Geschwister sind wie Gummibärchen - Heike Abidi - E-Book
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Geschwister sind wie Gummibärchen E-Book

Heike Abidi

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Beschreibung

Geschwister: Die einzigen Menschen, über die wir uns pausenlos aufregen und die wir trotzdem unendlich lieben

Sie zoffen und vertragen sich, sind eifersüchtig aufeinander und nehmen sich gegenseitig auf den Arm, sie leben in ständigem Konkurrenzkampf – doch wenn’s hart auf hart kommt, stehen sie füreinander ein: Geschwister, eine lebenslange Schicksalsgemeinschaft. Und zuweilen fragt man sich: Was sind das nur für seltsame Menschen, mit denen wir Gene und Kindheitserinnerungen teilen? Wären sie unsere Freunde, wenn sie nicht unsere Geschwister wären? Wie konnten wir nur so unterschiedlich geraten – und uns dennoch so ähnlich sein? Ursi Breidenbach hat zwei ältere Schwestern, Heike Abidi zwei jüngere Brüder. Gemeinsam erzählen sie berührende, verstörende, denkwürdige, komische und liebevolle Geschichten, die das Leben mit Geschwistern so schreibt …

Der Nachfolgeband zu »Eine wahre Freundin ist wie ein BH«

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Seitenzahl: 363

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URSIBREIDENBACH ist die jüngste von drei Schwestern. Nach ihrem abgeschlossenen Kunstgeschichtsstudium an der Universität Wien und einer postgradualen Ausbildung im Kulturmanagement arbeitete sie im Ausstellungs- und Museumswesen in Österreich und Bayern. Es folgte eine kunstjournalistische Tätigkeit. Seit 2009 schreibt Ursi Breidenbach als freie Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Österreich.

HEIKE ABIDI ist studierte Sprachwissenschaftlerin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Pfalz bei Kaiserslautern, wo sie als freiberufliche Werbetexterin und Autorin arbeitet. Heike Abidi hat zwei jüngere Brüder. Sie schreibt vor allem Unterhaltungsromane und erzählende Sachbücher für Erwachsene sowie Geschichten für Jugendliche und Kinder.

Ursi Breidenbach und Heike Abidi in der Presse:

»Frauen brauchen Freundinnen! Warum, beschreibt dieses Buch auf ganz wundervolle Weise.« Honey über Eine wahre Freundin ist wie ein BH

Außerdem von Ursi Breidenbach und Heike Abidi lieferbar:

Wetten, ich kann lauter furzen?

Wie man als Mutter von Jungs überlebt

Eine wahre Freundin ist wie ein BH.

Sie unterstützt dich, lässt dich nie hängen und ist ganz nah an deinem Herzen

Ursi Breidenbach Heike Abidi

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Copyright © 2022 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Katharina Rottenbacher

Umschlaggestaltung und Covermotiv: www.buerosued.de

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-29088-7V002

www.penguin-verlag.de

Für Ihre Geschwister.

Und unsere: Susi und Julia, Holger und Björn

Inhalt

Vorwort Heike: Hurra, wir kriegen ein Geschwisterchen

Vorwort Ursi: Wann bin ich endlich auch so groß?

Teil 1

Konstellationen

Buntes Schaf, Babysittingverweigerer, Onkel-Ersatz, Aufklärungsassistentin: Wir sind die Großen! (Heike)

Geburtsreihenfolge – Schubladen mit unsinnigen Etiketten (Ursi)

Unter dem Radar: Die Sandwichposition ist, was du draus machst (Heike)

Ich bin das jüngste Kind – für mich gelten keine Regeln (Ursi)

Nesthäkchen bleibt man ein Leben lang (Heike)

Geschwisterkind und Einzelkind – ist auf der anderen Seite das Gras wirklich grüner? (Heike und Ursi)

Berühmte Geschwister – eine willkürliche Auswahl

Teil 2

Kombinationen

Reden, kichern und heulen – Schwestern unter sich (Ursi)

Wild, laut, verfressen – und höchst unterschiedlich: Brüder unter sich (Heike)

Brüder-Schwestern-Mix: Aufwachsen gemeinsam mit dem anderen Geschlecht (Ursi)

Das Geschwisterduo – die alternativlose Kombination (Heike)

Geschwister im Doppelpack – Faszinosum Zwillinge (Ursi)

Ihr seid aber ganz schön viele! (Heike)

Eindeutig aus dem gleichen Nest … oder vielleicht doch aus einer anderen Galaxie? (Ursi)

Stief-, Bonus- oder Patchworkgeschwister: Wenn sich Eltern neu verlieben, wird’s kompliziert (Heike)

Bullshit-Bingo: Typische Geschwistersätze

Teil 3

Emotionen

Eifersucht – der Kampf um Liebe und Aufmerksamkeit (Ursi)

Müsst ihr denn ständig streiten? (Heike)

Differenzen können auch unüberbrückbar werden (Ursi)

Wenn der Abschied von den Eltern zur Zerreißprobe wird (Heike)

Komme, was da wolle – Geschwister halten in Krisenzeiten zusammen (Ursi)

Das bleibt aber unser Geheimnis!!! (Heike)

Manchmal machen sie so richtig Blödsinn – Geschwister auf der schiefen Bahn (Ursi)

Schwarze Schafe, Macken und spezielle Charaktere (Heike)

Krankheit und Tod von Geschwistern – wenn das Schlimmste eintritt (Ursi)

Wenn das Schicksal Geschwister besonders herausfordert (Heike)

Siblings, hermanos, al’ukhua: Geschwisterbeziehungen in anderen Kulturen (Ursi)

Geschwister in Buch, Film und Fernsehen – eine bunte Mischung

Teil 4

Erlebnisse

Gemeinsamer Kosmos auf zwölf Quadratmetern: das Kinderzimmer (Heike)

Immer auf die Kleinen (Ursi)

Aus Kindern werden Leute: Geschwister in der Pubertät (Heike)

Jetzt sind sie auch noch verliebt! – Geschwister und ihre Herzblätter (Ursi)

Plötzlich Tante oder: Wenn Geschwister Eltern werden (Heike)

Mit dir fahre ich überallhin – Geschwister auf Reisen (Ursi)

Ein Hoch auf Geschwister – mit denen es immer was zu feiern gibt! (Heike)

Geschwisterbeziehungen in früheren Zeiten (Ursi)

Was reden die da? – Insidersprüche von Badesalz bis Babysprache (Heike)

Wie gut kennen Sie Ihre Geschwister? Finden Sie es heraus – mit unserem Test!

Gemeinsames Nachwort: Für immer verbunden

Danke!

Weiterführende Literatur

Vorwort Heike: Hurra, wir kriegen ein Geschwisterchen

Steckbrief

Meine Geschwister: zwei Brüder

Meine Position: Ich bin zwar die Älteste, aber seit über 30 Jahren die Kleinste.

Worum ich meine Brüder beneidet habe: dass sie jeweils beides hatten – sowohl einen Bruder als auch eine Schwester.

Lieblingssong zum Stichwort Geschwister:He is Your Brother von ABBA

Lieblingsserien über Geschwister:Drei Mädchen und drei Jungen (als Kind), Modern Family und This Is Us (heute)

Lieblings-Geschwistertradition: gemeinsame Stadionbesuche auf dem Betzenberg beim 1. FC Kaiserslautern – ganz gleich, ob erste, zweite oder dritte Liga

Gemeinsame Vorliebe: Streuselkuchen

Erster gemeinsamer Familienurlaub: Meersburg am Bodensee, 1976

Addierte Entfernung unserer aktuellen Wohnorte: 775 km (also sogar 25 km mehr als von mir zu Ursi in der Steiermark)

Obwohl ich die ersten 586 Tage meines Lebens als Einzelkind zubrachte, kann ich mich nicht daran erinnern, jemals keine Schwester gewesen zu sein. Was logisch ist, denn die frühesten Kindheitserinnerungen reichen allerhöchstens bis zum Alter von drei Jahren zurück, das ist wissenschaftlich belegt. Auch wenn ich also für gut neunzehn Monate die Prinzessin in der Familie gewesen sein mag, hat mein Gehirn diese Phase komplett gelöscht.

Selbst der Moment, in dem mir mein neues Geschwisterchen präsentiert wurde, wäre im Nirwana verschwunden, hätte man mir nicht später davon erzählt und entsprechende Fotos gezeigt. Darauf ist zu sehen, wie ich das Bündel, das mein Bruder Holger war, fasziniert beäugte. Angeblich habe ich ihm zur Begrüßung sogar meinen (benutzten) Schnuller überreicht! Ich war also nicht nur furchtbar süß und drollig, sondern auch selbstlos und großzügig.

Versteht sich von selbst, dass sich das mit der Zeit änderte. Drolligkeit verschwindet spätestens mit den Milchzähnen (die überdimensional großen neuen Schneidezähne sehen doch eher monumental aus in so einem kleinen Kindergesicht).

Und was die Selbstlosigkeit betrifft … Na ja, natürlich verlief unsere Kindheit nicht ohne Zoff und Eifersüchteleien. Alles andere wäre ja unnormal. Wenn Holger und ich zusammen spielten, gab es dabei nicht selten ziemlich verrückte Deals, von wegen: »Du hältst eine halbe Stunde lang – als Gegenüber der Mülltonne – mein Gummitwist-Band, damit ich hüpfen kann, dann stelle ich mich eine halbe Stunde lang ins Tor, damit du Elfmeterschießen üben kannst.«

In einem waren mein Bruder und ich uns übrigens immer einig: Wir wünschten uns sehnlichst ein Haustier.

Als meine Eltern uns eines Tages fragten, was wir mehr wollten, ein Geschwisterchen oder einen Hund, riefen wir daher wie aus einem Munde: »Einen Hund!«

Der Plan unserer Eltern, uns von diesem Wunsch abzubringen, indem sie uns einen noch viel tolleren erfüllten, war damit grandios gescheitert. Denn zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter längst schwanger, und die Frage nach »Hund oder Geschwisterchen« sollte nur als pfiffige Einleitung dienen, als sie uns gegenüber die Bombe platzen ließen.

Nach dem Drehbuch meiner Eltern hätten wir natürlich vollkommen anders reagieren sollen, und nun hatten sie ihre liebe Mühe, uns das Baby doch noch schmackhaft zu machen. Es sei nämlich schon »bestellt«, erklärten sie uns.

Bestellt wurde bei uns vieles, denn der Hunsrück war nicht gerade ein Shoppingparadies, selbst die Kreisstadt bot keine große Auswahl an Läden, sodass wir uns voller Begeisterung auf die postleitzahlenbuchdicken Otto-, Quelle- und Neckermann-Kataloge stürzten, wenn sie zu Beginn einer Saison eintrafen. Seinerzeit – es waren die Siebziger – konnte man sogar noch Welpen im Versandhaus bestellen, warum also nicht auch Geschwisterchen?

Holger und ich gaben uns mit der Erklärung unserer Eltern jedenfalls zufrieden und freuten uns tatsächlich.

Allerdings schärfte man uns ein, die Sache mit der Schwangerschaft vorerst nicht herumzuerzählen.

Und das befolgte ich. Oh ja, ich war eine sehr verantwortungsbewusste Siebenjährige: Was ich versprochen hatte, das hielt ich auch!

Nun sollte man doch glauben, eine Zweitklässlerin wüsste, dass eine Schwangerschaft nicht verborgen bleibt, jedenfalls nicht auf Dauer. Ich muss wohl ziemlich weltfremd gewesen sein, denn tatsächlich war mir damals nicht bewusst, dass dieses Redeverbot natürlich nur für die ersten Monate galt. Irgendwann war der kugelrunde Babybauch meiner Mutter sowieso unübersehbar.

Doch selbst als es bald so weit war und sie eine braune Reisetasche fürs Krankenhaus packte, die sie für den Fall der Fälle bereitstellte, hielt ich dicht.

Mein erster Blick nach dem Wachwerden ging stets zu dem Platz, an dem die Tasche stand. Und eines Morgens war sie dann weg!

Ich war furchtbar aufgeregt und schaffte es an diesem Tag nicht, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Die ganze Zeit überlegte ich, ob das Geschwisterchen wohl schon auf der Welt war. Das beschäftigte mich viel mehr als schriftliches Dividieren (und vermutlich bin ich deshalb noch immer so schlecht darin), aber ich sagte kein Wort. Sogar meinen Freundinnen gegenüber verkniff ich es mir, von dem aufregenden Ereignis zu erzählen.

Heute kann ich es kaum fassen, dass ich wirklich geglaubt habe, niemand im Ort wüsste von der Schwangerschaft meiner Mutter, bloß weil ich nichts davon erzählt hatte. Aber eins habe ich damit bewiesen: Wenn man mir ein Geheimnis anvertraut, ist es bei mir sicher!

Apropos »Hund oder Geschwisterchen«:

Es mag Zufall sein, doch es fällt schon auf, dass der damals »bestellte« Bruder der Einzige unter uns Geschwistern ist, der als Erwachsener kein Hundebesitzer wurde – stattdessen hält Björn Hasen und Hühner, immerhin auch H-Tiere … Übrigens kennt er diese Geschichte und nimmt uns die Sache nicht übel. War ja nicht persönlich gemeint.

Vorwort Ursi: Wann bin ich endlich auch so groß?

Steckbrief

Meine Geschwister: zwei Schwestern

Meine Position: Ich bin die Jüngste und fand das früher gar nicht schön, mittlerweile aber sehr.

Worum ich meine Schwestern beneidet habe: dass sie immer so viel mehr durften als ich: länger aufbleiben, mehr fernsehen, ohne Eltern zu unserer Tante an den Bodensee fahren … Die Liste ist endlos.

Lieblingssong zum Stichwort Geschwister:Little Sister von Elvis Presley (»Little sister don’t you do what your big sister does …«)

Lieblingsserien über Geschwister:Fleabag, This Is Us und Atypical

Lieblings-Geschwistertradition: Drei Schwestern und jede hat mehrere (zum Teil schon erwachsene) Kinder – das ergibt eine riesige verstreute Großfamilie. Doch kurz vor Weihnachten kommen wir alle zu einer Party zusammen, wichteln, essen was Feines und schauen einen Film. Da ist es eng und laut in unserem Wohnzimmer, aber ich liebe es und freue mich das ganze Jahr drauf.

Gemeinsame Vorliebe: Lesen

Erster gemeinsamer Familienurlaub: Hallstättersee, 1975

Addierte Entfernung unserer aktuellen Wohnorte: 12 km (Wir haben auch schon Hunderte Kilometer voneinander entfernt gewohnt. Meine Schwester Julia war einmal einige Monate in Brüssel, Susi jahrelang in Wien und Linz, ich in München. Lustigerweise treffen wir uns gar nicht viel öfter, seit wir in derselben Gegend leben. Aber eine der beiden ganz zufällig irgendwo auf der Straße zu sehen, erzeugt ein wohliges Heimatgefühl.)

Ich bin drei und sieben Jahre jünger als meine Schwestern. Ganz logisch, dass ich wie alle anderen Nesthäkchen auch mit dem Gefühl aufwuchs, nie etwas so gut zu können wie sie. Die gesamte Kindheit hindurch versuchte ich mit heraushängender Zunge, aufzuholen.

Im Fotoalbum gibt es zum Beispiel ein Bild, das mich und meine Schwester Julia zeigt. Sie sitzt am Schreibtisch und liest aus ihrem Schulheft vor. Ich kauere mit angespannter Miene daneben. Wie sehr es mich wurmt, dass ich als Kindergartenkind noch nicht lesen kann, steht mir deutlich ins Gesicht geschrieben.

Alle in unserer Familie beherrschten es, nur ich nicht. Ich wollte auch zum erlauchten Club der Lesemächtigen gehören. Was, wenn sie sich gegenseitig geheime Nachrichten schrieben?

Ich musste es also dringend lernen und strengte mich schrecklich an, obwohl mich die Enttäuschung in den ersten Wochen Grundschule hart traf: Mimi und Mama im Haus. Echt jetzt? Susi las etwas von Kindern und einem Bahnhof am Zoo, Julia von fünf Freunden, und mich wollte die Lehrerin mit Mimi und Mama im Haus abspeisen?

Das Lesen und ich wurden nur langsam warm miteinander. Aber als ich es dann einige Jahre später endlich flüssig beherrschte, unterhielt sich die eine Schwester mit unserer Mutter bereits auf Englisch, die andere sogar schon auf Französisch.

Egal, was ich mühsam lernte – Schuhe zubinden, Klavier spielen, Gleichungen lösen –, es gab zwei Kinder in unserer Familie, die das längst und mittlerweile noch deutlich mehr konnten. Meine Erleuchtungen gingen in den Geistesblitzen der Großen unter.

Viele Jüngste geben diese frustrierende Aufholjagd schnell auf und wenden sich einfach komplett anderen Dingen zu als ihre Geschwister. Bei mir dauerte es bis in die späten Teenagerjahre, bevor mir aufging, wie schlau diese Strategie eigentlich ist. Davor wollte ich unbedingt alles exakt so machen wie meine Schwestern: dieselbe Schullaufbahn, dieselben Hobbys, derselbe Geschmack. Wieso auch nicht? Sie waren toll – warum also anders sein wollen? So kam es, dass ich mir unendlich oft die Frage stellte, wann ich endlich so groß sein würde wie sie.

Jetzt als Erwachsene kenne ich die Antwort: nie.

Gut, eines Tages hatte ich Julia um ein, zwei Zentimeter überragt (bei meiner großen Schwester Susi ist mir selbst das nicht gelungen), aber das war ja nicht unbedingt das, was ich zu erreichen hoffte. Mein Ziel war es, sie in Sachen Lebenserfahrung und Leistung einzuholen. Doch hat man jemals deckungsgleiche Erkenntnisse und Erfolge wie irgendein zweiter Mensch auf der Welt? Oder denselben Wissensstand? Wohl kaum. Ist auch gar nicht nötig.

Irgendwann stellte ich schließlich fest, wie unsinnig es ist, sich zu vergleichen oder zu messen. Es gibt eine Richtung und ein Tempo im Leben speziell für mich. Ich kann es mittlerweile prima aushalten, wenn etwas bei anderen besser klappt, und mich mitfreuen. Das verdanke ich meinem Aufwachsen mit zwei älteren Schwestern.

Dass ich mich in einer Peergroup auch heute noch ein bisschen inkompetent fühle, ist aber ein dezenter Nachhall dieser Kindheit. Ich bin nun jenseits der Mitte Vierzig und merke nach wie vor auf, wenn ich irgendwo wahrhaftig Input geben kann und mir interessiert zugehört wird. Die kleine Schwester in mir reißt die Augen auf und wundert sich: »Nein!? Ich weiß was, was die alle nicht wissen? Und sie wollen das wirklich hören?« Vermutlich werde ich das nie ganz ablegen.

Aber das macht nichts. Denn ahnen Sie, was das bedeutet? Dass meine zwei Schwestern stets ein Teil von mir bleiben. Und sie sind nicht nur bei solchen kleinen Anflügen von Selbstzweifeln bei mir, sondern auch, wenn ich mich in Frauenfreundschaften so wunderbar geborgen fühle. Wann immer sich mein ausgeprägter Familiensinn zeigt. Und meine Freude, Neues zu erkunden.

Das Leben mit Geschwistern ist ein Abenteuer. Kommen Sie mit auf eine spannende Reise durch alle Höhen und Tiefen, die man mit Brüdern und Schwestern erleben kann!

Teil 1

Konstellationen

Buntes Schaf, Babysittingverweigerer, Onkel-Ersatz, Aufklärungsassistentin: Wir sind die Großen!

Heike

Dass Erstgeborene immer besonders brav und angepasst sind, ist ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Dabei wurde die Theorie, die Position in der Geschwisterreihenfolge beeinflusse den Charakter, von der Forschung längst widerlegt. (Und ich werde das auch in diesem Kapitel untermauern!)

Eines jedoch ist sicher: Erstgeborene sind, im Gegensatz zu ihren Geschwistern, für eine gewisse Zeit erst mal Einzelkinder. Logischerweise. Natürlich bringt es für sie eine enorme Veränderung im Leben, wenn sich daran etwas ändert.

Dabei spielt es natürlich eine enorme Rolle, wie groß der Altersunterschied ist. Ich zum Beispiel erinnere mich überhaupt nicht an mein Einzelkinddasein, denn ich war gerade mal anderthalb, als ich zur großen Schwester wurde. Vermutlich auch zu jung, um auf das neue Brüderchen eifersüchtig zu sein.

Holger und ich verbrachten dann einige Jahre lang als Duo, bis der Nachzügler zur Welt kam. Björn war »unser Baby«. Mir machte es viel Spaß, mit dem Kleinen zu spielen. Sehr gern hätte ich noch ein weiteres Geschwisterchen gehabt. Vielleicht eine Schwester? Aber ich blieb – abgesehen von meiner Mutter – das einzige Mädchen in der Familie, und auch als Erwachsene lebe ich in einem reinen Männerhaushalt – sogar der Hund ist ein Kerl.

Das hat mich allerdings nie gestört. Was ich dagegen nicht so toll fand: Wenn meine Eltern mich aufforderten, als Älteste »die Vernünftige« zu sein. Denn das wollte ich gar nicht. Vor allem aber wollten mir meine Brüder sicher nicht nacheifern!

Vorbild sein – wird das von allen ältesten Geschwistern erwartet?

Ich frage Josefine, die sogar drei jüngere Geschwister hat, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat.

»Meine Schwestern sind vier beziehungsweise fünf Jahre jünger als ich, mein Bruder sogar zehn«, erzählt sie. »Zunächst fand ich es toll, die Älteste zu sein, zumal meine Geschwister bei unseren Eltern immer unter ›die Kleinen‹ liefen. Ich hatte das Gefühl, auf einer Ebene mit den Erwachsenen zu sein.«

Irgendwann begriff Josefine jedoch, dass die Situation mehr Nachteile als Vorteile mit sich brachte. Vor allem, weil sie ständig auf die jüngeren Geschwister aufpassen sollte.

Im Rückblick wird ihr bewusst, dass sie viel zu früh Verantwortung übernehmen musste. Es wäre besser für sie gewesen, selbst noch länger Kind bleiben zu dürfen.

»Ich war in dieser Familie wie eine dritte Erziehungsinstanz. Das entspricht aber gar nicht meiner Persönlichkeit. Ich will Leuten nicht vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben!«

Auch für die Geschwister war es eher unangenehm, eine große Schwester zu haben, die sich als Erziehungsberechtigte aufspielte. Nicht selten hörte Josefine von ihnen den Satz: »Du hast mir gar nichts zu sagen.«

Sie ist ihren Eltern jedoch nicht böse, dass sie die Familie auf diese Weise organisiert haben.

»Heute würde man vier Kinder nicht mehr so erziehen, aber in den Siebzigern war das nichts Außergewöhnliches. Was man damit für Schäden anrichtet, wusste man damals noch nicht.«

Inzwischen sehen ihre Eltern selbst ein, dass sie Josefine oft überfordert haben – was sie wiederum spannend findet. »Auch im hohen Alter gelang es ihnen also, umzudenken und das eigene Verhalten zu hinterfragen. In dieser Hinsicht sind sie ein echtes Vorbild. Außerdem hat alles Vor- und Nachteile. Vielleicht bin ich heute deshalb so gut im Projektmanagement, weil ich das schon sehr früh gelernt habe. Ich musste schließlich meine Geschwister managen.«

Während sowohl ihre beiden Schwestern als auch ihr Bruder Familien gegründet und jeweils zwei Kinder haben, hat sich Josefine bewusst dagegen entschieden.

»Ich mag meine Nichten und Neffen gerne«, sagt sie, »aber eigene Kinder wollte ich nie. Ich weiß aus Erfahrung, dass die Mutterrolle nicht zu mir passt.«

Zurück zur Ausgangsfrage nach der Sache mit dem Vorbildsein.

»Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber von mir erwartet, dass ich ein Vorbild für sie sein sollte«, berichtet Josefine. »Das war ich jedoch ganz und gar nicht. Ich war nie gut in der Schule, habe gern Party gemacht und so. Meine Geschwister dagegen waren eher Stubenhocker. Mich hat das geärgert. Ich hatte ihnen quasi den Weg bereitet, und dann nutzten sie das gar nicht. Irgendwie war ich schon immer das bunte Schaf in der Familie.«

Buntes Schaf – muss ich mir merken. Das gefällt mir.

Nicht alle Großen sind auch große »Kümmerer«

Ob man sich gern um jüngere Geschwister kümmert oder nicht, ist weder eine Frage des Jahrgangs noch des Geschlechts, wie meine Freundin Jette berichtet.

»Als Timm zur Welt kam, erlebten wir ein ziemliches Eifersuchtsdrama«, berichtet sie. »Paul – damals gerade mal zwei Jahre alt – war es gewohnt, dass sich alles um ihn drehte. Als ihm ein kleines, plärrendes Bündel die Aufmerksamkeit streitig machte, gefiel ihm das ganz und gar nicht. Einmal, als ich Timm gerade stillte, biss Paul ihm vor lauter Eifersucht in den Fuß – und Timm mir dann in die Brust. Eine äußerst schmerzhafte Kettenreaktion.«

Später entwickelte sich daraus eine Art Nichtangriffspakt – sie ließen sich gegenseitig in Ruhe. Heute, mit Anfang zwanzig, schätzen und mögen sich Paul und Timm zwar sehr, unternehmen aber nur selten etwas gemeinsam.

»Charakter, Interessen – sogar ihre Partnerinnen sind sehr unterschiedlich«, erzählt Jette. »Sie waren eben schon immer komplett gegensätzliche Typen.«

So auch ihre Reaktionen, als Noah, Ole und schließlich Mia zur Welt kamen. Während sich Timm, der Zweitälteste, bereits früh für die jüngeren Geschwister verantwortlich fühlte, verhielt sich Paul überhaupt nicht wie ein großer Bruder – er blieb eher für sich.

»Ich habe ihn nie gebeten, mal auf eins der jüngeren Kinder aufzupassen«, sagt Jette. »Er sah das einfach nicht als seine Aufgabe an, ich hätte mich da nicht auf ihn verlassen können. Timm dagegen kümmerte sich liebevoll um die Kleinen.«

Als Paul in die Pubertät kam, begann er sogar, sich extrem von den jüngeren Geschwistern zu distanzieren. Was in dieser Phase zwar grundsätzlich normal ist, aber in Pauls Fall ging es über das übliche Maß hinaus.

»Ich fand sein Verhalten krass«, fährt Jette fort. »Man hatte bei ihm das Gefühl, er lebt in einer völlig anderen Welt als seine Geschwister.«

So einfach ist es aber nicht, kleine Brüder und Schwestern auszuschließen – vor allem, wenn die sehr neugierig sind.

»Als er mit fünfzehn zum ersten Mal eine Freundin mit nach Hause brachte, war das für die Jüngeren – damals ungefähr vier und sechs Jahre alt – natürlich superspannend. Sie beobachteten das Pärchen heimlich aus einem Versteck heraus. Als Paul das mitbekam, war er stinksauer.«

Kein Wunder, dass er gleich nach dem Abitur auszog und in einer anderen Stadt studierte. Ebenfalls kein Wunder, dass er sich gegen eine WG entschied …

Große Brüder, kleine Schwester – nicht immer eine Traumkombination

Mehr nebeneinanderher als miteinander wuchsen auch Arne und Nathalie auf.

»Ich war sechs Jahre alt, als meine Schwester geboren wurde. Ich machte mir nicht viele Gedanken darüber – sie war auf einmal da, fertig. Zum Spielen war sie nicht geeignet, also für mich uninteressant«, berichtet Arne.

Nicht einmal als Heranwachsende konnten die beiden viel miteinander anfangen. »Bei zwei Jahren Abstand hätte das vielleicht funktioniert, aber nicht bei sechs«, sagt Arne. »Zudem haben wir total unterschiedliche Interessen und entsprechend nie den gleichen Bekanntenkreis. Sogar im Urlaub gaben wir uns nicht miteinander, sondern mit jeweils passenden Spielkameraden ab.«

Auch Nathalie suchte die Nähe zu ihm nicht – dabei gilt es doch gemeinhin als Lottogewinn, einen älteren Bruder zu haben, mit dem man gemeinsam ausgehen und über den man dann interessante junge Männer kennenlernen kann.

»Selbst wenn sie es gewollt hätte – das wäre nicht infrage gekommen«, erklärt Arne. »Ich hatte keine Lust, in der Freizeit auf eine Teenagerin aufzupassen. In meiner Sturm-und-Drang-Phase, also so mit zwanzig, war sie ja erst vierzehn.«

Noch entscheidender als der große Altersunterschied ist im Fall von Arne und Nathalie der Wesensunterschied – dazu in den späteren Kapiteln mehr.

Große Schwester, kleiner Bruder – manchmal ganz schön lästig

Auch Lara und Eric waren schon immer höchst gegensätzliche Charaktere – allerdings betrug der Abstand zwischen ihnen lediglich fünfzehn Monate.

»Als wir klein waren, haben uns unsere Eltern gerne im Partnerlook angezogen: Trägerröckchen für mich, Trägerhöschen für ihn«, erinnert sich Lara. »An Fasching verkleideten wir uns einmal beide als Rotkäppchen. Er sah niedlich aus in diesem Kostüm mit seinen dicken Backen und den Kulleraugen.«

Obwohl Lara die Ältere war, bezeichnete Eric sie immer als »Jungfuchs«, nur um sie zu ärgern, und sie ihn im Gegenzug als »Brüderchen«.

»Lange hatten wir eine klare Rollenverteilung«, berichtet Lara. »Ich war zwar aufmüpfig, jedoch eine gute Schülerin. Er war faul, aber lieb. Dieses Liebsein äußerte sich auch darin, dass er Konflikten aus dem Weg ging und es vermied, Position zu beziehen. Das hat ihm viel Streit erspart, mich allerdings hat es ziemlich aufgeregt – ich fand sein Verhalten feige.«

Ich denke an Josefine und ihren Ärger darüber, dass die jüngeren Geschwister angepasster waren als sie und die Freiheiten, die ihnen die große Schwester erkämpft hatte, gar nicht zu schätzen wussten. Lara erlebte es mit Eric wohl ähnlich.

Ich frage Lara, ob sie denn auch als Babysitterin für ihren Bruder eingespannt wurde oder ob dazu der Altersunterschied zu gering war.

»Es ging eher von ihm aus«, erzählt sie. »Vor allem mit beginnender Pubertät wollte er überallhin mitkommen, was mir natürlich nicht gefiel. Während ich schon in Richtung Erwachsensein unterwegs war, benahm sich mein Bruder noch lange sehr kindlich. Das haben unsere Eltern ausgenutzt: Als ich 1970 das zweite Konzert meines Lebens besuchte – Deep Purple spielten in der Saarlandhalle –, musste ich Eric als Anstandswauwau mitnehmen.«

Was aber wenig brachte, denn der kleine Bruder konnte nicht verhindern, dass die große Schwester dort mit einem süßen Langhaarigen Händchen hielt und ihren allerersten Joint rauchte. Zwar drohte er damit, das alles den Eltern zu erzählen, aber letztendlich verriet er ihnen nichts.

Vielleicht auch, weil er es sich mit der großen, klugen Schwester nicht verscherzen wollte – schließlich konnte er von ihr allerhand lernen.

»Ich werde nie vergessen, wie es war, als ich ihn aufklärte«, erzählt Lara. »Ich wusste schon Bescheid, er noch nicht – und er wollte unbedingt erfahren, was es mit diesem Sex auf sich hatte. Über seine Reaktion muss ich heute noch lachen. Denn er erklärte empört: ›So eine Schweinerei mach ich nie!‹«

Kann man nicht nur von älteren, sondern vielleicht auch von jüngeren Geschwistern fürs Leben lernen?

Um das herauszufinden, unterhalte ich mich mit Philipp, der heute vierundzwanzig ist. Die ersten vierzehn Jahre davon lebte er als Einzelkind. Zwar hatte er damals nicht das Gefühl, dass ihm etwas fehlte, aber dass er dann doch noch zum großen Bruder wurde, empfindet er für seine Entwicklung durchaus als prägend.

»Als meine Mutter mit Sophie schwanger war, habe ich mich sehr gefreut – wir alle haben dem Geburtstermin regelrecht entgegengefiebert«, erzählt er.

Dann war plötzlich ein Baby im Haus, und das änderte auch für den großen Bruder so einiges, aber eifersüchtig war er nie.

»Durch den großen Altersunterschied hatte ich ein bisschen das Gefühl, sie mitzuerziehen. Eine ganz besondere Situation, die mir durchaus gefiel. Es hat mich auch nie genervt, mal auf Sophie aufpassen oder sie vom Kindergarten abholen zu müssen.«

Im Gegenteil, dank Sophie hatte Philipp sogar häufig das Gefühl, seine eigene Kindheit zu verlängern. Wer geht mit siebzehn schon auf den Spielplatz, um zu schaukeln oder im Sand zu buddeln? Wer spielt noch mit Lego oder dem Bagger?

»Solche Beschäftigungen gelten ja ab einem bestimmten Alter leider als uncool. Aber dank Sophie hatte ich eine prima Ausrede, denn eigentlich macht so was ja nicht nur vor der Pubertät Spaß. Ich durfte also selbst noch ein bisschen kindlich sein. Das habe ich richtig genossen.«

Als Sophie eingeschult wurde, war Philipp selbstverständlich dabei – er war damals schon Student. Bald wechselt sie auf die weiterführende Schule, und er fände es toll, wenn sie sich für dasselbe Gymnasium entscheiden würde, das auch er besucht hat.

Ich frage ihn, was er denn heutzutage so mit seiner inzwischen zehnjährigen Schwester unternimmt.

»Ungefähr alle zwei Monate verbringen wir als Geschwister einen kompletten Tag zu zweit. Wir spielen dann Nintendo Switch oder Lego und gucken zusammen ein Video«, erzählt er. »Natürlich mag sie zum Teil Filme, die ich total doof finde, und umgekehrt. Aber HarryPotter zum Beispiel geht immer. Oder LegoMovie, so was mögen wir beide.«

Er freut sich schon darauf, dass sie eines Tages alt genug für Herr der Ringe sein wird. Für Philipp ist es eine schöne Vorstellung, der kleinen Schwester bald seine Lieblingsfilme zu zeigen.

»Ansonsten habe ich an unseren Bruder-Schwester-Tagen oft das Gefühl, als wäre ich eher in der Rolle eines Onkels. Da kann man dann ruhig etwas großzügiger sein und erlauben, dass sie sich eine zweite Cola bestellt, obwohl die Eltern garantiert sagen würden, eine reicht.«

Ich frage, ob Sophie grundsätzlich ähnlich erzogen wird wie er damals. Philipp gibt zu, dass er wohl ziemlich verwöhnt worden ist. »Aber meine Eltern waren konsequent. Bei Sophie geben sie öfter nach, was vielleicht auch an ihrem starken Willen liegt.«

Er hat sich dank Sophie schon viele Gedanken darüber gemacht, was für ein Vater er selbst einmal werden möchte.

»Auf keinen Fall werde ich um meine Kinder herumschwirren, so wie Helikoptereltern das tun. Ich werde auch darauf achten, dass sie in Sachen Freizeitgestaltung nicht überfordert sind. Wenn man sie zu sehr verplant, bleibt ihnen nicht genug Zeit, einfach zu spielen.«

Grundsätzlich fühlt er sich durch Sophie recht gut auf die künftige Vaterrolle vorbereitet.

»Ich weiß, wie man mit kleinen Kindern umgeht, ich bin es auch gewohnt, Babys zu wickeln – das ist schon ein gewisser Vorsprung gegenüber Gleichaltrigen. Darüber bin ich sehr froh.«

Jüngere Geschwister zu haben, ist eben für uns Große eine Bereicherung – ich schätze mal, das würden fast alle unterschreiben.

Geburtsreihenfolge – Schubladen mit unsinnigen Etiketten

Ursi

Heike hat es ja schon angedeutet: Die Theorie, man könne an der Geburtsreihenfolge Charaktermerkmale festmachen, ist überholt.

Aber steckt in »Typisch Erstgeborener!« oder »Ein echtes Nesthäkchen!« nicht doch ein Fünkchen Wahrheit?

Die britischen Royals eignen sich hervorragend, um sie als Beispiele für egal was heranzuziehen, denn wir alle kennen sie. Selbst wenn wir zur Fraktion »Ich bringe mein eigenes Buch mit« gehören und beim Frisörbesuch keine Klatschmagazine inhalieren, sind wir mit überraschend vielen privaten Details aus dem Buckingham Palace vertraut.

Ich muss Ihnen also keine Hintergrundinfo liefern, wenn ich anhand von Prinz William und seinem Bruder Harry aufzeige, was angeblich symptomatische Charakterzüge von Erst- und Zweitgeborenen sind.

Erstgeborenen wird nachgesagt, sie seien besonders angepasst. Mit vorbildlichem Verhalten versuchen sie die Nähe zu den Eltern wiederherzustellen, sobald diese durch die Geburt eines Geschwisterkinds gestört wird. Durch Fleiß und Leistung glauben sie, sich die vermeintlich verlorene Liebe von Mutter und Vater sichern zu können. So kommt es, dass sie sich intensiv nach Erwachsenen richten. In weiterer Konsequenz identifizieren sie sich stärker mit Macht und Autoritäten als ihre jüngeren Geschwister. Auch Status bedeutet ihnen mehr.

Man sagt, Älteste haben insgesamt ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Anerkennung und sind daher oft in Führungspositionen anzutreffen. Der amerikanische Psychologe Kevin Leman schrieb in den Achtzigerjahren in seinem Buch Geschwisterkonstellationen, Erstgeborene hätten aus all diesen Gründen die größte Angst vor Fehlern. Deshalb wären Stotterer zum Beispiel ganz oft die ältesten Kinder in einer Familie.

Die Zweitgeborenen, so heißt es in der nicht mehr ganz aktuellen Fachliteratur, seien abenteuerlustiger und wollen schnell hinaus in die Welt. Im Familiensystem belegen sie eine untergeordnete Rolle, daher orientieren sie sich stärker nach außen. Insgesamt sind sie also deutlich revolutionärere Persönlichkeiten als ihre älteren Geschwister. Diese sind für die Zweitgeborenen übrigens Ansporn und Quell für Unterlegenheitsgefühle zugleich. Oft entwickelt sich daraus eine »Ich werd’s ihnen schon zeigen«-Einstellung.

Und? Haben Sie die Prinzen William und Harry hier wiedererkannt? Den mustergültigen, verantwortungsvollen Thronfolger und den jüngeren Rebellen, der Regeln über Bord wirft und aus den von der Familie vorgegebenen Strukturen ausbricht?

Klingt doch so, als ließen sich mit den von der Birth-Order-Forschung postulierten Thesen stimmige Persönlichkeitsbilder erstellen.

Aber Halt! Was ist denn dann mit George VI., dem Vater von Queen Elisabeth? Musste der nicht Hals über Kopf einspringen, als sein großer Bruder Eduard VIII. 1936 keine Lust mehr auf den Thron hatte und lieber mit einer zweifach geschiedenen Amerikanerin durchbrannte? Und war bei diesem Geschwisterpaar nicht der Jüngere der Stotterer? Darüber gab es doch diesen wunderbaren Film The King’s Speech (2010).

Sie sehen schon: Auch die britischen Royals strafen die Theorien Lügen.

Der Vollständigkeit halber präsentiere ich Ihnen hier nun noch die Eigenschaften, die Nesthäkchen zugeschrieben werden: Durch den Altersunterschied erleben sie sich gegenüber ihren Brüdern und Schwestern angeblich als unterlegen. Dieses Gefühl kann Motivator dafür sein, über sich hinauszuwachsen. Auf der anderen Seite werden sie mitunter aber auch von der gesamten Familie infantilisiert und verzärtelt, was zu Unselbstständigkeit und Passivität führt. Insgesamt erhalten sie jedoch viel Aufmerksamkeit, weswegen sie später gern im Rampenlicht stehen. Der bereits zitierte Psychologe Kevin Leman schreibt ihnen außerdem folgende Eigenschaften zu: Sie sind charmant, gesellig, unkompliziert, oft rebellisch und kritisch, auf jeden Fall aber ungeduldig und unüberlegt.

Wie sieht es diesbezüglich bei den Royals aus? Prinz Edward, der Nachzügler der Queen, weist einige der genannten Merkmale auf: Er begeisterte sich als Jugendlicher und junger Erwachsener für die Schauspielerei und probierte es auch mit einer eigenen TV-Show. Das mit dem Rampenlicht stimmt also schon einmal. 2001 war es ausgerechnet seine Fernsehproduktionsfirma, die seinen Neffen William bis auf den Uni-Campus verfolgte, obwohl mit den Medien eigentlich vereinbart war, dass das Privatleben von Dianas Kindern geschützt werden sollte. Unüberlegtheit scheint also ebenfalls zuzutreffen. Auf der anderen Seite ist er aber wohl auch eher unkompliziert, denn seine Ehe mit Sophie bleibt seit Jahrzehnten skandalfrei. Seine drei älteren Geschwister sind mittlerweile samt und sonders geschieden, von den Missbrauchsvorwürfen gegen Prinz Andrew ganz zu schweigen.

Jetzt warten Sie bestimmt schon aufs Gegenbeispiel, oder? Gar nicht rebellisch, kritisch und unüberlegt scheint die jüngste Schwester von Victoria von Schweden zu sein. Prinzessin Madeleine stand auch nie gern im Rampenlicht und verbringt ihr Leben fernab der europäischen Klatschpresse in Amerika.

Heike ist zwar kein Royal, aber dafür eine Göttin, also ist es legitim, auch ihren Charakter als Stichprobe in Sachen Birth-Order-Forschung zu beleuchten. Per WhatsApp schicke ich ihr nacheinander Eigenschaften, die Erstgeborenen zugeschrieben werden, und frage sie, ob sie denkt, dass diese auf sie zutreffen. Und tatsächlich: Sie erkennt sich zwar nicht in allen der genannten Charakterzüge wieder, aber doch in einigen. Um meinem kleinen Test zumindest einen pseudowissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, unterbreite ich ihr zur Gegenprobe auch noch die Wesensmerkmale, die mit Sandwichkindern und Jüngsten assoziiert werden. Das Ergebnis wird Sie am Ende dieses Kapitels vielleicht nicht mehr überraschen: Heike fand sich in genauso vielen Merkmalen von Erstgeborenen wie Zweitgeborenen oder Nesthäkchen wieder.

Und was ist mit mir, der kleinen Ursi? Ich finde, ich war immer brav, wenn auch nicht so brav wie meine Schwestern, ich war in der Schule nur so mittelfleißig, bin es jetzt, seit ich machen darf, was mir Spaß macht, aber sehr. Ich habe, wie vermutlich alle Menschen auf diesem Globus, ein Bedürfnis nach Anerkennung und bin zuweilen unsicher. Ich habe ein Stück weit diese »Ich werd’s ihnen schon zeigen«-Einstellung. Ich bin gesellig, aber doch manchmal ein wenig kompliziert (kommt wahrscheinlich drauf an, wen Sie fragen). Ich bin sehr ungeduldig, jedoch überhaupt nicht unüberlegt. Rampensau bin ich mitunter auch mal.

Ganz ehrlich? Die Geburtsreihenfolge-Theorie können Sie in der Pfeife rauchen!

Birth-Order-Forschung

Bis in die Achtzigerjahre hinein legte man großen Wert auf die sogenannte Birth-Order-Forschung, von deren Erkenntnissen ich gerade berichtet habe. Sie ging vom Wiener Psychotherapeuten Alfred Adler (1870–1937) aus. Mittlerweile stellt man ihre Thesen jedoch gern auf eine Stufe mit Astrologie (»Kann schon stimmen, aber was soll das Ganze?«). Der Psychologieprofessor und Geschwisterforscher Hartmut Kasten sagte 2009 in einem Interview: »Hin und wieder mag es das noch geben, dass man Menschen aufgrund ihrer Position in der Geschwisterfolge bestimmte Eigenschaften zuschreiben kann.« Vor allem in konservativen, patriarchalisch geprägten Familien wird man da eher fündig. Sonst dürfe man solche Theorien gern »auf dem Friedhof der Psychologie« entsorgen.

Durchaus noch anerkannt ist aber das von Sigmund Freud 1919 publizierte Konzept der Entthronung. Es beschreibt die psychische Krise, die ein älteres Kind erlebt, wenn ein jüngeres geboren wird.

Interessant ist auch das Prinzip der Divergenz, das der amerikanische Psychologe Frank Sulloway benannte. Es besagt, dass sich jedes Geschwisterkind eine Nische sucht und dadurch eine unterschiedliche Entwicklung durchmacht. Dass ein zweites Kind in einer Familie also nicht genauso wird wie das erste, und das dritte wieder ganz anders, ist sehr wahrscheinlich.

Unter dem Radar: Die Sandwichposition ist, was du draus machst

Heike

Auch wenn, wie Ursi gerade beschrieben hat, die Birth-Order-Forschung längst überholt ist, gewisse Vorurteile daraus halten sich hartnäckig. Zum Beispiel die zum Thema Mittelkinder, auch Sandwichkinder oder Dazwischenkinder genannt.

Sie seien zu bedauern, heißt es. Während die Erstgeborenen zumindest für eine Weile die Rolle des Kronprinzen oder der Kronprinzessin spielen dürfen und die jüngsten Kinder mitunter verhätschelt werden, widmen Väter und Mütter ihren mittleren Kindern oft weniger Aufmerksamkeit. Ganz einfach, weil ihnen dafür die Zeit fehlt.

Wenn ein Vierjähriger gerade einen Trotzanfall zelebriert und sich ein Neugeborenes mit Koliken die Seele aus dem winzigen Leib brüllt, freuen sich die überforderten Eltern über ein unkompliziertes mittleres Kind, das dankenswerterweise kaum Ansprüche stellt. Man drückt ihm einen Keks ins Patschhändchen und atmet durch.

Deswegen, sagt man, gibt es von Sandwichkindern auch meist am wenigsten Fotos. Sie laufen so mit in der Familie.

Muss man sie also wirklich bedauern? Leiden sie unter ihrer Position? Ich habe nachgefragt.

Wenn zwei konkurrieren, duckt sich die Dritte

Meine Freundin Rebecca ist ein typisches Sandwichkind: Ihr Bruder Jens ist zwei Jahre älter, Felix zwei Jahre jünger.

»Als Kind habe ich immer davon geträumt, ein Einzelkind zu sein. Ich stellte mir vor, wie herrlich es wäre, nach Strich und Faden verwöhnt zu werden und weder Geschenke noch Aufmerksamkeit mit meinen Brüdern teilen zu müssen«, erzählt sie. »Etwa im Alter von zehn Jahren begann ich allerdings umzudenken. Da wurde es für mich wichtiger, möglichst viele Freiheiten zu haben. Ab dann war ich sehr froh, eben nicht ständig im Mittelpunkt zu stehen.«

Dabei spielte es Rebecca in die Karten, dass ihre Brüder extrem gegensätzliche Charaktere hatten. Während Jens ein verschlossener und zurückhaltender Musterschüler war, der gerne las und nicht besonders viele Freunde hatte, war Felix ausgesprochen extrovertiert, sehr selbstbewusst, kontaktfreudig und praktisch veranlagt. Sein handwerkliches Geschick deutete sich schon im Kleinkindalter an, als er mit Lego spielend verkündete: »Mama, ich bau dir jetzt eine Geschirrspülmaschine.«

Der Vater konzentrierte sich jeweils auf die vermeintlichen Schwächen seiner so unterschiedlichen Söhne. »Das perfekte Kind wäre aus seiner Sicht eine Mischung aus beiden gewesen«, sagt Rebecca. »Aber statt jeden dafür zu loben, was er gut konnte, hat unser Vater Felix die guten Noten vorgehalten, die Jens in der Schule schrieb. Umgekehrt wünschte er sich, Jens wäre nicht so ein Stubenhocker, sondern ein bisschen mehr wie Felix – denn dessen zurückhaltendes, eher nachdenkliches als zupackendes Wesen entsprach nicht seiner Vorstellung von einem Sohn.«

Logisch, dass daraus eine Art Wettbewerb zwischen den Brüdern entstand, bei dem keiner jemals als Sieger hervorgehen konnte.

Rebecca hielt sich bei diesem Konkurrenzkampf tunlichst heraus. »Ich befand mich in der Zuschauerposition«, erinnert sie sich, »was mir sehr gelegen kam, denn somit blieb ich selbst aus dem Schussfeld.«

Es gelang ihr, unauffällig zu bleiben, zumal sie ohnehin ein eher unproblematisches Kind war.

Doch zurück zu meiner Ausgangsfrage: Kommen Sandwichkinder zu kurz?

»Das Gefühl hatte ich eigentlich nie – nicht mal in der Zeit, in der ich mir das Einzelkinddasein so rosarot ausgemalt habe«, erklärt Rebecca. »Wahrscheinlich lag das auch daran, dass sich unsere Mutter immer eine Tochter gewünscht hatte. Von daher war meine Position als einziges Mädchen schon eine besondere. Wenn bei uns jemand zu kurz gekommen ist, dann war es Jens. Felix dagegen konnte schon als kleines Kind alle um den Finger wickeln.«

Rebecca hatte in ihrer Kindheit und Jugend ein besseres Verhältnis zu Felix als zu Jens. Sie waren sich mit ihren rötlichblonden Haaren auch rein optisch ähnlich, während der große dunkelhaarige Bruder von einer Nachbarin sogar einmal als »Kuckuckskind« bezeichnet wurde.

»Die Situation war für Jens bestimmt nicht schön. Damals habe ich das allerdings nicht begriffen«, sagt Rebecca. »Ich dachte früher, sein Anderssein würde ihm nichts ausmachen. Bei späteren Gesprächen wurde mir bewusst, dass er durchaus gelitten hat. Einmal warf er mir während eines Streits vor, ich hätte ja schon immer nur zu Felix gehalten, das hat mich ziemlich schockiert. Es war wohl kein Zufall, dass Jens direkt nach dem Abitur ausgezogen ist.«

Heute versteht sich Rebecca mit beiden Geschwistern richtig gut. Vielleicht ist genau das typisch Sandwichkind: Man ist sowohl den älteren als auch den jüngeren Geschwistern gleich nah. Und nicht selten näher, als diese jeweils zueinander stehen. Somit sind sie sozusagen prädestiniert für eine Vermittlerrolle. Man sollte einmal nachforschen, wie viele Diplomaten als Sandwichkinder aufgewachsen sind …

Supersandwich – und extrem tiefenentspannt

Ein Sandwichkind, das ebenfalls so gar nicht unter seiner Situation als mittleres Kind leidet, ist der sechzehnjährige Noah. Er ist sogar ein Supersandwich, denn er hat jeweils zwei ältere und zwei jüngere Geschwister. Die großen Brüder Paul und Timm, von denen ich bereits im Kapitel über die Ältesten berichtet habe, sind inzwischen erwachsen, der vierzehnjährige Ole und die zwölfjährige Mia wohnen – ebenso wie Noah – noch zu Hause.

»Ich habe ja schon erzählt, wie eifersüchtig Paul nach Timms Geburt war«, sagt Jette, die Mutter der Fünferbande. »Ganz anders war die Situation nach der Geburt von Noah – unserem Supersandwich.«

Paul kam damals gerade in die Schule, Timm war schon ein Kindergartenkind. Die großen Brüder waren also anderweitig beschäftigt und orientierten sich bereits an ihrer Peergroup. Das Buhlen um die Aufmerksamkeit der Mutter spielte keine so große Rolle mehr.

»Die Brüder sahen den neugeborenen Noah überhaupt nicht als Bedrohung an, fanden ihn allerdings auch nicht besonders süß – er war ihnen einfach ziemlich egal. Paul beschäftigte lediglich die spannende Frage, wessen Gehirn wohl größer sei: das eines Dinosauriers oder das von Noah …«

Erst als er im Krabbelalter war und sie etwas mit ihm anfangen konnten, wurde der neue Bruder für die beiden Großen interessant.

»Paul und Timm gingen recht wild mit ihm um. Zum Beispiel setzten sie sich zu ihm in den Laufstall und spielten mit ihm Tiger im Käfig … Noah war so etwas wie ihr lebendiges Spielzeug, eine lustige Attraktion – verwöhnt wurde er definitiv nicht. Manchmal zogen sie ihn auch hinterher wie einen Teddy. Er musste wirklich allerhand einstecken, zumal ich mittlerweile wieder ein Neugeborenes im Arm hatte und gar nicht immer einschreiten konnte«, berichtet Jette.

Das hat Noah allerdings nicht viel ausgemacht. Er ist ruhig, ausgeglichen, besonnen, zufrieden, genügsam. Früher hätte man ihn als »typisches Sandwichkind« bezeichnet. Heute vielleicht eher als geduldigen Strategen, der wartet, bis seine Zeit reif ist:

Seit seine großen Brüder ausgezogen sind, genießt er nämlich die neue Rolle. Als Jette neulich Besuch von einer Freundin bekam, begrüßte Noah sie mit den Worten: »Jetzt bin ich der Älteste hier!«

Sehr gerne gibt er seinen jüngeren Geschwistern kluge Ratschläge mit auf den Weg. Das kommt bei denen nur teilweise gut an. Während Mia den großen Bruder bewundert, beneidet Ole ihn um gewisse Freiheiten, die der Sechzehnjährige im Gegensatz zu ihm schon hat.

»Aus Oles Sicht ist Noah vor allem ein Klugscheißer«, erzählt Jette.

Zum Glück hat der Supersandwichbruder ein dickes Fell.

Bindeglied, auch über den Tod hinaus

Meine Freundin Gaby ist ebenfalls ein Sandwichkind. Bärbel war drei Jahre alt, als sie vom Einzelkind zur großen Schwester wurde, und auch sie reagierte sehr eifersüchtig.

»Während ich noch am Daumen lutschen durfte, wurde es Bärbel damals gerade mit Hilfe eines widerlich schmeckenden Mittels abgewöhnt. Das hat sie mir dann auch draufgeschmiert«, erinnert sich Gaby. »Einmal hat sie sogar den Kinderwagen die Treppe runtergestoßen – während ich drinlag. Als wir klein waren, hatte ich immer das Gefühl, Bärbel hasst mich.«

In der Pubertät gab es zwar keine Attentate auf Leib und Leben mehr, aber so richtig gut war das Verhältnis nach wie vor nicht. Vor allem, weil sich Gaby so gut mit Eva verstand, die zwei Jahre nach ihr geboren wurde.

»Wir waren immer ein Team, haben viel zusammen gespielt – mit Bärbel hingegen habe ich mich früher nicht besonders gut vertragen.«

Das hing vielleicht auch damit zusammen, dass die Schwestern so wahnsinnig unterschiedlich waren. Bärbel eine Träumerin, die Sissi-Filme und Freddy-Quinn-Schlager mochte, was Gaby mindestens so furchtbar fand wie Putzen und Kochen. Daran hat sich bis heute nichts geändert – Bärbel ist eine perfekte Hausfrau, Gaby dagegen geht in ihrem Beruf auf.

Eine Gemeinsamkeit jedoch hatten sie schon in der Kindheit: nämlich Eva, die sie beide liebten.

Und dann wurde Eva krank – sehr krank. Wie schlimm es um sie stand, wurde erst nach und nach klar.

»Bei einer Schuluntersuchung wurde festgestellt, dass bei Eva alle Organe spiegelverkehrt lagen. Der Arzt wurde ganz blass, als er sie abhörte und zunächst keinen Herzschlag fand«, erzählt Gaby.

Im Alter von achtzehn wurde bei Eva eine unheilbare Lungenkrankheit diagnostiziert. Gaby erinnert sich noch daran, wie ihre kleine Schwester auf der Treppe saß, den Brief des Krankenhauses in der Hand, den sie entsetzt anstarrte. »Darin stand, sie würde wohl keine dreißig werden. Das war für uns alle ein Schock.«

Tatsächlich starb Eva mit achtunddreißig. In ihren letzten Lebensjahren brauchte sie ein Sauerstoffgerät.

»Das Verhältnis zwischen Eva und mir hat sich in der Zeit ihrer Krankheit nicht grundsätzlich geändert, vielmehr ist es noch viel enger und intensiver geworden. Das ist wohl normal – wenn man sich sorgt und Angst hat, jemanden zu verlieren, dann steigert das die Liebe ins Unermessliche.«