Frauen stören - Katharina Ganz - E-Book

Frauen stören E-Book

Katharina Ganz

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Beschreibung

Katharina Ganz hat sich in den Diskussionen um die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche pointiert und unerschrocken geäußert. Dabei stellt sie klar, dass diese ihren unschätzbaren Beitrag für das Leben und Miteinander nur dann glaubhaft vermitteln kann, wenn ihre Strukturen, die Verteilung von Macht, der Umgang mit den eigenen Mitgliedern und Ressourcen dem Geist Jesu Christi entsprechen. Dazu gibt sie Anstöße, indem sie eigene Erlebnisse und Stationen erzählt, theologisch und spirituell reflektiert und mit Positionen aus ihrer Ordensgemeinschaft und solchen als feministisch-pastoraltheologisch denkende Franziskanerin verknüpft. Ausgehend von ihrer Begegnung mit Papst Franziskus im Mai 2019 geht sie auf Fragestellungen ein, mit denen sich das Forum "Frauen in Diensten und Ämtern" beim Synodalen Weg befasst, blendet zurück in die Zeit der Gründung ihrer Kongregation im 19. Jh., um dann Fragen zu erörtern, die gegenwärtig innerkirchlich unter den Nägeln brennen.

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Katharina Ganz

Frauen stören

Katharina Ganz

Frauen stören

Und ohne sie hatKirche keine Zukunft

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2021

© 2021 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

(Umschlagfoto: Katharina Gebauer)

Innengestaltung: Crossmediabureau, https://xmediabureau.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05623-0

978-3-429-05155-6 (PDF)

978-3-429-06531-7 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Teil 1

1.Papst Franziskus und die (Ordens-)Frauen

Überhöhung des Papsttums

Glaubwürdigkeit liegt in Trümmern

Innerkirchliche Frauenverachtung hat System

Symbolische Gesten reichen nicht

Chance, die Frauenfrage erneut zu stellen

Papst Franziskus: „Kirche wächst und ist auf dem Weg“

Teil 2

1.Antonia Werr – eine beispielhafte Ermutigungsgeschichte

Biografie und Leben

Riskanter Einsatz der gesamten Existenz

Körperlich fragil – geistig vital

Frau ohne Stimme und Rechte verschafft sich Gehör

Prozesshafte Suche

Ökumenische Zusammenarbeit

2.Der Mut zur Gründung

Analyse der Zeitbedürfnisse

Systemischer Ansatz

Der Anfang in Oberzell

Die ersten Gefährtinnen

Umfassende Leitungsverantwortung

3.Ringen um Autonomie und Absicherung

Diplomatie im Umgang mit der Obrigkeit

Unabhängig und an die Kirche angelehnt

Kampf um pastorale Kompetenzen

Weihnachten als Programm

Räumlicher und theologischer Ortswechsel

Teil 3

1.Evangelisierung heißt: Sich stören lassen

Leben und Lehre sind gleichrangig und gleich wichtig

Der Mensch als Kind Gottes steht im Mittelpunkt

Glaube muss sich im Handeln bewähren

Herausforderungen für den Synodalen Weg

Taufe überwindet Geschlechtsunterschiede

2.Macht und Gewaltenteilung

Weihe- und Jurisdiktionsvollmacht

Macht und Autorität

Mitreden oder mitentscheiden?

Ablenkungsmanöver im Umgang mit der Machtfrage

Weniger Klerikalismus, mehr Macht für Lai*innen!?

Die Anders-Macht

3.Frauen in Diensten und Ämtern

Frauen in kirchlichen Leitungspositionen

Kirchenrechtlich ist einiges möglich

„Die Erika hat das Zeug für einen Pfarrer!“

Berufungen und Autorität von Frauen ernst nehmen

Nagelprobe Kirche: Frauen als Notnägel reichen nicht!

Machterhalt oder Wahrheitssuche?

4.Positionierungen der Oberzeller Franziskanerinnen

Den Inkarnationsgedanken ernst nehmen

Strategisch vorgehen und Verbündete suchen

Geschlechtergerecht Kirche sein

5.Auch Ordensleute leben und lieben anders!

Andere Lesart der Schöpfungserzählung

Als Minderheit solidarisch mit anderen Minderheiten

Verantwortliche Gestaltung der eigenen Sexualität

Den Weg der Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehen

Selbstwirksamkeit und Partizipation

Ein Wort zum Schluss

Anmerkungen

Vorwort

„Frauen stören“. Unter diesen (provokanten) Titel habe ich dieses Buch gestellt. Beim Stichwort „stören“ denkt man zuerst an Lästigsein oder Auf-die-Nerven-Gehen. Im Zusammenhang mit „Frauen“ kommen möglicherweise Bewegungen in den Sinn, in denen sich Frauen vernetzen und für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der (römisch-katholischen) Kirche einsetzen.

2019 hat sich in Stuttgart der sog. „Catholic Women’s Council“ (CWC) gegründet. Unter diesem Dach vernetzen sich weltweit römisch-katholische Mitgliedsorganisationen, die sich für die volle Anerkennung der Würde und Gleichberechtigung in der Kirche einsetzen.1 Ziel der Plattform ist nach eigenen Aussagen, Menschen zusammenzubringen, die bereit sind, sich einem informierten, ehrlichen und integrativen Dialog zu stellen, und gemeinsam erkennen wollen, wozu Gottes Geistkraft sie beruft. Ausgehend von einem Treffen deutschsprachiger katholischer Frauenverbände, Initiativen, Ordensfrauen und kirchlicher Gremien, die an einer gemeinsamen Positionierung zur Stellung von Frauen in der Kirche arbeiteten, hat sich das Netzwerk bereits 2020 global ausgebreitet. Die Liste der Mitgliedsorganisationen wächst permanent.2

#Overcoming silence heißt eine weitere, ebenfalls von der liechtensteinischen Fidel-Götz-Stiftung3 ins Leben gerufene Plattform, die Menschen guten Willens vernetzt mit dem Ziel, die Ausgrenzung von Frauen in der katholischen Kirche zu beenden: „Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen. Hingegen werden Entscheidungen, die alle Katholiken treffen, nur von Männern getroffen. Treffen wir aber weiter einseitige Entscheidungen, gefährden wir die Relevanz und Langlebigkeit der katholischen Kirche. Wir brauchen mehr Stimmen, die für unseren Glauben sprechen. Beginnen wir mit denjenigen Stimmen, die bereits die Hälfte der katholischen Kirche repräsentieren.“4 Erklärte Ziele sind, Stimmrecht für (Ordens-)Frauen bei Bischofssynoden zu erreichen, mehr Frauen in Führungspositionen des Vatikan und auf allen Ebenen der katholischen Kirche zu bringen, in denen wichtige Entscheidungen getroffen werden.

Auch die deutschsprachigen Generaloberinnen hatten sich bei ihrer Mitgliederversammlung in Innsbruck im Oktober 2018 gegen die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen gewandt, da unabhängig von der sakramentalen Weihe Ordensmänner ihre Gemeinschaften mit Stimmrecht bei Bischofssynoden vertreten, während Ordensfrauen lediglich an den Versammlungen als Beobachterinnen teilnehmen dürfen. Die Generaloberinnen setzen sich deshalb für ein Ende dieser geschlechterspezifischen Benachteiligung in ihrer Kirche und für ein aktives Stimmrecht bei Synoden ein.5 Darüber hinaus stellten sich die Ordensfrauen hinter die sog. „Osnabrücker Thesen“, wonach nicht die Zulassung von Frauen zu den Weiheämtern begründungspflichtig ist, sondern deren Ausschluss.6

In der Schweiz hat sich die sog. „Junia-Initiative“ gebildet, bei der Menschen aus dem Volk Gottes Personen vorschlagen können, die sie für eine sakramentale Sendung für geeignet halten.7 Dabei sollen Berufungen von Christ*innen anerkannt und sichtbar gemacht werden. Unabhängig von ihrem Geschlecht sollen Getaufte, die sich als Seelsorger*innen bewährt haben, vorgeschlagen werden, eine offizielle Sendung und Beauftragung durch den Bischof für ihren Dienst zu bekommen.

In Deutschland sorgte Maria 2.0 für Schlagzeilen. Die Anfang 2019 von fünf Frauen einer Pfarrei in Münster gestartete lose Bewegung glaubt, „dass die Struktur, die Missbrauch begünstigt und vertuscht, auch die ist, die Frauen von Amt und Weihe und damit von grundsätzlichen Entscheidungen und Kontrollmöglichkeiten in der Kirche ausschließt“8.

Der Katholische-Deutsche-Frauenbund (KDFB) sowie die katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) fordern inzwischen die Zulassung von Frauen zum Diakonat bzw. zu allen Weiheämtern der katholischen Kirche.9

Verbunden mit diesen vielfältigen Aufbrüchen in unserer Kirche und insbesondere mit allen, die sich im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland engagieren und an die lebendigmachende Geistkraft Gottes glauben, schreibe ich dieses Buch. Allen, die diese Zeilen lesen, wünsche ich eine anregende Lektüre. Heribert Handwerk hatte bereits die Veröffentlichung meiner Dissertation als Lektor im Echter Verlag begleitet. Deshalb fiel es leicht, an der erprobten Zusammenarbeit anzuknüpfen. Meinen Mitschwestern und besonders dem Generalrat danke ich für ihr Verständnis, ihre Ermutigung und Unterstützung, dass ich nach der Arbeit an meiner Dissertation, die die Hälfte meiner ersten Amtszeit begleitet hat, erneut einen Teil meiner Zeit mit dem Schreiben verbringe.

Dr.in Katrin Brockmöller, Dr.in Martina Kreidler-Kos und Dr.in Andrea Qualbrink danke ich für inhaltlichen Austausch und weiterführende Anregungen, Sr. Philippa Rath OSB und den Münsterschwarzacher Missionsbenediktinern für die Autorisierung der sie betreffenden Passagen.

Kloster Oberzell,

am 10. Februar 2021,

dem Gedenktag der hl. Scholastika,

M. Katharina Ganz

Einleitung

Frauen stören. Damit ist weit mehr gemeint als lästig werden mit Petitionen zu den Anliegen der Würde und Gleichberechtigung von Frauen in der römischkatholischen Kirche. Frauen stören produktiv das System einer Institution, die zutiefst klerikal und männerbündisch geprägt ist. Sie stören durch ihre Anwesenheit, durch einen anderen Blick, durch Fragen und Herangehensweisen, die sich unterscheiden und einseitige Perspektiven ergänzen. Dabei geht es nicht um besser oder schlechter, sondern eben um die Vielfalt, die entsteht, wenn Frauen und andere sich gleichberechtigt einmischen, einbringen und mitentscheiden.

Andrea Qualbrink, promovierte Pastoraltheologin und Referentin für Strategie und Entwicklung im Bistum Essen, hat den Titel meines Buches erstmalig geprägt.10 Als Beraterin für systemische Organisationsentwicklung konstatiert sie: „Führungskräfte stören ihr Unternehmen. Frauen in Führung stören viele Unternehmen mitunter noch viel mehr – auch die Kirche. Und Störungen tun Unternehmen und auch der Kirche gut. Was unverschämt klingen mag, ist eine schlichte systemtheoretische Beobachtung“.11 Allerdings lassen sich Organisationen nicht gerne stören, sondern folgen am liebsten bewährten Mustern. Damit riskieren sie Stillstand, verpassen wichtige Entwicklungen und laufen Gefahr, sich ins gesellschaftliche Abseits zu manövrieren und irrelevant zu werden. Eine „gute Führungskraft“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihrer Organisation Impulse gibt, sozusagen „produktive Störungen“ auslöst, indem sie „von der Zukunft und von sich verändernden äußeren Bedingungen her denkt und entsprechende Strategien anstößt“12.

In der Kirche geht es darum, die bleibende Gültigkeit des Lebens und der Lehre Jesu Christi in die jeweilige Zeit, in individuelle und gemeinschaftliche Lebenssituationen und Kulturen hinein zu buchstabieren. Biblische Grundbotschaft, Tradition und Glaubenslehre müssen sich in den Kontexten verschiedener Epochen, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, globaler Herausforderungen und persönlicher Lebenslagen bewähren (vgl. Gaudium et spes, GS 1).13 Dazu gilt es, sich auf ihre Kernbotschaft, Sinnhaftigkeit und Überzeugungskraft zu besinnen, weiterzuentwickeln und immer neu auszulegen. Getragen sind meine Ausführungen von der Überzeugung, dass die eigene Lebens- und Glaubenserfahrung eine wichtige Quelle der Gotteserkenntnis ist.

Trotz allem, was mich an meiner Kirche ärgert, frustriert, beschämt und an ihr zweifeln lässt, bin ich überzeugt, dass die einzigartige frohe Botschaft Jesu Christi nicht an Berechtigung und Kraft verloren hat. Das Christentum kann auch in unserer Zeit einen großartigen Beitrag leisten, um die Gottesfrage offenzuhalten und das Zusammenleben mit anderen Geschöpfen menschlicher, gerechter und achtsamer zu gestalten. Allerdings müssen wir – also die Kirche als Ganzes – bei uns selbst anfangen. Nur wenn die Strukturen unserer Kirche, die Verteilung von Macht, der Umgang mit den eigenen Mitgliedern und Ressourcen dem Geist Jesu Christi entsprechen, werden wir im 21. Jahrhundert noch etwas zu sagen haben, was neugierig macht, aufhorchen lässt und einen echten Mehrwert bedeutet für das individuelle und soziale Leben.14

Das wird aber nur gelingen, wenn sich die Kirche ihren eigenen Abgründen, ihrem Versagen und ihrer Schuld in aller Scham, Offenheit, Wahrheit und Ernsthaftigkeit stellt. Erst seit Februar 2021 und damit ein Jahr nach dem offiziellen Start des von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) getragenen Synodalen Weges werden Betroffene aus dem Betroffenenbeirat strukturell in die Beratungen eingebunden und gehört. Das wurde höchste Zeit. In Online-Statements kamen Johannes Norpoth (Gelsenkirchen), Kai Moritz (Würzburg) und Johanna Beck (Stuttgart) beim Syodalen Weg am 4. Februar 2021 zu Wort. Sie beziehen ihre Autorität aus ihrer eigenen leidvollen Erfahrung von Missbrauch in der katholischen Kirche. Wie andere Traumaopfer bezeichnen sie sich als Überlebende, die dennoch nicht der Kirche den Rücken gekehrt haben, sondern sich aktiv einsetzen, Missbrauch entgegenzuwirken und Gewalt begünstigende Strukturen zu überwinden.

In stilistischer Parallelität zum Johannesprolog formulierte Johanna Beck, was der Ausgangspunkt der Beratungen zu notwendigen Reformen ist: „Am Anfang war die Missbrauchskrise. Die Missbrauchskrise war in der Kirche. Und die Kirche war in der Krise. Dieses war der Anfang des Synodalen Weges.“15 Die drei Sprecher*innen des Betroffenbeirates der DBK setzten Maßstäbe und betonten die Notwendigkeit des Willens zur individuellen und institutionellen Umkehr: Dazu gehört „alles daran zu setzen, dass diese ‚unfassbare Pervertierung des Evangeliums‘ beendet wird, und eine ‚radikale Reform der missbrauchsbegünstigenden Machtstrukturen‘ (Johanna Beck) zu erwirken. Das kann nicht dem persönlichen Ermessen und guten Willen Verantwortlicher überlassen bleiben; dazu braucht es belastbare Kontrolle und wirksame Begrenzung kirchlicher Macht – und heute und morgen den Mut zu handeln.“16 Die Kirche müsse sich ihrer Schuldgeschichte stellen. Das gehe nur mit „Haltung und Konsequenz, mit klarem Profil und Berechenbarkeit“ (Kai Moritz).17 Johannes Norporth verdeutlichte, dass der Synodale Weg „keine Therapie- oder Selbsthilfegruppe“ ist, sondern ein strukturierter Prozess, der „Zukunftsfragen unserer Kirche“ bearbeitet. Mit Blick auf die männlich verfasste Kirchenhierarchie schloss Norpoth bewusst mit dem Originalzitat von Adolph Kolping „Schön reden tut’s nicht, die Tat ziert den Mann!“

Der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland ist eine Chance, als Getaufte, Gefirmte, Gesandte und Geweihte einen gemeinsamen Weg zu gehen, der sich neu an der froh machenden Botschaft Jesu Christi ausrichtet und diese in unserer Zeit und Welt verortet. Mir macht Hoffnung, dass sich viele Teilnehmenden in den Foren und Versammlungen mit großem Freimut äußern und deutlich ihre Meinung vertreten. Auch die Stimme von Ordensleuten hat ein besonderes Gewicht, da sie rechtlich autonom und selten von den jeweiligen Ortsbischöfen abhängig sind. Zur Mitarbeit bereit war ich, als bekannt wurde, dass in den vier Foren keine Themen von vorneherein ausgeschlossen worden sind. Das war während des 2011 bis 2015 dauernden Gesprächsprozess anders, als der priesterliche Zölibat und die Frauenfrage tabuisiert waren. Meine Hoffnung ist, dass dieser Synodale Weg Antworten findet, wie das Evangelium Jesu Christi in der Kirche und Welt dieser Zeit in Deutschland inkarniert und inkulturiert werden kann. In meiner Sorge stimme ich dem Bochumer Pastoraltheologen Matthias Sellmann zu: „Es wäre aber naiv, die kulturelle Implosion zu unterschätzen, die eine Ergebnislosigkeit seiner Beratungen zur Folge hätte – kirchenintern wie -extern.“18

Ob der Prozess tatsächlich eine Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland bewirken kann, hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, offen und vorurteilsfrei, auf den Geist Gottes und aufeinander hörend in eine konstruktive Auseinandersetzung einzutreten.19 Das Hören und Zuhören sollte prozesshaft geschehen und ist von allen Beteiligten gefordert. Beim eucharistischen Hochgebet für besondere Anliegen heißt es: „Festige das Band der Einheit zwischen den Gläubigen und ihren Hirten.“ Dabei vermisse ich, dass diese Epiklese, die Bitte um die Geistsendung, ab und zu auch andersherum gebetet wird: „Festige das Band der Einheit zwischen den Hirten und ihren Gläubigen“.

Denn es gilt auch das Hören auf den sensus fidei fidelium, den Glaubenssinn der Gläubigen, also des Volkes Gottes, das in seiner Gesamtheit nicht irren kann.20 Wenn das Hören neue Einsichten ermöglichen soll, was Gott und Jesus Christus uns heute sagen wollen, muss es wechselseitig geschehen, darf nicht ein einseitiges Sprechen von oben nach unten bleiben oder kritiklose Unterwerfung fordern gegenüber der kirchlichen Hierarchie und gehorsame Befolgung der geltenden römisch-katholischen Lehre. In der gemeinsamen Verantwortung für die Bewahrung und zeitgemäße Weitergabe des christlichen Glaubens ist einerseits theologisch fundiert zu argumentieren und sich andererseits – antwortend auf die Zeichen der Zeit – über Ziele, Wege und Maßnahmen zu verständigen, die dem Geist Jesu Christi entsprechen. Nur so ist eine glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums möglich. Angesichts der weltweit offenkundig gewordenen Missstände, die die Aufdeckung der Missbrauchsskandale sowie deren Vertuschung zum Schutz der Institution vor der Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen zutage gefördert haben, ist dieser Weg in die Zukunft nicht ohne umfassende Strukturreformen sowie eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre zu erreichen.

Dieses Buch soll Anstöße zu einigen Themen geben, die beim Synodalen Weg diskutiert werden. Methodisch gehe ich von biografischen Lebensstationen aus, die ich essayhaft erzähle, theologisch und spirituell reflektiere und mit Positionen aus meiner Gemeinschaft und eigenen Überzeugungen als feministisch-pastoraltheologisch denkende Franziskanerin verknüpfe.

Im ersten Teil verknüpfe ich Erlebnisse aus den beiden Mitgliederversammlungen der Generaloberinnen (UISG) 2016 und 2019 in Rom mit Fragestellungen, die innerkirchlich unter den Nägeln brennen und mit denen sich der Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland befasst. Im zweiten Teil blende ich zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Würzburgerin und Gründerin der Kongregation der Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu, Antonia Werr (1813–68), an kirchlichen Strukturen gelitten und sich an Themen abgearbeitet hat, die uns heute immer noch beschäftigen. Im dritten Teil positioniere ich mich zu Aspekten, die insbesondere im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern“ beim Synodalen Weg eine Rolle spielen sowie zu einigen Themen anderer Syndodalforen und veröffentliche Statements, die unsere Kongregation bei den wichtigsten beschlussfassenden Kapiteln für den Geltungsbereich unserer Konvente in Deutschland, in den USA und Südafrika verabschiedet hat.

Teil 1

1.Papst Franziskus und die (Ordens-)Frauen

Im Mai 2016 habe ich zum ersten Mal an der alle drei Jahre in Rom stattfindenden Mitgliederversammlung der Internationalen Vereinigung der Generaloberinnen (UISG) teilgenommen.21 Die Tagung stand unter dem Motto „Für das Leben eine globale Solidarität weben“. Es findet traditionell im einzigen Hotel in der Ewigen Stadt statt, das – wie mir andere Teilnehmerinnen berichteten – über eine Aula verfügt, in der bis zu 1.000 Menschen auf einmal tagen können. Die versammelte Frauenpower beeindruckte mich sehr. 870 Generaloberinnen, die weltweit hunderttausende Ordensfrauen apostolisch-tätiger Kongregationen vertreten, saßen an runden Tischen, in elf Sprachgruppen aufgeteilt. Alle Meditationen, Vorträge und Impulsfragen wurden von Referentinnen aus den eigenen Reihen vorgetragen. Befremdlich war für mich allerdings, was ich dann bei den Eucharistiefeiern erlebte: Täglich um 11 Uhr betrat ein Mann – meist ein Ordensmann, ab und zu ein hochrangiger Vertreter des Vatikans – den Saal, legte das Wort Gottes aus und zelebrierte die Messe. Danach verschwand er ebenso schnell wie er gekommen war, und wir Ordensfrauen waren wieder unter uns.

Von Tag zu Tag erschien mir dieser Auftritt anachronistischer, wie ein Relikt aus vergangener Zeit, deplatziert und fragwürdig. Hier saßen Frauen, die – unabhängig davon, ob sie in Russland, Südkorea, Brasilien, Nigeria, Kanada, Indien oder Tschechien lebten – allesamt geistliche Leiterinnen katholischer Gemeinschaften sind. Sie sind vielfältig in allen vier kirchlichen Grundformen tätig: in Liturgie und Stundengebet, in der Diakonie, Glaubensverkündigung und in der Sammlung der Gemeinschaft. Alle sind beauftragt, ihren Kongregationen vorzustehen; ihre Mitglieder haben ihnen für eine gewisse Amtszeit Personal- und geschäftsführende Verantwortung übertragen. Sie entscheiden über die Aufnahme neuer Mitglieder und nehmen im Namen der Kirche deren Gelübde entgegen. Sie begleiten sterbende Schwestern und übernehmen bisweilen den Beerdigungsdienst. Sie errichten und schließen Niederlassungen; sie stehen – oft über Länder und Kontinente hinweg – in Kontakt mit Schwestern, Konventen, Regionen und Provinzen; sie korrespondieren mit weltlichen und kirchlichen Behörden. Die Kongregationen fungieren als Arbeitgeberinnen und unterhalten Einrichtungen, engagieren sich pastoral und sozial, sind im Bildungs- oder Gesundheitswesen tätig oder an der Seite von besonders verwundbaren Menschen. Sie tun dies alles in der Nachfolge Jesu, indem sie nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, seine froh machende Botschaft erfahrbar werden zu lassen, entsprechend dem jeweiligen Gründungscharisma und der ihren Gemeinschaften zugrunde liegenden spirituellen Ausrichtung. Die Generaloberinnen dürfen Unternehmen leiten, Theologie lehren, Mitglieder ausbilden, weitreichende finanzielle und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nur einiges Wenige dürfen sie nicht: Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi wandeln, Kranke salben und im Namen der Kirche Sünden vergeben.

Als ich an meinem deutschsprachigen Tisch während einer Reflexionsrunde einmal mein Befremden und inneres Dilemma mit der priesterlichen Situation kundtat, versuchte mich eine Kollegin aus Österreich zu trösten, die in der vierten Amtszeit Generaloberin war. Sie schilderte mir die enormen Fortschritte, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben habe. Als sie in den 1990-er Jahren erstmals an den UISG-Tagungen teilgenommen hatte, seien die Vorträge noch allesamt von männlichen Referenten, meist von Angehörigen des Jesuitenordens, gehalten worden. Sukzessive hätten Expertinnen aus den eigenen Reihen die Moderation und Gestaltung der Inhalte übernommen. Für mich wurde nie deutlicher als in jenen Tagen, wie sehr die Feier der Eucharistie ein Ämterverständnis spiegelt, in dem die Weihevollmacht und sakramentale Amtshandlung strikt an das männliche Geschlecht gebunden sind. Und mehr als jemals zuvor hat mich dies zutiefst befremdet und irritiert.

Drei Tage später am 12. Mai 2016 fand eine Audienz mit Papst Franziskus in der Aula Paul VI. statt.22 Schon Wochen vor unserem Treffen in Rom waren wir per Mail eingeladen worden, Fragen an die Koordinatorinnen unserer elf Sprachgruppen zu schicken, die wir Papst Franziskus stellen wollten. So kamen insgesamt 250 Einzelfragen zusammen, die vom Präsidium der UISG zu sechs Fragenkomplexen gebündelt und im Vorfeld an den Papst weitergeleitet worden waren. Obwohl er sich schriftlich auf die Audienz vorbereitet hatte, suchte Franziskus den Dialog mit den Ordensfrauen und bat die Präsidentin Sr. Carmen Sammut MSOLA (Malta), ihre Fragen erneut zu stellen. Im ersten Anliegen ging es um die bessere Einbindung von Frauen in die Entscheidungsprozesse der Kirche sowie um die Möglichkeit für Frauen, in der Eucharistiefeier zu predigen. Hier gab der Papst zu, dass Frauen noch zu wenig in Entscheidungsprozesse eingebunden sind und versprach Abhilfe. Im Fall der Predigt in der Eucharistiefeier verwies er auf die Einheit von Wortgottes- und Eucharistiefeier, in der der Priester den Vorsitz habe und „in persona Christi“ handelt.

Das zweite Thema betraf die Einführung eines ständigen Diakonates für Frauen mit der Begründung, dass gerade (Ordens-)Frauen sehr stark im diakonalen Bereich tätig sind und gipfelte in den Fragen: „Was hindert die Kirche daran, auch Frauen unter die ständigen Diakone aufzunehmen, genau wie es in der frühen Kirche geschehen ist? Warum setzt man keine offizielle Kommission ein, die diese Frage untersuchen könnte?“23 Der Papst versprach, diesen Vorschlag aufzugreifen. Weitere Anliegen bezogen sich auf die bessere Einbindung von Ordensfrauen in Belange des geweihten Lebens. Es wurde die Frage gestellt, wie es möglich ist, dass die Stimmen von 2000 weiblichen Ordensinstituten „sehr oft vergessen und nicht einbezogen werden“, etwa in den Vollversammlungen der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften des apostolischen Lebens? „Kann die Kirche es sich erlauben, über uns zu sprechen statt mit uns zu sprechen?“24 Auch sprach das Präsidium der UISG über die Erfahrung von Ordensfrauen, in ihrem Dienst an der Seite von Armen und Ausgegrenzten bisweilen von Vertretern der kirchlichen Hierarchie als politische Sozialaktivistinnen hingestellt zu werden. „Einige kirchliche Autoritäten möchten, dass wir mystischer und weniger apostolisch“ sind.25 Hier ermutigte Papst Franziskus die Schwestern, ihrem eigenen Charisma zu trauen, in der Freiheit des Geistes Gottes zu handeln, und betonte, dass das Kirchenrecht ein Werkzeug sei, das der Wirklichkeit angepasst werden könne und müsse, wenn es die Notwendigkeiten erforderten.

Die Nachricht über das Vorhaben des Papstes, eine Studienkommission einzusetzen, die das Frauendiakonat weiter untersuchen sollte, hatte noch am selben Abend weltweit die Schlagzeilen beherrscht.26 Mit einer Gruppe der in Rom versammelten deutschsprachigen Generaloberinnen feierten wir das Ereignis. Gemeinsam hatten wir Hoffnung geschöpft, dass die verschlossen geglaubte Tür zur Frauenordination möglicherweise nur geschlossen, aber nicht dauerhaft zugeschlagen oder gar verriegelt sei. Weitere Hoffnung, dass es Franziskus ernst sein könnte mit der Frauenförderung in der katholischen Kirche, keimte auf, als die Liturgiekommission wenige Wochen später den 22. Juli aufwertete. Seitdem wird der Tag in Erinnerung an die erste Osterzeugin Maria von Magdala gleichrangig wie ein Apostelfest begangen, und es gibt eine eigene Präfation im liturgischen Hochgebet.

Überhöhung des Papsttums

Im Mai 2019 nahm ich zum zweiten Mal an der UISG-Vollversammlung in Rom teil. Sie stand unter der Überschrift „Säerinnen prophetischer Hoffnung“. Diesmal war die Audienz mit Papst Franziskus auf den letzten Tag festgesetzt worden. Zuerst hatten wir eine Messe im Petersdom mit dem Vorsitzenden der Religiosenkongregation, Kardinal João Braz de Aviz. Aufgrund der umfassenden Sicherheitskontrollen saßen wir lange vor Gottesdienstbeginn in der Apsis der mächtigen barocken Basilika, der bedeutendsten Kirche des Katholizismus. Über eine Stunde betrachtete ich die Cathedra Petri, das imposante Kunstwerk Gian Lorenzo Berninis. Im Auftrag von Papst Urban VII. hatte Bernini den aus dem Mittelalter stammenden hölzernen und mit Elfenbein verzierten Thron in eine Bronzeskulptur eingebettet. Nun tragen vier Kirchenväter – zwei aus dem Orient, zwei aus dem Okzident – den Heiligen Stuhl lediglich mit ihren Fingerspitzen. Der überhöht dargestellte Sitz schwebt auf den Wolken, über den Köpfen der Gläubigen. Direkt über dem majestätischen tonnenschweren Arrangement schwebt die Heilig-Geist-Taube, umhüllt von einer dünnen Alabasterschicht, durch die die Strahlen der einfallenden Morgensonne den Raum in ein mystisches Licht tauchen. Diese – vom auferstandenen Christus und seinem Heiligen Geist – herkommenden Strahlen wurden durch die künstlerische Hand Berninis genial verstärkt.

Die nonverbal vermittelte Botschaft lautet: Der Papst ist absoluter Herrscher und Monarch der ganzen Christenheit, er thront zwischen Himmel und Erde, ist Mittler Jesu Christi und sein Stellvertreter auf Erden. Mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Gewissensfragen wurde dieser Autoritätsglaube beim Ersten Vatikanischen Konzil 1870 dogmatisch zur kirchlichen Lehre erhoben. Seitdem bedeutet Glaube im Katholizismus auch gehorsame Unterwerfung unter die kirchliche Hierarchie. Wer nicht gehorcht, glaubt nicht richtig. An die Stelle innerer Überzeugung tritt die Annahme dessen, was das Lehramt entscheidet und zu befolgen gebietet. Etwas überspitzt könnte man auch sagen: Das Kirchenrecht und der Katechismus überflügeln das Evangelium. Katholisch Christ*in sein heißt nun nicht mehr in erster Linie Jesusnachfolge, sondern das Für-wahr-Halten von vorgelegten Glaubenssätzen.

Tendenziell ist diese Auffassung einer streng hierarchischen Kirchenverfassung, die sich erst im Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts ganz auf Rom hin ausrichtete und zentralisierte, per se eher demokratiefeindlich und schwer zu vereinen mit dem postmodernen Streben nach Freiheit sowie Erscheinungen von Pluralität, Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit. Schnell werden Wünsche nach mehr Partizipation, Synodalität und Mitbestimmung als Angriffe des Relativismus auf die unveränderliche göttliche Ordnung gesehen oder – mit einem antiökumenischen Unterton – als Protestantisierung abgetan. So nimmt die römisch-katholische Kirche zunehmend identitäre Züge an, während sie meint, dem Zeitgeist und Mainstream zu trotzen. Sie generiert sich als Hüterin der Tradition und eines einmal geoffenbarten und unveränderlichen Glaubensgutes. Dieses Wächteramt habe Jesus Christus den Aposteln mit Petrus als primus inter pares übertragen, seine Nachfolger sehen sich als durch Weihe und Handauflegung legitimiert und ermächtigt, diese Überlieferung zu bewahren. So entsteht ein geschlossenes klerikales, männerbündisches System. Durch die Einheit zwischen Ordination und Jurisdiktion, wie sie lehramtlich erst im Zweiten Vatikanischen Konzil festgeschrieben wurde, wird zudem das Geschlechterverhältnis hierarchisiert.27 Denn geweiht werden können nur Männer. So bleiben auch die Positionen der Letztverantwortung in ihrer Domäne, ganz unabhängig davon, ob man diese ungleiche Verteilung der Kompetenzen über lehramtliche Deutungshoheit, Personal, Finanzen und andere Ressourcen nun mit der Vokabel „Macht“ benennt oder mit dem Begriff „Dienst“ verharmlost.

Andere Auffassungen vom Wachsen des Reiches Gottes oder vom gemeinsamen Priestertum der Gläubigen und von der mit der Taufe verliehenen Würde der Kinder Gottes kommen gegen das hierarchische Priestertum, das davon als wesenhaft und dem Grade nach verschieden angesehen wird, nicht an (vgl. Lumen gentium, LG 10). Wir haben es – so die Dogmatikerin Johanna Rahner in Anlehnung an Michael Seewald – hier mit einer „Verrechtlichung der Theologie zu tun, die an die Stelle der Bezeugung der Wahrheit tritt, d. h. äußerer Gehorsam, hierarchisch organisierte Machtstrukturen treten an die Stelle von innerer Einsicht, argumentativer Absicherung und Begründungsleistung, der vernünftigen Durchdringung und kognitiven Hilfeleistung“.28 Dieses Traditionsverständnis bricht radikal mit dem vor der Neuzeit geltenden Verständnis, dass die Offenbarung geschichtlich vermittelt ist, demzufolge die Überlieferung immer ein Prozess der aktiven Fortschreibung der Offenbarung in die jeweilige Zeit, Kultur und Situation hinein ist.