Führungswelten - Harry Wiener - E-Book

Führungswelten E-Book

Harry Wiener

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Beschreibung

Fünf unterhaltsame Geschichten nehmen den Leser mit auf eine Zeitreise durch das letzte Jahrhundert. Sie erzählen vom Wandel der Unternehmenskultur, geprägt durch die jeweilig aktuellen Vorstellungen von Führung. Ausgehend von realen Beispielen stellen sie die Merkmale folgender Führungstypen vor: der Autoritäre, der Bürokrat, der Fürsorgliche, der Turnschuh-Manager und der emanzipierte Manager des neuen Jahrtausends. Unter den Gesichtspunkten von Kommunikation, Beziehungsgestaltung und Wertvorstellungen werden die Auswirkungen der jeweiligen Führungsvorstellungen auf die Unternehmenskultur und auf die Leistung des Unternehmens geschildert. Dabei steht der Paradigmenwechsel im Mittelpunkt. Zu jeder der fünf Führungspersönlichkeiten werden Fragen zur Selbstref lexion eingefügt: Wie agiere ich, wie führe ich bzw. wie werde ich geführt, welche Unternehmenskultur unterstütze ich durch mein Verhalten?

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Harry Wiener

Führungswelten

Beziehungsverständnis, Führungsverhaltenund Unternehmenskultur

Verlag Neue Zürcher Zeitung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2014 (ISBN 978-3-03823-879-9)

Titelgestaltung: GYSIN [Konzept+Gestaltung], Chur

Cartoons: Ruedi Widmer, Winterthur

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN E-Book: 978-3-03823-993-2

www.nzz-libro.ch

Einleitung

Das Jahr 2013, in dem ich dieses Buch beendete, war geprägt von gewaltigen politischen und sozialen Umbrüchen. Der arabische Frühling und der Widerstand gegen den überbordenden (Casino-)Kapitalismus, um nur zwei Beispiele zu nennen, waren beeinflusst von einem emanzipatorischen Willen von Menschen, die sich unterdrückt oder benachteiligt fühlten. Bereits vor mehr als 15Jahren begann ich, den Begriff der Emanzipation ins Führungs- und Managementverständnis einzubetten – damals noch mit sehr mässiger Akzeptanz, denn der Begriff war noch zu sehr von der Gender-Thematik besetzt. Mir ging es dabei aber um die Emanzipation zwischen Führenden und Geführten. Denn ähnlich wie bei der Emanzipation zwischen Mann und Frau besteht im Management die Emanzipation darin, dass das vermeintliche Subjekt (Mann oder Führungskraft) und das vermeintliche Objekt (Frau oder Untergebener) sich auf Augenhöhe begegnen.

Heute denken immer mehr Wirtschaftskapitäne, Politiker und Wissenschaftler darüber nach, wie durch Emanzipation verfügbare Ressourcen besser genutzt und anstehende Probleme besser gelöst werden könnten. Sie spüren auch den zunehmenden Druck von «unten», dem man nicht mehr wie früher mit Gegendruck begegnen kann. Die aktuelle Situation verlangt nach neuen Denkmustern und Verhaltensweisen. Diese sollen in diesem Buch thematisiert werden.

Prolog

Von der Faszination, Menschen zu führen

Gibt es etwas Anspruchsvolleres, als Menschen zu führen und gemeinsam mit Mitarbeitenden Spitzenleistungen zu erbringen, auf die alle stolz sein können? Was ist das Faszinierende daran? Weshalb schöpfen Tausende von Managern aus der Führungsarbeit Zufriedenheit, während andere an dieser Aufgabe verzweifeln?

In meiner langen Tätigkeit als Berater vieler Unternehmen fiel mir immer wieder auf, wie selten man wirklich guten Führungspersonen begegnet. Entweder traf ich auf hervorragende Strategen, denen es an Sozialkompetenz mangelte, oder ich fand die liebenswürdigen, teamorientierten und auch beliebten Führungsmenschen, die sich schwertaten, Resultate vorzuweisen. Und dann gab es noch die kreativen, aber vielfach etwas unberechenbaren Primadonnen, die ihre Visionen oft nicht umsetzen konnten …

Natürlich gibt und gab es Ausnahmepersönlichkeiten an der Spitze von Unternehmen, die im richtigen Moment das Richtige taten und zu Legenden wurden: Steve Jobs, Bill Gates, Nicolas Hayek, Jack Welch – um nur einige zu nennen. Ob diese aber wirklich dem Idealbild des modernen Managers entsprechen, wäre noch zu erörtern. Einer dieser Herren sagte vor noch nicht allzu langer Zeit in kleiner Runde, dass der Erfolg vermutlich ausbliebe, würde er heute seinen Konzern so wie anno dazumal führen.

Traurig ist, dass es Millionen sehr fähiger Menschen in Millionen Unternehmen gibt, die als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls brillante Ideen und Konzepte entwickeln, die aber nicht oder nicht richtig umgesetzt werden, da sie ja nur Ausführende sind und deshalb nicht wirklich ernst genommen werden. Schon oft hatten Mitarbeitende den Riecher für erfolgversprechende Geschäftsmodelle, die dann von der Geschäftsleitung für untauglich erklärt wurden. Ganz nach der Melodie: Es ist unmöglich, dass eine Idee funktioniert, die nicht vom Management stammt!

Könnte es sein, dass frustrierte Kaderleute trotz Beherzigung zahlreicher Ratschläge zu Führungsmethoden immer noch an ungelösten «Führungsproblemen» verzweifeln, weil die gut gemeinten Ratschläge in den Führungshandbüchern einfach nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun haben? Könnte es auch sein, dass ein neues Selbstverständnis der Geführten die traditionellen Rollenmuster zwischen Führungskräftenund Untergebenen ins Wanken bringen?

Wirtschaftsführer, Politiker, Ärzte, Bergführer, ja selbst Beamte – von ihnen allen wird erwartet, dass sie alles wissen und können, dass man sich in allen Belangen auf sie verlassen kann, dass sie die Verantwortung übernehmen und für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen geradestehen. Der Begriff «Führung»ist zu einem Synonym für Omnipotenz, Omnipräsenz und Unfehlbarkeit geworden. Wir wissen aber nur zu gut, dass niemand über diese Fähigkeiten verfügt. Ausserdem sind die zu lösenden Probleme zu komplex, als dass sie einer einzelnen (Führungs-)Instanz überlassen werden könnten. Und doch ist der Mythos von der allmächtigen und unfehlbaren Führungskraft noch immer allgegenwärtig. Headhunter, Berater, Finanzanalysten und die Autoren zahlreicher Bücher sprechen von Eigenschaften, Merkmalen und skills, die eine ideale Führungskraftausmachen. Es wird versprochen, dass gute Führung Leistungssteigerungen im Team, bessere Resultate und die Schaffung von Motivation und Mehrwert zur Folge hat – nur weil die Führungskraft sich diese Fähigkeiten aneignet und/oder über gewisse Persönlichkeitsmerkmale verfügt. Das ist alles bloss Mythos! Die omnipotente, Eier legende Wollmilchsau gibt es auch im Management nicht.

Deshalb sollten wir uns von diesem Bild endlich verabschieden. Mit der Wahl eines neuen Präsidenten, CEOs oder Trainers einer Sportmannschaft sind die bisherigen Probleme noch lange nicht aus der Welt geschafft! Zwar ist bei solchen Mutationen ein interessanter Effekt zu beobachten: Die angeschlagene Mannschaft spielt plötzlich besser und gewinnt wieder; Bürger schöpfen neue Hoffnungen oder Mitarbeitende gehen wieder motivierter zur Arbeit. Dies hat jedoch wenig mit der neuen Führungsperson zu tun. Vielmehr beflügeln Phantasien und Hoffnungen die Betroffenen. Motivation ist nicht nur abhängig von Führungspersonen, sondern hat sehr viel mehr mit den meist schlummernden Kräften, Imaginationen und Wünschen der Geführten zu tun. Erst wenn es gelingt, ein Umfeld zu schaffen, in dem die unterschiedlichen Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche verbalisiert, ausgetauscht und reflektiert werden, entsteht ein Umfeld, in dem vorhandene Kräfte im Unternehmen oder in der Mannschaft genutzt werden können.

Der Mythos von der Führungskraft ist in letzter Zeit arg ins Wanken geraten. Wir werden in diesem Buch einen Blick in die Geschichte dieses Begriffs werfen und anschliessend an dessen Entmystifizierung arbeiten.

Der Zeitgeist prägt das Management

Die Vorstellungen von Management und Führung hatten seit je einen engen Bezug zum Zeitgeist der jeweiligen Epoche. Jede Zeit hat ihr eigenes Führungsverständnis, und der Kontext, in dem Führung stattfindet, beeinflusst die Vorstellung von guter und adäquaterFührung. So bringt jede Zeit- und Wirtschaftsepoche ihre eigenen Führungstheorien hervor.

Obwohl wir nicht bei Adam und Eva oder den alten Römern beginnen wollen, werden wir ein paar Jahrzehnte zurückblättern müssen. Das Thema Führen und Geführtwerden in den jeweiligen Zeitepochen soll nicht nur theoretisch betrachtet werden. Vielmehr möchte ich Sie auf eine kleine Reise von der Vergangenheit in die Zukunft mitnehmen und Sie einladen, Ihre eigene Realität zu reflektieren und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir haben zwar in den jeweiligen Überschriften Zeitfenster definiert. Diese dürfen keinesfalls absolut betrachtet werden. Wir alle wissen ja, dass zum Beispiel autoritäres Führungsgehabe, welches in den 1960er- oder 1970er-Jahren als «normal» galt, auch heute noch öfters anzutreffen ist.

Es geht nicht um Richtig oder Falsch, auch nicht um Handlungsanweisungen im Sinne von How to do, sondern vielmehr um das Begreifen der Einstellungen und Annahmen sowie des «gesunden Menschenverstands» in den jeweiligen Epochen.

Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen

Jede Zeit hat ihren Managementstil. Und jede Periode hat einen Anfang und ein Ende. So hat sich immer wieder irgendwann eine Managementmethode überlebt und am Horizont – meist mit spektakulärem Wetterleuchten – ein neuer Führungsstil angekündigt, der den Managern in den Teppichetagen der Unternehmen den ultimativen Erfolg verspricht. Meist leiten technologische Quantensprünge oder weltpolitische Umwälzungen diese Zeitenwenden ein. Heute, zu Beginn des 21.Jahrhunderts, wo sich mit dem schleichenden Niedergang der alten Industrienationen und dem Erstarken der Emerging Markets tektonische Veränderungen anbahnen – die mit dem Stichwort Turbo-Globalisierung nur schemenhaft umschrieben sind –, stellt sich wieder einmal die Frage: Welcher Managertyp und welche Unternehmenskultur ist geeignet, diese gewaltigen Veränderungen zu bewältigen?

Wer nicht weiss, wo er herkommt, kann nicht wissen, wo er hingeht. Diese alte Weisheit hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Auch im Management entwickelt sich das Neue stets aus den Bruchstücken des Alten, von denen manche die Zeiten überleben. Zum Überblick lassen wir hier die Typologien der Führungskräfte vom autoritären Boss der 1950er-Jahre bis zum Turnschuh-Manager der Jahrtausendwende noch einmal Revue passieren und betten diese in den jeweiligen Zeitgeist ein. Ein realer Fall bildet das Herzstück eines jeden Kapitels, anonymisiert zwar, aber abgebildet in der Wirklichkeit meiner über 30-jährigen Beratertätigkeit. Wie in einem Theaterstück schauen wir auf die Bühne und lassen die verschiedenen Akte des Geschehens an uns vorüberziehen, damit Sie, liebe Leserin, lieber Leser, lustvoll formulierte Erkenntnisse gewinnen können. Aber seien Sie darauf gefasst, dass auch Sie nicht verschont werden! Wir legen Sie auf die Couch, um mittels einiger Fragen herauszufinden, wie viele alte Management-Bruchstücke noch in Ihnen als Führungsperson schlummern. Und am Ende jedes Kapitels erhalten Sie einen Überblick über die verbliebenen Führungsvorstellungen aus der Vergangenheit. Obwohl wir uns mit der Vergangenheit befassen, wollen wir nicht im Überkommenen verharren, sondern uns fragen: Was bleibt aus sechs Jahrzehnten Management? Vor allem aber auch: Was kommt jetzt? Hierzu bieten wir Lösungsvorschläge für den Manager im neuen Jahrtausend an in Form einer Nahaufnahme aus sieben Bildern, die für das neue Führungsverständnis stehen: Wir nennen es «Emanzipation in der Beziehung zwischen Führenden und Geführten». Und wir fragen Sie: Wie emanzipiert sind Sie in der Beziehungsgestaltung? Wenn Sie noch nicht weit auf diesem Weg fortgeschritten sind, dann machen Sie sich keine Sorgen, wir helfen Ihnen gerne weiter.

Die Hohepriester der Führung

Die Gründerzeit:Als Management noch ein Fremdwort war

Beginnen wir in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Patrons und ihre Familienunternehmen prägen die Unternehmenslandschaft. Die moderne Industrialisierung ist in vollem Gang. Zwar läutete Henry Ford bereits 1913 mit der Fliessbandproduktion die wirtschaftliche Moderne ein, doch in Europa waren es damals noch immer familiengeführte Handels- und Handwerksbetriebe, die den Menschen ihr Auskommen ermöglichten. Und diese Betriebe wurden fast immer von Besitzern geführt. Die Arbeitskräfte, meist einige Dutzend an der Zahl, waren ihren Vorgesetzten oft lebenslänglich treu ergeben. Es hing von den Wertvorstellungen der Führungskräfte/Besitzer ab, ob der Arbeitsplatz himmlisch oder höllisch war. Im besseren Fall verhielten sich die Eigner fair zu ihrer Belegschaft; im schlechteren Fall waren die Mitarbeitenden aber ihrem Arbeitgeber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Damals gab es noch keine Führungstheorien, und der Begriff Management war gänzlich unbekannt. Man führte intuitiv und war damit entweder erfolgreich oder man scheiterte. Die meisten Geschäfte wurden regional oder, bei grösseren Firmen, national abgewickelt. Innovationen waren für einen erfolgreichen Geschäftsgang über Generationen nicht erforderlich. Zwei Weltkriege aber hoben das stabile Europa gänzlich aus den Angeln, und kein Stein blieb mehr auf dem anderen. Das zerstörte Europa erhielt Wiederaufbauhilfe, und bald begannen Technologien aus der Rüstungsindustrie und andere neue Einflüsse die Geschäftswelt zu verändern.

Der Autoritäre (1950–1980)

Die Hochkonjunktur nach dem Krieg

Selbst der dümmste Manager konnte das Geschäft nicht verhindern …

(nach Fredmund Malik)

Diese 30Jahre sind einmalig in der Wirtschaftsgeschichte. In keiner anderen Epoche gab es so viele bahnbrechende Errungenschaften für die Menschheit. Beispiel Kommunikation: Telefonie, Radio, TV, Telex, Fax, Computer. Beispiel Transport: öffentlicher Verkehr, Transatlantikflüge, Überschall-Fluggeschwindigkeiten. Beispiel Raumfahrt: vom Sputnik zur Mondlandung. Beispiel Automobil: Komfort, Geschwindigkeit und Sicherheit. Beispiel Medizin: Herztransplantationen, Pharmazeutika, Instrumente und Technologie. Beispiel Haushalt: Beinahe alle für uns heute selbstverständlichen Haushaltsgeräte hatten ihren Ursprung in diesen 30Jahren. Beispiel Uhrenindustrie: von der Uhr fürs Leben zum Modeartikel. Beispiel Navigation: von der Landkarte über Satellitensysteme zu GPS … Es würde zu weit führen, alle Innovationen zu erwähnen.

Zwei Faktoren waren hauptsächlich für das Phänomen Hochkonjunktur ausschlaggebend: Der Wiederaufbau des zerstörten Europas mit riesigen ungesättigten Märkten und die Kommerzialisierbarkeit des technologischen Fortschritts, wo der ROI und der Gewinn praktisch garantiert waren.

Die ungesättigten Märkte mussten mit Gütern versorgt werden, und die Führungskräfte dieser Zeit mussten organisieren können. Die Menschen mit den entsprechenden Fähigkeiten waren oft ehemalige Angehörige der Armee, wo Organisation und klassische Führung (Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren) gelernt und praktiziert wurden. Weil es während der Hochkonjunktur stetig bergauf ging, machten die Führungsvorstellungen und Verhaltensweisen dieser Führungskräfte Schule. Was so lange Erfolg gebracht hatte, konnte einfach nicht falsch sein! Die Verhaltensmuster der Führung wurden zu dominanten Logiken, zu Alltagstheorien, zu unerschütterlichen Glaubenssätzen. Die Zeit von 1950 bis 1980 zementierte auch den Glauben an die Machbarkeit nachhaltig. Als der Club of Rome 1972 die Grenzen des Wachstums anmahnte und zur Mässigung aufrief, war ungläubiges Kopfschütteln die Antwort aus den Management-Etagen: Eine gute Führungskraft wird mit jedem Problem fertig!

Der Autoritäre auf der Bühne: sechs AkteHarte Schale – aber wo bleibt der weiche Kern?

In diesem Theater spielen mit:

Thomas Hartmann, ehemaliger Wehrmachtsoffizier, jetzt Juniorchef der Hartmann Metallbau AG. Er stieg nach dem Rückzug des Vaters und Gründers zum Chef auf und zeigt den Mitarbeitern, was eine Harke ist.

Hermine Holbein, schon unter dem Firmengründer Vorzimmerdame. Sie arbeitet jetzt für den Sohn, spürt die veränderten Schwingungen und sehnt sich nach ihrem alten Chef.

Dieter Wolff, Abteilungsleiter und schon sehr lange in gleicher Stellung. Er ist zunehmend frustriert und lieber als zur Arbeit geht er neuerdings zu den Duisburger Wandervögeln, in deren Vorstand er sitzt.

Heinz Diekhof, Produktionsleiter, hört und weiss viel und notiert alles in seinem schwarzen Büchlein.

Hans Kriwet, ewig mürrischer Pförtner, verrichtet seinen Job nach einem einfachen Rezept: Freundlichkeit gebührt nur dem Chef – wer auch immer das sein mag.

1. Akt: Das Fernweh nach den Wandervögeln oder Warum Arbeit nicht frei macht

Dieter Wolff, der Abteilungsleiter, hat Montagslaune, als er an einem trüben Winter-Montagmorgen im Jahre 1958 um 6.50Uhr am Pförtnerhäuschen der Hartmann Metallbau AG vorbei zur Arbeit geht. Ein kurzes «Tach!» kommt gepresst über seine Lippen. Der Morgengruss wird, wie jeden Montag, vom ebenso mürrischen Pförtner Hans Kriwet nicht erwidert. Kriwet, der noch vom inzwischen verstorbenen Hartmann senior eingestellt wurde, sitzt seit über zehn Jahren an dieser Pforte. Ein Mann mit Berufsstolz, dieser Kriwet. Den hat ihm seinerzeit noch der Senior eingeimpft. Keiner kommt bei Hartmann auf das Werksareal, ohne von Kriwet genau gemustert worden zu sein. Hin und wieder fordert er auch von Bekannten den Personalausweis. Wäre ja gelacht, wenn man am Kriwet einfach so vorbeispazieren könnte! Er ist bekannt dafür, dass er mitunter auch Kunden mit seiner schroffen Art brüskiert und sogar richtig schneidend werden kann, wenn einer seinen Wagen falsch parkiert oder das Fahrrad nicht im dafür markierten Sektor abgestellt hat. Kriwet beugt sich nur vor Gott und dem Chef, und er hat deswegen noch nie Probleme bekommen. Seit dem Tod des Gründers ist neuerdings Thomas Hartmann Direktor, und wenn dieser an seinem Pförtnerhäuschen vorbeistolziert, ertönt von drinnen ein zackiges, gut hörbares «Grüss Gott, Herr Direktor!». Kriwet weiss, wie das mit dem jungen Hartmann läuft: Der neue Chef thront ganz weit oben, und die da unten müssen dem da oben die Reverenz erweisen.

Dieter Wolff hat ein anstrengendes, aber glückliches Wochenende hinter sich. Am Samstag gegen Mittag, nach der wöchentlichen Revision der Walzstrasse in der Firma Hartmann, ging er schnurstracks ins nahe gelegene Waldviertel und traf sich dort mit seinen Vorstandskollegen von den Duisburger Wandervögeln e.V. Es ging um Wichtiges an diesem Tag, denn die bevorstehende Frühjahrstour war zu organisieren. Seine Frau Helene sieht es überhaupt nicht gern, wenn er an Wochenenden zusammen mit den Kumpels seinem Hobby frönt. Er könne sich, meint Helene, um die drei Kinder kümmern. Sind schliesslich auch seine! Oder ihr beim Einkauf zur Hand gehen. Aber eben. Dem Gatten liegen seine Wandervögel näher am Herzen. Da ist Wolff stur. Er habe doch auch ein Recht auf ein bisschen Spass im Leben, meint der gewöhnlich durchaus umgängliche Ehemann. Ganz offensichtlich vermisst er im Job etwas, nämlich Spass an der Arbeit!

Nach solch entspannten Tagen mit den Wandervögeln steigt abgrundtiefe Frustration in Wolff hoch, wenn er montags bei Hartmann wieder in die berufliche Zwangsjacke steigen muss. Spätestens am Pförtnerhäuschen hat ihn seine mürrische Laune wieder fest im Griff. Im Kreise seiner Wanderfreunde ist alles ganz anders. Gemeinsam werden Routen geplant, es wird Informationsmaterial für die bald 70Mitglieder verfasst, das Budget bereinigt oder einfach ein geselliger Unterhaltungsabend zusammen verbracht. Wolff und seine Wandervögel: Das ist das Leben!

Bei Hartmann sind er und seine Meinung höchstens gefragt, wenn es um Technisches, um die Wartung und Instandhaltung von Maschinen geht. Da ist Dieter Wolff, so weit er zurückdenken kann, ein unangefochtener Experte. Nach seinem Studium am Technikum in Kassel war er bereits in jungen Jahren bei Krupp Stahl für den Maschinenunterhalt in einer Werkstatt verantwortlich gewesen, bevor er dann in das kleine Familienunternehmen Hartmann Metallverarbeitung AG als Abteilungsleiter eintrat. Vater Hartmann, ein begnadeter Konstrukteur, hatte 1950 ein Stelleninserat in der Duisburger Morgenpost aufgegeben, welches Wolff sofort ansprach. Ein exzellenter Maschinenbauingenieur war gesucht für eine gut bezahlte und herausfordernde Stelle als Abteilungsleiter. Viel Verantwortung, die Führung von fünf Mitarbeitern, all das roch nach einer attraktiven Karriere. Wie zugeschnitten für einen wie Dieter Wolff. Bei seinem Vorstellungsgespräch bei Hartmann senior und junior waren sich die Parteien jedenfalls rasch handelseinig.

Schon damals, beim Vorstellungsgespräch, erinnert sich Wolff, war der Pförtner am Werkstor mürrisch. «Gehört wohl zu dieser Berufsgattung», hatte sich Wolff bei jenem ersten Besuch in der Firma gesagt. Aber da gab es noch dieses Fräulein Holbein, Hermine Holbein, die damalige Vorzimmerdame des Seniorchefs. Diese Frau mit femininer Ausstrahlung, die ein betörendes Parfüm zu tragen pflegt! Wolff streckt seine Nase in die Luft, als wollte er den Duft von einst noch einmal riechen, um damit seine üble Laune an diesem Morgen zu verscheuchen. Doch die schlechte Laune bleibt hartnäckig hocken auf Wolffs Gemüt. Das lässt darauf schliessen, dass bei Hartmann nichts mehr ist wie damals.

2. Akt: Parkplätze nur für die Direktion oder Warum das Parfüm der Sekretärin nicht mehr betörend wirkt

Kurz nach 7Uhr an diesem Morgen fährt auch Hartmann junior, der Chef, mit seinem Opel Olympia auf das Werksgelände und parkiert seinen Wagen direkt neben dem Eingang des Hauptgebäudes. Dort sind zwei Parkfelder markiert. Darauf steht: «Parkplätze nur für die Direktion! Parkverbot für Unbefugte.» Seit Hartmann senior verstarb, ist einer der beiden Plätze leer. Das soll so bleiben. Mitarbeiter haben ihre Fortbewegungsmittel im hinteren Teil des Werkhofs abzustellen.

Heute ist auf 8Uhr eine wichtige Sitzung einberufen. Dieter Wolff grübelt: Was kann das bedeuten? Thomas Hartmann, der Chef, rauscht beschwingt an ihm vorüber in sein Büro. Für den, denkt sich Wolff, scheint heute ein guter Tag zu sein. Wohl weil er weiss, was die Sitzung bringen wird. Hermine Holbein, die Vorzimmerdame, lässt sich von der demonstrativ guten Laune des jungen Hartmann nicht anstecken. Oft ertappt sie sich dabei, wie sie mit Sehnsucht an ihren alten Chef zurückdenkt. Der war noch ein richtig galanter Herr Direktor, einer, der auch mal zum Scherzen aufgelegt war oder ein paar private Worte zugelassen hatte.

Beim Junior herrschen andere Sitten. Der Umgangston ist unpersönlich und schroff, seine Stimme monoton und kalt. Galanterie ist nicht sein Ding, stattdessen ist er aggressiv. Manchmal gipfeln die spitzen Bemerkungen des Chefs gegen die Vorzimmerdame darin, dass er sich triumphierend vor Hermine Holbein aufbaut und mit schneidendem Ton verkündet: «Die alten Zeiten und der Schlendrian sind bei Hartmann nun vorbei.» Bei diesen Gelegenheiten duckt sich die gut aussehende Mittdreissigerin, die drei Sprachen fliessend spricht und in Stenografie fast schneller schreibt, als der Chef spricht. Gegen den Redeschwall des Chefs ist sie jedoch machtlos und entlädt ihre Frustrationen anderswo. Immer öfter verwendet Hermine Holbein Angestellten gegenüber, wenn diese in ihrem Büro ein Anliegen vorbringen, einen schroffen Ton. Manch einer hört den Chef aus ihr heraus und nicht mehr die Vorzimmerdame. Deshalb wird Holbein hinter vorgehaltener Hand immer öfter Vorzimmerdrachen genannt.

Es gibt aber noch andere Veränderungen in ihrer Persönlichkeit: Holbein klagt vermehrt über Migräne und andere Beschwerden. Früher war sie nie krank. Jetzt aber fehlt sie oft am Arbeitsplatz – sehr zum Ärger des Chefs. «Diese jungen Weiber sind heute überhaupt nicht mehr belastbar», sagt Hartmann, «statt die Zähne zusammenzubeissen, liegen die faulen Dinger im Bett und machen es sich gemütlich.»

3. Akt: Der Chef fletscht die Zähne oder Warum es keinen Morgenkaffee mehr gibt

Acht Uhr. Sitzungsbeginn. Alle Abteilungsleiter der Hartmann Metallbau AG