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Conrad und Anton sind alte Freunde. Okay, junge Freunde, gerade mal Mitte Zwanzig. Sie haben sich eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen und freuen sich seit langem auf den gemeinsamen vierwöchigen Urlaub "ins Blaue hinein". Chillen, Quatschen, Eis essen gehen, Wandern, mit dem Kahn oder Kajak fahren – alles ist drin, aber nichts ist in Stein gemeißelt. Bloß gut, denn schon Conrads Hinfahrt in den Spreewald verläuft anders als geplant – und der Rest der vier Wochen erst recht. Antons unwiderstehlicher Charme wird zum Auslöser einer mittleren Katastrophe – jedenfalls aus Conrads Sicht. Ob sich der dadurch angerichtete Schaden beseitigen lässt oder lediglich begrenzt werden kann, ist fraglich. Immerhin steht ihre Freundschaft auf dem Spiel. Der Ausgang der Geschichte liegt unter anderem auch in der Hand jener jungen Frau, mit der Conrad sich seinen Spitznamen teilt und die eines Ytongs wegen ebenfalls ihre Urlaubspläne ändern musste. Da kommt es fast einem Glücksfall gleich, dass sich ihre EC-Karte an der Raststätte scheinbar in Luft aufgelöst hat.
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Impressum
Texte:
© 2022 Copyright by O.W. Stevens
Umschlag:
© 2022 Copyright by O.W. Stevens
Verantwortlich
für den Inhalt:
S.Otto
Königsberger Str. 5
49744 Geeste
Druck:
epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
„Mist, verdammter!“, hört Conrad neben sich eine helle Stimme fluchen und lenkt seine Blicke über seine linke Hand hinweg, die gerade eine leere Tasse aus dem Geschirrkorb heben will, um sie unter den Auslauf des Kaffeeautomaten zu stellen.
Zwei Meter neben ihm kramt eine blonde, junge Frau verzweifelt in ihrem hellbraunen, ledernen Portemonnaie. Ihre gleichfarbige Handtasche hängt in ihrer Armbeuge und baumelt wie wild hin und her, so hektisch sind ihre Handbewegungen, als sie die Geldbörse nach etwas durchwühlt, was darin offenbar nicht zu finden ist.
Conrad beobachtet sie, gebannt von ihrem Tun und die Tasse noch immer festhaltend. Als sie die Suche aufgibt und ihren Kopf senkt, als würde sie ihr Gedächtnis nach einem Hinweis durchflöhen, wo sie das, was in ihrem Portemonnaie offensichtlich nicht vorhanden ist, das letzte Mal in der Hand hatte, erkundigt er sich vorsichtig: „Was fehlt?“
Erschreckt schaut sie auf und ihn ziemlich entgeistert an. „Nix!“, kanzelt sie ihn ab und senkt ihren Kopf erneut.
„Hm“, macht er und fügt ungeachtet ihrer harschen Abwehr freundlich hinzu: „Sah eben anders aus.“
„Na, und?“, bellt sie verärgert zurück und wühlt weiter in ihrer Handtasche.
Conrad zieht wegen ihres Tonfalls seine Stirn kraus und überlegt kurz, ob er seine Frage nicht einfach vergessen sollte. Als er in diesem Moment jedoch eine Träne auf ihrer Wange entdeckt, entscheidet er sich dagegen. „Wie kann ich helfen?“, bietet er mit ruhiger Stimme an.
Sie schüttelt zuerst nur ihren Kopf, dann brummt sie ärgerlich in ihre Handtasche hinein: „Gar nicht. Meine EC-Karte ist weg.“
„Oh!“, entfährt es ihm. „Das ist natürlich unschön.“
„Eben.“
„Hm“, überlegt er so laut, dass sie es hören kann. „Und was muss bezahlt werden?“
Seine ruhige und freundliche Hartnäckigkeit lässt sie nicht kalt und sie blickt ihn nun direkt an.
Conrad holt tief und möglichst lautlos Luft. ‚Wow!‘, will sein Mund sagen, aber seine Lippen bleiben fest verschlossen. Die junge Frau ist jünger, als er es aus dem Profil ihres Gesichts geschlossen hatte, seiner Einschätzung nach ungefähr zwanzig, plus minus zwei Jahre. Die wasserblauen Augen in ihrem runden Gesicht ziehen ihn genauso magisch an wie ihre schneeblonden, glatten Haare, die bis auf die Mitte ihres Rückens herabfallen und die er bereits beim ersten Seitenblick bemerkte.
„Die Tankfüllung und mein Urlaub“, hört er sie traurig sagen.
„Oh!“, wiederholt er sich. Mehr fällt ihm auf Anhieb nicht ein. „Und nun?“
„Keine Ahnung“, schnauft sie und wischt die Träne ab. „Jetzt sitze ich hier fest. Es sei denn, ich prelle die Tankrechnung.“
Das hält Conrad für gar keine gute Idee. „Schon im Auto nachgeschaut? In der Mittelkonsole? Im Handschuhfach?“
Sie blickt ihn an, als wäre er ein Marsmensch. „Natürlich!“
„Unterm Auto?“, lässt er nicht locker.
Jetzt ist sie es, die ihre makellose Stirn in Falten legt. „Wieso das denn?“
„Ist mir auch schon passiert“, gibt er schulterzuckend zu. „Ich Trottel bin sogar noch drübergefahren, zum Glück zu Hause vor der Haustür. Mein Vater hat die Karte später zufällig gefunden, nachdem ich mir einen halben Tag lang den Wolf gesucht habe.“
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, weicht jedoch schnell einer sorgenvollen Miene. Sekundenlang schweigen beide. Schließlich murmelt sie: „Okay. Dann guck ich nochmal unters Auto.“ Mit hängendem Kopf verlässt sie den Tankshop und späht von allen Seiten unter ihr Fahrzeug. Eine Minute später kehrt sie in genau der gleichen Kopf- und Körperhaltung, in der sie den Shop verlassen hatte, zum Kaffeeautomaten zurück, von wo Conrad ihr Tun durch die Fensterscheibe beobachtete.
„Nix.“
Ihr Missgeschick rührt ihn an und er gibt sich einen Ruck. „Wie viel brauchst du denn für Tanken und Urlaub?“
„Tanken? Dreißig“, antwortet sie kurz angebunden, sichtlich verzweifelt. „Urlaub? Fällt eh aus.“
„Ich habe eine Idee“, sagt er daraufhin und schlägt ihr das vor, was ihm während ihrer Unter-dem-Auto-Suche eingefallen war. „Du gibst mir deine Telefonnummer und ich bezahle erstens die Tankrechnung für dich und zweitens gebe ich dir einen Urlaubsvorschuss. Wenn du dich gut erholt hast, schickst du mir eine SMS und ich teile dir meine IBAN mit. Dann kannst du das Geld überweisen.“
Schon während seines ersten Halbsatzes wollte sie ihren Kopf schütteln, angesichts des Vorschusses tut sie es jetzt auch. „Kommt gar nicht in Frage!“
„Okay. Schönen Urlaub“, wünscht Conrad scheinbar gleichgültig, denn eine bessere Lösung, ihr aus der Patsche zu helfen, fällt ihm nicht ein. Er stellt die Tasse nun endlich in den Automaten und visiert mit seinem Zeigefinger den Café-Crema-Knopf an.
„Na, gut“, lenkt das Mädchen ein, bevor er ihn berührt, und atmet durch. „Danke.“
Conrad kocht sich also doch keinen Kaffee, sondern erkundigt sich nach der Urlaubsvorschusssumme.
„Fünfhundert?“, schätzt sie.
Er lächelt nur. „Ich weiß es nicht. Sag du’s mir, es ist dein Urlaub?! Kommt ja drauf an, wohin du unterwegs bist und wie lange du dort bleibst...“
Das Mädchen überlegt einen Moment länger und entscheidet: „Fünfhundert sollten reichen.“
Er nimmt es zur Kenntnis und deutet nach draußen. „Welche Tanksäule?“
Sie folgt seinem Fingerzeig und antwortet: „Vier.“
Conrad nimmt die Tasse aus dem Automaten, geht zum benachbarten Schalter hinüber und begleicht die fällige Tankrechnung.
Der Angestellte, der ihn und das Mädchen während ihres Disputs beobachtete, atmet auf. Innerlich hatte er sich schon gewappnet, die Polizei rufen zu müssen, falls die blonde Autobesitzerin die Tankstelle verlassen sollte, ohne zu bezahlen. Immerhin war sie mit ihrem Golf von der Tanksäule weggefahren. So viel Aufregung kurz vor Feierabend wäre ihm ungelegen gekommen, da er vorhatte, diesen pünktlich anzutreten. Zu seiner Beruhigung stellte sie ihr Auto in der Parkharfe neben dem Hauptgebäude ab und kehrte in den Shop zurück. Dass sie den Platz an der Tanksäule nach irgendetwas absuchte, war ihm wegen des zwischenzeitlichen, regen Kundenverkehrs an seiner Kasse entgangen.
„Kaffee?“, fragt er Conrad jetzt, auf die Tasse in dessen Hand deutend.
„Äh, ja“, bestätigt Conrad. „Hol ich mir am Automaten. Danke.“
Der Mann nickt und blickt dem nächsten Kunden entgegen.
Conrad macht diesem Platz und kehrt zu seiner Schuldnerin zurück. „So, bevor wir zum nächstgelegenen Geldautomaten fahren“, legt er fest, „brauche ich erst mal einen Kaffee. Und du?“
Das Mädchen schüttelt seinen Kopf, sodass seine blonden Haare lange Wellen werfen. „Nein, danke.“
„Tee?“
Sie will erneut verneinen, aber er kommt ihr zuvor: „Ich geb‘ dir einen aus. Gern sogar.“
Das nächste Lächeln erscheint in ihrem Gesicht und diesmal bleibt es länger dort erhalten. „Okay. Danke“, murmelt sie leise. So viel Glück im Unglück hatte sie noch nie.
Conrad reicht ihr eine Teetasse aus dem Korb neben dem Automaten und deutet auf diesen: „Bedien‘ dich.“
Sie dankt ihm ein weiteres Mal, sucht sich einen Teebeutel aus und hängt ihn in ihre Tasse. Conrad zahlt für das nötige heiße Wasser und anschließend für seinen Kaffee, indem er das Kleingeld in den dafür vorgesehenen Schlitz wirft. Mit der Tasse in der Hand folgt er ihr zu einem freien, sechseckigen Hochtisch, der an allen Seiten von hölzernen Barhockern umgeben ist. Er steht in der Nähe der breiten, verglasten Außenfront und bietet daher einen guten Blick auf das Geschehen vor den Scheiben.
„Wo soll’s denn hingehen?“, erkundigt er sich wie nebenbei bei ihr, als sie Zucker und Zitrone in ihren Tee gibt.
„Zelten mit meiner Freundin in Berlin.“
„Zelten in Berlin?“
„Ja. An der Großen Krampe.“
„Große Krampe… Große Krampe…“, grübelt Conrad. „Hab‘ ich schon mal irgendwo gehört. Ist das nicht ungefähr da, wo die Dahme in die Spree fließt?“
Sie zuckt mit ihren Schultern. „Kann sein. Weiß ich auch nicht so genau.“
„Egal“, winkt er ab. „Erinnerte mich nur an ein Zeltlager, damals, von der Schule. Ich meine, dass wir damals an der Großen Krampe waren. Der Zeltplatz hieß auch so ähnlich…“
„Wie alt warst du da?“, taut sie ein wenig auf. Die Art, wie er bisher auf sie eingegangen war, und die Zwanglosigkeit, mit der er jetzt das Gespräch mit ihr führt, gefällt ihr. Ihre anfängliche Abneigung gegen einen Kontakt mit ihm, der länger dauert als nötig, schmilzt dahin. Sie gewinnt mehr und mehr den Eindruck, dass er nicht der Typ ist, der darauf aus ist, jedes Mädchen, das ihm über den Weg läuft, anzumachen. Stattdessen ist er hilfsbereit und nimmt sogar das Risiko auf sich, ihr Geld vorzustrecken. Nicht wenig Geld, wohlgemerkt. Sie rührt ihren Tee um und pustet über das heiße Getränk.
„Zwölf, glaube ich“, antwortet Conrad. „Ja, zwölf.“
Sie mustert sein glattrasiertes Gesicht und seinen dunklen, dichten Haarschopf. „Sechste Klasse also?“, rät sie. Im Stillen schätzt sie ab, dass er heute ungefähr doppelt so alt sein könnte.
„Passt.“, bejaht er. „Dann wirst du mit deiner Freundin doch sicher mal nach Berlin reinfahren, oder?“
„Klar. Das muss auf alle Fälle drin sein. Schließlich war ich erst einmal dort.“
„Okay. Ich noch nie“, gibt er zu und nippt an seinem Kaffee.
„Fährst du nach Berlin?“
„Nein und nein.“
Sie stutzt und Conrad schmunzelt in sich hinein. Die doppelte Verneinung war pure Absicht.
„Versteh‘ ich nicht“, gibt sie zu.
„Nein, ich fahre nicht, und nein, mein Reiseziel ist nicht Berlin“, präzisiert er und lässt das unterdrückte Schmunzeln in seinen Mundwinkeln erscheinen.
Angesichts dessen lacht sie. „Ach so. Jetzt kapier ich’s.“ Sie schlürft etwas von ihrem dampfenden Tee – und stutzt erneut. „Wenn du nicht selbst fährst, was suchst du dann auf die Autobahn?“
Conrad hebt seinen Daumen und winkt damit hinter sich.
„Du trampst?“
„Jo“, macht er und nickt.
Wieder mustert sie ihn, diesmal vom Kopf bis zum Bauchnabel, denn der Rest seines Körpers ist durch den Tisch verdeckt. Seinem Äußeren nach hätte sie ihn niemals für einen Tramper gehalten. Dafür sieht er ihrer Vorstellung nach viel zu aus.
Adrett…
Was denke ich denn da!
Sie schluckt und versteckt sich schnell hinter ihrer Teetasse. „Machen heutzutage nicht mehr so viele“, wirft sie von dort aus ein.
Conrad bestätigt ihr ihre Beobachtung. „Ja, is‘ so. Macht es leichter, jemanden zu finden, der einen mitnimmt.“
„Ja?“ Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und Conrad findet es reizend.
„Ja. Viele Jäger, aber weniger Hasen. Da ist die Trefferquote höher“, wandelt er ein altes Sprichwort ab.
Sie schmunzelt über seine Wortwahl. Plötzlich lacht sie los, denn ihr ist aufgegangen, welches Sprichwort er verfälscht hat. „So habe ich das auch noch nicht gesehen“, gibt sie zu und nippt an ihrem dampfenden Tee.
„Klappt wirklich gut“, versichert er ihr. „Mit dem letzten LKW bin ich fast zweihundert Kilometer mitgefahren. Er wollte an der nächsten Ausfahrt raus und das nützt mir nichts. Also hat er mich freundlicherweise hier abgesetzt. Am besten kommt man als Tramper von Raststätten los.“
„Das kann ich mir vorstellen.“ Sie mustert ihn erneut, dann erkundigt sie sich: „Hast du gar kein Gepäck?“
„Doch!“ Er deutet in eine schwer zugängliche Ecke neben einer Fluchttür hinüber, wo eine in ihren Augen riesige Kraxe steht, die er, ohne dass sie es bisher bemerkte, permanent beobachtete.
„Hui“, macht sie. „Die ist nicht eben klein. Weltreise?“
„Nein“, lacht er. „Ich will zu meinem Kumpel in den Spreewald. Er ist vor acht Jahren dort hingezogen und wir haben uns die letzten drei Jahre nicht gesehen. Ich werde, wenn das Wetter mitspielt, voraussichtlich drei oder vier Wochen dort sein, deswegen der große Rucksack.“
„Spreewald. Schön. Da fahre ich nachher dran vorbei, glaube ich.“
„Hm. Stimmt.“, weiß Conrad. Die Autobahn tangiert das Biosphärenreservat.
Sie überlegt einen Moment. „Weißt du was?“, schlägt sie vor. „Ich nehme dich bis dorthin mit.“
„Echt?“
„Ja. Das bin ich dir schuldig.“
„Bist du nicht“, verneint Conrad. „Aber danke“, freut er sich und trinkt seinen Kaffee aus. „Bevor wir es vergessen: SMS“, erinnert er sie und sich selbst.
„Stimmt!“ Sie zückt ihr Smartphone und Conrad diktiert ihr seine Nummer. „Schreib bitte in den Text“, ergänzt er, „dass Conrad – mit C – Hellmann dir, ppp, heute 530 Mäuse geliehen hat.“
Sie lächelt wegen der Mäuse, nickt und tippt fleißig, das ppp durch ihren Namen ersetzend. Sekunden später summt Conrads Telefon und er schickt ihr, nachdem er ihre Nachricht gelesen hat, eine Bestätigung. „So, Cornelia, Pakt besiegelt“, sagt er danach forsch und steckt sein Handy ein.
„Gehört meine Seele jetzt dir?“, versucht sie einen Scherz und trinkt ihren Tee zur Hälfte aus.
Conrad lacht zuerst, schließt dann seinen Mund und holt tief Luft durch seine Nase. „Kommt drauf an…“, erwidert er leise und mustert ihr hübsches Gesicht etwas länger als nötig. Bevor ihre Wangen sich deswegen verfärben, blickt er über ihre Schulter zu seinem Rucksack hinüber nach draußen, wo ein LKW nach dem anderen die Tankstelle passiert und dem Parkplatz zustrebt.
Die brauche ich heute nicht mehr, freut er sich.
Als sie ihren Tee ausgetrunken hat, schlägt er vor, weiterzufahren. „Es sei denn“, lenkt er ein, „dass du hier noch irgendwas erledigen musst.“
„Muss ich“, nickt sie, stellt ihr Glas ab und deutet auf die Treppe ins Untergeschoss. „Bin gleich wieder da.“
Conrad lässt sie an sich vorbei, geht zu seiner Kraxe, zieht sie aus der Ecke heraus und huckt sie sich auf seinen Rücken. Ein Blick auf seine Uhr zeigt ihm, dass er gut in der Zeit liegt, um noch vor Sonnenuntergang bei Anton anzukommen. Da er den Rest der Strecke offenbar in einem Rutsch hinter sich bringen kann, wird er sogar viel früher dort sein als geplant. Mit dem Blick zur Treppe schlängelt er sich durch den engen Gang zwischen den Tischen hindurch und um die Kaffeetheke herum bis zu der Ausschilderung zu den Toiletten. Sekunden später kommt das Mädchen die Treppe von dort herauf und er wendet sich zum Gehen. Als sie mit ihm auf gleicher Höhe ist, verkündet sie: „Kann losgehen!“, überholt ihn und geht voran zu ihrem Auto.
Conrad folgt ihr schmunzelnd ins Freie, setzt am Auto seinen Rucksack ab und verstaut ihn quer in dessen Kofferraum, in dem ein weiterer Rucksack – wesentlich kleiner als seiner – und eine Reisetasche liegen. Dann schließt er die Heckklappe und steigt auf der Beifahrerseite ein.
„Nächster Halt: Geldautomat“, ordnet er an, nachdem er sich angeschnallt hat.
„Ja. Nur müssen wir den erst noch finden.“
„Nichts leichter als das“, frohlockt er und entsperrt sein Smartphone. Sekunden später, das Auto rollt bereits auf die Beschleunigungsspur, hat er den nächstliegenden Automaten gefunden. „Hm, der nützt uns nichts, weil wir da ein Stück zurückfahren müssten. Moment…“, murmelt er vor sich hin, zoomt auf dem Display ein paar Mal rein und raus und nickt schließlich. „Okay, den nehmen wir...“
„Welchen?“
„Nächste Ausfahrt raus und dann links. Sind nur zwei Kilometer bis zum nächsten Ort. Dort gibt es eine Sparkasse“, erklärt er und sie nickt. „Okay.“
***
Zwei Stunden später hält der dunkelblaue Golf auf einem Touristenparkplatz an. Cornelia stellt den Motor ab und öffnet ihren Sicherheitsgurt. Sie steigt aus und schaut sich, in der offenen Fahrertür stehend, um. Der Parkplatz, der – einem Hinweisschild zufolge - für Tagesgäste vorgesehen ist, die, soviel weiß Conrad von Anton, am Wochenende scharenweise in den Spreewald einfallen, leert sich gerade. Ein Fahrzeug nach dem anderen verlässt die von viel Grün gesäumte gepflasterte Fläche in Richtung Landstraße.
„Bist du sicher, dass das der richtige Parkplatz ist?“, erkundigt sie sich bei Conrad, die wilde Natur rundherum musternd.
„Jepp, isser.“
Sie lächelt über seine flapsige Formulierung. „Okay. Dann hoffe ich, dass dein Freund dich nicht allzu lange warten lässt.“ Mit diesen Worten geht sie zum Kofferraum und klappt ihn auf.
Conrad wuchtet seinen Rucksack heraus und nutzt den dabei aufgenommenen Schwung aus, um ihn bis direkt auf seine rechte Schulter zu bugsieren. Beim Einfädeln in den linken Tragegurt hilft sie ihm. „Oh, danke“, freut er sich.
„Gerne.“ Sie schließt die Heckklappe und steht einen Moment unschlüssig vor ihm. „Ich wünsche dir einen schönen Urlaub“, sagt sie schließlich aus der Verlegenheit heraus und lässt ihren Blick ein zweites Mal schweifen. „Grün ist jedenfalls genug vorhanden.“
„Oh, ja“, stimmt er ihr zu. „Dabei ist das hier noch gar nichts“, wehrt er ab, auf den buschigen Bewuchs am Rand deutend. „Tonis Elternhaus liegt mittendrin im Grünen. Wasser, Wiesen, Bäume und Büsche ringsumher – und Ruhe vor allem. Sonst nichts.“
Cornelia schmunzelt und seufzt: „Das würde ich mir auch gefallen lassen.“
„Na, vielleicht ist es ja an der Großen Krampe genauso schön. Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß mit deiner Freundin. Genieß‘ das schöne Wetter und Berlin.“
Sie reicht ihm lächelnd ihre Hand. „Danke, vor allem für das Geld. Ich melde mich, sobald ich eine neue Karte habe und auf mein Konto zugreifen kann.“
„Ist okay. Mach erst mal Urlaub, alles andere danach. Ciao!“
„Ciao“, grüßt sie zurück und lässt ihn los.