Fremde Hände - Petra Ivanov - E-Book
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Fremde Hände E-Book

Petra Ivanov

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  • Herausgeber: Unionsverlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

In der Müllverbrennungsanlage Zürich Nord wird in einer Autodachbox die Leiche einer jungen Frau gefunden. Bezirksanwältin Regina Flint und Kriminalpolizist Bruno Cavalli kommen im Zürcher Rotlichtmilieu Frauenhändlern auf die Spur, die vor nichts zurückschrecken. Je verworrener die Spuren werden, desto klarer erscheint das Motiv: Geld. Bis ein zweiter Mord geschieht, der viel mit dem Fall, aber gar nichts mit Geld zu tun hat. Gleichzeitig kämpfen Regina Flint und Bruno Cavalli gegen ihre Liebe an, die sie in der Vergangenheit bereits einmal an den Abgrund geführt hat.

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Seitenzahl: 473

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Über dieses Buch

In der Müllverbrennungsanlage Zürich Nord wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Regina Flint und Bruno Cavalli kommen im Zürcher Rotlichtmilieu Frauenhändlern auf die Spur, die vor nichts zurückschrecken. Gleichzeitig kämpfen die beiden gegen ihre Liebe an, die sie in der Vergangenheit bereits einmal an den Abgrund geführt hat.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin sowie Journalistin. Ihr Werk umfasst zahlreiche Kriminalromane, Jugendbücher und Kurzgeschichten.

Zur Webseite von Petra Ivanov.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Petra Ivanov

Fremde Hände

Flint und Cavalli ermitteln im Rotlichtmilieu

Kriminalroman

Ein Fall für Flint und Cavalli (1)

E-Book-Ausgabe

Mit einem Bonus-Dokument im Anhang

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 4 Dokumente

Die Erstausgabe erschien 2005 im Appenzeller Verlag, Schwellbrunn.

Für die vorliegende Fassung hat die Autorin den Text 2017 überarbeitet.

© by Petra Ivanov 2005

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Valentin Casarsa

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-30635-6

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.09.2022, 00:03h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

FREMDE HÄNDE

1 – Rosa Finocchio schnellte in ihrem Bett hoch …2 – Der Pausenplatz füllte sich langsam. Die Kinder schmissen …3 – Hunger war ihr vertraut. Als Aurora mit der …4 – Berat hatte kein großes Freizeitangebot. Am Abend …5 – Aurora schloss die Augen und wünschte, sie wäre …6 – Als Fahrni die Kripoleitstelle betrat, schauten ihn drei …7 – Aurora saß auf einem Strohballen und lehnte sich …8 – Das Firmenlogo von Küchex war schon von der …9 – Am Mittwochnachmittag hatten die meisten Kinder schulfrei …10 – Pilecki war kein Frühaufsteher. Sein Kopf brummte …11 – Sie konnte nicht mehr atmen. Die eiserne Faust …12 – In der verlassenen Badeanstalt legte sich Aurora wieder …13 – Regina legte Mahlers Rekurs zur Seite und versuchte …14 – Als Regina am Samstagmorgen aufwachte, war es zehn …15 – Die Hände kamen näher. Als sie sich um …16 – Bledar saß gelangweilt auf dem Stuhl und kniff …17 – Der Handwerker parkte den Lieferwagen auf dem leeren …18 – Fahrni und Meyer hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet …19 – Hofer begrüßte Regina und Cavalli mit einem reservierten …20 – Aurora schlug die Augen auf. Eine rote Blüte …21 – Die Zeugin saß aufrecht im Bett, das Laken …22 – Hofer ging wie von einer schweren Last gebeugt …23 – Aurora schlief, als das zweite Bett in ihr …24 – Im Kripogebäude herrschte Hektik: Einige Polizisten suchten Unterlagen …25 – Cavalli suchte Pilecki auf. Dieser starrte gedankenverloren auf …26 – Nadjas schmächtiger Brustkasten hob und senkte sich langsam …

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Über Petra Ivanov

Petra Ivanov: »Meine Figuren sind lebendig. Wenn ich nicht schreibe, verliere ich denn Kontakt zu ihnen.«

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1

Rosa Finocchio schnellte in ihrem Bett hoch. Kerzengerade saß sie inmitten der pastellfarbenen Blumen ihrer Bettdecke. Sie versuchte, den Traum, der ihr zu entgleiten drohte, festzuhalten. Wie in einem Kaleidoskop hatten sich Bilder von nassen Socken, ihrer erwachsenen Tochter und roten Lippen in ihrem Kopf festgesetzt. Die Lippen waren zu einem stummen Schrei verzogen. Die goldenen Ziffern ihres Weckers zeigten ein Uhr zwanzig. Langsam nahm Rosa Geräusche wahr. Verärgerte Stimmen, schnelle Schritte, ein Fenster, das geschlossen wurde. Barfuß rannte sie zur Wohnungstür und spähte ins Treppenhaus. Ihr Blick blieb an der gegenüberliegenden Wohnungstür hängen. Sie war sich sicher, dass jemand geschrien hatte.

»Der Jugo«, flüsterte sie und suchte nach Blutstropfen auf den Treppenstufen. Der Kunststein wies nur die üblichen Grautöne auf. Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann trat heraus. Er trug eine dunkle Lederjacke – »geklaut«, sagte sich Rosa. Es war nicht der Jugo, sondern ein Unbekannter. Er eilte die Treppe hinunter. Fluchend rüttelte er an der verschlossenen Tür, drehte um und eilte wieder hoch. Er riss die Wohnungstür auf und stieß mit dem Jugo zusammen. Die zwei Männer zischten sich wütend an. Der Jugo griff nach einem Schlüsselbund und war nach drei großen Schritten an der Haustür. Er schloss rasch auf. In der Wohnung war es still. Überrascht sah Rosa, dass ein Paar Damenstiefel im Flur standen.

Bevor sie prüfen konnte, ob da noch andere Schuhe waren, verdeckte ihr der Jugo die Sicht. Rosas Herz fing zu klopfen an, sie stellte sich vor, wie er sie beim Spionieren ertappte, obwohl er kaum durch ihre Wohnungstür hindurchsehen konnte. Doch der Jugo stand nur da und schaute dem Mann mit der geklauten Lederjacke nach, den die dunkle Schwamendinger Nacht verschluckt hatte. Dann drehte er sich um und verschwand in seiner Wohnung.

Aurora rannte durch die neblige Novembernacht. Sie schnappte nach Luft, doch sie gönnte sich keine Pause. Das Wohnviertel war um halb zwei wie ausgestorben. In einem Fenster flimmerte das bläuliche Licht eines Fernsehers, Aurora rannte daran vorbei. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie laufen sollte, ein Haus glich dem anderen. Das Gras war feucht und rutschig. Ein verlassener Spielplatz erinnerte an längere Tage und wärmere Nächte. Trotz der Kälte lief Aurora der Schweiß den Rücken hinunter. Ihre Panik schärfte alle ihre Sinne. Sie versuchte, Schritte auszumachen. Sie hörte keine.

Der Fußweg führte zu einem Schulareal. Etwas abseits lag ein niedriger, langer Betonbau, dessen Fenster bunt bemalt waren. In dieser kindlichen Welt glaubte sie in Sicherheit zu sein. Auf der Rückseite des Kindergartens stieß sie auf ein hölzernes Spielhäuschen. Vorsichtig schaute sie hinein und sah, dass der Boden trocken war. Sie setzte sich und lehnte ihren Kopf an die Wand.

Das erste Flugzeug – es war die F 27 aus Köln – riss Regina Flint um 6.05 Uhr aus dem Schlaf. Seit einigen Wochen wurde der Flughafen Zürich von Süden her angeflogen. Sie orientierte sich inzwischen schon am Lärm der herannahenden Maschinen. Fünf Minuten später folgte der Airbus 343 aus Manila. Die ersten fünfzehn Minuten ließ sie das Tosen im Halbschlaf über sich ergehen. Nach der MD 11 aus Johannesburg um 6.15 Uhr öffnete sie die Augen. Der Airbus 332 aus Bombay gab das Signal aufzustehen. Felix schlief neben ihr weiter. Über ein Jahr hatte er sich gegen die neue Anflugroute gewehrt. Er hatte gedroht, von Gockhausen wegzuziehen, sollte das Unheil nicht abgewendet werden können. Regina empfand den Fluglärm zwar ebenfalls als störend, aber sie ärgerte sich darüber, dass die meisten Menschen erst dann aktiv wurden, wenn es um ihr persönliches Wohlbefinden ging.

Unter der Dusche versuchte sie, die kommende Arbeitswoche zu strukturieren. Als Bezirksanwältin hatte sie über hundert Fälle, und es wurden laufend mehr. Manchmal überkam sie schon am Sonntagabend das Gefühl, von der Last erdrückt zu werden.

In Gedanken ging sie die zwei Einvernahmen durch, die heute auf dem Programm standen. Der erste Termin war auf zehn Uhr festgelegt. Die Beweislage im Fall war klar, der Zeuge hatte die Übergabe des Heroins genau beobachtet. Die zweite Einvernahme bereitete Regina mehr Sorgen. Ein unberechenbarer Ehemann, der seine Frau wiederholt geschlagen hatte, stritt alle Vorwürfe vehement ab. Die Nachbarin des Paars behauptete plötzlich, nie ein Geräusch aus der Wohnung vernommen zu haben. Regina vermutete, dass der gewalttätige Ehemann hinter der Meinungsänderung steckte.

Die erste Boeing an diesem Morgen, die B 744 aus Bangkok, mahnte Regina zur Eile. Zum Glück brauchte sie morgens vor dem Spiegel nicht lange. Ein paar Bürstenstriche, ein schmaler Kajalstrich, ein wenig Puder auf die Sommersprossen, die wie ein sanfter Hauch von Zimt über Nase und Wangenknochen verteilt waren, dann konnte sie sich dem Tag stellen. Während sie in ihre Stiefeletten schlüpfte, verbreitete sich der Geruch von Kaffee in der Wohnung. Gleichzeitig kündigte der Airbus aus Nairobi an, dass es Zeit war, aus dem Haus zu gehen. Regina nahm hastig einige Schlucke schwarzen Kaffees – für Milch reichte es nicht mehr – und verbrannte sich dabei die Zunge. Sie unterdrückte ein Fluchen und eilte aus der Wohnung.

»Morgen, Regina.« Antonella Mello begrüßte sie schon im Flur der Bezirksanwaltschaft. »Hast du den Nebel genossen?«

Seit Beginn der Südanflüge – die nur bei schönem Wetter stattfanden – beobachteten ihre Kollegen das Wetter fast genauer als Regina. Nach einem sonnigen Wochenende erschien sie am Montag oft unausgeschlafen und gereizt zur Arbeit. »Am Samstag schon, aber gestern war die Sicht nicht schlecht genug.«

»Brauchst du neue Kaffeepatronen?«

»Gerne, gleich zehn, bitte.«

Sie nahm den Kaffee mit in ihr Büro. Auf dem Schild neben der Tür stand unter dem D4 »Regin Flint«. Das »a« war vor etwa fünf Monaten heruntergefallen und vermutlich vom Putzpersonal beseitigt worden. Seither wartete Regina darauf, dass das Schild ersetzt wurde.

Sie wandte sich ihren Akten zu. Montags sortierte sie jeweils die offenen Fälle und suchte diejenigen heraus, an denen sie bis Freitag weiterarbeiten würde. Pro Tag hatte sie neben den Einvernahmen vorschriftsgemäß mindestens einen Fall zu erledigen. Am Freitagabend hatte sie noch damit begonnen, den Bericht über ein eingestelltes Verfahren zu schreiben. Den würde sie in einer halben Stunde abschließen können. In zwei weiteren Fällen musste sie nur noch einen Strafbefehl verfassen, dann hatte sie die Vorgaben schon übertroffen und sich für Dienstag einen Vorsprung erarbeitet. Sie nahm die erste Akte zur Hand und begann, sich in den Inhalt zu vertiefen.

Eine Stunde später hatte die Wirkung des Koffeins nachgelassen, und ihr Körper rief nach Treibstoff. Sie legte die Unterlagen beiseite und öffnete ihre Bürotür. Im Flur herrschte schon reger Betrieb. Als Regina ihren Becher Müsli aus dem Kühlschrank nahm, kam Jürg Schmid mit einer Kaffeepatrone in der Hand auf sie zu.

»Soeben hat Frau Zuberbühler angerufen. Sie möchte, dass das Verfahren gegen ihren Mann eingestellt wird.«

Regina sah den polizeilichen Mitarbeiter erstaunt an. Zwei Mal hatte Anita Zuberbühler den Mut aufgebracht, Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Doch beide Mal hatte sie kurz darauf die Anzeige zurückgezogen und behauptet, sie hätte überreagiert. Dieses Mal war Regina zuversichtlich gewesen, dass sie das Verfahren durchziehen würde. So weit war die junge Frau noch nie gekommen.

»Das ist doch nicht möglich!«

»Sie behauptet, es war nicht der Ehemann, der sie geschlagen hatte, sondern ein Unbekannter.«

»Denkt sie im Ernst, dass ihr das jemand abnimmt?«

»Ohne ihre Aussage kommen wir nicht weiter.«

»Zuerst die Nachbarin, die plötzlich nichts gehört haben will, nun Frau Zuberbühler selbst. Wie bringt er das bloß fertig?«

Bevor Schmid antworten konnte, kam Antonella auf Regina zu. »Die Kantonspolizei ist am Telefon.«

Regina ließ ihr Müsli auf dem Kühlschrank stehen und eilte ins Büro. »Flint«, meldete sie sich.

»Regina«, sagte Bruno Cavalli.

Ihr Herzschlag schien einen Moment auszusetzen. Sie hatte seine Stimme seit drei Jahren nicht mehr gehört.

»Wir haben soeben einen Anruf vom Eschenholz erhalten. In der Müllverbrennungsanlage liegt eine Leiche.«

Regina atmete tief durch. Es fiel ihr keine angemessene Begrüßung ein. »Ich bin in fünfundzwanzig Minuten dort«, sagte sie und legte auf. Bevor sie das Gebäude verließ, steckte sie den ungeöffneten Becher Müsli in die Tasche. Die Kalorien würde sie noch brauchen.

2

Der Pausenplatz füllte sich langsam. Die Kinder schmissen ihre Schultaschen vor den Haupteingang und versuchten, ein Fußballspiel in Gang zu bringen. Mit lauten Stimmen handelten sie aus, wer mit wem zusammenspielen durfte.

Aurora verstand nicht, was die Kinder sich zuriefen. Doch die aggressiven Stimmen weckten sie aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Als sie das Aufprallen des Balles hörte, glaubte sie, sie befände sich in der Nähe des Kemal-Stafa-Stadions im Zentrum von Tirana. Oft hatte sie dort Zigaretten verkauft.

Der Konkurrenzkampf war groß gewesen. Als Mädchen hatte sie den Vorteil, dass sie mehr Mitleid erweckte als die Jungen. Dieser Vorteil hatte sich aber im Laufe der Jahre in einen Nachteil verwandelt. Bald wollten die Männer etwas anderes als Zigaretten. Sie verkaufte weniger und weniger, manchmal war sie mit leeren Taschen nach Hause gekommen.

Plötzlich war sie hellwach. Wie ein Wasserfall stürzten die Ereignisse der vergangenen Nacht über sie herein, und sie sprang hoch. Ihr Kopf stieß dabei heftig gegen das Holzdach des Spielhäuschens. In den vergangenen Monaten hatte sie oft genug geübt, Angst und Demütigungen zu verdrängen. Nun konnte sie sich ohne große Mühe auf das wichtigste Problem konzentrieren. Als Erstes musste sie ungesehen verschwinden. Danach brauchte sie etwas zu essen und wärmere Kleider. Vorsichtig schaute sie durch die kleine Tür nach draußen. Die Kinder waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie kaum eine Sechzehnjährige mit kurzem, schwarzem Kunstlederrock bemerken würden. Sie war froh darüber, denn es würde ihr erlauben, unbemerkt vom Spielplatz wegzuschleichen.

Die Müllverbrennungsanlage Eschenholz lag im Nordosten der Stadt Zürich. Das Gebiet war ein Labyrinth von Überlandstraßen und Autobahnzufahrten. Schmid lenkte seinen Nissan stumm durch den Verkehr.

»Wie geht es Vera?«, fragte Regina. Seine Frau war im achten Monat schwanger.

»Das Gewicht macht ihr langsam zu schaffen«, antwortete er und strich sein feines Haar glatt, als hätte der Gedanke es durcheinandergebracht.

»Habt ihr wirklich keine Ahnung, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird?«

»Natürlich nicht.«

Regina hatte dieselbe Frage schon einmal gestellt. Sie konnte nicht glauben, dass Schmid bei den Ultraschalluntersuchungen nicht auf dieses kleine Detail achtete. »Habt ihr schon alles eingerichtet?«

»Vera hat einen Hängekorb gekauft, das soll beruhigend sein«, erklärte er. »Wir haben in allen Zimmern Haken an der Decke montiert, so kann das Baby immer in unserer Nähe sein.«

Regina verkniff sich die Frage, ob er das denn wolle. Vor ihnen tauchte der Kamin der Verbrennungsanlage auf. Sie erkannte Cavallis grünen Volvo neben den Streifenwagen. Auch die Spurensicherung und der fototechnische Dienst waren schon da.

Von Weitem sah Regina eine mit weiß-roten Bändern abgesperrte Grube. Der einzige Zugang war ein kleiner Trampelpfad, wie die Polizisten den freien Durchgang nannten. Vor einem quadratischen Betonbau sprachen zwei Uniformierte mit einem älteren Mann. Auch Cavalli war dabei.

»Gleich neben der Verbrennungsanlage befindet sich die Fernwärmeanlage«, erklärte der Mann seinen Zuhörern. »Beim Verbrennen von Abfall entstehen Temperaturen von bis zu achthundertfünfzig Grad. Damit die Energie optimal verwertet werden kann, sind über den Öfen Kessel zur Dampferzeugung installiert. Der überhitzte Hochdruckdampf hat eine Temperatur von vierhundert Grad und kann mit einer Dampfturbine in Strom umgesetzt werden.«

Regina hatte das Gefühl, er habe diesen Vortrag schon wiederholt gehalten.

Cavalli hörte aufmerksam zu. Seine dunklen Augen fixierten den älteren Mann auf die ihm eigene Art. Ab und zu nickte er. Die Bewegung war eher eine Aufforderung weiterzusprechen als ein Zeichen dafür, dass er mit dem Gesagten einverstanden war. Regina musterte ihn.

In Cavallis Gesicht spiegelte sich seine ungewöhnliche Herkunft. Die hohen Wangenknochen erinnerten an seine Großmutter mütterlicherseits, eine Cherokee-Indianerin aus North Carolina. Von seiner Mutter, die in Straßburg lebte, hatte er die sinnlichen Lippen und seine bewegliche linke Augenbraue, die so ausdrucksstark war, dass er oft gar nicht in Worte fassen musste, was er sagen wollte. Seine aufrechte, selbstsichere Haltung schrieb Regina den Tessinern väterlicherseits zu. Nur Cavallis Nase, mehrmals gebrochen und deshalb leicht krumm, teilte er mit keinem seiner Vorfahren.

Regina ging auf die kleine Gruppe zu. Cavalli begrüßte sie und stellte ihr den untersetzten Mann vor, der die technischen Finessen der Wärme-Kraft-Koppelung lobte, als wolle er das Fernwärmesystem einem Kunden verkaufen.

»Herr Plaas hat den Fund gemeldet«, erklärte Cavalli. Er wandte sich an den nervösen Mann und bat ihn, nochmals zu erklären, was er beobachtet hatte.

Hugo Plaas begann Regina zuliebe nochmals von vorne.

»Das Eschenholz ist eine moderne Müllverbrennungsanlage mit Rauchgasreinigung, Entstickung und Reststoffverfestigung. Wir verbrennen – «

»Erzählen Sie doch, was Sie heute Morgen gesehen haben«, bat ihn Cavalli.

»Es ist auch Privatpersonen gestattet, Sperrgut und Sondermüll im Eschenholz zu entsorgen«, holte Plaas aus, »natürlich gegen eine entsprechende Gebühr.«

»Und heute um acht Uhr«, half ihm Cavalli weiter.

»Heute um acht Uhr kam ein Mann, um eine Dachbox zu entsorgen. Wissen Sie, so eine, in der man Skier transportieren kann. Sie sehen aus wie graue Särge.« Er verschluckte sich am Wort. »Er stellte sein Fahrzeug auf meine Aufforderung hin auf die Waage, denn die Gebühr richtet sich nach dem Gewicht und nach der Zusammensetzung des Abfalls. Sondermüll beispielsweise kostet mehr, weil – «

»Aber er wollte keinen Sondermüll entsorgen.«

»Nein, er wollte nur die Dachbox entsorgen, und zwar weil er sie nicht mehr öffnen konnte. Er hatte sie benutzt, um Werkzeuge zu transportieren – statt Skier, verstehen Sie, vielleicht fährt er ja nicht Ski –, und dabei ist ihm eine Dose Pistolenschaum aufgegangen.«

Regina hatte keine Ahnung, was Pistolenschaum war. Sie wollte den Mann aber nicht unterbrechen.

»Ich wollte natürlich in die Dachbox hineinschauen, es hätte ja Sondermüll drin versteckt sein können. Wenn Sie nämlich Sondermüll als Sperrgut entsorgen, so kommt Sie das viel günstiger. Aber wie gesagt, sie war vollständig zugeschäumt. Was hätte ich tun sollen? Ich ließ ihn die Dachbox geschlossen in die Grube werfen. Ich half ihm sogar noch dabei.« Plaas schüttelte den Kopf, und sein Doppelkinn wackelte hin und her.

»Aber es war kein Werkzeug drin«, sagte Cavalli.

Plaas schluckte und fuhr fort: »Als der Kunde die Abfallgebühr bezahlt hatte und weggefahren war, ging ich zur Grube zurück, weil ich mir dachte, wenn eine Dachbox sechzig Kilogramm wiegt, dann muss da eine Menge wertvoller Werkzeuge drin sein. Ein kleines Stück des Plastiks war beim Aufprall … die Grube ist fünf Meter tief … ein Stück der Dachbox war weggebrochen … und ich sah … einen Finger. Mit einem rot lackierten Nagel.«

Nieselregen hatte eingesetzt. Der verstörte Mann ließ sich in sein Büro führen und sackte auf einem Plastikstuhl zusammen. Mit zittrigen Händen zündete er sich eine Zigarette an.

»Können Sie den Mann beschreiben?«, fragte Regina.

Plaas nahm die Zigarette aus dem Mund.

»Er war etwas kleiner als ich«, sagte er langsam und stieß dabei den Rauch aus. »Und dunkel.«

»Dunkelhäutig?«, hakte Regina nach.

»Nein, seine Haut war normal«, begann Plaas.

Er verstummte und blickte zu Cavalli hoch, der ihm gegenüberstand. Seinen dunklen Teint konnte er nicht richtig einschätzen. Regina sah die Verwirrung in seinen Augen.

Plaas drückte sich anders aus: »Es war ein Weißer, aber mit dunklem Haar und dunklen Augen. Ein Italiener oder so.«

»Sprach er deutsch?«, wollte Cavalli wissen.

»Er hatte einen Akzent.«

»Können Sie sein Gesicht beschreiben?«, fragte Regina weiter.

Plaas schüttelte den Kopf. Unter seinen Armen breiteten sich Schweißflecken aus und verströmten einen unangenehmen Geruch. Regina versuchte, unauffällig einen Schritt zurückzugehen. Der Raum war so klein, dass sie dabei an den Schreibtisch stieß. »Notieren Sie jeweils die Autokennzeichen der Kunden?«, fragte sie.

Plaas schüttelte wieder den Kopf. »Datenschutz«, murmelte er.

Regina sah ein, dass es im Moment zwecklos war, Fragen zu stellen. Cavalli war zum gleichen Schluss gekommen.

Der Nieselregen war inzwischen in einen richtigen Regen übergegangen. Regina zog den Kragen ihres Mantels fester zu. Sie atmete tief ein und versuchte, die Wirkung, die Cavallis physische Nähe auf sie hatte, zu ignorieren. Sie konzentrierte sich jetzt auf die Menschentraube in der Nähe der Abfallgrube. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Cavalli sie anstarrte. Er holte gerade Luft, um etwas zu sagen, als ein Mitarbeiter des fototechnischen Diensts auf sie zukam.

»Ich mache mich schon mal auf den Weg ins Labor«, sagte dieser. »Die Techniker werden keine Chance haben, die Dachbox hier zu öffnen. Er fuhr sich mit der Hand durchs nasse Haar, blickte zum Wagen der Spurensicherung, dann zu Cavalli. »Ich schicke dir die Fotos heute Nachmittag, Häuptling.«

Regina schmunzelte. Cavalli mochte es nicht, wenn er »Häuptling« genannt wurde. Sie fand den Spitznamen aber treffend. Nicht wegen seines dunklen Teints oder seiner Abstammung, sondern weil er Würde und Stolz – ihm gegenüber nannte sie es Arroganz und Hochnäsigkeit – ausstrahlte.

Die Umgebung der Abfallgrube glich einer Theaterbühne. Hinter der Absperrung war ein Warendepot eingerichtet worden, und Scheinwerfer warfen Licht in die Grube. Unter der Schutzbekleidung konnte Regina Rosmarie Koch, die Einsatzleiterin des Wissenschaftlichen Dienstes, des sogenannten WD, erkennen.

Regina ging auf Schmid zu, der schweigend zusah, wie ein Assistent die Asservate nummerierte. Sie sah ihm an, dass er von den Fundstücken nicht beeindruckt war.

»Wir haben noch nicht viel.« Er zeigte auf das Terrain rund um die Abfallgrube und wies unnötigerweise darauf hin, dass die Reifen des Transportfahrzeuges auf dem Beton keine Abdrücke hinterlassen hatten.

»Wissen wir mehr über das Opfer?«, fragte Regina.

Er schüttelte den Kopf. »Das wird noch dauern. Rosmarie will die Dachbox erst im Labor öffnen. Hast du eine Ahnung, wie stark ausgehärteter Pistolenschaum ist?«

Diesmal war es an Regina, den Kopf zu schütteln. »Was ist Pistolenschaum überhaupt?«

Der Techniker schaute bei der Frage hoch. »Das ist ein Montageschaum aus Polyurethan-Prepolymer. Er wird zum Isolieren, Fixieren oder Kleben gebraucht. Größere Hohlräume werden damit ausgeschäumt.«

»Ist er klebrig?«

»Nur während der ersten zwanzig Minuten. Nach etwa einer Stunde ist er schon schneidbar und nach sieben Stunden voll ausgehärtet. Er lässt sich dann nur noch mechanisch entfernen.«

Koch war um die bevorstehende Arbeit nicht zu beneiden. »Mechanisch« klang nach winzig kleinen Schritten. Üblicherweise ging eine Leiche erst dann ins Institut für Rechtsmedizin oder IRM, wenn alle Spuren am Fundort gesichert waren. In diesem Fall würden das IRM und der WD eng miteinander zusammenarbeiten müssen. Keine leichte Aufgabe, waren Rosmarie Koch und ihr Kollege Uwe Hahn vom IRM doch beide gleichermaßen eigen und in ihrer Arbeitsweise festgefahren.

Reginas Magen knurrte. Sie dachte an das Müsli in der Manteltasche und schaute sich unauffällig um. Da sie ohnehin telefonieren musste, könnte sie das gleich als Vorwand benutzen, um sich zurückzuziehen.

Plaas saß noch immer auf seinem Plastikstuhl. Er war jedoch weniger bleich, und seine Hände zitterten nicht mehr.

»Wie lange arbeiten Sie schon im Eschenholz?«, fragte Regina ihn.

»Seit 1978.«

»Dann sind Sie ja ein Fachmann auf dem Gebiet«, versuchte sie, sein Selbstwertgefühl zu stärken.

Plaas rutschte etwas nach hinten und richtete sich auf. »Das kann man so sagen.«

»Es hat sich in dieser Zeit sicher viel verändert.« Regina sprach seine langjährige Erfahrung an.

Plaas nickte und holte Luft. Bevor er sich in technischen Details ergehen konnte, fügte Regina schnell hinzu: »Sie haben bestimmt schon mit allerhand seltsamen Menschen zu tun gehabt.«

»Sie können sich gar nicht vorstellen, womit man sich hier herumschlagen muss.«

»Erzählen Sie doch mal!«

»Vor zwei Jahren stand ein junger Kerl da und wollte seinen Schäferhund entsorgen, weil dieser ihm nicht gehorchte. Können Sie sich so etwas vorstellen? Dann war neulich wieder mal einer da, der versucht hat, alte Computer als Sperrgut hineinzuschmuggeln. »Ich habe es natürlich sofort gemeldet.«

Regina zwang sich, eine interessierte Miene aufzusetzen. Je länger Plaas seine Heldentaten beschrieb, desto unsympathischer wurde er ihr. Eine spitze Bemerkung lag ihr auf der Zunge.

»… sind meist harmlos, deshalb hatte ich kein ungutes Gefühl, als der Chrysler heute Morgen vorfuhr«, erzählte er zu Ende.

»Welcher Chrysler?«

»Na den, den der Mann mit der Dachbox fuhr. Er konnte sie ja nicht gut zu Fuß bringen, oder?«

»Sie haben vorhin nichts von einem Chrysler gesagt.«

»Sie hatten ja auch nicht danach gefragt«, antwortete Plaas.

Cavalli war in ein Gespräch mit Schmid vertieft. Er sah Regina an, dass sie aufgeregt war. Eine Haarsträhne hatte sich gelöst und wippte auf und ab, als sie mit großen Schritten über den Platz kam. Die Feuchtigkeit brachte die Strähne zum Kräuseln, und am liebsten hätte er sie Regina hinters Ohr geschoben. Er verspürte lebhafte Reue über verpasste Chancen und ertappte sich dabei, wie er in Gedanken einen Satz mit »Wenn« anfing. Er erstickte den Gedanken, bevor er Form annehmen konnte. Die Vergangenheit war eben – vergangen. Ihr nachzuhängen, würde weder verpasste Chancen zurückbringen noch neue entstehen lassen.

»Wir haben die Marke des Fahrzeuges«, sagte Regina geradeheraus, als sie auf ihn zukam. »Es war ein dunkelgrüner Chrysler, sagt Plaas.«

»Und das kommt ihm erst jetzt in den Sinn?«

»Wir hatten ihn nicht danach gefragt.«

Schmid verdrehte die Augen. »Hast du ihn auch nach dem Kennzeichen gefragt?«

»Er hat leider nicht darauf geachtet.«

»Mit etwas Glück wurde das Fahrzeug als gestohlen gemeldet«, sagte er.

»Ja, und mit noch etwas mehr Glück kann der Besitzer beschreiben, wer seinen Chrysler gestohlen hat«, fügte Cavalli sarkastisch hinzu.

Schmid schaute weg. Cavalli hätte sich einen Tritt geben können. Er hatte sich nicht über Schmid lustig machen wollen. Regina war es, die ihn aus der Ruhe brachte. Wie sie vor Kälte den Mantelkragen zuzog. Wie ihre blauen Augen leuchteten. Wie die weiche Rundung ihres Kinns einen Kontrast zu ihrem schmalen Gesicht bildete.

»Vielleicht wäre Cavalli ja trotzdem so nett, der Sache nachzugehen«, sagte sie scharf.

Cavalli drehte sich um und ging.

3

Hunger war ihr vertraut. Als Aurora mit der Familie noch in Berat lebte, gab der Garten genug her. Doch während der Wirtschaftskrise 1997 verlor die Familie, wie viele andere Albaner auch, ihren kleinen Besitz. Aurora gewöhnte sich daran, mit knurrendem Magen einzuschlafen. Edmond ertrug den Hunger schlechter. Mit vierzehn war er über Nacht in die Höhe geschossen. Er wurde nicht nur länger, sondern auch wütender. Er hatte keine Lust mehr, Dame zu spielen, und er verbrachte die Abende oft bei Freunden. Wenn er dann nach Hause kam, roch er nach Zigaretten. Aurora wusste nicht, woher er das Geld dafür hatte. Doch Edmond hatte schon immer ein Händchen für Geld gehabt. Deshalb glaubte sie ihm, als er vom guten Leben in Tirana erzählte. Auch ihr Vater glaubte ihm. Vielleicht wollte er einfach an irgendetwas glauben. Eines Morgens verkündete er, dass sie Berat verlassen würden.

Richtig satt hatte sie sich auch nach dem Umzug nie gegessen. In den alten, verlassenen Fabrikgebäuden im Stadtviertel Kombinat lernte sie einen neuen Hunger kennen. Sie hungerte nach Freunden, nach Liebe und Unbeschwertheit. Sie hungerte danach, ihre Mutter wieder lachen zu hören. Stattdessen lag sie nächtelang wach und hörte Stavri zu, wie er hustete. Die Böden und die Wände der alten Chemiefabriken waren größtenteils verseucht. Die riesigen Industriekomplexe, in denen sich Hunderte von armen Familien niederließen, waren nach dem Ende der Hoxha-Regierung stillgelegt worden. Aber das Gift blieb aktiv. Es ergriff von Stavri Besitz und schüttelte ihn durch.

Aurora wusste nicht, wie weit sie bereits gelaufen war. Vor ihr befanden sich verlassene Sportplätze und leere Picknick-Tische. Sie kam an einem Gehege vorbei, in dem Schafe weideten. Darin befand sich ein kleiner Stall. Zwischen den wolligen Körpern der Schafe war es bestimmt warm. Wenn sie nun noch etwas zu essen fände, hätte sie die dringlichsten Probleme vorerst gelöst. Sie sah sich um.

Ein Kiesweg führte zu einem bemalten Gebäude. Aurora schlich zur Glastür und versuchte, einen Blick hineinzuwerfen. Sie drückte ihre Stirn an die Scheibe, und plötzlich gab die Tür nach. Im Raum saßen zwei Frauen an einem kleinen runden Tisch voller leerer Kaffeetassen und zerknüllter Servietten. An einem weiteren Tisch wimmelte es von Zwei- bis Dreijährigen, die mit Bananen und Biskuits versorgt wurden. Aurora drückte sich an die Wand und wartete. Als sich eine günstige Gelegenheit ergab, schoss sie aus ihrem Versteck und schaufelte alles, was ihr zwischen die Finger kam, auf einen Teller. Draußen schlug ihr die Kälte ins Gesicht. Sie eilte auf das Gehege der Schafe zu und kletterte über den Maschendrahtzaun. Sie konnte in letzter Sekunde verhindern, dass ihr die Beute vom Teller rutschte. Noch zwei, drei Schritte, und sie verschwand in dem kleinen Stall.

Über Mittag war es im Kripogebäude ruhig. Cavalli begegnete im Treppenhaus nur einem Kollegen vom Jugenddienst, der einen missmutigen Teenager vor sich herschob. Cavalli seufzte. Er war im Moment nicht gut auf Jugendliche zu sprechen. Sein sechzehnjähriger Sohn hatte vor drei Wochen seine Malerlehre abgebrochen. Seitdem saß er zu Hause vor dem Fernseher und kiffte. Beim Gedanken an Christopher mit seinen fettigen Haarsträhnen und seinem permanent gelangweilten Gesichtsausdruck wurde er wütend. Am liebsten hätte er den Jungen durchgeschüttelt, damit er begriff, dass andere froh wären, überhaupt eine Lehrstelle zu haben. Doch genau diese Haltung warf ihm seine Exfrau vor. Lieber verhätschelte sie Chris. Wenn Cavalli ehrlich war, war es nicht sein Sohn, der ihm die Laune verdarb. Sosehr er es auch versuchte, er konnte die Gedanken an Regina nicht beiseiteschieben.

Seine Uhr zeigte bereits halb eins. Um zwei musste er im IRM sein. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, der wie immer sorgfältig aufgeräumt war. Während er an einem Sandwich kaute, fuhr er seinen Computer hoch.

Heute würde es spät werden. Nach dem IRM musste er mit Regina Rücksprache nehmen, um die ersten Ermittlungsschritte zu besprechen. Wenn es ihr möglich war, würde sie auch zur Obduktion erscheinen. Falls es heute überhaupt zu einer Obduktion kommen würde. Cavalli zweifelte daran. Er wusste nicht, wie der Rechtsmediziner die Leiche vom Pistolenschaum lösen wollte. Er stellte sich vor, dass er Zentimeter um Zentimeter abschaben musste. So würde wertvolle Zeit verstreichen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Mordfall zu lösen, war in den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Tat am größten. Mit jedem zusätzlichen Tag nahm sie massiv ab.

»Mara Pilar ist da«, kündigte Antonella an.

»Ich bin in zwei Minuten so weit.« Regina ordnete einige Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und öffnete kurz das Fenster. Als sie sich streckte, reagierte ihr Kreuz mit einem Stechen. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, über die Wintermonate regelmäßig in ein Fitnessstudio zu gehen. Im Sommer fuhr sie oft auf Inlineskates um den nahe gelegenen Greifensee. Sobald die Tage aber kürzer und kühler wurden, bewegte sie sich immer weniger.

Vor ihrem Büro wartete eine junge Frau. Regina ging auf Mara Pilar zu und streckte ihr die Hand hin.

»Gehen wir in mein Büro.« Regina wies auf einen Besucherstuhl. »Bitte. Möchten Sie etwas trinken?«

»Nein, danke«, murmelte die Frau.

Regina beobachtete, wie sie ihren Blick verstohlen über die Wände und die Büroeinrichtung gleiten ließ. »Frau Pilar, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, erzählten Sie mir von den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Peter und Anita Zuberbühler. Sie haben gehört, wie Anita Zuberbühler ›Nein‹ geschrien und manchmal geweint hat.«

»Ich weiß nicht, ob sie ›Nein‹ geschrien hat«, flüsterte die Zeugin.

»Ihre Aussage steht so im Protokoll.«

»Ich dachte, dass es ein Nein war, aber durch die Wand hört man nur sehr undeutlich«, verteidigte sich Pilar.

Regina ging alle Punkte des letzten Gespräches nochmals durch. Jetzt stritt Pilar ab, Verletzungsspuren auf Anita Zuberbühlers Gesicht gesehen zu haben.

Entweder hatte die Zeugin vor Peter Zuberbühler Angst, oder sie bekam etwas für ihr Schweigen. Regina versuchte, Blickkontakt herzustellen, wartete stumm ab. Pilar wippte mit dem Unterschenkel und fummelte an ihrem Pullover herum. Reginas Unterbewusstsein registrierte, dass irgendetwas anders war am Äußeren der Frau. Sie studierte Pilar von Kopf bis Fuß, ohne Ergebnis. Verärgert über sich selbst, ließ sie sich zu der Bemerkung verleiten, Falschaussagen hätten Konsequenzen.

»Herr Zuberbühler begeht eine Straftat«, sagte sie forsch. Sie erreichte damit aber nur, dass die Zeugin nun auch noch Angst vor ihr hatte.

»Kann ich jetzt gehen?«, fragte diese.

»Ich bringe Sie zur Tür. Wir sehen uns dann vor Gericht.«

»Vor Gericht?« Pilar blieb unschlüssig stehen.

Regina wusste, dass der Fall vor keinen Richter kommen würde.

»Peter Zuberbühler wird Sie vermutlich als Zeugin nennen«, bluffte sie.

Pilar wankte. Sie zog ihren kurzen Pullover, so gut es ging, nach unten, als brauchte sie einen Schutz. Doch dann siegte Peter Zuberbühler, und sie drehte sich ruckartig weg. Mit schnellen Schritten ging sie auf die Tür zu und verschwand, ohne zurückzublicken.

Regina stand wie angewurzelt vor dem leeren Stuhl, auf dem Pilar soeben noch gesessen hatte. Aus dem Flur drang leises Stimmengewirr. Sie rieb sich mit den Zeigefingern die Schläfen. Als sie die Augen schloss, sah sie den schmalen Finger mit dem rot lackierten Nagel vor sich, der im Spalt der Dachbox zu erkennen gewesen war.

Das Institut für Rechtsmedizin war in einem großen Gebäudekomplex unterhalb der Universität untergebracht. Das Gebäude war vor fünfzehn Jahren renoviert worden,als es um die Finanzen des Kantons noch besser stand. Neben dem Haupteingang befand sich eine Nische mit modernen Besucherstühlen, an der Wand stand ein Regal mit Informationsbroschüren.

Regina fuhr mit dem Lift ins Untergeschoss. Aus einem Raum hörte sie Stimmen und das leise Surren eines Motors. Als sie hineinschaute, sah sie Uwe Hahn. Der lange, dünne Deutsche stand neben einem Tisch, auf dem die Dachbox lag. Hier sah sie viel größer aus als in der Abfallgrube. Die graue Schale war stellenweise weggeschnitten worden, und ein gelber, harter Schaum war zum Vorschein gekommen.

Hahn beaufsichtigte zwei Assistenten, die Zentimeter um Zentimeter kleine Plastikstücke der Hülle wegbrachen. Seine wässrigen Augen verfolgten jede Handbewegung der jungen Männer. Wie Regina schon im Eschenholz befürchtet hatte, war auch der WD anwesend. Der Machtkampf zwischen Hahn und Koch war noch nicht entschieden.

Cavalli erwiderte Reginas Blick. Seine linke Augenbraue winkte, und Regina lächelte. Sie stellte sich hinten an die Wand und schaute den medizinisch-technischen Mitarbeitern beim Schneiden zu.

Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Frau in der Dachbox aussah. Dabei kam ihr der schreckliche Gedanke, dass vielleicht gar nicht die ganze Frau in der Box eingeschäumt war.

Sie sprach Koch und Hahn gleichzeitig an: »Wisst ihr schon mehr?«

Beide schauten auf. Cavalli meldete sich zu Wort.

»Unter dem Fingernagel hatte sie Hautpartikel. Die DNA-Analyse wird zeigen, ob wir Vergleichsdaten haben.«

»Hat das Labor schon Resultate?«

»Frühestens morgen Mittag«, antwortete Hahn.

»Wie lange wird es dauern, bis die Plastikschicht von der Box entfernt ist?«

»Wenn wir so weiterarbeiten können, noch rund drei Stunden. Danach wird die Arbeit immer heikler.« Er erklärte, dass der Schaum vorsichtig abgekratzt werden müsse, da man nicht wisse, in welchem Zustand die Haut der Frau sei.

»Seid ihr sicher, dass sich eine Frau in der Dachbox befindet?«, fragte Regina vorsichtig.

»Ja. Die Röntgenbilder waren eindeutig. Sie ist schon mindestens zwölf Stunden tot«, fuhr Hahn fort. »Und nicht länger als sechzehn.«

Der Todeszeitpunkt lag zwischen dreiundzwanzig Uhr nachts und fünf Uhr morgens, rechnete Regina zurück. Ob sie schon jemand vermisste?

»Die Leichenstarre kann ich schlecht abschätzen«, fügte Hahn hinzu. »Wir müssen zuerst den Körper freilegen. Viel mehr wird es heute nicht zu sehen geben.«

Sein bestimmter Tonfall signalisierte, dass daran nicht zu rütteln war. Hahn beugte sich über den Finger, der leicht nach oben gekrümmt war, als wollte er jemanden heranwinken.

Regina verstand den Hinweis. Sie verließ den Raum. Cavalli folgte ihr.

»Wir treffen uns morgen um halb acht zum Rapport. Bist du auch dabei? Oder soll ich dir die Resultate schriftlich geben?«, fragte er.

»Ich komme. Wisst ihr schon etwas?«

»Fahrni und Bambi klären das Fahrzeug ab und suchen nach Zeugen«, erklärte er. »Gurtner und Pilecki gehen der Identität der Toten nach.«

Regina musste sich beherrschen, als er Bambi erwähnte. Jasmin Meyer verdankte ihren Spitznamen den großen, braunen Augen, die sie unschuldig und hilfsbedürftig aussehen ließen. Die Polizistin war aber alles andere als hilfsbedürftig. In ihrer Freizeit betrieb sie leidenschaftlich Jiu-Jitsu und leitete Survival Camps für Manager, die neue Herausforderungen suchten.

»Einverstanden«, sagte sie und zeigte damit – wenn auch auf plumpe Weise –, dass der Polizist ihr Rechenschaft über seine Ermittlungsstrategie abzulegen hatte.

Cavalli schmunzelte. »Danke«, sagte er und bot ihr einen Apfel an. Regina lehnte ab.

»Ist gesünder als Schokolade«, sagte er leise und schaute sie aus dem Augenwinkel an. Die Tür ging auf, und sie betraten zusammen den Lift. Die Kabine kam Regina enger vor als beim Hinunterfahren. Er wusste noch, dass sie stets einen Notfall-Schokoriegel in der Tasche hatte. Doch wieso sollte er es denn vergessen haben? Sie könnte auch einiges über seine Gewohnheiten erzählen. Sie spürte seinen Blick, der plötzlich ernst, fast ein wenig nachdenklich geworden war. Sie sah, dass er kleine Fältchen unter den dunklen, schmalen Augen bekommen hatte. Ihr fiel keine passende Antwort ein. Als der Lift endlich hielt, trat sie erleichtert aus dem engen Raum. Sie ging auf einen Wasserspender neben dem Ausgang zu und füllte einen Pappbecher. Gierig trank sie ihn leer und füllte nach.

»Soll ich dich irgendwo hinfahren?«, fragte Cavalli.

»Danke, ich nehme lieber den Bus, das geht schneller.«

»Wie du meinst.«

Regina sah ihm nach, als er durch die Glastür verschwand. Draußen regnete es wieder, aber sie hatte keine Lust, den Schirm aufzuspannen. Die kalten Tropfen liefen ihr in den Kragen, und sie fröstelte. Sie senkte den Kopf und versuchte, dicht an der Hausmauer entlangzugehen. Vor der Haltestelle musste sie eine kleine Straße überqueren. Sie war so konzentriert darauf, den nassen, rutschigen Blättern auszuweichen, dass sie den dunklen Mercedes übersah, der auf sie zukam.

Peter Zuberbühler nahm den Hörer nach dem ersten Klingeln ab.

»Und?«

»Alles hat geklappt. Sie wird dir nie wieder einen Strich durch die Rechnung machen.«

Zuberbühler nickte stumm. Er fuhr sich mit einer kräftigen Hand über seinen kahlen Schädel. »Gut. Tauch eine Weile unter.«

Ohne ein weiteres Wort legte er auf. Sein Blick fiel auf einen Kaffeering auf dem Glastisch.

»Anita!«, bellte er.

Als seine Frau ins Wohnzimmer geschlichen kam, zeigte er mit ausgestrecktem Finger auf den Tisch. »Was ist das?«

Anita Zuberbühler schloss die Augen.

4

Berat hatte kein großes Freizeitangebot. Am Abend, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwand, strömten die Menschen auf die Straße. Frisch geduscht, in Sonntagskleidern, schlenderten sie an der Hauptstraße entlang. Im Süden begleitete sie der Osum-Fluss. Die alte illyrische Festung hoch oben auf dem Berg Gorica war um diese Zeit nur noch als Schatten zu erkennen. Im Basarviertel boten die Händler ihre Waren an, wie die Türken es schon im fünfzehnten Jahrhundert getan hatten. Die Menschen träumten vom großen albanischen Helden Skanderbeg, der im Jahr 1455 erfolglos versucht hatte, Berat von den Türken zurückzuerobern. Sie träumten von Westeuropa, das aber keinem Auswanderer das Glück brachte, das er sich erhofft hatte.

Sie standen auf der Brücke Ura e Gorices und betrachteten das Wasser des Osum, der ihre Träume ins Mittelmeer trug. Die »Stadt der tausend Fenster«, wie Berat auch genannt wurde, schaute schweigend zu.

In Kombinat ging niemand abends spazieren. Männer saßen resigniert und erschöpft vor den Eingängen. Sie starrten matt vor sich hin. Aus dem Innern der Gebäude ertönten ungeduldige Frauenstimmen. Kinder jagten lahme Katzen durch die Fabrikhallen.

Aurora wünschte sich, nach Hause zurückzukehren.

Felix trat in die Wohnung und stellte seine Einkaufstasche ab. Er wollte Regina mit einem chinesischen Nachtessen überraschen. In der Küche packte er die Lebensmittel aus. Während er den Ingwer und frische Kräuter auf der Marmorablage ausbreitete, ging er in Gedanken einen Artikel durch, den er geschrieben hatte. Er hatte sich sehr bemüht, die Problematik der Südanflüge von allen Seiten zu beleuchten. Dies hatte zu einer Auseinandersetzung mit der Leiterin der Lokalzeitung, des Dübendorfers, geführt, da sie der Meinung war, er betreibe zu viel Aufwand.

Energisch presste Felix eine Zitrone aus. Als Journalist würde er sein Bestes geben, die üblen Machenschaften der Flughafenbetreiber an die Öffentlichkeit zu bringen. Er mischte dem Saft Gewürze bei und stellte die Sauce beiseite. Dann goss er Erdnussöl in eine Pfanne und dämpfte Zimt, Kardamom und Nelken.

Normalerweise war Regina um diese Zeit zu Hause. Felix wartete noch damit, den Fisch anzubraten. Er nutzte die Zeit, um ein Feuer im Schwedenofen anzufachen. Während die Flammen hinter seinem Rücken knisterten, stand er am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Sein Spiegelbild im Glas irritierte ihn. Er versuchte, das alte weiße T-Shirt, das ihm die Sicht auf den Garten versperrte, zu ignorieren. Aber der Europa-Park-Aufdruck lenkte ihn ab. Die großen Augen der Euromaus leuchteten auf seiner Brust. Er hielt den Atem an und richtete sich auf. Ihr lachender Mund wurde ein bisschen in die Breite gezogen, aber das T-Shirt spannte nicht wirklich.

Der Reis war fertig und duftete frisch. Die Kirchenglocken schlugen die volle Stunde. Felix zählte acht Schläge. Regina rief immer an, wenn sie das Büro später verließ. Eigentlich hätte sich Felix Sorgen machen müssen, doch er ärgerte sich. Er versuchte, sie auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen, bekam aber nur den Anrufbeantworter. Kaum hatte er es sich vor dem Fernseher bequem gemacht, ging die Tür auf. Er hörte, wie sich Regina von jemandem verabschiedete. Sie kam ins Wohnzimmer.

»Mein Gott, was ist passiert?« Felix sprang auf. In Reginas Hosenbein war ein großes Loch. Ihre Hände und ihr Gesicht waren voller Kratzer.

»Ein Auto kam geradewegs auf mich zugerast, als ich die Straße überqueren wollte«, erklärte sie. Sie klang eher erschöpft als wütend.

Felix ging auf sie zu und wollte sie in die Arme nehmen.

Regina wies ihn zurück. »Ich muss diese nassen Sachen ausziehen.«

»Hast du dir wehgetan?«

»Ich konnte noch rechtzeitig zur Seite springen. Hab nur einige Kratzer.«

»Soll ich dir ein Bad einlaufen lassen?«, fragte Felix.

»Gerne.«

Warmer Dampf stieg aus der Wanne, als Regina sich auszog. Felix sammelte die schmutzigen Kleider ein und setzte sich auf den Wannenrand.

»Alles in Ordnung?«

»Ja.« Regina schloss die Augen und sank tiefer ins Wasser.

»Kann ich etwas für dich tun?«

»Nein. Doch. Lass mich bitte allein.«

»Soll ich dir noch etwas zu essen bringen? Ich habe Fisch mit Zitronensauce vorbereitet.«

»Nein, danke.«

Felix ging aus dem Bad und schloss die Tür hinter sich. Er ertrug es nicht, wenn Regina ihn ausschloss. Ihre Distanziertheit löste in ihm Angst aus. Er hatte noch fragen wollen, wessen Stimme er vorhin gehört hatte, traute sich aber nicht. Stattdessen ging er in die Küche und räumte das Essen weg. Er hatte ebenfalls keinen Hunger mehr. Der Fisch würde auch morgen noch gut schmecken. Den trockenen Reis warf er in den Mülleimer.

Der Morgenrapport fand in der Kripoleitstelle statt, einem fensterlosen Raum in der fünften Etage. Tobias Fahrni legte eine Tüte mit Brötchen auf den Tisch und pickte eine Rosine aus einem Maisbrötchen.

»Hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht?«, fragte Pilecki, ohne von seinen Unterlagen aufzusehen.

Fahrni ignorierte den Tschechen. Er suchte nach einer weiteren Rosine, die meisten waren aber zu tief in den Teig gebacken.

»Fahrni hat es schon immer gut verstanden, die Rosinen aus allem herauszupicken«, sagte Gurtner.

»Dann nehme ich mir halt ein Ganzes.« Fahrni griff nach dem größten Brötchen. »Wo bleibt denn der Häuptling? Es ist schon halb acht.«

»Er wartet unten auf Flint«, erklärte Meyer.

Kaum hatten sie Cavallis Abwesenheit erklärt, ging die Tür auf.

»Was ist denn passiert?«, entfuhr es Fahrni laut.

Reginas rechte Wange war aufgeschürft und angeschwollen. Sie erzählte, was am Vorabend geschehen war.

»Kommen wir zur Sache«, sagte Cavalli. Er fasste zusammen, was bereits bekannt war. »Wir haben nicht viel. Ich erwarte gegen Mittag einen Anruf von Hahn. Bis dann sollte die Leiche vom Schaum befreit sein.«

»Die mutmaßliche Leiche«, korrigierte Regina.

»Das Röntgenbild war eindeutig.«

»Eine einzelne Hand hätte ja im Handschuhfach Platz gehabt«, sagte Pilecki.

Fahrni schaute Cavalli an, der ihm zunickte.

»Wir haben den Chrysler«, sagte er. »Er wurde gestern um 7.15 Uhr von einem gewissen Guido Bachmann in Schwamendingen als gestohlen gemeldet.«

»Gut«, sagte Cavalli. »Du und Meyer fahrt gleich nach der Sitzung zu diesem Bachmann. Wie sieht es mit den Vermisstenanzeigen aus?«

Pilecki schüttelte den Kopf.

»Wer hat im Alltag mit Pistolenschaum zu tun?«, fragte Regina.

»Jeder, der Renovierungsarbeiten ausführt«, antwortete Gurtner. »Hohlräume in Verkleidungen oder Fassaden werden damit gefüllt.«

»Und die ganze Kunststoffindustrie arbeitet damit«, fügte Pilecki hinzu.

»Pilecki und Gurtner, geht der Identität der Frau weiter nach. Konzentriert euch vorerst auf den Raum Schwamendingen, wo das Fahrzeug gestohlen wurde.« Cavalli wandte sich an Fahrni und Meyer. »Haltet mich auf dem Laufenden, was den Wagen betrifft, und sucht nach Zeugen des Diebstahls.«

Zum Schluss vereinbarte er mit Regina einen Termin im IRM.

Fahrni griff nach einem weiteren Brötchen und stand auf.

»Perfektes Timing«, sagte Uwe Hahn, als Regina und Schmid den Obduktionssaal betraten. Dass Cavalli in diesem Augenblick ebenfalls auftauchte, hob seine Stimmung zusätzlich.

Auf dem Chromstahltisch lag eine junge Frau. Trotz des aufgedunsenen Gesichts hatte sie etwas Kindliches. Die roten Nägel und der verschmierte, blaue Lidschatten wollten nicht recht passen, sie wirkten künstlich, als hätte sie mit der Schminke ihrer Mutter gespielt. Die langen Beine wiesen an der Innenseite dunkle Flecken auf. Auch auf dem Gesicht sowie dem dünnen Hals erkannte man unter den blauen Verfärbungen dunkle Flecken und Schrammen. Ihr Brustkasten war unnatürlich eingefallen, die Rippen stachen stellenweise hervor.

»Wir haben die äußere Spurensuche vor einer halben Stunde abgeschlossen«, sagte Hahn. »Rosmarie hat die Ergebnisse direkt ins Labor gebracht.« Er fasste zusammen, was feststand.

»Die Todesursache ist eindeutig: Strangulation.« Er zeigte auf die Flecken am Hals und auf die roten Punkte in den Augen. »Die Frau hat sich heftig gewehrt. Wir haben weitere Hautpartikel unter ihren Fingernägeln gefunden, am linken Mittelfinger sogar Blutspuren.«

Bravo, dachte Regina. Es würde sie zwar nicht mehr lebendig machen, aber helfen, den Täter zu finden.

Hahn fuhr fort: »Wir haben auch Textilfasern und Haare gefunden.«

Cavalli fragte, ob man versucht habe, die Spuren zu vertuschen.

Hahn verneinte. Offenbar war der Täter überzeugt, dass man die Leiche nicht finden würde.

»Oder er hatte es sehr eilig«, fügte Schmid hinzu.

»Auch möglich«, sagte Hahn. »Das herauszufinden, ist eure Arbeit.« Er schaute wieder zu der Frau auf dem Chromstahltisch. »Ihr ist mit einem stumpfen Gegenstand heftig gegen die Brust geschlagen worden.« Er schätzte ihr Alter auf siebzehn oder achtzehn Jahre. »Seht ihr diese zarte, grau-weißliche Verunreinigung an den Lippen und auf der rechten Wange? Das sind Spermaspuren. Fernando, schalte bitte die UV-Lampe an.«

Der Assistent verdunkelte den Raum und zog die UV-Lampe näher heran. Unter dem künstlichen Licht konnte man die fluoreszierenden Flecken deutlich erkennen. Auch im Vaginalbereich und an den Beinen leuchteten Spermaspuren auf.

»Wie frisch sie sind, wissen wir bis morgen Mittag.«

Der Assistent schaltete das Licht wieder an, und die Spermaspuren verschwanden.

»Ist sie vergewaltigt worden?«, fragte Cavalli, der sich locker an die Wand lehnte.

Hahn zögerte. »Zu neunzig Prozent ja. Doch ein Körper allein sagt uns nie die ganze Wahrheit.«

»Du denkst doch nicht ernsthaft, dass es eine andere Erklärung dafür geben könnte?«, wandte Regina ein.

»Vielleicht fing das Ganze ja harmlos an«, mutmaßte Cavalli, »und geriet aus irgendeinem Grund außer Kontrolle.«

»So etwas kann sich auch nur ein Mann zusammenreimen«, sagte Regina verärgert.

»Könnt ihr euren Geschlechterkampf bitte woanders austragen? Wir sind nicht fertig.« Hahn zeigte auf eine kleine Stelle oberhalb des linken Fußgelenks. »Hier fehlt ein Stück Haut. Eine zwei mal zwei Zentimeter große Fläche ist mit einem scharfen Gegenstand herausgeschnitten worden. Die Wundheilung hat sechsunddreißig bis achtundvierzig Stunden vor dem Tod der Frau eingesetzt.«

»Die Haut wurde vor ihrem Tod entfernt?« Schmid musste sich an die Wand lehnen, allerdings schaffte er es nicht so locker wie Cavalli.

Hahn nickte und streifte sich Plastikhandschuhe über. »Dann schauen wir uns mal das Innere an.«

Wegen der Leichenstarre schaukelte die Frau unnatürlich hin und her, als er das Brustbein durchtrennte. Der gekrümmte Zeigefinger mit dem blutroten Nagel zeigte auf Cavalli. Seinem Blick war nicht anzusehen, ob er es bemerkt hatte. Er hatte sich von der Wand gelöst und war einen Schritt näher ans Geschehen getreten. Schmid schloss die Augen.

»Ist dir schwindlig?«, fragte Regina.

»Nein, nein, geht schon«, antwortete er kurzatmig.

Hahn legte die Leber auf die Waagschale.

Regina und Cavalli standen jetzt ganz nahe am Obduktionstisch und lauschten seinen Ausführungen.

Der Rechtsmediziner zeigte auf die blutunterlaufenen Brüche des Kehlkopfgerüsts. »Der Täter war kräftig«, erklärte er und bückte sich über den offen gelegten Hals. »Aber die Halskompression wurde wiederholt unterbrochen.«

»Das heißt, sie war nicht sofort bewusstlos?«, fragte Cavalli.

»Nein. Da die Wirbelschlagadern nicht komprimiert werden können, ist eine völlige Unterbrechung der Blutzufuhr zum Kopf durch Würgen kaum zu erreichen. Sie hatte also Zeit, sich zu wehren.«

Sie dachten über seine Worte nach, während Hahn die Obduktion zu Ende führte.

»Am meisten werden wohl die Zähne erzählen«, sagte er und legte die Organe routiniert wieder in die Bauchhöhle zurück. »Sie hat mehrere Füllungen, die werden euch wertvolle Hinweise geben.« Er streifte die Handschuhe ab. »Den schriftlichen Bericht schicke ich dir Ende der Woche, Bruno.« Hahn war der Einzige, der Cavalli bei seinem Vornamen nannte und dafür nicht mit einem bösen Blick bestraft wurde. »Seht zu, dass ihr den Kerl kriegt.«

»Das werden wir«, antwortete Regina bestimmt.

Draußen durchbrachen einige Sonnenstrahlen zaghaft die zähe Nebeldecke. Regina schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken. Die Wärme kitzelte sie sanft, und der Wind streichelte ihr Gesicht. Sie konnte sich fast vorstellen, dass der Frühling unterwegs war. Als sie die Augen wieder öffnete, holte sie der Anblick eines kahlen, dunklen Baumes in den Winter zurück. Der Novemberwind hatte seine Blätter weggefegt, und die feuchten Äste glänzten. Viel zu schnell mündete der Kiesweg in einen asphaltierten Weg. 

»Habt ihr Zeit für ein Mittagessen?«, fragte Cavalli und schaute dabei Regina an.

»Leider nein«, sagte Schmid und verabschiedete sich.

Regina war hin- und hergerissen. Eigentlich mochte sie noch nicht zurück ins Büro. Sie brauchte etwas Distanz zur Obduktion. Andererseits wollte sie nicht allein mit Cavalli essen gehen. Privates und Berufliches würden sich wieder zu schnell vermischen. Unschlüssig wippte sie mit den Füßen. 

Cavalli berührte sie leicht am Ellbogen. »Mein Wagen steht gleich um die Ecke. Lass uns zur Krone fahren.«

Während der Fahrt schwiegen sie, beide in Gedanken versunken. Um die Mittagszeit war es angenehm, im Auto unterwegs zu sein. Der Verkehr war flüssig und die Staus bloße Erinnerung. Innerhalb von zehn Minuten erreichten sie die Krone. Viele Gäste waren bereits beim Kaffee, und einige hatten das Restaurant schon wieder Richtung Arbeitsplatz verlassen. Der Kellner führte Regina und Cavalli an einen ruhigen Tisch am Fenster.

»Wünschen Sie einen Aperitif?«, fragte er.

Beide verneinten.

Der Kellner reichte ihnen die Menükarte und verschwand.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, schwiegen sie unsicher. Regina schaute einem jugendlichen Skateboarder zu, der waghalsig zwischen den Tramschienen den Berg hinunterraste. Seine Augen blitzten vor Abenteuerlust. Regina hatte dieses Gefühl von Unsterblichkeit nie gehabt, auch nicht als Jugendliche. Stets hatte sie die Risiken gut abgewogen. Als wolle sie ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen, schaute sie Cavalli auffordernd an.

»Erzähl. Was hast du während der letzten drei Jahre so gemacht?«

Als sie Cavallis überraschten Ausdruck sah, seine Freude über ihren ersten Schritt, bereute sie ihre Impulsivität.

»Ich war ein Jahr lang in den USA, in einem Weiterbildungsprogramm des FBI«, erzählte er. »Aber das weißt du bestimmt schon.«

»Ich habe davon gehört, aber die Einzelheiten kenne ich nicht.«

Cavalli rieb sich den Nacken, die Geste war ihr vertraut.

»Die Behavioral Science Unit in Quantico, Virginia, bietet jedes Jahr einige Plätze für ausländische Kriminalpolizisten an«, erklärte er. Er schilderte die Fallanalyse, einen Zweig der Polizeiarbeit, der die herkömmliche kriminalistische Arbeit ergänzt. Sie unterhielten sich über den Nutzen von Datenbanksystemen, in denen das Verhalten von Tätern, ihre Gewohnheiten und ihre Handschrift bei der Tatausführung erfasst wurden.

»Aber genug von den USA. Wenn ich in Fahrt komme, sitzen wir heute Abend noch da. Ich zeig dir mal meine Unterlagen. Erzähl von dir. Bist du immer noch glücklich in deiner Eigentumswohnung?«

»Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu wohnen.«

»Sehnst du dich nie nach Freiheit?«

»Diese Sehnsucht ist doch nichts anderes als ein Wegrennen.«

Cavalli schüttelte den Kopf. »Die Welt hat so viel zu bieten, und du bleibst auf dem gleichen, kleinen Fleckchen Erde sitzen.«

»Und du? Du suchst im Grunde genommen auch immer das Gleiche, nur eben an verschiedenen Orten.«

»Ist das wieder deine Beziehungstheorie?«

»Es ist gar keine Theorie«, ärgerte sich Regina. »Aber ich sehe, wie du rastlos ein Abenteuer nach dem andern suchst, wie du jede Woche eine andere Frau im Arm hast, und kaum wird es ein bisschen ernst, brichst du deine Zelte wieder ab und ziehst weiter. Welche Erfahrungen gewinnst du dabei? Was hast du von deiner großen, weiten Welt?«

»Oh, ich mache auf diese Weise ganz viele, höchst angenehme Erfahrungen«, grinste er.

Regina verdrehte die Augen. Der Kellner brachte den Salat, das ersparte ihr eine Antwort. Sie stach mit der Gabel auf ein Salatblatt ein, das sich nicht aufspießen lassen wollte.

»Das wollte ich nicht«, sagte Cavalli leise.

Regina wagte nicht zu fragen, was genau er nicht wollte. Ständig an ihrem Lebensstil herumnörgeln? Oder lag mehr in seinen Worten? Sie wartete darauf, endlich eine Entschuldigung zu hören. Er hatte so viele Versprechen nicht gehalten, doch eine Entschuldigung dafür hatte er nie über die Lippen gebracht. Trotzdem hatte sie ihm immer wieder verziehen. Denselben Fehler wollte sie nicht nochmals begehen. Hätte sie doch gleich den Fall abgegeben, dachte sie. Inzwischen fühlte sie sich der unbekannten Toten verpflichtet. Regina musste an die Füße auf dem Obduktionstisch denken. Sie hatten die Frau nicht weit genug wegtragen können. Wohin hatte sie im Leben noch gehen wollen? Wer wollte sie daran hindern? Und vor allem: warum?

Cavalli sah Regina fragend an. Viele Worte waren zwischen ihnen nicht nötig.

»Hast du schon eine Idee, was dahinterstecken könnte?«, nahm sie das Gespräch wieder auf.

Cavalli schüttelte den Kopf, offensichtlich froh, sich wieder Sachlichem zuwenden zu können. »Wir haben noch viel zu wenig. Aber der Täter hat noch auf sie eingeschlagen, als sie längst tot war. Wenn es nur darum gegangen wäre, sie zu töten, hätte er das weniger emotional tun können.«

Ein Beziehungsdelikt? Waren Drogen im Spiel? Das könnte die übertriebene Gewaltanwendung erklären. Einstichstellen wurden bei der jungen Frau keine gefunden. Definitiv würden die Blutanalysen darüber Auskunft geben. Dass man sie wie Abfall entsorgen wollte, sagte auch einiges aus.

Der Kellner näherte sich mit zwei schön angerichteten Tellern. Das gediegene Essen passte nicht recht zu ihren düsteren Gedanken. In vertrautem Schweigen versuchten sie dennoch, den Fisch zu genießen. Die Kartoffeln dampften auf dem warmen Teller, und die Petersilie roch angenehm frisch. Plötzlich durchbrach eine Rapmelodie die Stille. Cavalli nahm sein Handy hervor und zuckte mit den Schultern.

»Christopher«, erklärte er, »ich wollte schon längst den normalen Klingelton wieder einstellen.«

Dann richtete er sich auf und schob den Teller beiseite. Er versprach, in fünfzehn Minuten da zu sein.

»Rechnung, bitte!« Cavalli wandte sich an Regina. »Wir brauchen einen Durchsuchungsbefehl.«

»Ein bisschen mehr musst du mir schon sagen«, antwortete sie trocken.

»Das war Fahrni. In der Nacht auf Montag hat eine Frau Schreie gehört. Ganz in der Nähe wurde der Chrysler gestohlen.«

»Und wozu braucht ihr den Durchsuchungsbefehl?«

Cavalli leitete weiter, was ihm Fahrni erzählt hatte.

»Und nun wollt ihr die Wohnung dieses Mannes aus Ex-Jugoslawien durchsuchen?«

Für einen Durchsuchungsbefehl reichte das nicht, das musste auch Cavalli klar sein.

»Ich werde Schmid darauf ansetzen«, sagte Regina. »Er soll mit der Verwaltung Kontakt aufnehmen und den Mann ausfindig machen.«

Der Kellner brachte die Rechnung. Cavalli war in Gedanken schon so in die neue Entwicklung vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie Regina sie beglich.

Rosa Finocchio schenkte dem netten jungen Polizisten Kaffee nach.

»Danke«, sagte Fahrni und nahm sich ein weiteres Amaretti. »Sie schmecken ausgezeichnet.«

Finocchio verschwand in der Küche, um Zucker zu holen. Dann griff sie zum Lappen und wischte nicht vorhandene Brosamen vom Tisch. Als es klingelte, strich sie ihre Hose glatt und öffnete die Tür.