Frühförderung für Welpen - Madeleine Franck - E-Book

Frühförderung für Welpen E-Book

Madeleine Franck

4,8

Beschreibung

Die häufigsten Verhaltensprobleme bei Hunden sind Aggressionen, Ängste und Schwierigkeiten beim Alleinsein. Außerdem können Welpen mit mangelnder Bindungsfähigkeit gegenüber dem Menschen das Zusammenleben und die Erziehung zur Herausforderung für ihren Besitzer machen. Ein guter Züchter will seinen Welpen einen optimalen Start ins Leben ermöglichen. Dabei ist das Wissen über gesundheitliche Aspekte der Hundezucht oft groß. Weniger beachtet wird, dass viele Verhaltensprobleme auf die Kinderstube zurückzuführen sind, und dass der engagierte Züchter durch konkrete Maßnahmen effektiv vorbeugen kann. Wie das geht, erfährt der Leser in diesem Buch, das auch für angehende Welpenbesitzer wertvolle Informationen enthält. Sie können nach der Lektüre erkennen, was sie von einem verantwortungsvollen Züchter erwarten dürfen und wie eine optimale Aufzucht die besten Grundlagen für ein problemfreies Zusammenleben legt.

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Titelbild: Madeleine Franck

Autoren und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

IMPRESSUM

Copyright © 2014 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: www.ravenstein2.deFotos: Madeleine Franck, sofern nicht anders angegebenLektorat der Originalausgabe: Maren Müller

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6217-7

INHALT

Einleitung

Der Traumhund

Wünsche und Vorstellungen des modernen Hundehalters

Ziele des Züchters

Acht entscheidende Wochen

Wurfplanung und Trächtigkeit

Einschätzung genetischer Anlagen

Horizontale Ahnentafeln

Vorgeburtliche Einflüsse

Frühförderung

Das Super Dog Program

Geräusche, Lichtreize und Umgebungstemperatur

Bindungsanbahnung zum Menschen

Sozialisation und Umweltgewöhnung

Sozialisation mit Menschen

Hunde und andere Tiere

Geräusche, optische Reize, wechselnde Umgebungen

Aufzuchtbedingungen

Wie Vorlieben entstehen

Fütterung

Stubenreinheit

Spielen

Charakterförderung und Erziehung

Wie sich Charaktere entwickeln

Der Alphawelpe und andere Mythen

Schwächen ausgleichen

Frustrationstoleranz und Selbsthemmung

Grunderziehung

Besondere Bedingungen

Einzelwelpen und Flaschenkinder

Tierschutzwelpen

Späte Abgabe

Anhang

Nachwort

Kopiervorlage für Infoblatt

Über die Autoren

Quellen

Einleitung

Für die Welpen ist die Mutterhündin zu Anfang der sichere Hafen, später sollte der Mensch diese Rolle übernehmen.

Bei dem Begriff Frühförderung denkt man sicher zunächst an Kinder, die bereits im Kindergarten Fremdsprachen erlernen und am Nachmittag von einem gestressten Elternteil zum Musikunterricht, zur Reitstunde oder in den Kunstkurs gefahren werden. Was immer man davon halten mag, es soll in diesem Buch nicht darum gehen, aus Welpen vierbeinige Hochbegabte zu machen. Vielmehr möchten wir Anregungen dazu geben, wie man Welpen einen guten Start ins Leben ermöglicht und ihnen den Weg zum fröhlichen, unkomplizierten, aufgeschlossenen und folgsamen Hund ebnet. In unserer Welpenschule sehen wir immer wieder, welchen Unterschied es macht, wo und wie ein Welpe die ersten acht Wochen seines Lebens verbracht hat. Wir konnten feststellen, welche Fehler auch sehr engagierten und wohlmeinenden Züchtern unterlaufen. Diese Beobachtungen sowie unsere Erfahrung aufgrund unserer verschiedenen beruflichen Backgrounds und aus unserer kleinen Border-Collie-Zucht sind in diesem Buch verarbeitet.

Was ist nun das Geheimnis einer optimalen Welpenaufzucht? Unser Ziel ist es, eben dieses zu lüften und dazu all unsere Erkenntnisse, Erfahrungen und Ideen möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen. Ausgangspunkt ist unser Versuch, die Eigenschaften aller Hunde zu destillieren, die wir im Lauf der Jahre als Teil herausragender Mensch-Hund-Teams kennenlernen durften. Dabei handelt es sich sowohl um sehr erfolgreiche Sporthunde als auch um „normale“ Familienhunde. Was diese Hunde ausmacht, sind vor allem folgende Qualitäten: Sie haben eine sehr innige Verbindung zu ihren Menschen, ruhen in sich selbst und sind abenteuerlustig.

Die ersten beiden Punkte müssen sicher nicht erklärt werden, aber was meinen wir mit „abenteuerlustig“? Es bedeutet, dass der Hund weltoffen nach neuen Erfahrungen sucht und davon ausgeht, dass sie ihm Freude bereiten werden.

Die enge Bindung zur Mutterhündin gibt einem Welpen Geborgenheit und das Gefühl, versorgt zu werden und nicht allein zu sein. Aus dieser Geborgenheit heraus kann der Welpe sich mit zunehmendem Alter immer mehr dazu aufmachen, die Welt zu entdecken. Er fühlt sich zuversichtlich, weil er den sicheren Hafen der mütterlichen Nestwärme hat, in die er jederzeit zurückkehren kann. Aus dieser Geborgenheit und den zunehmenden, positiven Erfahrungen entsteht seine innere Ruhe. Die Aufgabe des Züchters ist es aus unserer Sicht, im Lauf der Wochen die ursprüngliche Rolle der Mutterhündin als Fels in der Brandung zu übernehmen und seinen Welpen viele Abenteuer zu ermöglichen. Damit bereitet er den Boden, auf dem sowohl die zukünftigen Beziehungen der Welpen zu Menschen als auch ihre Persönlichkeiten wachsen werden.

DerTRAUMHUND

Ein Traumhund muss individuellen Vorstellungen gerecht werden und zum Beispiel besonders kinderfreundlich sein. Foto: Shutterstock

Für die zukünftigen Besitzer eines Welpen wird dieser eine Hund etwas Besonderes sein. Vielleicht haben sie bestimmte Ziele, die sie mit ihm verwirklichen wollen. Vielleicht haben sie grobe oder sogar genaue Vorstellungen von den Eigenschaften, die er mitbringen soll. Sicherlich haben sie die Hoffnung, dass dieser Welpe zu ihrem Traumhund werden und ihr Leben fortan bereichern wird.

Für den Züchter bedeutet dies, dass er nicht nur einen, sondern gleich mehrere Hunde züchten muss, die den Kriterien eines potenziellen Traumhundes genügen. Egal ob der Züchter in einem Wurf nur drei/vier oder sogar zehn/zwölf Welpen hat – die Erwartungen des einzelnen Welpenkäufers bleiben dieselben. Wer bei der Hundezucht nur die besten Absichten hat, wird sich schon lange vorher Gedanken über die Auswahl der Zuchtpartner machen. Nicht nur die Wurfplanung, auch der Verlauf der Trächtigkeit hat Auswirkungen auf das spätere Verhalten der Welpen. Die Herausforderungen, die den Züchter während der ersten acht Wochen erwarten, steigen außerdem in Abhängigkeit von der Wurfgröße. Je mehr Welpen er betreuen muss, desto mehr wird die Aufzucht zum 24-Stunden-Job. Wofür tut man all das eigentlich?

Wünsche und Vorstellungen des modernen Hundehalters

Die Rolle des Hundes in unserer Gesellschaft hat sich im Lauf der Zeit stetig verändert. Selbst nachdem Hunde längst nicht mehr nur als Wach-, Jagd- oder Hütehunde gehalten wurden oder einen anderen Zweck erfüllten, wurde ihnen noch lange nicht die gleiche Bedeutung zugemessen wie heute.

Früher war es geradezu unspektakulär, einen Hund zu haben. Dass ein Welpe im Stall oder Zwinger geboren wurde, war normal, die Idee einer Welpenschule undenkbar. Bestimmt wurden auch die Hunde vor 50 Jahren schon geliebt, aber sie waren in der Regel weder Kindersatz noch ein „Projekt“ ihrer Besitzer.

Heute spielt die Qualität der Beziehung zum Hund eine wichtige Rolle für seinen Menschen. Hunde werden selbstverständlich als Familienmitglieder betrachtet, was den Anspruch an ihr Verhalten erhöht hat. Die Anpassungsleistungen, die Hunde in der modernen Welt vollbringen müssen, sind enorm. Ein durchschnittlicher Hundebesitzer wünscht sich vor allem, dass der Hund sich problemlos und friedlich in den Alltag und das Familienleben integriert. Das bedeutet in der Praxis, dass der Hund

sich Menschen gegenüber freundlich und gelassen verhält.mit fremden Hunden klarkommt.stundenweise allein bleibt.überall mit hingenommen werden kann.zu Hause ruhig ist.brav und folgsam tut, was man ihm sagt.

Je nach Lebensbedingungen ließe sich diese Liste endlos fortsetzen – vielleicht muss der Hund im Alltag Straßenbahn fahren, sich im Büro langweilen, Kindergeschrei ausblenden und so weiter. Darüber hinaus hat ein moderner Hundebesitzer den Anspruch, zu seinem Vierbeiner eine tiefe emotionale Beziehung aufzubauen. Er möchte mit ihm schmusen und spielen, für ihn sorgen, sich um ihn kümmern, ihn lieben. Im Gegenzug wünscht er sich, für den Hund wichtig zu sein, von ihm geliebt zu werden und gemeinsam mit ihm eine schöne Zeit zu verbringen.

Sieht man einmal von der beträchtlichen Gruppe naiver Welpeninteressenten ab, die einen Hund möglichst süß, billig und schnell kaufen wollen, haben sich auch die Ansprüche an die Züchter verändert. Je bewusster sich ein Welpenkäufer mit seinen eigenen Zielen für den Hund auseinandersetzt, desto konkreter sind die Wünsche, die er an den Züchter stellt. Wer mit züchterischen oder hundesportlichen Ambitionen nach einem Welpen sucht, wird nicht nur nach einem Rassehund, sondern nach bestimmten Merkmalen schauen. Aber auch diejenigen, die „nur“ einen Familienhund suchen, kümmern sich im Vorfeld deutlich mehr als früher.

Für den engagierten Züchter ist dies eigentlich ein Glück: Wer wünscht sich für seine Welpen nicht das bestmögliche Zuhause bei vorinformierten Menschen, die bereit sind, Zeit, Liebe, Energie und Geld in ihren Hund zu stecken?

Welche Zuchtziele verfolgt man als Züchter? Showtitel werden den wenigsten Welpenkäufern wichtig sein. Foto: Stefano Tinti / Shutterstock.com

Ziele des Züchters

Sucht man bei Google nach dem idealen Familienhund, findet sich diese Bezeichnung in den Beschreibungen der unterschiedlichsten Rassen. Was den individuellen Traumhund letztendlich ausmacht, muss also etwas sein, das rasseunabhängig ist.

Wir wissen alle, dass es auch innerhalb von Rassezuchtvereinen viele Züchter gibt, für die der Erlös aus den Welpenverkäufen der ausschlaggebende Grund für die Zucht ist. Ebenso wird es Züchter geben, die außerhalb von Vereinen ohne jede offizielle Überprüfung mit viel Sachverstand aus reinem Idealismus züchten. Wir wollen es uns nicht anmaßen, die Beweggründe des Einzelnen zu bewerten. Ebenso wenig halten wir es für relevant, welche vorrangigen Zuchtziele jemand verfolgt. Unabhängig davon, ob man als Züchter vielleicht das Ziel hat, den perfekten Showchampion oder den nächsten Agilityweltmeister zu züchten, wird sich doch immer im Alltag entscheiden, wie glücklich Mensch und Hund miteinander werden. Neben gesundheitlichen Aspekten sind es also vor allem die Wesensmerkmale beziehungsweise die Persönlichkeit und die Grundeinstellung des Hundes, die es zu beeinflussen gilt.

Dieses Buch wendet sich an alle Züchter, die es richtig gut machen wollen. An alle, die eine bewusste Zuchtauswahl und eine engagierte und informierte Aufzucht leisten wollen. An diejenigen, die das Ziel verfolgen, ihren Welpen den perfekten Start zu ermöglichen, der ein ganzes Hundeleben lang trägt und späteren Verhaltensproblemen vorbeugt.

Was alles schiefgehen kann, offenbart ein Blick in die TV-Shows der Hundeflüsterer oder die Fachbuchregale der Buchhandlungen. Ein ganzer Markt, von Hundeschulen bis hin zu Herstellern diverser Erziehungshilfsmittel, lebt davon, dass Menschen Probleme im Zusammenleben mit ihrem Vierbeiner haben. Selbst wenn der Welpe noch so überlegt ausgesucht wurde, kommt es vielleicht irgendwann zu

Aggressionen gegenüber dem Besitzer, zum Beispiel in Zusammenhang mit der Fütterung, beim Bürsten, Krallenschneiden, Festhalten, Vom-Sofa-Schicken, Wegnehmen von Spielzeug.Problemen mit Artgenossen wie Begegnungsprobleme auf dem Spaziergang, Aggressionen gegenüber Hunden im gleichen Haushalt.Ängsten, zum Beispiel vor Geräuschen, Gewitter, Menschen allgemein oder Kindern, bestimmten Situationen, dem StaubsaugerHetzen und Jagen von Wild, Verfolgen von Joggern und Radfahrern.Schwierigkeiten beim Alleinbleiben.übermäßigem Bellen.unangemessenem Begrüßungsverhalten, zum Beispiel wenn Besuch kommt oder beim Zusammentreffen auf dem Spaziergang.Erziehungsproblemen wie nicht funktionierender Rückruf, schlechte Leinenführigkeit.Hyperaktivitätssymptomen wie ständige Unruhe, leichte Ablenkbarkeit, Anspringen, Beißen in Hände oder Leine.Futterunverträglichkeiten, Durchfall bei Aufregung, Hautreaktionen, Kratzen und Belecken.Problemen beim Autofahren wie Übelkeit, Nicht-Einsteigen-Wollen, übermäßige Erregung.Unsauberkeit.Zerstörung von Einrichtungsgegenständen.und so weiter.

Nun könnte man glauben, dass diese Entwicklung allein in der Verantwortung des Hundebesitzers liegt. Was hat der Züchter schon für einen Einfluss darauf, ob der Welpe später zuverlässig kommt, wenn er gerufen wird, ob er ein Jagdproblem oder Angst vor Silvesterkrachern entwickelt, ob er Besuch freudig anspringt oder gar bedroht?

Abhängig von der Vorbereitung durch den Züchter kann es der zukünftige Besitzer leicht oder schwer haben, eine Beziehung zu seinem Hund aufzubauen, ihn zu erziehen und Problemen vorzubeugen. Das Ziel eines jeden guten Züchters sollte es sein, der neuen Familie einen Hund zu übergeben, mit dem sie die besten Chancen auf ein unkompliziertes Zusammenleben hat.

Eigenschaften eines Traumhundes

Ein Hund, mit dem sich das Zusammenleben problemlos gestalten lässt, zeichnet sich aus durch

enge Bindungsbereitschaft an seine BezugspersonenNervenstärke in allem LebenslagenWeltoffenheitFreundlichkeitguten Gehorsam

Acht entscheidende Wochen

Nicht nur Hunde, auch Menschen verfügen über ein recht großes Anpassungspotenzial. An viele Macken des Hundes gewöhnt man sich einfach, andere belasten das Zusammenleben jedoch enorm. Die meisten Verhaltensprobleme sind in erster Linie Erregungsprobleme, das heißt, der Hund reagiert auf bestimmte Reize mit übermäßiger Erregung und verhält sich unerwünscht oder un angemessen. Je größer die Aufregung, desto weniger hat sich der Hund unter Kontrolle, stattdessen reagiert er unbewusst und instinktiv.

Die häufigsten Probleme mit Hunden haben ihren Ursprung bereits im Welpenalter, wenn nicht sogar davor. Von den meisten Züchtern wird völlig unterschätzt, welch enormen Einfluss sie mit jeder Verpaarung, Trächtigkeit und Aufzucht auf das spätere Verhalten und besonders die Erregungsbereitschaft und Stressresistenz der von ihnen gezüchteten Hunde haben.

Wenn wir von „Frühförderung für Welpen“ sprechen, mag der eine oder andere wie schon angesprochen an den Frühförderwahn bei Kindern denken. Viele Eltern haben heute das Gefühl, ihr Kind könne später nur dann in unserer Welt bestehen, wenn es schon im Säuglingsalter die richtige Stimulation erhält, den passenden Schwimmkurs besucht und mit Sprachlern-CDs beschallt wird. Wer alles richtig machen will, informiert sich über die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung, redet über Zeitfenster für bestimmte Erfahrungen und wird anfällig für Gurus, die versprechen, den einzig wahren Weg zum erfolgreichen oder glücklichen Kind gefunden zu haben – je nach Ausrichtung. Betrifft dieser Trend nun also auch die Hundezüchter und -besitzer?

Tatsächlich nehmen Hunde für ihre Besitzer heutzutage mehr denn je die Rolle eines Kindes ein. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die gleichen Mechanismen wirksam werden, die auch Eltern bei der Förderung ihres Nachwuchses antreiben: Der Wunsch, dem jungen Lebewesen, für das man verantwortlich ist, nur das Beste zu bieten, und die Angst, etwas falsch zu machen. Genau wie Eltern sind viele Hundebesitzer angesichts der sich widersprechenden Philosophien und Erziehungsansätze oft stark verunsichert.

Bis zu einem gewissen Grad gehen wir beim Thema „Frühförderung“ also doch in eine ähnliche Richtung, denn es gibt einfach so viel neues Wissen in den Entwicklungsneurowissenschaften, das man nicht ignorieren kann. Darüber hinaus wollen wir das Bewusstsein des Züchters für die Prozesse schärfen, die bei der Welpenaufzucht automatisch ablaufen. Je nach Wissensstand und Überzeugung wird der Züchter zum Beispiel bei der Persönlichkeitsentwicklung der Welpen nur zuschauen oder aktiv und ausgleichend einwirken. Und genau das kann vielleicht letztendlich ausschlaggebend dafür sein, ob der Hund später ein Angsthase oder ein ungezügelter Draufgänger wird oder eben keins von beidem. Sind Zuchtplanung, Trächtigkeit und Geburt geschafft, hat der Züchter acht entscheidende Wochen lang die Möglichkeit, die Entwicklung der Welpen zu beeinflussen. Viele Maßnahmen zur Sozialisierung und Umweltgewöhnung sind dabei für den guten Züchter längst selbstverständlich. Bestimmte Zusammenhänge von Genetik, Erleben und Verhalten werden jedoch sogar dem sehr engagierten Züchter nicht wirklich bewusst sein.

Nur noch ein paar Wochen, bis die Welpen auf den Umzug in ihr neues Leben bestens vorbereitet sein sollten.

Welpen, die beim Züchter wenig erlebt und kennengelernt haben, zeigen nach dem Verlassen der gewohnten Umgebung eher ängstliches Verhalten. Foto: Shutterstock

EXKURS: DER IDEALE ZEITPUNKT FÜR DIE WELPENABGABE

Wir haben dieses Kapitel „Acht entscheidende Wochen“ genannt, weil acht Wochen aus unserer Sicht in der Regel der beste Zeitpunkt zur Abgabe der Welpen ist. Dies ist jedoch eine Frage, bei der die Meinungen verschiedener Experten deutlich auseinandergehen.

In Deutschland dürfen VDH- und in Österreich ÖKV-Züchter ihre Welpen frühestens ab der achten Lebenswoche an die neuen Besitzer übergeben. In der Schweiz ist dies Züchtern innerhalb der SKG erst ab der neunten Wochen erlaubt. Viele Züchter behalten die Welpen jedoch lieber ein paar Wochen länger.

Das (Erziehungs-)Verhalten der Mutterhündin kann sich positiv auf die Welpen auswirken – oder auch nicht. Foto: Shutterstock

Die Befürworter einer späteren Abgabe mit zehn oder zwölf Wochen begründen dies meist mit dem Verlauf von Entwicklungsphasen, mit der notwendigen Möglichkeit zu Beobachtungs- und Nachahmungslernen von der Mutterhündin und mit der Wichtigkeit der Spiel- und Sozialkontakte innerhalb der Gruppe der Wurfgeschwister. Sie führen an, dass die Welpen um die achte Woche herum eine Phase erhöhter Ängstlichkeit gegenüber neuen Reizen und unbekannten Personen durchleben und es daher besser sei, die Sozialisation besonders zu diesem Zeitpunkt dem Züchter zu überlassen, während die Welpen in ihrer gewohnten Umgebung Sicherheit und Stabilität finden. Einige Autoren stellen sogar die Behauptung auf, Welpen wären erst nach der 16. Lebenswoche in der Lage, eine sichere Bindung zum Menschen aufzubauen.

Beim Lesen mancher Empfehlungen fragen wir uns als Züchter, ob diese Autoren jemals selbst einen Wurf in ihrem Haus großgezogen haben oder ob sie sich ihre Meinung einzig aufgrund der Literatur und angelesener Untersuchungsergebnisse gebildet haben. Natürlich gibt es auch im Bereich der Welpenaufzucht Forschungsstudien, in denen das Verhalten der Welpen beobachtet und bewertet wurde. Eine der umfang- und einflussreichsten Untersuchungen in diesem Bereich stammt von John Paul Scott und John L. Fuller (1965), die das Verhalten von Amerikanischen Cocker Spaniels, Basenjis, Shelties, Beagles und Foxterriern sowie von Cocker-Basenji-Mischlingen untersuchten. Ziel war es, den Einfluss genetischer Faktoren zu klären, weshalb Hunderte Welpen unter standardisierten Bedingungen (im Zwinger) aufwuchsen. Auf dieser inzwischen 50 Jahre alten Veröffentlichung einer davor über zehn Jahre andauernden Studie basierte zum Beispiel lange Zeit die Einschätzung, die Sozialisierungsphase würde zwischen der 12. und 14. Woche enden. Solche starren Einteilungen beruhen unserer Meinung nach mehr auf der Kategorisierungswut von Wissenschaftlern als auf Tatsachen. Alles ist im Fluss und individuell, abgesehen davon, dass die Aufzucht nach vergleichbaren Vorgaben andere Ergebnisse hervorbringen wird als eine auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Individuen ausgerichtete Aufzucht im Wohnzimmer. Sicherlich haben solche Settings in der Forschung ihre Berechtigung. Man muss sich jedoch fragen dürfen, ob es angesichts unseres inzwischen deutlich gewachsenen biogenetischen Wissens und einer veränderten Einschätzung des emotionalen Erlebens bei Tieren gerechtfertigt ist, dass eine solch alte Studie immer noch die Vorstellungen der halben Hundewelt bestimmt.

Dieses Mammutprojekt sowie verschiedene nachfolgende Untersuchungen konnten bereits zeigen, dass die Entwicklung einzelner Verhaltenselemente bei den untersuchten Rassen zu abweichenden Zeitpunkten stattfand. So sind die einen Rassen im Alter von vier bis fünf Wochen deutlich aktiver als andere, die einen zeigen früher verstärkt aggressive Tendenzen als andere und so weiter. Geht man von der Tatsache aus, dass unsere heutigen Hunderassen alle durch züchterische Selektion zu Spezialisten mit zum Teil völlig gegensätzlichen Aufgaben geworden sind, sind solche Untersuchungsergebnisse wenig überraschend. Wenn Verhaltensunterschiede sich bereits im Welpenalter beobachten lassen, wäre höchstens eine Individualisierung bei der Empfehlung zum optimalen Abgabezeitpunkt sinnvoll, wobei die Vorteile einer späteren Abgabe trotzdem fraglich bleiben. Wir würden es eher so formulieren, dass manche Rassen weniger Schaden durch einen zu langen Verbleib beim Züchter nehmen als andere.