Forever, Ida - Wir oder ihr - Alex Pohl - E-Book

Forever, Ida - Wir oder ihr E-Book

Alex Pohl

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Beschreibung

Eine Schule mit einer glatten Fassade. Ein Mädchen, das dahinter schaut.

Das Leben läuft gut für Adi: Sie ist beliebt an ihrer neuen Schule, hat Freunde gefunden und hofft darauf, ihre Vergangenheit endgültig hinter sich lassen zu können. Doch ihre neue Popularität führt dazu, dass sie wieder in den sozialen Medien auftaucht – und damit auch für ihren Stalker sichtbar wird. Gleichzeitig werden in Sonderberg nachts Autos demoliert und Kris, ein Freund von Adi, gerät immer mehr in den Fokus der Ermittlungen. Auch Adi selbst hegt einen schlimmen Verdacht gegen Kris ...

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Seitenzahl: 311

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ALEX POHL

FOREVER, IDA

WIR ODER IHR

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Copyright © 2021 by Alexander Pohl

© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.

www.ava-international.de

Umschlaggestaltung: © Kathrin Schüler, unter Verwendung mehrerer Motive von © Shutterstock / Kelvin Degree

he • Herstellung: BO

Lektorat: Regine Teufel

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-25566-4V002

www.cbj-verlag.de

»Mir ist schon seit einer ganzen Weile klar, dass die wenigsten Menschen das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.«

– Adi zu Liz

»Wir hätten rennen sollen, als wir noch die Chance dazu hatten.«

– Kris

1

Samstag,

12. September

23:45 Uhr

»Er huscht aus dem Gebüsch auf den Fußweg, geht neben dem Auto in die Hocke.

Niemand zu hören, niemand zu sehen. Die Straße menschenleer, wie ausgestorben. Er duckt sich tiefer in den Schatten neben dem Wagen. Die Bogenlampen entlang des Fußwegs werfen dunstige Lichtkreise in die Nacht. Der Mond hat sich versteckt hinter einer dichten Wolkendecke. In keinem der Häuser regt sich etwas, abgesehen vom fernen Funkeln der nahezu identischen Laternen über den Hauseingängen. Er fragt sich, wie die Leute es hinbekommen, hier nicht ständig versehentlich das falsche Haus zu betreten.

Entlang der Straße stehen einfallslos schmucke, aber kostspielige Häuschen, davor die entsprechenden Autos. Die meisten davon Familienlimousinen, ein paar von diesen angeblichen Geländewagen, hier und da sogar ein Sportflitzer, der lautstark von der Midlife-Crisis seines Besitzers kündet. Das hier ist nicht die Gegend, in der man nach dreiundzwanzig Uhr noch irgendjemanden auf der Straße antrifft. Eher die Gegend, in der alle um diese Uhrzeit schön brav vor der Glotze hocken und sich irgendeinen Scheiß reinziehen, jeden Abend dasselbe Programm. Die Gegend, in der man vor allem eins haben will: seine Ruhe. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit.

Aber damit wird es gleich vorbei sein.

Er richtet sich auf und geht ans Werk. Er kann jederzeit blitzschnell wieder in den Schatten verschwinden, falls sich doch einer von den Spießern überraschend aus seinem Häuschen trauen sollte, aber eigentlich glaubt er das nicht. Das bisschen Licht reicht gerade so für das, was er vorhat, und es ist nicht so hell, dass man ihn erkennen könnte. In Gegenden wie diesen kommen gern mal Videokameras zum Einsatz, das weiß er. Die Bewohner der Häuser fühlen sich dadurch sicherer.

Ein Grinsen schleicht sich auf seine Lippen, als er den Schraubendreher unter seiner Jacke hervorzieht, ein uraltes Ding mit einem Holzgriff, lang wie ein Tranchiermesser, die Klinge so breit wie sein Daumennagel. Ein grobes Werkzeug, genau das Richtige für das, was er vorhat. Ein weiterer Blick in beide Richtungen die Straße entlang, nur zur Absicherung. Dann setzt er die Klinge des Schraubendrehers an der Tür auf der Beifahrerseite an.

Genießt noch einen Moment lang die erregende Freude der Erwartung dessen, was gleich passieren wird.

Dann drückt er zu.

Langsam erhöht er den Druck, bis er ein leises Knacken hört, als der Lack unter dem Stahl des Schraubendrehers bricht. Mit einer leichten Drehbewegung bohrt er die Klinge tiefer hinein, dann zieht er das Werkzeug an der Außenseite des Wagens entlang, in einer einzelnen, fast perfekt geraden Linie. Ein schrilles, metallisches Kreischen ertönt, als sich das rostige Werkzeug tief in den Lack des Fahrzeugs gräbt – es kommt ihm ohrenbetäubend laut vor in der Stille der Nacht.

Er hockt sich ab, verharrt wieder in den Schatten, doch niemand außer ihm scheint das Geräusch gehört zu haben. Der Mond hat sich nach wie vor versteckt, als ginge ihn das alles gar nichts an. Er grinst und spürt, wie das Adrenalin durch seine Adern pumpt, spürt das Wummern seines Herzschlags bis in seinen Kopf, das Prickeln auf seiner Kopfhaut, aber er hat keine Zeit, dieses Wahnsinnsgefühl zu genießen. Er muss weitermachen.

Jetzt muss alles schnell gehen.

Hastig steht er wieder auf und treibt den Schraubendreher noch einige weitere Male in die Seite des Wagens, hinterlässt klaffende Wunden im spröden Lack, macht auch vor den Kotflügeln nicht Halt. Um die zu lackieren, wird man sie ausbauen müssen, was den Besitzer eine zusätzliche Stange Geld kosten dürfte. Jemanden, der in dieser Straße wohnt und einen solchen Wagen fährt, dürften die paar Hundert Euro mehr nicht jucken, aber er macht es aus Prinzip. Schadensmaximierung, denkt er grinsend. Sein Gesicht ist zu einer Maske der Anspannung verzerrt, trotz der Kühle der Nacht kitzeln ihn Schweißperlen auf seiner Stirn.

Gleich ist es geschafft.

Schließlich setzt er den Schraubendreher am Rand des vorderen linken Scheinwerfers an und hebelt die Verkleidung aus der Einfassung. Das Geräusch berstenden Plastiks ist zu hören, als die Verankerung bricht, noch mal ein paar Hundert Euro. Er grinst zufrieden.

Noch immer regt sich nichts in der Straße.

Höchste Zeit, von hier zu verschwinden, doch er kann einfach nicht aufhören. Noch nicht. Er geht um den Wagen herum und jagt den Schraubendreher bis zum Heft in die Felge des rechten Vorderreifens. Als er ihn wieder rausreißt, entströmt die Luft mit einem lauten Zischen aus dem Reifen. Fasziniert sieht er zu, wie der Wagen ein Stück in die Knie sackt wie ein großes Tier, das sich zur Ruhe legt.

Nachdem er mit den restlichen drei Reifen dasselbe gemacht hat, steht er auf und betrachtet sein Werk der Zerstörung. Er starrt darauf, lächelt verträumt, kann kaum glauben, dass er das alles ganz allein gemacht haben soll. Und doch ist es wahr.

Es kostet ihn einige Überwindung, aber schließlich wendet er sich ab und verschwindet wieder zwischen den Büschen, gerade als das Licht in einem der Häuser auf der Straße angeht. Als ein schlaftrunkener Mann kurz darauf auf die Straße stürzt und fassungslos auf sein verwüstetes Auto starrt, ist er längst wieder in der Nacht verschwunden.

Wie ein Schatten.

2

Liebe Ida,

es ist eine Menge passiert seit meinem letzten Brief. Zum Beispiel: Liz besteht immer noch darauf, mich ständig Supergirl zu nennen, was natürlich völlig lächerlich ist, und ich hatte in den letzten Tagen vor den Ferien ganz schön Mühe, all den Selfie-Verrückten an der Schule aus dem Weg zu gehen, die ständig Fotos mit mir machen wollten, als hätte ich die Welt vor einem Superschurken gerettet oder so was. Gar nicht so leicht, denen allen aus dem Weg zu gehen, ohne arrogant rüberzukommen. Ich hoffe, dass sie das vor lauter Urlaubsfotos vergessen haben werden, wenn am Montag die Schule wieder anfängt.

Andererseits bin ich auch ein bisschen stolz auf unsere Truppe: Lizzie, Kris, Ben und mich und – ja, auch Julia gehört wohl irgendwie dazu. Immerhin ist es uns gemeinsam gelungen, einen Mord aufzuklären, den die Polizei bereits als Unfall zu den Akten gelegt hatte, und das wäre wohl nicht passiert, wenn ich mich nicht in diese Sache eingemischt hätte. Aber natürlich würde ich das nie öffentlich zugeben, und ich möchte nicht ins Rampenlicht – oder auf irgendwelchen Instagram-Profilen der Schüler vom Fritz auftauchen. Und ein Supergirl bin ich schon mal gar nicht, aber das ist eben typisch Lizzie. Immer ein bisschen verrückter als alle anderen.

Vielleicht ist meine Fotoscheu ja völlig übertrieben, aber … na ja, ich habe eben immer noch so meine Probleme damit, wenn Bilder von mir im Internet auftauchen. Besonders nach dieser Whatsapp-Nachricht.

Hast du mich vermisst, Baby?

Verdammt creepy.

Wie hat der Kerl überhaupt meine neue Nummer rausbekommen? Oder ist er das gar nicht, macht da nur irgendwer einen üblen Scherz? Verdammt, jemand könnte die Nachricht auch einfach an die falsche Nummer geschickt haben, ein Zahlendreher oder so was – bloß, wer tippt heute noch Nummern von Hand ein? Natürlich habe ich die Nachricht sofort gelöscht, also werde ich wohl nie herausbekommen, was nun dahintersteckt. Aber klar, das muss es gewesen sein.

Eine Verwechslung, nichts weiter.

Zumindest hab ich es während der Ferien einigermaßen hinbekommen, mir das einzureden. Und da seitdem keine weiteren Nachrichten gekommen sind, glaube ich inzwischen wirklich daran. Übrigens waren wir wieder in Griechenland dieses Jahr, und es war toll wie immer, aber zu viel, um es hier zu schreiben. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob dich so was überhaupt interessiert. Vermutlich würdest du es spießig finden, und vielleicht hast du damit ja auch recht. Aber wer weiß, vielleicht war das ja unser letzter gemeinsamer Sommerurlaub, und – spießig oder nicht – ich hätte glatt noch zwei Wochen länger bleiben können.

Aber nein, am Montag heißt es: Zurück ans Fritz, und ich werde endlich alle wiedersehen, worauf ich mich auch schon irre freue. Auch Ben. O Mann, ich habe keine Ahnung, wie wir uns begegnen werden, irgendwie herrscht da immer noch die große Unschlüssigkeit meinerseits. Ben hat ja praktisch eine Hundertachtzig-Grad-Wende hingelegt. Er hat Sportlehrer Pfeiffer gesteckt, wohin er sich seine Fußballmannschaft und den Traum von Bens großer Profikarriere schieben soll, und ich kann mir gut vorstellen, was daraufhin bei Ben zu Hause los war – vermutlich sind er und sein Vater in diesen Sommerferien nicht gemeinsam in Urlaub gefahren. Aber letztlich wird selbst sein Vater vor allem froh darüber sein, dass sein Sohn aus der ganzen Sache mit Ahmet einigermaßen heil herausgekommen ist. Aber Ben ist auch keiner, der sich so leicht von seinem Vater unterkriegen lässt, glaub ich.

Und dann gab es ja da noch das kurze Kapitel »Ben und Adi«. Wie das weitergeht? Ob es überhaupt weitergeht? Keine Ahnung. Und Julia. Was zwischen ihr und Ben im Moment abgeht, ist echt schwer abzuschätzen. Keiner scheint was Konkretes zu wissen, und irgendwie redet auch keiner darüber, was ausgesprochen merkwürdig ist.

Vermutlich ist es einfach das Beste, wenn ich mich da jetzt nicht auch noch aufdränge, bevor die Fronten geklärt sind. Wir haben es immerhin schon einmal verbockt, und ich habe wenig Lust darauf, das zu wiederholen. Also gehen wir es langsam an. Ein Schritt nach dem anderen.

Ansonsten geht es mir gut.

Ich bin richtig froh, zurück in Sonderberg zu sein – und das überrascht mich selbst wohl am meisten. Ich hatte gedacht, dass ich meine alten Freunde und meine alte Schule mehr vermissen würde, trotz allem, was passiert ist, doch tatsächlich denke ich kaum noch an sie. Bis jetzt hat sich kein Einziger von ihnen bei mir oder meinen Eltern gemeldet, also beruht das wohl auf Gegenseitigkeit.

Stattdessen habe ich nun hier neue Freunde gefunden, sozusagen in Rekordzeit, und ich glaube, diesmal könnte es funktionieren, wenn ich nur alles richtig mache. Also drück mir die Daumen, ja?

Ich umarme dich ganz fest und für immer,

deine Adi

P.S.: Nächste Woche ist übrigens Lizzies Geburtstag. Sie hat mich zu ihrer Feier eingeladen, wie findest du das? Ich habe sogar schon eine Idee, was ich ihr schenken könnte. Es wird sie umhauen.

3

ADI

Samstag,

12. September

15:30 Uhr

Ich überfliege noch einmal den Brief an Ida, den ich gerade fertig geschrieben habe, und muss lächeln, als ich das mit Ben und mir lese. Klar, irgendwie ist es schon ein bisschen kindisch, dass ich ihm noch immer so hinterherlaufe. Dass ich hoffe, dass aus unserer Freundschaft vielleicht mehr werden könnte, aber warum eigentlich nicht? Da war etwas zwischen uns, damals auf der Brücke. Nur für einen Moment, aber …

Gehen wir es langsam an.

Ein Schritt nach dem anderen.

Genau.

Ich falte das Briefpapier zusammen und stecke es in den Umschlag, klebe ihn zu und schreibe Idas Adresse vorndrauf, dazu meine eigene – neue! – links oben in die Ecke, dann lege ich ihn in die Schublade meines Schreibtischs.

Mein Blick wandert durch mein Zimmer, das mir immer noch ein bisschen neu ist, und bleibt schließlich am Fenster hängen.

Ich schaue hinaus in den Garten, auf das Licht, das glitzernd durch die Blätter des Apfelbaumes vor meinem Fenster bricht. Lausche dem flüsternden Rascheln seiner Blätter, dem sanften Tak-tak-tak des Rasensprengers, dessen Tröpfchen manchmal einen kleinen Regenbogen in die Luft zaubern. Irgendwie riecht es fast schon ein bisschen nach Herbst.

In diesem Moment summt mein Handy. Als ich das Display entsperre und die kurze Nachricht lese, ist meine gute Laune wie weggeblasen. Ich verliere jedes Gefühl in meinen Fingerspitzen, mein Herz beginnt zu rasen, ohne dass ich das Geringste dagegen tun kann, während ich auf die WhatsApp-Nachricht starre. Fünf Worte leuchten mir entgegen, gesendet von einer unbekannten Nummer. Und diesmal weiß ich, dass es keine Verwechslung ist.

Hattest du schöne Ferien, Baby?

6 Tage später

4

Gesprächsmitschnitt für die Reportage »Ist unsere Jugend noch zu retten?« mit Mark B., Schüler am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Sonderberg

MB: »Klar, nach der Aktion im Club haben alle Adi plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen. War ja schon eine starke Sache, was Adi da gebracht hat, wobei natürlich Ben den hauptsächlichen Teil beigetragen hat. Also wie er den Typen außer Gefecht gesetzt hat … das war schon verdammt cool. Aber trotzdem. Für ein Mädchen war das ganz schön mutig von Adi.«

»Du meinst, wie sie Julia und Ben aus dem Club gerettet hat?«

»Na klar. Danach war sie praktisch so was wie eine Berühmtheit an der Schule. Supergirl und so. So haben sie manche genannt. Supergirl, wie in den Comics, klar? Auch wenn Adi natürlich nicht so heiß aussieht. Jedenfalls wollte plötzlich jeder mit ihr befreundet sein. Ich meine, für eine Weile war sie praktisch so was wie ein Instagram-Star, obwohl sie da nicht mal ein Profil hat. Ist doch verrückt, oder?«

»Und wie hat Adi auf diese plötzliche Popularität reagiert?«

»Hm, manchmal richtig seltsam. Ich glaube, sie fand es anfangs schon gut, dass sich die Leute für sie interessiert haben, aber irgendwann muss ihr das wohl zu viel geworden sein. Vor allem, dass jeder ständig Selfies mit ihr machen wollte. Da hat sie manchmal ganz schön merkwürdig reagiert, als wäre ihr das irgendwie unangenehm. Daher haben das die Leute nach den Ferien auch aufgegeben, und sie hat eben weiterhin hauptsächlich mit ihren beiden Freaks abgehangen.«

»Du meinst Lisbeth und Kris?«

»Ja. Selbst, als dann diese Sache mit Kris rauskam, und Mann, das war schon mal eine ganz schön krasse Nummer.«

»Verstehe. Aber ich würde gern noch mal auf Adriana zurückkommen. Sie war also plötzlich bei allen Schülern sehr beliebt – und das, obwohl sie erst ein paar Wochen an der Schule war?«

»Klar, wobei … Vielleicht nicht bei allen. Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel Julia nicht wirklich begeistert davon war, dass sie plötzlich nur noch die Nummer zwei an der Schule sein sollte und … na ja, bei Ben vielleicht auch. Ich hab nämlich gehört, dass da was gelaufen sein soll zwischen Ben und Adi, schon vor den Ferien. Aber das haben Sie nicht von mir, klar?«

»Du glaubst, Julia war deshalb sauer auf Adi? Wegen dieser Gerüchte?«

»Hm, nee. Das war ja das Seltsame – Adi gegenüber war sie immer voll nett, hat einen auf beste Freundin gemacht. Ich meine, immerhin hat sie es auch Adi zu verdanken, dass sie heil aus dem Keller des Jugendclubs rausgekommen ist, oder? Kann aber auch sein, dass es Julia einfach nicht mehr so wichtig war, ständig im Mittelpunkt zu stehen. Es hat sich so einiges geändert, seit Adi an unsere Schule gekommen ist, und das war vielleicht eins von den Dingen.«

5

ADI

Freitag,

18. September

16:00 Uhr

Vor dem Haus von Lizzies Tante steige ich vom Rad und lehne es an den leicht windschiefen Zaun. Ich bin hier, um Lizzies Geburtstag zu feiern, aber die ganze Fahrt über waren meine Gedanken mit etwas anderem beschäftigt, und ich ärgere mich selbst darüber. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und lese noch einmal die Whatsapp-Nachricht. Diese habe ich nicht gelöscht.

Hattest du schöne Ferien, Baby?

Natürlich habe ich auch darauf nicht geantwortet. Dann war Funkstille. Seit über einer Woche keine neue Nachricht von ihm. Wenn es nun doch irgendein Typ schickt, der die Nummer seiner Freundin falsch abgespeichert hat? Nein, das ist Blödsinn und ich weiß es. Aber trotzdem hoffe ich, dass er nun vielleicht aufgeben wird. Dass er meine Nummer hat, bedeutet nicht, dass er weiß, wo wir jetzt wohnen. Er kann es nicht wissen.

Ich nicke, wie um mir selbst Mut zu machen, dann lösche ich die verdammte Nachricht doch. Verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte. Das tut gut. Ich stecke das Handy wieder weg.

Dann trete ich durch das kleine Gartentor wie in eine andere Welt. Eine, die vielleicht ein bisschen verzaubert ist, so wirkt es jedenfalls, und sofort bessert sich meine Laune. Während ich den kleinen Kiesweg auf die Haustür zugehe, höre ich schon das gedämpfte Wummern der Bässe aus dem Inneren des Hauses und muss grinsen. In jeder anderen Wohngegend von Sonderberg wäre das schwer vorstellbar, aber Janis, die eigentlich Jeanette heißt und die Tante von Liz ist, wohnt ziemlich abgeschieden am Rande der Stadt und hat selbst überhaupt nichts gegen laute Musik – oder laute Teenager. Von dem, was ich bisher erfahren habe, muss sie wohl ziemlich cool sein. Ein bisschen wie eine etwas ältere Version von Lizzie selbst.

Ich stehe in dem leicht verwilderten Vorgarten und klingle. Das muss ich eine ganze Weile tun, vermutlich, weil die Musik da drin so laut ist, dass man das Klingeln nicht gleich hört. Dann werden die Bässe ein bisschen leiser gedreht und plötzlich fliegt die Tür auf und Liz steht vor mir.

Als sie mich sieht, beginnt sie zu kreischen, springt mich an und umarmt mich, als wolle sie mich ausquetschen wie eine Zahnpastatube, in der nur noch ein Rest ist. Ich erwidere die Umarmung anfangs etwas steif, hauptsächlich, weil ich so viel fröhlichen Enthusiasmus von Liz gar nicht gewöhnt bin.

»Du bist gekommen«, sagt sie und lässt mich nach einer Weile los, hält mich aber an den Händen und betrachtet mich, als wäre ich das Schönste, das sie je gesehen hat, so was wie ein exotischer Edelstein oder das neueste iPhone. Und das Seltsamste: Sie grinst dabei über das ganze Gesicht. Ein offenes Lächeln und nicht das übliche sarkastische Grinsen. Auch das habe ich noch nicht wirklich bei ihr gesehen.

Okay, denke ich, und hier haben wir die durch und durch fröhliche Liz. Wer hätte gedacht, dass auch die existiert, irgendwo in diesem blass-geschminkten Goth-Mädchen? Wahrscheinlich ist auch ihr stürmischer Überfall daran schuld, dass ich erst jetzt bemerke, dass sie heute komplett auf die weiße Theaterschminke verzichtet hat. Stattdessen zeigt sie der Welt heute sozusagen mal ihr wahres – und wie ich finde ausgesprochen hübsches – Gesicht.

»Ich freue mich echt wie verrückt, dass du hier bist, Süße!«, sagt sie leise und macht mir mit einer Grimasse vor, dass sie das mit dem Verrücktsein offenbar ernst meint. Ich kenne sonst niemanden, der so albern sein kann, wenn auch nur wenige an der Schule diese Seite von ihr kennen. Für die meisten Schüler ist sie eben nur das reichlich seltsame Mädchen in den schwarzen Klamotten, das die ganze Zeit auf dem Schulklo rumhängt und einen furchtbaren Musikgeschmack hat.

Eine Weile stehen wir uns nur grinsend gegenüber und halten uns an den Händen wie kleine Mädchen.

»Hey, das hätte ich ja fast vergessen«, sage ich, greife in den Rucksack, den ich zu meinen Füßen abgestellt hatte, und überreiche ihr mein Geschenk. Als ich die beiden Sachen verpackt habe, fand ich das schwarze Geschenkpapier witzig, ich hatte es extra bestellt, ebenso das schwarze »Geschenkband«, das eigentlich ein Trauerflor ist. Offenbar ist Lizzies reichlich makabre Seite ansteckend, aber jetzt kommt mir das Ganze schon fast ein bisschen blöd oder geschmacklos vor – immerhin soll das hier ein Geburtstag sein und keine Beerdigung.

Aber dieser Gedanke verschwindet sofort, als sie wie ein kleines Mädchen losquietscht: »O wow, meine Lieblingsfarbe! Wie konntest du das nur erraten?« Sehr komisch, Liz.

Vorsichtig packt sie die Geschenke aus, gleich hier, auf der Schwelle der Haustür, vor der ich immer noch stehe, als wäre ich lediglich der Paketbote und kein Partygast. Aber dafür entschädigt mich ihre Begeisterung, als sie meine Geschenke kurz darauf staunend betrachtet. »Oh, wow«, sagt sie immer wieder und »Danke, Adi! Das ist voll lieb von dir«, bevor sie mir noch einmal ausgiebig um den Hals fällt.

Ich habe ihr die neueste CD von Watain geschenkt, ihrer Lieblingsband, auch wenn den Höllenlärm, der sich auf der CD befindet, nur wenige als Musik bezeichnen würden. Dazu einen Sweater von Recolution – wenn das mal keine seltsame Kombination ist! Ich trage diese Marke selbst gern, und ausgerechnet von Julia Stoltze habe ich erfahren, dass die Klamotten Fair Trade sind und ausschließlich aus recycelten Stoffen bestehen, die Farben sind alle ökologisch abbaubar. Umso besser. Auch so eine Vorliebe, die ich offenbar schon länger mit Julia Stoltze teile, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein.

»Wow, ist der schön!«, flüstert Liz, während sie den Sweater ehrfürchtig hierhin und dorthin dreht, als wäre er mit Diamanten besetzt, die jetzt in der Sonne glitzern, dabei ist es bloß ein einfacher schwarzer Pullover. »Ich zieh ihn gleich mal an.«

Während sie das tut, halte ich die Geschenkverpackungen. Es war gar nicht so einfach, den Pulli in Schwarz zu bekommen; aber als ich Liz betrachte, sehe ich, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Man mag von der Farbe halten, was man will, aber ihr steht sie wirklich gut.

»Alles Gute zum Geburtstag, Liz«, sage ich, und sie umarmt mich noch einmal, drückt mich ganz fest an sich und flüstert: »Danke, Süße! Vielen Dank!«

Diesmal rieche ich den Alkohol in ihrem Atem.

Irgendwann ist dieser Augenblick vorbei und sie löst sich wieder von mir, dann packt sie meine Hand und zerrt mich lachend ins Haus hinein, auf die wummernden Bässe zu. Rockmusik, irgendetwas aus den Siebzigern vermutlich. Na klar, was auch sonst, mit Chartmusik können weder Liz noch Tante Janis viel anfangen. Aber wenigstens ist es nicht Watain.

Die Inneneinrichtung des Hauses ist praktisch eine übergangslose Fortsetzung des Gartens – ein bisschen wild und alles bunt zusammengewürfelt und ausgesprochen gemütlich. Aber von dort kommen die Bässe nicht her, sondern aus dem Garten dahinter, in den mich Lizzie hastig durch offene Türen mit wehenden Stoffvorhängen weiterzieht.

Jemand hat den Rasen offenbar erst vor Kurzem gemäht, aber ringsum wuchert es auch hier in allen Farben und Formen. Ich erkenne Sonnenblumen und eine schiefe Wand aus Bambus, die gut drei Meter hoch ist und Dschungelfeeling verbreitet. Meine Eltern würden in einem solchen Garten vermutlich die Krise kriegen und sofort ein Räumkommando mit Kettensägen und Macheten herbestellen, um den Wildwuchs zu zähmen. Ich finde es großartig.

Ich sehe bunte Sonnenschirme aufleuchten und Girlanden, die völlig chaotisch kreuz und quer durch die Luft gespannt sind. Mein Grinsen wird breiter, so etwas habe ich schon länger nicht mehr gesehen, ebenso wie die unzähligen Blumenblüten, die praktisch jeden Quadratzentimeter der Tische bedecken – auch von diesen gleicht natürlich keiner im Entferntesten seinem Nachbarn. Da gibt es ein Gestell aus angerostetem Gusseisen, das früher mal zu einer Nähmaschine gehört hat, und ein wuchtiges Ungetüm, das vielleicht vor einhundert Jahren mal in einem Schlafzimmer gestanden haben könnte und von dem die ehemals weiße Farbe schon an etlichen Stellen abgeblättert ist. Darauf stehen massenweise Schüsseln mit Obst und Gemüse, mir steigt der Duft gegrillter Paprika in die Nase. Ich stelle fest, dass ich ganz schön Hunger habe, immerhin bin ich den ganzen Weg hierher geradelt.

»Adi ist da!«, brüllt Liz über die Musik in die Runde. Alle Köpfe drehen sich in unsere Richtung, unbekannte Gesichter lächeln mir zu. Danke für diesen unvergesslich peinlichen Moment, Liz, denke ich, aber als ich sehe, wie sie strahlt, kann ich Liz nicht mal böse sein. Sie freut sich wirklich sehr, mich zu sehen. Und jetzt, wo ich mich hier umsehe, verstehe ich auch ein bisschen, wieso. Ich sehe kaum bekannte Gesichter aus der Schule, eigentlich gar niemanden vom Fritz, außer mir und Kris, der etwas abseits in einem Gartenstuhl hängt und mal wieder in das Display seiner Kamera vertieft ist. Aber was hatte ich denn erwartet? Wir reden hier von Liz, merkwürdig genug, dass sie überhaupt eine Feier schmeißt. Wobei »Liz« und »etwas merkwürdig« ja auch wirklich ausgezeichnet zueinanderpassen.

Die meisten anderen Gäste sehen deutlich zu alt aus, um noch ans Fritz oder irgendeine andere Schule zu gehen. Aber sie winken mir fröhlich zu oder rufen eine Begrüßung, als Liz mich der Runde vorstellt. Erst da begreife ich, dass es sich wohl um Bekannte oder Freunde von Tante Janis handeln muss. Kris erhebt sich aus seinem Gartenstuhl und schlurft auf uns zu, um Hi zu sagen, wobei sein Blick wie üblich zwischen meinem Gesicht und den Spitzen seiner Schuhe hin- und herzuckt. Kris eben. Als er mir die Hand hinstreckt, umarme ich ihn, was er reichlich steif erwidert. Aber unangenehm scheint es ihm trotzdem nicht zu sein.

Plötzlich ertönt ein weiteres Kreischen, und Kris löst sich sofort aus der Umarmung, als habe ihn jemand bei etwas Verbotenem ertappt. Dann sieht er mich mit einem schiefen Grinsen an, ich glaube fast, er ist ein bisschen rot geworden. Sieh mal an.

Arme packen mich von hinten und ich werde herumgewirbelt, dann landet mein Blick im strahlenden Gesicht einer hübschen Frau von schätzungsweise Anfang dreißig. Brünett, endlos lange Haare und einen Kranz aus Gänseblümchen auf dem Kopf. Grüne, irgendwie erstaunt wirkende Katzenaugen, die komplett mit Eyeliner umrandet sind. Dazu eine Art Zigeunerbluse und Jeans, die ihre langen Beine betonen. Das muss demnach Tante Janis sein.

»Das ist sie, oder?«, fragt sie Liz und lässt dabei ihre Augen keinen Moment von mir. »Oh, sie ist sooo hübsch! Ein richtiger Diamant, Liz! Lass dich drücken, Mädchen!«

Was sie dann auch tut. Ich rieche ihr blumiges, sehr weibliches Parfum, gemischt mit dem starken Geruch von Alkohol und etwas anderem, süßlichen. Was vermutlich die auffallend großen Pupillen erklärt, aus denen sie mich vorhin angeschaut hat. Genau wie Liz scheint sie mich gar nicht wieder loslassen zu wollen.

»Hey«, sagt Liz lachend. »Jetzt lass sie doch erst mal ankommen!«

Also lässt Tante Janis mich dann doch wieder los, hält mich aber an den Händen und schaut mich an, scheint den Anblick richtiggehend in sich aufzusaugen, bevor sie schließlich sagt: »Hi, Adi. Ich bin Janis. Willkommen auf der Feier! Getränke und Snacks stehen auf den Tischen, es gibt einen Grill, und wenn du sonst noch etwas brauchst, rufst du einfach nach mir, okay? Ich bin immer irgendwo in der Nähe.«

Ich nicke.

»Gut, Liebes«, sagt sie. »Dann hab ganz viel Spaß, ja?«

Nachdem sie noch mal fest meine Hände gedrückt hat, dreht sie sich um und geht mit leicht schwankenden Schritten ins Haus, wo schon ein paar der anderen Gäste auf sie warten, versammelt um einen Glaskolben von gigantischen Ausmaßen.

»Tja«, sagt Liz. »Jetzt kennst du Janis. Hast du Hunger, Supergirl?«

»Und wie! Aber hör endlich auf, mich so zu nennen.«

»Okay, Supergirl.«

Während wir zum Grill hinübergehen, kommt ein Typ auf uns zu. Ich erkenne ihn, er ist derjenige von Tante Janis’ Freunden, der mich mit seinem Auto zu dieser Party im Jugendclub gefahren hat. Eine Party, bei der so einige Dinge ins Rollen gekommen sind, wenn man mal drüber nachdenkt. Das alles scheint inzwischen schon eine Ewigkeit her zu sein, so vieles hat sich in der Zwischenzeit geändert.

»Marco«, sagt Liz. »Du erinnerst dich an Adi? Ihr kennt euch ja.«

»Hi!«, sage ich, und er nickt mir abwesend zu, als habe er keinen blassen Schimmer mehr davon, dass er mich mal auf eine halsbrecherische Spritztour in seinem protzigen Amischlitten mitgenommen hat. Vielleicht hat er auch schlicht kein Interesse, sich mit mir zu unterhalten. Stattdessen scheint er sich viel mehr für Kris zu interessieren, der Liz und mich auf unserem Weg zu den Getränken begleitet.

»Ey, Kris, haste mal ’ne Sekunde?«, fragt er in seine Richtung.

»Äh … ja«, sagt dieser vorsichtig. »Klar. Warum denn?«

»Du hast Plan von Computern und so was, sagt Lisbeth?« Kein Mensch an der Schule nennt sie Lisbeth, was eigentlich schade ist, denn ich finde, das ist ein viel schönerer Name als Lizzie. Speziell, wenn man die Herkunft ihres Spitznamens bedenkt.

»Na ja«, sagt Kris ausweichend. »Also ein bisschen vielleicht …«

»Cool, Mann«, unterbricht ihn Marco. »Komm doch mal mit, ich hab da ein Problem mit meinem Handy, Mann. Ich hab den scheiß Entsperrcode im Suff geändert, auf ’nem Gig, und ihn dann vergessen, und jetzt … na ja, jetzt komm ich nicht rein in das verdammte Ding.«

»Ihr entschuldigt uns«, sagt Liz kopfschüttelnd, verdreht die Augen und zieht mich zum Grill weiter. Jungsgespräche. Wobei es auf mich so wirkt, als wäre Kris ebenfalls lieber bei uns geblieben, aber Marco hat ihn schon voll in Beschlag genommen.

6

KRIS

Freitag,

18. September

16:30 Uhr

Marco, der wohl so was wie der aktuelle Freund von Liz’ Tante ist, erklärt mir gerade zum zehnten Mal, was ich doch für ein krasser Hacker bin und wie sehr ich ihm aus der Klemme helfen würde. Offenbar denkt er, dass ich ihm die dumme Geschichte glaube, dass er den Sperrcode seines Handys versehentlich selbst verstellt hat. Dann müsste ich aber auch glauben, dass er sich ein niedliches Katzenfoto als Hintergrundbild eingerichtet hat und sechzig Prozent seiner Telefonkontakte unter Namen wie »Mausi«, »Schatz« und »Hasi« abgespeichert hat, was aber überhaupt nicht zu ihm passt, dann schon eher irgendwelche halbnackten Frauen auf Harleys mit Totenkopflackierung auf dem Tank.

Dummerweise hat er jedoch etwas für mich im Kofferraum seines Wagens, das er mir später geben will, also kann ich ihm jetzt schlecht meine Hilfe verweigern. Etwas, das ich brauche, um mich um meine Probleme zu kümmern, also ist es wohl okay, wenn ich mich jetzt auch mal um seine kümmere. Zumal es leichter ist, so ein Handy zu knacken, als viele glauben. Mit etwas Hilfe aus dem Internet, wenn man weiß, wo man danach suchen muss. Aber Typen wie Marco sind eben selbst dafür zu dämlich und im Moment ist mir dieser Umstand äußerst nützlich. Für den Typ bin ich wohl so was wie ein Genie, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, gerade eine Straftat zu begehen.

Marco ist Gitarrist in einer Rock-Coverband und viel unterwegs, was er nicht müde wird, jedem zu erzählen, der nicht schnell genug das Weite sucht. Als er es mir erzählte, hat er mir dabei verschwörerisch zugezwinkert. Ich habe keine Ahnung, was genau dieses Zwinkern bedeuten sollte. Vielleicht, dass er noch ein paar andere Freundinnen außer Tante Janis nebenher hat, während er mit seiner Band auf Tour ist. Auch dafür wäre er vermutlich genau der Typ, aber was juckt das mich? Vielleicht soll es auch ein Hinweis auf den Konsum von Gras oder anderen Drogen sein, und er glaubt, dass ihn das in meinen Augen cooler erscheinen lässt.

Was für ein Idiot.

Inzwischen verfluche ich mich für die Dummheit, mich mit diesem Typen überhaupt eingelassen zu haben; aber mir war einfach niemand anderer eingefallen, der einem so was besorgen kann, wie ich es brauche. Zum gefühlt hundertsten Mal erklärt er mir gerade, dass er einfach ständig seinen Sperrcode vergisst, angeblich hat er einfach »überhaupt kein Zahlengedächtnis«.

Ja, schon klar.

Dabei ist das Handy eine ziemlich alte Möhre und daher nicht wirklich schwer zu knacken, man findet die Anleitung wirklich überall im Netz. Ich denke mal, wenn er das nächste Mal auf Tour geht, wird er sich vielleicht ein besseres Gerät besorgen, das er einem der besoffenen Gäste an den Biertischen aus der Tasche zieht. Aber dann werde ich hoffentlich ganz woanders sein, wenn er wieder »seinen Sperrcode vergessen« hat.

Andererseits ist man ja auch irgendwie selbst schuld, wenn man heutzutage nicht auf sein Handy achtet, bei all den persönlichen Daten, die da drauf sind.

Jedenfalls hoffe ich, dass er mir endlich das aushändigt, was er mir versprochen hat, nachdem ich das Ding schließlich geknackt habe und es ihm zurückgebe. Ich will wenigstens noch ein paar Minuten auf dieser Feier mit jemand anderem verbringen als mit diesem Blödmann, aber das geht natürlich komplett nach hinten los.

Nachdem er für ein paar Minuten überglücklich und völlig wahllos auf irgendwelchen Apps herumgetippt hat, mache ich Anstalten aufzustehen, um mich zu Liz und Adi am Grill zu gesellen, die dort einen Riesenspaß zu haben scheinen.

Aber nein.

»Ey, warte mal, Großer«, sagt er und hält mich am Arm fest. »Wie hast’n du das gemacht? Das mit dem Sperrbildschirm, meine ich?«

O nein. »Äh, das ist ziemlich kompliziert«, lüge ich. Andererseits ist es wohl keine allzu krasse Lüge, wenn man das Technikverständnis dieses Typen bedenkt. Für den ist es vermutlich schon ziemlich kompliziert, überhaupt ein Smartphone zu bedienen, geschweige denn ein gerootetes. Aber das ist hoffentlich schon bald nicht mehr mein Problem.

Ich versuche also, ihm in möglichst einfachen Worten zu erklären, wie man das Teil mittels Jailbreak rooten kann, aber mir wird ziemlich schnell klar, dass er kein einziges Wort davon kapiert. Wenn das so weitergeht, sitze ich noch um Mitternacht hier herum und versuche, es ihm zu erklären. Tolle Feier.

Ich schaue sehnsüchtig zu Adi und Liz hinüber und ertappe mich bei dem Gedanken, was für krass hübsche Beine Adi in diesen Jeansshorts hat und wie schön es war, vorhin von ihr umarmt zu werden – wenn ich auch nicht damit gerechnet hatte und ich mich bestimmt wieder ganz schön blamiert habe, weil mich solche überraschende Körpernähe immer erstarren lässt, ich gehe dann richtig in Kälteschock, in unserer Familie umarmt man sich nämlich nicht. Und Liz hat recht, ihre neue Frisur ist der Hammer, damit sieht sie echt umwerfend aus.

»Ey, stehst du auf die, Mann?«, sagt Marco grinsend. Dummerweise hat er kurz von seinem geklauten Spielzeug aufgesehen und meinen Blick bemerkt. Mist. »Soll ich mal ein gutes Wort für dich bei ihr einlegen, Großer?«, fragt er und kichert.

Klar doch, das wäre dann wohl der Gipfel der Peinlichkeit.

Ich tue cool, schüttle den Kopf und sehe woandershin, während er, immer noch kichernd über seine eigene dumme Bemerkung, wieder völlig planlos auf dem Handy herumtippt.

Mir ist natürlich klar, dass Adi in mir nie etwas anderes sehen wird als Liz’ Kumpel, der eben irgendwie dazugehört, eine Art Anhängsel, ein notwendiges Übel. Ich bin nun mal nicht der Typ, bei dem Mädchen reihenweise in Ohnmacht fallen. Das funktioniert nur bei Idioten wie dem, der gerade neben mir zu fluchen anfängt, weil er es zum x-ten Mal geschafft hat, das Handy aus Versehen herunterzufahren. Ja, Mädels stehen eben auf echte Siegertypen.

»Wegen der anderen Sache …«, versuche ich ihn an seinen Teil der Abmachung zu erinnern, der immer noch im Kofferraum seines riesigen Straßenkreuzers liegt und hoffentlich nicht nur ein dämliches Plastikspielzeug ist. Zuzutrauen wäre es ihm.

»Ja, gleich, Großer«, sagt er. »Lass mich nur noch mal versuchen, das Scheißding hier selbst zu knacken, dann geb ich’s echt auf, Mann.« Dann beginnt er wieder, wahllos auf dem Display herumzutippen.

Als ich den Blick wieder zum Grill hebe, sind die Mädchen von dort verschwunden, dann sehe ich Liz plötzlich aus der Menge auftauchen. Sie bewegt sich gerade in Richtung Laptop, der mit der Stereoanlage verbunden ist, die sie zusammen mit ihrer Tante in den Garten geschleppt hatte. Dazu gehören riesige Boxen. Sie stammen wohl ursprünglich von einer Beschallungsanlage, Marco hat sie aus dem Bestand seiner Band beigesteuert, wie er behauptet. Liz’ Tante, die man nie ohne etwas zu trinken in der Hand sieht, hat seit dem frühen Nachmittag einen leicht schwankenden Gang, und vorhin, als sie Adi begrüßt hat, ist sie ihr um den Hals gefallen, als wäre Adi ihre seit Jahrzehnten verschollene Schwester. Das war richtig peinlich, und ich hoffe für Liz, dass es Adi nicht aufgefallen ist.

In diesem Moment sehe ich Liz hinter dem Laptop hervorgrinsen und weiß, das kann nichts Gutes bedeuten. Schon erklingen die ersten Akkorde von diesem uralten kitschigen Song. Mir wird schlecht.

»Ey, Alter, mach die Scheiße aus!«, brüllt Marco sofort neben mir los und springt lachend auf, um Liz hinterherzurennen, die quietschend vor ihm Reißaus nimmt, als wären sie beide plötzlich wieder zehn oder so. Das Handy liegt vergessen auf dem Sitz des Gartenstuhls und ist mal wieder runtergefahren. Endlich kann ich mich verdrücken und mich irgendwo eine Weile vor diesem Vollidioten verstecken. Dann werde ich ihn eben später noch mal dran erinnern, dass er mir noch etwas geben wollte.

Der Song ist Super Girl von Reamonn, irgend so eine Schnulze aus den Neunzigern, glaube ich. Das zielt natürlich komplett in Adis Richtung, denn mit ihr haben wir seit der Sache im Jugendclub eine richtige Superheldin an der Schule.

Als sie kurz darauf von Liz auf die freie Fläche in der Mitte des Gartens gezogen wird, macht sie ein Gesicht, als würde sie am liebsten vor Scham im Boden versinken, was ich gut nachvollziehen kann und mal wieder sehr sympathisch finde, abgesehen von ihren Wahnsinns-Beinen.

Die Leute rasten völlig aus. Und dann fangen sie auch noch an, im Takt zu klatschen, während sich Liz und Adi einen abtanzen.

Vollidioten eben.

7

LIZ

Freitag,

18. September

18:00 Uhr