Friesische Märchen -  - E-Book
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Beschreibung

Rund 120 Märchen versammelt dieser Band aus den drei Gebieten an der Nordseeküste, in denen im 19. und 20. Jahrhundert noch Friesisch gesprochen wurde: dem niederländischen Westfriesland und den deutschen Regionen Nord- und Ostfriesland. Ob Zaubermärchen, Predigtanekdote, Räubernovelle oder Tiermärchen, ob Geschichten über Teufel, Tod und Riesen oder Pfarrers Lust und Leid – es zeigt sich in diesem Erzählgut eine explizite Vorliebe für das Moralisierende wie auch für das Obszöne.

Die Diederichs-Reihe »Märchen der Weltliteratur« ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.

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Seitenzahl: 433

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Friesische MärchenHerausgegeben und übersetzt von Jurjen van der Kooi uund Babs A. Gezelle Meerburg
Die Diederichs eBook-Reihe Märchen der Weltliteratur erscheint in alter deutscher Rechtschreibung.
© 2013 Diederichs Verlag, München In der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: Weiss | Werkstatt | München unter Verwendung eines Motivs © shutterstock
ISBN 978-3-641-13952-0V002
www.diederichs-verlag.dewww.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

Zaubermärchen
1. Das Märchen vom Hirten2. Der Junge mit seinen drei Hunden3. Von Anske, vom Müllerknecht und vom Bäckerknecht4. Die drei Königstöchter5. Das Geisterschloß6. Von der Königstochter und vom Bettler7. Vom Herrn, der auszog, um Land zu kaufen8. Die drei Brüder9. Die drei goldenen Haare10. Das Findelkind und die Prinzessin11. Der Junge mit dem Apfel und der Birne12. Die hundert Hasen13. Klein Jan im Papierhäuschen14. Das Gespenst in der Mühle15. Der Zwerg Gebhard16. Kleine Eelke und Große Eelke17. Aschenbrödel Zaunsiedel18. Der Kaufmann19. Die zwei Saatkrähen20. Von Kiwit der Kawit21. Die Königsblume22. Die diebischen Zwerge23. Das goldene Bein
Vom Teufel, Tod und Riesen
24. Wie ein armer Bauer dem Teufel viermal in die Speichen griff25. Der Schmied und der Teufel26. Von einer Magd, die einen Freier haben wollte27. Bevor der Hahn kräht28. Von einer Magd, die zum Jahrmarkt gehen wollte29. Menno und Joseph30. Die drei Rätsel des Teufels31. Der Tod und der Arzt32. Vom Riesen und vom kleinen Kuhhirten33. Jan Ohnefurcht
Zum Beispiel: Religion und Moral
34. Kreuze zu tauschen35. »Folge mir!«36. Die Schutzengel37. Der fremde Mäher38. Jan Knüppelklotz und sein Weiblein.39. »Oh, Adam!«40. Die Grundherrin als Bettelweib41. Belohnte Mildtätigkeit42. Das Mädchen und der Bettler43. »Aufgesessen, wer mit will«44. Ausdauer gewinnt45. Das Pfannkuchenbacken46. Wer das Sagen hatte47. Die Schafe, die geschoren werden sollten48. Den Rechten finden
Novellenmärchen
49. Von einem Mann, der betteln ging50. Vom König, der so gerne Geschichte hörte51. Eine unendliche Geschichte52. Jinne und das reiche Fräulein53. Vom Jungen, der auszog, sich eine Arbeit zu suchen54. Von einem Jungen, der unverbesserlich war55. »Das ist das Bein meines Vaters!«56. Vom König und vom Bauern57. Hundertmal den König sehen58. Das letzte Pferd gewinnt und verliert59. Die mutige Magd60. Ein Eimer im Graben61. Unter dem Boot62. Die Fangprobe63. Der Reiter64. Senf und Essig65. Der Pfarrer und sein Gast66. Das Schloß mit den Eseln67. ... auch wenn die Vöglein es heraussingen müssen68. Die zwei Töpfe mit Geld69. Das Nikolausgeschenk
Von Schalken und Narren
70. Von einem Jungen, der das Stehlen gelernt hatte71. Der Bauer und die Studenten72. Jan Knolli73. Von einem armen Schuster74. Was die Kuh einbrachte75. Ein merkwürdiger Schafhandel76. Das Rote Meer77. Die rote Jacke78. Der Mann mit dem Zylinderhut79. Das Rezept80. Die Stare von Dokkum81. Der Bauer und sein Esel82. Faule Leute in kalten Wintern83. Die Elefanteneier84. Das kurzsichtige Mädchen85. Dümmer als dumm86. Lust und Leid von Jan und Tryn87. Die Schweigewette88. Jeder muß sein Kreuz tragen89. Vom Dieb und seiner redseligen Frau90. Wie eine Frau ihren Ehemann besserte91. Der Mann im Haushalt92. Ein Taler im Hemd93. Der hölzerne Gabe94. Von einem Knecht, der einmal im Jahr der Bauer sein wollte
Pfarrers Lust und Leid
95. Der Pastor und sein Küster96. Das Glasbein97. Der Kandelaber98. Der silberne Löffel99. »Guten Morgen, Herr Pfarrer!«100. Der Heilige Geist101. Der gestohlene Rotkohl102. Das Vaterunser103. Das Geld in der Bibel104. Der Junge wollte zur See105. Trumpf dem Teufel
Lügenmeister
106. Die Lügenwette107. »Es ist die lautere Wahrheit«108. Ein fetter Fang109. Ein großer Hecht110. Bauke, der Eisschnelläufer111. Das Riesenschiff112. »Zum ersten, zum zweiten, zum dritten!«113. Das hagebuchene Evangelium
Tier- und Formelmärchen
114. Der Wolf und der Fuchs115. Von fünf Tieren, die zusammen auf Reisen gingen116. Von einem Fuchs und einem Huhn117. Undank ist der Welt Lohn118. Der Schlafmützenkaufmann119. Der Papagei von Meister Ealse120. Vom Hähnchen und Hühnchen121. Hühnchen und Hahn
Zweisprachige TextprobenCopyright

Zaubermärchen

1. Das Märchen vom Hirten

Es war einmal ein Junge, der wollte gern etwas Geld verdienen. Deshalb ging er auf die Dörfer. Er ging zu einem Bauernhof. Der Bauer stand vor der Tür.

»Bauer, hast du auch Arbeit für mich?«

»Ja«, sagte der Bauer, »ich hätte schon Arbeit für dich. Ich brauche dringend einen Hirten.«

»Wieviel verdiene ich dann?«

Der Bauer nennt eine Summe. Die ist ziemlich hoch, so daß der Junge sich bereits die Hände reibt. Aber o weh, der Bauer sagt weiter:

»Du mußt wohl wissen, was du tust. Ich habe schon mehrere Jungen als Hirten gehabt, und sie sind alle umgekommen.«

»Wie, umgekommen?« Der Junge erschrak.

»Ja, umgekommen. Neben meinem Land liegt ein Stück Land, das drei Riesen gehört. Dort wächst viel besseres Gras als bei mir, und die Schafe ziehen immer dorthin. Bemerken die Riesen das, dann töten sie den Hirten.«

Das sah nicht gut aus, und der Junge dachte kurz nach. Sollte er die Stelle annehmen oder nicht? Er riskierte es. Er nahm sie an.

An diesem Tag brauchte er nicht mehr mit den Schafen hinauszuziehen, weil es dazu schon zu spät war. Was tat der Junge? Er machte sich rasch auf den Weg in die Stadt und kaufte dort beim Wirt eine Flasche Schnaps und beim Apotheker Schlafpulver. Das Pulver mischte er in den Schnaps.

Am nächsten Morgen zog er mit den Schafen los. Die Schnapsflasche hatte er eingesteckt.

Als er eine Weile gegangen war, verließen die Schafe plötzlich den Pfad und liefen auf ein Stück Land; es war ein Wunder, wie das aussah. Es war voll vom herrlichsten Klee. Die Tiere ließen es sich gut schmecken, aber der Junge dachte gleich:

›Das geht schief. Jetzt geraten wir ins falsche Fahrwasser. Das ist bestimmt das Land der Riesen.‹ Deshalb versuchte er mit aller Gewalt, die Schafe von dort wegzutreiben, aber was er auch versuchte, es half nichts. Für die Schäfchen war es das Schlaraffenland, und keine zehn Pferde würden sie wegziehen können.

Da kam ein Riese dazu. Er hatte an seinem Gurt ein großes Schwert hängen.

»Was machst du auf meinem Land?«

Der Junge bekam schreckliche Angst, als er die Stimme hörte. »Die Schafe liefen hierher«, sagte er kleinlaut.

»Nichts als Ausreden, du bist ungehorsam und so sollst du sterben.« Und der Riese hob das Schwert.

Der Junge flehte um sein Leben. Er sei noch so jung und würde es nie wieder tun, und so weiter. Aber es half alles nichts.

»Tot sollst du sein«, sagte der Riese, und schon schwang er das Schwert. Da sagte der Junge:

»Wenn ich denn schon sterben muß, so will ich nicht als dein Feind in den Tod gehen. Ich habe noch etwas in der Flasche. Wollen wir davon einen zu uns nehmen, einen Freundschaftstrunk?«

Das gefiel dem Riesen, und schon bald hatte er die Flasche an den Lippen und trank sie in einem Zug aus, denn er war ja ein Riese. Aber der Trunk kam ihn teuer zu stehen. Als der Schnaps die Kehle hinuntergelaufen war, wurde er plötzlich so schläfrig, daß er ohne weiteres hinsank und sofort zu schnarchen begann, daß die Bäume zitterten.

Jetzt war der Junge im Vorteil. Er schnallte das Schwert des Riesen ab, schwang es hoch und patsch, mit einem Schlag schlug er den Kopf des Riesen ab.

Das war nun ein Feind weniger. Er ließ die Schafe noch eine Weile weiden und die fraßen sich rund und dick. Dann begab er sich froh mit seinem Vieh auf den Weg zum Bauern.

Der Bauer sah erstaunt auf, als der Junge da gesund und munter vor ihm stand.

»Du bist ein Kerl«, sagte er, »die Schafe satt und du völlig unversehrt.«

Der Knecht verriet jedoch nicht, wie er es gemacht hatte. Am selben Abend aber begab er sich wieder in die Stadt, wo er sich nochmals mit Schnaps und Pulver bevorratete.

Der nächste Tag verlief ebenso wie der vorige. Wieder gingen die Schafe auf die üppige Kleeweide, und der Junge konnte sie, was er auch versuchte, nicht davon fernhalten.

Und jawohl, etwas später war schon wieder ein Riese da, noch gewaltiger als der erste.

»Ich werde dir das Handwerk schon legen«, sagte er, und es klang, als donnerte es.

Der Junge, der sich keineswegs wohl in seiner Haut fühlte, setzte wieder all seine Redekünste ein, um sein Leben zu retten und um den Riesen zu erweichen, aber es nützte nichts.

»Du wirst sterben« war alles, was der Riese dazu sagte.

Da holte der Junge die Flasche aus der Innentasche und bot dem Riesen einen Schluck an.

»Ich will doch nicht als dein Feind sterben«, sagte er.

Der Riese, der auf Schnaps versessen war, hatte die Flasche in einem Zug geleert, und sofort darauf war er benebelt und fiel ausgestreckt ins Gras. Der Junge nahm das Schwert, und wie den vorigen Riesen brachte er auch diesen um. ›Das sind zwei Feinde weniger‹, sagte er zu sich.

Und so geschah es, daß er auch an diesem Abend unverletzt mit seinen Schafen zum Bauern zurückkehrte. Der rieb sich die Hände und sagte:

»Du bist geschickt.«

Der Junge aber ging an diesem Abend wieder in die Stadt und kaufte sich Schnaps und Schlafpulver.

Am folgenden Tag kam der dritte Riese zu ihm; er war der letzte. Der war noch gewaltiger und größer als der zweite. Auch er blieb auf der Strecke. Als er im Gras lag und schlief, versetzte der Junge ihm mit dem Schwert einen Hieb, so daß er sofort mausetot war.

Uff, jetzt war der Junge von einer großen Last befreit. Jetzt hatte er keinen Klotz mehr am Bein, jetzt konnte er frei aufatmen. Und nun zum Schloß der Riesen. Die Schafe, die wußten sich schon zu helfen, die hatten ja so viel zu fressen.

Der Junge folgte den Fußspuren der Riesen und kam so in einen Wald, und mitten in diesem Wald, da stand ein großes Schloß. Das war das Schloß der drei Riesen. Er ging einfach hinein und kam zuerst in ein Zimmer, in dem alles aus Silber war: Die Stühle waren aus Silber, auch die Tische, und der Fußboden war mit Silber ausgelegt. Oh, oh, welch große Augen machte der Junge, so etwas hatte er noch nie gesehen, aber er staunte noch mehr, als er in das zweite Zimmer trat. Dort war alles aus Gold. Aber am allerschönsten war dann doch das dritte Zimmer, das von Tausenden von Diamanten und anderen Edelsteinen funkelte. Seine Augen konnten es kaum ertragen, so sehr glitzerte dort alles!

Darauf kam er in den Pferdestall. Wunderschöne, schnelle Pferde standen dort, gut hundert, und alle waren sie mit Silber beschlagen. Der Junge konnte sich kaum satt sehen, aber er war doch auch neugierig darauf, was es sonst noch zu entdecken gab. Er kam in einen anderen Stall, in dem Pferde standen, die doppelt so zierlich waren, wahre Rennpferde, und die trugen alle ein Geschirr aus Gold. Aber als er in den dritten Stall trat, Junge, Junge, er konnte seinen eigenen Augen kaum trauen. Er wußte nicht, daß es solche wunderbaren Pferde gab, so geschmeidig und so graziös, und jedes Pferd war reich mit funkelnden Diamanten geschmückt. Er konnte sich nur mit Mühe von diesem letzten Stall trennen, tat es aber schließlich doch.

Und wohin kam er jetzt? An eine Tür mit drei großen Riegeln. Hastig schob der Junge diese zurück, öffnete die Tür und, du lieber Himmel!, da saß ein Mädchen am Tisch. Ein sehr hübsches Mädchen, und es weinte.

»Wer bist du?« fragte der Junge.

»Ich bin eine Prinzessin. Die Riesen haben mich hier eingesperrt.«

»Ich werde dich befreien«, sagte der Junge. »Weine nun nicht mehr und komme mit mir.« Er nahm die Prinzessin bei der Hand, und das Mädchen lachte schon wieder unter Tränen. Sie erzählte ihm, daß ihr Vater König sei, und sie nannte die Stadt, in der sie wohnte.

»Ich werde dich sofort dorthinbringen«, sagte der Junge, ging zum ersten Stall, nahm daraus ein schönes, schnelles Pferd und setzte die Prinzessin in den Sattel. Dann sprang er selbst hinauf und hui, weg waren sie im Galopp. Im Nu waren sie beim Palast des Königs. Dort setzte er sie mit einem geschmeidigen Schwung auf den Boden und machte sofort kehrt, ehe die Prinzessin ihm danken konnte.

Der Junge ritt schnell zurück in den Wald, und als er zum Schloß der Riesen kam, brachte er das Pferd wieder in den Stall und sorgte dann dafür, daß er selbst wieder zu seinen Schafen kam. Die befanden sich noch am selben Ort und hatten sich rund und dick gefressen. Der Junge führte sie wieder nach Hause zurück.

Der Bauer war beunruhigt. Es hatte dieses Mal so lange gedauert. Er dachte, daß die Riesen den Jungen umgebracht hätten, und nun war er sehr froh, daß ihm nicht passiert war. Der Junge lachte nur ein wenig, erzählte aber nichts von all dem, was er erlebt hatte.

Am nächsten Tag machte er sich wie üblich mit seinen Schäfchen auf den Weg. Er blieb den ganzen Tag bei ihnen auf der Weide, bis es Abend wurde, und kehrte dann nach Hause zurück. Der Bauer hatte eine große Nachricht. »Jetzt werde ich dir was erzählen: Die Königstochter ist wieder daheim. Morgen findet ein Pferderennen statt. Wer gewinnt, darf sie heiraten. Ich will morgen hin, um es anzusehen.«

»Darf ich auch mit, Bauer?«

»Wie, du mit? Du mußt doch die Schafe hüten. Nein, das kommt nicht in Frage. Ich komme keinen Tag ohne dich aus.«

Der Junge versuchte zwar noch eine Weile, seinen Willen zu bekommen, aber es nutzte nichts. Am nächsten Tag zog der Bauer seine guten Kleider an und ritt in die Stadt, während der Junge sich mit den Schafen auf den Weg machte.

Als er aber an den Ort kam, an dem die Schafe jetzt schon vier Tage lang gegrast hatten und wo es rundherum noch überall Klee gab, dachte er: ›So, ihr werdet hier schon genug Unterhaltung haben, ihr kommt heute auch wohl ohne mich aus.‹ Und er begab sich zum Schloß der drei Riesen. Dort öffnete er einen Schrank, der voll schöner Kleider hing, und er zog sich einen prachtvollen, mit Silber abgesetzten Anzug an. Der Anzug saß wie angegossen. Danach ging er in den ersten Stall und suchte sich ein Pferd aus; ein graziöses und geschmeidiges mit Geschirr und Sattel aus Silber. Er und das Pferd paßten genau zusammen.

Der Junge sprang in den Sattel, und da ging es, rutsch, geradewegs in die Stadt, in der er rechtzeitig genug ankam, so daß er noch am Pferderennen teilnehmen konnte. Er gewann weit vor den anderen. Das Pferd flog geradezu dahin. Aber als er am Ziel war und die Zuschauer jubelten, drehte er sich rasch um, und im Nu war er vom Gelände verschwunden. Wo er geblieben war, wußte niemand.

Der Junge sorgte dafür, daß er schnell wieder ins Schloß der Riesen zurückkam. Er brachte das Pferd in den Stall, zog den prachtvollen Anzug aus und seine alten Schuhe wieder an. Jetzt war er wieder ein Hirte.

Die Schafe waren noch am gleichen Ort und hatten sich an allem gütlich getan. Der Junge brachte sie wieder wohlbehalten heim. Der Bauer fing an zu erzählen. Oh, oh, es habe dort einen Reiter gegeben, ganz in Silber. Und wie das Pferd dahin geflogen sei; er konnte nicht aufhören, davon zu erzählen. Aber, so berichtete er weiter, der Reiter sei so plötzlich verschwunden, wie der Blitz. Darum finde morgen wieder ein Rennen statt und er wolle, selbstverständlich, wieder hin.

»Darf ich nun mit?« fragte der Junge.

»Kommt nicht in Frage. Du mußt auf die Schafe aufpassen.«

Am nächsten Tag ging es wie am vorigen. Der Bauer ritt in die Stadt, während der Junge sich mit den Schafen auf den Weg begab. Auch diesmal nahm er den Weg ins Schloß. Jetzt holte er sich die goldenen Kleider aus dem Schrank und zog sie an. Und aus dem zweiten Stall nahm er ein wunderschönes Pferd mit Geschirr und Sattel aus Gold. Er setzte sich darauf. Prunkvoll, wie das aussah! Er sah aus wie ein Ritter, der von der Sonne kam. Er beteiligte sich wieder am Pferderennen, und die Menschen wußten nicht, was sie sahen. Er gewann noch müheloser als das vorige Mal, aber am Ziel drehte er sich genau wie beim ersten Mal einen halben Schlag um und verschwand so schnell und geheimnisvoll, wie er gekommen war.

Im Schloß kleidete er sich um, brachte das Pferd wieder in den Stall und ging mit den Schafen heimwärts. Junge, die Begeisterung des Bauern war noch größer als am vorigen Tag.

»Morgen«, sagte er, »geh ich wieder hin, denn der Reiter hat sich wieder heimlich davongemacht, und jetzt muß wieder getrabt werden.«

»Darf ich mit?« fragte der Junge.

»Du darfst nicht mit«, war die Antwort, »du mußt auf die Schafe aufpassen.«

Der Junge versuchte zwar noch, den Bauern umzustimmen, aber es war umsonst. Der Bauer gab nicht nach.

Am nächsten Tag ging der Junge in den dritten Stall und kam mit einem Pferd heraus, das von Kopf bis Fuß von Edelsteinen funkelte. Auch seine eigene Kleidung war das reinste Glitzern. So, als käme er vom nächtlichen Himmel und hätte sich mit Sternen geschmückt. Alles war wie ein großes Wunder.

So erschien er auf dem Gelände, wo das Pferderennen stattfinden sollte. Die Menschen sahen nur ihn. Er gewann mühelos. Am Ziel wollte er sich wieder davonmachen, aber damit hatte der König gerechnet. Zwei Männer faßten das Pferd bei den Zügeln, und da hatten sie ihn schon. Unter lautem Jubel wurde er vor den König und die Prinzessin geführt, und diese sah sofort, daß er ihr Befreier war.

Jetzt nahm die Freude kein Ende. Es wurde Hochzeit gefeiert; Wochen und Wochen dauerte sie. Das ganze Jahr über flatterten die Fahnen auf den Türmen, im ganzen Reich feierte man. Das junge Paar ließ sich im Schloß der Riesen nieder, und dort lebten sie sehr lange, giücklich und zufrieden ...

2. Der Junge mit seinen drei Hunden

Es war einmal ein Junge, der war Knecht in einem Dorf, in dem er nicht geboren war. Da hörte er, daß seine Eltern gestorben waren. Er machte sich auf die Reise, um sich sein Erbteil zu holen. Als seinen Teil bekam er nur eine Kuh. Damit zog er fort, denn er wollte sie zu Geld machen. Unterwegs begegnete ihm ein Mann, der drei Hunde bei sich hatte. Der fragte ihn:

»Wohin, woher?«

Er gab ihm Bescheid. Da sagte der Mann mit den Hunden:

»Gib mir die Kuh, ich will dir meine Hunde dafür geben.«

»Was soll ich mit den Hunden«, sagte der Junge, »dafür kann ich doch kein Geld bekommen.«

»Tausche nur mit mir«, sagte der Mann, »du hast keinen Schaden davon, denn es sind seltene Hunde. Wo sie hin wollen, da mußt du auch hinlaufen, und wo sie abends ankommen, da bleibst du die Nacht. Dann steht da alles auf dem Tisch, was dein Herz begehrt. Dann kannst du immer essen und trinken, was du am liebsten magst, und dann brauchts du nicht länger bei den Bauern wie ein Sklave zu arbeiten.«

»Ja nun«, sagte der Knecht, »wenn das so ist, so will ich es wagen. Dann mach nur, daß du mit der Kuh fortkommst.«

Nun war der Junge sehr froh, daß er die drei Hunde hatte, und die Hunde waren noch froher, daß sie einen neuen Herrn hatten. Sie tanzten und sprangen um ihn herum und an ihm hoch, als wären sie verrückt, leckten ihm die Hände, wedelten mit dem Schwanz, schmiegten sich an ihn und wälzten sich vor Freude. Endlich rannten sie voraus. Er hinterher, und wenn sie ihm zu weit voraus waren, brauchte er nur auf den Fingern zu pfeifen, und im Nu waren sie wieder bei ihm.

Als es Abend wurde, kamen sie mit ihm an einen Berg, der öffnete sich von selbst. Die Hunde liefen hinein, und er ging hinterher, aufs Geratewohl. Drinnen brannten so viele Lampen wie Tage im Jahr, und ein Tisch stand dort mit allerlei Speisen: man konnte nichts erdenken, was nicht darauf war. ›Aha‹, dachte er, ›so wird es wohl gut gehen, jetzt bist du erst einmal dein Sklavenleben los‹, und er aß sich den Bauch recht voll. Da war auch ein schön gemachtes Bett, in das legte er sich und schlief bis zum nächsten Morgen. Als er sich wieder satt gegessen hatte, nahm er auch noch etwas mit – er steckte sich die Taschen voll –, und dann ging es weiter.

Die Hunde rannten fort, und er mußte folgen. Jetzt liefen sie den ganzen Tag bis zum Abend, und vom Wohin wußte er genausowenig wie die Saatkrähe vom Sonntag. Am Abend kamen sie an ein Haus in einem Wald. Erst rannten die Hunde um das Haus herum, als ob sie sich nicht hineinwagten: endlich jedoch liefen sie hinein. Er ging ihnen nach. Er sah und hörte keinen Menschen in dem Haus. Da legten die Hunde sich ans Feuer, und er setzte sich auf einen Stuhl. So gegen zehn Uhr kamen sieben kräftige, große Kerle in das Haus und sagten:

»Was zum Teufel machst du hier?«

»Ich habe mich verlaufen«, antwortete der Knecht.

»Dann seid ihr, du und deine Hunde, auch wohl hungrig?«

»Das könnt ihr denken; wer den ganzen Tag herumläuft, ohne etwas zu essen, der muß wohl einen großen Hunger haben. Ich und meine Hunde, wir müssen was zu essen haben, und dann werden wir wohl auch bleiben müssen.«

»Das versteht sich«, sagte einer der Kerle, der war wohl der Anführer. »Heute abend kommst du bestimmt nicht weg.« Jetzt gaben sie ihm etwas zu essen und den Hunden was zu fressen.

Als das getan war, sagte der eine wieder zu ihm:

»Es wäre vielleicht besser, wenn wir die Hunde hinausbringen, ich habe es nicht gern, daß sie beim Feuer liegen.« Das taten sie. Sie sperrten die Hunde in einen Alkoven mit einer soliden Tür und schlossen diese dann zu.

Als die Hunde des Jungen fort waren, fing einer der Kerle an zu reden:

»Weißt du wohl, wo du bist?«

»Nein, wie sollte ich das wissen können, ich bin hier noch nie im Leben gewesen«, antwortete Heberg – so hieß der Junge.

»Du bist in einem Mörderhaus, und du mußt sterben«, sagte der Anführer, »aber ehe wir dich töten, will ich dir noch zeigen, was alles in diesem Haus ist. Komm nur mit.«

Nun gingen sie zuerst in eine Stube, darin lagen lauter Männerkleider. Da sagte der Mörder:

»Die Männer, denen diese Kleider gehörten, sind schon alle getötet.« Dann gingen sie in eine andere Stube. Da lagen lauter Frauenkleider.

»Schau«, sagte der Mörder, »die Frauen, die diese Kleider getragen haben, sind bereits alle tot.«

Von dort gingen sie wieder in eine andere Stube, die lag voll Geld.

»Siehst du es«, sagte der Mörder, »das Geld haben wir all’ den Leuten abgenommen, die wir getötet haben. Aber jetzt kommt das Beste.«

Da gingen sie in eine andere Stube. Der Mörder sagte:

»In jedem Krüglein ist eine Salbe, die heilt so stark, daß, wenn man jemandem den Kopf abschneidet, der Kopf sofort wieder festsitzt und der Kerl wieder lebendig ist, wenn man nur die Salbe dazwischen schmiert und dann den Kopf wieder auf den Rumpf setzt. Hier in diesem Krüglein ist eine Salbe, wenn man damit einen Kreis um das Haus schmiert, so können weder Teufel noch Satan da hineinkommen. Und in diesem Krüglein ist eine Salbe, wenn man die an eine Stelle schmiert und jemand setzt sich darauf, so klebt er gleich fest und kann nicht wieder fort, wie gern er auch möchte.«

Heberg hatte zu alledem kein Wort gesagt. Der Mörder fragte ihn, ob er nun alles gesehen und verstanden hätte. Heberg sagte ja.

»Nun, dann mache dich bereit, dann sollst du sterben.«

Als er das hörte, dachte er: ›Warte, ich bin auch noch da!‹ Er pfiff auf den Fingern, nur einmal, und wie wenn es blitzte, so schnell standen die Hunde bei ihm. Er brauchte nur einmal »Faß!« zu sagen, und schon hatten sie den Kerl zerrissen. Dann ging es auf die anderen Kerle los. Die zerrissen sie auch, so daß in dem Haus außer Heberg und seinen Hunden keine Menschenseele lebendig blieb.

Am nächsten Morgen fingen die Hunde wieder an zu laufen, aber Heberg nahm zuerst die drei Krüglein mit, ehe er den Hunden folgte. So gegen Mittag kamen die Hunde zu einer Kapelle, die ganz einsam in der Heide stand. Die Hunde rannten solange um sie herum, bis er dort war. Als er in die Kapelle hineinschaute, saß dort ein Mädchen allein auf einem Stuhl. Es schien tot zu sein. ›Diese Sache muß untersucht werden‹, sagte er zu sich selbst. Er ging zu ihr, betrachtete sie, fühlte ihr den Puls und merkte, daß sie noch nicht tot, sondern nur ohnmächtig war. Er nahm sie auf den Schoß, schüttelte sie bald so, bald so, blies ihr etwas Atem ein, und richtig, sie kam nach einiger Zeit wieder zu sich. Da fragte er sie, was das zu bedeuten hätte, daß sie dort ganz allein gesessen hätte und ohnmächtig gewesen sei.

Da begann sie zu erzählen und sagte:

»Mein Vater ist König hier im Lande und führte vor achtzehn Jahren einen Prozeß gegen einen anderen König. Wenn er den verlieren würde, wäre er das ganze Königreich los und arm und mittellos; würde er ihn gewinnen, so war und blieb er König. Nun stand die Sache so, daß mein Vater verlieren mußte. Er ging umher wie ein Schaf, das sich verlaufen hat und gelangte so zu dieser Kapelle. Ein alter Mann kam zu ihm und sagte, wenn er ihm in achtzehn Jahren das liefern wolle, was er jetzt im Haus habe, aber nicht kenne, so wolle er bewirken, daß er den Prozeß gewinnen würde. Es war der Teufel. Aber mein Vater wußte nicht, daß es der Teufel war und dachte, was ich im Haus habe und nicht kenne, das ist bestimmt nicht viel wert. So ging mein Vater den Handel mit dem Teufel ein. Als er nach Hause kam, war ich inzwischen zur Welt gekommen, und jetzt sind gerade die achtzehn Jahre um, nach denen mein Vater mich hier abliefern muß. Als ich Euch mit den Hunden ankommen sah, dachte ich nichts anderes, als daß Ihr der Teufel wäret, darum fiel ich in Ohnmacht.«

»Wenn es weiter nichts ist«, sagte Heberg, »sei unbesorgt, ich will dich schon retten.« Er nahm seine Krüglein und machte von der einen Salbe einen Kreis um die Kapelle, von der anderen schmierte er etwas auf die Heidehügelchen, die vor der Tür lagen. Es dauerte nicht lange, da kam der Teufel schon. Er konnte jedoch wegen des Kreises nicht hineinkommen und sagte:

»Das Mädchen, das du auf dem Schoß hast, gehört mir.«

»Sogleich«, sagte Heberg, »wirst du sie bekommen, ich hab noch ein wenig mit ihr zu reden; nachher kannst du sie haben. Du bist wohl müde, setz’ dich doch einen Augenblick.«

Ein wenig später kam auch der zweite Teufel. Dem sagte er dasselbe. Und so kamen alle sieben Teufel und ließen sich überreden, sich auf die Heidehügelchen zu setzen. Als sie alle saßen, wollte er versuchen, ob sie auch fest genug säßen. Er sagte zu den Teufeln:

»Nun kommt mal hierher, jetzt könnt ihr sie bekommen.«

Aber als sie aufstehen wollten, da saßen sie fest. Jetzt rangen sie und zappelten sie, der eine stieß gegen den anderen, aber sie saßen fest und konnten nicht aufstehen. Da sagte er zu seinen Hunden: »Faß!« Die Hunde sprangen zu und rissen die sieben Teufel so klein wie Häcksel und Staub. Die Funken und Flammen flogen wohl ein Haus hoch.

Das sah man in der Stadt. Da meinten die Bewohner:

»Jetzt fährt er mit ihr davon.«

Nun sagte der König zum Fuhrmann, der sie hingebracht hatte, er solle zurückfahren und den Leichnam seiner Tochter holen. Denn sie dachten nichts anderes, als daß er mit ihrer Seele davongegangen wäre. Aber wie staunte der Fuhrmann, als er die Teufel da zerrissen liegen und das Mädchen auf dem Schoß eines schönen jungen Mannes sitzen sah! Als der Fuhrmann fragte, wie das zugegangen sei, sagte sie:

»Sieh, dieser hier mit seinen Hunden hat mich von den Teufeln erlöst, und deshalb soll er nun mitfahren und mich dann heiraten, ob er nun will oder nicht.«

Denn sie war ganz und gar in ihn verliebt, weil er so ein schöner Junge war.

Nun stiegen sie in den Wagen, schauten sich um und sagten:

»Adieu, ihr Herren Teufel, habt ihr euren Willen jetzt bekommen?«

Und dann fuhren sie fort. Unterwegs umarmten sie einander und küßten sich. Kurz und gut, es war solch eine Liebe mit den beiden, daß es gar nicht zu beschreiben ist. Den Fuhrmann, der das sah, verdroß die Spielerei. Vom Küssen und Schmusen fielen die beiden im Wagen in Schlaf. Das nutzte der Fuhrmann aus. Er zog sein Messer aus der Tasche, schnitt meinem guten Heberg den Kopf ab und warf beide miteinander, ihn und den Kopf, vom Wagen herab in einen Graben.

Die Hunde, die vorausgelaufen waren, warteten am Ende auf den Wagen und merkten gleich, daß ihr Herr nicht darauf war. Sie begannen zu suchen und fanden ihn und seinen abgeschnittenen Kopf zum Glück in einem Graben. Als sie ihn herausgezogen hatten, nahmen sie die Salbe aus seiner Tasche, schmierten etwas davon auf Kopf und Rumpf, setzten den Kopf wieder auf den Rumpf – und da war er wieder heil und lebendig.

Nun liefen die Hunde noch drei, vier Tage mit ihm umher, ehe sie in die Stadt kamen, in der die Königstochter lebte. Als er in der Stadt war, aber nicht wußte, welche Stadt es war, gingen die Hunde mit ihm in ein Wirtshaus. Da fragte er den Wirt, was die große rote Flagge bedeutete, die über dem großen Hause wehte.

»Weißt du das nicht?« sagte der Wirt, »die Königstochter ist dem Teufel versprochen gewesen, doch der Fuhrmann des Königs hat alle Teufel totgeschlagen, deswegen darf er die Königstochter heiraten, und heute ist Hochzeit. Ja, da geht es hoch her mit Fressen und Saufen! Hätten wir nur eine Flasche von denen, die jetzt schon ausgeschenkt sind!«

»Was gilt die Wette«, sagte Heberg, »daß wir eine von denen bekommen, die noch nicht ausgeschenkt sind?«

»Ach, du armer Schlucker, wie möchtest du wohl eine bekommen?«

»Das soll nicht lange dauern!«

Eins, zwei, drei, schrieb er einen Brief mit der Aufschrift »An die Königstochter«, gab den Brief einem der Hunde und sprach:

»Bring ihn zur Königstochter.«

Der Hund rannte damit los, daß ihm die Haare um den Kopf flatterten, hin zum Schloß. Die Schildwache, der er begegnete, sah, daß er einen Brief im Maul hatte. Sie nahm ihm den Brief ab und sah, daß er an die Königstochter gerichtet war. Der Mann brachte ihn der Königstochter und sagte, ein Hund habe ihm den Brief gegeben.

»Der Hund soll hierher kommen!«

Als die Schildwache mit dem Hund kam, sprang dieser auf ihren Schoß und leckte ihr die Hände. Da sank sie um und wurde ohnmächtig. Als sie wieder zu sich kam und den Brief gelesen hatte, gab sie dem Hund eine Flasche Wein mit und schrieb zurück, daß Heberg gleich zu ihr kommen müsse.

Nun trank Heberg erst mit dem Wirt die Flasche Wein aus, dann spazierte er mit seinen Hunden zum Schloß. Die Schildwache hatte schon den Befehl erhalten, daß, wenn so und so ein Kerl komme, sie ihn sofort zur Königstochter bringen solle. Als sie sich wiedersahen, das hättet ihr mal sehen sollen, wie da geküßt und geherzt wurde; die beiden waren außer sich vor Freude. Nun mußte der König kommen. Dem sagte sie:

»Nicht unser Fuhrmann ist mein Retter. Der hat mich gezwungen, und mit einem Eide mußte ich ihm versprechen, daß ich sagen würde, der hätte mich von den Teufeln erlöst. Wenn ich das nicht täte, so drohte er mir, wolle er mich töten. Aus Not mußte ich das also tun. Dieser hier aber mit seinen Hunden hat mich wirklich erlöst; dem hat er dann den Kopf abgeschnitten und ihn in den Graben geworfen. Wie er wieder lebendig geworden ist, das weiß ich nicht. Dem Fuhrmann sollte ich auch schwören, daß ich ihn heiraten würde. Aber weil dieser hier mein Retter ist und ich so verliebt bin in ihn, so will ich ihn heiraten und nicht den Verräter, den Fuhrmann.«

Nun erzählte Heberg dem König seine ganze Geschichte. Woher er die Salbe hatte, wie er an seine Hunde gekommen war, wie diese die Teufel zerrissen hatten, und wie dann der Fuhrmann ihm den Kopf abgeschnitten hatte, der ihm aber von seinen Hunden mit der Salbe wieder angesetzt worden sei, und so weiter bis zum Ende. Da wurde der König doch zornig auf den Fuhrmann! Er ließ ihn als abschreckendes Beispiel von vier Ochsen auseinanderreißen, und Heberg mußte seine Tochter heiraten.

Als die Hochzeit gehalten wurde, rannten die Hunde wieder weg, und so ungern Heberg es auch tat, er ging doch wieder mit, bis an die Kapelle, wo die Hunde die Teufel zerrissen hatten. Da fing der eine Hund zu sprechen an. Er sagte:

»Wir haben dir das Leben gerettet, zur Königstochter haben wir dir verholfen, dafür mußt du mir den Kopf spalten.«

»Mein lieber Hund, wie könnte ich das tun, das geht nicht an, da ihr mir doch so viel Gutes erwiesen habt!«

»Nur zu und ohne viel Worte zu machen«, sagte der Hund und legte sich vor ihn hin.

»Und tust du es nicht, so zerreißen wir dich Glied für Glied.«

»Nun denn«, sagte Heberg, »wenn es nicht anders geht.«

Er nahm seinen Säbel in die Hand und schlug zu, daß der Kopf sogleich in zwei Teile fiel. Als Heberg sich umdrehte, stand da ein schöner junger Mann hinter ihm. In der Zwischenzeit hatte der zweite Hund sich schon an die Stelle des ersten gelegt.

»Nur zu«, sagte der Junge, »bis zum letzten.«

Aber als er den letzten Hund auf den Kopf schlug, da war er schon so durcheinander, daß er den Kopf nicht gerade durchschlug, da hatte der letzte nur ein Auge.

»Nun«, sagte der Älteste, »das muß denn so sein, wir sind nun doch erlöst. Wir sind Prinzen und waren in Hunde verwünscht und konnten nur auf diese Weise erlöst werden.«

Damit schieden sie voneinander, und jeder ging seines Wegs. Heberg ging zu seiner Frau und wurde nach dem Tode des alten Königs selber König. Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

3. Von Anske, vom Müllerknecht und vom Bäckerknecht

Es waren einmal drei Altknechte: Anske mit seinem winzigen Stöckchen von zweihundert Pfund, der Müllerknecht und der Bäckerknecht. Sie machten an einem Sonntagnachmittag, als es sehr neblig war, einen Spaziergang auf der Heide. Sie streiften weiter und weiter umher, und am Ende hatten sie sich verirrt. Als es auch noch dämmrig wurde, wußten sie den Weg überhaupt nicht mehr. Schließlich kamen sie zu einer alten Mühle. Und so überlegten sie sich, dort zu übernachten. Die alte Mühle stand völlig verlassen auf der Heide. Es war unheimlich ... Die Tür war verschlossen, so daß sie nicht hinein konnten. Und wie sie sich auch mit ihren Schultern dagegen stemmten und versuchten, sie aus den Angeln zu heben, es half alles nichts. Inzwischen war es stockdunkel geworden, und es fing auch noch zu regnen an.

Aber Anske wußte Rat. Er hob sein Stöckchen von zweihundert Pfund und patsch, da flog die Tür aus dem Schloß, und sie konnten hineingehen. Sie sahen nichts, denn es war dort dunkel, aber Anske hatte eine Zunderbüchse und ein Stückchen Kerze in der Tasche; damit konnten sie doch ein wenig Licht machen. Es war ein sehr großer Raum, dort unten in der alten Mühle. Ein paar wackelige Stühle und ein halbmorscher Tisch standen in der Mitte. Eine alte, fast zerfallene Leiter lehnte in der Ecke an der Mauer. Sie war so brüchig, daß sie aufpassen mußten, wo sie die Füße hinsetzten. Sie reichte bis zum ersten Boden, und danach konnten sie über kleine eingebaute Stufen bis oben in die Mühle kommen. Dort fanden sie eine alte Glocke, oder besser gesagt eine große Schelle mit einem Seil daran. Das war so lang, daß es bis unten auf den Boden reichte. Sie brauchten also dort unten nur an dem Seil zu ziehen, wenn sie die Glocke läuten wollten. Am hellichten Tage hatten sie oben in der Mühle eine schöne Aussicht über die Heide, aber nirgendwo sahen sie ein Haus ...

Wieso stand die alte Mühle um Himmels willen hier so einsam auf dem Feld? An allem war zu erkennen, daß es eine alte Getreidemühle war. Sie hatten eine gute Unterkunft gefunden und wollten heute nacht hier schlafen. In einer Ecke lag noch etwas schimmeliges Stroh. Sie legten sich darauf und zogen die Mäntel über sich, um nicht zu frieren.

Als sie am nächsten Morgen aufwachten, waren sie hungrig, aber es gab nichts zu beißen. Sie durchsuchten alles, um irgend etwas zu finden. Schließlich fanden sie in einer Ecke der Mühle einige Säcke Mehl. Das Mehl schien noch gut zu sein; vielleicht eignete es sich als Backmehl. Sie suchten weiter, ob es vielleicht auch noch eine Pfannkuchenpfanne gab. Schließlich fanden sie eine. Sie hatten vor, Pfannkuchen zu backen. Der Bäckerknecht sollte sich zuerst daranwagen, also begann er, den Teig zuzubereiten. Die beiden anderen sollten später an die Reihe kommen.

In der Zwischenzeit zogen Anske und der Müllerknecht auf die Heide, um herauszufinden, in welch eine Gegend sie verschlagen worden waren. Und sie hatten vor, ein Stück Gartenland umzugraben. Der Bäckerknecht würde die Glocke läuten, wenn er glaubte, genug Pfannkuchen zu haben. Dann sollten sie zum Essen nach Hause kommen.

Als er eine Weile Pfannkuchen gebacken hatte, stand plötzlich ein kleines Männchen neben ihm; es sah aus wie ein Erdmännchen, und das war es auch. Das Männchen schnaubte einige Male und fragte dann mit einer sehr hohen Stimme:

»Herr, bekomme ich einen Pfannkuchen?«

Und als es nicht gleich einen bekam, hieß es wieder:

»Herr, bekomme ich einen Pfannkuchen, einen Pfannkuchen, Herr?«

Nun ja, da gab ihm der Bäckerknecht einen. Aber kaum hatte er ihm einen gegeben, da war da schon ein anderes Männchen, das fragte ebenfalls:

»Pfannkuchen, Herr?«

Damit er ihn los wurde, gab er ihm auch einen, aber da kamen noch mehr hinzu:

»Pfannkuchen, Herr? Pfannkuchen, Herr?«

Und weg waren sie, wenn sie einen Pfannkuchen erwischt hatten. Er wunderte sich darüber, wo sie so schnell blieben. Er meinte, irgendwo müßte es wohl eine Öffnung geben oder ein Loch, wo sie hineinkrochen, aber es war nichts zu sehen. Dem Bäckerknecht war gar nicht behaglich zumute, so ganz alleine in der alten Mühle mit all den Erdmännchen, die einfach so im Boden verschwanden. Schnell begann er, die Glocke zu läuten, obwohl der Stapel Pfannkuchen noch klein war. Die Männchen ließen ihn nun zum Glück in Frieden.

Als seine Gefährten, die selbstverständlich großen Appetit hatten, bei der Mühle ankamen, wunderten sie sich darüber, daß er nicht mehr Pfannkuchen gebacken hatte. Er erzählte ihnen, was er mit den Männchen erlebt hatte. Anske und der Müllerknecht ließen kein gutes Haar an ihm, daß er, der Bäckerknecht, nicht besser auf der Hut gewesen war und sich die Pfannkuchen so leicht hatte abschwatzen lassen; das würde ihnen nicht passieren. Er hätte auch die Augen besser offenhalten sollen um zu sehen, wo sie geblieben waren. Das hätte er nicht tun können, sagte er, sie waren zu rasch verschwunden.

Am nächsten Tag sollte der Müllerknecht Pfannkuchen, backen. Er würde schon besser aufpassen, sagte er. Jetzt gingen Anske und der Bäckerknecht weg, um das Stück Land umzugraben. Inzwischen hatte der Müllerknecht angefangen zu backen. Schon nach kurzer Zeit erschien ein Erdmännchen, und gleich darauf waren es noch viel mehr. Dann begann es wieder mit den Piepsstimmen:

»Herr, bekomme ich einen Pfannkuchen? Einen Pfannkuchen, Herr?«

Als er ihnen nicht schnell genug etwas gab, hieß es wieder:

»Herr, bekomme ich einen Pfannkuchen? Einen Pfannkuchen, Herr?«

Damit das Gejammere aufhöre, warf er jedem von ihnen einen zu. Und wie heiß die Pfannkuchen auch waren, sie packten sie trotzdem, und husch, weg waren sie! Und wie er auch suchte, er konnte keine Spur von ihnen finden. Wie Mäuse waren sie verschwunden.

Es ging dem Müllerknecht wie seinem Gefährten, dem Bäckerknecht. Er fühlte sich ebenfalls gar nicht wohl dort alleine in der Mühle auf der Heide, mit all diesen gespenstischen Männchen, die ohne weiteres im Boden verschwanden. Obwohl der Stapel Pfannkuchen nur ein wenig höher war als der des Bäckerknechtes, begann er doch rasch, die Glocke zu läuten.

Anske und der Bäckerknecht tauchten schon bald auf. Sie hatten natürlich Hunger. Beim Essen fragten sie ihn:

»Und, wie ist es gegangen, hattest du auch soviel Ärger mit den Männchen? Du hast nicht allzu viel gebacken, oder?«

»Ja«, sagte der Müllerknecht, »es ist mir genauso gegangen wie dir. Diese Burschen bekommen nie genug, und ich konnte auch nicht herausfinden, wo sie so schnell bleiben.«

»Ach!« sagte Anske. »Was für Trottel seid ihr beide, daß ihr euch so zum Narren halten laßt.«

Am nächsten Morgen sollte Anske Pfannkuchen backen, und sie müßten schon von einigem Kaliber sein, wenn sie ihm entkommen wollten, diese Nichtsnutze, und die Pfannkuchen aufäßen. Während Anske anfing zu backen, zogen seine Gefährten aufs Feld. Er blieb jetzt alleine; so sollte das Spiel gespielt werden. Er hatte erst eine kurze Weile gearbeitet, als sie auch schon wieder da waren, eines nach dem anderen dieser kleinen Männchen. Sie wurden immer aufdringlicher. Aber Anske tat so, als sähe er sie nicht.

»Herr, bekomme in einen Pfannkuchen? Einen Pfannkuchen, Herr?«

Und als Anske ihnen nicht schnell genug einen gab, kamen sie dreist ganz nahe und fragten wieder:

»Herr, bekomme ich einen Pfannkuchen? Einen Pfannkuchen, Herr? Einen Pfannkuchen, Herr?«

Das ging Anske zu weit. Außer sich vor Wut warf er ihnen einen glühenden Pfannkuchen zu und sagte:

»Hier habt ihr einen.«

Eines der Erdmännchen kriegte ihn auf die Nase. Der wurde dadurch so sehr verletzt, daß er zu bluten anfing. Und weg waren sie alle, aber sie nahmen den Pfannkuchen mit. Der mit der Wunde an der Nase hinterließ eine Blutspur, und gerade darum ging es Anske. Er erledigte schnell das Pfannkuchenbacken, und als er einen schönen Stapel hatte, einen viel größeren als seine Gefährten natürlich, fing er an, die Glocke zu läuten. Sie kamen eilig herangelaufen, neugierig, wie es Anske wohl ergangen war. Als sie die Pfannkuchen gegessen hatten, gingen sie der Blutspur des Erdmännchens nach. Diese führte ein Stück in die Heide, und schließlich kamen sie zu einem tiefen Loch ...

Nach einigem Hin und Her beschlossen sie, daß einer von ihnen rasch ein Stück Tau und einen kräftigen Korb aus der Mühle holen sollte. Damit wollten sie sich der Reihe nach in das Loch hinunter lassen, um zu sehen, wie tief es war, und wo die Erdmännchen hausten. Diese Burschen hatten natürlich den Geruch des Pfannkuchenbackens in die Nase bekommen. Der erste, der sich langsam hinunter ließ, war der Bäckerknecht. Zuerst ging es noch. Er rief immer wieder:

»Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden!«

Aber dann, auf einmal, bekam er es mit der Angst zu tun und rief:

»Zieht hoch, zieht hoch, es gibt keinen Boden! Zieht hoch, zieht hoch, es gibt keinen Boden,!« Daraufhin zogen sie ihn hoch ...

Jetzt war der Müllerknecht an der Reihe. Der ließ sich auch langsam hinunter, allerdings etwas tiefer als sein Vorgänger. Er rief ebenfalls:

»Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden!«

Aber dann bekam auch er es mit der Angst zu tun und rief:

»Zieht hoch, es gibt keinen Boden! Zieht hoch, zieht hoch, es gibt keinen Boden!« Der wurde also auch wieder hochgezogen ...

Jetzt war Anske dran, aber dieser Anske, das war nicht einfach nur so einer, der nahm selbstverständlich sein winziges Stöckchen von zweihundert Pfund mit. Und da fuhr unser Anske in die Tiefe:

»Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken, es gibt einen Boden! Laßt nur sinken,es gibteinen Boden!«

Aber dann ging es ihm doch zu weit, und auch er rief:

»Zieht hoch, zieht hoch,es gibtkeinen Boden! Zieht hoch, zieht hoch,es gibtkeinen Boden!«

»Jetzt wollen wir ihm aber mal einen Streich spielen«, sagten seine Gefährten oben zueinander. »Dieser rechthaberische Anske glaubt immer, daß er mehr kann als wir!« Und sie ließen das Tau los. Da plumpste Anske mit Korb und allem hinunter, in die Tiefe und in die Finsternis.

Es war sein Glück, daß er nicht mehr weit vom Boden entfernt war, als dies geschah. Zuerst war er vom Sturz noch etwas benommen, aber so allmählich erholte er sich. Als er ein wenig zu sich gekommen war, wollte er herausfinden, wohin er geraten war. Glücklicherweise hatte er seine Zunderbüchse und ein Stückchen Kerze bei sich. Es war ein langer Gang, mit einer Tür ganz aus Eisen an seinem Ende. Die war aber verschlossen. Hier wußte Anske Rat. Er nahm sein winziges Stöckchen von zweihundert Pfund und klatsch, da flog die Tür auf. Was er jetzt sah, war ein schönes helles Zimmer, und darin waren sehr viele Erdmännchen. Sie liefen erschrocken durcheinander, als sie Anske dort so plötzlich sahen. Sie wußten nicht, wie ihnen geschah. Das Männchen mit der Wunde an der Nase und die anderen, die um Pfannkuchen gebettelt hatten, waren auch da und kamen auf ihn zu.

Anske fragte sie, ob es hier noch mehr Zimmer gäbe. Sie bräuchten keine Angst zu haben. Er käme nicht, um ihnen Böses zu tun. Sie brachten ihn an eine zweite Tür, die war auch ganz aus Eisen und verschlossen. Sie öffneten sie jedoch ohne weiteres für ihn; Erdmännchen sind zu mehr fähig als ein gewöhnlicher Sterblicher, mußt du wissen.

Das erste, was Anske sah, als er ins Zimmer kam, waren drei wunderschöne Prinzessinnen. Sie saßen alle drei auf wunderschönen Stühlen mit vergoldeten Rändern, und was ihm am meisten auffiel, war, daß alle drei so große Dinger auf dem Kopf hatten, jedes mit zwei glühenden Köpfen. Das seien Schüttelköpfe, sagten sie zu Anske, die bereiteten ihnen ziemlich viel Ärger. Die Prinzessinnen trugen sehr schöne Kleider. Sie waren mit Gold und Silber behängt. Neben ihnen standen zwei Truhen mit Silbergeld, und das ganze Zimmer war mit wundervollen Decken und Teppichen ausgelegt.

Sie flehten Anske an, sie von diesen Schüttelköpfen zu befreien, er würde reich dafür belohnt werden. Ohne etwas darauf zu sagen, hob Anske sein winziges Stöckchen von zweihundert Pfund, und da flog auch schon der erste Schüttelkopf. So ging es auch dem der zweiten und dem der dritten Prinzessin. Als sie alle drei von ihren Schüttelköpfen erlöst waren, sagten die Prinzessinnen zu Anske, daß im dritten Zimmer, gleich neben dem ihrigen, noch weitere vier Prinzessinnen säßen, auch mit solchen Schüttelköpfen auf dem Kopf, aber das waren welche mit drei glühenden Köpfen. Sie würden sicherlich auch sehr gerne von den Dingern erlöst werden ...

Abermals nahm Anske sein winziges Stöckchen von zweihundert Pfund, und da flogen sie, ein Schüttelkopf nach dem anderen. Wie froh waren auch diese Prinzessinnen; es nahm kein Ende. Diese vier trugen noch schönere und reichgeschmücktere Kleider als die ersten drei. Das Zimmer war gar noch schöner und reicher ausgestattet als das vorige. Hier standen vier Truhen mit goldenen Talern und mit Edelsteinen. Goldene Kronleuchter mit brennenden Kerzen hingen an der Decke und Spiegel und große Gemälde mit vergoldeten Rahmen an den Wänden. Von all diesen Schätzen durfte Anske mitnehmen, soviel er wollte. Und er durfte sich die schönste Prinzessin zur Frau nehmen, sagten sie. Aber dann sollte er ihnen auch helfen, von hier wegzukommen, sie wären an diesem Ort nicht mehr sicher; das Wie und Warum erklärten sie nicht.

So ging Anske mit den sieben Prinzessinnen wieder an die Stelle zurück, wo er hinabgestürzt war. Die Erdmännchen waren nirgendwo mehr zu sehen. Er hoffte, daß seine Gefährten noch oben beim Loch waren. Deshalb begann er, nach ihnen zu rufen, und er hoffte nur, daß sie ihn hören würden. Zum Glück waren sie noch da. Anske wartete eine Weile, und richtig, sie ließen ein Stück Tau herab. Dieses Tau band Anske nun an das Tau des Korbes. Eine der Prinzessinnen setzte sich in den Korb, und Anske rief, nachdem er sie gut festgebunden hatte:

»Zieht hoch, zieht hoch! Eine Prinzessin!«

Sobald sie oben war, ließen sie den Korb wieder sinken. Als die zweite Prinzessin darin saß, rief Anske:

»Zieht hoch, zieht hoch, wieder eine Prinzessin!« Das dauerte so lange, bis alle sieben Prinzessinnen oben waren.

Jetzt war Anske an der Reihe, zuerst aber sollten noch alle Truhen mit goldenen und silbernen Talern und Edelsteinen hinaufgeschafft werden. Als alles oben war, gingen Anske, der Bäckerknecht und der Müllerknecht zusammen mit ihren Kostbarkeiten wieder in die Welt hinein und zu den Menschen. Nachdem sie lange gesucht hatten, fanden sie den Weg zurück. Das Geld und alle anderen Schätze teilten sie untereinander. Anske heiratete die schönste Prinzessin und lebte noch lange Jahre in Glück und Frieden.

4. Die drei Königstöchter

Da war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Die wurden von drei Drachen geraubt. Der eine Drache hatte einen Kopf, der zweite zwei, der dritte drei. Die drei Drachen hielten jeder eine Tochter in ihrem Haus gefangen. Sie bewachten die Mädchen so gut, daß diese nicht zueinander kommen konnten.

Da kam einmal ein Mann in das Haus des einköpfigen Drachens, während dieser nicht daheim war.

»Was willst du hier?« fragte ihn die Königstochter, »nun ist dein Leben zu Ende.«

Nein, erwiderte er, das glaube er nicht. Da sagte sie zu dem Mann, wenn er das meine, dann würde es wohl auch mit ihr gutgehen. Aber was geschehe dann mit ihren Schwestern? Auch für diese wolle er sich einsetzen, antwortete er.

Da sagte sie zu ihm: Da sei ein Glas, daraus müsse er etwas zu sich nehmen. Das täte der Drache auch immer, wenn er ausginge und etwas stehlen wolle. Auch sei da ein Schwert. Er müsse versuchen, ob er damit umgehen könne. Wenn dies gelänge, so sei er bereit.

Da nahm er das Schwert. Das fiel ihm leicht, er konnte recht gut damit umgehen.

»Jetzt will ich es dem Drachen zeigen!«

Da kam der Drache nach Hause. Der Mann hatte sich versteckt. Während er ins Haus trat, sagte der Drache:

»Ich rieche Menschenfleisch!«

Da antwortete die Königstochter:

»Das kann nicht sein, es gibt ja niemanden hier.«

»Und doch ist es so, ich rieche Menschenfleisch.«

Da kam der Mann hervor und ergriff das Schwert. Der Drache setzte sich zur Wehr, aber noch bevor er es recht begriffen hatte, war eins, zwei, drei, sein Kopf abgeschlagen.

»Oh, oh, wie glücklich ich bin!« sagte die Königstochter, »aber meine beiden Schwestern, die müssen wohl bleiben?«

»Das ist nicht gesagt«, sagte der Mann, er sei bereit, bis zum Äußersten zu gehen.

»Aber du wirst es mit deinem Leben büßen«, sagte die Königstochter. Nein, entgegnete er, so, wie er diesen Kampf gewonnen habe, gewinne er auch die anderen.

»Nein«, sagte sie, »dieser Drache hatte nur einen Kopf, die anderen aber haben zwei und drei. Dazu gehört mehr.«

Da sagt er, dazu gehöre nicht mehr, er gewinne diesen Kampf so gut wie den vorigen auch.

Nun kam der Mann in das Haus des zweiten Drachen. Die zweite Königstochter sagte ihm dasselbe, hier müsse er sein Leben einbüßen.

»Aber ich habe deine Schwester auch gerettet.«