen, leicht zerzausten Dutt, eine Hornbrille und riecht nach Sommer.

»William ist noch bei einem anderen Mandanten. Kommt rein, er wird euch gleich abholen. Wollt ihr etwas trinken?«, fragt Marie.

»Einen Tee, bitte«, sagt John.

Ich kenne ihn nun fast drei Jahre, einen Tee hat er in meinem Beisein noch nie getrunken. Bier, Wodka, Wein, Cocktails jeglicher Mischung habe ich ihn trinken sehen, aber noch nie einen Tee.

Die Kanzlei von William Bourdon, so viel verrät bereits der Eingangsbereich, ist keine der auf Massenabfertigungen ausgelegten Großkanzleien. Wir sitzen auf einem ziemlich abgeranzten Sofa, in das man sehr tief einsinkt. Auf dem Boden liegt ein verfilzter Teppich, die Wände könnten auch mal wieder frische Farbe vertragen.

Doch von den etwas heruntergekommenen Räumlichkeiten seiner Kanzlei sollte man sich nicht täuschen lassen: Bourdon ist einer der berühmtesten Strafverteidiger Europas. Er ist spezialisiert auf Wirtschaftskriminalität, Menschenrechte und den Schutz von Whistleblowern. Er arbeitete als Anwalt für Transparency International und Human Rights Watch, vertrat jahrelang Opfer des Pinochet-Regimes, aber auch prominente Klienten wie Danielle Mitterand, die Ehefrau des früheren französischen Staatsoberhaupts François Mitterand. In den vergangenen Jahren erlangte er einige Popularität durch seinen Einsatz für Mandanten, die durch ihre Informationsweitergaben für einige der größten gesellschaftlichen Debatten gesorgt haben – Bourdon vertrat den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, den Lux-Leaks-Whistleblower Antoine Deltour sowie Hervé Falciani, den Mann, der die kriminellen Machenschaften des Schweizer Bankensystems mit den Swiss Leaks offenlegte.

Bourdon kennt die schwierigen, die kontroversen Fälle. Er hat Erfahrung im Umgang mit medialem Druck, mit Anfeindungen, mit dem Schutz sensibler Quellen. Und er gilt als Spezialist bei Auslieferungsfragen. Ein wichtiger Punkt für John, denn es gibt einige Länder, die ihn gerne vor Gericht stellen würden.

Es knatscht irgendwo. Lautes Gebrüll ertönt, alles auf französisch. Auf einmal fliegt ein schmächtiger, kleiner Mann über den Flur. Er schaut uns nicht an, aber so etwas wie: »Hi John«, verhallt zwischen den Schritten. Die Tür fliegt wieder zu.

»Was war das denn?«, frage ich.

»Sah aus wie mein Anwalt«, sagt John.

Wir schweigen. Marie bringt die Getränke. »William ist gleich bei euch, er muss nur noch ein Telefonat führen«, sagt sie. Wir schweigen weiter. Lediglich Johns Rühren in der Teetasse durchbricht die Stille.

»Keine Frage, ich bin im Arsch«, sagt er nach einer Weile. Offenbar ist das sein neues Mantra.

»Es gibt keinen Anwalt, der mehr Erfahrungen mit Whistleblowern hat als dieser Typ«, sage ich. Es ist ein zarter Versuch, John zu beruhigen. Dabei würde ich hier am liebsten selbst direkt wieder abhauen. Warum bin ich überhaupt mitgekommen? Alles Johns Schuld. Ich habe mich von ihm breitschlagen lassen, ihn zu diesem Termin zu begleiten. Er sagte, er wollte meine Meinung über seinen neuen Anwalt hören. Es ist das erste Mal, dass er mir überhaupt jemanden vorstellt, der mit ihm verbunden ist. Bislang habe ich rund um die Football Leaks nur John kennengelernt, aber er hat immer betont, dass er dieses Projekt nicht allein steuere. Seine Mitstreiter wollten allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten, sagte er mir.

Als Journalist muss ich immer versuchen, eine professionelle Distanz zu meiner Quelle zu wahren. Einen Informanten zu seinem Anwalt zu begleiten, ist eine Grenzüberschreitung, die ich bei vielen früheren Quellen kategorisch abgelehnt habe. Diesmal gibt es aber einige Argumente, die dafür sprechen. Zum einen gibt es rund um das Projekt Football Leaks auch nach fast drei Jahren Arbeit noch sehr viele offene Fragen. Zuvorderst: Wie kommt John an die vielen Daten? Ist er ein Hacker, oder bekommt er das Material, wie er behauptet, von eigenen Quellen? Die genaue Herkunft der mittlerweile über 70 Millionen Dokumente, die er mir und damit dem SPIEGEL in den vergangenen Jahren übergeben hat und die wir mit unserem Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) geteilt haben, hat John mir nie verraten. Dabei habe ich ihn etliche Male danach gefragt. Ich habe ihn auch dann gefragt, wenn er völlig übermüdet oder stockbesoffen war. Auch wenn er Panik oder Existenzängste hatte oder wenn er krank war. Aber bislang bin ich immer auf Granit gestoßen. John hat sich an dieser Stelle nicht einen Zentimeter von seiner Standardantwort wegbewegt: »Wir sind keine Hacker. Wir haben sehr gute Quellen, aber nicht alle unsere Quellen wissen, dass sie unsere Quellen sind. Das Material ist jedenfalls komplett authentisch, kein einziges Papier wurde bearbeitet oder sonstwie verändert.«

Als ich zugestimmt habe, ihn nun zu seinem Anwalt zu begleiten, keimte in mir auch die Hoffnung auf, mehr über die Hintergründe von Football Leaks zu erfahren. Gibt es jemanden, der das gesamte Projekt finanziert? Wer arbeitet neben John daran? Gibt es noch weitere Daten, die ich bislang nicht erhalten habe? Aber wohl ist mir bei der ganzen Sache trotzdem nicht.

John offenbar auch nicht: »Du sagst, William habe so viel Erfahrung mit Whistleblowern. Lass uns doch mal kurz nachdenken, wo die Jungs jetzt sind: Snowden ist in Russland, und kein Mensch weiß, was er dort eigentlich machen muss. Reisen darf er jedenfalls nicht und muss jeden Tag hoffen, dass die Russen seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern, damit er nicht doch noch vor einem US-Gericht landet. Mäßig gutes Leben, würde ich sagen. Deltour und Falciani sind beide mittlerweile verurteilt. Um ehrlich zu sein: Das sind nicht die besten Zukunftsperspektiven«, sagt John. Er stellt sein halbvolles Teeglas zur Seite.

Wir schweigen. Mir fällt absolut nichts Aufmunterndes oder Erhellendes ein. Wir haben in den vergangenen Jahren schon Tausende Male über das Whistleblower-Dasein diskutiert. John war vom ersten Tag an klar, dass irgendwann der Punkt kommen würde, an dem seine Anonymität gefährdet oder aufgehoben sein könnte. Das Leben als Whistleblower ist alles andere als angenehm. Der Druck, die Verfolgung durch Ermittler, Privatdetektive und Reporter, die Sorgen um die Familie und die eigene Zukunft, mögliche finanzielle Probleme – all dies wird mit jedem Tag, mit jeder neuen Enthüllung größer und belastender.

»Die Frage ist doch: Wo wären Assange, Snowden und Co. ohne die Hilfe von William? Wer sich für das Leben als Whistleblower entscheidet, der weiß, dass die Zukunft ziemlich kompliziert wird«, sage ich.

»Schon klar, du Klugscheißer. Ich weiß, wofür ich das alles gemacht habe und immer noch mache. Trotzdem fühlt sich das alles gerade ziemlich mies an. Ich hab’ wirklich Schiss«, sagt John.

Die Tür fliegt auf und William Bourdon hinterher. Der Anwalt ist klein, fast zierlich, er kommt mit hastigen Schritten auf uns zu. Mit seinen grauen Haaren, der runden Hornbrille und dem Ansatz eines Bartes erinnert er ein wenig an Richard Gere. »John, schön, du bist immer noch nicht verhaftet«, sagt Bourdon. Er lacht. John sieht aus, als habe man ihm in den Magen geschlagen.

Bourdon zieht John hinter sich her in sein Büro. Es ist ein riesiger Raum, überall stapeln sich Akten, auf dem Boden, auf den Stühlen, auf dem großen Schreibtisch, von dem nur noch die Beine zu sehen sind. Hinter all den Ordnern und Büchern sitzt ein Mann und fuhrwerkt an einem Computer herum. »Keine Sorge, das ist mein IT-Spezialist. Der ist hier, damit ich nicht gehackt werde. Ihr könnt offen vor ihm sprechen«, sagt Bourdon. John schüttelt den Kopf. Wir warten einen Augenblick.

Bourdon sagt etwas auf Französisch, der IT-Mann verlässt den Raum. Dafür kommen Marie und ein weiterer Anwalt hinein. Wir setzen uns an einen runden Tisch. Bourdon holt einen Aschenbecher, den er in die Mitte stellt. Über den Anwalt heißt es, dass er ein echter Menschenfänger sei, schnell Vertrauen aufbauen könne. Er gilt in Frankreich mittlerweile fast schon als Promi. Seine politische Agenda hat einiges dazu beigetragen. Bourdon suchte in den vergangenen Jahren sehr viel Nähe zur Sozialistischen Partei.

»Das Gute ist, dass es, wie wir hören, keinen internationalen Haftbefehl gegen dich gibt«, sagt Bourdon. Er zündet sich eine Zigarette an, bietet John ebenfalls eine, der wortlos in die Schachtel greift. »Das heißt, wir sind deutlich freier in unseren Verhandlungen.«

Verhandlungen?

»Morgen früh um neun Uhr wirst du zum ersten Mal mit den Polizisten sprechen«, fährt er fort.

»Wie genau wird das ablaufen?«, fragt John.

Bourdon erklärt ihm, dass er am kommenden Tag schon vor neun Uhr morgens zum Hauptgebäude des Parquet National Financier kommen müsse. Er solle dort befragt werden. Die Polizisten wollen gemeinsam mit ihm erörtern, unter welchen Umständen er für ein Zeugenschutzprogramm infrage kommen könne.

»Was genau werden die mich fragen?«

»Das kann man im Vorfeld nicht wissen. Es wird vor allem um die Qualität deines Materials gehen«, sagt Bourdon.

»Wie sind die Rahmenbedingungen dieses Programms? Wo werde ich wohnen? Wer bezahlt meinen Lebensunterhalt? Darf ich reisen? Darf ich meine Familie sehen?«, fragt John.

Bourdon nimmt einen tiefen Zug, seine Zigarette glüht. Das Ticken einer Uhr ist zu hören und der Regen, der gegen die Fenster prasselt. Marie und der andere Anwalt scheinen nicht mehr zu atmen, zumindest hört man sie nicht. John beugt sich leicht über den Tisch, taxiert Bourdon mit seinen Augen.

»Lieber John, das sind Fragen für übermorgen, nicht für heute. Jetzt geht es nur darum, dass die Ermittler dir vertrauen. Dass sie deinem Material vertrauen. Den Rest regeln wir anschließend«, sagt Bourdon.

John schaut ihn regungslos an: »Das finde ich schwierig. Nach diesem Gespräch werden die Polizisten meine Identität kennen. Sie könnten mich festnehmen oder mit anderen Behörden über meine Identität sprechen. Und was bleibt mir als Pfand? Die Hoffnung? Das ist recht wenig.«

Bourdon raucht die Zigarette mit einem Zug zu Ende. Er beginnt einen langen Vortrag darüber, dass Whistleblower grundsätzlich viel zu schlecht geschützt seien, dass Europa nahezu keine Sicherungssysteme für die Leute bereithalte, die für die Gemeinschaft ein hohes Risiko eingehen und den Behörden mit ihren Informationen helfen. Er spricht über die vielen Steuermillionen, die Falciani und Deltour europäischen Staaten eingebracht haben. Er erinnert daran, dass auch durch die Football Leaks Dutzende Millionen Euro Steuergeld zurückgeholt werden konnten. Dass durch Johns Daten nicht nur Korruption im Fußball aufgedeckt wurde, sondern ausgefeilte Systeme zum Betrug mit Werbegeldern und Agentenhonoraren aufflogen. Systeme, die ohne Football Leaks noch jahrzehntelang zum Schaden von Nationalstaaten wie Spanien, Portugal, Frankreich oder Großbritannien hätten fortgeführt werden können. Viele dieser Ermittlungen stehen zudem erst am Anfang, zahlreiche Prozesse könnten in den kommenden Jahren noch gegen Funktionäre, Spieler, Berater und Investoren eröffnet werden.

»Die Medien haben zudem nur Teile dessen beschreiben können, was in den Daten schlummert. Sie haben sich ja vornehmlich auf die großen Namen, die großen Spieler, Vereine und Verbände beschränkt. In dem Material steckt aber noch so viel mehr«, sagt John.

Damit hat er recht, zumindest teilweise. John hat uns mehrere Millionen Dokumente übergeben, wir haben lange und intensiv mit den Daten gearbeitet, aber wir können uns immer nur auf ausgewählte Themen konzentrieren. Zudem dürfen wir aus presserechtlicher Sicht nur die Fälle beschreiben, die Personen mit einer zeitgeschichtlichen Bedeutung betreffen oder die eine größere gesellschaftliche Relevanz besitzen. Der SPIEGEL und das Recherchenetzwerk EIC haben bis zum Dezember 2018 rund 800 Artikel aus den Football Leaks veröffentlicht.

»Können die Polizisten mich morgen festnehmen?«, fragt John.

»Zu 99 Prozent ist das ausgeschlossen. Du wirst hier als Whistleblower vernommen, dadurch bist du besonders geschützt«, sagt William.

»Was ist mit dem einen Prozent?«, fragt John.

Bourdon fährt sich durchs Haar. So richtig viel Geduld scheint er nicht zu haben. »Es können immer unvorhersehbare Dinge passieren«, sagt er.

John knibbelt an seinen Fingern. »Ich bin im Arsch«, sagt er.

»Nein, bist du nicht. Das ist eine große Chance für dich. Klar, am Ende entscheidest du ganz allein. Aber dein Weg bis hierher war sehr lang, und so viele Alternativen gibt es im Moment nicht«, sagt Bourdon.

John zündet sich die nächste Zigarette an. Er schaut zu mir: »Was denkst du darüber?«

»Ich werde dir meine Meinung dazu nicht sagen. Das wäre unfair. Ich kenne viel zu wenige Details eurer Absprachen. Zudem, und das ist entscheidend, geht es hier nicht um mein, sondern um dein Leben«, sage ich.

In den vergangenen Jahren habe ich sehr viel Zeit mit John verbracht. Wir haben nahezu täglich miteinander geschrieben oder telefoniert. Ich habe durch ihn gelernt, wie man die eigene Kommunikation schützen kann. Wie man verschlüsselt mailt, chattet und telefoniert. Wir haben irgendwann angefangen, nicht nur über Fußball und Verbrechen zu reden, sondern auch über Alltagssorgen, Träume, über private Dinge eben. Viele unserer Chats beginnen mit den Worten »Hello, my friend«.

Aber nein, Freunde sind wir nicht. Freundschaft definiere ich anders. Doch wir verstehen uns sehr gut, sonst wäre ein solches Großprojekt wohl auch nicht möglich gewesen. Ich bin bislang der einzige Journalist, den John je getroffen hat. Er hat mir seine Daten anvertraut und einige heikle Sorgen mit mir geteilt. Ich habe seine Identität bis heute geheim gehalten und habe mir immer Mühe gegeben, seine Dokumente so sorgfältig wie möglich zu behandeln.

So schlecht scheine ich meine Sache nicht gemacht zu haben, denn John vertraut mir immer noch. Das hängt möglicherweise auch mit einem simplen Grund zusammen: Ich habe ihn noch nie angelogen. Ich habe John vom ersten Tag an gesagt, dass ich denke, dass er irgendwann ernsthafte Probleme bekommen wird. Unabhängig davon, wie er an die Daten herangekommen ist, ist er derjenige, der sie an Journalisten weiterreicht. Irgendwann werden sich Gerichte mit ihm beschäftigen, das ist seit drei Jahren absehbar. Ich habe John gesagt, dass ich, dass der SPIEGEL und das EIC, ihn dann nur bedingt unterstützen können. Wir können zwar den wertvollen gesellschaftlichen Beitrag, den die Football-Leaks-Enthüllungen geleistet haben, in unseren Texten herausstellen. Wir können mögliche Gerichtsprozesse gegen John mit der größtmöglichen Sorgfalt begleiten. Aber ansonsten können wir kaum etwas für ihn tun. Wir können ihm weder einen Anwalt finanzieren, noch ihn aus dem Gefängnis herausschreiben. Wir sind Journalisten, keine Komplizen.

Ich finde es wichtig, so offen mit Quellen zu sprechen. Manch ein Informant gerät im Zuge einer Recherche so unter Druck, dass er glaubt, der Journalist sei sein Unterstützer. Das ist nicht verwunderlich, da Quellen im Zuge von Langzeitrecherchen oft die intimsten Dinge mit Journalisten teilen. Aber seriöse Journalisten sollten immer ehrlich zu sich und ihrem Gegenüber sein und die jeweiligen Rollen klar abgrenzen. Der Journalist muss in jedem Moment einer Recherche in der Lage sein, auch auf eine veränderte Sachlage unabhängig reagieren zu können. Je näher er seine Quelle emotional an sich heranlässt, desto schwieriger ist es, rational über sie zu schreiben.

»Ich weiß, du bist nicht ich, du schreibst nur über mich. Das hast du oft genug betont«, sagt John. Er wirkt genervt.

»Da sitzt dein Anwalt. Ihr müsst euch gemeinsam einen Weg überlegen. In einem Punkt hat William aber recht: So viele Alternativen hast du nicht«, sage ich.

John liegt beinahe in seinem Stuhl, auf seiner Stirn stehen Schweißperlen, seine Nasenflügel beben. »Ich habe drei Jahre lang der ganzen Welt gezeigt, wie der Fußball die Gesellschaft ausnimmt. Lachend ausnimmt! Ich habe gezeigt, wie Gelder gewaschen und veruntreut werden, wie Funktionäre und Spielerberater betrügen, wie Spieler, Vereine und Verbände nur ihren eigenen Vorteil mit einer unglaublichen Gier verfolgen. Und trotzdem sagt ihr jetzt, ich hätte keine anderen Alternativen. Wie konnte das passieren?«

HAMBURGER RECHT

Ende Februar 2017. Wir sitzen im Redaktionsgebäude des SPIEGEL und starren auf einen Monitor, konsterniert, regungslos. »Liebe Kollegen, die Kanzlei Senn Ferrero hat eine Unterlassungsverfügung erwirkt, die praktisch unsere gesamte Berichterstattung zu Mesut Özil, José Mourinho und Cristiano Ronaldo verbietet«, steht in der Mail, die uns vor wenigen Sekunden erreicht hat. Verschickt wurde sie von Sascha Sajuntz, einem unserer herausragenden Anwälte, in Kopie befinden sich die gesamte Chefredaktion, die Geschäftsführung, die Ressortleiter und wir, das Recherche-Team, das nun seit fast genau einem Jahr an der Auswertung der Football-Leaks-Dokumente arbeitet.

Die Lage ist ernst. Das Landgericht Hamburg hat uns die wichtigsten Enthüllungsstorys unseres Projekts verboten. Es sind die Geschichten, die uns monatelang in Beschlag genommen haben, für die wir um die halbe Welt gereist sind, Tausende Dokumente gelesen und viele Experten befragt haben. Alles umsonst? Die Mail ist klar formuliert: Die weitere Verbreitung der Texte ist von nun an untersagt, dagegen zu verstoßen würde uns pro Zuwiderhandlung bis zu 250000 Euro kosten. Was zur Hölle ist hier los?

Unsere Dokumentationsjournalistin Nicola Naber betritt das Büro, sie sieht blass aus, hat tiefe Augenringe. Kurz darauf folgen einige unserer Reporter und der stellvertretende Chefredakteur Alfred Weinzierl. Alle sind angespannt, es herrscht eine unangenehme Stille, lediglich das nervöse Klicken eines Kulis ist zu hören. Jeder versucht zunächst einmal sich selbst zu sortieren, versucht zu verstehen, wieso das Gericht eine solche Entscheidung gefällt hat.

Niemand spricht es aus, aber jedem von uns ist klar: Ein solches Verbot kann zu einer Katastrophe für unser gesamtes Projekt werden. Unsere Football-Leaks-Berichterstattung lebt insbesondere von einer Stärke: ihrer Glaubwürdigkeit. Bis Anfang 2017 haben wir 18,6 Millionen Dokumente ausgewertet und 1,9 Terabyte Daten gesichtet – die Football Leaks sind das größte Leck in der Geschichte des Sports und vor allem so gewichtig, weil die vielen Verträge, Mails, Gründungsurkunden, Überweisungsträger, Gerichtsunterlagen, SMS, Kontoauszüge und die Unmengen anderer vertraulicher Dokumente einen bislang nie dagewesenen und unverhüllten Einblick ins Innerste des Profifußballs ermöglichen. Die Dokumente sind echt, und sie zeigen verlässlich, welche Probleme der Fußballmarkt hat, wie tief Steuerhinterziehung, Korruption und finanzielle Maßlosigkeit in dem Sport verankert sind. Themen, die die Fußballbranche zumeist sehr gut vor der Öffentlichkeit versteckt.

Mithilfe von Football Leaks ist es uns gelungen, viele der sonst so gut gehüteten Geheimnisse Stück für Stück an die Öffentlichkeit zu bringen. So konnten wir im Dezember 2016 nachweisen, dass Cristiano Ronaldo in nur sechs Jahren rund 150 Millionen Euro durch ein zwielichtiges Firmennetzwerk in Irland auf die British Virgin Islands schleusen ließ. Das Geld landete am Ende auf Schweizer Konten. Ronaldo hat im Zuge dieser Operation lediglich sechs Millionen Euro Steuern gezahlt, lächerliche vier Prozent. Sein ehemaliger Trainer José Mourinho hat ebenfalls Steuern hinterzogen. Er ließ seine Werbegelder über Firmen in Irland und auf den British Virgin Islands bis hin zu einer Stiftung in Neuseeland transferieren. Mesut Özil, der deutsche Weltmeister, gab für die Jahre 2012 und 2013 überhaupt keine Einkommenssteuererklärung ab – und musste anschließend mehr als zwei Millionen Euro nachzahlen sowie eine Strafe von rund 800000 Euro an den spanischen Fiskus überweisen.

Monatelang haben wir mit einem Team aus Sport-, Wirtschafts- und Datenjournalisten an den Enthüllungsgeschichten gearbeitet, hatten Hilfe von Investigativreportern und Dokumentaren, eine Volkswirtin und IT-Cracks haben uns unterstützt. Für die Auswertung der Geschichten haben wir den riesigen Datenschatz mit unserem europäischen Recherchenetzwerk EIC geteilt, dem für dieses Projekt zwölf Medienhäuser angehörten.

Für unsere Berichterstattung nutzten wir auch Auszüge aus Mail-Korrespondenzen der Steuerkanzlei Senn Ferrero, die wir in dem Football-Leaks-Datensatz gefunden hatten. Die spanischen Anwälte halfen vielen Stars, ihre Steuererklärungen in Spanien zu formulieren, darunter auch Ronaldo, Mourinho und Özil. Einer der Partner der Kanzlei, Julio Senn, ist ein Insider des Profifußballs. Ende der 1990er Jahre war er Generaldirektor bei Real Madrid. Nun klagt seine Kanzlei gegen uns. Sie führt an, dass ihre Mandanten ja nicht strafrechtlich verurteilt seien und behauptet, wir hätten gehacktes Material verwendet, um unsere Artikel zu schreiben. Dies, so erklärt es die Gegenseite, sei unzulässig.

Dabei wissen wir auch nach über einem Jahr Arbeit immer noch nicht genau, woher unsere Dokumente stammen. John verrät es uns nicht. Wir haben in unserer Reporter-Gruppe lange diskutiert, wie man mit solch einem Datenschatz, dessen Herkunft nicht komplett geklärt werden kann, umzugehen hat. Journalistisch gilt für uns: Die Dokumente sind echt, sie zeigen Missstände von hoher gesellschaftlicher Relevanz, also müssen wir diese auch publizieren. Und auch rechtlich liegen die Argumente eigentlich auf unserer Seite, wir haben uns im Vorfeld sehr intensiv von unseren Juristen beraten lassen. Das deutsche Presserecht ist an der Stelle recht klar. Im Kern sagt es, dass Journalisten auch Material aus trüben Quellen benutzen dürfen, sogar illegal beschaffte Dokumente, solange der Inhalt für die Öffentlichkeit besonders wichtig ist. Was Journalisten ausdrücklich nicht dürfen: selbst stehlen oder dazu anstiften, selbst hacken oder zum Hacken auffordern. All dies haben wir nie getan. Also sind wir uns sicher: Wir dürfen über die Daten, die wir von Football Leaks erhalten habe, berichten.

Und nun diese Entscheidung des Landgerichts Hamburg. Dieses Verbot. Für uns ist es eine Katastrophe.

Wir rufen unsere Anwälte an. Uwe Jürgens, einer unserer kampferprobten Juristen, gibt uns eine erste Einordnung. »Wir werden dieses Verfahren und auch das zweite am Oberlandesgericht in Hamburg verlieren. Wir haben kaum eine Chance und sollten die zu großen Teilen verbotenen Texte jetzt erst mal komplett entfernen.«

Uff. Stille. Keiner trinkt mehr Kaffee, niemand klackert mit seinem Stift, kein Papierrascheln. Die meisten Blicke sind auf den Boden gerichtet, vergleichbar mit den Momenten, in denen Lehrer die benoteten Mathearbeiten an ihre Klasse zurückgeben.

Uwe räuspert sich: »Das hat nichts mit unseren Texten zu tun. Unsere Texte sind hervorragend und entsprechen allen unseren Qualitätskriterien. Wir werden diesen Prozess auch irgendwann für uns entscheiden, nur eben nicht so schnell. Denn die Hamburger Gerichte urteilen seit Jahren in dieser Form, das hat seine Gründe, auf die ich hier aber nicht weiter eingehen will. Was feststeht: Es ist nicht die erste Entscheidung dieser Art, und wir werden erst eine faire juristische Chance haben, wenn wir diese beiden Instanzen hinter uns lassen. Das werden wir auch in jedem Fall tun, wir prozessieren diesen Fall zur Not bis zum Bundesverfassungsgericht.«

Die Worte sind keine Erlösung, aber sie helfen zumindest ein bisschen, uns wieder aufzuraffen und weiterzumachen. Wir verabreden, dass Nicola gemeinsam mit den Juristen und unserer Unterstützung an einer Klageerwiderung arbeiten wird. Sie ist einer der gründlichsten Menschen in unserer Redaktion, eine Detailfräse, die sich oft bis in die hintersten Windungen eines Sachverhalts vorarbeitet.

»Wann denkt ihr, dass wir uns vor Gericht verteidigen können?«, frage ich.

»Wir versuchen, das so schnell wie möglich zu erwirken, aber bei Richterin Käfer dauert es oft bis zu drei Monaten bis zur Verhandlung, also eher nicht vor Anfang Mai«, sagt Uwe.

Unfassbar. Ein deutsches Gericht nimmt uns die wichtigsten Texte unseres Projektes weg und braucht dann Monate, um uns zu befragen? Der Motivationspegel erreicht den Tiefpunkt.

Ich muss hier mal raus. Ich erkläre Alfred, dass ich gerne zu John reisen würde. Alfred sieht nicht wirklich glücklich darüber aus, er wirkt immer so, als ob er sich ein bisschen Sorgen um mich machen würde. Die Treffen mit John sind oft ziemlich kräftezehrend, und ganz ungefährlich sind sie auch nicht. Alfred fragt mich, wie lange ich bei John bleiben möchte, ich kalkuliere mal vorsichtig mit drei Tagen. Er gibt mir sein Einverständnis, auch wenn seine Mimik eher das Gegenteil aussagt.

MIT DER RASIERKLINGE

»Rafael, Du willst mich doch verarschen!!!!!«, schreibt John. Nachdem die Kollegen mein Büro verlassen haben, sitze ich nun auf meiner Couch, stopfe mir voller Frust die Reste einer Weihnachtsschokolade rein und teile John mit, dass unsere Berichterstattung über Ronaldo, Mourinho und Özil weitestgehend verboten worden ist. »Das können diese Verbrecher nicht machen! Das ist eine Kriegserklärung!«, antwortet John. Er kriegt sich kaum noch ein, beschimpft die Fußballer, den Fußball und das Gericht, mein Handy bimmelt vor lauter Nachrichten in einer Tour. »Weißt Du was: Ich stelle die gesamten Dokumente und E-Mails über Senn Ferrero einfach auf unserer Homepage online. Dann kann sie jeder lesen und jeder kann sich sein eigenes Bild machen!«

»Das tust Du nicht. Du beruhigst Dich jetzt, wir müssen dieses Problem vernünftig lösen, mit kühlem Kopf«, schreibe ich John zurück. Was für ein Tag. Ich will einfach nur ins Bett.

Der Umgang mit John kostet sehr viel Kraft. Ihn immer wieder aufs Neue zu erden, ihm zu helfen, nicht in der Spontanität und Emotionalität unterzugehen, ist mittlerweile ein Fulltime-Job. Und er geht oft genug schief, weil John eben John ist, eine ziemlich unkalkulierbare Persönlichkeit.

Seit über einem Jahr stehe ich nun mit ihm in Kontakt. Wir kommunizieren über verschlüsselte, sogenannte gecryptete Kanäle. Oft tauschen wir Dutzende Nachrichten täglich aus. Häufig ist John die letzte Person, mit der ich Kontakt habe, bevor ich einschlafe, und der erste Mensch, von dem ich lese, nachdem ich aufgestanden bin. Das hängt vor allem damit zusammen, dass John ein nachtaktiver Mensch und es ihm auch völlig egal ist, dass ich tagsüber einem Beruf nachgehen muss. Wenn John etwas zu sagen hat, dann sagt er es. Und er will das dann auch exakt in diesem Moment ausdiskutieren und nicht etwa zwölf Stunden später. Geduld ist nicht Johns Stärke. Ich musste ziemlich hart lernen, dass es besser ist, zeitnah auf seine Bedürfnisse einzugehen.

Als ich John kennenlernte, im Februar 2016, war die Homepage von Football Leaks noch aktiv. Sie tauchte als kleine, unscheinbare Website im Internet auf, über die John und möglicherweise auch seine Mitstreiter Dutzende Dokumente aus dem Innersten der Fußballbranche veröffentlichten. Verträge über absurde Beraterhonorare, über die Transfers von Topspielern wie Gareth Bale oder Hulk, geheime und illegale Investorenabsprachen rund um Klubs wie Twente Enschede. Innerhalb weniger Monate wurde Football Leaks weltberühmt, Journalisten, Fußballfans und Funktionäre fragten sich, wer hinter der Internetseite steckte und woher diese Flut an Geheimdokumenten stammte.

Gleichzeitig wurde auch der Widerstand gegen Football Leaks immer größer. John musste sich mit Privatdetektiven, Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden auseinandersetzen. Sie alle versuchten, die wahre Identität der Online-Aktivisten herauszufinden. Ein dubioser osteuropäischer Sportvermarkter, so erzählt es John, ließ die Football-Leaks-Website mehrfach sperren und soll sie später mit pornografischen Inhalten bombardiert haben. Bei jedem Klick auf ein Dokument sprangen den User deshalb zunächst Brüste und Genitalien an, die Schadsoftware erfüllte ihren Zweck: Viele Nutzer waren abgeschreckt, der Traffic auf der Football-Leaks-Seite wurde kleiner und kleiner.

Anfang 2016, direkt nach unserem ersten Treffen, übergab mir John mehr als 800 Gigabyte interner und vertraulicher Daten aus der Fußballbranche. Ein riesiger Schatz an Informationen, in dem sich Hunderte Geschichten verbargen. Wir teilten das Material mit unserem Recherchenetzwerk EIC und arbeiteten von da an mit mehr als 60 Journalisten daran, die Daten zu durchforsten. Football Leaks wurde zu einem europäischen Journalismusprojekt, das weit über die Grenzen einzelner nationaler Redaktionen hinausreichte. Fast drei Monate dauerte es allerdings, bis wir Reporter wirklich seriös mit dem Dokumentenpaket arbeiten konnten. Neben der Tatsache, dass eine solch horrende Menge an Daten soft- und hardwaretechnisch eine ziemliche Herausforderung ist und wir alle uns zunächst mit neuen Computern, Servern und sogar komplett abgeriegelten Rechercheräumen aufrüsten mussten, wurden John und seine Ungeduld zu einem unserer größten Probleme.

Whistleblower sind manchmal schwierig. Sie sind keine Journalisten, sie sind nicht objektiv. Sie sind Aktivisten. Aktivisten, die die schnellste Lösung einem durchdachten Plan oft vorziehen. Während wir Reporter intensiv an den Daten arbeiteten und versuchten, in dem Berg an Informationen größere Zusammenhänge zu finden, dauerte John das alles viel zu lange. Immer wieder schrieb er pöbelnde Nachrichten und monierte darin insbesondere unsere zu geringe Geschwindigkeit. Ich nahm es zunächst mit Humor, schrieb ihm, dass er nicht unser Arbeitgeber sei und sich zusammenreißen solle. Wir würden das schon machen, alles easy, bleib cool – das versuchte ich ihm mitzuteilen.

Es stellte sich aber heraus, dass John und ich an diesem Punkt nicht die gleichen Dinge lustig fanden und nichts easy war. Denn während ich dachte, dass ich seine Ungeduld ein wenig einbremsen konnte, stellte er einfach – vornehmlich spät in der Nacht – seine hochbrisanten Dokumente auf der Football-Leaks-Homepage online. Wenn ich morgens wach wurde, liefen die meisten der daraus entstandenen Schlagzeilen dann bereits über Twitter und Facebook. Kurz darauf nahmen die großen Nachrichtenagenturen die Inhalte auf, die Boulevardmedien drehten die Geschichten anschließend groß weiter, und unsere Arbeit war zunichte. Die Storys waren veröffentlicht, ließen sich nicht mehr einholen und wurden für uns dadurch wertlos. Unsere europäischen Partner wurden wütend. Die Motivation und das Vertrauen innerhalb unseres Netzwerks rasten schneller dem Nullpunkt entgegen als der Hamburger SV der zweiten Liga.

Erst nachdem die pornografischen Inhalte auf die Football-Leaks-Homepage gespielt wurden, fanden wir einen gemeinsamen Weg, unsere Recherchen seriös und tiefgehend fortzuführen. In einem langen Gespräch über die hohen Hürden des Presserechts, die Schwierigkeiten eines europäischen Recherchenetzwerks und die Notwendigkeit, die Stoffe in größeren Zusammenhängen erzählen zu müssen, überzeugte ich John davon, dass es besser wäre, wenn er uns einfach eine Weile in Ruhe recherchieren ließe, damit wir am Ende ein größeres Bild all der Probleme zeichnen könnten, die es im Spitzenfußball gibt. Aber ich verstand in diesen Wochen, dass ich in Zukunft viel Mühe darauf verwenden müsste, um Johns Ungeduld und seine Übersprungshandlungen halbwegs austarieren zu können.

All diese Anfangsschwierigkeiten laufen nun wieder vor meinem inneren Auge ab, während John mich im Sekundentakt mit Nachrichten zu unserem gerichtlich angeordneten Geschichtenverbot bombardiert.

»Wir müssen uns wehren! Wirklich! Es reicht!!!!!!«, schreibt John.

Vor lauter Ausrufezeichen könnte einem glatt schwindlig werden. Nach all den Monaten der Recherche ist mein Nervenkostüm ziemlich runtergerockt. Ich schaue aus dem Fenster, mein Büroblick ist selbst in der Nacht wunderschön, ich kann über große Teile der Hamburger Hafencity gucken. Dorthin, wo das Alte auf das Neue trifft, die prunkvolle Elbphilharmonie auf die Speicherstadt, deren Gebäude zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Beim Blick in die Hamburger Nacht kann ich meinen Puls ein wenig regeln, ein bisschen runterkommen, die Gedanken unkontrolliert schweifen lassen. Ich fühle mich müde nach all den Recherchen, Storys, Kämpfen der vergangenen Monate. Ich würde gerne irgendwohin in den Urlaub verschwinden, mal wieder etwas anderes als die verrottete Fußballblase samt wütendem Whistleblower sehen. Einfach mal ein bisschen ausspannen.

Ausrufezeichen.

Mein Smartphone reißt mich aus der Träumerei. John schreibt, dass er noch heute Nacht alles vorbereiten und spätestens morgen »das ganze Dreckszeug« online stellen wolle.

»Hör’ mir mal zu«, schreibe ich, »das geht so nicht. Wir haben hier Anwälte, uns steht ein Prozess bevor, so eine Aktion würde uns total auf die Füße fallen. Zumal manche der Dokumente sehr ins Private gehen und nicht in die Öffentlichkeit gehören. So etwas zu verbreiten, entspricht nicht unserem Verständnis von Journalismus und würde Dich und uns angreifbar machen. Ich schlage folgendes vor: Du gehst jetzt mal ein, zwei Bier trinken, schläfst eine Nacht, sortierst Deine Gedanken. Ich schaue mir hier in der Zeit die Gerichtsunterlagen noch einmal genauer an.«

»Ach, das ist doch alles Scheiße«, antwortet John.

»Gib mir Dein Wort, dass Du Dich an den Plan hältst«, bitte ich ihn.

Es ist 21.42 Uhr. John verstummt. Mir zieht sich in diesen Momenten immer ein wenig der Magen zusammen, weil ich nicht weiß, wo er gerade ist, welche Stimmung ihn umtreibt und ob er sich am Ende nicht doch zu etwas Unüberlegtem hinreißen lässt. Insbesondere das Veröffentlichen von solch brisantem Privatmaterial würde erheblichen Schaden für das Gesamtprojekt nach sich ziehen. Wir sind keine Boulevardjournalisten, die gesamte Football-Leaks-Recherche hat sich immer zum Ziel gesetzt, ein Sittengemälde des Profifußballs zu zeichnen. Wir wollen erklären, warum der Transfermarkt so entfesselt ist, wie die horrenden Millionensummen für einzelne Spieler zustande kommen, wer die wichtigsten Nutznießer dieses Goldrausches sind und vor allem, wer den Fußball und die Gutgläubigkeit der Fans missbraucht. Wir haben über kriminelle Berater, mafiöse Sportvermarkter, Briefkastenfirmen und Strohmänner geschrieben, über rückdatierte Verträge und Täuschungen von Verbänden, Vereinen und der Justiz. Aber obwohl wir auch Pikantes in unseren Daten finden, schreiben wir natürlich nicht über Affären oder andere private Dinge. Privates muss privat bleiben, es gibt daran kein berechtigtes öffentliches Interesse.

Für seriöse Journalisten gibt es sehr hohe Schwellen, welche Teile eines solchen Leaks der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen und welche nicht. Wir diskutieren ständig mit unserem Team, unserer Chefredaktion und unseren Anwälten darüber, ob wir gewisse Dinge publizieren dürfen. Und oft genug entscheiden wir uns gegen einzelne Geschichten, weil sie schlichtweg zu wenig gesellschaftliche Relevanz hätten und damit die Privat- und Intimsphäre Dritter verletzen würden.

Ich stehe von der Couch auf, gehe in die Küche. Die Kaffeemaschine ist in den vergangenen Monaten eine Art Oase geworden, verlässlich verrichtet sie ihren Job, ohne Widerworte. Mittlerweile bin ich für jeden diskussions- und streitfreien Moment dankbar. Aber in Nächten wie dieser ist offenbar auf gar nichts mehr Verlass: Die Maschine streikt. Irgendwelche Knöpfe blinken, der Automat reagiert weder auf festes noch auf sanftes Drücken. Hier wird es heute keinen Kaffee mehr geben.

Ich gehe den langen Flur zurück, das große SPIEGEL-Haus ist fast leer, nur in wenigen Büros brennt noch Licht. In dem riesigen Atrium ist niemand mehr zu sehen, die Aufzüge stehen still, kein Gemurmel mehr auf den Gängen. Zumindest kann mich in dieser Nacht nichts vom Arbeiten ablenken, versuche ich mir die menschenleere Stille schönzureden. Ich betrete eine andere Kaffeeküche, mache mir einen doppelten Espresso. Uns stehen anstrengende Stunden bevor.

22.12 Uhr: »Ist gut. Ich geh’ jetzt mit Freunden aus. Viel Erfolg beim Lesen«, schreibt John. Er ist stinksauer und macht auch keinen Hehl daraus. All die Arbeit der vergangenen Monate so ins Wanken gebracht zu sehen durch ein Gericht, das weder eine Ahnung von den Recherchen hat noch von all den Hürden, die wir für die Veröffentlichung der Texte nehmen mussten, ist höchst frustrierend. Natürlich kann ich John auch verstehen, mir ging es nicht anders, als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal mit Unterlassungsansprüchen konfrontiert wurde. Seitdem mussten der SPIEGEL und ich schon mehrfach rechtliche Auseinandersetzungen wegen meiner Geschichten führen – wir haben nahezu alle gewonnen. Ich bin dabei zu der Erkenntnis gelangt, dass das deutsche Presserecht eben nicht nur Dritte vor möglichem Schaden schützen soll, sondern auch dazu geeignet ist, manche Richter, Gerichte und Anwälte zu ernähren.

In unseren presserechtlichen Auseinandersetzungen treffen wir Journalisten sehr häufig auf eine Richterin: Simone Käfer, die Vorsitzende der Pressekammer am Hamburger Landgericht. Sie ist eine der mächtigsten Frauen im deutschen Journalismus. Mit zwei Kollegen entscheidet die Juristin in erster Instanz, ob ein veröffentlichter Artikel aus dem Verkehr gezogen werden muss. Käfer setzt damit der Presse Grenzen – ihrer Macht, aber auch ihrer Freiheit.

In Pressesachen dürfen sich Kläger die erste Instanz meist frei aussuchen. Fliegender Gerichtsstand nennt sich das, eine Schrulle des deutschen Rechts. Und mit Richterin Käfer, die im Jahr 2012 die Pressekammer in Hamburg übernahm, gehört Hamburg, neben Köln und Berlin, bei Klägern zu den beliebtesten Pressegerichten der Republik. 2015 hatte Käfer 701 neue Fälle auf dem Tisch, in Stuttgart waren damals, nur zum Vergleich, gerade einmal 38 Fälle in Arbeit.

Mit Hamburg können sich Kläger nicht nur ihr Lieblingsgericht herauspicken, sie wissen auch, wer ihr Richter ist. Denn es gibt in Hamburg nur eine Pressekammer. Es gibt: Frau Käfer.

Zu ihr kommt nach dem SPIEGEL-Titel aus dem Dezember 2016 auch die spanische Anwaltskanzlei Senn Ferrero. Wenn Medien wie der SPIEGEL einem möglichen Vergehen oder Versagen nachspüren, dann beackern sie fast immer das Feld der Verdachtsberichterstattung. Berichtet wird, lange bevor ein Richter ein rechtskräftiges Urteil fällt. Lange bevor es absolute Sicherheiten geben kann. Es ist ein Feld, das Verfassungsgericht und Bundesgerichtshof genau vermessen haben: Medien dürfen über einen Verdacht berichten, aber bitte so, dass sie genügend Indizien dafür liefern, die Gegenseite zu Wort kommen lassen und klar den Unterschied markieren zwischen Verdacht und Gewissheit.

In der von uns veröffentlichten Geschichte ging es unter anderem um Cristiano Ronaldo, den damals bestbezahlten Fußballprofi der Welt, und seine Entscheidung, von all den Millionen möglichst wenig an den Staat abzugeben, für Schulen, Straßen, Krankenhäuser. Der Artikel enthüllte seine Steuervermeidungsstrategie und nannte Namen, Konten, Geldflüsse – Fakten, die den Superstar schwer belasteten. Ähnliches galt auch für José Mourinho und für Mesut Özil, über die wir ebenfalls Geschichten veröffentlichten, obwohl die dubiosen Steuertricks des deutschen Weltmeisters vergleichsweise geringer einzustufen waren als die der beiden anderen.

Lange vor unserer Veröffentlichung haben wir alle drei Superstars per Fragebogen ausführlich mit den Anschuldigungen konfrontiert. Auch die Anwälte, Steuerexperten und Berater bekamen von uns Fragen und Vorhaltungen zu den Themen. Özil erklärte, dass er in Spanien Widerspruch gegen seinen Steuerbescheid eingelegt hätte. Von Ronaldo, Mourinho und deren Beratern gab es keine Rückmeldung, einzig Senn Ferrero und ein weiterer Anwalt von Ronaldo antworteten, dass die Unterlagen teilweise gefälscht seien. Angaben darüber, was nun nicht stimme, machten sie nicht. Auch wenn solche Antworten nur wenig ergiebig sind, bauen wir sie trotzdem in unsere Texte ein, damit der Leser sehen kann, was die Betroffenen selbst zu den Vorwürfen sagen.

Während es für uns Journalisten Routine ist, die Gegenseite um Stellungnahme zu bitten, scheinen manche deutschen Gerichte eine solche Form der Fairness nicht nötig zu haben. Richterin Käfer ist damals darin ein Profi. Sie verbietet unsere Geschichten, ohne uns vorher anzuhören. Ohne unsere Erklärungen, warum und aufgrund welcher Beleglage wir uns für diese Berichterstattung entschieden haben. Stattdessen folgt Käfer einer juristischen Haltung, die für rationale Menschen schwer nachzuvollziehen ist. Sie verbietet den Artikel per Einstweiliger Verfügung. Das bedeutet, er darf nicht mehr verbreitet werden oder für Leser zugänglich sein, muss also zum Beispiel auch aus Onlinearchiven verschwinden. Ein Gesetz vergleichbar mit einer Rasierklinge – scharf, aber deshalb auch äußerst gefährlich. Man kann viel dabei verlieren. Die Redaktion ihren Text. Eine Demokratie ihr Korrektiv. Eine Richterin die Prinzipien.

Eilbeschlüsse ohne Verhandlungen sollte es nur in wirklich dringenden Fällen geben: Wenn ein Bericht den Ruf einer Person angreift, ohne guten Grund, und der Schaden jeden Tag größer wird. Umgekehrt gilt: ohne Eile keine Einstweilige, zumindest nicht, ohne beide Seiten zu befragen. Inzwischen aber werden bei Gerichten – speziell in Hamburg, Berlin und Köln – ständig Texte per Einstweiliger Verfügung im Alleingang rasiert, selbst wenn es keiner mehr eilig hat. Die Redaktion darf erst um ihren Artikel kämpfen, wenn er schon im Schnellverfahren verboten ist.

Ich stelle meinen doppelten Espresso auf dem Schreibtisch ab und nehme mir einen neuen Leitz-Ordner aus dem Regal. »Senn Ferrero Hamburg«, kritzle ich darauf. Es ist mittlerweile der 14. Ordner mit Anwaltsschreiben, den ich im Zuge der Football-Leaks-Recherchen zu füllen beginne. Senn Ferrero ist aber erst die zweite Partei, die die Drohungen in die Tat umsetzt und klagt. Zuvor hat dies auch Mesut Özil getan, als Privatperson und in Berlin. Ein sonderbarer Fall, aber dazu später mehr.

Jetzt gilt die ganze Konzentration erneut dem Anhang, den unsere Anwälte uns mit der Apokalypse-Mail zugeschickt haben. Mir graut es ein wenig vor dem Juristendeutsch. Ich krame in meinen Schubladen nach weiterer Schokolade, aber offenbar habe ich Amateur meine Vorräte leergefuttert. Ätzend. Mein Magen grummelt laut vor sich hin.

Bereits beim Blick auf das Anschreiben verfinstert sich meine Laune brutal. Der Antrag von Senn Ferrero auf Unterlassung ging bereits am 9. Januar 2017 bei Gericht ein, Käfer erließ den Beschluss am 20. Februar. Mehr als zwei Monate, nachdem wir unsere Football-Leaks-Enthüllungen und die Ronaldo-Story im SPIEGEL veröffentlicht hatten. So sehen also Eilverfahren aus, in denen es keine Zeit gibt, die Beklagte, also uns, zu den Vorwürfen zu befragen. Glückwunsch.

Weiter im Text: Senn Ferrero wird vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei Schertz Bergmann. Oh Mann. Was würde ich jetzt für ein Snickers, Mars oder eine Tonne Milka-Schokolade geben! Irgendetwas, das meine Nerven nur ein bisschen auf das vorbereitet, was mich in den nächsten Stunden erwarten wird.

Immer wieder von Professor Doktor Christian Schertz und seiner Anwaltsschar zu hören, nervt. Weniger, weil sie gute oder brillante Juristen wären, nein, eher obere Mittelklasse, laute obere Mittelklasse. Anders als viele Anwälte versucht Schertz häufig mit großem Tamtam, sich selbst in den Vordergrund zu rücken. Seine Medienstrategie, im Zuge von Verfahren in der Presse zu poltern und seine Backen aufzuplustern, hat Schertz dabei geholfen, zum wohl bekanntesten Medienrechtler in Deutschland zu werden. Wer zu Schertz geht, weiß, dass sein Fall schnell in die Öffentlichkeit rücken kann, dass man einen Anwalt hat, der laut bellt, hinter dem sich die Kläger zur Not auch verstecken können, allerdings auch nur, solange er bellt. Losgekläfft wird auch dann, wenn der Fall kaum zu gewinnen ist. Das Echo, welches daraus entstehen kann, hilft vielleicht Schertz, trifft seine Mandanten aber oft spät und hart. Wer auf Fragen nicht antwortet, kann in der Berichterstattung kein Verständnis und keinen Einfluss auf die Einordnung bewirken. Die ohne Anhörung erlassene Unterlassungsverfügung heißt nicht nur Einstweilige, sie wirkt häufig auch nur kurze Zeit. Ein vermeintlich schneller Erfolg, einseitig verhandelt. Wenn dann das richtige Verfahren beginnt, folgt häufig eine weitere Berichterstattungswelle: über den verlorenen Medienprozess, in der die gesamte Enthüllung noch einmal aufgekocht und somit ein zweites Mal groß in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

In den Dokumenten zu Senn Ferrero kann ich nicht erkennen, dass die Gegenseite uns eine wahrheitswidrige Berichterstattung vorwerfen würde. Die Kläger argumentieren vielmehr mit der Herkunft des Materials, auf das sich unsere Berichterstattung stützt. Die Kanzlei Senn Ferrero gibt an, dass sie vor einiger Zeit einen Einbruch in ihre Systeme erkannt haben will. Dabei soll es sich um einen Hackerangriff handeln, der jetzt die Grundlage unserer Berichterstattung sein soll. Da die Akten über die Mandanten der Kanzlei geheim zu halten seien, sei auch Senn Ferrero in seinem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt.

In den kommenden Monaten werden wir noch mehr Post vom Gericht und von Senn Ferrero und deren Anwälten bekommen. Dort werden die Spanier auch angeben, dass sie den vermeintlichen Hacker-Angriff zur Anzeige gebracht haben. Zudem erklären sie darin, dass praktisch alle von uns für den Artikel benutzten Unterlagen aus dem vermeintlichen Hack stammen sollen. Wir werden darüber rätseln, wie mit den vorgelegten Unterlagen bewiesen werden soll, dass die von uns verwendeten Papiere exakt an jenem Tag, an dem die internen Systeme der Kanzlei gehackt worden sein sollen, entwendet wurden. Was wir aber schnell feststellen werden: Wir haben uns auf jeden Fall Dokumenten bedient, die zum Zeitpunkt des vermeintlichen Hacks noch überhaupt nicht geschrieben sein konnten. Wir haben vertrauliche Dokumente, die Monate nach dem von Senn Ferrero bezeichneten Hacking unterschrieben wurden. So beispielsweise der Arbeitsvertrag von Cristiano Ronaldo. Das heißt: Selbst wenn das Material von Senn Ferrero stammen sollte, stammt es wahrscheinlich nicht nur von dort. Sondern offenbar auch aus anderen Quellen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass es gar kein Hack war, sondern dass beispielsweise ein Mitarbeiter oder ehemaliger Arbeitnehmer von Senn Ferrero die Dokumente entwendet und weitergegeben hat. Denn zum Hacker oder zum genauen Ort, an dem der mutmaßliche Hacker sich befinden soll, gibt die Kanzlei keine klare Auskunft. Es werden zwar einige Länder genannt, über die der vermeintliche Systemeinbruch stattgefunden haben soll, aber sie sind so verzweigt und über die halbe Welt verteilt, dass es unmöglich ist, damit etwas anzufangen.

Für mich ist es unerklärlich, wie Richterin Käfer auf einer solch dünnen Beleglage ein Verbot aussprechen konnte. Wir haben immerhin mithilfe dieses Materials einen der größten Missstände im europäischen Profifußball enthüllt: den systematischen Steuerbetrug mit Bildrechten. Daraus – das werden die kommenden Monate eindrucksvoll zeigen – ergibt sich ein Multimillionenschaden für Staaten der Europäischen Union. Wenn das nicht berichtenswert ist, was denn dann?

Es ist kurz vor halb drei, mir fallen die Augen zu. Aber nach der Lektüre und all der Grübelei sehe ich keinen ernsthaften Grund, warum wir diesen Prozess verlieren sollten. Wir haben unsere journalistische Arbeit getan, sauber und richtig. Die Argumentation der Gegenseite ist wenig überzeugend.

Ich schaue noch einmal auf mein Handy. John hat vor etwa 15 Minuten geschrieben: »Wir werden uns von sowas nicht unterkriegen lassen. Wir werden kämpfen und uns wehren.« Ich antworte ihm: »Ist gut, aber nicht mehr heute Abend. Ich habe das jetzt alles gelesen und finde es halb so wild.« Ich versuche, John weiterhin zu beruhigen, denn was wir jetzt überhaupt nicht gebrauchen können, ist ein Alleingang unseres Whistleblowers. Die ganze Situation ist auch so schon nervig genug. Ich frage ihn, ob wir uns in den kommenden Tagen treffen könnten. John antwortet schnell: »Gerne. Ich lass’ Dir gleich meinen Ort zukommen.«