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Formierungen des Interface E-Book

Sabine Wirth

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Beschreibung

In der digitalen Medienkultur interagieren wir ständig mit Interfaces: Sie sind so ubiquitär und alltäglich, dass sie uns oft gar nicht mehr auffallen, dabei verfügen sie über eine eigenmächtige Agency. Sabine Wirth nimmt die Vermittlungsleistung von User Interfaces in ihrer geschichtlichen Genese in den Blick und erarbeitet aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive ein Theoretisierungsangebot für die veralltäglichten Verhältnisse von Mensch und Computer. Anhand der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Personal Computing und ihrer zunehmenden Auflösung zeigt sie, welch besondere Bedeutung User Interfaces als konkreten Medienumgebungen im Rahmen größerer Dispositive der Handhabung zukommt.

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Seitenzahl: 431

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabine Wirth

Formierungen des Interface

Zur Mediengeschichte und -theorie des Personal Computing

Der vorliegende Text wurde im Sommersemester 2019 unter dem Titel »Dispositive der Handhabung: Zur Medialität des User Interface« am Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation im Fach Medienwissenschaft angenommen und erscheint nun in leicht überarbeiteter Fassung. Erstgutachter: Prof. Dr. Jens Ruchatz Zweitgutachter: Prof. Dr. Malte Hagener Die Dissertation wurde gefördert durch ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell.

https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2024 im transcript Verlag, Bielefeld © Sabine Wirth

transcript Verlag | Hermannstraße 26 | D-33602 Bielefeld | [email protected]

Umschlaggestaltung: Luise Spielhagen Umschlagabbildung: Luise Spielhagen Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlarhttps://doi.org/10.14361/9783839473818 Print-ISBN: 978-3-8376-7381-4 PDF-ISBN: 978-3-8394-7381-8 EPUB-ISBN: 978-3-7328-7381-4 Buchreihen-ISSN: 2702-8852 Buchreihen-eISSN: 2702-8860

Inhalt

1.Selbstverständlichkeiten – oder: Personal Computing Interfaces

2.Computer-User Interface: Drei disziplinäre Verortungen

2.1Die medienwissenschaftliche Debatte um den Computer als Medium

2.1.1Universalmedium Computer: Zur Debatte der 1990er Jahre

2.1.2Die verdächtigen Oberflächen: Zum Verständnis des Computers als Gehäuse, Black Box und Benutzeroberfläche

2.2Veralltäglichung von Computertechnologie: Sozialwissenschaftliche Anschlussstellen

2.2.1Alltag mit technischen Medien

2.2.2Computer gebrauchen: Nutzer:innen und ihre Praktiken

2.3Das Computer-User Interface als Gegenstand der Gestaltung: Zur Institutionalisierung der HCI

2.3.1Fragen der guten Bedienbarkeit: Human Factors and Ergonomics

2.3.2›Designing interactions‹: Die Institutionalisierung der HCI

2.4Zwischenfazit: Drei disziplinäre Verortungen

3.User Interfaces und Dispositive der Handhabung

3.1Konturierung des Interface-Begriffs

3.1.1Begriffsgeschichte des Interface: Von der Thermodynamik zum dynamischen Technikverhältnis

3.1.2User Interface: Eine medienkulturwissenschaftliche Konturierung

3.2Dispositive der Handhabung

3.2.1Zur Produktivität des Dispositivbegriffs in der Medienwissenschaft

3.2.2Handhaben und Zuhandenheit

3.2.3Die Zuhandenheiten von User Interfaces – oder: Dispositive der Handhabung nach dem Werkzeug

4.Personal Computing und Personal User Interfaces

4.1›Personal tools‹: Zu den Anfängen des Personal Computing

4.1.1Zur Neubewertung von Computertechnologie in der USamerikanischen Gegenkultur

4.1.2Frühe Konzepte des Computers als ›personal tool‹: Vom Memex zu Engelbarts Einkaufsliste

4.1.3Der Computer als Bild(schirm)medium: Grafische Echtzeit-Interaktion

4.2Von der ›computer literacy‹ zu ›user-friendly‹ User Interfaces

4.2.1›Imagined users‹: Zur Entwicklung neuer Nutzungskonzepte

4.2.2›User-friendly‹ Interfaces: Desktops, WIMP & WYSIWYG

4.2.3Zuhandenheiten: Ästhetik der Verfügbarkeit und operative Bildlichkeit

4.3Domestizierung und Veralltäglichung des Personal Computing

4.3.1›The computer moves in‹: Diskursive Domestizierung und gegenkultureller Pathos in der Computerwerbung

4.3.2Aneignungsformen: Sich einrichten im Interface

4.4Beyond Desktops: Zur Mobilisierung, Verdichtung und Auflösung des Personal Computing

4.4.1Die Mobilisierung des Personal Computing

4.4.2Verdichtung und Übersteigerung des Personal Computing

5.Post-Interface? Zur Fluididät und Widerständigkeit von Dispositiven der Handhabung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Dank

1. Selbstverständlichkeiten – oder: Personal Computing Interfaces

»To access this computer, you need to enter your password«.Der Startsound des Betriebssystems Microsoft Windows ertönt und Noahs Desktop mit personalisiertem Hintergrundbild erscheint – ein Knipserbild von Noah und seiner Freundin Amy in inniger Vertrautheit neben einer Rolltreppe sitzend. Daneben werden zahlreiche Programmicons sichtbar: Ordner, Bild-, Audio- und Textdateien. Noah öffnet den Browser Google Chrome – im ersten Tab die Webseite Youporn.com, im zweiten Tab Facebook.com – und beginnt mit seiner Freundin Amy zu chatten, während nebenbei ein Amateur-Porno-Clip läuft. Als die beiden skypen (nachdem Noah den Sound des Porno-Videos ausgestellt hat) erzählt er Amy, dass er gerade nach süßen Katzenvideos für sie gesucht hätte – was er parallel zu ihrer Unterhaltung dann auch macht. Als die Skype-Verbindung abbricht und Amy auf keinem der vielen Kanäle mehr reagiert, sucht Noah, der nun vermutet, dass sie mit ihm Schluss machen will, auf Amys Facebook-Profil nach Indizien, die seinen Verdacht bestätigen. Schließlich loggt er sich mit Amys Passwort in ihren Facebook-Account ein und findet in der Inbox Nachrichten des vermeintlichen Nebenbuhlers, woraufhin er ihren Facebook-Status auf ›Single‹ stellt … so nimmt das Facebook-Liebes- und Eifersuchtsdrama seinen Lauf bis Noah von Amy blockiert wird und sich seine Zeit beim Chat Roulette vertreibt, wo er eine weitere junge Frau kennenlernt, mit der er sich über die Schwierigkeiten der Kommunikation in Zeiten des Internets unterhält.

So imaginiert der im September 2013 im Rahmen des Toronto Film Festival erstmals gezeigte Kurzfilm NOAH eine alltägliche Interface-Situation der 2010er Jahre: die Handlung spielt sich einzig und allein auf dem Desktop (und dem eingeblendeten Bildschirm des Smartphones) des 17-jährigen Protagonisten Noah Lennox ab.1 Der Film unternimmt den Versuch, in kondensierter Weise vor Augen zu führen, was den computerbasierten Medienalltag im 21. Jahrhundert ausmacht: ein vielschichtiges und teils verwirrendes Gefüge aus User Interfaces, die zum Ort multipler, simultaner Medienpraktiken für Alltagsnutzer:innen werden. Der Desktop wird hier zu einem Ort der Montage und des Nebeneinanders mehrerer Kommunikationsräume: Fenster, die verschiedene operative Funktionen erfüllen und unterschiedliche Formen der Rezeption, Produktion und Kommunikation ermöglichen, stehen neben- und hintereinander. Sie bilden eine räumliche, audiovisuelle Ordnung von Funktionseinheiten, in der Nutzer:innen in einem abgesteckten Rahmen operieren können und – das ist für die vorliegende Arbeit entscheidend – in denen sie sich persönlich einrichten.

Das Interagieren mit digitaler Computertechnologie ist in postindustriellen Gesellschaften so alltäglich geworden, dass uns fast nicht mehr auffällt, dass es sich dabei um den Gebrauch komplexer technischer Infrastrukturen handelt. Es gehört zur alltäglichen Routine, dass wir unsere PCs, Laptops, Tablets oder Smartphones einschalten (bzw. sie lediglich aus dem Schlummer-Modus, dem ständigen Stand-by erwecken), um Emails zu schreiben, Nachrichten zu tippen, Sprachnachrichten aufzunehmen, über WhatsApp oder Snapchat zu chatten, auf Webseiten herumzubrowsen, irgendetwas zu googeln, in Blogeinträgen zu stöbern, Artikel auf Wikipedia zu lesen, über Facebook oder X etwas zu teilen, Instagram- oder TikTok-Feeds durchzuscrollen, ein paar Clips auf Youtube anzusehen, in Online-Mediatheken fernzusehen, Filme oder Serien zu streamen oder irgendetwas in diversen Online-Shops zu bestellen, um nur einige der unendlich scheinenden Handlungs- und Interaktionsmöglichkeiten in digitalen Medienkulturen zu nennen. Doch was genau formiert eigentlich unseren alltäglichen Umgang mit Computern und computerbasierten Anwendungen? Die hier aufgezählten Aktivitäten basieren auf einem ähnlichen Prinzip: als Alltagspraktiken werden sie über User Interface-Anordnungen ausgeführt, die auf uns persönlichzugeschnitten sind – oder es zumindest zu sein scheinen.

Der oben skizzierte Desktopfilm führt eine zugespitzte, künstlerische Interpretation genau dieses Aspekts vor Augen: durch seine vielfältigen User Interfaces wird der Computer ein persönliches Medium – ein Umstand, der sich im Begriff des Personal Computers historisch verankert hat. Natürlich steht die filmische Darstellung nicht stellvertretend für empirisch zu erforschendes Nutzer:innenverhalten und gibt eine fiktionale Sichtweise wieder, nichtsdestotrotz markiert der Film die Relevanz des Computers als Medium, das alltägliche Kommunikationspraktiken entschieden strukturiert und affordiert. Auch wenn im öffentlichen Politikdiskurs an einigen Stellen noch von »Digitalisierung« oder »digitalem Wandel« gesprochen wird, als wäre dieser Prozess noch im Vollzug und zu verstehen als etwas, worauf die Gesellschaft erst noch vorbereitet werden müsse2, zeigen filmische Arbeiten wie NOAH im Jahr 2013 bereits, dass veralltäglichte Anordnungen von User Interfaces und das in ihnen zum Ausdruck kommende Verfügbarkeitsverhältnis zu digitaler Technologie längst historisiert werden müssen.

Aus medienwissenschaftlicher Perspektive wirft diese filmische Darstellung des Desktop-Geschehens jenseits der in der Filmnarration fokussierten Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Kommunikationsprozessen die übergeordnete Frage nach der spezifischen Medialität der dargestellten Szenen auf. Zwei zentrale Komponenten sind dabei als konstitutiv hervorzuheben: Die Anordnungen des User Interface und die damit verknüpften Handhabungsweisen. Indem das Filmbeispiel ausstellt, dass User Interfaces des Personal Computing und die damit verknüpften Handhabungsweisen und -routinen als selbstverständliche Bestandteile des Alltags wirksam werden, regt es dazu an diese Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Der Gebrauch von Computern oder computerbasierten Anwendungen ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem integralen Bestandteil des Alltagslebens geworden. Computer treten längst nicht mehr nur als klar definierbare und abgrenzbare Einheiten oder als technische Artefakte in Erscheinung. Stattdessen bilden vernetzte Digitalrechner die infrastrukturelle Grundlage für eine populäre, überbordende Bildschirmkultur, eine Vielzahl an Benutzeroberflächen mit unterschiedlichsten Interaktionsangeboten. Die Medienwissenschaft stellt das vor die grundlegende Herausforderung, die neuen, veralltäglichten Verhältnisse zwischen Menschen und Computertechnologie in ihrer Vielfältigkeit theoretisch und historiographisch zu erfassen. Wer oder was legt also fest, wie wir mit Computern und ihrem operativen Potential im Alltag umgehen? Die zentrale Ausgangsüberlegung der vorliegenden Arbeit ist, dass das spezifische Verhältnis von Computertechnologie und den sich auf dieser Basis medienkulturell ausprägenden Handlungsweisen eine Geschichte – oder vielmehr: vielschichtige sich überlagernde Geschichten – hat, die sich als Formierungen von Dispositiven der Handhabung beschreiben lassen. Eine dieser Formierungsgeschichten ist die des Personal Computing – einer popularisierten, auf Personalisierung ausgerichteten Form der Computernutzung, die sich als dominante Konstellation für die veralltäglichte Computernutzung des 20. und 21. Jahrhunderts erwiesen hat und beispielhaft in der hier skizzierten filmischen Imagination zum Tragen kommt. Es stellt sich also die Frage, wie sich die Medialität populärer, veralltäglichter und damit selbstverständlich gewordener Formen der Computernutzung treffend beschreiben lässt. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur Erschließung dieser digitalen Medienkultur und ihrer Geschichte, indem sie insbesondere die Kategorie des User Interface in den Blick nimmt und ein Theoretisierungsangebot dafür bereitstellt.

Hierzu befragt das erste Kapitel zunächst drei verschiedene Disziplinen, die sich explizit mit der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mensch und Computer befassen und bereits Ansatzpunkte für eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der (veralltäglichten) Medialität von Computertechnologie geliefert haben. Zu diesen zählt zum einen die innerhalb der deutschsprachigen Medienwissenschaft und Kulturtechnikforschung schwerpunktmäßig in den 1990er Jahren geführte Debatte um den Computer als Medium. Vor allem die prominente Position Friedrich Kittlers und ihre prägende Funktion für das Verständnis des Computers als Universalmedium und die daran anschließende Konzeptualisierung der ›verdächtigen Oberflächen‹ wird hier vorgestellt und diskutiert. Die zweite Disziplin, die Anschlüsse liefert, ist die sozialwissenschaftliche Technikforschung. Hier wird der Computer vor allem als Alltagsmedium fokussiert, welches sich erst durch den Gebrauch als solches konstituiert und damit werden Nutzer:innenpraktiken ins Zentrum des Interesses gerückt. Die dritte Disziplin, die sich mit einer Verhältnisbestimmung von Nutzer:innen und Computern nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch befasst, ist die Human-Computer Interaction (HCI), die sich in den 1980er Jahren als Disziplin formiert und einige interessante Überschneidungspunkte mit der sozialwissenschaftlichen Forschung aufweist. Dabei wird zum einen gefragt, wie das User Interface zu einem expliziten Gegenstand der Gestaltung wird und inwiefern sich die HCI von der Ergonomie ein Stück weit emanzipiert, aber ihren Zielen doch auch verhaftet bleibt. Neben der interdisziplinären Verortung des Themenfeldes gibt das Kapitel zugleich einen breiten Überblick über bereits erarbeitete Forschungsbestände. Alle der vorgestellten disziplinären Denkhorizonte liefern wertvolle Ansätze, um der oben aufgeworfenen Frage ein Stück näher zu kommen. Wie ich jedoch zeigen werde, werfen die drei disziplinären Verortungen zugleich Problemkonstellationen auf, wenn man sie im Hinblick auf eine medienkulturwissenschaftliche Erschließung der alltäglichen Erscheinungsweisen von Prozessen des Computing in Stellung bringen möchte, die insbesondere die vermittelnde Funktion von User Interfaces befragt.

Das dritte Kapitel widmet sich daher dem Entwurf eines eigenen Ansatzes für eine Perspektivierung der Geschichte populärer Formen des Computing. Die Leitfrage ist dabei: Wie lassen sich User Interfaces konzeptualisieren und welchen Beitrag zur Erschließung der Geschichte populärer User Interfaces und der mit ihnen verknüpften Formen der Handhabung kann eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive leisten? Um die Medialität des Computers von der Kategorie des User Interface aus zu denken, erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Begriffs Interface, die sich insbesondere in die Physik des 19. Jahrhunderts, speziell die Thermodynamik, zurückverfolgen lässt. Im zweiten Schritt folgt dann ein spezifizierter medienkulturwissenschaftlicher Zuschnitt auf den Begriff des User Interface.

Nach der Entwicklung eines dynamisch-relationalen Interface-Begriffs, der sich bereits auf produktive medientheoretische Vorarbeiten stützen kann, wird im nächsten Unterkapitel das Konzept der Dispositive der Handhabung entfaltet. Anschließend an die Diskussion der nicht unproblematischen Verwendungsweisen des Dispositivbegriffs innerhalb der Medienwissenschaft wird der Dispositivbegriff auf seine möglichen Beschreibungsleistungen im Hinblick auf User Interfaces befragt. Dabei wird vor allem deutlich, dass die Perspektivierung auf übergeordnete Fragen der Formierung, die der Dispositivbegriff nach Foucault erlaubt, durch die Frage nach konkreten Handhabungsweisen ergänzt werden muss, um computerbasierte Anwendungskontexte in ihrem operativen Potential adäquater beschreiben zu können. Ausgehend von Heideggers Begriff der Zuhandenheit werden Ansätze der phänomenologischen sowie der anthropologischen Techniktheorie erschlossen, die nach den materiellen und körperlichen Relationen im Umgang mit technischen Objekten fragen. Gegen eine Regressionsgeschichte der Hand und der These der zunehmenden Entfernung vom Handwerk durch die fortschreitende Technikentwicklung wird vielmehr der Anschluss an jüngere Ausrichtungen der Kulturtechnikforschung gesucht, die – ähnlich wie die Akteur-Netzwerk-Theorie – über ein instrumentelles Technikverständnis hinaus gehen.

Mit der vorgestellten Fokussierung auf Dispositive der Handhabung lässt sich die Frage stellen, inwiefern für die Popularisierung von Computertechnologie die Generierung von Subjektpositionen eine Rolle spielt und wo sich diese Positionierungen ereignen, obwohl die Operativität vernetzter Computer auf den ersten Blick ein Motor für die Auflösung ebensolcher Positionierungen zu sein scheint. Mit der so erarbeiteten Frageperspektive können Handhabungsdispositive untersucht werden, die den Umgang mit populären User Interfaces formieren, wobei User Interfaces als performative Medienumgebungen stets auch selbst an der Festschreibung und Formierung dieser Dispositive mitwirken.

Im vierten Kapitel wird die theoretische Konzeptualisierung von Dispositiven der Handhabung als Frageperspektive für die Auseinandersetzung mit der Geschichte der User Interfaces des ›Popular Computing‹3 anhand der Herausbildung des Handhabungsdispositivs des Personal Computing auf ihre Tauglichkeit hin geprüft. Die Formierung des Handhabungsdispositivs des Personal Computing ist daher nur ein Beispiel und die Produktivität der erarbeiteten Frageperspektive – so das formulierte Ziel dieser Arbeit – könnte ebenso anhand anderer Handhabungsdispositive (wie z. B. des Mobile Computing) aufgezeigt werden. Dennoch ist die Formierung des Personal Computing kein beliebiges Beispiel, sondern bildet vielmehr die Grundlage für die Popularisierung und feste Verankerung von Computertechnologie im Alltag. Das Handhabungsdispositiv des Personal Computing erweist sich als dominante kulturelle Formation, die Umgangsweisen mit und Verhältnisse zu Computern sowie User Interface-Anordnungen hervorgebracht hat, welche bis in die Gegenwart wirksam sind, auch wenn sie sich zunehmend mit alternativen Handhabungsdispositiven überschneiden.

In der Beschreibung der historischen Formierung des Handhabungsdispositivs Personal Computing geht es vor allem darum zu fragen, welche Elemente an dieser Formierung mitarbeiten, die lange vor der konkreten Entwicklung und Umsetzung von User Interfaces des Personal Computers beginnt. So wird zunächst zu beschreiben sein, wie in den 1960er Jahren eine neue Perspektive auf Computertechnologie innerhalb gegenkultureller Diskurse entsteht, die sich auf personalisierte Formen des Technikgebrauchs ausrichtet und das Idealbild der mündigen Nutzerin ins Spiel bringt. Im Anschluss daran werden die innerhalb der Computergeschichtsschreibung oft als kanonisch referierten frühen Visionen einer personalisierten Computernutzung bei Vannevar Bush, J. C. R. Licklider und Douglas Engelbart auf ihren Beitrag für eine neue Bestimmung des Verhältnisses zwischen menschlicher Nutzerin und Computer befragt, welche sich grundlegend von den etablierten, ›operateurshaften‹ Mensch-Technik-Verhältnissen der Mainframe-Ära unterscheiden. Ein weiterer wichtiger historischer Schritt für die Formierung des Handhabungsdispositivs Personal Computing ist die sowohl bei Bush, Licklider und Engelbart ins Zentrum gestellte Interaktion über Echtzeit-Bildschirme, welches die Zeitlichkeit der Mensch-Computer-Interaktion thematisch werden lässt. Daher wird die spezifische Ausrichtung des Computers als Bildmedium ebenfalls historisiert und erläutert, inwiefern Echtzeit-Interaktion die Grundlage für die Interaktionsprinzipien des Personal Computing bildet.

Nach diesem Blick auf die Vorarbeiten und frühen Visionen des Personal Computing zeichnet das darauffolgende Kapitel die Entwicklung erster Personal Computer und zugehöriger User Interface-Entwürfe nach, die ab den 1970er Jahren im Rahmen des Xerox Palo Alto Research Center (PARC) entstanden und in den 1980er Jahren in Form kommerziell erwerblicher Personal Computer von Firmen wie Apple oder Microsoft auf den Markt gebracht und vertrieben wurden. Dabei soll erschlossen werden, inwiefern sich bestimmte Konzeptionen von Nutzung (›imagined users‹) und spezifische Interaktionskonzepte (wie ›user-friendliness‹ oder ›usability‹) in die Gestaltung von User Interfaces einschreiben. Neben der historischen Formierung werden die Handhabungsweisen, die Graphical User Interfaces (GUIs) anbieten, auch auf konzeptueller Ebene als Ästhetik der Verfügbarkeit diskutiert und nach der operativen Bildlichkeit dieser Anordnungen gefragt.

Ein weiteres wichtiges Element für die Sedimentierung des Personal Computing ist die insbesondere im Werbediskurs thematisierte Domestizierung des Personal Computers und die dort verhandelte Frage, was Nutzer:innen im Alltag mit einem solchen Gerät eigentlich anfangen können. Komplementär dazu werden mögliche Aneignungsweisen des Personal Computing durch Nutzer:innen diskutiert, welche ebenfalls an der Formierung des Handhabungsdispositivs mitwirken. Im letzten Schritt stellt sich schließlich die Frage, ob und auf welche Weise das Handhabungsdispositiv des Personal Computing auch in der gegenwärtigen digitalen Medienkultur noch wirksam ist. Dabei lassen sich einerseits übersteigerte Verdichtungen, aber auch Auflösungstendenzen beobachten, die die Frage nach dem Handhabungsdispositiv des Personal Computing neu ausrichten.

1 Der Kurzfilm NOAH(R: Walter Woodman/Patrick Cederberg, Kanada, 2013) ist über Vimeo.com abrufbar: https://vimeo.com/65935223 (aufgerufen am 29.04.2019).

2 In der Umsetzungsstrategie zur Gestaltung des digitalen Wandels, die auf der Webseite der deutschen Bundesregierung abrufbar ist, heißt es im Jahr 2019 einleitend: »Der digitale Wandel verändert unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu lernen fundamental und mit rasanter Geschwindigkeit. Wir – die Bundesregierung – wollen diesen Wandel gestalten und unser Land auf die Zukunft bestmöglich vorbereiten.« (»Digitalisierung gestalten. Umsetzungsstrategie der Bundesregierung« (Berlin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, März 2019), 4, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digital-made-in-deaufgerufen am 05.04.2019).

3 ›Popular Computing‹ wird hier als Sammelbegriff für populäre Formen der Computernutzung genutzt, die sich ausgehend von der Kommerzialisierung des Personal Computers ab den 1980er Jahren ausdifferenziert haben. Der Begriff dient nicht als klare Umschreibung einer historisch exakt umrissenen Phase der Computerentwicklung, sondern vielmehr als Behelfsbegriff, der auf die Veralltäglichung von Computertechnologie und die Ausrichtung von User Interfaces auf ›Endnutzer:innen‹ bzw. ›everyday users‹ fokussiert.

2. Computer-User Interface: Drei disziplinäre Verortungen

Um einen Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit User Interfaces als Formationen populärer Computernutzung zu finden, skizziert dieses einführende Kapitel Überlegungen aus drei verschiedenen Disziplinen, die sich bisher mit der Frage nach der (alltäglichen) Medialität des Computers beschäftigt und dabei implizit oder explizit Konzeptionen und Erscheinungsweisen des Computer-User Interface verhandelt haben: Zum einen die schwerpunktmäßig in den 1990er Jahren geführte medienwissenschaftliche Debatte um den Computer als Medium und die vermeintliche und kritikwürdige Opazität seiner Oberflächen; zweitens die sozialwissenschaftliche Fokussierung auf die Sedimentierung des Computers als Alltagsmedium; und drittens die Gestaltungsperspektive der Human-Computer Interaction (HCI), welche sich aus der Informatik heraus als eigenständige Disziplin institutionalisiert und einen zunehmenden Bedarf an Theoretisierung entwickelt hat.

Diese drei sehr unterschiedlichen, theoretischen und im Fall der HCI auch praktischen Zugriffsweisen auf User Interfaces skizzieren einerseits das sehr heterogene Feld der Auseinandersetzung mit populären und ubiquitären Erscheinungsweisen des Computers und verdeutlichen andererseits, dass sich Fragen nach dem Verhältnis zwischen Computertechnologie und menschlichen Nutzer:innen kaum auf eine einzelne Fachdisziplin beschränken lassen. Vielmehr wandern Konzepte und Begriffe zwischen diesen disziplinären Grenzen und konstituieren somit ein Themenfeld mit stark verschränkten, fluiden Diskursen. Die historische Verortung und die Diskussion der jeweiligen Schwierigkeiten der drei genannten Perspektiven soll die Grundlage dafür schaffen, im darauffolgenden Kapitel mit dem Konzept der Dispositive der Handhabung einen eigenen Vorschlag zur Theoretisierung von User Interfaces als populären Erscheinungsweisen des Computers zu entwickeln.

2.1 Die medienwissenschaftliche Debatte um den Computer als Medium

2.1.1 Universalmedium Computer: Zur Debatte der 1990er Jahre

Als Jean-François Lyotard 1979 in seinem vielzitierten Essay Das postmoderne Wissen das Ende der ›großen Erzählungen‹ verkündet, worunter er das Projekt der Aufklärung sowie die Philosophietradition des deutschen Idealismus nach Hegel und Kant zählt, verweist er dabei auf die neuen Organisationsformen des Wissens, welche die neuen Leitwissenschaften Kybernetik und Informatik hervorgebracht haben.1 Die computerbasierten Möglichkeiten der Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Daten, an denen sich die verschiedenen Diagnosen einer Wissens-, Informations- oder Kontrollgesellschaft festmachen, folgen einer grundsätzlich anderen Logik als die der Papierkultur und scheinen das ›angemessene‹ Medium für die steigende Komplexität postindustrieller Gesellschaften zu sein.2 Diese Verabschiedung der Erklärungsmuster der Moderne und die Verunsicherung darüber, welche Disziplin nun eigentlich für welche Fragen zuständig ist und Autorität über die Organisationsformen des Wissens hat, mag als (weitläufiger) Hintergrund für die innerhalb der Medienwissenschaft (und angrenzender Disziplinen) in den 1990er Jahren geführte Debatte um den Computer als Medium gelten. Die Diskussion beginnt diesen Auflösungserscheinungen entsprechend mit großen Fragezeichen: Ist der Computer überhaupt ein Medium? Und wenn ja, in welchem Sinne? Oder sind im Grunde nur bestimmte Gebrauchsweisen des Computers als medial zu verstehen? Wie lassen sich Computer in die bisherigen Raster der Medientheorie einsortieren? Welche speziellen Merkmale zeichnen Computer gegenüber anderen Medien aus? Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen zeigt sich jedoch nicht nur eine gewisse Verunsicherung über die Bestimmung des Computers, sondern auch eine (abermalige) Verunsicherung über die Ausrichtung des Medienbegriffs – bzw. der unterschiedlichen, nebeneinander koexistierenden Medienbegriffe.3

Die Computer-als-Medium-Debatte im deutschsprachigen Wissenschaftsraum, die in den 1990er Jahren geführt wird, vereint Autor:innen aus dem Bereich der Medientheorie, Medienphilosophie und der Kulturtechnikforschung (z. B. Norbert Bolz, Friedrich Kittler, Georg Christoph Tholen, Hartmut Winkler, Erhard Schüttpelz, Sybille Krämer, Bernhard Siegert, Lorenz Engell) sowie aus der Informatik und Technikgeschichte (z. B. Wolfgang Coy, Frieder Nake, Heidi Schelhowe, Micheal Friedewald, Bernhard Robben) – wobei sich viele der an der Debatte beteiligten Autor:innen auch dezidiert an den Schnittstellen zwischen den genannten Disziplinen verorten. Die frühen Debatten zum Computer in den USA werden in den folgenden Kapiteln noch eingehend behandelt. Es soll hier jedoch zunächst darum gehen, die Entwicklungen in der deutschsprachigen Mediendebatte nachzuzeichnen, um den eigenen Ansatz entsprechend zu situieren.

Insbesondere die Mitglieder der Gesellschaft für Informatik, speziell der Fachbereiche Mensch-Computer-Interaktion und Informatik und Gesellschaft, prägen den Diskurs in den 1990er Jahren, da in ihren Arbeiten informationstechnisches Wissen mit der Frage nach den gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen von Computertechnologie verbunden wird. Die an der Leuphana-Universität Lüneburg von 1991 bis 2015 jährlich veranstaltete Tagungsreihe »HyperKult« bot beispielsweise ein Forum für den interdisziplinären Austausch zwischen Mitgliedern der Gesellschaft für Informatik und Medienwissenschaftler:innen.4

Nicht die zunehmende Durchdringung des Alltags mit Computertechnologie steht in diesen Debatten der 1990er Jahre im Vordergrund, obwohl diese gleichwohl als Auslöser für die Notwendigkeit der Betrachtung des Computers als Medium gelten können. Zum einen scheint die Auseinandersetzung mit Computertechnologie die ganz großen Fragen zu provozieren: Mit Blick auf die emphatische Phase der KI-Forschung, in der Forscher wie John McCarthy, Marvin Minsky, Nathan Rochester oder Claude Shannon in Auseinandersetzung mit den Arbeiten Alan Turings darüber nachdachten, wie und ob menschliches Denken technisch nachzubilden sei, beschreibt Norbert Bolz 1994 den Computer in der Einleitung zu dem Sammelband Computer als Medium noch als weitere große narzisstische Kränkung des Menschen: Nach Kopernikus, Darwin und Freud »schicken sich künstliche Intelligenzen an, uns auch noch die letzte stolze Domäne streitig zu machen: das Denken.«5 Doch inwiefern die ›Nachbildung menschlichen Denkens‹ den Computer zu einem Medium macht, lässt Bolz unbeantwortet.

Neben diesem erweiterten Fragehorizont der künstlichen Intelligenz geht es vielen Autor:innen zunächst darum, den Computer als Medium der Kommunikation zu erfassen und damit zu verdeutlichen, dass es sich um eine Zäsur in einer langen und verzweigten Computergeschichte handelt, deren Anfänge in ganz andere Richtungen – etwa in die des Automaten oder der Rechenmaschine – wiesen.6 In dem 1993 erschienenen Sammelband The Computer as Medium, der an der Universität Aarhus entstanden ist, betonen die Herausgeber:innen im Vorwort ihr titelgebendes Anliegen, Computersysteme als Medien beschreiben zu wollen, genauer:

»The central idea of this book is to establish computer systems as media – as intermediate technological agencies that permit communication and as such are used for transmission of information, conversations, requests, entertainment, education, expression of emotional experiences, and so on.«7

Der Computer wird hier also als technisches Übertragungsmedium begriffen, welches unterschiedliche Formen der Kommunikation ermöglicht. Hier wird deutlich, dass der vernetzte Computer neue Infrastrukturen für Kommunikation bereitstellt, die das Potenzial haben, verschiedene gesellschaftliche Bereiche neu zu strukturieren und daher nur schwer unter einem einzelnen Spezifikationsmerkmal subsumiert werden können. Vor dem Hintergrund dieser neuen Perspektive auf den Computer als Kommunikationsmedium entstehen Ende der 1990er Jahre im deutschsprachigen Wissenschaftsraum technikgeschichtliche Grundlagenarbeiten, die die Vorgeschichte des Kommunikationsmediums Computer als schrittweise Etablierung ›benutzerfreundlicher‹ Computersysteme beschreiben und diese als historische Zäsur in Abgrenzung zur Zeit des Computers als Rechenmaschine unterstreichen.8

Für Hartmut Winkler, der mit Docuverse 1997 explizit einen Beitrag zur »Medientheorie der Computer« – wie es im Untertitel heißt – leisten möchte, steht fest: Es handelt sich um ein Medium, insofern vernetzte Computer eine globale Infrastruktur, ein »Universum der maschinenlesbaren Dokumente, Programme und Projekte«9 bereitstellen und somit neue Strukturen für die Gedächtnisarchitektur der Gesellschaft hervorbringen. Auf diesen Perspektivwechsel, so Winkler, sei die Informatik ebenso wie die Medienwissenschaft schlecht vorbereitet gewesen. Die Medienwissenschaft habe Winkler zufolge das neue Medium Computer »weitestgehend verschlafen«, obwohl Marshall McLuhan den Computer bereits 1964 zu den elektronischen Medien gezählt habe.10

In ihrer Einleitung zum 1998 erschienenen Sammelband Medien Computer Realität beschreibt Sybille Krämer die Interpretation des Computers als Medium ebenfalls als den gemeinsamen Fluchtpunkt der versammelten Aufsätze, obwohl sich die einzelnen Beiträge dann mit sehr unterschiedlichen Themenschwerpunkte wie etwa dem Phänomen der Telepräsenz, dem Realitätsbezug in Virtual Reality-Umgebungen, den Kontrollinstanzen des Internets oder einer Medientheorie der Spur widmen.11 Was genau den Computer als Medium ausmacht und wo Medialität zu verorten ist, darüber besteht angesichts der vielseitigen Verwendungs- und unterschiedlichen Erscheinungsformen von Computertechnologie und der Vielzahl der konkurrierenden Medienbegriffe offensichtlich kein allgemeiner Konsens im medientheoretischen Diskurs der 1990er Jahre.

Abgesehen von der Idee des Computers als Intelligenzverstärker oder konkurrierender Denkmaschine, lassen sich die verschiedenen Ansätze zum Computer als Medium – heuristisch vereinfacht – in zwei grundlegende Stoßrichtungen unterteilen, die sich jedoch in vielen Arbeiten nach den 1990er Jahren auch immer stärker verknüpfen: Auf der einen Seite verorten sich Ansätze, die von den mathematischen oder informationstheoretischen Grundlagen des Computers ausgehen, sich am Prinzip der Schriftlichkeit (im Sinne von operativen Schriften oder mathematischen Notationen) orientieren und dabei insbesondere die ›Tiefenoperationen‹ des Computers wie Binärcodierung, Digitalität, Prozessier- oder Programmierbarkeit von Daten in den Fokus rücken.12 Am anderen Ende des Spektrums situieren sich tendenziell jene Arbeiten, die stärker vom Display bzw. der Bildschirmanzeige ausgehen und sich somit primär am Paradigma des Bildlichen oder des Sichtbaren ausrichten, indem sie den Computer innerhalb einer Geschichte der Bild- und Screen-Medien verorten oder Phänomene der Remediation beschreiben, bei denen Computeroberflächen auf ältere visuelle Medienformate Bezug nehmen und diese remediatisieren.13 Die deutschsprachigen Ansätze zur Medientheorie des Computers verorten sich in den 1990er Jahren schwerpunktmäßig klar in der ersten Sektion, wie beispielsweise auch Friedrich Kittler, der die wohl prominenteste Sprecherposition einnimmt. Da Kittlers Position sowohl innerhalb des deutschsprachigen Mediendiskurses der 1990er Jahre als auch für die Rezeption der ›German media theory‹ in den englischsprachigen Media Studies eine besondere Stellung einnimmt14, soll seine Beschreibung des Computers als ›universale diskrete Maschine‹ oder alternativ als ›diskrete Universalmaschine‹15 hier etwas genauer vorgestellt werden.

In seinen Überlegungen zum Computer bezieht Kittler sich zunächst auf Alan Turings mathematische Beschreibung einer universellen Rechenmaschine.16 In seinem Aufsatz »On Computable Numbers« geht es Alan Turing aufbauend auf die Ergebnisse Kurt Gödels zunächst um Berechenbarkeit: Er zeigt einerseits auf, dass eine Zahl dann berechenbar ist, wenn sie von einer Maschine niedergeschrieben werden kann und beweist andererseits, dass das Hilbertsche Entscheidungsproblem nicht gelöst werden kann.17 Turings mathematischen Beweis ›komputierbarer Zahlen‹ fasst Till Heilmann prägnant zusammen:

»In diesem Modell fällt Rechnen mit geregelten Schreiben in eins, Berechenbarkeit mit Anschreibbarkeit. Denn Turing weist nach, dass sich für jede einzelne Zahl, die berechenbar ist, eine entsprechende ›Turingmaschine‹ konstruieren lässt, welche sie anschreibt. Alle anderen Zahlen können dagegen überhaupt nicht berechnet werden, weder von Menschen noch von irgendeiner Maschine.«18

Die automatische, algorithmisch konfigurierbare Maschine, deren Konzept Turing 1936 vorstellt und welche später als Turingmaschine bezeichnet wird, entwickelt Grundlagen für die theoretische Informatik, die auch heute noch von elementarer Bedeutung sind. Die Grundoperationen dieser Maschine beschreibt Turing anhand der Aktionen eines Menschen, der schriftlich rechnet: »Computing is normally done by writing certain symbols on paper.«19 Auch wenn die Maschine ebenso mechanisch oder elektronisch realisiert werden könnte, bleibt Turing erst einmal bei der Beschreibung eines Papierbandes, welches durch die Maschine läuft und in einzelne Felder unterteilt ist, die mit einem Symbol beschriftet, überschrieben oder in zwei Richtungen verschoben werden können.20 Die Turingmaschine versteht Kittler folglich als eine »zum reinen Prinzip abgemagerte Schreibmaschine«, die zum »Prototyp jedes denkbaren Computers«21 wurde. Es verwundert daher also nicht, dass der Computer in der Medientheorie nachfolgend oft als Schriftmaschine beschrieben wurde.22 Wie Sybille Krämer aufzeigt, kann das schriftliche Rechnen vom Symbolischen ins Technische übergehen, wenn sich das Zahlenrechnen in eine mechanische Abfolge von Zeichenmanipulationen transformieren lässt, die eine physikalische Maschine ausführen kann.23 Die Turingmaschine, die schließlich zu einem allgemeinen Modell programmierbarer Digitalcomputer wird, dokumentiert laut Krämer in ihrer Doppelfunktion als »mathematischer Formalismus und […] realisierbare Maschine«24 diesen Zusammenhang zwischen (hand-)schriftlichem und maschinellem Rechnen. Damit verwirklicht die Turingmaschine »[d]ie schon von Leibniz vermutete Konvertibilität zwischen dem Symbolischen und dem Technischen«25. Bei Turing wird demnach deutlich, wie ›Computing‹ zu einem mechanisierbaren Vorgang wird – ein Prozess, der Friedrich Kittler zufolge ein neues Kapitel in der Geschichte der ›Komputierbarkeit‹ aufschlägt:

»Daß es Sätze gibt, die Maschinen nicht in endlich vielen Schritten entscheiden können, definiert für Turing die Berechenbarkeit oder Computability überhaupt. Computing, bis 1936 der Name einer menschlichen Fähigkeit, nahm jenen neuen technischen Wortsinn an, der mittlerweile Weltgeschichte gemacht hat.«26

In Anknüpfung an diese bei Kittler so emphatisch formulierten Zäsur der Medien- und Technikgeschichte, entwickelt sich innerhalb der Computers-als-Medium-Debatte der 1990er Jahre vor allem der Aspekt der Universalität zum festen Referenzpunkt, der jedoch von verschiedenen Autoren unterschiedlich akzentuiert wird: einmal als Verweis auf die mathematischen Grundlagen des Computing und zum anderen als Verweis auf die durch diese Grundstruktur ermöglichte Vielfalt der medialen Formen auf der Bildschirmoberfläche. Somit verschiebt sich die Universalitätsthese vom informationstheoretisch-schaltungslogischen auf den aisthetischen Bereich und versucht der Wahrnehmungssituation der Computernutzerin Rechnung zu tragen, die über den Computer Zugriff auf verschiedenste mediale Angebote hat. Problematisch an diesen unterschiedlichen Bezugnahmen und changierenden Akzentuierungen ist dabei die ungeklärte Verwendung des Medienbegriffs, der mal auf die eine, mal auf die andere Ebene appliziert wird, wie im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll.

Das mathematische Paradigma der Universalität, auf das sich insbesondere Kittler maßgeblich bezieht, wird in den Arbeiten Turings folgendermaßen formuliert: »It is possible to invent a single machine which can be used to compute any computable sequence.«27In seinem Aufsatz »Computing Machinery and Intelligence« führt Turing 1950 weiter aus: »This special property of digital computers, that they can mimic any discrete state machine, is described by saying that they are universal machines«28. Die Beschreibung einer universellen Rechenmaschine, die alle Turingmaschinen prozessieren und somit alle berechenbaren Zahlen anschreiben kann, gilt als die eigentlich bahnbrechende Idee Turings.29 Das 1946 von John von Neumann vorgeschlagene Konstruktionsschema für einen programmkontrollierten Computer, der sich aus den Funktionseinheiten Steuerwerk, Rechenwerk, Speicher, sowie Eingabe- und Ausgabewerk zusammensetzt und die Grundlage für die meisten heutigen Digitalcomputer bildet, ist die technische Realisation einer universellen Turingmaschine und folglich dem Modell der universellen diskreten Maschine in einem grundlegenden Sinne verpflichtet.30

Die Idee der Universalität, die durch die Von-Neumann-Architektur zur bautechnischen Norm im Bereich digitaler Computer geworden ist, speist sich jedoch nicht nur aus Mathematik und implementierter Schaltungstechnik, sondern lässt sich als Konzept in dem breiteren Kontext der Kybernetik verorten.31 Die Kybernetik, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Anspruch einer interdisziplinären Universalwissenschaft auftritt, will sowohl technisch-mathematische als auch physikalische, biologische und soziale Regelungsprozesse gleichermaßen beschreiben.32 Wie Claus Pias ausführt, bezieht sich das kybernetische ›Mindset‹ vor allem auf drei Arbeiten aus den frühen 1940er Jahren:

»erstens den logischen Kalkül der Nervenaktivität von Pitts/McCulloch, zweitens die Informationstheorie Shannons und drittens die Verhaltenslehre von Wiener/Bigelow/Rosenblueth. Es sind, mit anderen Worten, eine universale Theorie digitaler Maschinen, eine stochastische Theorie des Symbolischen und eine nicht-deterministische und trotzdem teleologische Theorie der Rückkopplung, die es im Rahmen der Macy-Konferenzen zu einer Theorie zu überblenden gilt, die dann für Lebewesen ebenso wie für Maschinen, für ökonomische ebenso wie für psychische Prozesse, für soziologische ebenso wie für ästhetische Phänomene zu gelten beanspruchen kann.«33

Obwohl dieser universelle Anspruch der Kybernetik bereits in den 1970er Jahren als fragwürdig thematisiert worden ist, hat sich das damit einhergehende Metaphern- und Begriffsinventar in die Medientheorie des Computers fest eingeschrieben.34 Zudem haben sich Begriffe wie Kontrolle, Steuerung, (Selbst-)Regulierung, Information, Code oder Programm durch die Popularisierung von Computertechnologie auch im alltäglichen Sprachgebrauch etabliert.35 Dem kybernetischen (Begriffs-)Erbe und Turings Konzept der universellen Maschine folgend, stellen viele Ansätze zur Medientheorie des Computers in den 1990er Jahren den Universalitätsaspekt deutlich in den Vordergrund: der Computer wird als »Universalschrift«36 bezeichnet oder – in Kittlers Terminologie – als »universale diskrete Maschine«37. Und auch im englischsprachigen Diskurs steht die Referenz auf den Computer als universelle Maschine im Vordergrund, wenn Computer bevorzugt als »data processing machines«38 beschrieben werden.

Bernhard Robben knüpft 2006 in seinem Beitrag zur Medientheorie des Computers ebenfalls an das zentrale Paradigma der Universalität an, indem er den Computer als »verallgemeinerte Schrift«39 und spezifische Form der Notation beschreibt, welche als prozessierende Relation zwischen Darstellungs- und Programmebene zu verstehen sei. Robben bleibt in seinem Ansatz jedoch nicht auf der mathematischen Ebene, sondern macht zugleich deutlich, dass der Computer als ›Medium der Übersetzung‹ verschiedenste Darstellungsformen auf der Bildschirmoberfläche erzeugt.40 Die Universalität auf der Ebene des Prozessierens von Daten wird dabei mit der Flexibilität der Anzeigeoptionen des Bildschirms zusammengedacht und macht implizit deutlich, dass Medialität auch auf der Ebene wahrnehmbarer User Interfaces erzeugt und verhandelt wird und eben nicht allein durch die mathematischen Grundoperationen und Programmabläufe.

Auf das Potential des Computers zur Integration verschiedener Darstellungsformen verweisen Autor:innen aus dem Praxisbereich der Human Computer Interaction (HCI), die die frühe Entwicklungsphase des Personal Computing in den 1970er maßgeblich mitgestaltet haben, bereits in den späten 1970er Jahren und greifen dabei interessanterweise ebenfalls auf den Medienbegriff zurück. Unter dem Einfluss der Lektüre von McLuhans The Medium is the Message beschreiben die am Forschungszentrum Xerox PARC beschäftigten Informatiker:innen Adele Goldberg und Alan Kay ihre Vorstellung eines aktiven und responsiven Computersystems mit dem Begriff »metamedium«41. Gemeint ist dabei vor allem die flexible und integrative Funktion des Computers:

»Although digital computers were originally designed to do arithmetic computation, the ability to simulate the details of any descriptive model means that the computer, viewed as a medium itself, can be all other media if the embedding and viewing methods are sufficiently well provided.«42

An diese Perspektive knüpfen auch Andersen, Holmqvist und Jensen 1993 mit dem Begriff des ›Multimediums‹ an, welcher verdeutlichen soll, dass der Computer nicht einfach ein Medium unter anderen ist:

»But the computer is not just a medium in the simple sense of a television set, a radio, a telephone. On the contrary, a computer is an extremely flexible and polymorphous medium. It is a multi-medium since the same physical machine can serve as a host for a variety of previously independent media-functions: It can simultaneously be an electronic mail system, a word processor, a database, a tool for advanced design, a point box, a calculator, an electronic book, and a game-machine.«43

All diese genannten, nebeneinander bestehenden Medienfunktionen sind mit der Entwicklung von User Interfaces und Programmen verknüpft, welche die Operativität von Digitalcomputern erst einem breiteren Nutzer:innenkreis zugänglich machen. Diese ›Eigenschaft‹ des Computers44, verschiedene mediale Formate durch die binäre Grundstruktur integrieren, verarbeiten und erzeugen zu können, wird auch von Kittler hervorgehoben, der jedoch nicht den Schluss daraus zieht, sich stärker mit den Oberflächen der Computer zu befassen. Vielmehr hebt er die Ebene der Kodierung hervor, auf welcher eine Einebnung von Mediendifferenzen zu beobachten sei:

»Ob Digitalrechner Töne oder Bilder nach außen schicken, also ans sogenannte Mensch-Maschine-Interface senden oder aber nicht, intern arbeiten sie nur mit endlosen Bitfolgen, die von elektrischen Spannungen repräsentiert werden.«45

Wie Dieter Mersch zusammenfasst, »avanciert für Kittler der Computer zum Medium aller Medien, das in dem Maße Schriften in Bilder, Bilder in Klänge, Klänge in Zahlen und Zahlen wieder in Schriften überführt, wie diese mathematisierbar sind.«46 Die universale diskrete Maschine Turings »durchmißt«, wie Kittler es formuliert, »die technische Dreiheit von Speichern, Übertragen, Berechnen im ganzen [sic!].«47 Auch Hartmut Winkler schlägt vor, die Medienspezifik des Computers über die basalen Grundoperationen zu begreifen: das entscheidende Potential der universellen diskreten Maschine liege in ihrer distinkten Grundlogik – in der Zerlegung, Ordnung und Distinktion auf der tiefsten Funktionsebene, die den Computer zu einem entscheidungslogischen ›Oder-Medium‹ macht.48

Der Computer als ›universale diskrete Maschine‹ veranlasst Friedrich Kittler in Grammophon, Film, Typewriter zu prophezeien, dass der digitale Medienverbund »den Begriff Medium selber kassieren«49 wird. Wenn durch den Computer alles in digitale, standardisierte Zahlenfolgen übersetzt werden kann, bleiben am Ende, wie Kittler kritisch anmerkt, ›nur‹ »beliebige Interfaceeffekte«50:

»In der allgemeinen Digitalisierung von Nachrichten und Kanälen verschwinden die Unterschiede zwischen einzelnen Medien. Nur noch als Oberflächeneffekt, wie er unter dem schönen Namen Interface bei Konsumenten ankommt, gibt es Ton und Bild, Stimme und Text. Blendwerk werden die Sinne und der Sinn. Ihr Glamour, wie Medien ihn erzeugt haben, überdauert für eine Zwischenzeit als Abfallprodukt strategischer Programme. In den Computern selber dagegen ist alles Zahl: bild- ton- und wortlose Quantität. […] Mit Zahlen ist nichts unmöglich. Modulation, Transformation, Synchronisation; Verzögerung, Speicherung, Umtastung; Scrambling, Scanning, Mapping – ein totaler Medienverbund auf Digitalbasis wird den Begriff Medium selber kassieren.«51

Obwohl diese ›Interfaceeffekte‹ für Kittler nicht nur nicht sonderlich interessant, sondern – wie im Folgenden noch näher zu diskutieren sein wird – besonders kritikwürdig erscheinen, wird hier doch im Umkehrschluss bereits implizit deutlich, dass die Erzeugung von wahrnehmbaren medialen Formen und die Verhandlung und Behauptung von voneinander abgrenzbaren Medieneffekten auf Ebene der User Interfaces geschieht, die durch die technologische Grundstruktur digitaler Computer zwar ermöglicht werden, aber nicht völlig auf diese reduzierbar sind. User Interfaces scheinen ein Surplus an Semantik zu generieren, welches der Universalitätsthese entgeht. Georg Christoph Tholen fragt zu Beginn der 2000er Jahre bereits, was das Konzept vom Computer als Universalmedium, als ›Integrator aller vorheriger Medien‹ eigentlich bedeutet. Ist der Computer ein metaphorologisches Medium, weil diese Übertragungen ›nur‹ metaphorischer Natur – nur Effekte – sind und muss deshalb die Als-ob-Bestimmung zum Grundmodus des Computers erklärt werden?52 Tholen verweist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit, Computern als Medien bestimmte Merkmale zuzuweisen und formuliert die Diskrepanz zwischen Erscheinungs- und Seinsweisen des Computers als medienphilosophisches Problem:

»Der Computer als Medium existiert gleichsam nur, indem er sich von sich selbst unterscheidet, will sagen: sich in all seinen interfaces, in seinen programmierbaren Gestalten und Benutzer-Oberflächen, verliert, also seine ›eigentliche‹ Bedeutung aufschiebt.«53

Im Gegensatz zu Kittler verortet Tholen die Medialität des Computers also vielmehr im ständigen Bedeutungsaufschub seiner sich stetig wandelnden Oberflächen. Obwohl neben Tholens medienphilosophischen Überlegungen auch ein Blick auf die zahlreichen Periodisierungsvorschläge der Computergeschichtsschreibung – von den kleinteiligen Entwicklungsschritten der Schalttechnik und zunehmenden Prozessorleistungen, der sich ausdifferenzierenden Geschichte der Benutzeroberflächen, über die Geschichte der Programmiersprachen bis hin zu den verschiedenen Leitbildern der Informatik – nahelegt, dass die Universalität von Computern eher ein theoretisches Konstrukt als praktische Realität ist, bleibt der Universalitätsaspekt dennoch ein Dreh- und Angelpunkt für die Medientheorie des Computers in den 1990er Jahren.54 Viele der Autoren:innen, die sich an der Bestimmung des Computers als Medium abarbeiten und die Medienspezifik des Computers in Abgrenzung zu bereits etablierten Medien hervorheben möchten, tun dies mit dem Verweis auf die Universalität des Computers, der alle vorherigen Medien integrieren könne – und changieren damit häufig unmerklich zwischen den mathematischen Grundlagen des Computing und ihrer schaltungstechnischen, ›elektrifizierten‹ Implementierung auf der einen und dem menschenlesbaren, audiovisuellen Ausgabemedium auf der anderen Seite.

Wenn jedoch als Definitionsmerkmal des Mediums Computer seine Universalität (und damit unspezifische Verwendbarkeit55) festgestellt wird und dabei nicht geklärt wird, in welcher Hinsicht diese Universalität überhaupt als ›medial‹ wirksam zu beschreiben ist, führt dies unweigerlich zu Widersprüchen. Die Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal, das den Computer in Abgrenzung zu den vorgängigen Medien in seiner Eigenheit auszeichnen soll, demonstriert Rainer Leschke zufolge einerseits, dass die Zeit der Einzelmedienontologien erstaunlicherweise noch nicht vorüber ist, sondern selbst das unspezifische Universalmedium Computer die Sehnsucht nach einer essentialistischen Bestimmung weckt:

»Die Komplexitätsreduktion eines Mediums auf ein Wesen oder einen Sinn ist offenbar immer noch attraktiv genug, um, sofern das Medium nur hinreichend bedeutend ist, nicht unerhebliche theoretische Anstrengungen in dieser Richtung zu mobilisieren.«56

Durch die heterogene Debatte um den Computer als Medium wird, wie Jens Schröter argumentiert, andererseits aber auch deutlich, dass das Aufkommen der vernetzen Computerkultur eine auf Medienspezifik ausgerichtete, ontologisierende Theoriebildung grundlegend erschüttert hat.57 Der im Prinzip universelle Computer gibt Anlass zu der Vermutung, dass auch die ihm vorgängigen, als Einzelmedien beschriebenen Medien und ihre Spezifika keine ontologisch gegebenen Entitäten, sondern vielmehr das Resultat eines historisch gewachsenen und sich stets aktualisierenden diskursiven Konstruktionsprozesses sind. Medienspezifik erscheint damit als Ergebnis diskursiv-praktischer Aushandlung, Institutionalisierung und Kanonisierung. Was als Medium gilt, ist Schröter zufolge daher immer nur temporär stabil: Medien sind als ›Punktualisierungen‹ zu verstehen, die stets in ein heterogenes Netzwerk aus Bezügen (technischen Verfahren, Institutionen, Diskursen, Praktiken etc.) eingebunden sind. Mit dem Verweis auf Michel Foucault wirft Schröter angesichts der Intermedialität des Computers die Frage auf, ob die diskursive Einheit der Medien nicht viel stärker sei als die materielle und formuliert so einen Kontrapunkt zu der Position Friedrich Kittlers, der Medien als technisches Apriori beschreibt, von dem Diskursivierung ausgeht.58 Zugleich stellt Schröter in seiner These der ›Ur-Intermedialität‹ die konstitutive Funktion der Intermedialität für jede Einzelmediumsdefinition heraus: jede ›wesenhafte‹ Definition eines Mediums muss sich notwendigerweise auf etwas anderes als sich selbst beziehen, um das Eigene behaupten zu können und ist somit immer schon intermedial.59 Der Computer zeigt also, dass auch die vermeintlich so gut voneinander abzugrenzenden Einzelmedien wie Zeitung, Zeitschrift, Telefon, Kino, Film oder Fernsehen letztlich Oberflächeneffekte sind, die einer diskursiven ›Zuspitzung‹ und Zurichtung bedürfen, um überhaupt als Einheit zu erscheinen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die im medienwissenschaftlichen Diskurs der 1990er Jahre dominante Konzeption des Computers als Universalmedium eine oft problematische Verengung der Perspektive auf computerbasierte Anwendungen nach sich zieht und in vielen Ansätzen nicht deutlich wird, wo der mediale Charakter des ›Universalmediums‹ genau zu situieren ist. Die Fokussierung auf ein Alleinstellungsmerkmal – die universelle diskrete Maschine – erlaubt es zwar, die Operativität von Computertechnologie auf einer basalen Funktionsebene zu beschreiben, weshalb ich im Folgenden auch hin und wieder darauf zurückkommen werde; die Suche nach einem Bestimmungsmerkmal, das das Einzelmedium Computer von bereits etablierten Medien abhebt, führt jedoch zu einer reduktionistischen Rede von ›dem Computer‹ als abstrahiertem Singular.60 Die in den 1990er Jahren geführte Debatte um den Computer als Medium kann folglich der Vielfalt der computerbasierten Anwendungsszenarien der gegenwärtigen Medienkultur kaum gerecht werden bzw. bietet kein theoretisches Modell zu ihrer Beschreibung an, da sich diese ›Interface-Kultur‹61 schlichtweg nicht unter einem Merkmal, einer Grundessenz oder einer bestimmten Basisoperation subsumieren lässt. Der konzeptionelle Widerspruch, der sich aus der Beschreibung des Computers als Universalmedium ergibt, welches dennoch über seine Medienspezifik als ›neues‹ Einzelmedium definiert werden soll, legt vielmehr nahe, dass die essentialistische Perspektive einer Einzelmediumstheorie zu verabschieden ist.62 Die Medialität computerbasierter Anwendungen ist nicht nur in der Binärcodierung oder im technischen ›Gerät‹ Computer zu suchen, sondern vielmehr in der unübersichtlichen und komplexen Vielfalt an Nutzungsanordnungen und Oberflächeneffekten, die sich aus der technischen Ermöglichungsstruktur des Computers ergeben und diesen ›als Medium‹ erst gesellschaftlich wirksam machen.

2.1.2 Die verdächtigen Oberflächen: Zum Verständnis des Computers als Gehäuse, Black Box und Benutzeroberfläche63

Die Fokussierung auf ›Tiefenoperationen‹ oder mathematische Grundlagen als Bestimmungsmerkmal des Computers, die in der medienwissenschaftlichen Debatte um den Computer als Medium als dominanter Referenzpunkt fungiert, wird von einem Diskurs der Opazität der Oberflächen begleitet, den es im Folgenden noch etwas genauer zu befragen gilt. Dabei lassen sich vor allem drei Referenzfiguren für die These der Intransparenz finden, die auf je unterschiedlicher Ebene ansetzen und hier einem kritischen Blick unterzogen werden sollen: das geschlossene Gehäuse, der Computer als Black Box und schließlich User Interfaces als verbergende Oberflächen.

Gehäuse – oder die geschlossene Alltagsphänomenalität des Computers

Zunächst soll die Betrachtung des Computers als ›verschaltem‹ Gerät im Fokus stehen, wo Massentauglichkeit und Produkthaftigkeit mit einer historisch zunehmend geringer werdenden Zugänglichkeit von Hardware-Komponenten in Verbindung gebracht wird. Till Heilmann zufolge lässt sich zugespitzt argumentieren, dass das Zeitalter des massentauglichen Personal Computing mit dem Kunststoffgehäuse des Apple II beginnt, einem Personal Computer für den Privathaushalt, der 1977 auf den Markt kam. Im Gegensatz zu seinem Vorläufer – dem ebenfalls von Steve Wozniak entwickelten Apple I, der ein Jahr zuvor als Einplatinenrechner zwar mit Aufbauanleitung und Anschlüssen für Peripheriegeräte, aber ohne jegliches Gehäuse ausgeliefert wurde – präsentierte sich der fertig montierte Nachfolger mit Tastatur und Kunststoffgehäuse »schon von seiner äußeren Gestalt als Konsumgut«64 (vgl. Abb. 1 und 2).

Abb. 1: Apple I mit offener Platine, montiert auf Holzrahmen, 1976

Abb. 2: Darstellung des Apple II mit Plastikgehäuse in einer Marketingbroschüre, 1982, ©Apple Computer, Inc.

Mit einer Ästhetik, die Anleihen bei Reiseschreibmaschinen machte, fügte sich der kunststoffummantelte Apple II hervorragend in die Reihe der bereits vorhandenen, ebenfalls plastikverschalten Haushaltsgeräte der späten 1970er Jahre wie Staubsauger, Waschmaschinen, Bügeleisen, Toaster etc.65 Nutzer:innen mussten den Apple II lediglich an ihren Fernseher als Ausgabemedium anschließen und konnten dank des integrierten Betriebssystems und eines BASIC-Interpreters nach dem Einschalten per Knopfdruck direkt damit arbeiten.66

Das Computergehäuse, welches die Recheneinheit sicher verpackt und vor Umwelteinflüssen wie Staub oder Feuchtigkeit schützt, schirmt diese zugleich vor den Augen der Benutzer:innen ab und verleiht dem technischen Gerät damit eine »hermetisch[e] […] Äußerlichkeit«, die auf eine »ungreifbare Innerlichkeit«67 schließen lässt. Das gebrauchsfertige, verschalte Gerät spricht nicht mehr in erster Linie die Bastler:innen an, die an die als Bausatz gelieferte Hardware selbst Hand anlegten. So beschreibt Steven Levy beispielsweise die Nutzer:innen des Altair 8800, der 1975 auf den Markt kam und als einer der wichtigsten frühen Computer der Hobbyisten gilt: »The pioneering microcomputer that galvanized hardware hackers. Building this kit made you learn hacking. Then you tried to figure out what to do with it.«68

Während die Hobbyisten-Computerkultur der 1960er Jahre noch von einem direkten Zugriff auf Computerhardware und von dem Ideal des eigenhändigen Zusammenbastelns von Heimcomputern geprägt war, lässt sich seit der Markteinführung der ersten kommerziellen Personal Computer und der damit verbundenen Standardisierung von Recheneinheit (Tower), Bildschirm und Eingabegeräten (Tastatur, Maus) eine klare Tendenz zur Abschottung der Hardware beobachten.69 Die im Gehäuse verstaute Hardware kann in den Hintergrund treten und muss lediglich im Fall des Nichtfunktionierens von Expert:innen oder kundigen Laien von ihrer blickdichten Hülle befreit werden.

Die Geschichte der Computergehäuse ist dabei nicht nur Teil einer Technikgeschichte der Miniaturisierung, sondern auch Teil einer Designgeschichte der Ästhetisierung von Informationstechnologie. Zwar lassen sich auf den ersten Blick auch einige Beispiele für die Durchbrechung des Prinzips des geschlossenen Gehäuses finden, die sich jedoch auf den zweiten Blick als Fortsetzung desselbigen erweisen: Im Jahr 1998 kam beispielsweise der iMac G3 mit einem halbdurchsichtigen Gehäuse aus Polycarbonat in bunten, poppig anmutenden Farben auf den Markt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Werbeplakat für den iMac G3 in verschiedenen ›flavors‹, 1998, ©Apple Computer, Inc.

Die in der Werberhetorik ›flavors‹ genannten Farben suggerierten den Kund:innen, man könne sich ähnlich wie in der Eisdiele eine individuell bevorzugte Geschmacksrichtung aussuchen. Ganz im Gegensatz zur vorher dominanten Tendenz der Abschattung und Vergrauung der Computergehäuse, die sowohl einen Schutz für als auch vor der Technik leisteten, handelte es sich im Fall des iMacs von 1998 um eine halbtransparente Plastik-Verschalung, die den Blick auf das Innenleben des Computers freigab. Doch dieser Blick ins Innere – das wird schnell klar – folgte nicht dem Prinzip einer transparenten Offenlegung der technischen Prozesse, sondern vielmehr einer Pop-Ästhetik der Transparenz: Der iMac (und die zugehörige Werbekampagne) feierte eine alltagstaugliche Ästhetik des Technischen, eine domestizierte Technik im transparenten Gehäuse, welches statt einer Offenlegung vielmehr eine weitere Form der Schließung vollzieht: die Technizität der freigelegten Hardware fungierte nurmehr als ästhetisches Surplus einer ausgefeilten Design- und Marketingkampagne. Im Bereich des Gaming, vor allem im Bereich des professionellen E-Sports, hat sich der Blick auf die Technik hinter dem Gehäuse noch in Form transparenter oder offener Tower mit Leuchtkabeln und neonfarbener Wasserkühlung erhalten.70 Dieses ›Showing-off‹ der technischen Ausstattung dient zum einen der Zurschaustellung der Leistungsfähigkeit des Gaming-PCs (und damit auch indirekt der Leistungsfähigkeit der Spielenden), zum anderen handelt es sich dabei um eine kollektive ästhetische Praxis, die mit dem Aufführungscharakter von LAN-Partys verbunden ist.

Im Fall von alltäglichen Personal Computing Geräten wie Desktop-PCs, Laptops, Tablets oder Smartphones geht die Entwicklung hingegen eindeutig zum geschlossenen Gehäuse. Anhand der »Evolution of the iMac« – wie es auf einem bekannten Apple-Werbeplakat aus dem Jahr 2012 heißt (vgl. Abb. 4) –, lässt sich die Priorisierung der Bildschirmfläche und das immer stärkere Zurücktreten der nicht unmittelbar dem Interface und seiner modi operandi zugehörigen Hardware erkennen. Das All-in-One-Prinzip, das bereits in dem von Jonathan Ive und seinem Team gestalteten iMac von 1998 Recheneinheit und Bildschirm in einem Gehäuse vereinte, wird in dieser Werbe-Genealogie noch weiter zugespitzt. Die Miniaturisierung der Hardware und ihre Einpassung hinter die Fassade des Bildschirms unterstützen den Eindruck einer verhüllenden Alltagsphänomenalität des Computers. Im Fall von Tablets und Smartphones, deren Touchscreen fast die gesamte Fläche des Geräts einnimmt – oder andersherum: deren Hardware der Bildschirmgröße angepasst wird, tritt dieses Prinzip des Screen-Primats noch deutlicher zutage.

Abb. 4: Ausschnitt der Werbekampagne für den Apple iMac, 2012, ©Apple Computer, Inc.

Es ist nicht zuletzt diese Überpräsenz der einladenden Bildschirme und Benutzeroberflächen, die für Medientheoretiker wie Kittler zum Anlass wird, um vor einem oberflächlichen Zugriff auf Medien zur warnen: So kritisiert Kittler in seiner Vorlesung Optische Medien, dass die (an der Literaturwissenschaft und Literatursoziologie orientierte71) Medienwissenschaft sich hauptsächlich mit trivialen und populären Inhalten befasse und dabei die »Innereien der Apparate unter ihrer Deckelhaube bleiben und laut Deckelhaubeninschrift nur vom Fachmann geöffnet werden dürfen.«72 Um nicht nur an der »Schauseite«73 der Medien hängen zu bleiben, empfiehlt Kittler folglich, den Medienbegriff über McLuhan hinausgehend »von daher zu übernehmen, wo er zu Hause ist: von der Physik im allgemeinen und der Nachrichtentechnik im besonderen«74.

Ein erster nötiger Schritt zur Einlösung dieser Forderung wäre dann die »Verwandlung von Geisteswissenschaftlern in Ingenieure«75, um im zweiten Schritt den Blick unter die Deckelhaube zu wagen. Doch die Forderung nach einem ingenieurswissenschaftlich-analytischen Blick wird als alleiniger Zugang zum Medium Computer auch bereits in den 1980er Jahren hinterfraagt. So schreibt Sherry Turkle in der Einleitung zu ihrer 1984 erschienenen Studie The Second Self: Computers and the Human Spirit:

»If you open a computer or a computer toy, you see no gears that turn, no levers that move, no tubes that glow. Most often you see some wires and one black chip. Children faced with wires and a chip, and driven by their need to ask how things work, can find no simple physical explanation. Even with considerable sophistication, the workings of the computer present no easy analogies with objects or processes that came before, except for analogies with people and their mental processes. In the world of children and adults, the physical opacity of this machine encourages it to be talked about and thought about in psychological terms.«76