Freundinnen wie wir - Kaja Vetter - E-Book
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Freundinnen wie wir E-Book

Kaja Vetter

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Beschreibung

Gemeinsam sind sie unschlagbar – aber wie lange werden sie zusammenhalten? »Freundinnen wie wir« von Kaja Vetter jetzt als eBook bei dotbooks. Es ist wunderbar, Freundinnen zu haben – aber manchmal ungeheuer schwer, befreundet zu sein … Durch Zufall lernen sich Johanna, Tiffy, Liz und Maja kennen, vier Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch haben sie einen gemeinsamen Traum: Sie wollen Musik machen, sie wollen auf der Bühne stehen und den Moment genießen, wenn alles andere bedeutungslos wird. Also gründen sie gemeinsam eine Band. Was soll schon schief gehen? Die ersten Auftritte und Erfolge kommen bald – aber genauso schnell werden die vier Frauen auch von ihren Geheimnissen eingeholt, die sie so sorgsam vor einander hüten wollten … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Freundinnen wie wir« von Kaja Vetter. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 488

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Über dieses Buch:

Es ist wunderbar, Freundinnen zu haben – aber manchmal ungeheuer schwer, befreundet zu sein … Durch Zufall lernen sich Johanna, Tiffy, Liz und Maja kennen, vier Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch haben sie einen gemeinsamen Traum: Sie wollen Musik machen, sie wollen auf der Bühne stehen und den Moment genießen, wenn alles andere bedeutungslos wird. Also gründen sie gemeinsam eine Band. Was soll schon schief gehen? Die ersten Auftritte und Erfolge kommen bald – aber genauso schnell werden die vier Frauen auch von ihren Geheimnissen eingeholt, die sie so sorgsam vor einander hüten wollten …

Über die Autorin:

Kaja Vetter, Jahrgang 1972, stammt aus Berlin. Wie die Protagonistinnen ihres Romans stand sie als Bassistin und Sängerin der Band Lemonbabies auf der Bühne. Außerdem studierte sie Produktdesign an der Universität der Künste Berlin. Heute lebt sie in Queenstown und übt sich seit Jahren erfolgreich darin, die Feinheiten der neuseeländischen Seele zu verstehen.

***

eBook-Neuausgabe September 2018

Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel Geküsst wird später im Knaur Taschenbuch und 2015 unter dem Titel Das Lied der Freundschaft bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Knaur Taschenbuch.

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015, 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock/smilewithjul und Shutterstock/Ann.and.Pen

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-851-6

***

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Kaja Vetter

Freundinnen wie wir

Roman

dotbooks.

JANUAR

Kapitel 1 TIFFY

Er war heute Nacht nicht da.

Ich habe gewartet und Gitarre gespielt und gewartet und ferngesehen und gewartet und mich im Bett herumgewälzt. Und er kam einfach nicht. Die ganze Nacht nicht.

Normalerweise kündigt er das vorher an: Morgen Nacht, Tiffany, komme ich nicht. Oder: Nächste Woche komme ich nicht. Und ich weiß Bescheid: Morgen Nacht – oder nächste Woche – ist er bei ihm. Oder bei ihr, nicht mal das verrät er mir ja. Eben bei Nummer zwei. Aber diesmal nicht. Er ist nur einfach nicht gekommen. Ohne Vorwarnung. Und jetzt kriege ich die Augen nicht auf, obwohl ich es kaum noch schaffen werde, pünktlich zur Arbeit zu kommen.

Dabei gab es wirklich etwas, das ich ihm gerne gezeigt hätte. Ich habe gestern meinen besten Song geschrieben. Wirklich, den allerbesten. Sogar besser als die meisten Songs, die nicht von mir sind. Vielleicht sogar besser als seine Songs. Und das will schon was heißen. Schließlich war er einer der besten Songwriter aller Zeiten.

Ich kam abends von der Arbeit nach Hause und war froh, dass nichts mehr anstand: kein Gitarrenunterricht, kein Besuch bei meinem Vater, einfach nur Zeit für mich. Ich habe mich auf traute Zweisamkeit mit meiner Gitarre gefreut, im festen Vertrauen darauf, dass irgendwann nach elf traute Dreisamkeit mit John daraus werden würde. Ich stand am Herd, briet mir Kartoffeln aus der Dose – pervers, ich weiß, aber Kartoffeln sind göttlich und Schälen ist das Letzte – und während ich so rührte und ein bisschen Pfeffer streute, hatte ich plötzlich diesen Song im Ohr. Ich summte erst mal, dann sang ich und suchte nach Worten zur Melodie. Texte halten Musik in Form. Sonst geht der Song den Weg alles Irdischen! Ich guckte auf mein Essen. Potatoes, fiel mir ein, Potatoes feed us round the world wäre die perfekte Zeile für den Refrain. Ich wurde nervös. Die Stars meines Songs waren fast gar, aber zwischen Teller-aus-dem-Schrank-Holen und Festgepappte-Schicht-vom-Pfannenboden-Kratzen wollte ich auf keinen Fall meinen Song vergessen! Zu riskant, sagte ich mir und schob die Pfanne neben den Herd.

Vier Stunden später stand sie da immer noch, inzwischen waren die Kartoffeln klumpig und kalt. Aber ich aß sie trotzdem, denn mein Magen hatte inzwischen ziemlich schlechte Laune. Zwischen den Bissen summte ich immer wieder meinen Song. Ich hörte mir zum ungefähr dreißigsten Mal das frische, leicht scheppernd klingende Vierspurtonband an, als mir auffiel, dass John noch nicht da war. Und es war ein Uhr morgens!

Heute Morgen bin ich zwar um einen Song reicher, aber um einen John ärmer. Was mache ich bloß, wenn er wirklich nicht wiederkommt?

Dazu kommt, dass sich meine Haare ausgerechnet heute dazu entschlossen haben, mir die Zusammenarbeit zu kündigen. Ich habe diesen Wischmopp aus Haaren, »güldene Locken« stünde im Märchenbuch, aber in der Realität ist es ein Haufen Stroh, der sich jedem Versuch widersetzt, sich in eine geordnete Gesellschaft einzufügen. Und heute muss ich bei der Arbeit gut aussehen, zumindest ordentlich, denn mein Chef kommt aus dem Urlaub zurück und da ist er immer besonders bissig. Oh Mann! Natürlich ist mein Wachs alle, wenn ich es brauche, also schnappe ich mir eine Geltube, die nur unbedeutsam jünger als Gott ist. Ich schmiere meine Goldlöckchen ordentlich ein. Vielleicht schaffe ich es ja doch noch, denke ich, doch Übermut kommt vor dem Fall, oder wie das heißt, denn: Das Telefon klingelt. Wunderbar. Es gibt nur eine Person, die morgens um acht bei mir anruft. Eine Sekunde bin ich versucht, nicht ranzugehen. Aber vielleicht habe ich Unrecht und es ist jemand anderes: ein Plattenboss vielleicht, der auf spirituellen Kanälen von mir gehört hat, oder ein Traumtyp, der mich bei der Arbeit im Sound and Drumland gesehen hat ... oder mein Vater, der morgendliche Aufmunterung braucht. Nachdem ein Handtuch enge Bekanntschaft mit dem rosa Gel geschlossen hat, schaffe ich es tatsächlich rechtzeitig an den Hörer.

»Buon giorno, bambina!«, tönt es mir entgegen. »Habe ich dich geweckt?«

Weil mein rechtes Ohr jetzt taub ist, halte ich den Hörer in respektvollem Abstand ans linke. Wäre ich bloß nicht rangegangen!

»Nein, Irene, du weißt doch, ich muss zur Arbeit.«

»Oh ja, dieser schreckliche Job! Den vergesse ich immer. Dass meine eigene Tochter arbeiten muss! Wo du doch so talentiert bist! Bist du denn immer noch nicht berühmt?«

Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben: »Nein, Irene, ich bin immer noch nicht berühmt. Das hätte ich dir berichtet.«

»Oh, bambina, wie traurig! Na, das wird schon noch.«

Ich atme tief durch: »Was willst du, Irene?«

»Oh, Tiffy-Täubchen, nun sei doch nicht wieder so gereizt! Ich wollte dich bitten, eine Wohnung für Danilo zu mieten. Du weißt ja, dass er bald in Berlin arbeitet.«

»Danilo?« Ich falle fast um. »Danilo arbeitet in Berlin?«

»Ja, Schatz, habe ich dir das nicht erzählt?«

»Nein«, sage ich schwach, »das hast du mir nicht erzählt.«

»Ja, Schatz, Danilo kommt nach Berlin, er hat doch eine Praktikantenstelle bei einem Architekten bekommen!«

»Na super«, murmele ich, »Praktikum im Flachlegen.«

»Was war das, Täubchen?«

»Äh, nichts. Wann kommt Danilo hierher?«

»Also ...« Ich höre wildes Seitenumblättern und sehe vor meinem inneren Auge den massiven Filofax meiner Mutter, der auf ihrem Designer-Schreibtisch neben dem Bang-&-Olufsen-Telefon liegt. Meine Uhr sagt mir, dass ich mit dem Rad zur Arbeit fahren muss, weil ich es mit der chronisch lahmen Berliner Verkehrsgesellschaft auf keinen Fall mehr schaffe. BVG nennen sie sich, Bin-Voll-Geliefert. Also auch noch Sport – was für ein Morgen!

»Tiffany?«, gellt es aus dem Hörer.

»Ja, ich bin noch da.«

»Schatz, Danilo fliegt am vierzehnten April!«

Deshalb ruft sie an? Deshalb? Meine Nerven geben nach.

»Irene«, ich versuche erfolglos, meine Stimme im Niederfrequenzbereich zu halten, »das ist in drei Monaten! In drei Monaten!« Ich versuche Luft zu holen und bis zehn zu zählen, aber ohne Erfolg. Meine Stimmbänder sind schneller als meine Entspannungstechniken. Und lauter!

»Bis April, Irene, habe ich zehn Wohnungen gefunden! Locker! Von Ofenheizung bis Penthouse, mit oder ohne Wasserbett für Danilos Forschungen! Aber heute komme ich zu spät zu meiner Arbeit, weil mein Bruder in hundert Jahren hier ein Praktikum beginnt! Und wenn ich zu spät komme, riskiere ich meinen Job! Ich brauche diesen Job aber und ich will diesen Job, und wenn ich rausfliege, weil Danilo in hundert Jahren nach Berlin kommt, bin ich stinksauer! Auf dich!« Dann gelingt es mir durchzuatmen.

»Schatz, bambina, beruhige dich, kein Grund sich gleich wieder aufzuregen! Ich dachte, es wäre schon eher, du kennst doch mein Zeitgefühl. Und außerdem«, ihr Tonfall schaltet von zärtlichem Gurren zu strengem Schelten, »sollst du deine Mama nicht anschreien! Vielleicht bin ich nicht immer sehr mütterlich und weiß Gott das Gegenteil von organisiert, aber ich habe dich und deine Musik immer unterstützt! Wenn du diesen Job verlierst, kommst du zu uns nach Rom und folgst endlich deiner wahren Bestimmung!«

Ich gebe auf. Mit einem Tisch zu reden wäre fruchtbarer.

»Ich muss los, Irene.«

Sie seufzt. »Hast du deine Mama auch lieb?«

»Ja, Irene, natürlich hab ich dich lieb.«

Nach schmatzenden Abschiedslauten aus dem Hörer ist mein linkes Ohr auch noch hinüber.

Der Spiegel ruft: Ätsch, nicht die Schönste im ganzen Land, mein Magen ruft: Frühstück! und mein Chef ruft nach meiner Anwesenheit in der Gitarrenabteilung in genau fünfzehn Minuten. Ich striegele meine Haare zu einem Pferdeschwanz, wasche mir das Gel von den Fingern und renne in den Keller zu meinem Rad. Zum Glück hat mein Nachbar seine Luftpumpe liegen gelassen, sodass mein platter Hinterreifen schnell wieder prall ist. Ich schleppe das Rad die Kellertreppe hinauf und stürze mich unter bleigrauem Himmel in den Berliner Morgenverkehr: Chef, ich komme!

Die kürzeste und damit schnellste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. An diesen mathematischen Grundsatz halte ich mich und zische zwischen den Autos durch. Sollen sie doch hupen! Ich strampele ordentlich, schon bin ich auf der Schönhauser Allee. Hier fahre ich über jede rote Ampel und das auch noch auf der falschen Seite, damit ich schneller über die Kreuzung an der Eberswalder Straße komme. An der Drogerie zögere ich, eigentlich brauche ich Haarwachs und vielleicht eine Tüte Chips zum Frühstück – aber nein, der Laden hat noch zu und ich habe keine Sekunde mehr Zeit. An der Einfahrt von der Pappelallee wartet ein Motorrad – na, die Braut wird schon stehen bleiben ... oder?

Oder?

Guck her, Frau!

Verdammt, sie guckt nicht, die Autos kommen ja hier nur aus der anderen Richtung! Ich bin direkt vor dem Motorrad, als ich die Bremsen quietschen höre.

Im nächsten Moment gewinnt das Wort Schwerkraft neue Bedeutung. Ich klatsche – ja, klatsche, es klingt, als ob eine siebzig Kilo schwere Wasserbombe aus dem fünften Stock fällt – volle Kanne auf die Straße. Und zwar auf den Bauch. Bauchklatscher auf Asphalt. Autsch!

Wo kommt der Nebel her?, denke ich.

Dann helfen mir Hände hoch und ich gucke in ein milchkaffeebraunes Frauengesicht. Ich stolpere an ihrem Arm auf den Bürgersteig. Langsam kann ich wieder stehen. Ein Blick nach unten zeigt, dass meine Daunenjacke wohl das meiste abgefangen hat. Januar sei Dank. Ich strecke vorsichtig ein paar Glieder und taste nach meinen Knien. Es scheint nichts kaputt zu sein. Ich atme durch.

Da schiebt ein Typ mein Fahrrad auf den Bürgersteig. Das, was mein Fahrrad war. Es hat jetzt zwei Achten und guckt chronisch nach hinten. Das Adrenalin, das durch meine Adern rast, wandelt die Schmerzbetäubung blitzschnell um: Ich werde sauer. Das Mädchen, das mich von der Straße gesammelt hat, wirft mir unter ihrem Helm einen entschuldigenden Blick zu: »Wärst du eben auf der richtigen Seite gefahren!«

Spinnt die? »Hättest du mal nach rechts geguckt!«, gebe ich zurück.

Sie guckt mich schräg an. »Mädchen«, sagt sie, »du bist falsch gefahren.«

Ich hör wohl nicht recht! Wer ist denn losgefahren mit einem Fahrrad vor der Visage?

»Du«, sage ich, »hättest gucken müssen! Das musst du als Motorradfahrerin und das hast du nicht gemacht. Sonst wärst du ja nicht gefahren!« Ha, erstklassige Beweisführung!

Die schwarzen Augen der Frau werden schmal: »Mädchen, du warst auf der falschen Straßenseite! Wenn an meiner Laverda Kratzer sind, stehst du dafür gerade ... Also halt dich lieber zurück, sonst fang ich an zu suchen!« Sie weist auf ihr Motorrad, das einen Meter entfernt steht und ziemlich fit aussieht.

»Du hast nicht geguckt«, wiederhole ich.

Sie schüttelt den Kopf, als wäre ich ein kratzbürstiges Baby. »Wie wär's«, mischt sich der Typ ein, der immer noch mein Rad hält, »wenn ich die Polizei rufe? Die kann das bestimmt klären.«

Die Frau schätzt mich mit den Augen ab. Ich starre wütend zurück.

»In Ordnung«, sagt sie. Der Typ zückt sein Handy.

Sie nimmt ihren Helm ab und schüttelt eine Lawine schwarzer Locken darunter hervor. Ungefähr einen Meter. Unter anderen Umständen fände ich sie extrem attraktiv.

»In einer halben Stunde sind sie da«, sagt der Typ und lehnt mein Fahrrad ans Schaufenster der Drogerie. »Kommt ihr hier klar? Ich muss nämlich zur Arbeit.«

»Gib uns noch deine Nummer, falls wir einen Zeugen brauchen«, sagt die Unfallverursacherin. Sie zückt ihr Handy, das gleiche Nokia, das ich auch aus meiner Tasche fische. Wir speichern beide eifrig Jörg und eine E-Plus-Nummer.

Jörg sieht aus, als wäre er froh zu entkommen, als er »Tschüsschen« ruft. Dann stehe ich da mit dieser Bikerbraut. Keine sagt was. Na ja, jede telefoniert mit irgendwem. Mario, mein Partner in der Gitarrenabteilung, erzählt, dass unser Chef noch nicht da ist, und rät mir, ins Krankenhaus zu fahren. Seinen Vortrag über Unfallspätfolgen würge ich bei der ersten halbwegs höflichen Gelegenheit ab.

Eine halbe Stunde später macht die Drogerie auf. Die Frau schnattert inzwischen genauso wie ich. Und von der Polizei keine Spur. Wofür zahle ich noch mal Steuern?

»Wollen wir drinnen warten?«, frage ich die Motorradbraut. Sie nickt. Weiß Gott wieso, aber sie hat Post-its dabei und wir kleben einen an ihre ... Laverda und einen an mein Fahrrad. Dann gehen wir hinein und stellen uns ins Niemandsland zwischen Kassen und Tür. Nachdem die Verkäuferin von dem Unfall hört, überwindet sie ihr Misstrauen und verspricht uns heißen Tee.

»Ich heiße Joe«, sagt die Frau, als sie ihre Jacke aufzippt. »Eigentlich Johanna.«

»Ich bin Tiffy«, gebe ich zurück und warte auf den Witz. Aber sie zuckt nur um eine Winzigkeit mit ihren Mundwinkeln und zieht ihre Jacke aus.

Du lieber Himmel! Ich klappe meinen Mund wieder zu, damit mir meine Gesichtszüge nicht entgleisen. Ihr mächtiger Busen drückt sich aus seinem ledernen Gefängnis und wird nur noch halbherzig von einer Fleecejacke zurückgehalten. Dieser Busen! Er ist ... oha! Doppel-D! Sie hat mehr als Dolly Buster! Und wenn ich nicht meine gesamte Menschenkenntnis über Nacht verloren habe, ist sie nicht der Typ für Silikon.

Als Nächstes schält sie sich aus ihrer Fleecejacke und meine Gesichtszüge entgleisen mir doch noch. Quer über der Pracht steht der Schriftzug Argonath ... Die zweite Zeile befindet sich unterhalb von Doppel-D und ist schwerer zu entziffern. Ich verrenke mein Genick, um sicherzugehen – es könnte ja auch Argonath-Motorcycle-Babes heißen, so was wie Hell's Angels für Mädels. Aber nein: Revisited erkenne ich. Argonath Revisited. Wahnsinn.

»Wie geil ist das bitte?«, rutscht mir raus.

»Was jetzt?«, fragt die Frau mit ihrem kleinen spöttischen Lächeln.

»Na Argonath Revisited – die geilste Band der Welt.«

Ihre Mundwinkel ziehen sich eine Nuance höher: »Du kennst die? Alle anderen halten mich immer für einen Herr-der-Ringe-Freak ...«

Meine Lieblingsband. Argonath Revisited. Die CDs dieser Band haben einen Ehrenplatz in meinem CD-Ständer. Das T-Shirt – ich habe dasselbe, nur nicht so ausgeleiert – hat ein eigenes Fach in meinem Schrank. Na ja, fast.

Die Verkäuferin bringt uns zwei dampfende Tassen. Ich nehme einen winzigen Schluck und verbrenne mir die Zunge. »Und, wie findfte die?«, lispele ich und deute mit dem Kopf auf das Shirt.

»Wen jetzt?«, fragt sie und guckt auf ihre Doppel-Ds. »Argonath Revisited? Na cool! Das ist meine Lieblingsband.«

Ich spucke den Tee fast wieder aus. Ist mein Trommelfell geplatzt bei dem Unfall? »Ich könnte schwören, du hast gerade Lieblingsband gesagt.«

»Ja.« Ihre Schultern zucken ja und?

»Joe!«, sage ich »Joe?« Sie nickt. Wow, Namen richtig gemerkt.

»Joe, Argonath Revisited ist die beste Band seit den Beatles und es muss einen Teufel geben, weil er dafür gesorgt hat, dass außer mir nur neunundneunzig andere Leute ihre letzte CD gekauft haben! Ihre göttliche, begnadete, wunderbare letzte CD!«

Joes Mundwinkel wandern weiter gen Himmel. »Dann brauchen wir ja nur noch achtundneunzig andere zu suchen.«

Wir grinsen uns an. »Magst du Elektronikzeug allgemein oder nur die Argonath?«, fragt Joe.

Ich schüttele den Kopf. »Computerzeug ist im Allgemeinen nicht so meins. Ich stehe auf handgemachte Musik, aber mir ist auch klar, dass die Elektronik zu spannend ist, um sie zu ignorieren. Wie die Argonath Instrumente und Computer mischen, ist einfach perfekt.«

Joe nickt. »Geht mir genauso. Außerdem mag ich, dass sie so irre Sachen machen, wie Death-Metal einstreuen ...«

Ich fange an zu lachen: »Also kennst du die erste CD auch?«

Joe grinst. »World Vision,oh Mann, ich liebe sie! Und dass sie wirklich diesen Song Handsome Hellson gemacht haben ... kein Wunder, dass sie nichts verkaufen: Die Death-Metal-Fans hören keinen Computerkram und die Pop-Fans schütteln wahrscheinlich nur den Kopf!«

Und so weiter, und so weiter.

Wir reden ohne Pause aufeinander ein. Es ist fast zehn, als zwei Polizisten in die Drogerie kommen. Sie bringen haufenweise gute Nachrichten mit. »Sie sind beide schuld«, verkündet Polizeimeister Polster, wie sein Namensschild verrät, nach genauer Sondierung der Lage. »Sie beide erwartet eine Anzeige.«

Joe und ich gucken ungefähr gleich blöd. Jetzt hilft nur noch eins: Kaffee. Für Kartoffeln ist es noch zu früh. Und zur Arbeit kommen wir ja sowieso schon Jahre zu spät.

»Spielst du ein Instrument?«, frage ich, als ich in dem winzigen Coffee Star am Wasserturm in meinem Milchkaffee rühre.

In Joes schwarzen Augen blitzt es auf. »Schlagzeug.«

Ich nicke. »Interessant«, sage ich. »Gib mir doch mal deine Nummer.«

***

Mein Empfang bei Sound and Drumland ist dann weniger schlimm als befürchtet. Ich hinke – etwas übertrieben, ich gebe es ja zu – in die Gitarrenabteilung und mein Chef sagt: »Ah, Frau Lessing, doch nicht im Krankenhaus? Sehr gut, sehr gut! Stauben Sie doch mal die Akustikgitarren ab. Ab heute weht hier wieder ein anderer Wind!«

Ein Wind also, kein Donnerwetter. Was für ein Segen.

Als ich mit meinem Staubtuch anrücke, fragt Mario: »Alles okay?« Ich nicke und fange an, die vollkommen sauberen Instrumente zu entstauben.

Während wir uns so durch den Tag arbeiten, mache ich mir Gedanken. Obwohl sie mich umgefahren hat, war Joe ziemlich nett. Sie ist Schlagzeugerin. Ich spiele Gitarre.

Es ist lange her, seit ich meine Träume konkret verfolgt habe. Mein französischer Fluch hat mich vor ein paar Jahren gründlich davon abgebracht. Aber vielleicht sollte ich es noch mal versuchen? Nach einem Leben in der Gesellschaft von John, glaube ich weniger an reine Zufälle als die meisten. Ist das ein Zeichen?

Und während ich so einem Kunden in den Vierzigern, der sich immer noch nicht von Pferdeschwanz und Lederweste trennen kann, die Geschichte der legendären E-Gitarre Fender Strat erzähle, beschließe ich, dass ich heute Abend Joe anrufe und frage, was sie von Musikmachen hält.

Kapitel 2 JOE

Als Joe das »Bis morgen!« von Frau Beier hört, blickt sie auf und ist einen kurzen Moment irritiert. Wo ist der Tag geblieben?

»Bis morgen«, sagt sie zur Garagentür. Die Sekretärin von Berties Bikeworkshop ist schon enteilt.

Joe wischt ihre Hände am Overall ab und räumt das Werkzeug weg. Manne, der Azubi, schraubt an einer Crossmaschine, einer KTM, und Bertie, ihr Boss, ist nicht in Sicht. Sie geht in den wohnlichen Teil der Werkstatt und kramt in ihrem Schrank. Handtuch, Duschgel und vor allem ihre Klamotten müssen mit. Sie hört Bertie telefonieren, er sitzt also im Büro.

Das Prickeln des warmen Wassers entschädigt sie für das stundenlange Hocken. Im Winter ist die Werkstatt kalt, trotz Heizung und allem. Es ist Luxus, dass es bei Bertie eine Dusche gibt, auch wenn sie nicht abschließbar ist und man zwanzig Meter bis zur Umkleide zurücklegen muss. In ihr babyblaues Handtuch gehüllt, ein Geschenk ihrer Mutter, tappt sie barfuß über den kalten Betonboden. Ihre Flip-Flops sind natürlich sonst wo, nur nicht in ihrem Schrank. Sie bibbert.

Jetzt kommt der schwierige Teil: in die Klamotten zu kommen, ohne zu erfrieren oder von Manne begafft zu werden. Das Handtuch fester binden, vorsichtig nach dem Slip fischen, ein Bein heben und gleichzeitig vorbeugen, um den Slip über den Fuß zu bekommen. Dabei das Gleichgewicht halten.

Die Tür fliegt auf. Joe zuckt zusammen; das Handtuch löst sich und ihre Doppel-Ds genießen die Freiheit. Sie kann gerade noch verhindern, dass sich das Handtuch völlig verabschiedet, indem sie es mit dem freien Arm festklemmt.

Manne steht in der Tür und starrt. Seine nicht gerade makellose Haut unter seiner unmodischen blonden Mähne verfärbt sich noch röter als sonst und seine Finger graben sich in sein zerfetztes KTM-T-Shirt.

»Verdammt, Manne, raus hier!« Sie schlingt das Handtuch wieder um sich, stolpert fast über ihren Slip und wendet sich wutentbrannt dem Azubi zu.

Manne guckt wie vom Blitz getroffen. Das ist zu viel für ihn. Was sich sonst nur in seinen Träumen und in seinem Spind abspielt, hat vor seinen Augen Gestalt angenommen. Reale, süße Gestalt. Wahnsinn!

Er erwacht aus seiner Ekstase, als er unsanft vor die Tür befördert wird. »Mal was von Klopfen gehört?«, tönt es zu ihm rüber.

Joe, auf der anderen Seite der Tür, hat sich schon wieder beruhigt und grinst. Dieser Vorfall macht sie wohl endgültig zur Sexgöttin in Mannes feuchten Träumen und zur Herrscherin über die kleinen Bildchen in seinem Spind.

Sie zieht sich weiter an, Schicht um Schicht, denn es gilt den Naturgewalten zu trotzen. Ihr Umfang wächst beträchtlich. Schließlich fehlt nur noch ihre Lederjacke.

Draußen steht Manne an seinem Spind, noch immer mit roten Ohren, und klappt schnell die Tür zu. Sonst lässt er sie immer extra offen stehen, damit Joe seine Männlichkeit in Form seiner Playboygalerie bemerkt. Aber seine Männlichkeit hat gerade vor Joes geballter Weiblichkeit kapituliert. Also verschwindet er eine Hundertstelsekunde später in Richtung Umkleide. Joe grinst und schließt ihren eigenen Schrank auf. Sie nimmt ihre beiden SHOEI-Helme: Integralhelme sehen zwar uncool aus, wie sie so das Kinn umschließen und die Augenpartie durch ein unvorteilhaftes Visier entstellen. Die wahre Bikerin trägt einen Helm, der kaum seinen Namen verdient und eine Sonnenbrille. Aber sie besucht ihre Eltern und ihre Mutter kriegt garantiert einen Herzinfarkt, wenn Joe nicht mit dem sichersten Helm der nördlichen Hemisphäre anrückt. Außerdem lebt ihre Nase noch, wenn sie am Ziel ankommt.

»Tschüss!«, ruft sie laut. Aus den Tiefen der Werkstatt kommen zwei Antworten. Na bitte, immerhin redet Manne noch mit ihr.

Sie schiebt das Tor zur Straße auf und rollt ihre Maschine raus. Joe kann ihrer Laverda, einer schwarzen 750er, auch bei fünf Grad unter null nicht widerstehen. Sie braucht nur einen Blick auf den Auspuff zu werfen, schon muss sie aufsteigen. Heute fordert ihr bockiger Schatz einige Überredungskünste, bis er sich herablässt zu starten. Aber dann ertönt der verführerische Sound des Motors und Joe schlittert durch die winterlichen Straßen.

An Christophs Haustür klingelt sie Sturm.

»Ich komm ja schon!«, knistert es aus der Gegensprechanlage.

Zwei Minuten später steht er neben ihr auf der Straße, seine Einsfünfundneunzig nur in einer dünnen Cordjacke verpackt. »Du bist wahnsinnig«, sagt er, »ich finde dein Bike ja auch wunderschön, aber wir haben unter null Grad!«

»Jammerliese«, sagt sie.

»Schwester, Berlin hat ein echt gutes U-Bahn-Netz. Wie wär's, wenn wir das näher kennen lernen, damit ich wenigstens ein paar Finger behalte? Mit den Füßen programmieren soll schwierig sein.«

»Chris, du willst deine Finger für was ganz anderes behalten!«, behauptet Joe und startet die Laverda. Chris nimmt schnell den Helm und schwingt sich hinter sie. Mit schnurrendem Motor lassen sie Kreuzberg hinter sich zurück.

Als sie bei den Eltern ankommen, zittert Chris am ganzen Körper.

»Selber schuld«, sagt sie gnadenlos, als sie die Maschine aufs Grundstück schiebt. »Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst dich ordentlich anziehen!«

»Danke, Schwesterherz«, sagt er. »Ich liebe dich auch.«

Die Eltern stehen schon in der Haustür. Jonny, der braunhaarige uralte Familiendackel, ist zur Abwechslung mal wach und wackelt stummelschwanzwedelnd auf die Besucher zu. Joe gibt ihrem Vater einen Kuss auf die dunkle Wange. »Herzlichen Glückwunsch zum Zweiundfünfzigsten, Klaus.«

»Danke, Große.«

Im Haus weht ihnen der Duft von frisch gebratenem Fleisch entgegen. Joes Magen knurrt begeistert. Christoph wühlt in seinem Rucksack nach dem gemeinsamen Geschenk. Sie haben Klaus südafrikanischen Rotwein gekauft.

»Namibia gab's nicht«, sagt Chris bei der Übergabe. Klaus ist in Namibia aufgewachsen.

»Johanna«, sagt Joes Mutter, als sie schließlich bei Filetsteak und Pommes sitzen, dem Lieblingsessen des Vaters. »Was macht denn deine Motorradkarriere?«

Joe presst die Lippen aufeinander. Das schon wieder. »Nichts«, sagt sie. »Ich arbeite einfach nur in der Werkstatt. Ich bin kein Rennen gefahren seit letztem Herbst. Ich fahre bloß zur Arbeit und sonst gar nicht.« Den Unfall von heute Morgen erwähnt sie lieber nicht.

Ihre Eltern sehen sich resigniert an. »Johanna, du weißt doch, wir machen uns Sorgen. Wir hatten die Diskussion doch schon hundert Mal.« Die Mutter ersticht eine der Pommes. »Egal, wie gut du fährst, du wirst Unfälle haben. Und du weißt doch, dass Christoph die Werkstatt bestimmt nicht übernimmt.«

Weil Chris sich nur für Computer interessiert. Und für Frauen.

»Ja, Mama«, sagt Joe.

»Also, Joe, erzähl doch mal«, ihr Vater setzt sein gutgelauntes Gesicht auf. »Wie läuft es denn in der Werkstatt? Wann steigst du von Motorrädern auf Autos um und arbeitest mit mir zusammen?«

Joe seufzt. Wenn das Leben doch nur irgendeine Herausforderung zu bieten hätte außer Crossrennen! Aber Abendessen mit ihren – sehr geliebten – Eltern und Schrauben an fremden Maschinen sind ihr einfach nicht genug. Und wenn Bertie, ihr Boss, sie das nächste Mal fragt, ob sie einspringt für irgendwen aus seinem Crossteam, wird sie ja sagen. Wieder. Egal, was ihre Eltern davon halten.

***

Als Joes Telefon klingelt, ist sie froh, ein Weilchen aus dem Zimmer zu kommen. Sie guckt aufs Display: Tiffy. Die Frau von heute Morgen.

»Hey«, sagt sie, als sie das Gespräch annimmt, »was machen die alten Knochen?«

Lachen aus dem Hörer. »Gut geht's denen«, sagt Tiffy. »Was macht deine Maschine?«

»Alles roger«, sagt Joe. »Hattest du Stress in der Arbeit?«

»Nee, du?«

»Nein, ich sowieso nicht.« Joe wartet. Tiffy hat angerufen, sie wird schon sagen, was sie will.

»Hör mal«, sagt die dann auch, »du hast doch erzählt, dass du Schlagzeug spielst.«

»Jaaa«, sagt Joe gedehnt, »ist schon ein bisschen her, aber ich war mal ziemlich gut.«

»Und du magst die Argonath.«

»Das kannst du laut sagen!«

»Hast du mal darüber nachgedacht, in einer Band zu spielen? Also, 'ner Rockband, vier Leute auf einer Bühne und so?«

Joe atmet aus. »Nein«, sagt sie dann. »Hab ich nicht. Hast du denn 'ne Band?«

»Nein«, sagt Tiffy. »Aber ich hatte mal eine und ich hätte gerne wieder eine. Ich habe einen Haufen fertiger Songs zuhause, die nur darauf warten, gespielt zu werden.«

»Klingt spannend«, sagt Joe. »Das könnte Spaß machen!«

»Kennst du jemanden, der Bass spielt oder Keyboard? Das wäre meine Traumbesetzung ...«

Joe denkt nach. »Ich weiß, dass eine aus meinem Fitnessstudio Gitarre spielt. Keine Ahnung wieso, die ist sonst mehr der Marathonlauf-Typ. Aber die kann ich ja mal fragen, ob sie auch Bass spielt!«

»Cool, mach das. Und ich hör mich auch um.«

»Klingt gut. Ich gehe am Donnerstag wieder ins Fitnessstudio, dann rufe ich dich an.«

»Bis bald.«

»Bis bald.«

Joe hängt auf. Eine Band. Das klingt gut. Das klingt nach Aufregung. Und nach Adrenalin. Hat ihr jemand zwischen Himmel und Erde zugehört, wie sie sich über ihr langweiliges Leben beschwert hat?

Kapitel 3 MAJA

Maja mag die Frühschicht nicht besonders. Frühschicht bedeutet, perfekt portionierte Stückchen für den Fruchtsalat zu zaubern. Mit Äpfeln, Erdbeeren und Melonen, die mit der Hydra verwandt sind: Aus jedem geköpften Apfel wachsen zwei neue. Wie sonst erklärt sich, dass sie trotz des unablässigen Einsatzes von Majas Messer nicht weniger werden?

Frühschicht bedeutet, Molkedrinks mit Erdbeergeschmack für die Spezies der Büroarbeiterinnen zu mixen, die ihre chronisch unterforderten Vitra-Stuhl-Muskeln noch vor neun Uhr früh durch die Maschinen jagen will.

Frühschicht bedeutet einen langweiligen Morgen, denn weder Maja noch Chantal, ihre Trainer-Leidensgenossin, bekommen um die Zeit etwas halbwegs Interessantes über die Lippen.

Und vor allem bedeutet Frühschicht, dass sie um sechs Uhr aufstehen muss. Ein wahr gewordener Albtraum. Jedes Mal.

Immer noch sandäugig wankt Maja etwas zu spät auf die Straße. Sie teilt die Bahn mit Handwerkern und Bauarbeitern, die auch zu dieser undankbaren Zeit anfangen müssen. Die haben allerdings schon Sprüche auf den Lippen. »Da brennt's«, sagt einer. »Pippi Langstrumpf«, der daneben. Maja hat sie alle gehört, die Sprüche über Rothaarige. Wenn man rothaarig ist und dazu noch schlank, durchtrainiert und fast eins achtzig, ist es noch schlimmer. In diesen Momenten würde Maja alles für ein Auto geben, aber sie darf ja nicht mal den Führerschein machen.

In der Stadtmitte steigt sie aus und rennt, um Zeit gutzumachen. Die Treppen hoch, die Friedrichstraße runter. Rennen kann sie immer, zu jeder Tageszeit. Sogar um drei vor sieben. Als sie endlich die Glastür des Studios passiert, postiert Chantal sich gerade erst hinter der Theke und bringt sogar ein leichtes Heben der Hand zustande. Eine einsame Kundin hält ihre Mitgliedskarte in die Luft. Maja sprintet in die Umkleide.

Dann heißt es also Früchte hacken und freundlich zu den Kunden sein. Die Damen kommen rein, präsentieren ihre Mitgliedskarten und bekommen einen Schrankschlüssel. Maja verkauft Fruchtsalat und griechischen Salat, macht Cappuccinos und verteilt Termine für Personal-Trainer-Stunden. Wie immer mit dem leichten Neid, dass sie nie ein Personal-Trainer sein wird. Weil das Schicksal es nicht gut mit ihr gemeint hat. Sie schluckt den alten Schmerz gekonnt hinunter. Nicht dran denken, dann geht's wieder. Und vom Trainieren kann sie keiner abhalten. Nicht mal ihr Arzt.

Als ihre Mittagspause beginnt, schlüpft sie in ihre Jacke und freut sich auf einen Spaziergang die Friedrichstraße hinunter. Lunch mit ihrer Mutter in der Galerie Lafayette ist jetzt genau das Richtige. Maja liebt das Essen aus dem französischen Nobelkaufhaus, und wenn ihre Mutter bezahlt, kann sie es sich sogar leisten. Sie tritt aus der Tür und will gerade losstürmen, als von der Seite jemand auf sie zukommt.

»Hey«, sagt der blonde Typ zu ihr. »Wie geht's?«

Sie traut ihren Augen kaum. Was will der denn? »Gut geht's«, sagt sie so oberflächlich wie möglich, »und selbst?«

»Ja, okay. Hör mal, ich muss mit dir reden.«

Majas Alarmsirenen schrillen ohrenbetäubend. »Was gibt's denn?«, fragt sie mit falschem Lächeln, dabei weiß sie genau, was es gibt. Dass der ihr zur Mittagspause auflauert!

Der Typ guckt dann auch dementsprechend zerstört. »Du weißt, was es gibt. Nach allem, was zwischen uns war! Wie kannst du nur so sein?«

Maja seufzt und lässt die Maske fallen. »Also gut«, sagt sie, »wie kann ich so sein? Ich kann. Ich bin nicht an Beziehungen interessiert. Ihr Jungs könnt noch so nett und ehrlich sein, ich will keine Beziehung. Ich traue keinem von eurer Sorte. Du bist ein netter Kerl. Du verdienst eine nette Freundin und das bin ich nicht. Okay?«

Seine dunklen Augen wirken riesig. »Also hat dir das alles nichts bedeutet?«

Maja blickt ihn offen an. »Nein. Tut mir leid. Sex bedeutet nichts. Du bedeutest mir nichts.«

Er sieht aus, als hätte sie ihm ein Messer ins Herz gerammt. Hat sie wahrscheinlich auch. Aber sie kann sich nicht verlieben. Sie hat gesehen, was Liebe aus ihrer Mutter gemacht hat. Eine gebrochene Frau. Das wird ihr nicht passieren. Nicht in diesem Leben.

Er dreht sich auf dem Absatz um und geht. Zum Glück. Maja atmet durch. Ist ja nicht so, dass es einfach wäre. Aber sie hat genug Probleme mit ihrem Leben. Sie weiß, dass es auf die Dauer besser für ihn ist. Und er ist ein netter Junge.

Ihre Mutter tritt schon ungeduldig von einem Prada-Slipper auf den anderen, als Maja in der Galerie ankommt.

»Maja, wie viel Lektionen zum Thema Pünktlichkeit brauchst du denn noch?« Sie blickt vorwurfsvoll aus ihren sorgsam geschminkten Augen und wirft ihr perfekt frisiertes Haar zurück.

Maja küsst ihre Mutter auf die Wange. Wie stets umfängt sie der Duft nach Chanel No. 5. »Entschuldige«, sagt sie, »ich hatte eine unschöne Begegnung.«

Die Mutter zieht eine ihrer wohlgeformten Augenbrauen gen Himmel. »Was soll das denn nun wieder heißen?«

Maja zuckt mit den Schultern. »Unwichtig. Was essen wir?«

Sie reihen sich in die Schlange an der Theke und ordern aus der Vitrine. Die Mutter nimmt natürlich nur Gemüse. Aber so wie sie mit Mitte fünfzig aussieht, scheint sich das gesunde Leben ja zu lohnen. Maja hat die feste Absicht, es ihr gleichzutun.

»Wann steht denn nun die nächste Untersuchung an?«, fragt die Mutter, als sie sich an einem der Tische ausbreiten.

»In ein paar Wochen«, sagt Maja. »Vierter März oder so.«

»Und, hast du das Gefühl, es hat sich was verändert?«

Maja atmet tief durch. Warum fragt ihre Mutter das? Sie weiß es besser! »Nein«, antwortet sie laut, »kann ich nicht sagen.«

Glücklicherweise hat die Mutter den gereizten Unterton erkannt. »Ich hoffe ja nur«, sagt sie beruhigend. »Ich wünsche dir doch nur, dass dein Leben eine andere Form annimmt, als in einem Fitnessstudio Obst zu schneiden.« Sie piekt mit der Gabel in einen marinierten Zucchino.

Maja rührt in ihrer Latte. »Ich weiß«, sagt sie schließlich. »Wenn bei dieser Untersuchung nichts rauskommt, mache ich mir Gedanken. Obwohl ich im Fitnessstudio glücklicher bin als an jeder Uni.«

Die Mutter blickt sie an und greift nach ihrer Hand. »Kind, das ist das Wichtigste. Mit so einem Schicksal ... und dann willst du auch noch keinen Mann ... Ich möchte, dass du glücklich bist. Mehr als alles andere.« Sie drückt Majas Hand und sie reden über oberflächliches Zeug wie Frisuren und Klamotten.

Der Rest des Arbeitstages ist wie immer. Sie kann es kaum erwarten, endlich Feierabend zu haben. Und endlich ist es vier und Maja kann sich umziehen. Sie schlüpft in ihre Turnschuhe und ihre Sportklamotten.

Auf dem Laufband freuen sich fünfzehn Kilometer auf sie. Dem ersten Halbmarathon des Jahres ist es egal, ob Maja fit ist. Aber Maja ist es nicht egal, ob sie unter anderthalb Stunden läuft. So lauscht sie der Musik auf ihrem iPod und frisst Kilometer. Und ist glücklich. Für den Moment. Nach erfolgreichem Training legt sie den Weg zur Dusche zurück, als sie jemand festhält: Es ist eine der Kundinnen. Die halbschwarze Motorradbraut.

»Hey«, Maja lächelt sie an. »Wie geht's?«

»Gut«, sagt sie, »und selbst?«

»Gut, habe gerade mein erstes langes Training für den Halbmarathon im März gemacht, ging besser als erwartet!«

Die Frau nickt anerkennend. »Halbmarathon, nicht schlecht. Ich komme gerade von der Arbeit. Hör mal, ich wollte dich was fragen. Du hast doch mal erzählt, dass du Gitarre spielst?«

Maja nickt. »Nicht mehr oft, aber ich war mal ganz gut. Wieso?«

»Eine Freundin von mir und ich wollen eine Band gründen. Rein weiblich. Wärst du an so was interessiert? Du müsstest allerdings Bass spielen, Tiffy spielt Gitarre ...«

Maja guckt überrascht. Eine Band. Sie mag Musik und sie mochte ihr Instrument immer. Bassspielen unterscheidet sich kaum von Gitarrespielen.

»Ich kann auch ganz gut singen«, sagt sie langsam, »hatte sogar mal ein Jahr Gesangsunterricht. Was für Musik wollt ihr denn machen?«

»Nicht sicher«, sagt Joe. »Aber ich denke in Richtung Singer-Songwriter-Pop. Gute Songs mit viel Gesang. Tiffy, meine Freundin, schreibt haufenweise Songs.«

»Klingt ja gut«, sagt Maja. »Wie habt ihr euch das denn vorgestellt?«

»Ich hätte wahrscheinlich was, wo wir proben können. Wir wollen uns erst mal Sonntagabend treffen. Und darüber reden. Kennst du das Oktober?«

»Sredzkistraße?«

Joe nickt.

»Ja, cool«, sagt Maja. »Ich hab Lust, mal was anderes zu machen!«

»Sweet«, sagt Joe, »Sonntag um sieben im Oktober.«

Sie tauschen noch Telefonnummern aus. Dann geht Joe zum Training und Maja unter die Dusche.

Kapitel 4 LIZ

Am: Dienstag, 12. JanuarVon: <Maja Edberg>An: <Elisabeth von Weyden>Betr.: Abenteuer?

Hey, Liz,

was macht das Leben, die Liebe und der Rest?

Bei mir ist alles beim Alten. Bis auf eine Ausnahme ... Nein, kein Typ, Du kennst mich. Was viel Besseres.

Liz, wie wär's mit einem Abenteuer? Mal was anderes als Uni und Mann?

Neugierig ;-)?

Sieh Dich auf einer Bühne. Deine 90-60-90 füllen ein Glamour-Kleid – vielleicht das rote aus Seide, das wir neulich in Mitte probiert haben? Scheinwerfer streicheln Deine Haut; Du stehst in einem Meer aus Sound. Hunderte von Augenpaaren hängen an Deinen Lippen, als Du die ersten Worte eines Songs in Dein Mikro hauchst ...

Hey, Liz, wie wär's, wenn wir in einer Band mitspielen?

Gestern im Fitnessstudio hat mich eine angesprochen. Sie meinte, sie und eine Freundin würden noch eine Bassistin und eine Keyboarderin für 'ne Girlband suchen. Ja, ich weiß, Du spielst Klavier. Aber das ist doch fast das Gleiche!

Wäre das nicht der Oberhammer? Wir zwei in einer Band? Was sagst Du?

Wir treffen uns Sonntag im »Oktober« in der Sredzkistraße.

Kannst Du um sieben? Lässt dein Schatz dich weg?

Ich geh jedenfalls hin, würde mich freuen, wenn Du auch kommst.

Big Kiss von

Maja-Bee

***

Liz liest die E-Mail noch einmal, bevor sie Outlook zuklickt. Sie hat sie die letzten drei Tage immer wieder gelesen. Mehrmals. Jetzt ist die Zeit für Taten gekommen.

»Und, gibt's was Interessantes?«, fragt Karl aus der Küche.

»Nein«, lügt Liz, »keine Neuigkeiten.« Sie fährt den Computer herunter.

»Immer das Gleiche«, verkündet Karl, »alles nur Müll. Wozu haben wir denn fortgeschrittene Technologie, wenn doch nichts dabei herauskommt?«

»Hm«, gibt Liz zurück.

»Kommst du zu mir, Schatz?«, fragt Karl.

»Ich komme.« Sie geht vom Wohnzimmer in die Küche und legt den Arm um Karl.

»Setzt du dich nicht hin?«, fragt er.

»Karl«, sagt sie stattdessen und nimmt ihren Mut zusammen. »Ich hab Sonntagabend eine Verabredung.«

Er legt den Arm um ihre Taille. »Oh, was denn?«

Sie atmet durch: »Ich treffe mich mit Maja.«

Er verzieht das Gesicht: »Maja? Du weißt genau, dass ich Maja nicht leiden kann! Ich will keine Zeit mit ihr verbringen!«

Liz presst ihre Lippen zusammen. Sie muss es sagen, es will nur nicht rauskommen. »Ich meine, dass ich was vorhabe, nicht wir.« Sie lauscht dem Klopfen ihres Herzens, während sie auf seine Antwort wartet.

»Sonntagabend? Aber Sonntag ist doch unser Tag.« Seine Stimme bleibt ruhig. Bisher.

Liz ringt mit sich. Es wäre so viel einfacher, zu sagen Stimmt, du hast ja Recht und die Sache zu vergessen.

»Ich weiß«, sagt sie stattdessen. »Aber dieser Termin kann nur dann stattfinden und deshalb brauche ich diese Zeit für mich.«

Sie blickt durchs Küchenfenster und wartet. Unter ihrem umgelegten Arm spürt sie, wie seine Schultern sich verhärten. Die Sekunden bis zu seiner Antwort verticken unendlich langsam. Dann windet er sich aus der Umarmung und dreht sich zu ihr: »Elisabeth, sind dir unsere Abmachungen so wenig wert? Wozu haben wir denn feste Termine, an denen wir Zeit miteinander verbringen, wenn du sie bei der ersten Gelegenheit für deine Freundinnen fallen lässt?« Selbst das ist noch eine überlegte Antwort für Karl.

»Karl«, erklärt sie und beschließt es mit der Wahrheit zu versuchen, »es sind nicht nur Maja und ich. Maja hat da ein Projekt, das ich sehr interessant finde. Und die Leute, die daran beteiligt sind, treffen sich eben Sonntagabend. Verstehst du?«

Er guckt sie überrascht an. »Ein Projekt? Was für ein Projekt?«

Sie wusste, dass die Frage kommt. Das ist ja logisch. Aber sie weiß auch, dass er die Antwort hassen wird. »Eine Band«, flüstert sie, »eine Frauenband.«

Er starrt sie an. »Du machst Witze. Das kannst du nicht ernst meinen.«

Sie schüttelt den Kopf. »Ich meine es ernst.«

»Eine Band? Eine Girlband? Du meinst, mit Auf-der-Bühne-Stehen und Sich-von-Leuten-angaffen-Lassen?« Er lacht. Es ist kein freundliches Geräusch. »Liz, ich kann ja schon so kaum die Typen von dir fernhalten. Du weißt, dass du so ungefähr das schönste Mädchen der Stadt bist. Und wenn du auf einer Bühne stehst und hundert Typen dich anglotzen, wo soll das denn hinführen?« Er schüttelt den Kopf. »Denk auch an deine Familie! Du bist nicht irgendein Durchschnittsmäuschen, Elisabeth, du bist eine von Weyden! Was glaubst du, was deine Mutter davon hält, wenn du dich wie eine Schlampe auf die Bühne stellst? Du schuldest ihr wenigstens ab und zu normales Benehmen. Selbst wenn du Literatur studierst und einen Psychologen besuchst. Also, bitte sag mir, dass ich mich nicht so in dir getäuscht habe!«

Liz schluckt. Einmal. Zweimal.

Er hat ja Recht. Ihre Mutter wird es hassen. Und der Gedanke, von so vielen Leuten angestarrt zu werden, ist erst mal beängstigend.

Aber ihr Leben ist eine Sackgasse. Sie braucht Luft.

»Ich liebe Musik«, sagt sie also, statt sich leise in Karls Anweisungen zu fügen. »Ich habe mein Klavier immer gemocht. Und ich verbringe gerne Zeit mit Freundinnen. Ich möchte ja nur hingehen und sehen, was diese Leute so planen. Vielleicht interessiert es mich ja dann nicht mehr.«

Das ist eine Lüge. Wenn die anderen sie in der Band wollen, will sie es unbedingt versuchen. Aber Karl ist so hochrot im Gesicht, dass sie das nicht sagen kann. Dann kommt die Explosion.

»Du bist das selbstsüchtigste Wesen, das ich kenne! Nur weil du eins achtzig groß bist und wunderschön, glaubst du, du musst keine Rücksicht auf andere nehmen, was? Deine arme Mutter, die sich mit deinen Neurosen rumplagen muss und ich, der so viel für dich gibt, sind dir vollkommen egal, wenn es um deine neueste irre Idee geht! Klar, geh zu deiner Mädchenband! Stell dich wie eine Stripperin auf die Bühne und lass dich beglotzen! Mir doch egal! Aber erwarte nicht, dass ich für dich da bin, wenn du das nächste Mal einen deiner Zusammenbrüche oder sonstige Problemchen hast!«

Das ist zu viel. Die Tränen schießen Liz in die Augen. Sie presst die Hände zu Fäusten. »Das ist so gemein, wie kannst du nur so etwas sagen?«, bekommt sie noch raus. Dann dreht sie sich um und flieht ins Schlafzimmer. Die Tür schließt sie hinter sich ab. Sie reißt ein Kleenex aus der Spenderbox und versucht den Tränenfluss zu stoppen. Dies erweist sich schnell als ein hoffnungsloses Projekt. Schwer atmend legt sie sich aufs Bett. Sie tupft sich die Wangen ab. Wieder und wieder. Und doch: Ein unbekannter Teil ihrer Persönlichkeit gewinnt mehr und mehr Kraft. Ihr Wille. Sie will zu diesem Treffen gehen. Sie wird zu diesem Treffen gehen. Sie muss. Sie braucht Luft.

Kapitel 5 MAJA

Durch die dicken, nassen Flocken kann Maja keinen Meter geradeaus sehen. Erst im letzten Moment sieht sie das schwankende Licht auf sich zutanzen. Sie kann gerade noch nach links springen. Arm in Arm mit dem rettenden Baumstamm sieht sie einen Typen auf dem Rad vorbeischlittern. Als hätte er nicht genug damit zu tun, sein Fahrrad auf dem Gehweg zu halten, verfängt sich sein Blick in ihrem. Sie schaut ihm nach, als sein Lächeln vorbeiwischt.

Das Krachen, das einige Sekunden später ertönt, bestätigt ihre Ahnung. »Pass auf, Mann! Guck doch, wo du hinfährst!«

Der Blick über Majas Schulter zeigt ihren kleinen Flirt, sein Rad auf der Erde, die Hände beschwichtigend in der Luft. Die dick verpackte Gestalt vor ihm schüttelt die Fäuste. Maja grinst in ihren Schal und schlittert weiter die Straße runter.

Das Oktober ist voller Touristen. Heute nerven Maja die Touris, können die nicht am Hacke'schen Markt bleiben? Sie zieht ihre Mütze vom Kopf, schüttelt den Schnee ab und wuschelt durch ihren roten Schopf.

Ist sie die Erste?

Zumindest ist sie nicht die Erste im Oktober: Jeder Tisch ist besetzt. Die Bar auch. Einen Moment lang steht sie herum und scannt die Tische. Joe ist nicht in Sicht. Und dem Verhalten der Männer nach zu urteilen, ist Liz auch noch nicht da.

Vielleicht sind sie hinten? Maja zwängt sich durch.

Die Luft hinten ist zum Schneiden. Weibliche Zweiergruppen analysieren, warum er nicht angerufen hat. Typen erforschen, ob der da auf Männer oder Frauen steht.

Ein blonder Wuschelkopf mit leuchtend grünen Augen sitzt allein an einem Tisch und mustert Maja. Maja schaut auf die Uhr. Ups, eine Viertelstunde ist sie schon über der Zeit. Wo ist hier noch gleich das Klo? Ach ja, im Keller. Unten angekommen angelt sie in ihrer Tasche nach dem Plastikröhrchen. In sonnigem Orange leuchtet die Tablette sie an, die Farbe hat die Pharma-Firma wohl zur Aufmunterung der Patienten ausgesucht. Als ob daran irgendwas heiter ist,denkt sie. Aber es ist ja der Gedanke, der zählt. Das sonnige Röhrchen landet wieder in der Tasche und mit einem Schluck aus dem Wasserhahn spült sie die sperrige Kapsel herunter. Schon springt sie wieder die Treppe rauf, zur Tür raus – und voll in den Kellner und sein Tablett. Oha.

Der Kellner, ein blonder Saubermann, hübsch genug, dass er zwischen George Michael und Elton John wählen könnte, strauchelt. Die Gläser auf seinem Tablett tanzen, kippeln, klirren – und Krach! Rotwein fließt über Cleanboys weiße Schürze und Majas beigen Ledermantel.

»Oh, mein Gott!«, intoniert Cleanboy, und Maja riecht das Bouquet von Cab Sauv auf Eichendiele. Sie starrt auf ihren Mantel: Brustabwärts leuchtet die Front bordeauxrot. Auch ihr linker Arm trieft. Sie guckt hoch: Alle starren sie an, inklusive Cleanboy.

»Oh Gott«, wiederholt er. »Oh Gott! Gottfried«, ruft er durch den Laden, »Gottfried, ein Notfall!«

Cleanboys Kollegen eilen herbei. Sie erkennen den Ernst der Lage sofort. Jedenfalls für Cleanboy. Einer – Gottfried? – hastet mit karierten Küchentüchern herbei und widmet sich voll Inbrunst Cleanboys Schürze. Maja und ihr rot-beiger Mantel stehen einsam herum. Sie beobachtet den Auftritt von Cleanboy und Gottfried, der Cleanboys wertvollste Körperteile abtupft, und beißt sich auf die Unterlippe. Ihr Mantel tropft vor sich hin. Jetzt bloß nicht loslachen!

Kapitel 6 TIFFY

Oh Mann, findet die sich schön,dachte ich, als die Rothaarige hereinkam. Da stand sie: groß, perfekt frisiert, mit blauen Strahleaugen und einem Gesicht voller Sommersprossen. Alles an ihr strotzte nur so vor Gesundheit. So eine Fitnessstudio-Schönheitskönigin.

Die Typen haben sich nach ihr umgedreht, nicht aufdringlich, aber jeder nicht-schwule Mann im Oktober hat mitbekommen, dass sie da ist. Sie hat sich im Café umgesehen und ist in den Keller verschwunden, wo die Toiletten sind. Als sie dann wieder aufgetaucht und volles Pfund in den Kellner reingesprungen ist, mussten alle im Oktober lachen. Ich konnte sehen, dass sie sich mächtig zusammenriss, nicht mitzulachen, weil sie den Kellner nicht ärgern wollte. Ihr wird ein halber Liter Rotwein auf ihren sauteuren Mantel geschüttet und sie findet es komisch!

Als sich dann alle nur um den Kellner mit der kochfesten Baumwollschürze gekümmert haben, musste ich einschreiten. »Rette deinen Mantel!«, rief ich im besten Möchtegern-Feldwebel-Tonfall und streckte ihr meine Tempos entgegen. Ihr Lächeln war wie die Sonne und ich schnappte mir den nächstbesten Kellner: »Mineralwasser!«

Als ich das gute Perrier dann großzügig über den Ledermantel kippte, quiekten die Rothaarige und der Kellner gleichzeitig los.

Ich hielt ihnen eine Rede über Rotweinfleck-Bekämpfung. Mitten in unserer Mantel-Rettungsaktion hörten wir plötzlich: »Hey, was geht denn hier ab?«

Da stand Joe, meine Unfallgegnerin, wieder in Leder gewandet, mit einem Helm unter dem Arm und den Blicken der Männer auf ihrer ausladenden Vorderseite.

Joes Blick ruhte allerdings auf dem Desaster auf Majas Mantel. »Du scheinst ja die Katastrophen nur so anzuziehen«, sagte sie, nun den Blick auf mich gerichtet. »Vielleicht solltest du Warnhinweise verteilen, bevor noch einer ernsthaft Schaden nimmt.« Sie zwinkerte mir zu. »Na, ihr zwei kennt euch jetzt ja schon.«

Die Rothaarige und ich kreuzten prüfende Blicke.

»Maja«, stellte sie sich vor, »Gitarre, Bass und Altstimme.«

»Tiffy, Gitarre und Sopran.« Ich wartete auf den Witz, aber er kam nicht. Damit hatte sie mich endgültig gewonnen. Ich lud beide an meinen Tisch ein und nach kurzer Tuchfühlung bastelten wir wilde Musikpläne.

Kurz vor acht meinte Joe zu Maja: »Hattest du nicht von einem elfenhaften Klavierwunder erzählt?«

In dem Moment wurde es vorne im Oktober still.

Maja grinste nur: »Da kommt sie.«

Ich dachte: Kann sie hellsehen, oder was?

Aber wie sich herausstellte, wusste sie, wovon sie redet. Herein kam diese blonde Fee. Was heißt kam rein, sie schwebte. Die Flügel hatte sie wohl unter ihrer Daunenjacke versteckt. Sie hätte mir locker auf den Kopf spucken können, so groß war sie. Ihre Haare saßen übertrieben perfekt, wie in so einer L'Oréal-Werbung. Leicht gelockt flossen sie bis runter zur Taille, glänzend wie ein Goldschatz. Von Spliss natürlich keine Spur. Ihre Beine steckten in Jeans und erstaunlicherweise konnte sie mit meterhohen Stelzen laufen, ohne zu stolpern. Und hatte sie den Anstand, in Jeans auch nach in-Jeans auszusehen?

Natürlich nicht. Es sah aus wie ein Designeroutfit. Glamour total. Wie kann man sich nur so aufstylen, wenn man ins Café geht?

Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Die Augen der Frauen bekamen diesen giftigen Rivalinnen-Ausdruck und den Hetero-Jungs floss der Sabber das Kinn runter. Sogar die Schwulen rissen die Augen auf, als die Fee in den hinteren Raum blickte.

Die rote Maja beobachtete Joe und mich genau. Joe hatte ihr Mini-Grinsen auf den Lippen. Und ich sah wahrscheinlich aus, als hätte ich gerade eine Bürste verschluckt. Dann kam die Fee zu uns an den Tisch geschwebt. Maja löste ihre Blicke von uns. »Hallo, Liz«, sagte sie.

»Bee, gut, dass ihr noch da seid!« Die Fee lächelte. »Es tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich musste noch Karls neue Golfhose umnähen. Das ist ihm natürlich genau dann eingefallen, als ich gehen wollte.«

»Typisch Karl«, gab Maja zurück.

Die Fee drehte sich zu Joe und mir um. Plötzlich war sie ganz vorsichtig, wie eine Feldmaus aus einem Heinz-Sielmann-Film, die ihr schwarzes Näschen in die Luft hält und nach Feinden wittert. Natürlich war sie hundertmal größer als eine Feldmaus.

»Guten Abend, mein Name ist Elisabeth, oder Liz.«

Joe stand schon und streckte ihr die Hand entgegen. Ein historischer Moment: Die Königin der schwarzen Leder-Amazonen trifft die Prinzessin der blonden Feen.

»Hi, ich bin Joe, deine neue Schlagzeugerin!« Joes Lächeln war echt und ermutigend. Die Fee lächelte erleichtert zurück und schüttelte Joes Hand. Dann wandte sie sich zu mir.

Ich saß hinter dem Tisch und starrte dieses blonde Wunder an. Wenn es einen Gott gibt – und irgendwer muss ja John zu mir geschickt haben –, wieso gibt es dann Leute wie mich; eins sechzig, strubbellockig und ganz süß und Leute wie diese Liz; eins achtzig, Modelfigur und in jeder Hinsicht perfekt? Konnte Wer-auch-immer seine Gaben nicht gerechter verteilen?

Bevor meine dunkle Seite gewinnen und ich eklig – und unreif, ich weiß – zu ihr sein konnte, meldete sich die Vernunft: Mit so einem Gesicht in der Band übersieht uns keiner. Mit so einer Frau kriegen wir einen Plattenvertrag.

Also zwang ich meine Mundwinkel dazu, sich aufzurichten. Es fühlte sich an, als ob ich mir den Kiefer aufbreche. »Hi, ich bin Tiffy.« Ich wartete, aber wieder kam der Witz nicht. Sesamstraße ist wahrscheinlich Dimensionen unter Feen-Niveau.

Jetzt sitzt sie mir gegenüber und ist ganz still und lächelt ab und zu. Die Jungs starren nicht mehr ganz so oft hierher. Joe schreibt auf, wer was für Instrumente besitzt und wo wir den Rest herkriegen. Ihr Vater hat 'ne Werkstatt und in ein paar Kellern, die dazu gehören, proben schon Bands. Unter anderem die von Joes Onkel. Bei denen will sie uns unterbringen.

»Ich bin mir sicher, dass mein Onkel uns das Equipment benutzen lässt«, erklärt sie gerade. »Die haben Verstärker, Orgel, Schlagzeug – also eine gute Grundausrüstung. Wir brauchen nur noch Gitarren und Bass.«

»Was macht denn die Band von deinem Onkel für Musik?«, will Maja wissen. Joe lacht; ein dunkler, angenehmer Laut. »Die spielen Schlager nach. So à la Da steht ein Pferd auf dem Flur.« Okay, da muss sogar ich lachen. Aber sonst stehe ich unter akutem Schock. Wie soll mein breithüftiges Ego es nur mit dieser blonden Fee aushalten?

Kapitel 7 TIFFY

Der schlimmste Tag der Woche ist Montag. Behaupten jedenfalls alle. Bob Geldof singt: Tell me why I don't like Mondays. Die Bangles meckern über den Manic Monday. Und der Neumond ist montags, New Moon on Monday, behauptet Simon LeBon.

Aber sie liegen falsch. Alle.

Der wahre Katastrophentag ist Dienstag.

Ich – und der Rest der Welt – erliegen der trügerischen Sicherheit, dass der schlimmste Tag der Woche vorbei ist. Und regelmäßig passieren die schrecklichsten Dinge dienstags. Der elfte September war ein Dienstag. Die Challenger, der NASA-Space-Shuttle, explodierte an einem Dienstag. Und der Erste Weltkrieg begann an einem Dienstag.

Das sagt ja wohl alles.

Und an diesem Dienstag war unsere erste Bandprobe.

Morgens waren meine Augen völlig verklebt, weil ich die halbe Nacht vergeblich auf John gewartet habe. Vor den Graben, den ich ins Parkett gelaufen hab, stelle ich demnächst ein Warnschild. Mehr als zwei Wochen ist es her, dass John das letzte Mal da war. Zwei Wochen, in denen ich jede Nacht gehofft habe, dass er kommt, und zwei Wochen lang jede Nacht umsonst. Wenn ich daran denke, dass er mich verlassen hat, würde ich mich am liebsten vor die U-Bahn werfen. Aber die BVG – Bin-Voll-Geizig – kann sich wahrscheinlich sorgfältiges Fahrgastabkratzen nicht leisten. Und dass meine sterblichen Überreste über das gesamte Berliner Schienennetz verteilt werden, will ich meinem Vater nicht zumuten.

Bei Sound and Drumland hatte mein Chef die mieseste Laune des Jahres. Es war Tag des Horrorjobs: Alle Gitarren brauchten neue Saiten. Alle! Das passiert einmal im Jahr und letztes Mal hab ich mir den Job mit Mario geteilt. Aber diese Woche hat Mario frei und der Job blieb an mir hängen. Meine Finger bluteten schon mittags. Und diesmal übertreibe ich nicht.

In der Mittagspause rief mein Vater an und fragte, ob ich abends zum Essen komme. Das heißt in Papa-Code: Tiffy, ich bin depressiv, kannst du dich um mich kümmern? Aber ich hatte ja andere Pläne. Mitten an der Theke von Sandwich-King musste ich also nicht nur den Verkäufer zum wiederholten Mal überzeugen, dass Kartoffeln auf einem Sandwich nicht pervers sind, sondern auch noch meinem Vater – und allen anderen in dem Laden – erklären, was ich abends vorhatte.

Die zwei fünfzehnjährigen Typen links glotzten dämlich: »Ey, Madonna, oder was?« und »Ey, Britney, gehen wir mal zusammen aufs Klo?« Der in sein Handy faselnde Anzugtyp rechts von mir rollte seine Augen gen Himmel und wiederholte seine Aktienkurse ein wenig lauter. Na ja, ich bin es gewohnt, dass Leute mich seltsam finden.

Jetzt ist es kurz vor acht und ich fahre vom Yuppie-Stadtteil Prenzlauer Berg nach Kreuzberg, wo man jetzt wieder wohnt, wenn man cool ist. So wie Joe.

Ich könnte auf der Stelle einschlafen, trotz des schräg singenden Gitarrenspielers in meinem Abteil. Aber endlich, endlich kommt der schöne Teil des Tages: unsere Bandprobe. Gut, die Anwesenheit der blonden Fee wird mich wieder an meine Unperfektion erinnern. Aber Maja und Joe sind echt nett. Und wir spielen meine Songs. Meine seit Jahren in der Schublade befindlichen Songs können sich endlich dem Tageslicht zeigen! Oder mehr dem Glühbirnenlicht des Kellers, wenn ich mich an Joes Beschreibung erinnere. Aber das Wichtigste in meinem Leben – meine Lieder – wird in den nächsten Stunden eine Hauptrolle spielen. Ich kann es kaum erwarten. Auch wenn meine Lider fast dem Sog der Schwerkraft erliegen. Die U-Bahn hält am Görlitzer Bahnhof, und ich steige aus in die kalte Nacht. Prompt steht mir die nächste Prüfung bevor: Zwei Wagen weiter vorne steigt Liz die Fee aus. Eine peinliche Sekunde lang will ich mich hinter dem Fahrkartenautomaten verstecken. Zum Glück vergeht der Impuls, bevor ich ihm nachgebe, denn sie hat mich schon gesehen.

Meine Kiefer protestieren, als ich sie in dieses unnatürliche Grinsen zwinge.

»Hallo, Tiffany!« Liz lächelt sehr nett. Und ganz entspannt, wie mir scheint.

»Hi«, presse ich zwischen meinen verkrampften Lippen hervor.

Ich weiß nicht, wie mein Ego und ich es zum Proberaum schaffen. Liz die Fee erzählt, sehr nett, sehr höflich, von ihrem Literatur-Studium und von ihrem Freund Karl, der Zahnarzt ist. Literatur! Karl! Zahnarzt! Ich wünsche mir, ich könnte wie Agent Smith aus Matrix ihre Lippen zuschweißen. Aber ich bin nur Tiffy Lessing und arbeite bei Sound and Drumland. Keine zugeschweißten Lippen auf ihrer Seite. Nur zu gespannte Nerven auf meiner.

Ich höre mir also an, dass ihr Freund sie vergöttert und furchtbar reich ist – gut, das mit reich sagt sie nicht, aber jeder weiß, dass Zahnärzte gleich nach Gelddruckmaschinen kommen. Sie redet von ihrem Literatur-Studium, in dem sie den lieben langen Tag nichts anderes machen muss, als Bücher zu lesen und anschließend darüber zu reden.

Tja, und wessen Finger waren schon vor der ersten Bandprobe wund von einer Million frischer Gitarrensaiten?

Manche Leute werden eben auf der Sonnenseite des Lebens geboren.

Im Werkstatthof treffen wir Joe und Maja. Liz und Maja begrüßen sich Küsschen links, Küsschen rechts. Ich glaube, Maja hat wirklich kein Problem mit dieser flügellosen Fee. Wie macht sie das nur?

Dann gehen wir in den Übungsraum.

Der stinkt nach Bier und kalten Kippen. Der Veloursteppich schmatzt beim Drauftreten und war wohl mal grün –in seinem letzten Leben. An den Wänden kleben gelbe Schaumstoffstücke und braune Eierpaletten. Aus dem Nachbarraum höre ich trotzdem noch Bässe. An der hinteren Wand steht ein Schlagzeug, rechts eine Orgel und ein abgedecktes Keyboard, links ein Gitarren- und ein Bassverstärker.

Ich bin im Paradies!

Ich springe zum Gitarrenverstärker und mache meine Gitarre klar – meine heißgeliebte Les Paul. Das Plektrum schon im Anschlag drehe ich mich zu den anderen um. Maja macht gerade ihre ersten Schritte auf dem feuchten Velours und Liz ist glaube ich grün angelaufen, so genau kann ich das bei dem Licht nicht erkennen. Nur Joe macht sich schon am Schlagzeug zu schaffen, ihr Markenzeichenlächeln auf den Lippen. Als sich unsere Blicke treffen, verdrehen wir theatralisch die Augen und müssen beide lachen. Das wird noch ein langer Weg. Dann gehen wir erste Hilfe leisten.

Als ich Liz erreiche, hat sie ihre goldene Hautfarbe wiedergewonnen und auch die Orgel gefunden. Sie drückt vorsichtig auf die Tasten – nichts passiert.

»Die müssen wir erst anschließen, Liz«, sage ich betont beiläufig. »Funktioniert nur mit Strom.«

»Oh«, sagt Liz.

Ich suche ein Klinkenkabel und stecke es in ihren Verstärker. Liz untersucht die Orgel mit chirurgischer Präzision nach dem Einschaltknopf. Klack – sie hat ihn gefunden.

»Au!« Maja zupft lange Haare unter ihrem Bassgurt vor. Ich begutachte ihren schwarz-weißen Fender-Jazz-Bass, gern gekauft bei Sound and Drumland. »Hey, ein Klassiker. Deiner?«

Maja schüttelt ihren Rotschopf: »Der beste Freund von meinem kleinen Bruder ist jetzt Gitarrist. Hat meine Nighthawk-Gitarre dafür bekommen.«

Ich sehe mich nach Liz um. Die drückt wieder die Tasten, diesmal energischer, aber es passiert immer noch nichts.

»Liz«, sage ich. Die Fee hat ihre perfekte Stirn in konzentrierte Falten gelegt und hört mich nicht.

»Liz«, sage ich lauter.

»Wie bitte?« Liz guckt hoch.

»Du musst das andere Kabelende in die Orgel stecken!«