Frankfurt Hunters - Franziska Franz - E-Book
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Frankfurt Hunters E-Book

Franziska Franz

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Beschreibung

Wölfe im Stadtwald. Mysteriöse Jäger. Skurrile Rocker. Entführte, junge Frauen. Und ein im Jacobiweiher auftauchender Unterschenkel. Frankfurt 2023 – einige nicht alltägliche Vorfälle verunsichern die Öffentlichkeit. Auch den alten Heinrich. Der Obdachlose hat in einer Waldhütte Zuflucht gefunden. Er ist beunruhigt, dass sein geliebtes Damwild verschwunden ist. Aber warum? Autorin Franziska Franz breitet ein gleichermaßen unheimliches wie spannendes Stadtpanorama vor den Leserinnen und Lesern aus. Nur langsam entschlüsseln sich die Zusammenhänge, bis sich die grausame Wahrheit offenbart …

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Franziska Franz

Frankfurt Hunters

Thriller

eISBN 978-3-948987-98-5

Copyright © 2024 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung und Bildrechte: Lukas Hüttner

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Inhalt

Die Autorin

Prolog

  1 Der alte Mann

  2 Sarah

  3 Sam

  4 Fünf Monate zuvor

  5 Peter

  6 Ben

  7 Der alte Mann

  8 Erik

  9 Der alte Mann

10 Mike

11 Der alte Mann

12 Mike

13 Sammy

14 Mike

15 Ayla

16 Erik

17 Der alte Mann

18 Lisa

19 Sina

20 Ayla

21 Erik

22 Mike

23 Der alte Mann

24 Sina

25 Erik

26 Lisa

27 Erik

28 Lisa

29 Ayla

30 Erik

31 Michelle

32 Heinrich

33 Mike

34 Ben

35 Michelle

36 Sina

37 Erik

38 Lisa

39 Erik

40 Heinrich

41 Erik

42 Mike

43 Pete

44 Lisa

45 Heinrich

46 Erik

47 Mike

48 Sina

49 Pete

50 Lisa

51 Mike

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Franziska Franz veröffentlicht seit 2018 mit Begeisterung Krimis. Sie ist Mitglied im Syndikat, dem Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur. Dank ihrer Schauspielausbildung hält sie spannende Lesungen. Franziska Franz lebt und arbeitet in Frankfurt.

Letzte Veröffentlichungen: „Blutmain“ (Gmeiner 2020), „Blutzeilen“ (Edition Krimi 2022), „Maingrab“ (Gmeiner 2023).

Gemeinsam mit Professor Marcel Verhoff, Direktor der Frankfurter Rechtsmedizin, erscheint alle 14 Tage ihr gemeinsamer TrueCrime Podcast „SpurenElemente“. Zu hören auf allen Online-Plattformen, die Podcasts anbieten.

Am 26. Oktober 2024 sticht der Podcast erstmals in See. An Bord der Crime-Cruise auf dem Weg nach Island wird sie den Passagieren gemeinsam mit Professor Verhoff von wahren Verbrechen berichten. Dabei wird auch die Arbeit der Rechtsmedizin spannend beleuchtet.

Prolog

März 2023. Das Ende der Pandemie zeigt in ganzer Tragweite seine drastischen Folgen. Das unbeschwerte Leben der Jahre davor scheint in weite Ferne gerückt. Die Arbeitslosigkeit steigt wie auch die psychischen Folgen von Angst und Isolation. Menschen streben nach Normalität und sozialen Kontakten. Besonders junge Menschen suchen Anschluss.

Ein Psychopath nutzt diese Lage erbarmungslos aus und heuert für ein schauriges Vorhaben junge Männer an. Bald geschehen in Frankfurt Ereignisse, die selbst die Pandemie harmlos erscheinen lassen.

1

Der alte Mann

Der alte Mann streifte durch seinen Stadtwald. Seiner Meinung nach gehörte er ihm allein. Nicht den Förstern, nicht den Jägern, nicht den Spaziergängern. Er kannte jeden Weg, jede Lichtung, jedes Stück Wild, alles, was im Wald lebte. Das Damwild respektierte ihn und war kaum mehr scheu. Die Tiere hatten sich längst mit ihm arrangiert. Kein Wunder, er verbrachte seit Jahren jeden Tag und jede Nacht, zumindest im Sommer, im Wald. Manchmal bis in den Herbst hinein. Den Winter mochte er nicht, denn er musste sich zwangsläufig um eine andere Bleibe kümmern, um nicht zu erfrieren. Ein Obdachlosenheim in der Stadt. Manchmal schlief er aber auch in der B-Ebene. Oft wurde er von anderen Wohnsitzlosen verjagt, denn er unterschied sich. War nicht gesprächig, trank nicht, schlug sich nicht. Er wollte seine Ruhe haben, nicht mehr, nicht weniger. Dabei hatten sie alle eine Gemeinsamkeit. Ein Schicksal, das so einschneidend war, dass sie daran zugrunde gegangen waren.

Zweimal in der Woche ging der Alte gezwungenermaßen zu Obdachlosentreffen in Kirchengemeinden, zumindest im Winter. Dort bekam man ein reichhaltiges Frühstück, heißen Kaffee und vor allem konnte man sich aufwärmen, bis die schmerzenden Glieder geschmeidiger wurden. Und man konnte eine Toilette benutzen. Aber auch bei diesen Treffen sprach er mit niemandem, auch nicht mit den Helfern. Deshalb nannte man ihn den Stummen. Dabei waren die Helfer sehr freundlich. Doch derartige Zwangsgemeinschaften waren für ihn eine quälende Herausforderung. Er hatte viel erlebt in seinen weit über 70 Lebensjahren. Grauenvolles, das er versuchte zu verdrängen, das ihn jedoch nie losließ und täglich beschäftigte. Gern hätte er in der Wildnis gelebt, in der er eins sein konnte mit der Natur. Einer der wenigen Träume, die er hatte. Da ihm jedoch kein Geld geblieben war, konnte er die Stadt und erst recht das Land nicht verlassen. So machte er das Beste aus dem, was ihm in seinem Leben zur Verfügung stand. Und das war die Natur. In einer Stadt wie Frankfurt also der große Stadtwald. Deshalb war das weitläufige Gebiet zu seinem Revier geworden, zu seiner Heimat. Mit den Tieren des Waldes kommunizierte er. Tag für Tag besuchte er das Damwild, sah nach dem Rechten. Einmal hatte er ein Kitz von einer Schlinge befreit, in die es geraten war. Das Tier zeigte noch heute seine Dankbarkeit. Mittlerweile war aus ihm ein Rehbock geworden, der ihn hin und wieder am Wegesrand abzupassen schien. Der Alte durfte ihn sogar berühren. Abends zog er sich in einen Verschlag zurück, der Spaziergängern Schutz vor Unwettern bieten sollte. Deswegen konnte er sich dort erst bei Einbruch der Dunkelheit aufhalten, wenn sich niemand mehr im Wald befand. Und das war in den Sommermonaten natürlich der späte Abend. Auch aus diesem Grund war er stets auf der Suche nach einer passenden Alternative. Einem Schlafplatz, den er rund um die Uhr aufsuchen konnte, denn er wurde zunehmend gebrechlicher. Außerdem musste er sich vor Wildschweinrotten in Acht nehmen, die durchs nächtliche Dickicht stöberten. Da sich die Bachen im Frühling um ihren Nachwuchs kümmerten, musste er um diese Jahreszeit besonders achtsam sein. Durch seine täglichen Waldgänge war ihm kürzlich die Idee gekommen, sich in der Holzhütte der Försterei umzusehen. Dort tauchte selten jemand vom Forstamt auf und schon gar nicht nachts. Umgeben von hohen Kaisertannen blieb sie außerdem verschont von unwetterartigen Regenfällen. Das Dach war massiv und befand sich in unmittelbarer Nähe der Futterstellen. Das Damwild würde nachts in der Nähe schlafen, hoffte er. Er war also nicht einsam. Als er eines Tages das Haus in Augenschein nahm, stellte er fest, dass die Holztür der Hütte unverschlossen war. Im Innern stand an der Wand zusammengerollter Maschendraht. Einige Holzpflöcke lagen über den Boden verteilt. Seine wenigen Habseligkeiten, einen Rucksack, gefüllt mit ein paar aus Kleidercontainern gestohlenen Kleidungsstücken, Gummimatte, modrigem Schlafsack, Klappstuhl, Wasserkanister und Trinkbecher, versteckte er im dichtbewachsenen Dickicht in unmittelbarer Nähe der Hütte. Hier würde er es einige Zeit aushalten. Und wenn die Leute vom Forstamt kamen, würde er sich rechtzeitig davonstehlen.

Da sein Wasservorrat zur Neige ging, machte er sich wie so oft auf den Weg zum Königsbrünnchen, das auf der anderen Seite des Stadtwaldes lag. Seine verkratzte Armbanduhr zeigte kurz vor fünf in der Frühe. Er lief über den breiten Schotterweg bis zum Holztor vor der Babenhäuser Landstraße und überquerte von dort die Holzbrücke, um nicht die Fahrbahn betreten zu müssen. Dann ging er geraden Weges durch den Wald. Nach einer Weile musste er pausieren, denn er hatte in der Nacht einen schweren Rheumaschub gehabt. Er setzte sich neben dem Weg auf einen Holzstumpf, stellte den Kanister ab und schlüpfte aus den Schlappen, die er an den Füßen trug. Es dämmerte, doch aus den Augenwinkeln nahm er einen Schatten wahr. Wegen des beklemmenden Gefühls, einer Wildschweinrotte in die Quere geraten zu sein, drehte er sich vorsichtig um. Was er zu sehen bekam, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Im Dickicht, vielleicht dreißig Schritte von ihm entfernt, stand ein Tier, das ihn unweigerlich an einen Wolf erinnerte. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder. Das Tier stand noch immer dort und starrte ihn aus dunklen Augen und mit angelegten Ohren an. Trugschluss? Was suchte ein Wolf im Stadtwald? Er traute sich kaum, zu atmen, während sein Verstand eine plausible Lösung für die Sichtung suchte. Das Tier stand immer noch unbeweglich da, fast wie eine Statue. Er wusste, dass er sich ruhig verhalten musste. Keine hektischen Bewegungen. Außerdem sollte er sich möglichst groß machen. So richtete er sich auf und wendete sich dem Tier zu, das deutlich größer als ein Schäferhund war. Es hatte eher die Größe eines irischen Wolfshundes. Die Zeichnung aber war eindeutig die eines Wolfes und mit erschreckender Gewissheit fiel ihm die Sichtung 2020 ein. Damals wurde ein Tier auf der Babenhäuser Landstraße von einer Autofahrerin erfasst und getötet. Er hatte das tote Tier mit eigenen Augen gesehen, denn er selbst hatte die Straße überquert, kurz nachdem der Unfall geschah. Wochen später stand in allen Zeitungen, dass die DNA-Untersuchungen bestätigen konnten, dass es sich bei dem Kadaver zweifellos um einen Wolf gehandelt hatte. Warum sollte das ein Einzelfall gewesen sein? Die Tiere vermehrten sich in allen Landesteilen. Durchaus möglich, dass sich das Tier auf der Durchreise in den Spessart oder den Odenwald befand. Zu seiner Beruhigung schien es keinerlei Interesse an ihm zu haben und zog sich geräuschlos zurück, als wäre es nie dagewesen. Der alte Mann setzte sich erschöpft wieder auf den Stamm und harrte eine Ewigkeit aus, bis er sich traute seinen Weg fortzusetzen. Er hätte mit allem gerechnet, aber einmal in den Fängen eines Wolfes zu enden, war eine Vorstellung, die ihn schaudern ließ. Er brauchte viel länger zum Königsbrünnchen als sonst, denn er war auf der Hut und blieb alle paar Meter stehen. Doch das Tier tauchte zum Glück nicht mehr auf. Er konnte den Kanister an diesem Tag nur halb mit dem schwefelhaltigen Wasser füllen, da er sich durch den Schrecken und das Rheuma erschöpft fühlte. Als er schließlich seine neue Unterkunft erreichte, den Kanister abstellte und seine Habe aus dem Dickicht holte, war er so ermattet, dass er glaubte, einen Berggipfel erklommen zu haben. Er breitete die Matte in der Hütte aus, ließ sich ächzend niedersinken und fiel fast sofort in einen tiefen Schlaf. Als er am folgenden Tag aufwachte, konnte er zunächst nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. Erst der Blick auf den nur halbgefüllten Kanister bestätigte, dass das gestrige Erlebnis kein Traum gewesen war. Außerdem blieb sein geliebtes Damwild weiterhin fern. Das war in all den Jahren nie geschehen.

2

Sarah

Oft dachte er an den einen Moment und an Sarah, wie sie sich wand und verzweifelt mit den Händen nach ihm zu schlagen versuchte. Die blauen Augen unnatürlich geweitet, dunkler als sonst, größer. Ungläubige, hilflose, panische Blicke. Sie ruderte ungelenk mit den Armen. Doch gegen ihn kam sie nicht an. Sein Krafttraining hatte seine Armmuskulatur gestärkt. Dennoch zitterten seine Muskeln nun vor Anstrengung, Speichel tropfte ihm aus dem Mund und auf ihr Gesicht, wie Regentropfen. Sie atmete noch immer, keuchend. Unwillkürlich dachte er an die Redensart: einen langen Atem haben. Ob der beim Würgen erfunden worden war? So anstrengend hätte er sich das nicht vorgestellt. Wenn er jetzt aber nachgab, war alles umsonst. Sie würde nach Luft schnappen und wieder zu Kräften kommen. So presste er weiter, seine Fingernägel gruben sich tief in das Fleisch ihres Halses. Kaum zu fassen, dass ein so schlanker Körper so lange Zeit …

Doch da ließ urplötzlich ihr Widerstand nach. Ein letzter erschrockener Ausdruck, ein letztes Zucken, ihr Blick noch immer auf ihn gerichtet glitt ins Leere. Ihr Mund öffnete sich, das Kinn fiel zurück. Er lockerte den Griff. Wartete, tastete ihre Halsschlagader. Kein Puls mehr. Sie regte sich nicht. Er hielt die Hand vor ihren Mund. Kein Atemzug. Es war geschafft, das Miststück erledigt. Er rieb sich die schmerzenden Arme. Das morgige Krafttraining würde flachfallen. Er bog seine Finger nach außen, bis sie knackten. Als seine Muskeln sich entspannten, packte er sie bei den Schultern und zog ihren Oberkörper hoch. Ihr Kopf fiel weit ins Genick. Wie bei einer schlaffen Puppe. In ihren Augen viele geplatzte Gefäße. Wie hässliche Spinnweben. Er wischte die blutigen Fingernägel an ihrem nackten Bauch ab, schleifte sie zum Bett, das er vor weniger als einer Stunde mit ihr geteilt hatte. Da hatte er noch geglaubt, sie zurückgewonnen zu haben, doch das war ein Irrtum. Die letzte Chance, die er ihr zu geben bereit war, hatte sie vertan. Sie hatte ihm unverwandt in die Augen gesehen und gesagt, dass es aus sei. Sie hatte bloß noch einmal Sex gewollt. Wie hätte er sich anders verhalten sollen, wie hätte er sie am Leben lassen können? Sie hatte die Höchststrafe verdient. Es war ihre eigene Schuld. Doch dann, als sie wehrlos vor ihm lag, war seine Wut verraucht. Er bettete ihren Kopf sanft auf das Kissen. Sie schien ihn aus toten Augen anzustarren.

„Haste dir selbst zuzuschreiben“, flüsterte er, in Gedanken an die alte Erinnerung. „Ich hätte alles für dich getan. Wollte mit dir alt werden. Ich dacht, du bist anders als die anderen. Ich hätt mir mein Herz für dich aus‘m Körper gerissen. Das hast du davon. Aber ich kann nicht zulassen, dass’n anderer Kerl dich anfasst.“ Er zeichnete liebevoll mit den Fingern ihre Gesichtskonturen nach. Drückte ihr einen Kuss auf die fahlen Lippen. „Du gehörst für immer mir. Jetzt verstehste mich, oder?“ Er begann über ihr Haar zu streichen. Das Haar, das immer so gut nach ihr geduftet hatte. Selbst jetzt duftete es. „Ich werd‘s dir morgen abrasieren, bevor ich dich in den See werf. tut mir echt leid.“ Er ließ eine Strähne durch seine Finger gleiten. „Fühlt sich an wie Seide. Ich glaub, dein Haar war‘s Schönste an dir. Ich werd‘s hüten wie einen Schatz.“ Er schmiegte sich eng an sie, umschlang ihren schlanken Körper mit seinen Armen. „Keine Angst, ich bin bei dir“, flüsterte er und griff ihre steife Hand. Er brach ihre Finger, um seine dazwischenzuschieben. Er dachte an den kommenden Morgen und die kreischende Kettensäge. Das Blut würde bis dahin geronnen sein, hoffte er. Er fragte sich, ob die Müllsäcke ausreichten, die er gekauft hatte. Schließlich war das sein erstes Mal. Das erste Mal. Er ließ es sich auf der Zunge zergehen. Ein mächtiges Erlebnis. Ein Glücksgefühl, wie er es nie zuvor empfunden hatte. Er hatte sich neu erschaffen, war Herrscher über Leben und Tod, denn er hatte seine eigene göttliche Ader entdeckt. Als er aus tiefem, zufriedenem Schlaf erwachte, war Sarah kalt genug, um zerteilt zu werden.

3

Sam

Seit einer halben Stunde apportierte Sam, der Golden Retriever, unermüdlich Stöckchen aus dem Jacobiweiher, die sein Besitzer für ihn ins Wasser warf. Eine Übung, die die beiden bei gutem Wetter täglich praktizierten. Der Mann wusste, dass Schwimmen dem Arthrose geplagten Hund das Leben erleichterte. Obwohl Sam schon acht Jahre auf dem Buckel hatte, strotzte er trotz seiner Schmerzen vor Energie, wenn er in seinem Element, dem Wasser, war. Heute schien er besonders gut beieinander zu sein. Die höher dosierten Schmerztabletten zeigten ihre Wirkung. Sam jagte um sein Herrchen herum und jaulte vor lauter Begeisterung. Immer wieder versuchte er, ihn anzuspringen. Was sein Herrchen mit einer wirschen Abwehrbewegung zu verhindern suchte. Dieses Mal war der Stock besonders weit geflogen und der Hund entschwand dem Blick seines Herrn. Nach einer Weile seufzte der Mann und rief den Hund. „Sam, komm zurück.“ Er trat ans Ufer. „Sam!“ Doch Sam blieb verschwunden. Der Mann zückte seine Trillerpfeife, da schwamm der Hund auf ihn zu. Im Fang einen großen Stock.

„Nun übertreib mal nicht, den habe ich doch gar nicht geworfen, alter Junge. Deine Augen machen auch nicht mehr so richtig mit, was? Wo hast du den Prügel denn gefunden?“

Sam sprang aus dem Wasser und schüttelte sich, ohne den Stock aus dem Fang zu lassen.

„Pfui Teufel“, schimpfte der Mann, dem der schlammige Stock mehrfach gegen die Beine schlug. „Kannst du dich denn nicht woanders schütteln?“

Sam legte den Stock voller Stolz direkt zu Füßen seines Besitzers ab und setzte sich erwartungsvoll wedelnd vor ihn. Der Mann hob den Stock auf, wollte ihn werfen und stutzte. Dann verschlug es ihm den Atem. Er schob die Brille dicht vor seine Augen, starrte ungläubig auf das, was er sah. Galle stieg in ihm auf. Er schluckte. Sein Gehirn versuchte für das, was er identifizierte, eine vernünftige Erklärung zu finden. Als alter Mediziner jedoch gelang es ihm nicht. Er drehte und wendete den Fund und befreite ihn vom Schlamm. Wenn er sich nicht restlos täuschte, war das, was Sam aus dem Wasser gezogen hatte, der Größe nach ein menschlicher Unterschenkel.

4

Fünf Monate zuvor

Mike

Die Suche hatte sich gelohnt. Vielleicht hatte er den perfekten Ort gefunden. The Place to be, zentral und direkt an der Kennedyallee gelegen. Jeder kannte ihn, keiner schenkte ihm Beachtung. Auffällig unauffällig. Genau das machte den Reiz aus. Die vierspurige Kennedyallee verschlang alle Geräusche, die aus dem Inneren des Gebäudes nach außen dringen konnten. Eines der wichtigsten Kriterien. Dazu kam der große Parkplatz. Auch er fiel nicht auf, denn er lag hinter wild wucherndem Gestrüpp. Das Gebäude selbst, eine ehemalige Stallung, besser gesagt die Baracke, stand direkt an der Straße, seit Monaten von einem Baugerüst und einem Netz ummantelt. Im Juli 2021 war das Dach des Gebäudes durch Brandstiftung komplett zerstört worden, der gesamte Komplex einsturzgefährdet. Er hatte den Brand auf seiner Reise im Internet verfolgt. Zu schade, dass er zu der Zeit nicht dort gewesen war. Er liebte Feuer und wilde Brände, aber er liebte auch Wasser, je tiefer desto besser. Man konnte dort einiges abtauchen lassen.

Da das Oberforsthaus unter Denkmalschutz stand, sollte es saniert werden. Die Kosten waren immens. Er hatte spannende Fotos des Innenbereichs im Internet gefunden. Wenn es tatsächlich so aussah, dann war diese Location perfekt für sein Projekt. Mit Sicherheit kam niemand außer Mike auf die absurde Idee, sich darin aufzuhalten. Ein unheimlicher Platz. So nah am Leben, so nah dem Tod. Niemand würde vermuten, dass sich ausgerechnet hier jemand aufhalten würde. Allerdings war es noch zu früh, sich zu freuen. Erst musste er das Innere inspizieren. Der Parkplatz bot genügend Fläche für Motorräder und Autos. Mystisch, märchenhaft wirkte das Gebäude, wenn man durch die Außennetze einen Blick auf die baufällige Fassade warf. Abenteuer pur. Das Haupthaus, das einst neben dem Stallgebäude gestanden hatte, existierte längst nicht mehr. Es war ein bedeutendes Hotel gewesen, hatte er im Netz gelesen, in dem Goethe mal seinen Geburtstag gefeiert haben soll. Doch wer war schon Goethe? Auch Mike würde über seinen Tod hinaus für Gesprächsstoff sorgen, obwohl er nicht dichten konnte. Er blieb unmittelbar vor der Baracke stehen und blickte daran empor. Er war kein Experte, doch da die Stadt es nicht abgerissen hatte, war anzunehmen, dass es mittlerweile genügend gesichert war. In seiner Fantasie spielte sich schon jetzt seine beeindruckende Zukunft hier ab. Eine wohlige Gänsehaut kroch ihm bis in die Haarspitzen. Nicht auszumalen, wenn ihn das Innere enttäuschte. Er neigte nun einmal dazu, sich in Fantasien hineinzusteigern. Das war seit seiner Kindheit der Schutz vor der Realität gewesen.

Er sah sich um, suchte nach einer Möglichkeit in das Gebäude einzudringen. Der Eingangsbereich war gesichert und vernagelt. Hier würde man Werkzeug benötigen. Er lief um den Bau herum, entdeckte einen Seiteneingang und daneben eine offene Fenstereinfassung.

„Na also“, murmelte er und grinste breit. „Jetzt wird`s richtig spannend.“

Mit dem Ärmel seiner Lederjacke beseitigte er geborstenes Holz, Splitter und Späne, lugte ins Innere, horchte und schwang sich schließlich über den Sims. Es roch feucht und modrig. Er brauchte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Diffuses Licht schien durch die Fugen der Holzlatten in den Fenstereinfassungen in den breiten Korridor. Ein Bild, das er sich schöner nicht hätte ausmalen können. Steine, Schotter und Stahlträger lagen in der ehemaligen Stallgasse herum. Dunkle Schatten und dicke Spinnweben verbreiteten eine gruselige Atmosphäre. Besser als in jeder dämlichen Geisterbahn. Er zog die Stirnlampe, die er extra mitgenommen hatte, aus seiner Lederjacke, streifte sich das Gummi über den Kopf und knipste die Lampe an. Das LED-Licht durchdrang grell jeden Winkel des verfallenen Hausinneren. Der Seiteneingang war zu seiner Überraschung bloß mit einem einfachen Riegel von innen versperrt. Er brauchte nur ein paarmal daran zu rütteln, bis das rostige Metall nachgab und sich der Riegel zur Seite schieben ließ. Bisher schien alles wie für ihn gemacht. Die Tür war der Straßenseite abgewandt und somit vor unliebsamen Blicken geschützt. Sein Augenmerk richtete sich auf die Deckenbalken. Die hölzernen Streben waren auch dort von Stahlträgern gesichert. Eine stabile Konstruktion. Musste es auch sein, wenn das Gebäude erhalten werden sollte. Achtsam schritt er voran. Die Hand an der Gürteltasche, in der sein Fox Messer steckte. Doch die unzähligen dichten Spinnweben sprachen ihre eigene Sprache. Hier hatte sich längere Zeit niemand aufgehalten. Ständig wischte er sich die Netze aus dem Gesicht und spuckte dünne Spinnfäden aus. Am Ende der Stallgasse stieß er auf drei verschlossene Boxen mit massiven Holzgattern. Offensichtlich ehemalige Pferdeboxen. Sie waren ebenfalls mit schweren Riegeln versehen. Die Scharniere zwar eingerostet, dennoch ließen sie sich öffnen wie der Riegel der Seitentür. Die erste Box, die Mike betrat, barg eine willkommene Überraschung. Der Lichtschacht war, wie auch draußen die meisten Fensteröffnungen, mit Holzlatten vernagelt.

Die der Nachbarboxen ebenfalls. Besser hätten sie sich für seine Zwecke nicht darstellen können. Mike war euphorisch. Dieser Platz enttäuschte ihn nicht. Etwas Besseres konnte er sich kaum vorstellen. Dieses Gebäude würde die Herberge der Hunters werden. Ja, er würde die Gruppe Hunters nennen und das nicht nur wegen seines eigenen Nachnamens, Jäger. An diesem Ort würde er die nötige Inspiration bekommen und die Jagden vorbereiten. Zumindest für die erste Saison. Im nächsten Jahr würden sie weitersehen. Je nachdem, ob Bauarbeiten ausgeführt würden und wie die Stimmung der Jäger es zuließ. Nur nichts übereilen, stattdessen systematisch vorgehen.

*

Mike zückte sein Handy und suchte unter seinen Kontakten die Nummer seines alten Bekannten Peter Lewandowsky. Er zögerte – sollte er wirklich anrufen, alte Wunden aufbrechen? Andererseits war er neugierig. Außerdem wusste er, dass Lewandowsky sich für keine Arbeit zu schade war. Deswegen tippte er auf den Anrufbutton. Nach nur zweimaligem Ton meldete sich der alte Weggefährte.

„Hallo?“

„Freut mich, Mann, du hast noch deine alte Handynummer, Schwein gehabt.“

Für einen Moment blieb es am anderen Ende der Leitung still, bevor Lewandowsky fragte: „Wer ist dran?“

„Nun mach mal halblang Pete, du hast mich unter deinen Kontakten nicht gespeichert? Nach dem Motto: aus‘en Augen, aus‘em Ohr? Haha. Dabei habe ich gehört, dass Stimmen sich nicht so schnell verändern und solange isses doch gar nicht her, Pete!“

„Moment mal, so spricht doch nur Mike?“

„Na also, geht doch, klar wer sonst?“

„Das nenn ich mal eine Überraschung. Ich dachte schon, du bist für immer abgetaucht. Neulich sprach ich gerade mit `nem alten Bekannten aus unserer Kneipenzeit über dich. Elvis. Erinnerst du dich noch?“

„Der Typ mit der Tolle?“, fragte Mike.

„Genau, den richtigen Namen kennt noch immer keiner. Ist auch Schnuppe. Jedenfalls glaubte er, die hätten dich abgemurkst.“

„Die? Wer soll das sein?“

„Die Jungs von den Wild Panthers. Da wolltest du doch damals unbedingt rein, oder?“

„Und weshalb sollten die mich kaltmachen?“

„Weil du schon immer ein schräger Typ warst. Keine Ahnung. Hat Elvis gesagt, nicht ich. Ich hab dir mal geschrieben, hast mir aber nicht geantwortet, da hab ich deine Nummer gelöscht. Dachte mir, vielleicht hat der recht.“

„Quatsch, wollte mir `ne Auszeit nehmen, um meine grauen Zellen zu adjektivieren.“

„Adjekti was?“ Lewandowsky lachte.

„Scheiß drauf, du weißt, was ich meine, Lewy.“

„Lewy hat mich ewig keiner mehr genannt. Erinnert mich an sehr alte Zeiten. Heute nennen mich alle bloß Pete. Wo warst du denn eigentlich die ganze Zeit?“

„Ich musste mal raus hier. War im Ausland.“

„Im Ausland? Etwa weit weg?“

„Nee, bisschen durch Europa.“

„Mit meiner alten Harley etwa?“

„Träumst du? Die hätte das nicht gepackt. Verdammt viel Geld hast du mir für den Schrotthaufen abgenommen, alter Fuchs. Musste da noch dran schrauben ohne Ende.“

„Hättest sie ja nicht kaufen müssen. Aber du warst ja wie gekniffen drauf.“

„Klar, hast damit `ne alte Freundin geködert, Sarah.“

„Sarah? Lange nicht an die gedacht. Die alte Schlampe hat mich versetzt. Ist abgetaucht, nie mehr was von ihr gehört.“

„Soll’s geben. Die fand dich wahrscheinlich bescheuert.“

„Spinnst du? Die hat mich geliebt.“

Das glaubst auch nur du, dachte Mike. „Jedenfalls hab ich mir für die Europa-Tour ‘n altes Auto gekauft und bin durch‘n paar Länder gereist.“

„Hast du `ne Bank ausgeraubt? Oder wie hast du das finanziert?“

„Mal was von Jobs gehört? Ist doch kein Problem Mann, wenn de willst, kriegste immer was. Was machst du so?“

„Nichts Genaues. Ich arbeite in einem Getränkemarkt, Schichtdienst.“

„Und wenn du nicht arbeitest?“

„Nichts Genaues. Und du?“

„Kaiserstraße.“

„Als Lude oder Stricher?“

„Klar, ich steh auf Kerle, weißte doch. Nee, in `ner Kneipe, besser gesagt in der Eckkneipe. Da warn wir früher `n paarmal saufen, weißte noch? Bin da Barkeeper, Rausschmeißer und Sorgenonkel, was de willst. Verdienst ist okay und was viel besser ist, komm günstig an Stoff.“

„Ja, ich erinnere mich. Besonders an den Tag, als ein paar Jungs von den Holy Graves reinkamen und uns zu Brei geschlagen haben. Die haben dich für’n Zuhälter gehalten und gedacht, wir zocken ihr Gebiet ab.“

„Nicht nur mich, dich auch, Bruder. Du hast damals `ne ziemlich dicke Lippe riskiert. Scheiß Rocker haste die genannt. Dann ham die dir die Nase eingedroschen. Hätt ich mich nicht eingemischt, wärste heute gaga oder tot.“

„Schon gut, mach mal halblang.“

„Ich sag bloß die Wahrheit.“

„Und weshalb rufst du an? Dass ich dich als Lebensretter feier?“

„Bleib mal cool! Ich ruf an, weil ich `ne Wahnsinnsidee hab. Haste eigentlich wieder `ne Alte?“

„Nee, seit damals keinen Bock mehr, du?“

„Bin doch nich dämlich, nerven bloß, die Dummbratzen. Ich hätt da aber was Genaues für dich, wenn du mich fragst. Bisschen Gaudi muss sein. Du warst doch schon immer für Spaß zu haben, oder?“

„Kommt auf den Spaß drauf an.“

„Ich wette, das trifft deinen Geschmack. Näheres mündlich. Wie wär`s heute Abend? Muss arbeiten, komm doch vorbei.“

5

Peter

Peter Lewandowsky erschien, kurz nachdem Mike das Lokal aufgeschlossen hatte. Dennoch saßen bereits ein paar Typen am Tresen, die wirkten, als hätten sie es eilig, endlich einen Kurzen zu bekommen. Mike kam auf Lewandowsky zu, umarmte ihn und schlug ihm auf die Schulter.

„Das Tattoo kenn ich ja gar nicht, neu?“, fragte Mike den alten Weggefährten, der den Hals wie einen Rollkragen schwarz tätowiert hatte.

„Sonst hättest du’s sicher früher schon gesehen. Braun bist du geworden. Ich sollt auch mal Urlaub machen.“

„Setz dich hinten in die Ecke, da könn‘ wir ungestört sprechen. Ich bring dir`n Pils.“

„Und `nen Kurzen“, sagte Pete. „Natürlich nur, wenn`s aufs Haus geht.“

Pete war der klassische Kleinkriminelle. Schon im Grundschulalter hatte er geklaut, gelogen und betrogen. In gewisser Weise war er Mike immer ein Vorbild gewesen. Ein brutaler Schläger und Draufgänger. Hatte bereits in frühen Jahren mehrfach in der JVA gesessen.

„Was hast du in den letzten Jahren getrieben?“, fragte Mike, nachdem sie beide einen gekippt hatten. „Ich meine, du musst doch was Krummes gemacht haben. Oder bist du servös geworden?“

„Hä?“

„Na, wenn man ordentlich wird oder so.“

„Ach seriös meinst du? Nee, ich nicht. Ich dachte, du wolltest mir `nen Vorschlag machen?“

„Schon gut, wir ham beide viel Mist gebaut, das bleibt ei‘m im Blut, Mann“, sagte Mike. „Kurz und knapp. Ich will’n Bikerclub gründen. Lust dabei zu sein? Ist `ne ziemlich coole Sache. Hab’n paar irre Ideen. Hör zu.“ Mike erzählte in knappen Sätzen von seinem Projekt, das Pete für einige Sekunden verdauen musste. „Was gewinnt man dabei?“, fragte er schließlich.

Mike äffte ihn nach: „Was gewinnt man? Hört sich dämlich an. Aber von mir aus. Ansehen.“

Pete höhnte: „Von Ansehen kann ich nicht leben. Ich glaub, du hast auf deiner Reise zu viel Sonne abbekommen, oder was? Ist `ne total abgefahrene Nummer.“

„Ich sagte nicht, dass du deinen Job kündigen sollst. Es ist’n Hobby. Ein ziemlich Durchgeknalltes zugegeben, aber eins, was zu dir und mir passt. Es geht dir auch nicht von der Arbeitszeit ab. Ich hab‘n eigenes Clubhaus, wir treffen uns hin und wieder, planen Touren und das jeweilige Projekt. Nicht mehr als einmal im Monat. Bleibt also genug Zeit für dein normales Leben. Ich dacht an dich, weil ich jemand brauch, auf den ich mich verlassen kann. Und der sich für nichts zu schade ist. Komm schon, Mann, das wird die Gaudi. Du wirst mein rechter Arm, verstehste?“

Pete grinste breit. „Hand, Idiot, du meinst deine rechte Hand.“

Mike verdrehte die Augen. „Du weißt eh, was ich mein. Aber was hältst du davon? Wir räum‘n bisschen auf in der Stadt. Das gefällt dir doch, oder? Du wirst die andern später überwachen.“

„Welche anderen?“

„Na, `n paar Typen brauchen wir noch mit im Boot, bevor wir starten. Wir werden zwar nicht so groß wie die Wild Panthers, aber ganz allein macht das keine Laune. Ich wollt aber zuerst dich fragen, dann suchen wir advokate Mitglieder.“

„Advokat? Meinst du adäquat?“

„Klugscheißer. Also sag schon, was hältst du davon?“

„Klingt ziemlich schräg, glaubst du, ich will in den Bau?“

„Knast? Nee, ich sicher das ab. Aber ich glaub, du traust mir nicht.“

„Was heißt trauen? Risiko ist Risiko!“

„Was nun, ja oder nein? Gegen uns sind die Wild Panthers Loser. Wir sind Family, verstehste? Jeder Hunter is’n Verwandter.“

„Was heißt Hunter?“, fragte Pete.

„So nenn’ ich den Club. Frankfurt Hunters.“

„Hm, passt.“

„Bei mir passt alles. Musst mir nur vertrauen. Wir helfen uns gegenseitig, ham Spaß und koksen. Ham wir alle verdient. Verdammt viel Stress überall, oder?“

„Wie meinst du das?“

„Na, die Pandemie hat doch alle ganz schön ausgehebelt, oder? Wird Zeit für’n bisschen Gaudi.“

„Okay, klingt nicht schlecht. Ich bin dabei.“

„Auf Fun und auf die Jagd.“ Mike hob die flache Hand und Pete schlug ein.

Mike war zufrieden. So konnte es weiterlaufen. Genauso hatte er sich das vorgestellt. Pete war ein fieser Hund, aber für sein Projekt gut zu gebrauchen. Der Nächste auf Mikes Liste war Ben, sein damaliger Arbeitgeber und Junkie. Zumindest war er es, bevor Mike verschwunden war. Aber erfahrungsgemäß blieben die meisten das, was sie waren. Ben war wie geschaffen für sein neues Projekt, wenn er sich nicht verändert hatte. Für ein paar Joints wäre der zur Hure geworden. Den würde er morgen besuchen. Mike brachte Pete ein neues Bier und einen Schnaps.

„Was denkst du, wo Sarah heute ist?“, fragte Pete.

„Mir egal. In der Hölle wahrscheinlich. Du hast sie mir ausgespannt. Weißte, oder?“

Pete machte ein erstauntes Gesicht. „Ist nicht dein Ernst. Wusste ich nicht.“

„Komm, tu doch nicht so! Sie hat mich geliebt, musste doch bemerkt haben. Klar hatt’ses nich an die große Krichenglocke gehängt.“

„What?“

Mike winkte ab. „Egal Mann. Hatte Schiss vor den Eltern. Aber du musst es bemerkt haben. Wir wollten zusammenbleiben. Dann bist du aufgetaucht und hast so getan, als wär ich Luft. Ich hätt dir die Fresse polieren sollen.“

„Sie hat dich nie erwähnt, Mann. Hat sie dir gesagt, dass wir was hatten?“

„Nee, aber hältst du mich für dämlich?“

„Bloß’n bisschen … nee war Spaß.“

„Ich weiß, dass sie mehrfach hinten auf deiner Harley saß“, sagte Mike. „Und dann hat sie dir’n paar vieldeutige Blicke zugeworfen. Jedenfalls war mir klar, dass ihr nicht bloß ins Kino fahrt. Is aber auch egal. Mittlerweile is Gras drüber gewachsen. Die hat halt jeden angemacht. Selbst Typen wie dich“, sagte Mike und hätte Lewy am liebsten seine Faust ins Gesicht gedroschen, aber das verriet seine gespielt freundliche Mimik nicht.

6

Ben

Mike lenkte die Harley in den Hof der kleinen Werkstatt in Bockenheim. Ben war noch immer der Inhaber, wie Mike im Internet recherchiert hatte. Er parkte die Harley und sah sich um. Ein paar Fahrräder standen im Hof und eine beeindruckende Harley Davidson. Im Inneren der Werkstatt, dessen gläsernes Sektionaltor geschlossen war, stand aufgebockt ein roter Alfa Romeo.

„Hallo?“, rief er.

„Gleich fertig. Kleinen Moment Geduld“, drang eine männliche Stimme aus dem Inneren.

„Nur mit der Ruhe“, antwortete Mike. „Kann warten.“

Kurz darauf glitt das Tor nach oben und sein alter Freund Ben trat heraus, wischte sich die Hände an seinen Hosen ab und richtete den Blick neugierig auf Mikes Maschine. „Wie kann ich helfen?“

„Schau mir in die Augen, Kleiner.“

Ben musterte Mike und stutzte ungläubig. „Das gibt’s doch nicht, du, Mike Jäger? Das ist ein Ding. Ich glaub’s ja nicht. Du bist’s wirklich. Wo kommst du denn so plötzlich her? Ich glaub, ich träume. Ey Mann, was war los mit dir? Ich muss schon sagen, ich hatte einen ziemlichen Hals auf dich. Du hast mich auf der Arbeit einfach hängen lassen. Weißt du, was hier los war und wie oft ich versucht habe, dich zu erreichen?“

„Tut mir leid, Alter, mach kein Fass auf. Es waren Umstände, die mich dazu gezwungen haben. Lange Geschichte, die heute keinen interessiert.“

Ben steckte sich einen Joint an. „Umstände, na wie man’s nimmt. Ich hätte dir damals gern ein paar warme Worte gesagt. Hast mich verarscht, kann man sagen.“

„Schon gut, schon gut. War dumm von mir einfach so abzuhauen. Tut mir leid. Du kiffst noch, wie ich sehe?“

„Was Besseres kann ich mir nicht leisten.“

„Doch, könntest du. Ich komm günstig an fast alles dran. Krieg ich auch einen?“

Ben ging zurück zur Werkstatt und kehrte mit einem weiteren Joint zurück. Mike ließ sich von Ben Feuer geben und inhalierte. „Das Kraut ist okay, aber du bekommst von mir‘n paar Lines, davon träumste nur. Da würdest du nie wieder kiffen.“

„Du willst mit mir Geschäfte machen? Mal ehrlich, du hast mich damals im Regen stehen lassen. Und Geld schuldest du mir auch noch. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Und jetzt kommst du, um mir Stoff anzubieten? Weißt du was? Du müsstest mir normalerweise deinen Monatslohn zurückzahlen. Blöd wie ich bin, habe ich trotzdem nach dir gesucht, bin sogar mal zu deiner Wohnung gefahren. Willst du wissen, warum? Ich dachte, dass du krank bist. Hab mir um dich Idiot Sorgen gemacht.“

„Du bist zur WG-Wohnung gefahren?“

„Genau. Die haben mir gesagt, dass du dich vom Acker gemacht hast. Mit deinem ganzen Krempel. Mann, wo hast du dich bloß rumgetrieben? Wie lange ist das her? Drei Jahre?“