Freundinnen bleiben wir immer - Heike Abidi - E-Book

Freundinnen bleiben wir immer E-Book

Heike Abidi

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Beschreibung

Zwei Freundinnen, ein Ferienhaus, bunte Tulpenfelder, weite Dünen und die Gewissheit: Auf die beste Freundin ist immer Verlass!

Seit Kindertagen sind Eva und Judith die besten Freundinnen. Und auch wenn das Leben sie inzwischen in verschiedene Richtungen geführt hat, das alljährliche Freundinnen-Wochenende ist Pflicht! Gerade Judith freut sich auf einen aufregenden Städtetrip – in ihrer Ehe steht es nicht zum Besten und sie hat das Gefühl, der Alltag frisst sie auf … Als Eva aber ein Ferienhaus an der niederländischen Küste bucht, fernab von Kultur und Trubel, ist Judith zunächst etwas enttäuscht. Doch dann kann sie sich an der herrlichen Dünenlandschaft, der unendlichen und beruhigenden Weite des Meeres und den farbenfroh blühenden Tulpenfeldern kaum sattsehen. Auch die sonst so rastlose Eva scheint ganz verändert. Hat sie ein Geheimnis vor Judith? Wie ehrlich waren die Freundinnen zueinander in den letzten Jahren? Alte Konflikte kommen zur Sprache und die Frage: Wie viel hält eine Freundschaft aus?

Freundinnen machen das Leben schöner, bunter und aufregender: Nach ihrem Sachbuch-Bestseller »Eine wahre Freundin ist wie ein BH« nun endlich der erste gemeinsame Roman des erfolgreichen Autorinnen-Duos! Das perfekte Geschenk für die beste Freundin – und für sich selbst!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 354

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Heike Abidi lebt mit ihrer Familie in der Pfalz bei Kaiserslautern, wo sie als freiberufliche Werbetexterin und Autorin arbeitet. Heike Abidi schreibt vor allem Unterhaltungsromane und erzählende Sachbücher für Erwachsene sowie Geschichten für Jugendliche und Kinder.

Ursi Breidenbach lebt mit ihrer Familie in der Steiermark / Österreich. Sie schreibt romantische Unterhaltungsromane und wurde mit dem DELIA-Literaturpreis für den besten Liebesroman 2022 ausgezeichnet.

Zusammen veröffentlichten sie das Sachbuch Eine wahre Freundin ist wie ein BH, das sich monatelang auf den Bestsellerlisten hielt. Mit ihrem Roman Freundinnen bleiben wir immer setzen sie ihre erfolgreiche Zusammenarbeit auch in der Unterhaltungsliteratur fort.

Außerdem von Ursi Breidenbach und Heike Abidi lieferbar:

Eine wahre Freundin ist wie ein BH

Geschwister sind wie Gummibärchen

Großeltern sind wie Eltern, nur mit Zuckerguss

Wetten, ich kann lauter furzen?

www.penguin-verlag.de

HEIKE ABIDI URSI BREIDENBACH

Freundinnen bleiben wir immer

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Heike Abidi und Ursi Breidenbach

Copyright © 2024 by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Katharina Rottenbacher

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-30701-1V001

www.penguin-verlag.de

Judith – geschrieben von Heike AbidiEva – geschrieben von Ursi Breidenbach

Hallo Eva! Unser letztes Telefonat ist ja schon drei Wochen her … Der Alltagsstress lässt so wenig Zeit. Aber ich denke dauernd an dich. Wie geht es dir? Und vor allem: Freust du dich genauso auf unsere Reise wie ich?

Stimmt, liebe Judith, die Zeit verfliegt! Aber zum Glück sind es ja noch ein paar Wochen bis dahin – da können wir uns noch länger vorfreuen. Ich kann es kaum erwarten! 💓

Ach so, ja: Mir geht es gut. Bei dir auch alles okay?

Jaaaa, bei mir auch alles bestens! Aber was meinst du mit ein paar Wochen? Eher ein paar Tage … Nächsten Mittwoch geht’s doch schon los! Ich bin irre gespannt, was du dir diesmal für uns ausgedacht hast!

What??? 24. April, oder?

Ganz genau! Ich hab sogar schon angefangen zu packen. Wenn du mir das Ziel verraten würdest, wäre das hilfreich. Sonst geht es mir wie dir letztes Mal, als ich Rom gebucht habe und du einen Sweater mit griechischer Aufschrift anhattest.

Ach, ich Schussel hatte mich im Kalender vertan. 🙈 Bin wieder auf Schiene. Juhu, in ein paar Tagen sehen wir uns. Wohin es geht? Das ist eine Überraschung!

Mensch, Eva, mach es doch nicht so spannend! Aber ein schickes Outfit fürs Theater ist auf keinen Fall verkehrt, richtig? Muss ja nicht wieder Oper sein, ich liebe auch Musicals, wie du weißt …

Pack einfach Sachen ein, in denen du dich wohlfühlst. Du siehst immer schick aus. Und vielleicht noch eine Regenjacke zur Sicherheit. Man weiß im Frühling nie …

Ich hole dich dann mit Cary Grant vom Bahnhof ab und wir düsen los. Das werden tolle Tage!

Okay, ich werde dir wohl keinen Hinweis entlocken … Eine Überraschung ist eh am schönsten. Ich freue mich riesig! Übrigens: Mein ICE kommt um 12:05 Uhr auf Gleis 1 an. Zum Glück gibt es eine durchgehende Verbindung von München nach Köln – da sollte eigentlich nichts schiefgehen.

Ich freu mich schon so! Endlich wieder Judith-Eva-Zeit! 💓 Quatschen bis zum Abwinken.

Jaaaa, und ganz viel Kultur! Du ahnst ja nicht, wie sehr ich mich danach sehne – Frank und die Jungs sind einfach nicht dafür zu begeistern. So etwas erlebe ich nur mit dir. Es geht doch nichts über beste Freundinnen!

Die gemeinsame Zeit wird auf jeden Fall großartig! Hauptsache, wir verbringen schöne Tage zusammen.

Du, ich muss los. Hab gleich ein Interview und dann muss ich auch schon in die Maske. 💄 Ich umarme dich!

Umarmung zurück, liebe Eva! Ich bin so froh, dass es dich in meinem Leben gibt. Bis sehr bald!

Kapitel 1

JUDITH

Mit einem Buch in der Hand kann ich die Zeit völlig vergessen. Auch heute. Die Bahnfahrt ist dank des Romans von Elisabeth Strout wie im Flug vergangen.

Doch mit der Durchsage, dass wir in wenigen Minuten Köln erreichen, ändert sich das schlagartig. So fesselnd Mit Blick aufs Meer auch geschrieben ist, es gelingt mir keine Sekunde länger, mich darauf zu konzentrieren. Vergessen sind Olive Kitteridge und all die anderen skurrilen, aber liebenswerten Figuren aus dem Küstenstädtchen in Maine.

Ich verstaue das Buch und greife nach dem Weekender in der Gepäckablage. Früher hieß so was einfach kleine Reisetasche, aber Weekender trifft’s eigentlich ziemlich genau. Auch wenn es bei uns ein verlängertes Wochenende wird und er entsprechend vollgestopft ist. Bequeme Sachen für tagsüber, was Schickes fürs Abendessen und natürlich ein elegantes Outfit fürs Theater habe ich vorsichtshalber dabei.

Schade, dass das Wetter so unbeständig werden soll. Jedenfalls in London. Und ich tippe ganz stark auf die britische Hauptstadt! Warum hätte mir Eva sonst geraten, unbedingt eine Regenjacke einzupacken? Damit sind Valencia, Paris und Florenz schon mal ausgeschieden. Zumindest laut meiner Wetter-App.

Eva ist diesmal eine echte Geheimniskrämerin! Letztes Jahr war ich immerhin so fair, ihr einen Hinweis zu geben. Dass sie beim Stichwort Pantheon auf Athen tippte statt auf Rom, weil sie es mit dem Parthenon verwechselte, war schließlich nicht meine Schuld. »Tempel ist Tempel«, hat sie damals gut gelaunt kommentiert und ihren Sweater mit der Aufschrift Kalimera trotzdem getragen. »Das heißt buon giorno«, erklärte sie ungefragt dem süßen jungen Kellner in unserem Frühstückscafé am Campo de’ Fiori.

Ich bin heute noch stolz auf das großartige Programm, das ich für uns beide organisiert hatte. Sightseeing bis zum Umfallen, von Kolosseum bis Sixtinische Kapelle, und als Highlight Puccinis Madame Butterfly im Teatro dell’Opera. Nicht zu vergessen die nächtliche Gastrotour durch Trastevere inklusive Weinprobe und der abschließende Wellnesstag in einem Spa mit antik-römischem Ambiente.

Dieses Mal ist Eva an der Reihe, unseren jährlichen Freundinnentrip zu planen, und sie hat mit keiner Silbe verraten, wo es hingeht. Doch ich bin fast sicher, sie durchschaut zu haben …

Ob sie wohl Tickets für das London Eye gebucht hat? Die Aussicht von da oben soll gigantisch sein. Noch spektakulärer wäre die ABBA-Show. Eva weiß, dass ich ein Riesenfan bin – schon immer war. Sie steht zwar eher auf Jazz, aber mir zuliebe würde sie bestimmt auch zu Dancing Queen und Don’t Shut Me Down abfeiern.

Ich bin die Erste, die an der Tür bereitsteht, als hätte ich es eilig und müsste dringend einen Anschlusszug erreichen. Dabei ist es bloß die Vorfreude, die mich antreibt.

Ein Jahr ist es her, seit Eva und ich uns zuletzt getroffen haben. Natürlich haben wir regelmäßig telefoniert, uns unendlich viele Nachrichten geschrieben und sogar ein paarmal gezoomt, aber es geht doch nichts über echte Begegnungen.

Wer weiß, ob unsere Freundschaft die Trennung überstanden hätte, nachdem Eva vor gut fünfzehn Jahren von München nach Köln gezogen ist, gäbe es nicht diese Freundinnenurlaube. Zu zweit eine spannende Stadt erkunden, Theater und Museen besuchen und natürlich in den gemeinsamen Erinnerungen schwelgen – gibt es etwas Schöneres? Für mich jedenfalls nicht. Und ich bin sicher, Eva geht es ebenso.

Als der Kölner Dom in Sicht kommt, beschleunigt sich mein Puls. Herzklopfen aus lauter Vorfreude – ein Gefühl, das ich schon fast vergessen habe, und umso schöner finde ich es, das mal wieder zu spüren.

Eva steht auf dem Bahnsteig und winkt. Dann läuft sie mir entgegen. Dass sich immer wieder Köpfe nach ihr umdrehen, scheint sie gar nicht zu registrieren. Man kennt sie eben aus dem Fernsehen. Schau mal, da ist die Gruber! Die Moderatorin der Nachmittagsshow Talk mit Eva im Dritten. Entweder ignoriert sie, dass sie erkannt wird, oder sie glaubt tatsächlich, in ihrem Freizeit-Outfit inkognito zu sein. Zwar trägt sie vor der Kamera immer schicke Kleider in Rot, Pink, Königsblau oder anderen kräftigen Farben, aber privat bevorzugt sie einen modischen Schlabberlook in Naturtönen. Doch ein Hingucker ist sie trotzdem – auch ungeschminkt und mit hochgezwirbelter Mähne.

Strahlend steht sie vor mir. »An mein Herz!«, ruft sie.

Für einen Moment muss ich an das braunhaarige Mädchen mit Zöpfen in Jeansrock und geringeltem T-Shirt denken, das im Sommer 1982 mit einem breiten Lächeln auf mich zukam und fragte, ob ich Lust hätte, Ball zu spielen. Ich war damals gerade in die Nachbarschaft gezogen und fühlte mich noch ziemlich verloren. Aber nur bis zu diesem Moment. Seitdem sind wir beste Freundinnen.

»An mein Herz«, erwidere ich, dann fallen wir uns um den Hals.

Eva trägt meinen Weekender, während wir gemeinsam den Bahnhof verlassen.

»Was hast du da drin – Wackersteine?«, neckt sie mich.

»Nur das Allernötigste«, versichere ich. Eva neigt zu Übertreibungen. In Wahrheit ist sie diejenige, die meist mit großem Gepäck reist. Jedenfalls mit deutlich größerem als ich.

»Sorry, es ist ein Stück bis zum Auto«, sagt sie. »Parkplätze waren mal wieder Mangelware.«

Ich schmunzele in mich hinein. Im Gegensatz zu mir ist Eva nicht gerade eine leidenschaftliche Spaziergängerin. Bewegung ist nichts, was ihr Spaß macht, wenn man vom Energy-Dancing absieht, mit dem sie sich fit hält und das sie mit Freude betreibt. Im Vergleich zu anderen Moderatorinnen ist Eva sehr kurvig. Und eine der attraktivsten. Jedes Gramm am rechten Fleck.

In Hinsicht entspannter Einstellung zum eigenen Körper sind wir ziemlich ähnlich gestrickt, obwohl ich im Gegensatz zu ihr schon immer zierlich war. Ich treibe überhaupt keinen Sport, aber ohne Bewegung fühle ich mich unwohl. Deshalb laufe ich jeden Tag zur Arbeit. Die Bibliothek liegt rund fünfundvierzig Gehminuten von unserem Haus entfernt, das macht anderthalb Stunden pro Tag. Inzwischen bin ich so sehr daran gewöhnt, dass mir diese rund zwölftausend Schritte an Tagen wie heute, die ich überwiegend im Sitzen verbringen muss, regelrecht fehlen.

»Meinetwegen könnten wir gerne noch weiterlaufen«, sage ich, »aber ich seh ihn schon. Schön wie eh und je, dein Cary Grant.«

Das himmelblaue Peugeot-Cabrio fährt Eva seit gut zehn Jahren, und da hatte es bereits stattliche siebzehn Jahre auf dem Buckel, beziehungsweise auf dem Faltdach. Aber sein Alter sieht man ihm nicht an, dank Evas guter Pflege. Ich persönlich käme nie auf die Idee, einem Fahrzeug einen Namen zu geben, aber Cary Grant ist ja auch kein normales Auto. Leider kann der Komfort mit der extravaganten Optik nicht wirklich mithalten. Es ist irre umständlich, das Verdeck zu öffnen und zu schließen, der Stauraum ist winzig und Platz auf einer Rückbank gibt’s auch nicht – Cary Grant ist nämlich ein Zweisitzer. Immerhin ein sehr stilvoller Zweisitzer.

Ich rechne schon damit, dass ich meine Taschen in den Fußraum des Beifahrersitzes stopfen muss, weil der Kofferraum dank Evas Sachen bereits aus allen Nähten platzt. Sie packt meistens in letzter Sekunde und geht dabei so chaotisch vor, dass sie viel zu viel mitnimmt. Aber nein – diesmal hat sie tatsächlich noch weniger Gepäck als ich.

»Tu nicht so erstaunt!«, sagt sie grinsend, während ich meine Sachen verstaue.

»Ich tu nicht nur so, ich bin es«, gebe ich zu und nutze gleich die Gelegenheit, ihr Informationen zu entlocken: »Ich nehme an, du willst in London erst mal shoppen gehen, stimmt’s?«

»Netter Versuch«, gibt sie zurück und setzt ein Pokerface auf. »Los, einsteigen!«

»Du verrätst mir also noch immer nicht, wo es hingeht?«, erwidere ich, während ich mich anschnalle.

Eva rückt in eine bequeme Sitzposition. »Abfahrbereit?«

»Jawohl, du Geheimniskrämerin.«

»Wir machen noch einen Abstecher bei meinem Lieblingsbäcker. Ich habe einen kleinen Picknickkorb für unterwegs bestellt. Reisen macht hungrig.«

Den Proviant muss ich doch zu mir nach vorne nehmen. Neugierig inspiziere ich den Inhalt. Es gibt belegte Camembert-Brötchen, herzhaft gefüllte Croissants, ein bisschen Obst, zwei Flaschen stilles Wasser mit Kirschgeschmack und vier hart gekochte Eier.

»Damit wir nicht anhalten müssen, nur weil uns der Hunger übermannt«, zitiert Eva unsere Klassenlehrerin aus der Mittelstufe.

»Keine Fahrt über fünfzig Kilometer ohne Eier«, ergänze ich automatisch.

»Und keine Freundinnentour ohne diesen Spruch.«

Während Eva Cary Grant sicher durch den Kölner Stadtverkehr lenkt, denke ich darüber nach, wie schön es ist, wenn man sich schon so lange kennt wie wir beide – seit über vierzig Jahren. Die Sätze der anderen beenden zu können und auch die ungesagten zu verstehen. Und gemeinsam über alberne Erinnerungen, Running Gags und Insider-Sprüche zu lachen.

»Worüber denkst du nach?«

Okay, Gedankenlesen können selbst beste Freundinnen nicht immer, und das ist auch gut so.

»Darüber, wie wertvoll unsere gemeinsame Zeit ist«, erwidere ich. »Und dass ich alle hart gekochten Eier der Welt dafür gäbe, wenn du mir unser Ziel verraten würdest.«

»Keine Chance. Es macht einfach zu viel Spaß, dich schmoren zu lassen.«

Ich gebe auf. Vorerst jedenfalls. Ich werde es ja bald erfahren – spätestens, wenn sie in Richtung Flughafen abbiegt und die Tickets nach London zückt.

»Na gut, dann kann ich mir ja gleich mal ein Ei pellen. Willst du auch eins?«

»Gern. Irgendwo müsste da sogar ein Salzstreuer sein.«

Wir sind jetzt auf der Autobahn – aber nicht auf der in Richtung Flughafen, sondern nach Norden. Ernsthaft? Eva will die ganze Strecke mit dem Auto fahren? Das würde ich mir niemals zutrauen. Ich komme zwar selbst aus einer Großstadt, doch London ist eine ganz andere Liga als München, und dann der Linksverkehr …

Aber okay, wenn sie sich das antun möchte. Ich bin mal gespannt, wo wir übersetzen. Was sind noch gleich die bekanntesten Fährhäfen? Spontan fallen mir Hoek van Holland und Zeebrügge ein, wobei Letzteres in Belgien liegt, dafür müsste sie sich südlicher halten. Wir fahren wohl in Richtung Niederlande. Alles klar.

»Erzähl doch mal, was gibt es Neues bei dir?«, beginnt Eva, nachdem sie ihr Ei gegessen hat.

»Nicht viel«, sage ich, »wenn man davon absieht, dass jetzt beide Jungs aus dem Haus sind.«

Robin macht gerade ein Auslandsjahr und Linus studiert zwar in München, wohnt aber schon seit dem ersten Semester in einer WG. Was ich natürlich unterstützt habe, denn ich will ja, dass er selbstständig wird. Dass ich ihn nur noch alle vier Wochen zu Gesicht bekomme, ist die Kehrseite der Medaille.

»Wann ist Robin denn aufgebrochen? Work and Travel in Neuseeland, sagtest du?«

»Nein, Australien. Letzten Samstag ging der Flieger.«

»Wow, wie aufregend! Das wird sicher eine spannende Erfahrung für ihn. Schade, dass wir das damals nach dem Abi nicht gemacht haben. Den Sommer über im Biergarten jobben und am Wochenende am See zelten – auf eine andere Idee sind wir gar nicht gekommen.« Sie lacht.

»Aber es waren auch tolle Zeiten.« Ich klinge wehmütiger, als ich es möchte. Nicht wegen der verflossenen Jugend – ich bin mit meinem Älterwerden wirklich im Reinen –, sondern weil ich Robin vermisse. So sehr, dass es wehtut. Mit dieser Reaktion habe ich selbst nicht gerechnet. Ob es wohl an den Hormonen liegt? Schließlich sollen Wechseljahre für gewaltige Stimmungsschwankungen sorgen können, das hört man ja immer wieder.

Ich habe mich eigentlich stets für eine coole Mutter gehalten. Die ihren Kindern Wurzeln gibt, aber auch Flügel, wenn sie so weit sind. Und die kein Problem damit hat, sie loszulassen.

»Super, dass Robin das macht«, stellt Eva gut gelaunt fest. »Und genießt du die neue Freiheit? Richtest du dir endlich ein Lesezimmer ein?«

Eva ist zwar unglaublich empathisch, aber als kinderlose Frau kann sie die Gefühle einer Mutter einfach nicht nachvollziehen. Das war schon früher so, als die Jungs klein waren und sie mich mit ungebetenen Ratschlägen zu Trotzphasen, Pubertätskrisen und anderen Erziehungsfragen beglückt hat, die weitab der Realität lagen. Damals war ich oft genervt davon, aber natürlich habe ich mir nie etwas anmerken lassen.

»Mein Lesesessel steht im Wohnzimmer, das genügt mir vollkommen«, erwidere ich, ohne auf das Stichwort neue Freiheit einzugehen.

»Du lässt ihre Kinderzimmer also unangetastet? Für den Fall, dass sie mit dreißig den Koller kriegen und wieder einziehen?«

Eva schneidet eine Grimasse, die so albern aussieht, dass ich lachen muss, obwohl mir bei dem Thema eigentlich gar nicht danach zumute ist.

»Ich bin eben eine Glucke«, gebe ich zu. »Vermutlich leide ich gerade unter akutem Empty-Nest-Syndrom. Dabei bin ich natürlich superstolz auf meine Jungs. Auch darauf, wie gut sie in dieser komplizierten Welt zurechtkommen. Aber gleichzeitig fühle ich mich dadurch irgendwie … überflüssig.« Besser kann ich die Leere in mir nicht beschreiben. Robin nachzuwinken, als er freudestrahlend und abenteuerlustig in Richtung Sicherheitskontrolle verschwand, war mit das Schwerste, was ich in meinem Leben bisher tun musste. Vor allem, die ganze Zeit über zu lächeln und mir nicht anmerken zu lassen, dass ich am liebsten losgeschluchzt hätte. Dabei bin ich sonst nicht nah am Wasser gebaut.

Es ist ja nicht so, als hätte ich ihn rund um die Uhr bemuttert. Weit davon entfernt! Ich habe schließlich meinen Beruf, meine Bücher, meinen Garten. Die Jungs brauchen mich schon lange nicht mehr. Aber immerhin war Robin bis letzte Woche noch da.

Jetzt sind Frank und ich allein in einem viel zu großen Haus. Und mir wird bewusst, dass unsere Ehe all die Jahre vor allem durch die gemeinsame Elternschaft zusammengehalten wurde. Würde ich mich heute wieder für ihn entscheiden? Mich in ihn verknallen? Liebe ich ihn überhaupt noch? Und er mich?

»Warum schreibst du nicht einen Ratgeber darüber? Über das Loslassen und das Frausein nach der Erziehungsphase«, reißt mich Eva aus meinen trüben Gedanken. »Du hast doch früher immer so geniale Kurzgeschichten verfasst. Und du verbringst dein halbes Leben zwischen Büchern, aber keins davon ist von dir. Höchste Zeit, dass du unter die Autorinnen gehst!«

»Ach, das waren ja bloß laienhafte Versuche«, wehre ich ab. Doch Tatsache ist: Eva hat völlig recht. Einmal ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, war schon immer mein größter Traum. Aber sicher würde es nicht von den dunklen Abgründen meiner Seele handeln. Außerdem ist das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

»Sei nicht so bescheiden! Du bist ein Naturtalent, meine Liebe, und solltest es unbedingt ausprobieren. Du wirst nie erfahren, ob du zur Bestsellerautorin taugst, wenn du immer irgendwelche Ausreden vorschiebst. Einfach mal anfangen! Ich wette, du hast sogar schon eine Idee für eine Geschichte.«

Zugegeben, vor einiger Zeit habe ich tatsächlich ein kurzes Exposé für einen Roman verfasst, aber dabei ist es geblieben.

»Mir fehlt einfach die Energie. Mein Arbeitstag ist lang, und da ist ja noch das große Haus … Abends habe ich nicht mehr die Muße, und an den Wochenenden bin ich lieber draußen im Garten als am Schreibtisch.«

»Du könntest deine Stunden in der Bibliothek reduzieren«, lässt Eva nicht locker.

»Ich weiß nicht – Schreiben ist bekanntlich eine brotlose Kunst. Die wenigsten Autoren können davon leben.«

»Frank verdient doch Geld wie Heu. Das reicht locker.«

»Nicht gerade wie Heu, aber ganz ordentlich«, erwidere ich. »Trotzdem: Ehemänner sind nun mal keine Altersvorsorge.« Mein Mantra. Schon als Jugendliche war mir klar, dass ich niemals finanziell von einem Partner abhängig sein wollte. Ich musste damals miterleben, wie sehr sich meine Mutter abstrampelte, damit wir über die Runden kamen, nachdem mein Vater uns verlassen hatte. Seine Unterhaltszahlungen kamen nur sporadisch, und da Mama nie einen richtigen Beruf gelernt hatte, sondern nach der Heirat ganz in ihrer Hausfrauenrolle aufgegangen war, musste sie putzen gehen und kellnerte an den Wochenenden. Trotzdem war das Geld bei uns meistens knapp. Das war mir eine Warnung. Nie würde ich in diese Falle tappen! Und meinem Mantra bin ich bis heute treu geblieben.

»Habt ihr Eheprobleme?«, will Eva wissen. Sie war schon immer gut darin, Schwingungen zu spüren und mit ihren Fragen zum Wesentlichen vorzustoßen. Deshalb ist sie ja auch eine so hervorragende Talkshow-Moderatorin.

»Ach was«, sage ich. Probleme kann man das nicht nennen. Ich bin nur … einsam in unserer Zweisamkeit. Und zweifele an meinen Gefühlen – ganz zu schweigen von seinen. »Das mit dem Schreiben passt bloß gerade nicht in diese Lebensphase. Vielleicht fange ich damit an, wenn ich mal in Rente bin.«

»Echt jetzt? Bis dahin dauert es noch ewig. Wir sind viel zu jung, um überhaupt daran zu denken, dass wir je ins Rentenalter kommen.«

Ich muss lachen. Eva schafft es wie immer, mich aufzuheitern.

Wir überqueren die niederländische Grenze. Es ist schon halb zwei, und mein Magen knurrt. Seit dem Frühstück in aller Herrgottsfrühe habe ich bisher nur das hart gekochte Ei gegessen. Kein Wunder, dass ich Kohldampf habe.

»Ich esse mal ein Käsebrötchen«, verkünde ich. »Willst du auch was?«

»Nein danke, aber einen Schluck Wasser könnte ich vertragen.«

Ich schraube die Flasche auf und halte sie ihr hin. »Erzähl mal von dir«, fordere ich sie auf, während ich das Brötchen auspacke. »Gibt’s was Neues in deinem Leben? Was macht die Liebe?«

»Du glaubst nicht, was in einer meiner letzten Sendungen vorgefallen ist …« Eva berichtet von einem Paar, das mitten im Interview einen saftigen Ehekrach anfing. Und dann von einem Talkshowgast, der während der Live-Sendung eingeschlafen ist. »Ich habe ihm unauffällig gegen das Bein getreten, damit er aufwacht. So etwas ist mir noch nie passiert! Zum Glück hat eine andere Gesprächsteilnehmerin gerade ohne Punkt und Komma geredet und die Kamera war sowieso auf sie gerichtet. Dem Penner von Rechtsexperten war sein Nickerchen nicht mal peinlich.«

Eva war schon immer eine gute Erzählerin. Ich könnte ihr stundenlang zuhören und mich kringeln vor Lachen. Allerdings habe ich diesmal das Gefühl, dass sie meiner eigentlichen Frage ausweicht.

»Klingt ja lustig. Ich nehme nicht an, dass du diesen Kerl inzwischen datest, oder?«, erkundige ich mich.

»Sehr witzig.«

»Triffst du dich noch mit diesem Typen von der Produktionsfirma?«

»M-hm.«

»Erzähl!«

»Warte, hier müssen wir die Autobahn wechseln. Ich sollte mich mal konzentrieren.«

Wenn sie hofft, dass ich das Thema fallen lasse, hat sie sich getäuscht. Eva und ihre Affären interessieren mich brennend.

Schon verrückt, dass ich, deren Eltern unglücklich miteinander waren und sich scheiden ließen, nach wie vor an den Bund fürs Leben glaube, während Eva, deren Eltern eine Bilderbuchehe führen, Beziehungen grundsätzlich skeptisch gegenübersteht. Ich bin mir ziemlich sicher, genau deshalb – weil sie bezweifelt, dass sie es jemals schaffen kann, in einer Partnerschaft so glücklich zu werden wie die beiden. Statt ihnen nachzueifern …

»Nun erzähl schon! Wie heißt dein aktueller Favorit noch mal? Ihr geht doch inzwischen monatelang miteinander aus.«

Sie verdreht die Augen. »Du wartest wohl weiterhin darauf, eines Tages meine Brautjungfer zu sein. Glaub mir, so weit wird es nie kommen. Ich habe Abenteuer, keine Beziehungen. Den ganzen Stress mit der großen Liebe brauche ich eigentlich nicht. Oder kennst du auch nur ein einziges rundum zufriedenes Paar? Irgendwelche Abstriche machen alle. Und jetzt fang bloß nicht von meinen Eltern an! Oder von dir und Frank.«

Ich schlucke. Wenn es doch nur so wäre, dass wir zur Kategorie glückliches Paar zählen würden. Ich bin mir da längst nicht mehr sicher. Obwohl ja nichts Gravierendes zwischen uns vorgefallen ist. Es gibt in unserer Ehe keine Gewalt, keinen Streit, keine Fehltritte. Jedenfalls keine, von denen ich weiß. Aber allein, dass ich Frank eine Affäre zutrauen würde, ist schlimm genug. Warum fasst er mich kaum noch an? Oder ist es normal, dass mit den Jahren die Leidenschaft nachlässt?

Aber ich will jetzt nicht über meine Unzufriedenheit reden, schließlich würde das die Stimmung trüben, und das kommt bei einem Freundinnenurlaub nicht infrage. Da soll es lustig zugehen, entspannt. Auszeit vom Alltag!

»Was meinst du mit eigentlich?«, frage ich stattdessen.

»Du sprichst in Rätseln.« Eva lässt das Lenkrad mit einer Hand los und fährt sich durch die Haare, wodurch einige Strähnen aus dem unordentlichen Knoten rutschen.

»Du sagtest: Den ganzen Stress mit der großen Liebe brauche ich eigentlich nicht. Das heißt, du bist dir inzwischen unsicher? Jedenfalls ein bisschen?«

Eva druckst herum. Dann lässt sie die Katze aus dem Sack. »Timo und ich sind seit ein paar Monaten zusammen. Locker zusammen, aber mehr zusammen, als ich es in den letzten zwanzig Jahren mit jemandem war. Er ist unglaublich! Aber wie du weißt, bin ich kein Typ für etwas richtig Festes.«

Ich grinse. Und bin kein bisschen überzeugt. Dennoch lasse ich das Thema vorerst auf sich beruhen. Ich kenne Eva gut genug, um zu wissen, dass sie nicht bereit ist, es weiter zu vertiefen. Aber wir haben ja ein paar gemeinsame Tage vor uns. Da wird sich bestimmt die Gelegenheit ergeben, mein Verhör fortzusetzen.

Es fängt an zu regnen. Ich bin froh, nicht selbst am Steuer zu sitzen, denn die Tropfen behindern die Sicht, und es ist sicher anstrengend zu fahren. Immerhin kann man die Schilder noch gut erkennen. Moment! Hätten wir hier nicht die Autobahn in Richtung Rotterdam nehmen müssen? Jedenfalls wenn wir wirklich zum Fährhafen wollen. So langsam zweifele ich daran. Ade, ABBA-Show. Mich beschleicht eine neue Ahnung, die aber mindestens genauso großartig ist. Na klar, warum bin ich darauf nicht gleich gekommen? »Gib’s zu, wir fahren nach Amsterdam!«

Ob sie eins der letzten Tickets für die große Vermeer-Ausstellung ergattert hat? Das wäre so genial! Einmal im Leben Das Mädchen mit dem Perlenohrring im Original sehen, der Wahnsinn!

»Ich verrate nichts.«

Eva zieht das wirklich durch. Vermutlich, bis wir im Hotel einchecken. Na gut, wenn es ihr Spaß macht. Ich googele schnell nach Shows und Musicals, die zurzeit in Amsterdam laufen. Vielleicht hat sie Les Misérables gebucht? Oder sogar Mamma Mia?

»Zeit für eine Pause«, verkündet Eva und lenkt den Wagen auf den Parkplatz einer Raststätte. Der Regen hat inzwischen nachgelassen.

»Lohnt sich das überhaupt noch? Es ist doch gar nicht mehr weit bis Amsterdam.«

»Besser jetzt austreten, als im Stau nervös werden«, erwidert Eva. Tatsächlich – der Verkehr stockt. Rushhour eben. »Außerdem brauche ich eine Dosis Koffein, um nicht müde zu werden.«

Da hat sie natürlich recht. Dass ich sie am Steuer ablösen könnte, kommt eh nicht infrage. Ich bin keine geübte Fahrerin, auf der Autobahn schon gar nicht, und Cary Grant hat eindeutig seine Eigenheiten.

»Milchkaffee heißt hier übrigens koffie verkeerd«, sagt Eva.

Eigentlich bin ich ja diejenige von uns beiden, die gerne mit solchen Infos auftrumpft.

»Hast du das etwa recherchiert?«

»Weiß ich von Timo.« Sie beißt sich auf die Unterlippe.

Ihre Mimik verrät, sie will die Sprache nicht wieder auf ihren Lover bringen. Ich bohre nicht nach.

Eva will telefonieren und spaziert dabei mit dem Kaffeebecher in der Hand auf dem Parkplatz hin und her. Ich mache währenddessen ein paar Dehnübungen.

Dann googele ich koffie verkeerd. Das ist tatsächlich die niederländische Entsprechung von Milchkaffee und bedeutet, wörtlich übersetzt, falscher Kaffee. Verkeerd bezieht sich auf das Mengenverhältnis: mehr Milch als Kaffee. Aha. Wieder was gelernt.

Es geht weiter. Evas Gesichtsausdruck verrät, dass sie wohl mit Timo telefoniert hat. Sie wirkt irgendwie verklärt. Von wegen nur eine lockere Geschichte. Sie ist total verknallt.

Ich kommentiere das aber nicht.

Der Verkehr fließt wieder. Ich suche im Autoradio einen guten Sender und finde Radio Veronica. Gerade läuft That’s What Friends Are For. Spontan singe ich mit. Eva fällt mit ein. Ich liebe diesen Song! Fast hätte ich vor lauter Keep smiling, keep shining ganz übersehen, dass Eva an Amsterdam vorbeifährt …

»Müssen wir hier nicht runter?«

Eva lacht. »Nun sei mal nicht so ungeduldig! Du kannst darauf vertrauen, dass ich den Weg kenne.«

Nördlicher liegt aber keine Großstadt mehr. Jedenfalls nicht auf dieser Strecke. Nach Groningen hätte Eva einen ganz anderen Weg wählen müssen.

Ich checke die Karte der Niederlande auf meinem Handy und bin ratlos. Wohin entführt mich Eva?

Wir passieren Haarlem. Bei Alkmaar fährt sie ab. Okay, darauf wäre ich nie gekommen. Schnell mache ich mich online über das Städtchen schlau.

»Ernsthaft, Käsemarkt und Rudi-Carrell-Statue, das sind unsere Ziele?«

Eva grinst gequält. »Steck doch endlich das Handy weg und entspann dich. Diesmal gibt’s ein etwas anderes Programm. Aber du wirst es lieben!«

Kapitel 2

EVA

Die Wegbeschreibung war zwar super, aber kurz vor Julianadorp muss ich dann doch noch einmal anhalten und nachsehen, wo ich abbiegen muss. Ich gebe vor, unbedingt meine Nachrichten checken zu wollen, und fasele etwas von »dringende Infos vom Sender, auf die ich warte«. Dabei fühle ich mich mies, weil es mir gegen den Strich geht, meine Freundin anzuschwindeln. Aber ich will einfach nicht, dass Judith sofort durchschaut, wie schlecht ich diesen Urlaub vorbereitet habe. Sie ist immer dermaßen organisiert und strukturiert, dass ich mich umso mehr dafür schäme, wie das alles gelaufen ist: Zuerst habe ich es verbummelt, eine Reise zu buchen, und mich dann auch noch im Kalender vertan. Ich war tatsächlich der Meinung, ich hätte noch jede Menge Zeit. Wenn ich Judith verrate, dass Nordholland einfach die erstbeste Notlösung war, wäre sie enttäuscht. Auf keinen Fall will ich, dass sie denkt, unsere gemeinsamen Tage wären mir nicht wichtig.

Unauffällig mustere ich sie von der Seite, aber sie scheint nichts von dem, was mir durch den Kopf geht, zu ahnen. Sie wischt auf dem Handy herum und wirkt nicht davon irritiert, dass ich kurz rechts rangefahren bin. In welch herrlichen Farben die Tulpenfelder bis an die Straße heranreichen, bekommt sie gar nicht mit.

»Den Helder?«, murmelt sie. »Nicht gerade eine Metropole, aber sieht hübsch aus.«

Mir bricht der Schweiß aus. Wir fahren nicht in besagte Kleinstadt an der Küste, sondern in ein Touristen-Kaff irgendwo im Nirgendwo auf dem Weg dorthin. Soweit ich weiß, kein Theater oder Museum weit und breit. Nur Ferienwohnanlagen umgeben von Landwirtschaft. Am Meer zwar, doch das sieht man wegen der Dünen nicht. Diese Gegend ist bestimmt das Richtige für einen Entspannungsurlaub, aber ich weiß genau, dass Judith etwas ganz anderes vorschwebt. Was, wenn sie furchtbar enttäuscht ist? Ich bin eine schreckliche Freundin!

Mit schlechtem Gewissen starte ich den Motor. Nur noch ein paar Hundert Meter und dann rechts ab. Als ich Judith erneut bange anschaue, treffen sich unsere Blicke. Sie lächelt mich auf diese unvergleichlich strahlende Judith-Art an. »Das ist ja echt mal eine Überraschung«, meint sie. »Nie im Leben hätte ich erraten, wohin wir fahren. Ich war überzeugt, es ist London.«

Bilde ich mir das nur ein, oder sehe ich da tief in ihren Augen richtiggehende Niedergeschlagenheit? Himmel, warum habe ich das nur so vergeigt?!

»Du wirst es mögen«, antworte ich und klinge dabei genauso wenig überzeugt, wie ich mich fühle. Ich sollte mir langsam ernsthaft Gedanken über meine Lebensorganisation machen. Vielleicht eine Planungs-App runterladen oder eines dieser schrecklich pedantischen Bullet-Journale führen. Damit ich nicht so verdammt oft etwas vergesse. Und ich muss aufhören, den Job für meine Nachlässigkeiten verantwortlich zu machen. Andere haben weit mehr um die Ohren und kriegen dennoch alles auf die Reihe. Vielleicht könnte ich Judith diesbezüglich um Rat fragen? Sie hat schon immer jedes Detail in ihrem Leben perfekt hinbekommen – auch als die Kinder noch klein waren. Nie hat sie aufgehört zu arbeiten und war trotzdem das Ideal einer Mutter, die an alles denkt. Schön verzierte Kuchen fürs Schulsommerfest, messerscharfe Bügelfalten für Frank und in der Bibliothek die besten Buchtipps für jeden.

Wir biegen in die Anlage mit den Ferienhäusern ein. Ockerfarbene Backsteine, dickes Reetdach, blau gestrichene Türen und Fensterläden. Alle Gebäude gleich, eines putziger als das andere – genauso wie auf den Bildern.

Judith runzelt die Stirn, und ich rufe »Überraschung!«, weil ich den Drang verspüre, ihr das hier als den ultimativen Urlaubstraum zu verkaufen.

Ich suche nach Häuschen Nummer Neun und lenke Cary Grant auf den Abstellplatz davor. Dotterbloem steht in geschwungenen Lettern neben dem Eingang. Um mir darüber Gedanken zu machen, dass jemand wie Timo eine Immobilie besitzt, die »Dotterblume« heißt, bleibt jetzt keine Zeit. Denn ich muss all meine Energie in Begeisterung stecken, die dann hoffentlich auf Judith überspringt.

»Schau doch nur, die süßen Dachgiebelfenster! Von dort aus sehen wir sicher auf die blühenden Tulpenfelder. Was für eine Farbsinfonie!«, jubele ich und hüpfe so dynamisch aus dem Auto, dass Cary Grant wackelt. »Jede von uns hat ein hübsches Zimmer dort oben.« Ich deute auf das graue Reetdach.

Judith steigt auch aus und sieht sich um.

Im April ist in diesen Ferienhausanlagen noch nicht viel los, weiß ich von Timo, aber mit dieser Leere habe ich dann doch nicht gerechnet. Nur vor einem weiteren Gebäude steht ein Auto – ebenfalls mit deutschem Nummernschild. Hoffentlich sind das keine Zuschauer meiner Sendung! Nichts gegen mein treues Publikum, aber im Urlaub bin ich nicht scharf auf Selfies.

»Das hier hast du gebucht?«, fragt Judith in meine Gedanken hinein. »Welche Suchkriterien hast du denn da eingegeben? Arsch der Welt und kulturelle Einöde?« Sie lacht, aber ich kann sehen, dass sie tatsächlich etwas geschockt ist.

»Viel besser! Timo hat uns diese wunderschöne Minivilla überlassen. Einfach so. Weil er uns was Gutes tun wollte.« Ich öffne den Kofferraum, um die Ikea-Tüte, in die ich mein Zeug geworfen habe, rauszuholen. Dabei komme ich mir albern vor. Judith sieht mit ihrer schicken kleinen Tasche und dem dazu passenden Rucksack aus wie eine Profireisende.

»Es gehört Produktionsfirmen-Timo«, wiederholt sie monoton, und ich sehe ihr an, dass sie mich durchschaut hat. Denn ihre Miene wird nachsichtig. Sie fährt sich durch ihre blonden Locken, als könnte sie dadurch auch ihre Gedanken ordnen. »Also die Überraschung ist dir wirklich gelungen.« Sie mustert das Häuschen von der Schwelle bis zum Dach, dann dreht sie sich um ihre eigene Achse.

Mein Blick folgt dem ihren, und ich mag nicht, was ich sehe: Ein hübsches, aber sehr einsam wirkendes Gebäude in einer Anlage, der die gerade erst vergangenen Wintermonate noch in den Knochen stecken, und dichte Wolken, die das Frühlingslicht durch einen Graufilter schicken. Selbst das Kreischen der Möwen, die durch die Luft segeln, klingt deprimierend.

Plötzlich will mich die Angst, dass Judith mir böse sein könnte, schier überwältigen. Nichts wünsche ich mir in diesem Augenblick mehr, als dass sie sich hier wohlfühlt. Meine fleißige, liebevolle Freundin hat es so verdient, ein paar Tage rundum glücklich zu sein. Wenn wir miteinander zoomen, erscheint oft genug diese senkrechte kleine Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen. Aber sobald ich sie frage, ob alles in Ordnung ist, lächelt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung.

Nervös krame ich den Schlüssel aus meiner Tasche. »Im Wohnzimmer gibt es einen offenen Kamin für gemütliche Lesestunden. Im Garten hinter dem Haus ist ein malerischer Steg am Kanal, wenn mal die Sonne scheint. Und die Verkehrslage ist echt günstig.«

Judith grinst. »Du hörst dich an wie eine Immobilienmaklerin. Will dein Timo das Haus verkaufen?«

»Er ist nicht mein Timo!«, antworte ich reflexartig. Dann muss ich lachen. Ich lege ihr den Arm um die Schultern. »Jetzt komm erst mal rein und sieh dir das charmante Schmuckstück an!«

Natürlich ist Judith enttäuscht, was habe ich denn gedacht?! Schon als wir die Tür aufmachen und das Regal mit den bunten Gummistiefeln von Timos Töchtern erblicken, ist ihr wohl sonnenklar, dass es sich bei dieser Unterkunft um eine Last-Minute-Verlegenheitslösung handelt. Alles hier schreit nach Familienurlaub, nichts nach hippem Freundinnen-Wochenendtrip. Judith kennt mich zu gut, um nicht sofort zu durchschauen, wie es gelaufen ist: Eva hat sich nicht rechtzeitig gekümmert und deshalb einfach rumgefragt, ob nicht wer was weiß, wo man auf die Schnelle hinfahren kann.

Natürlich lässt sie mich aber nicht direkt spüren, dass ich es wieder mal verbockt habe. Das ist einfach nicht Judiths Art, und dafür liebe ich sie. Trotzdem wäre es mir jetzt fast angenehmer, sie würde mit mir schimpfen. Ein bisschen Frust rauslassen. Aber stattdessen nimmt sie mich in den Arm und bedankt sich dafür, dass ich die ganze Strecke gefahren bin.

Und dann besteht sie auch noch darauf, einen der beiden Räume von Timos Teenagertöchtern zu nehmen. »Macht doch mehr Sinn, wenn du in seinem Bett liegst. Guck mal, hier hängt ein Poster von Harry Styles. Zu dem leg ich mich«, sind ihre Worte. Dann sagt sie, sie möchte sich kurz zurückziehen und frisch machen.

Ich sehe ihr nach, wie sie im Bad verschwindet, dann betrete ich Timos Schlafzimmer. Eigentlich muss ich gar nicht auspacken. Ich kann die paar Tage genauso gut aus der Tasche leben. Kraftlos sinke ich aufs Bett, seufze und sehe mich um: Die Inneneinrichtung ist sehr geschmackvoll. Ich liebe die Kombination aus Blau und Orange. Von außen ist das Haus wirklich süß, aber ich habe nicht erwartet, dass es innen so gemütlich sein würde. Timos Einzimmerapartment in Köln wirkt eher kühl und unpersönlich – das hier ist etwas ganz anderes. Fläschchen voller Sand in verschiedenen Größen auf dem Fensterbrett, entzückende Fotos von den drei Töchtern an der Wand, Gardinen mit Lochstickereien und dazu passende Bettwäsche. Ich nehme eins der Kissen, drücke mein Gesicht hinein und rieche daran. Der Duft von frischer Wäsche steigt mir in die Nase. Nicht ein Hauch von Timo hängt darin. Ich lege es zurück und hole mir das von der anderen Hälfte des Doppelbettes. Einen Moment habe ich Angst, es könnte nach seiner Exfrau Yvonne riechen, aber das tut es nicht.

Wieso ist das Bett frisch bezogen?, frage ich mich. Er wusste nicht, dass ich spontan mit einer Freundin herkommen würde, als er das letzte Mal hier war. Das ist zwei Wochen her – war also noch vor dem Schreckensmoment, der mich hat erkennen lassen, dass dieser Urlaub unmittelbar vor der Tür steht. Und das vergangene Wochenende hat er bei mir verbracht.

Hat etwa Yvonne hier alles für uns hergerichtet?

Mit einem komischen Ziehen im Bauch stehe ich auf und gehe zur Kommode hinüber, auf der eine gerahmte Aufnahme von ihr zusammen mit den drei Töchtern am Strand steht. Bildhübsch lächelt sie in die Kamera. Der Wind hat ihr die roten Haare in die Stirn geweht, und sie versucht, sie mit einer Hand im Zaum zu halten. Dass sie über vierzig ist, sieht man Yvonne genauso wenig an wie, dass sie mehrere Kinder geboren hat. Irritiert davon, wie eifersüchtig es mich macht, in einem Raum zu stehen, den sie viele Jahre mit Timo geteilt hat, stelle ich das Foto zurück. Auf der Kommode entdecke ich ein Glas voll Lakritz, also hebe ich den Deckel und stecke mir eins davon in den Mund. Ich war noch nie ein großer Fan von seinem typischen Geschmack nach Erde und Rauch. Die Süße, die gleichzeitig auch eine Bitternote entfaltet, erinnert mich an heftig gezuckerten, zu stark gebrauten Schwarztee, der lange in einem schlecht gelüfteten Büro gestanden hat. Aber gerade jetzt passt das Aroma zu meiner Stimmung.

Mit einer Mischung aus Neugier und der Sorge, noch mehr zu entdecken, was an meiner Laune nagt, schaue ich mich weiter um. Man sieht diesem Raum nicht an, dass Timo und Yvonne geschieden sind. Alles erzählt von einer glücklichen Familie. Man hat hier unweigerlich Bilder im Kopf, wie sie an einem verregneten Vormittag zu fünft im Bett liegen. Einer liest aus einem der Harry Potter-Bände vor, die auf dem Bord stehen. Die anderen mampfen, was immer man hier in Nordholland zum Frühstück isst, und wie durch ein Wunder landen niemals Krümel auf den Laken.

Ich muss den Kopf schütteln, um die Visionen von Liebe und Harmonie loszuwerden. Warum machen mich diese Vorstellungen nur so aggressiv? Ich weiß ja, dass sich Timo mit Yvonne nach wie vor gut versteht. Sie leiten ihre Firma gemeinsam. Wie kollegial es dabei zugeht, habe ich doch ein paar Mal im Sender miterlebt. Wirklich nichts deutet darauf hin, dass da noch über Freundschaft hinaus Gefühle bestehen. Und in Bezug auf die Mädchen haben sie sich fürs Nestmodell entschieden. Das Haus in Köln und das Feriendomizil in Holland gehören ihnen nach wie vor gemeinsam. Nicht die Kinder ziehen zwischen den Eltern hin und her, sondern die Erwachsenen wohnen abwechselnd bei ihnen – daheim in Deutschland genauso wie hier im Urlaub. Diese Lösung behält ausgesprochen vorbildlich das Kindeswohl im Fokus. Es ist einfach vernünftig.

Warum kann seine Ex nicht einfach ein fieser Drachen sein, den er hasst? Aber nein, sie ist natürlich verdammt perfekt, supererfolgreich und nichts als sympathisch.

Auf dem für mein Ego nicht gerade zuträglichen Rundgang durchs Zimmer bleibe ich vor einem Bild von Timo stehen. Er sitzt auf dem Steg, hinter ihm das Ferienhaus, im Garten üben die Mädchen Handstand. Wie kann ein Mann mit so wenig Aufwand nur so sexy aussehen? Das Foto erzählt nichts davon, dass er sich sonderlich bemühen würde, attraktiv zu sein: Cargohose, überfällige Rasur, Strubbelfrisur.

Zum Anbeißen!

Resolut nicke ich. Es ist völlig okay, dass ich diesen Mann erotisch finde. Immerhin ist er mein aktueller Lover. Ein bisschen ausgehen, jede Menge Spaß und guter Sex. Genauso, wie ich es mag: eine schöne Zeit, ohne Verpflichtungen.

»Schau nicht so!«, tadele ich den Timo auf dem Bild. »Lover! Affäre! Abenteuer! Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nicht der Typ Frau für eine feste Beziehung bin, Freundchen. Du weißt, warum.« Ich breite die Arme aus und deute mit dieser Geste auf das Zimmer, in dem ich stehe. »Weil es immer so endet. Mit den Trümmern eines gemeinsamen Lebens. Und in den meisten Fällen sehen die nicht so schick aus wie bei dir und Yvonne.«

Das Vibrieren meines Handys lässt mich zusammenzucken.

Hey, gut angekommen?

Wie sehr ich mich über Timos Nachricht freue, ist absurd. Ich zwinge mich, das Telefon vor dem Antworten zumindest kurz aus der Hand zu legen, und beginne, die Ikea-Tasche über dem Lehnstuhl in der Ecke auszuleeren. Unterhosen, BHs und Socken purzeln heraus. Ein guter Teil davon fällt auf den Boden, wo ich die Sachen liegen lasse, um endlich zurückschreiben zu können.

Wir sind seit einer halben Stunde hier. Das Haus ist wunderschön! Danke noch mal!

Gern. In welchem Zimmer schläfst du?

In deinem, Herr Faßbender.

Judith im Kinderzimmer gegenüber. Alles ist so aufgeräumt und sauber. Ich bin beeindruckt!

Wir haben jemanden dafür. An der Pinnwand in der Küche findest du die Telefonnummer, wenn du was brauchst. Ist ein nettes, älteres Ehepaar. Und nimm dir bitte aus den Schränken und Schubladen alles, was du möchtest. Gern auch Wein usw.

So weit kommt’s noch, dass wir ihm und seiner Super-Ex den Alkohol wegsaufen.

Ich tippe erneut ein überschwängliches Dankeschön und alle möglichen Herzchen, Kussmünder und Umarmungen, zwischen die ich auch eine Aubergine und einen Honigtopf schmuggle, damit es nicht zu kitschig wird.

Dann befördere ich die leere Ikea-Tasche mit einem Fußtritt unters Bett und erkläre meine Mich-in-diesem-Raum-Einricht-Aktion für beendet.

Leise öffne ich die Tür zum Gang und lausche. Ob sich Judith aufs Ohr gelegt hat? Mir wäre lieber, wir würden gleich ein wenig Zeit miteinander verbringen, damit ich weiß, ob zwischen uns wirklich alles in Ordnung ist.

Doch da höre ich schon ihre Stimme. Sie telefoniert in etwas müdem Tonfall. »Melde dich doch auch mal bei Robin«, sagt sie, und ich weiß sofort, dass sie mit Frank spricht. »Er freut sich sicher, wenn er was von dir hört.«

Eigentlich ist es nicht meine Art zu lauschen, aber wie Judith klingt, gefällt mir nicht. Wo ist ihre sonnige Art? Die gute Laune in ihrer Stimme?

»Auf jeden Fall sind wir gut angekommen. Wenn du Zeit hast, kannst du ja zurückrufen.«

Also nur eine Sprachnachricht.