Fremde Worte - Jana Volkmann - E-Book

Fremde Worte E-Book

Jana Volkmann

4,9

Beschreibung

Hanna ist eine leidenschaftliche Buchkäuferin. Vielmehr als die Autoren oder Inhalte interessiert sie jedoch die Vorgeschichte der Bücher. Regel­mäßig durchstreift sie die Antiquariate ihrer Heimatstadt - stets auf der Suche nach einer Widmung, deren Hintergründe sie sich erdenken kann. Wie ein Zaungast blickt sie in die Leben fremder Menschen. Was als harmloses Spiel begonnen hat, wird jedoch immer mehr zu einem Rückzug Hannas von der Wirklichkeit. Bis sie einer Frau begegnet, die ihr Leben als Einzelgängerin stört. Eine ergreifende Geschichte über eine junge Frau, die sich in ihrer Fantasie verliert - und über das Leben mit Büchern.

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Seitenzahl: 53

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Die Autorin

Jana Volkmann, 1983 in Kassel geboren. Sie hat im Norden, im Westen und im Osten Deutschlands gewohnt. In Berlin hat sie Europäische Literaturen studiert und erste Prosatexte veröffentlicht. Seit 2010 liest sie regelmäßig Kurzgeschichten in Cafés, Kneipen und Kultureinrichtungen. Sie hat sich die Bühne mit unterschiedlichen Autoren geteilt und verschiedene Städte zum Lesen bereist, darunter Leipzig, Hamburg und Fribourg (CH). Mittlerweile lebt und schreibt sie in Wien und arbeitet an einer Dissertation über Hotels in der Gegenwartsliteratur. Buch: Schwimmhäute (Kurzgeschichten, 2012)

Die Textlicht-Reihe

Textlicht ist junge Literatur in einem handlichen Format, für daheim oder unterwegs. Texte, die unter die Haut gehen und im Kopf bleiben.

Mehr Infos zur Textlicht-Reihe und dem restlichen Verlagsprogramm finden Sie auf www.editionatelier.at

Jana Volkmann

Fremde Worte

Erzählung

In a coffee shop in a city

Which is every coffee shop in every city

On a day which is every day

I picked up a magazine

Which is every magazine

Read a story, and then forgot it right away.

Ani DiFranco – Little Plastic Castle

Inhalt

1. Spielmeisterin

2. Fremdkörperin

3. Stadtstreicherin

4. Puppenspielerin

1. Spielmeisterin

Der Antiquar hatte sie immer noch nicht durchschaut. Dafür gab es zwei gute Gründe:

Erstens war es fast unmöglich, sich bei dieser Menschenmenge auf einzelne Gesichter zu konzentrieren; obwohl sie jeden Sonntag hier war, hatte sie nicht das Gefühl, er erkenne sie wieder. Er wirkte allerdings auch nicht sehr interessiert. Grundsätzlich – weder an ihr noch am Rest seiner Kundschaft. Der Antiquar schaute in der Regel höflich in die Ferne oder in seinen Kaffeebecher. Fragen beantwortete er knapp und präzise, ansonsten war er zu keinem Gespräch bereit und wirkte auf angenehme Art abwesend. Sie hatte oft darüber nachgedacht, was sein Gesicht über ihn verraten mochte. Sie fand, er sehe aus, als versuche er, sich an etwas zu erinnern, das ihm immer wieder entglitt, sobald er es zu fassen bekam. Allerdings schien er nicht besonders verzweifelt darüber zu sein. Seine Versuche hatten nichts Verbissenes, es war wohl eher eine Art Übung, die er schon so oft wiederholt hatte, dass sie ihm ganz leicht zu fallen schien. Nur zwei kleine senkrechte Falten kurz über der Stelle, wo seine runde Brille auf der Nase auflag, deuteten darauf hin, dass ihm das Grübeln nicht nur Freude bereitete. Vielleicht dachte er aber auch einfach an gar nichts. Manche Leute bekamen das hin und kriegten trotzdem Falten.

Zweitens war sie einfach geschickt. Sie täuschte vor, eine Kundin zu sein wie alle anderen hier, auf der Suche nach einem Buch, vielleicht nach einem ganz bestimmten, vielleicht auch nicht. Jedenfalls nach einem Buch. Sie nahm Buch für Buch aus den Pappkisten, sah sich zuerst den Titel an, dann den Klappentext, dann den Preis, anschließend blätterte sie ein wenig und tat, als lese sie ganze Passagen. Sie spielte dabei genau das richtige Maß an Interesse vor, wirkte weder gelangweilt noch allzu begeistert. Überhaupt war sie bei ihren Besuchen am Bücherstand ganz nebenbei eine passable Schauspielerin geworden, fast fiel sie auf sich selbst herein. Erst ganz zum Schluss schlug sie wie beiläufig, wie versehentlich die leere Seite zwischen Impressum und Vorwort auf. Und dann die leeren Seiten innen am Buchdeckel. Auf diese Weise dauerte ihre Suche viel länger als nötig, aber das war eben Teil des Spiels, sie hatte die Regeln selbst erfunden, und nun wollte sie sich den Spaß nicht nehmen lassen, sie einzuhalten, egal, wie viel Zeit es kostete. Zu dem Spiel gehörte es auch, ein paar unbrauchbare Bücher beiseitezulegen und gegen die neugierigen Blicke der anderen Kunden zu verteidigen, nur um sie am Schluss doch wieder in die Kisten zurückzustellen. Außerdem hatte sie sich angewöhnt, halbherzig zu feilschen und hin und wieder nach einem Titel zu fragen, der garantiert nicht in den Kisten zu finden war.

Hanna erinnerte sich dunkel an früher, als sie tatsächlich noch gelesen hatte, richtig gelesen. Ganze Bücher. Sie wusste noch, wie es war, in der Handlung eines Romans zu Hause zu sein oder eine zarte Freundschaft für die Figuren zu empfinden. Sätze zu unterstreichen, um sich an sie zu erinnern, und weil man sie sich ja doch nicht merken konnte, ersetzte eine dünne schiefe Bleistiftlinie das Einprägen, das Auswendiglernen.

Hanna las seit einer Weile keine Bücher mehr. Sie machten sie müde. Die Handlungen interessierten sie nicht, die Figuren waren ihr fremd und schienen lächerlich, sie kannte sich in den Wörtern nicht mehr aus. Sie fügten sich zu keiner Geschichte mehr zusammen, zwischen den Buchdeckeln wartete keine andere Welt mehr, und erst recht nicht so etwas wie ein Zuhause.

Die wirklichen Geschichten, die, die es noch zu lesen lohnte, setzten sich aus wenigen Wörtern zusammen. Sie wirkten nicht, als seien sie mühelos geschrieben, waren fehlerhaft, lückenhaft, nie zu Ende erzählt und nicht richtig begonnen. Sie waren in Handschrift auf eine leere Seite geschrieben. Sie hatten nur einen einzigen Adressaten, sie waren immer bloß für dich und verbargen sich schamhaft vor dem Rest der Welt. Sie waren nicht für Hanna gedacht. Sie las sie doch, und sie empfand eine Freude dabei, die in dem einfachen System aus Schenken und Beschenktwerden nicht vorgesehen war. Die nicht verboten war, aber auch nicht ganz erlaubt. Es gab ja niemanden, der wütend werden oder sich peinlich berührt fühlen könnte. Niemanden, der ihr verbieten könnte, die Widmungen zu lesen und ihrer Bedeutung hinterherzuspüren. Die Bedeutung lag irgendwo jenseits der Buchstaben, die da handschriftlich ins Weiße geschrieben waren. Jenseits der sparsamen, spärlichen Wörter.